Im Süden Londons steht ein Haus, in dem eine fröhliche Frau fast sechzig Jahre lang lebte. Das Haus liegt neben einem wunderschönen Park namens Barnes Common. Als junges Mädchen floh diese Frau mit ihrem Vater, ihrer Mutter und ihrem Bruder vor den Nazis aus Deutschland.«
So beginnt Thomas Harding die Geschichte eines besonderen Hauses zu erzählen. Und die seiner wundervollen und überaus liebenswerten Bewohnerin, ihrer Familie und weiterer ziemlich wichtiger Hausgenossen. »Das Mädchen wünschte sich verzweifelt eine Katze, aber sie durfte keine haben – und sie mussten schon wieder umziehen …« Der in ihrer Kindheit unerfüllbare Wunsch nach einer Katze wird zum Synonym für Flucht, Vertreibung und Unbehaustheit.
Bald ziehen zwei weitere Mitbewohner in das Haus am Park
So tummeln sich nicht zufällig auffallend viele Samtpfoten auf den Seiten dieses faszinierenden Bilderbuchs. Denn als die trotz aller schlimmen Erfahrungen fröhliche Frau endlich mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern ein Zuhause findet, eben Das Haus am Park in London, ziehen auch bald zwei weitere Mitbewohner ein. »Endlich durfte die Frau eine Katze haben. Also hatte sie gleich zwei. Ihre Namen waren Mog und Wienitz. Das Haus war ihr Zuhause. Und das Haus war glücklich.« So schön anschaulich fasst Harding in wenigen Sätzen zusammen, was Zuhause ausmacht: Ein Ort, an dem man bleiben darf. Und an dem man Katzen haben darf.
Küche und Kaninchen
Fast nebenbei bringt der Autor den Namen Mog ins Spiel. Ja, es ist genau der knuffige und nett verpeilte Kater, der seine Zuhausegeberin zu mehreren entzückenden Geschichten und Bilderbüchern inspirierte und sie zu einer der berühmtesten Kinderbuchautorinnen machte: Die fröhliche Frau ist Judith Kerr. Und Das Haus am Park erzählt von ihrem Leben in London, wie es im Untertitel heißt. Die gemütliche helle Küche und eine freundliche Großkatze wiederum sind der Ursprung für ein Tiger kommt zum Tee. Keine Katze, sondern ein Stofftier ist Ausgangspunkt und titelgebend für Judith Kerrs berührenden Roman von Flucht und Vertreibung Als Hitler das rosa Kaninchen stahl. Judith, Tochter des Theaterkritikers Alfred Kerr, beschreibt darin, wie es ist, wiederholt den Boden unter den Füßen zu verlieren und sich immer wieder neu anpassen zu müssen. Erzählen konnte sie diese Geschichte, die viele ihrer eigenen Erlebnisse beinhaltet, weil sie an einem sicheren Ort angekommen war.
Mischung aus Malerei und Collage
Das Haus am Park ist der vierte Band einer Reihe von Bilderbüchern mit Häusern im Mittelpunkt, die über die Lebensgeschichten ihrer Bewohner Geschichte lebendig und erfahrbar machen. Fabelhaft illustriert hat Britta Teckentrup alle diese Hausgeschichten. Ihr Stil ist eine einzigartige Mischung aus Malerei und Collage, aus Scherenschnitten und Fotorealismus, fast schon hyperrealen Bildbearbeitungen.
Jeder Scherenschnitt ist ein Unikat
Es beginnt mit Malerei, mit der sie Flächen und Folien für ihre Collagen gestaltet. Sie tupft, wischt, tropft, strichelt, bedruckt und stempelt. So entstehen die unterschiedlichsten Materialien, Papierbögen und Texturen, aus denen Teckentrup ihre Figuren und Formen ausschneidet. Etwa so wie einzeln bedruckte und gebatikte oder handgewebte Stoffe, aus denen Kleider zugeschnitten werden. Früher hat sie mit der Schere ausgeschnitten, mittlerweile macht sie das meist mit der Maus am Computer. Doch jeder Scherenschnitt, jedes Bildelement, selbst die Hintergründe, alles sind Unikate.
Ob menschliche Gesichter oder Katzenfell, dicht belaubte Bäume oder nacktes Mauerwerk, nichts ist einfach nur Farbe und Fläche. Alles changiert, hat Schatten und Licht, scheint lebendig, mehrschichtig und in Bewegung zu sein, strahlt Wärme oder auch mal Kälte aus.
Ein fröhlicher Geist, der Kinder glücklich macht
Bereits zum vierten Mal animieren Thomas Harding und Britta Teckentrup gemeinsam ein Gebäude. Doch Judith Kerrs Domizil, das fast sechs Jahrzehnte ihr Zuhause war und in dem sie 2019 friedlich mit Blick auf die Bäume starb, ist das erste, in dem man auch selbst leben möchte. Weil in ihm für immer der Geist dieser fröhlichen Frau wohnt, die mit ihren Geschichten immer noch viele Kinder glücklich macht.
Thomas Harding: Das Haus am Park – Judith Kerr und ihr Leben in London, Illustration: Britta Teckentrup, Übersetzung: Nicola T. Stuart, Jacoby & Stuart, 2025, 56 Seiten, 22 Euro, ab 8

















