Vom Traum zum Trauma

kriegKann man die Kriegsbegeisterung, die vor 100 Jahren dieses Land durchzog den heutigen Jugendlichen noch irgendwie begreiflich machen? Elisabeth Zöller kann. Nachdem ich bereits ihre Bücher über den Nationalsozialismus, die Edelweißpiraten und ihre Faschismus-Parabel vorgestellt habe, reiht sich nun Zöllers Jugendbuch Der Krieg ist ein Menschenfresser über den ersten Weltkrieg hier ein.

Darin schildert sie die Ereignisse zwischen 1914 und 1918 auf zweigeteilte Art. Im ersten Teil erlebt der Leser die Begeisterung der Jungen Ferdinand und August aus Leipzig für den Krieg mit. Die Jungs melden sich freiwillig zum Militär, trotz der Ablehnung der Eltern. Zu groß ist die Lust auf „Abenteuer“. Ferdinand nimmt einen Fotoapparat an die Front mit und macht Bilder – was seinen Vorgesetzten gar nicht gefällt …

Im zweiten Teil erlebt Max 1917 die Schrecken an der belgischen Front und wird von einem wohlmeinenden Vorgesetzten zum Scharfschützen ausgebildet. Doch bei einer Aktion muss er einen Menschen töten, der kein Feind war. Traumatisiert kehrt er noch vor Kriegsende nach Berlin zurück und weigert sich, jemals wieder eine Uniform anzuziehen, sehr zum Unwillen seines Vaters. Seine Freundin Sophie steht ihm in dieser Zeit gegen den Vater und die Vorgesetzten bei, die ihn zur Herausgabe wichtiger Dokumente zwingen wollen …

Mehr möchte ich über den ziemlich spannenden Inhalt nicht verraten. Elisabeth Zöller schafft es nämlich, beide Seiten einzufangen: den Kriegstaumel zu Beginn der Auseinandersetzungen, aber auch die Traumata, die der sinnlose Stellungskrieg und vor allem die absurden Auswüchse von kriegerischen Konflikten verursachen. Geschickt macht sie klar, dass die Darstellung von Krieg in den Medien zumeist nichts mit der Wahrheit vor Ort zu tun hat, sondern dass immer Mächte dahinter stehen, die Einfluss darauf nehmen, wie die Sachverhalte Dritten präsentiert werden. So erklärt sie nicht nur die historische Kriegsführung und die entsprechende Propaganda, sondern verweist auch auf die heutige Medienmacht, der wir nur allzu gern vertrauen.

Wie schon bei dem Edelweißpiraten-Roman Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife flechtet Zöller auch hier wieder sehr viele historische Fakten und Begrifflichkeit in den Text ein, die in einem Glossar kurz, manchmal fast zu kurz, erklärt werden. Die Gewalt des Krieges ist zwar präsent, aber anders als beispielsweise bei Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues nicht zu schockierend und zu grausam dargestellt, so dass die Lektüre für Leser ab 14 erträglich bleibt. Das liegt zudem an Zöller schon fast trocken-nüchterner Sprache, die diesem schrecklichen Thema jedoch sehr gut tut, da so der nötige Respekt vor den Toten gewahrt bleibt.

Das Einzige, was mich an dem Buch stört, ist dieses Mal das Cover. Es führt ein wenig in die Irre, da die eigentlichen Protagonisten die Jungen Ferdinand und Max sind, die dem Schrecken des Krieges ins Auge sehen. So bleibt nur zu hoffen, dass sich die Jungs, an die sich dieses Buch durchaus auch richtet, nicht von dem fast verträumten Mädchen abschrecken lassen. Das wäre sehr schade und hätte dieses Buch wirklich nicht verdient.

Elisabeth Zöller: Der Krieg ist ein Menschenfresser, Hanser, 2014, 288 Seiten, ab 14, 15,90 Euro

Nachtrag vom 17.03.2014: Über Facebook wies mich Elisabeth Zöller darauf hin, dass es zu ihrem Buch begleitendes Material von Christine Hagemann gibt, das mögliche Fragen zu den Begriffen ausführlicher erklärt: http://www.elisabeth-zoeller.de/data/content/00000052/_media.00000465.pdf
Herzlichen Dank für den Hinweis!

 

 

Preiswürdig

Dieses Mal habe ich es nicht nach Leipzig auf die Buchmesse geschafft. Dennoch verfolge ich das Geschehen – so gut es eben geht aus der Ferne. Mit wehem Herzen. Denn die Atmosphäre in den Glashallen zwischen all den neuen Büchern, die verkleideten Cosplayern, die Lesegrüppchen an allen Ecken und Enden, die Gespräche mit Kollegen, ach ja, all das fehlt schon ein bisschen.

Um so schöner sind dann solche Nachrichten, dass nun die Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2014 feststehen. Im dritten Jahr meines Blogs kann ich nun mit einem kleinen Grinsen feststellen, dass sich darunter doch einige „alte“ Bekannte finden, die ich hier im vergangenen Jahr vorgestellt habe. Gleichzeitig geht nun wieder das Nachhollesen los … Aber auch das ist eine Freude.

Allen Beteiligten an den Büchern gratuliere ich nun schon mal zur Nominierung – jetzt bleibt es spannend bis zum Oktober in Frankfurt!

Nominiert wurden:

Bilderbücher:

mne_HK_Ligne_Cov_z_Layout 1Jimi Lee (Illustration)
Überall Linien
Michael Neugebauer Edition
14,95 Euro
ab 3

Von Jimi Lee habe ich Unsere Erde vorgestellt.

3895Gus Gordon (Text, Illustration)
Gundula Müller-Wallraf (Übersetzung)
Herman und Rosie
Eine Geschichte über die Freundschaft
Knesebeck Verlag
14,95 Euro, ab 5

Bournay_24301_MR.inddDelphine Bournay (Text, Illustration)
Julia Süßbrich (Übersetzung)
Krümel und Pfefferminz
Wilde Tiere
Carl Hanser Verlag
7,90 Euro
ab 5

 

Moritz_VS_H_2013_17.04.inddClaude K. Dubois (Text, Illustration)
Tobias Scheffel (Übersetzung)
Akim rennt
Moritz Verlag
12,95 Euro, ab 7

3898Regina Kehn (Herausgeber, Illustration)
Das literarische Kaleidoskop
Fischer KJB
16,99 Euro
ab 8

Meine Rezension gibt’s hier.

 

3899Peter Sís (Text, Illustration)
Brigitte Jakobeit (Übersetzung)
Die Konferenz der Vögel
Aladin Verlag
24,90 Euro
ab 8

 

Kinderbücher:

Vorschau_F 2013_24.11.2012.inddChristian Oster (Text)
Katja Gehrmann (Illustration)
Tobias Scheffel (Übersetzung)
Besuch beim Hasen
Moritz Verlag
9,95 Euro
ab 5

3901Susan Kreller (Herausgeber)
Sabine Wilharm (Illustration)
Henning Ahrens (Übersetzung)
Claas Kazzer (Übersetzung)
Der beste Tag aller Zeiten
Weitgereiste Gedichte
Carlsen Verlag
24,90 Euro,  ab 6

3902Tamara Bos (Text)
Annemarie van Haeringen (Illustration)
Ita Maria Berger (Übersetzung)
Papa, hörst du mich?
Verlag Freies Geistesleben
13,90 Euro
ab 7

 

3903Polly Horvath (Text)
Sophie Blackall (Illustration)
Christiane Buchner (Übersetzung)
Herr und Frau Hase
Die Superdetektive
Aladin Verlag
12,90 Euro
ab 9

3904Martina Wildner (Text)
Königin des Sprungturms
Beltz & Gelberg
12,95 Euro
ab 11

 

 

3905Synne Lea (Text)
Maike Dörries (Übersetzung)
Leo und das ganze Glück
Verlag Friedrich Oetinger
12,95 Euro
ab 11

 

 

Jugendbuch:

3906Sarah Crossan (Text)
Cordula Setsman (Übersetzung)
Die Sprache des Wassers
mixtvision Verlag
13,90 Euro
ab 13

Sarah Crossans Buch habe ich hier besprochen.

3907James Proimos (Text)
Uwe-Michael Gutzschhahn (Übersetzung)
12 Things To Do Before You Crash and Burn
Gerstenberg Verlag
12,95 Euro
ab 14

 

3909Joanne Hornimann (Text)
Brigitte Jakobeit (Übersetzung)
Über ein Mädchen
Carlsen Verlag
15,90 Euro
ab 14

Meine Meinung dazu gibt es hier.

3908Inés Garland (Text)
Ilse Layer (Übersetzung)
Wie ein unsichtbares Band
Fischer KJB
14,99 Euro
ab 14

Inés Garland hat mir ein paar Fragen zu ihrem Buch beantwortet.

3910Rainer Merkel (Text)
Bo
S. Fischer Verlag
22,99 Euro
ab 15

 

 

cleverprinting 2009Stefanie de Velasco (Text)
Tigermilch
Verlag Kiepenheuer & Witsch
16,99 Euro
ab 16

 

 

Sachbuch:

CV_KARTOFFELKOENIG.inddChristoph Niemann (Text)
Der Kartoffelkönig
Verlagshaus Jacoby & Stuart
12,95 Euro
ab 5

CoverHeidi Trpak (Text)
Laura Momo Aufderhaar (Illustration)
Gerda Gelse
Allgemeine Weisheiten über Stechmücken
Wiener Dom-Verlag
14,90 Euro
ab 6

130412_OKLADA_lay2.inddAnna Czerwińska-Rydel (Text)
Marta Ignerska (Illustration)
Olaf Kühl (Übersetzung)
Die Ton-Angeber
mixtvision Verlag
14,90 Euro
ab 6

Vorschau_F 2013_24.11.2012.inddSebastian Cichocki (Text)
Aleksandra Mizielińska (Illustration)
Daniel Mizielińsky (Illustration)
Thomas Weiler (Übersetzung)
Sommerschnee und Wurstmaschine
Sehr moderne Kunst aus aller Welt
Moritz Verlag, 19,95 Euro

3919Adam Jaromir (Text)
Gabriela Cichowska (Illustration)
Fräulein Esthers letzte Vorstellung
Gimpel Verlag
29,90 Euro
ab 10

 

3920Nikolaus Nützel (Text)
Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg
Was der Erste Weltkrieg mit uns zu tun hat
arsEdition
14,99 Euro
ab 12

 

Preis der Jugendjury:

3886John Boyne (Text)
Oliver Jeffers (Illustration)
Adelheid Zöfel (Übersetzung)
Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket
Fischer KJB
14,99 Euro
ab 12

Über Barnaby hat Lector3 eine Jugendrezension verfasst.

3887Raquel J. Palacio (Text)
André Mumot (Übersetzung)
Wunder
Carl Hanser Verlag
16,90 Euro
ab 12

Mein Eindruck zu diesem Buch hier.

3888Jostein Gaarder (Text)
Gabriele Haefs (Übersetzung)
2084 – Noras Welt
Carl Hanser Verlag
14,90 Euro
ab 12

 

3889Janne Teller (Text)
Sigrid C. Engeler (Übersetzung)
Birgitt Kollmann (Übersetzung)
Alles – worum es geht
Carl Hanser Verlag
12,90 Euro
ab 13

 

3890Alexia Casale (Text)
Henning Ahrens (Übersetzung)
Die Nacht gehört dem Drachen
Carlsen Verlag
14,90 Euro
ab 13

 

3892Boulet (Text)
Pénélope Bagieu (Illustration)
Ulrich Pröfrock (Übersetzung)
Wie ein leeres Blatt
Carlsen Verlag
18,40 Euro
ab 13

Diesen Comic habe ich hier vorgestellt.

[Jugendrezension] Flucht in ein anderes Leben

zoe willZwei Jugendliche, die erste große Liebe, Freiheit, der Highway – was sich kitschig anhört, entpuppt sich als das Gegenteil. Die Geschichte von Zoe und Will von Kirsten Halbrook ist ein wirklich berührender Liebesroman mit Tiefe und Nachwirkung.

Die 15-jährige Zoe und der 18-jährige Will haben ein Leben voller Leiden hinter sich: Zoes Mutter starb, als sie ein Kleinkind war. Sie wird immer wieder von ihrem betrunkenen Vater verprügelt.  Will wuchs in Kinderheimen und Pflegefamilien auf. Zoe ist die Erste, die an Will glaubt, und er würde alles für sie tun. Um ein anderes Leben zu beginnen, brechen sie eines Nachts mit Wills altem Camaro (ein alter Sportwagen) auf. Zum ersten Mal in ihrem Leben ist alles perfekt – doch Zoe und Will ahnen, dass ihr Glück nicht ewig währen wird …

Mit Die Geschichte von Zoe und Will hat Kristin Halbrook einen tollen Debütroman geschrieben. Eine Besonderheit ist, dass der Roman abwechselnd aus Zoes und Wills Perspektive erzählt, sodass man sich gut in die beiden hineinversetzen kann.

In dem Roman geht es um große Gefühle, die Kristin Halbrook beeindruckend gut schildert.  Zoes und Wills Geschichte ist traurig. Es ist die Geschichte zweier Jugendlicher, denen das Leben übel mitspielt, die sich aber gegenseitig Kraft und Mut geben. Man wünscht den beiden so sehr, dass sie endlich ihr Glück finden. Doch das Leben ist nicht gerecht. Am Ende wird die Handlung immer dramatischer, und man kann das Buch kaum aus der Hand legen.

Zoe und Will sind mir noch lange im Kopf geblieben. Es sind für mich nicht einfach gewöhnliche Romanfiguren. Es gibt viele Zoes und Wills auf dieser Welt. Kristin Halbrook hat ihnen durch diesen Roman eine Stimme gegeben.

Juliane (14)

Kristin Halbroh: Die Geschichte von Zoe und Will, Übersetzung: Beate Brammertz,   Heyne fliegt, 2013,  320 Seiten ab 14, 14,99 Euro

 

London gestern und heute

colferEigentlich bin ich kein großer Fan von Zeitreisegeschichten, über die genauen Gründe meiner Abneigung gegen dieses Gedankenspiel muss ich jetzt allerdings noch mal genau nachdenken. Denn Eoin Colfer hat mit WARP – Der Quantenzauberer eine Variante dieses Genres vorgelegt, die ich nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Die 16-jährige Chevron arbeitet als jugendliche Hilfsagentin für das FBI. Nach einem misslungenen Einsatz in Los Angeles wird sie nach London strafversetzt, bis Gras über die Sache gewachsen ist. In der britischen Hauptstadt wartet ein langweiliger Bewachungsjob auf sie – was aber natürlich nicht so bleibt … denn das Objekt, das Chemie im Auge behalten soll, ist eine Zeitreisemaschine des anonymen Zeugenschutzprogramms „Witness Anonymus Relocaton Programme“ – kurz WARP. Damit schickt das FBI gefährdete Zeugen in der Zeit zurück ins 19. Jahrhundert, wo angeblich niemand an sie herankommt. Dass dieses Konzept nicht aufgeht, merkt Chevie ganz schnell, als in dem Ding plötzlich ein Toter und ein Junge aus der Vergangenheit auftauchen.

Der ebenfalls 16-jährige Riley ist Assistent des Zauberers Albert Garrick. Dieser arbeitet jedoch hauptsächlich als Auftragsmörder im London von 1898. Gerade als Riley von Garrick zu seinem ersten Mord gezwungen wird, aktiviert das Opfer einen so genannten Timekey und katapultiert sich durch ein Wurmloch in die Gegenwart. Garrick, der merkwürdigerweise an seinem Assistenten wie an einem Sohn hängt, folgt Riley später in die Zukunft. Ein rasantes Hin und Her zwischen Vergangenheit und Gegenwart entspinnt sich, bei dem Garrick durch das Zeitreisen zu einem Magier mit Superkräften mutiert und nun in James-Bond-Bösen-Manie leicht größenwahnsinnig die Weltherrschaft in seiner Zeit erlangen will.
Chevie, die mit Riley zusammen vor Garrick flüchtet, erlebt nicht nur das sehnlichst herbeigewünschte Agenten-Abenteuer, sondern lernt dabei auch den Gestank und das Elend des viktorianischen Englands kennen. In all dem Trubel von Verfolgungsjagden durch die Zeiten findet Riley schließlich heraus, wer seine Eltern getötet hat …

Eoin Colfer ist ein rasant-frecher Pageturner gelungen, der mit einem Augenzwinkern auf Charles Dickens, Arthur Conan Doyle und Jules Vernes anspielt und auch die Gegenwart mit ihren Absonderlichkeiten aufs Korn nimmt. Claudia Feldmann hat diese Geschichte entsprechend pfiffig ins Deutsche übersetzt. WARP ist spannendes Lesefutter für Liebhaber von Agentengeschichten – und wird zum Glück erst einmal nicht von einer Liebesgeschichte der Helden Chevie und Riley überlagert, sondern lebt ganz von dem Kontrast der verschiedenen Epochen in London. Das wird besonders anschaulich, wenn Riley in der Zukunft feststellt, dass er die Menschen gar nicht mehr riechen kann. Eine feinsinnigere Beobachtung, in was für einer angenehmen und bequemen Zeit wir heutzutage leben, kann es eigentlich kaum geben.

Eoin Colfer: WARP – Der Quantenzauberer, Übersetzung: Claudia Feldmann, Loewe Verlag, 201,4 352 Seiten, ab 14, 16,95 Euro

PS: Und endlich gibt es mal einen wirklich reizenden Buchtrailer, den ich hier gerne einbinde…

 

[Jugendrezension] Vertraue niemandem

boynobodyIn dem Buch Boy Nobody von Allen Zadoff geht es um einen jungen Soldaten, der auf Anweisung von Unbekannten Menschen töten soll…

Ein 12-Jähriger, der immer wieder einen anderen Namen trägt, wird nach und nach zu einem Soldaten ausgebildet.
Nun ist er 16 Jahre alt, und seine  Eltern sind tot. Seine Auftraggeber soll er „Mutter“ und „Vater“ nennen, da es bei Telefonaten nicht auffällt. Für ihn gibt es immer wieder neue Umgebungen, neue Identitäten und neue Zielobjekte. Er selber hat gelernt zu kämpfen, sich zu verteidigen und emotionslos zu sein. Bekommt er einen Auftrag, versucht er, zunächst das Vertrauen des Opfers zu gewinnen. Hat er dies geschafft, tötet er es leise und still und verschwindet. Hauptsache weg. Dann wartet er auf den nächsten Auftrag.

Der junge Soldat hat schon mehrere Aufträge erfolgreich beendet, doch nun bekommt er einen, der sein schwierigster werden soll. Sein nächstes Zielobjekt ist ein bedeutender Mann in New York. Hatte er sonst immer ein paar Monate Zeit, so drängt dieses Mal  die Zeit. Nur fünf Tage, dann muss der Auftrag erledigt sein. Eigentlich wäre es ein Auftrag wie jeder andere,  wären da nicht die kurze Vorbereitungszeit … und die Tochter des Opfers. Der junge Killer entwickelt Gefühle, die er bisher immer unterdrückt hat. Er muss sich zwischen Liebe und seinem Auftrag entscheiden.

Das Buch ist sehr interessant geschrieben. Durch die Ich-Perspektive und durch kurze Sätze, wirkt alles so, als ob man mitten im Geschehen steht. Die Kapitel sind relativ kurz, was mir den Anreiz gab, immer weiter zu lesen. Auch die Überschriften der Kapitel waren etwas Neues, denn sie bestanden aus ganzen Sätzen und waren ab und zu, so schien es mir, gleich der erste Satz des Kapitels.

Ich fand Boy Nobody sehr aufregend und spannend. Allerdings war das Ende sehr traurig. Einerseits kann ich es verstehen, aber andererseits auch wieder nicht. Als ich es gelesen habe, war ich auf jeden Fall sehr erstaunt. Ich dachte, dass das Rätsel, das in diesem letzten Auftrag liegt, leicht zu erraten wäre, doch es stellte sich das genaue Gegenteil heraus. Durch viele Details und Wendungen wurde ich immer wieder überrascht.

Ich würde das Buch auf jeden Fall weiterempfehlen.

Laura (14)

Allen Zadoff: Boy Nobody. Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder, Übersetzung: Petra Post/Andrea von Struve,  bloomoon, 2013, 336 Seiten, ab 14, 16,99 Euro

[Jugendrezension] Kampf den Abtrünnigen

dancing maxDie Geschichte um ein böses Buch geht in die zweite Runde…

Dancing Jax – Zwischenspiel von Robin Jarvis ist der zweite Teil einer Trilogie, deren ersten Teil ich hier bereits besprochen habe.

Das Buch „Dancing Jax“ hat nun schon ganz Großbritannien in Besitz genommen und versucht nun, sich weiter auszubreiten. Immer mehr Bücher werden produziert. Bereits 63 Millionen Exemplar sind verkauft, fast jeder Brite besitzt ein Buch. Doch es gibt immer noch Abtrünnige.
Da viele Kinder bis 16 Jahren immun gegen das Buch sind, werden sie eingesammelt und in ein Camp gebracht. Ihnen sagt man, dass sie ein schönes Wochenende haben werden, was sich aber schon bald als anders herausstellt. Dieses Mal gibt es keine wirkliche Hauptfigur, sondern die Kinder stehen im Mittelpunkt. Jedes Kind ist anders und jedes hat ein bestimmtes Merkmal und eine eigene Persönlichkeit: Da ist das mit der Gitarre, das dicke Kind, der Macho …

Der Ismus, der König von Mooncaster, versucht mit allen Mitteln, die Kinder mit dem Buch in Besitz zu nehmen und wie ganz Großbritannien zu kontrollieren.
Unter den Kindern befindet sich jedoch der so genannte Castle Creeper. Dieser kann die Menschheit vor Mooncaster schützen und die Bücherverbreitung stoppen. Denn er kann  zwischen Mooncaster und der Realität hin und her reisen.
Er ist eine Gefahr für den Ismus, weil er Sachen stehlen und Pläne kaputt machen  kann.
Doch zuerst muss der Ismus den Castle Creeper finden, denn erst dann, kann er ihn für seine Zwecke einsetzen. Es beginnt eine aufregende Geschichte. Kann die Verbreitung des bösen Buches noch gestoppt werden?

Dieser zweite Teil der Trilogie ist noch besser als Dancing Jax – Auftakt. Es fängt sofort spannend an und endet genau so packend – und keine Stelle in dem Buch ist langweilig. Die Handlung spielt sowohl in der Traumwelt Mooncaster, als auch in der Realität, also insgesamt sehr abwechslungsreich. Im ganzen Buch gibt es ein großes Rätsel, welches am Ende aufgelöst wird und sehr überraschend ist.

Aber es ist auch schockierend, wie die Kinder im Camp behandelt werden.  Bei jeder Kleinigkeit gibt es eine Strafe. Ein Mädchen wird zum Beispiel zwei, drei Tage ohne Essen und Trinken eingesperrt. Oder die Kinder werden geschlagen. Es ist ab und zu schon sehr hart. Die Kinder haben mir beim Lesen richtig Leid getan. Sie können nichts dagegen tun, was mit ihnen gemacht wird. Ich habe die Verzweiflung schon fast gespürt.

Außerdem bringt das Buch zum Nachdenken: Wenn niemand mehr eine eigene Meinung hätte, würde alles nur von einem Menschen kontrolliert, wie hier vom Ismus. Keiner kann dann mehr entscheiden, was er machen will, und keiner traut sich mehr etwas zu sagen, weil er Angst hat, dass er bestraft wird. Das finde ich nicht gut.

Ich empfehle Dancing Jax – Zwischenspiel jedem, der das erste Buch auch schon mochte denn es übertrifft das erste Buch sogar. Für jeden der Spannung, Fantasy und eine Hand voll Rätselspaß mag, ist es genau das Richtige.

Auf den dritten Teil bin ich schon sehr gespannt.

Laura (14)

Robin Jarvis: Dancing Jax – Zwischenspiel, Übersetzung: Nadine Mannchen,  script5, 2013, 544 Seiten, ab 14, 14,95 Euro

[Jugendrezension] Verborgene Erinnerungen

janafreyKassandra Armadillo ist die jugendliche Hauptfigur aus dem Roman Weil du fehlst von Jana Frey. Kassandra ist in den Staaten geboren, zieht aber, seit dem Tod ihres Vaters, mit ihrer Mutter und ihrer hochbegabten kleinen Schwester Oya von einer Stadt in die nächste, da ihre Mutter es nirgendwo lange aushält.

So hat sie schon in einem kleinen Dorf in Rumänien, in Prag, auf der italienischen Insel Stromboli und in Paris gelebt. Als Kassandra siebzehn ist zieht die kleine Familie (inklusive Kater Billyboy) zurück nach Amerika. Dort wird Kassandra mit ihrer Vergangenheit konfrontiert…

Jana Frey hat einen unglaublichen Schreibstil, der sehr eigenwillig ist, an den man sich jedoch schnell gewöhnt und ihn schätzen lernt. Man kann sich zu Beginn gut in Kassandra hineinversetzen und selbst die Randcharaktere haben ausgeprägte Persönlichkeiten. Die Geschichte ist gut durchdacht, obwohl man schon am Anfang ahnt, was passieren wird. Sie wird langsam aufgebaut, wie ein Turm, eine Skulptur, die etwas in ihrem Inneren versteckt. Teilweise droht sie zu zerbrechen und zu zeigen, was sie versteckt. Leider ist es nicht wirklich witzig, abgesehen von ein  paar Stellen die (wahrscheinlich unfreiwillig) komisch sind. Zu Beginn ist die Geschichte sehr spannend, flacht dann aber merklich ab und wird fast langweilig.

Das Familiendrama ist gut überlegt und wirklich interessant geschrieben, aber bei etwa der Hälfte scheint die Autorin diesen Strang der Geschichte leider zu verlieren und verzettelt sich in einem absurden wie unnötigen Handlungsstrang über die Beziehung zwischen Kassandra und ihrem Vertrauenslehrer Mr. Rosen.
Es ist sehr schade das die Geschichte über ihre Familie so unvollkommen im Nichts verläuft und durch eine Liebesgeschichte abgelöst wird, deren trauriges Ende vorherzusehen ist. Das Handeln der Personen wird undurchschaubar und verwirrend und man möchte es eigentlich so machen wie Oya: Wenn es seltsam wird, nach Schweden ziehen und alles vergessen. Auch das Buch.

Dieses Buch ist vor allem etwas für Mädchen und keinesfalls für unter 14-Jährige geeignet.

Emilia (15)

Jana Frey: Weil du fehlst, Fischer KJB, 2013,  224 Seiten, ab 12, 12,99 Euro

[Jugendrezension] Der Fluch des Namens

edelherbEdelherb ist der zweite Band einer Trilogie von Gabrielle Zevin. Über den ersten Band Bitterzart habe ich hier bereits eine Rezension geschrieben.

Die Geschichte spielt in New York im Jahre 2083: Schokolade und Kaffee sind verboten. In dieser düsteren Zukunft lebt die 16-jährige Anya Balanchine. Ihre Familie gehört zu den fünf großen Schokoladen-Dynastien und beherrscht den illegalen Schokoladenhandel in New York. Anyas Eltern leben nicht mehr, und sie muss allein für ihre Schwester, ihren Bruder und die Großmutter sorgen. Der erste Band endet damit, dass der Staatsanwalt – der gleichzeitig der Vater ihres Freundes Win ist – Anya unschuldig in die Erziehungsanstalt Liberty einweisen lässt.

Nach einiger Zeit kann Anya aus der Erziehungsanstalt fliehen und sich in Mexiko auf einer Kakaoplantage verstecken. Während sie sich Sorgen um ihre Geschwister und ihren Freund Win in New York macht, lernt sie allerhand über Schokolade. Anya ist eine wahre Balanchine. Ihr wird klar, dass Schokolade ihr Schicksal ist. Doch was soll sie mit dieser Erkenntnis anfangen? Früher als gedacht muss Anya nach New York zurückkehren …

Ich habe Edelherb ebenso wie Bitterzart in kurzer Zeit verschlungen. Der Schreibstil der Autorin fesselt. Die Figuren der Geschichte verändern sich mit der Zeit, und so lernt man nicht nur Einiges über Schokolade, sondern auch über Menschen. Anya wird aufgrund ihres Nachnamens verurteilt. Er ist ein Fluch. Überall ist sie nur die Tochter eines Mafiabosses, sie kann dem Familiengeschäft nicht entfliehen. Deshalb steht Anya vor einer Entscheidung: Soll sie ihre Stellung in der Familie nutzen und das Beste daraus machen? Oder weiter unter ihrer Herkunft leiden? Dabei geht es nicht nur um sie selbst. Ihre Geschwister könnten durch sie in Gefahr geraten.

Auch am Ende des zweiten Bandes ist noch alles offen. Deshalb hoffe ich, dass der dritte Band bald veröffentlicht wird!

Juliane (14)

Gabrielle Zevin: Edelherb, Übersetzung: Andrea Fischer, Fischer FJB, 2013, 528 Seiten, 16,99 Euro

[Jugendrezension] Kann man Glück stehlen?

bücherdiebinAls ich Die Bücherdiebin von Markus Zusak in einer Buchhandlung entdeckte, las ich zunächst nur den Klappentext und legte das Buch wieder zurück. Doch Liesels Geschichte und das Buch gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, und ein paar Tage später ging ich in die Stadt und kaufte es mir. Eine sehr gute Entscheidung, wie ich rückblickend sagen muss! Die Bücherdiebin ist eins von den Büchern, die man gelesen haben sollte.

In dem Roman geht es um Liesel Meminger. Zu Beginn der Geschichte ist sie neun Jahre alt und lebt im Jahr 1939. Da ihr verstorbener Vater Kommunist war, gibt Liesels Mutter sie und ihren kleinen Bruder Werner zu Pflegeeltern, um sie zu schützen. Aber ihr Bruder kommt niemals dort an und verstirbt auf dem Weg. Auf seiner Beerdigung findet Liesel ihr erstes Buch im Schnee. Obwohl sie nicht lesen kann, steckt sie es ein. Ihr Pflegevater bringt ihr das Lesen bei, und Wörter werden zum Einzigen, das Liesel in diesen Tagen Mut und Hoffnung schenkt. Fortan stiehlt sie Bücher und teilt ihre Schätze mit anderen. Im Schutzbunker liest sie den Nachbarn vor. Irgendwann beschließt sie auch, ihre eigene Geschichte aufzuschreiben. Doch das Buch ist nicht aus Liesels Sicht erzählt. Der Erzähler ist der Tod. Seine Wege haben die des jungen Mädchens so oft gekreuzt, dass er sie ins Herz schließt und ihre Geschichte weitererzählt.

Die Idee, die Geschichte aus der Sicht des Todes zu schildern, fand ich sehr originell. Das Buch ist an vielen Stellen lustig, aber auch oft nachdenklich und traurig. Liesel wird älter. Ihr Leben geht durch Höhen und Tiefen, und der Leser leidet mit ihr. Ihre Geschichte hilft, die Handlungen, Ängste und Probleme der Menschen im Dritten Reich besser zu verstehen. Außerdem wird bewusst, welche Macht Worte besitzen. Ich weiß nicht, ob Liesel ohne ihre Bücher – die ihr immer wieder Hoffnung schenkten – überlebt hätte. Liesel übersteht Bombennächte und sieht, wie Juden nach Dachau verschleppt werden. Doch das Buch ist nicht traurig. „Markus Zusak hält mühelos die Waage zwischen Ernst, Angst, Hass und Humor“, so die Jury, die für Die Bücherdiebin den Deutschen Jugendliteraturpreis 2009 verlieh. Dem kann ich mich nur anschließen!

Juliane (14)

Markus Zusak: Die Bücherdiebin, Buch zum Film, ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2009, Kategorie Preis der Jugendjury und dem Jugendbuchpreis Buxtehuder Bulle 2008. Übersetzung: Alexandra Ernst, Blanvalet, 7. Auflage  2009, 608 Seiten, ab 12, 9,95 Euro

bücherdiebinAb Februar 2014 wird es bei cbj das Buch zum Film geben, der im selben Monat ins Kino kommt.

Markus Zusak: Die Bücherdiebin, Buch zum Film, cbj, 2014, 592 Seiten, ab 12, 9,99 Euro

Reise zu den Wurzeln

ascheEin Mal im Jahr scheine ich ein Buch über Grabschändung und den perfekten Ort für eine Bestattung rezensieren zu können. War es im vergangenen Jahr der Roman von Boris Koch, so ist es nun Anke Webers Regenbogenasche. Vielleicht wird ja eine Tradition daraus…

Auch in Regenbogenasche geht es darum, einem Toten seinen letzten Willen zu erfüllen: Rhinas Vater ist bei einem Unfall gestorben. Seine große Sehnsucht war Namibia, und die fast 15-jährige Rhina setzt sich in den Kopf, seine Asche dorthin zu bringen und an dem schönsten Ort zu verstreuen. Zusammen mit ihrem Schulkameraden Unkas, schmiedet Rhina zunächst den Plan, die Urne unbemerkt auszubuddeln.
Später schließen sich die beiden Jugendlichen einer namibischen Kulturorganisation an, die Reisen in das afrikanische Land organisieren. Mit umgefüllter und eingefärbter Asche machen sich Rhina und Unkas auf nach Namibia.

Für Rhina ist diese Reise jedoch mehr, als nur den toten Vater an seinen Lieblingsort zu bringen. Sie war sieben als ihr Vater starb, seitdem vermisst sie ihn und kann irgendwie kein eigenes Leben beginnen. Unkas, der ihr bei diesem Abenteuer treu zur Seite steht, wird zu ihrem Vertrauten und besten Freund. Und je mehr Rhina über ihren Vater, seine Herkunft und seinen Tod herausfindet, um so mehr wandelt sie sich zu einem freien Mädchen, das ihren eigenen Lebensweg geht und die Liebe kennenlernt.

Anke Weber schafft es auf faszinierende, fesselnde Art und Weise, die Gegensätze von Leben und Tod in einem spannend Road-Roman zu vereinen. Sie macht jugendlichen Lesern deutlich, dass das eigene Leben von dem der Eltern mehr beeinflusst wird, als man so manches Mal meint oder es sich wünscht. Die Schatten der elterlichen Vergangenheit legen sich immer auch auf das Leben der Kinder. Weber erzählt das jedoch mit einer Leichtigkeit und dem exotischen Touch der namibischen Wüste, das man ganz gebannt Rhinas gesetzwidrige Grabschändung akzeptiert, mit ihr liebt, leidet und sich schließlich freut, als sie in Namibia nicht nur ihr Ziel erreicht, sondern auch eine große Überraschung erlebt.

Regenbogenasche variiert das Thema Grabschändung auf eine fast unbeschwerte Art und zeigt, wie wichtig es für Jugendliche ist, über die Herkunft und die Traumata der Eltern aufgeklärt zu werden. Jeder Mensch hat zwar durchaus ein Recht auf Geheimnisse, doch sobald diese sich auf die Nachkommen auswirken, haben diese wiederum ein Recht, sie zu erfahren. Erst dann können Jugendliche sich bewusst entscheiden, wie sie ihren eigenen Lebensweg einschlagen. So wie Rhina, die ihr Glück und ihren inneren Frieden erst findet, als sie das Geheimnis ihres Vaters gelüftet hat und den toten Vater am richtigen Ort weiß. Damit macht sie jugendlichen Lesern Mut, sich den eigenen Familiengeheimnissen zu stellen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Der düstere Tod wandelt sich in diesem Buch zu einer kunterbunten Liebeserklärung an das Leben.

Anke Weber: Regenbogenasche, Ueberreuter, 2013, 256 Seiten,  ab 12, 12,95 Euro

[Jugendrezension] Die Schokoladenmafia

schokoladeBitterzart ist der Auftakt einer Trilogie von Gabrielle Zevin. Der Roman spielt in New York im Jahre 2083: Wasser und Papier sind knapp, Schokolade und Kaffee verboten. In dieser düsteren Zukunftsvision lebt die 16-jährige Anya Balanchine. Ihre Familie gehört zu den fünf großen Schokoladen-Dynastien und beherrscht den illegalen Schokoladenhandel in New York. Anyas Vater, das ehemalige Oberhaupt einer dieser Familien, ist schon lange tot, und Anya muss allein für ihre Schwester, ihren Bruder und die Großmutter sorgen. Deshalb hält sie sich so gut wie möglich aus dem Familiengeschäft heraus. Doch die Ereignisse überschlagen sich, und es stellt sich die Frage: Wird sie sich weiterhin aus dem Schokoladengeschäft heraushalten können, oder wird sie das Erbe ihres Vaters antreten? Hinzu kommt, dass Anyas große Liebe Win der Sohn des Oberstaatsanwalts ist …

Bitterzart ist ein spannender und kurzweiliger Lesespaß. Gabrielle Zevin schreibt anschaulich und schafft es, den Leser ins Geschehen hineinzuziehen und bis zur letzten Seite in Bann zu halten.
Als ich den Klappentext las, fand ich die Idee vom illegalen Schokoladenhandel etwas seltsam. Beim weiteren Lesen erschien mir diese Vorstellung aber gar nicht mehr so weit hergeholt. Gabrielle Zevin hat eine durchaus mögliche Zukunft beschrieben, in der alles zu knapp ist und gespart werden muss.
Die Hauptperson hat aufgrund ihrer Familiengeschichte Einiges durchgemacht, und das hat sie geprägt. Da das Buch in der Ich-Perspektive geschrieben ist, kann man sich gut in Anyas Lage versetzen. Sie steckt in der Zwickmühle, weil sie sich um ihre Familie kümmern muss, die Tochter eines Mafiabosses ist und dennoch den Sohn des Oberstaatsanwalts liebt. Außerdem wird im Verlauf der Geschichte noch nicht klar, ob sie letztendlich ihr Geburtsrecht annimmt und Oberhaupt des Balanchine-Clans wird. Ich bin deshalb gespannt, wie Anya sich entscheidet, und freue mich schon auf die Fortsetzung Edelherb.

Juliane (14)

Gabrielle Zevin: Bitterzart, Übersetzung: Andrea Fischer, Fischer FJB, 2013, 544 Seiten, 16,99 Euro

[Jugendrezension] Finger weg!

buchEin Buch, das nach und nach immer mehr Menschen infiziert und die Welt erobern will… Darum geht es in  Dancing Jax – Auftakt von Robin Jarvis. Es ist der erste Teil einer Trilogie.

In einem verlassenen Haus werden viele alte Märchenbücher von dem Okkultisten Austerly Fellows gefunden. Alle Exemplare tragen denselben Titel: Dancing Jax. Jeder, der dieses Buch liest, denkt, dass er ein Teil der Geschichte ist und eine bestimmte Rolle darin spielt.

Die Figuren der Geschichte sind nach einem Kartenspiel aufgebaut. So gibt es z.B. eine Herzdame, eine Pikdame, und den Anführer, König Ismus. Damit ist die Rangfolge der verschiedenen Charaktere, die in einer alten Bunkeranlage leben, klar festgelegt. In dieser Bunkeranlage, die Mooncaster heißt, versammelt Ismus seine Anhänger, die willenlos seine Anweisungen befolgen. Er will immer mehr Menschen und Orte unter seine Kontrolle bringen.
Nur der Lehrer Martin Baxter und der Klavierlehrer Gerald sind scheinbar immun gegen das Buch und wollen dagegen vorgehen. Denn nach und nach versuchen die Infizierten, immer mehr Orte in die Welt des Buches einzuschließen. Vor allem will Martin Baxter seinen Sohn Paul aus den Fängen des Ismus befreien.

Das Buch wird aus zwei Sichten erzählt. Einmal aus der Sicht, der Leute, die bereits das Buch gelesen haben und davon befallen sind. Und einmal aus der Sicht der nicht infizierten Menschen.

Dancing Jax hat mir sehr gut gefallen, und ich kann es nur weiterempfehlen. Schon das Titelbild gefiel mir sofort. Es erinnerte mich an eine Spielkarte. Dahinter steckt eine sehr gute Geschichte, die sehr fantasievoll geschrieben ist. Für jeden, der Spannung mag, ist es genau das Richtige. Ab der Mitte des Buches fiebert man schon richtig mit, weil man nie weiß, wer infiziert ist und wer nicht. An manchen Stellen war es  gruselig, aber ich würde es eher als spannend bezeichnen, denn es fließt kein Blut.
Den zweiten Teil würde ich gerne lesen. Besonders, weil das Buch wahrscheinlich gleich  spannend anfängt. Ich möchte unbedingt wissen, wie es weitergeht und ob Martin Baxter das Buch noch aufhalten kann, bevor es die ganze Welt beherrscht.

Für Jugendliche ab 14 Jahren ist Dancing Jax gut geeignet.

Laura (14)

Robin Jarvis: Dancing Jax – Auftakt, Übersetzung: Nadine Mannchen,  script5, 2012, 542 Seiten, ab 14, 14,95 Euro

Bis ans Ende der Welt

FluchtIn diesen Wochen häufen sich in den seriösen Medien wieder einmal die Berichte über Flüchtlinge aus Afrika, die vor der italienischen Insel Lampedusa Schiffbruch erleiden. Die Glücklicheren unter ihnen schaffen es ans Ufer, viele, zu viele, sind dieser Tage im Mittelmeer ertrunken. Sie ermahnen uns, die wir wohlig, warm und behütet zu Hause sitzen, dass Flucht kein Spaß ist. Niemand flüchtet aus seiner Heimat aus Jux und Dollerei, sondern aus überlebenswichtiger Notwendigkeit.

Auch Deutschland kann auf eine – vielschichtige und komplizierte – Geschichte der Flucht zurückblicken. Erst zwei Generationen liegt es her, dass Juden von hier flüchteten, vertrieben von ihren eigenen Landsleuten. Ein Teil von ihnen nahm ebenfalls den Weg über das Mittelmeer, nur in umgekehrte Richtung, weiter nach Shanghai. Von diesen Menschen erzählt Anne Voorhoeve in ihrem neuen, eindrucksvollen Roman Nanking Road.
Wie schon in ihrem Buch Liverpool Street geht es um die Familie Mangold, die nun in einer anderen Variante des Lebens, die Möglichkeit bekommt auszuwandern.

Mit wenigen Dingen machen sich Ziska und ihre Eltern im Winter 1938 auf den Weg nach Genua, wo sie einen Dampfer besteigen wollen. Onkel Ernst mit Familie bleibt zurück, ebenso Ziskas beste Freundin Bekka. Obwohl die Mangolds gültige Ausreisepapiere haben müssen sie immer wieder mit den Schikanen der Nazis kämpfen, bis sie auf dem Schiff sind. Hatte die 11-jährige Zizka bis dahin geglaubt, dass das Klassendenken ein Ende hat, sobald Deutschland hinter ihnen liegt und sie sich auf dem Schiff befinden, so sieht sie sich auch an Bord mit dauerhaften Vorurteilen und Anfeindungen konfrontiert. Trost bietet da zumindest der zwei Jahre ältere Mischa Konitzer, ebenfalls Jude, der allerdings aus einer reichen Zahnarztfamilie stammt. Gemeinsam durchstehen die Jugendlichen die dreiwöchige Seereise, schmieden Pläne, wo sie sich im Notfall verstecken, und erleben die Ankunft in Shanghai.
In der von den Japanern besetzten Stadt fanden europäische Juden ohne Visum Aufnahme. In Sicherheit waren sie deshalb jedoch noch nicht. Zunächst kommen sie in einer überfüllten Flüchtlingsunterkunft unter, in der Privatsphäre nicht existiert. Ziska erlebt Hunger und Armut, sowohl bei den jüdischen Flüchtlingen, als auch  bei den chinesischen Einheimischen. Mühsam schlagen sich ihre Eltern mit körperlich anstrengenden Jobs durch. Der Vater, der eigentlich Anwalt ist, besserte Kleidungsstücke aus, die Mutter arbeitet als Abwäscherin. Die kleine Familie lebt in zwei winzigen Zimmern ohne Toilette und Küche.
Konitzers hingegen beziehen eine großzügige Altbauwohnung im französischen Sektor und scheinen ihr altes Leben fortführen zu können. Sie helfen den Mangolds, wo sie nur können.
Während all der Zeit versucht Ziska, brieflichen Kontakt zu ihrer besten Freundin Bekka und ihrem Onkel Ernst zu halten. Mit Hilfe eines Engländers, den sie auf dem Schiff kennengelernt hat, schafft sie es, Bekka auf die Liste für die Kinderverschickung nach England zu setzten. Ernst hingegen schlägt sich mit der Transsibirischen Eisenbahn und dem Schiff nach Shanghai durch. Monate später er will seine Frau Ruth, Ziskas Tante, und seine Tochter aus Berlin herausholen. Doch mittlerweile ist der Krieg ausgebrochen.

Anne Voorhoeve, die mich bereits mit Unterland begeisterte, erzählt in Nanking Road eine hochkomplexe Fluchtgeschichte, die enorm viele Aspekte des zweiten Weltkriegs und des Schicksals der Juden thematisiert. Sie verwebt die Plotstränge so geschickt, dass sich alles wie selbstverständlich ergibt und nachvollziehbar bleibt. Ziskas Sicht auf die Geschehnisse und Zustände macht die Absurdität von Judenhass, Klassengesellschaft, Arm und Reich deutlich. Ziska, die aus einer zum evangelischen Glauben konvertierten und eigentlich nicht sehr religiösen Familie stammt, erlebt, wie unterschiedlich jüdische Flüchtlinge auf der Suche nach ihrer Identität und Heimat sind. Für manche ist Shanghai nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Amerika, andere wollen unbedingt nach Palästina. Ziska hingegen fühlt sich auch am Ende der Welt immer noch deutsch.

Neben dem Flüchtlingsschicksal und der Coming-of-Age-Geschichte von Ziska, in der es auch um Freundschaft über Jahre und Entfernungen hinweg geht, schafft Anne Voorhoeve es, die weltweite Dimension des Krieges differenziert zu illustrieren. Sind die Mangolds auch dem Krieg in Europa und dem Holocaust entkommen, so müssen sie in Shanghai den Ausbruch des Pazifischen Krieges miterleben. Die Japaner greifen die USA an, in der Folge wird auch das japanisch besetzte Shanghai bombardiert. In Ziskas Bekanntenkreis gibt es Tote und Verletzte. Flucht wird hier also nicht gleichgesetzt mit Rettung.
In vielen Dingen hat mich Voorhoeves Roman an Judith Kerrs Flucht-Trilogie-Klassiker Als Hitler das rosa Kaninchen stahl erinnert. Voorhoeve führt das Flucht-Genre weiter, und dies auf eine moderne und packend zu lesende Art – und mit sehr viel Respekt und historischem Wissen. Emotional fiebert man mit Ziska und ihrer Familie mit, gleichzeitig lernt man unglaublich viel über eine Facette des zweiten Weltkriegs, die meines Wissens im Jugendbuchbereich noch nicht thematisiert wurde. Diese Erinnerung an die Shanghailänder ist ein wichtiger Beitrag, um jungen Lesern die globale Dimension dieser Katastrophe begreifbar zu machen.

In Bezug auf die Lampedusa-Flüchtlinge könnte sich die deutsche Gesellschaft von diesem Roman eine gehörige Scheibe abschneiden, wenn es um die Aufnahme von Menschen in Not geht. Denn im Gegensatz zum China der 30er und 40er Jahre ist Deutschland ein reiches Land, das durchaus mehr Flüchtlingen Schutz gewähren und ihnen eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben ermöglichen könnte.

Anne Voorhoeve: Nanking Road, Ravensburger Buchverlag,  2013, 480 Seiten, ab 14, 16,99 Euro

[Jugendrezension] Seelenverwandte

sky

Du hast die Hälfte unserer Gaben, ich die andere …

Finding Sky ist der erste Band der Trilogie „Die Macht der Seelen“ von Joss Stirling. 2013 war das Buch für den Deutschen Jugendliteraturpreis der Jugendjury nominiert.

Hauptperson ist die 16-jährige Sky Bright. Als Kleinkind wurde sie auf einer Autobahn-Raststädte gefunden, ohne Erinnerungen, nicht einmal ihren Namen wusste sie. Sky hat ihre Vergangenheit zum größten Teil verdrängt – bis sie mit ihren Adoptiveltern nach Wrickenridge in Colorado zieht. Dort trifft sie auf Zed. Er ist das Gegenteil von der schüchternen Sky, ein richtiger „Bad Boy“, aber irgendwie fühlt sich Sky zu ihm hingezogen. Das wandelt sich jedoch in Furcht um, als sie plötzlich seine Stimme in ihrem Kopf hört …

Zunächst dachte ich, Finding Sky wäre ein Liebesroman. Beim Lesen stellte ich jedoch fest, dass es um mehr geht. Der Roman ist gut geschrieben, die Dialoge sind witzig und geistreich und die Sprache sehr lebendig. Joss Stirling schafft es, die Figuren zum Leben zu erwecken. Die schüchterne Sky, die freche Tina, der charmante Zed … alle haben etwas Liebenswertes an sich. Man begleitet Sky durch einen Teil ihres Lebens, freut sich und leidet mit ihr. Die Musik ist ein wichtiger Teil ins Zeds und Skys Leben, das hat mir als Hobbymusikerin natürlich gut gefallen.
Die Handlung ist spannend, besonders zum Ende gibt es einige überraschende Wendungen und die Geschichte nimmt noch einmal an Fahrt auf.

Finding Sky ist eine spannende, paranormale Liebesgeschichte mit bezaubernden Hauptpersonen. Es ist außerdem ein Buch, das Jugendliche und Erwachsene lesen können. Für jeden ist etwas dabei!

Juliane (14)

Joss Stirling: Die Macht der Seelen – Finding Sky, Übersetzung: Michaela Kolodziejcok,
Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013, Kategorie: Preis der Jugendlichen.  DTV, 2012, 459 Seiten, ab 14, 16,95 Euro

Erfrischend normal

Patchwork-FamiliePatchwork-Familien werden hierzulande so manches Mal immer noch als etwas Exotisches, Ungewöhnliches, jenseits der Norm und der Normalität betrachtet. Vor allem, wenn mehrere Nationalitäten an der neuen Familienkonstellation beteiligt sind.

Das man dieses Thema auch anders angehen kann, beweist Deniz Selek in dem Auftaktband ihrer Trilogie Heartbreak-Family.
Ich-Erzählerin Jannah Kismet, 15, ist seit Jahren still und heimlich in den schönen dunkelhäutigen Ken verliebt, der sie allerdings nicht eines Blickes würdigt, vermutlich von ihrer Existenz nicht einmal weiß. Das ändert sich schlagartig, als Jannahs Mutter Suzan mitteilt, dass sie mit ihrem neuen Freund Sebastian zusammenziehen wird. Sebastian ist Kens Vater. Jannah stirbt quasi tausend Tode, allein bei der Vorstellung, nun fast täglich Ken über den Weg laufen zu müssen.
Doch Ken ist gar nicht mal das größte Problem. Viel schlimmer gebärdet sich Kens Schwester, die quirlig-nervige Merrie, mit ihrem Fimmel für Markenklamotten und  Edelschminke. Sie sticht Jannah in der Tanz-AG der Schule aus, bedient sich bei ihren Sachen, treibt Jannah schier zur Weißglut. Zudem glaubt Merrie, dass Jannah ihren Bruder verhext hat, als dieser beim Taggen erwischt und Ärger mit der Polizei bekommt.
Doch irgendwie gehört Merrie nun mit zur Familie, und Jannah muss sich arrangieren. Vor allem aber darf sie nicht verraten, dass sie in Ken verknallt ist. Blöd, dass ihr irgendwann vor aller Augen ein süßes Kinderfoto von Ken aus dem Tagebuch fällt …

Deniz Selek schreibt in Heartbreak-Family von den kleinen, alltäglichen Problemen, die eine Patchwork-Familie zu meistern hat. Die Kinder müssen sich aneinander gewöhnen; die ehemaligen Partner der Erwachsenen müssen die neuen Einflüsse auf die eigenen Kinder erdulden; die frische Liebe der Eltern wird beständig angegriffen. Selek verzichtet auf dramatisches Problematisieren. Sie braucht keine Katastrophen, um die Leserinnen mitzureißen und zu fesseln. Das besorgen ihre fein charakterisierten Figuren mit ihrem deutsch-türktisch-afrikanischen Temperament und ihrem Humor schon ganz von selbst. Denn in Jannah Kismets Familie ist die türkische Mutter Suzan mit dem afrikanischen Sebastian zusammen. Ihre Liebe überwindet den Abstand zwischen den Kontinenten. Kultur und Kulinaria vermischen sich dabei genauso wie Aberglaube und Voodoozauber.
Und das harmoniert perfekt.
Hier wird allerdings nicht platt über Herkunft, Diskriminierung, Andersartigkeit diskutiert oder gar lamentiert, hier wird das Nationalitätengemisch, aus dem sich Deutschland im Großen wie im Kleinen nun schon seit einigen Jahrzehnten zusammensetzt, ganz selbstverständlich und warmherzig dargestellt. Patchwork und Internationalität sind normal. Total normal.
Was allerdings nicht heißt, dass nicht auch erbittert gestritten und gekämpft wird (in ganz wunderbaren Dialogen, die auf den Punkt aus dem täglichen Leben stammen). Doch das passiert ebenfalls mit der allergrößten Selbstverständlichkeit, so wie es unter Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen und respektieren, alltäglich ist. Einen erhobenen Zeigefinger sucht man hier vergeblich. Und das ist das Schöne an Deniz Seleks Roman: Sie erzählt, ohne zu moralisieren, von den universellen Wünschen, Träumen und Bedürfnissen von 15-jährigen Mädchen, die unglücklich verliebt sind, illustriert wie nebenbei einen Idealzustand einer Gesellschaft und bietet ihren Leserinnen wunderbare Identifikationsmöglichkeiten und eine riesengroßen Lesespaß.

Mit Deniz Selek, deren ersten Roman Zimtküsse ich hier vorgestellt habe, habe ich mich über ihren Roman, ihre Familie und Menschen mit Migrationshintergrund unterhalten.

Sie selbst leben in einer internationalen Patchwork-Familie. Wie viel steckt von Ihnen und Ihrer Familie im Roman? Wann ist Ihnen die Idee gekommen, einen Roman über eine Patchwork-Familie zu schreiben?

Deniz Selek: Die Idee kam schon nach kurzer Zeit des Zusammenlebens, als mir klar wurde, dass diese Konstellation nichts für Anfänger ist … (lacht) … Türken, Afrikaner und Deutsche und als Sahnehäubchen noch eine XXL Portion Patchwork mit allem, was dazugehört. Das muss man wirklich wollen! Doch mir hat es viel Gutes gebracht, denn mit den ersten Problemen kam auch der Wunsch, eine Geschichte zu erzählen, die da hinguckt und mancher Schwierigkeit ein herzhaftes Lachen abtrotzt. Von mir/uns ist in Heartbreak eher zwischen den Zeilen viel drin, denn die Handlung und die Charaktere sind frei erfunden.

In Jannahs Familie ist es völlig normal, dass Türken, Deutsche und Afrikaner zusammenleben. In Deutschland ist das noch nicht so. Was muss sich im Land ändern, damit wir zu dieser Normalität kommen?

Ich denke, dass wir bereits auf einem guten Weg dahin sind. Die „Normalität“ ist ein langsam wachsendes und sich stetig veränderndes Gebilde. Viele Dinge, die früher undenkbar waren,  bezeichnen wir heute als normal. Ich denke, wir sollten einfach nur mit offenen Augen und Herzen weitermachen, dann wird das, was in Heartbreak-Family gelebt wird, irgendwann ganz normal sein.

Was sollten die Deutschen dazu betragen? Was die Menschen aus anderen Ländern?

Ich kann das nicht nur auf „die Deutschen“ beziehen, denn es ist ein menschliches Thema. Wenn mir jemand fremd erscheint, anders aussieht, anders spricht, sich in einer Weise verhält, die ich nicht verstehe, macht mir das vielleicht im ersten Moment Angst oder verunsichert mich.
Wenn ich mich aber darauf einlasse und versuche zu verstehen, wie dieser Mensch ist, was ihn ausmacht, passiert etwas Wunderbares. Ich lerne nicht nur etwas über eine fremde Kultur, sondern auch viel über mich selbst. Das geht für mich am besten über Literatur, weil ich Zeit und Raum habe, mich einer anderen Mentalität zu nähern. Deshalb meine Empfehlung: Alle Menschen sollten ganz, ganz viel LESEN!

Jannah und ihre Familie sind sehr emanzipiert und vollkommen in der deutschen Gesellschaft integriert. Bei Familien mit Migrationshintergrund ist das nicht immer der Fall, zum Teil leben sie in eigenen Parallelwelten. Wie wichtig ist Integration für das gegenseitige Verständnis und Zusammenleben?

Ich muss gestehen, dass ich das Wort Integration nicht mag. Es klingt wie „passend machen“, obwohl es sicher nicht so ausgerichtet ist. Ich selbst habe mich nicht integriert, ich bin einfach in Deutschland aufgewachsen, obwohl mein Vater aus der Türkei stammt. Aber, und das ist für viele Familien mit ähnlichem Hintergrund wichtig, wir haben immer den Alltag mit Freunden und Bekannten geteilt und wie sie gelebt. Dazu muss ich sagen, dass meine Eltern nicht religiös sind, und das hat vieles leichter gemacht. Zudem haben beide großen Wert auf eine korrekte deutsche Sprache gelegt, die Sprache des Landes, in dem wir gelebt haben. Ich denke, das ist die Grundvoraussetzung für ein tolerantes und freundliches Miteinander. Dann ist es auch wichtig, an den landesüblichen Festen teilzunehmen, und im besten Fall den Kindern die Freiheit zu lassen, sich zu entfalten. Ich hatte diese Freiheit, weiß jedoch, dass das in vielen Familien schwierig ist.

Wie könnten sich Mädchen aus traditionellen Familien von möglichen Zwängen befreien, wenn sie ein anderes Leben führen wollen?

Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Diese sehr traditionellen, zum Teil sehr verkrusteten Strukturen so aufzuweichen, dass ein älterer, sehr furchtsamer Patriarch nicht das Gefühl hat, sein Gesicht, seine Ehre zu verlieren, wenn er seiner Tochter (für uns) normale Freiräume gewährt, ist eine echte Herausforderung.
Vielleicht würde es helfen, wenn Eltern sich mehr in den Schulen engagieren müssten. Gemeinsame Eltern- und Schülerarbeit auf dem Schulgelände (da gibt es ja immer irgendwas zu tun), kann eine Annäherung schaffen, die allen Kindern und der Gemeinschaft zugute kommt.
Wenn sie älter werden, kann ich den Mädchen nur raten: Geht euch selbst auf den Grund. Seht genau hin. Wer seid ihr? Was wollt ihr wirklich? Und folgt eurem Herzen! Fast alle Eltern akzeptieren den Lebensweg ihrer Kinder irgendwann. Und häufig sind sie dann sogar mächtig stolz auf ihre Töchter!

Rassismus und Gewalt kommt bei Ihnen nur in einer Szene vor, in der sich Ken selbstbewusst zu Wehr setzt. Erleben Sie und Ihre Familie Anfeindungen? Falls ja, wie gehen Sie damit um? Wie gehen Ihre Kinder damit um?

Ich habe dieses Thema im Buch bewusst nur einmal eingesetzt, weil mir sehr an einem harmonischen Miteinander gelegen ist. Klingt wie ein Widerspruch, ist es aber nicht. Je weniger ich „Gebrauch“ von rassistischen Anfeindungen mache, umso „normaler“ erscheint unser Leben. Und genau das ist es, was ich will.
Im Alltag unserer Familie gab und gibt es natürlich mehr Knackpunkte. Bei den Älteren (14, 15, 17 Jahre) ist das Gröbste – hoffentlich – überstanden, unser Sohn wird zwar zuweilen kritisch beäugt, wenn er einkaufen geht; manchmal steht auch der Kaufhaus-Detektiv freundlich lächelnd neben ihm oder er wird in manche Clubs nicht eingelassen.  Unsere Tochter ist sehr hübsch, sodass sie eher aus anderer Motivation beobachtet wird.
Bei unserem Jüngsten, dessen Haut recht hell ist, kommt schon mal ein blöder Spruch. Wir haben das große Glück, das dieses Thema sofort in der Klasse zur Sprache gebracht und erörtert wird. Damit ist ein wichtiger Bereich, nämlich die Schule, bereits abgedeckt.
Anfangs haben mich böse Beleidigungen unserer Kinder sehr gestresst, im Laufe der Jahre habe ich jedoch von meinem farbigen Mann gelernt, diese Dinge unaufgeregt zu betrachten und eher das Selbstbewusstsein unserer Kinder zu stärken, ihnen Selbstvertrauen und Zuversicht zu schenken, als mich um die Dummheit einiger Leute zu kümmern.

Was sollte sich in der deutschen Politik gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund ändern?

Das ist eine sehr schwierige Frage, und ich bin ein unpolitischer Mensch. Grundsätzlich bin ich für eigenverantwortliches Handeln. Jeder sollte selbst dafür sorgen, dass er sich gut fühlt. In einer Umgebung wohnen, die ihm guttut, sich mit Menschen austauschen, die er versteht und die ihn verstehen, auch wenn sie nicht seine Muttersprache sprechen.
Da kann die Politik ihren Einfluss auf den Immobilienmarkt geltend machen (damit  „Ghettos“ nach und nach verschwinden) und ja, auch darauf drängen, dass Menschen, die hier leben Deutsch lernen. Ich denke, das hilft allen.

Sie leben mit Ihrem Mann und vier Kindern … und einem Hund – erinnere ich das richtig? – zusammen. Wie organisieren Sie das Schreiben? Wann kommen Sie dazu? Was inspiriert Sie?

Genau. Zusammen sind wir sieben und das letzte „Kind“ hat Fell … Ich schreibe immer vormittags, wenn die Kinder in der Schule sind. In Abgabezeiten auch abends und an den Wochenenden, das klappt gut und immer besser, weil unsere Kinder gern ihr Ding machen. Meine Inspirationen kommen aus unserem realen Leben und da gibt es reichlich Stoff. Einiges natürlich auch aus meiner Vergangenheit und dem Leben in der Türkei.

Heartbreak-Family ist als Trilogie angelegt. Die Leser werden also noch ein bisschen auf die Folter gespannt, wie die Geschichte von Jannah und Ken weitergeht. Wissen Sie schon, was Sie danach schreiben werden? Haben Sie schon eine neue Idee?

Ja!

Fein, dann bin ich gespannt und danke herzlich für dieses Gespräch. 

Deniz Selek: Heartbreak-Family – Als meine heimliche Liebe bei uns einzog, Fischer KJB, 2013,  288 Seiten,  ab 12, 13,99 Euro