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Der hellsichtige Meister

terzaniVor Jahren, als ich noch ziemlich neu im Übersetzer-Geschäft war, schlug mir meine italienische Freundin M. vor, doch die Bücher von Tiziano Terzani zu übersetzen. Ich hatte keine Ahnung, wer der Mann war, stellte aber ganz schnell fest, dass seine Bücher bereits alle übersetzt waren. Terzani verschwand wieder aus meinem Bewusstsein, hatte ich doch anderes zu tun – und diese Journalistengröße Terzani war damals eh eine Nummer zu groß für mich.
Aber wie es im Leben so ist, man begegnet sich irgendwie doch immer zweimal, und so bekam ich in diesem Sommer die Anfrage, ob ich die Tagebücher von Tiziano Terzani lektorieren könnte.

Trotz der sportlichen Vorgabe mehr als 700 Manuskriptseiten in zwei Monaten zu bearbeiten, habe ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen. Und einen so intensiven Sommer der gedanklichen Reise in Raum und Zeit erlebt, wie noch nie zuvor.

Terzanis Aufzeichnungen setzen 1981 ein, als er gerade für den SPIEGEL ein Büro in Peking eröffnet hat. Auf diesen Seiten offenbart er seine Betrachtungen, die nicht in seine bereits veröffentlichten Büchern eingeflossen sind. Kürzere und längere Einträge wechseln sich ab, nicht jeden Tag schreibt TT – wie er später die Briefe an seine Frau Angela signiert –, doch als Leser taucht man fast augenblicklich in seinen Kosmos und seine Zeit ein. Man erlebt seine Ausweisung aus China, sein Unbehagen in Japan, seine Kritik an Konsum und Anpassung, sein unermüdliches Streben im Kampf gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Mehr und mehr hadert Terzani jedoch mit der Welt, dem raschen Wandel, der Globalisierung, der Gleichgültigkeit. Er möchte sich zurückziehen, als Namenloser irgendwo unerkannt leben. Immer wieder jedoch schimmert der eitle Journalist durch, der sein Business genau kennt, nach Aufmerksamkeit heischt und gleichzeitig abgestoßen ist von der Oberflächlichkeit dieser Medienwelt.

Terzani ist ständig unterwegs. Hongkong, Bangkok, Ban Phe in Thailand, dazwischen immer wieder nach Hause, nach Florenz und Orsigna zur Familie, dann schnell wieder zurück nach Asien, nach Islamabad, Neu Dehli oder Dharamsala. Er schreibt, er hadert und zieht sich in den Himalaja zurück, meditiert, versucht, dem weltlichen Leben zu entsagen, nicht immer mit Erfolg. Die Ereignisse vom September 2001 holen ihn vom Berg zurück. Obwohl er da schon an Krebs erkrankt ist, wirft er sich noch mal mitten ins Weltgeschehen, beobachtet die Vorgänge in Pakistan. Unzählige Geschichten erzählt er, sehr persönlich, sehr offen. Jede Zeile zeugt von seiner unbändigen Lebenslust und Lebenssucht. Terzanis Aufzeichnungen enden im April 2003, im Juli 2004 erliegt er seinem Leiden. Für alle Kenner von Terzanis Werken sind diese Tagebücher quasi der Blick hinter die Kulissen, der Blick auf den Journalisten Terzani, den Ehemann, den Vater, den Reisenden, den Krebspatienten, den Weisen, den Namenlosen.

Ich hatte vor diesem Auftrag noch nie viel mit Tagebüchern zu tun gehabt oder viele gelesen. Doch hier hat sich mir die ganze Faszination dieses Genres erschlossen. Das ist mehreren Faktoren zu verdanken: der schillernden Persönlichkeit von Terzani, seinem extrem umtriebigem Leben, seiner klaren Sprache, seiner kurzweilige Erzählart, seiner Widersprüchlichkeit, aber auch seiner Hellsichtigkeit, mit der er gesellschaftliche Zustände vorausgesehen und beurteilt hat, mit denen wir heutzutage kämpfen. Seine Sicht auf unseren heutigen Irrsinn hätte mich brennend interessiert. Ein wenig ahnt man, was er davon gehalten hätte. Ich habe es während des Lektorierens bedauert, seine Reportagen nicht schon zu seinen Lebzeiten gelesen zu haben, und habe mir vorgenommen, die Lektüre seiner anderen Bücher, so schnell es geht, nachzuholen.

Auch die Arbeit an diesem Text an sich war auf den unterschiedlichsten Ebenen ein Vergnügen. Zur inhaltlichen Bereicherung kam die vorzügliche Übersetzung von Barbara Kleiner, die mir das Lektorieren sehr erleichtert hat. Eine wertvolle Erfahrung war für mich darüber hinaus, dass ich auch den Auftrag hatte, den Anmerkungsapparat für die deutschen Leser anzupassen. Da ich dabei  quasi freie Hand hatte, konnte ich für die Anmerkungen etliche Punkte neu recherchieren und erweitern und so noch ein Quentchen mehr zu dem Buch beitragen.

Wenn mich TT jetzt also vom Buchcover mit diesem irgendwie verschmitzt-weisen und selbstbewussten Blick anschaut, freue ich mich noch einmal extra, dass ich diesen Sommer auf eine ganz eigene Weise mit dem Mann verbracht habe, den mir vor so vielen Jahren M. aus Florenz ans Herz gelegt hat.

Tiziano Terzani: Spiel mit dem Schicksal. Tagebücher eines außergewöhnlichen Lebens, Übersetzung: Barbara Kleiner, DVA, 2015, 576 Seiten, 22,99 Euro

Der Mangel an Mut

irminaGab es „normale Deutsche“ während der Nazizeit? Aus der zeitlichen Entfernung möchte man sagen, nein, entweder gab es stramme Nazis, feige Mitläufer oder Verfolgte. Das ist die Außensicht. Eine Sicht von innen versucht Barbara Yelin in ihrer Graphic Novel Irmina darzustellen.

Darin erzählt sie die Geschichte der anfangs 17-jährigen Irmina, die 1934 nach London geht und dort eine Ausbildung als Fremdsprachensekretärin macht. Das Mädchen träumt von der Freiheit, will reisen, arbeiten und unabhängig sein. Auf einer Party lernt sie den Oxford-Studenten Howard kennen. Howard kommt aus Barbados und wird wegen seiner dunklen Hautfarbe angefeindet. Beide sind auf ihre Art Außenseiter, denn Irmina wird zwar als zuverlässige, fleißige Deutsche geschätzt, gleichzeitig ist sie jedoch keine Emigrantin und muss immer wieder Fragen zur Politik in Deutschland beantworten. Doch Irmina hat keine Antworten, sie changiert zwischen Trotz und Naivität, kann die Verhältnisse aus der Ferne nicht genau einschätzen.
Halt gibt ihr die Freundschaft zu Howard, die sich langsam in Liebe verwandelt.
Dann jedoch muss  Irmina nach Deutschland zurück, da die Eltern kein Geld mehr ins Ausland schicken dürfen, ihr Zimmer für eine Emigrantin gebraucht wird und sie nicht den Mut hat, sich einen Job zu suchen. Irmina verspricht Howard, so schnell wie möglich zurückzukommen.
In Deutschland findet sie zwar Arbeit im Kriegsministerium, doch das Gehalt ist schmal und ihr Antrag, nach London versetzt zu werden, wird abgelehnt. Gerade als sie sich mit geliehenem Geld ein Schiffsticket nach London gekauft hat, kommt einer ihrer Briefe an Howard zurück mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“. Daraufhin gibt sie den Avancen des Architekten Gregor nach, heiratet ihn, bekommt einen Sohn, wird zur Hausfrau und  Mitläuferin und Profiteurin des Regimes. Ihr mangelnder Mut wandelt sich in die Schuld, sich arrangiert, weggesehen und den Mund gehalten zu haben.

Yelin lenkt mit ihren gedämpft grau-braunen Panels den Blick auf das alltägliche Schicksal einer jungen Frau, deren Träume zerplatzen, die ganz auf sich gestellt ist. Die Not, der Kampf ums Überleben scheinen sie zu ihren Entscheidungen zu zwingen. Der Leser hingegen sieht die Alternativen, hadert mit ihr Angst, meint es besser zu wissen, wünscht ihr mehr Mut, empört sich über ihre Feigheit und ihr Schweigen – und hat doch auch keine Lösungen parat. Denn die Frage: „Was hätte ich damals getan?“ kann niemand wirklich beantworten, der nicht dabei gewesen war. Aber genau über dieser Frage denkt man nach der Lektüre dieser Graphic Novel verstärkt nach. Und leidet dann mit Irmina umso mehr mit, als sie nach Jahren, als alte Frau, Howard noch einmal wiedersieht und ihr die verpasste Chance so überdeutlich vor Augen geführt wird.

Irminas Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, macht nachdenklich und zwar sehr. Yelin zeigt, wie es Menschen damals gegangen sein könnte, ohne es platt zu verurteilen. Das besorgt der Leser selbst, obwohl es kaum einfache Lösungen und Antworten gibt. Wie so oft im Leben. Aber Irmina mahnt und macht Mut, öfter mal mutig zu sein.

Barbara Yelin: Irmina, Reprodukt, 2014, 300 Seiten, 39 Euro

[Jugendrezension] Das Geheimnis in der Fahrradwerkstatt

ariaWas der Wind so alles kann…, darüber wirst du dich in dem Buch Aria – Das Schicksal fährt Fahrrad von Miriam Dubini noch sehr wundern … Um das nette Mädchen Aria, die allein mit ihrer Mutter lebt, dreht sich die Erzählung. Aria liebt es, Fahrrad zu fahren. Sie liebt es, wenn der Wind ihr ins Gesicht bläst und sie einfach nur allein mit ihrem Fahrrad namens Merlina unterwegs sein kann. Bei einem unerwarteten Zusammenstoß lernt sie Anselmo kennen, der Arias Freude am Fahrradfahren teilt.

Außerdem lernt Aria noch jemand anderen kennen, Emma, ein Mädchen, das neu in ihre Klasse kommt. Emma ist wild und steht auf shoppen. Einkaufen mag auch Lucia, die ebenfalls in ihre Klasse geht. Gemeinsam mit Aria wollen die beiden einen Bummel unternehmen, bei dem sie zufällig Anselmo begegnen. Lucia ist hin und weg von Anselmo, den sie unbedingt wiedersehen möchte. Und Aria?
Aria weiß nicht so genau, was mit ihr los ist. Mag sie Anselmo vielleicht auch? Auf jeden Fall tun die drei alles, um Anselmo wiederzutreffen. Und es findet sich auch direkt eine gute Möglichkeit für ein Wiedersehen. Anselmo arbeitet bei seinem Vater in einer Fahrradwerkstatt, in die sie Arias Fahrrad Merlina für völlig unnötige Reparaturaufträge bringen. Anselmo begegnen sie in der Werkstatt zwar nicht, dafür finden die Mädchen etwas sehr Merkwürdiges heraus. Was? Das wird an dieser Stelle nicht verraten, dass musst du schon selbst entdecken!

Mir gefällt das Buch Aria – Das Schicksal fährt Fahrrad sehr gut, denn es ist an einigen Stellen spannend, an manchen romantisch und an anderen Stellen wiederum witzig. Es gibt Abschnitte, an denen ich gezittert und gehofft habe, dass ALLES gut geht, bei anderen Abschnitten konnte ich mich wirklich mit Aria freuen. Die Geschichte ist so schön geschrieben, dass ich gefühlsmäßig beim Lesen live dabei war.

Ich empfehle das Buch für Mädchen im Alter von 11 bis 16 Jahren. Ich hoffe, dass viele von euch dieses Buch lesen werden, denn die Beschreibungen sind wirklich wunderschön und ich habe es als etwas Besonderes empfunden.

Bücherwurm (12)

Miriam Dubini: Aria – Das Schicksal fährt Fahrrad, Übersetzung: Ulrike Schimming, Thienemann Verlag, 2014, 208 Seiten, ab 12, 12,99 Euro

Akustischer Maulzauber

maulinaMittlerweile sollte klar sein, dass ich absoluter Fan von Maulina Schmitt und ihrem Schöpfer Finn-Ole Heinrich bin, was an den Beiträgen auf diesem Blog hier, hier und hier ziemlich offensichtlich ist. Jetzt leg ich noch mal nach, denn neulich trudelte zum einen zu meiner großen Überraschung das Hörbuch zum zweiten Teil von Maulinas Geschichte ein. Zum anderen haben Finn-Ole Heinrich und Rán Flygenring heute den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis erhalten. Doppelte Freude total! Und maultastische Glückwünsche an die beiden!

Obwohl ich Maulinas neue Erlebnisse, ihr Leben in Plastikhausen, die Verschlechterung von Mamas Gesundheitszustand, ihre Freundschaft zu Paul und ihr schwieriges Verhältnis zu dem Mann, schon kannte, hat mir die Hörversion noch einmal die Feinheiten, den Witz und die Wortgewandtheit von Finn-Ole Heinrich verdeutlicht.
Wie schon bei Teil eins ist es auch hier wieder Sandra Hüller, die perfekte Arbeit leistet. An den richtigen Stellen liest sie nüchtern, fast sachlich, dann wieder mault sie anständig. Sie trifft die leisen Töne, wenn es traurig wird, lässt gleichzeitig die Hoffnung durchschimmern, an die Maulina sich heldinnenhaft klammert. Allem verleiht sie den gehörigen Respekt, so dass Maulina nie albern wirkt. Stattdessen möchte man beim Hören Maulina ständig in den Arm nehmen, mit Pauls Brauseeis trösten und ihr für ihren Mut und ihre Kraft danken, mit dem sie jeden Leser und Zuhörer ansteckt.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Die Kombination aus Finn-Ole Heinrich und Sandra Hüller ist der Knaller. Maulina Schmitt ist herzerfrischende und herzzerreißende Literatur, die mit Leichtigkeit die Untiefen des Daseins auslotet und trotz aller Klippen dem Leben eine der schönsten Liebeserklärungen macht.

Finn-Ole Heinrich: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Warten auf ein Wunder, Sprecherin: Sandra Hüller, Hörcompany, 2014, 150 Minuten, ab 10, 14,95 Euro

 

[Jugendrezension] Der Fluch des Namens

edelherbEdelherb ist der zweite Band einer Trilogie von Gabrielle Zevin. Über den ersten Band Bitterzart habe ich hier bereits eine Rezension geschrieben.

Die Geschichte spielt in New York im Jahre 2083: Schokolade und Kaffee sind verboten. In dieser düsteren Zukunft lebt die 16-jährige Anya Balanchine. Ihre Familie gehört zu den fünf großen Schokoladen-Dynastien und beherrscht den illegalen Schokoladenhandel in New York. Anyas Eltern leben nicht mehr, und sie muss allein für ihre Schwester, ihren Bruder und die Großmutter sorgen. Der erste Band endet damit, dass der Staatsanwalt – der gleichzeitig der Vater ihres Freundes Win ist – Anya unschuldig in die Erziehungsanstalt Liberty einweisen lässt.

Nach einiger Zeit kann Anya aus der Erziehungsanstalt fliehen und sich in Mexiko auf einer Kakaoplantage verstecken. Während sie sich Sorgen um ihre Geschwister und ihren Freund Win in New York macht, lernt sie allerhand über Schokolade. Anya ist eine wahre Balanchine. Ihr wird klar, dass Schokolade ihr Schicksal ist. Doch was soll sie mit dieser Erkenntnis anfangen? Früher als gedacht muss Anya nach New York zurückkehren …

Ich habe Edelherb ebenso wie Bitterzart in kurzer Zeit verschlungen. Der Schreibstil der Autorin fesselt. Die Figuren der Geschichte verändern sich mit der Zeit, und so lernt man nicht nur Einiges über Schokolade, sondern auch über Menschen. Anya wird aufgrund ihres Nachnamens verurteilt. Er ist ein Fluch. Überall ist sie nur die Tochter eines Mafiabosses, sie kann dem Familiengeschäft nicht entfliehen. Deshalb steht Anya vor einer Entscheidung: Soll sie ihre Stellung in der Familie nutzen und das Beste daraus machen? Oder weiter unter ihrer Herkunft leiden? Dabei geht es nicht nur um sie selbst. Ihre Geschwister könnten durch sie in Gefahr geraten.

Auch am Ende des zweiten Bandes ist noch alles offen. Deshalb hoffe ich, dass der dritte Band bald veröffentlicht wird!

Juliane (14)

Gabrielle Zevin: Edelherb, Übersetzung: Andrea Fischer, Fischer FJB, 2013, 528 Seiten, 16,99 Euro

Reise zu den Wurzeln

ascheEin Mal im Jahr scheine ich ein Buch über Grabschändung und den perfekten Ort für eine Bestattung rezensieren zu können. War es im vergangenen Jahr der Roman von Boris Koch, so ist es nun Anke Webers Regenbogenasche. Vielleicht wird ja eine Tradition daraus…

Auch in Regenbogenasche geht es darum, einem Toten seinen letzten Willen zu erfüllen: Rhinas Vater ist bei einem Unfall gestorben. Seine große Sehnsucht war Namibia, und die fast 15-jährige Rhina setzt sich in den Kopf, seine Asche dorthin zu bringen und an dem schönsten Ort zu verstreuen. Zusammen mit ihrem Schulkameraden Unkas, schmiedet Rhina zunächst den Plan, die Urne unbemerkt auszubuddeln.
Später schließen sich die beiden Jugendlichen einer namibischen Kulturorganisation an, die Reisen in das afrikanische Land organisieren. Mit umgefüllter und eingefärbter Asche machen sich Rhina und Unkas auf nach Namibia.

Für Rhina ist diese Reise jedoch mehr, als nur den toten Vater an seinen Lieblingsort zu bringen. Sie war sieben als ihr Vater starb, seitdem vermisst sie ihn und kann irgendwie kein eigenes Leben beginnen. Unkas, der ihr bei diesem Abenteuer treu zur Seite steht, wird zu ihrem Vertrauten und besten Freund. Und je mehr Rhina über ihren Vater, seine Herkunft und seinen Tod herausfindet, um so mehr wandelt sie sich zu einem freien Mädchen, das ihren eigenen Lebensweg geht und die Liebe kennenlernt.

Anke Weber schafft es auf faszinierende, fesselnde Art und Weise, die Gegensätze von Leben und Tod in einem spannend Road-Roman zu vereinen. Sie macht jugendlichen Lesern deutlich, dass das eigene Leben von dem der Eltern mehr beeinflusst wird, als man so manches Mal meint oder es sich wünscht. Die Schatten der elterlichen Vergangenheit legen sich immer auch auf das Leben der Kinder. Weber erzählt das jedoch mit einer Leichtigkeit und dem exotischen Touch der namibischen Wüste, das man ganz gebannt Rhinas gesetzwidrige Grabschändung akzeptiert, mit ihr liebt, leidet und sich schließlich freut, als sie in Namibia nicht nur ihr Ziel erreicht, sondern auch eine große Überraschung erlebt.

Regenbogenasche variiert das Thema Grabschändung auf eine fast unbeschwerte Art und zeigt, wie wichtig es für Jugendliche ist, über die Herkunft und die Traumata der Eltern aufgeklärt zu werden. Jeder Mensch hat zwar durchaus ein Recht auf Geheimnisse, doch sobald diese sich auf die Nachkommen auswirken, haben diese wiederum ein Recht, sie zu erfahren. Erst dann können Jugendliche sich bewusst entscheiden, wie sie ihren eigenen Lebensweg einschlagen. So wie Rhina, die ihr Glück und ihren inneren Frieden erst findet, als sie das Geheimnis ihres Vaters gelüftet hat und den toten Vater am richtigen Ort weiß. Damit macht sie jugendlichen Lesern Mut, sich den eigenen Familiengeheimnissen zu stellen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Der düstere Tod wandelt sich in diesem Buch zu einer kunterbunten Liebeserklärung an das Leben.

Anke Weber: Regenbogenasche, Ueberreuter, 2013, 256 Seiten,  ab 12, 12,95 Euro

Seepocken am Containerschiff des Bewusstseins

Dieser Tage erscheint endlich der neue Roman von John Green. In den USA steht er seit über einem halben Jahr auf der Bestsellerliste der New York Times. Zurecht. Denn mit Das Schicksal ist ein mieser Verräter ist Green ein ganz großartiges Buch gelungen. Darin erzählt er mit einer riesigen Portion an Humor und Liebe für seine Figuren die Geschichte von Hazel Grace.

Das Mädchen ist 16, liebt America’s Next Top Model, hasst die Selbsthilfegruppe, zu der ihre Mutter sie immer wieder fährt, und zieht eine Sauerstoffflasche hinter sich her. Denn Hazel Grace hat Krebs. Eigentlich Schilddrüsenkrebs, aber mittlerweile machen ihr die Metastasen in der Lunge viel mehr zu schaffen. Ein Buch, das so beginnt, scheint harter Tobak zu sein. Man vermutet zunächst eine dieser vielen Krebsleidensgeschichten, die den Leser immer ganz betroffen und geknickt zurücklassen. Doch John Green, amerikanischer Jugendbuchstar, entgeht diesem Klischee mit Bravour.

Hazel trifft in der Selbsthilfegruppe nämlich auf Augustus, dem ein Osteosarkom (Knochenkrebs) ein Bein genommen hat. Mit seiner schlagfertigen und frech-ironischen Art bricht der Junge nach und nach Hazels ruppigen Schutzpanzer auf. Die beiden diskutieren über Bücher, Musik, Leben und Sterben, Krankheit und Tod. Und das ohne Tabus. So entspinnt sich zwischen ihnen eine anfangs rüde und dann doch sehr romantische Love-Story. Gemeinsam philosophieren sie über das Dasein von pubertierenden Krebspatienten, bezeichnen sich als „Nebenwirkungen“ und als „Seepocken am Containerschiff des Bewusstseins“. Hört sich grausam an, und für jeden einzelnen Betroffenen ist es das selbstverständlich auch, aber Green erzählt entwaffnend offen und gnadenlos von Krankheit, Leid und Tod, dass es einfach nur bewunderungswürdig ist.

Hazels steckt Augustus mit ihrer Begeisterung für das Buch „Ein herrschaftliches Leiden“ von Peter Van Houten an. Es handelt von dem krebskranken Mädchen Anna, endet jedoch so abrupt, dass Hazel, die Krebsbücher eigentlich total doof findet, nicht davon lassen kann. Sie will unbedingt die Antworten auf eine Reihe von dringlichen Fragen haben (Was passiert mit dem Hamster Sisyphus? Ist der Tulpenholländer ein Betrüger? Was wird aus Annas Mutter?). Augustus, der mittlerweile bis über beide Ohren in Hazel verliebt ist, organisiert daraufhin eine gemeinsame Reise nach Amsterdam. Dort lebt Van Houten ganz zurückgezogen und hat sich von der Welt abgewandt.

Wie dieser Plot sich auflöst, darf ich hier natürlich nicht verraten – denn das würde die Spannung und die Faszination der Geschichte kaputtmachen. Und fasziniert ist man, von der ersten Seite bis zur letzten. Greens schnörkellose Erzählart – souverän übersetzt von Sophie Zeitz – zieht einen sofort in den Bann. Man ist unmittelbar bei den Protagonisten, nicht nur, weil er Hazel aus der Ich-Perspektive erzählen lässt, sondern weil Green ihr Innenleben mit so einer erfrischenden Selbstironie schildert, dass man sich am liebsten eine Scheibe davon abschneiden möchte.

Sähe Green nicht wie Schwiegermutters Liebling aus, könnte man ihn für den Punk der Jugendbuchbranche halten. Seit 2007 betreibt er mit seinem Bruder Hank einen Video-Blog und gebärdet sich darin wie ein durchgeknallter Nerd. Ein liebenswerter Nerd, der unglaublich schnell quasselt. Als er sein neues Buch mit dem englischen Titel The Fault in Our Stars im Netz ankündigte, hat seine Fan-Gemeinde ihm noch vor Erscheinen seines Buches in den USA mit den Vorbestellungen bei Amazon und Barnes & Nobel den ersten Platz auf der Bestsellerliste gesichert. Wahnwitzigerweise versprach Green in einem weiteren Video vor Freude, er werde all die bestellten Bücher der Erstausgabe handsignieren. Das hat er dann getan: 150 000 Exemplare in drei Monaten, zehn bis zwölf Stunden täglich. Respekt.

Mittlerweile ist in den USA so ein Hype um TFiOS ausgebrochen, dass Green auf einer Extra-Site Fragen zu dem Buch beantwortet. Mit der klaren Ansage, erst zu fragen, wenn man das Buch auch gelesen hat. Eine ganze Reihe von Fragen dreht sich dabei um das Buch im Buch. Und so verwundert es nicht, dass es auf Facebook bereits eine eigene Seite gibt, die sich nur um Peter Van Houtens An Imperial Affliction dreht. Die etw 450 Facebook-Anhänger bedauern zum großen Teil, dass es dieses Buch wirklich nicht gibt.

Eigentlich müsste man bei so viel Trubel misstrauisch werden. Aber dann schaut man wieder in das Buch, schlägt eine beliebige Seite auf und ist entzückt, gerührt und von den beiden tiefsinnigen, feinfühligen und rotzfrechen Protagonisten einfach nur überwältigt. Von John Green, der mit seinem Debütroman Eine wie Alaska 2008 in Deutschland für den Jugendliteraturpreis nominiert war, werden wir hierzulande sicherlich noch mehr zu lesen bekommen – und darauf freue ich mich schon.

John Green: Das Schicksal ist ein mieser Verräter, Übersetzung: Sophie Zeitz, Hanser Verlag, 2012, 287 Seiten, 16,90 Euro