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Mauergeschichten

Mauerfall

Dieser Tage häufen sich in den Medien die Rückblicke und Erinnerungen an den Mauerfall vor 30 Jahren.
Hierzu gibt es natürlich eine Reihe von Publikationen für eine junge Zielgruppe. Vier davon habe ich herausgegriffen, die den Kids, für die dieses Kapitel jenseits der persönlichen Erfahrung liegt und über das sie nur von Eltern oder Großeltern Dinge erzählt bekommen, einen guten Eindruck von der damaligen Zeit liefern.
Bei zweien muss ich feststellen, dass es tatsächlich gewisse erzählerische Wendungen gibt, die offensichtlich in der Luft liegen und nicht durch Plagiat entstanden sein können (es würde mich jedenfalls sehr wundern). Denn sowohl in Helen Endemanns Roman Todesstreifen und in dem Briefroman Mauerpost von Maike Dugaro und Anne-Ev Ustorf entwickeln die Autorinnen einen Blick von zwei Seiten auf die Mauer, sprich auf die DDR und die Lebensverhältnisse ihrer Bewohner.
Endemann erzählt vom Ben, der in einem Westberliner Sportinternat wohnt und mit seiner Mannschaft zu einem Freundschaftstreffen in den Ostteil der Stadt fährt. Geplant ist ein Tag Aufenthalt mit Wettkampf. Doch für Ben wird es eine Odyssee, denn während des Querfeldeinlaufs wird er von zwei DDR-Jungs entführt und in einen Schuppen verschleppt. Dort steht ihm dann Marc gegenüber – und der sieht Ben verdammt ähnlich.

Republikflucht und Jugendwerkhof

Marc schlüpft in die Klamotten von Ben und fährt mit den westdeutschen Sportschülern nach Westberlin. Keiner der Schüler merkt, dass Marc nicht Ben ist.
Ben hingegen soll zu Marcs Oma und dessen Vater, die ihn dann – so die Vorstellung der Entführer – gleich wieder an der Grenze abliefern, weil er ja nicht Marc ist. Dass dieser halbgare Plan von Marc nicht aufgeht, merken Ben und die zwei »Fluchthelfer« von Marc, als vor dessen Haus die Stasi steht und Ben/Marc in einen Jugendwerkhof steckt, weil er kein ordentliches Mitglied der DDR-Gesellschaft ist. Ben sitzt in der Falle und die Möglichkeiten, rasch und unbehelligt wieder in den Westen zu gelangen sind gleich Null.

Beklemmende Atmosphäre

Das ist spannender Lesestoff, der auf sehr intensive Weise die beklemmende Atmosphäre, die Überwachung und das Eingesperrtsein in der DDR vermittelt. Jeden Weg, den die Jungs sich überlegen, wie Ben wieder nach Westen kommen kann, ist versperrt. Auch aus dem Westen ist keine Hilfe zu erwarten, denn Bens Eltern sind in Afrika auf einer Hilfsmission.
Marc hingegen macht sich im Westen auf die Suche nach seiner Mutter, die vor Jahren illegal über die Grenze geflüchtet ist. Doch auch er stößt auf Hindernisse: eine Tante, die etwas über die Mutter wissen könnte, ist dement. So ist es schließlich seine Oma, die den Enkeltausch natürlich gleich erkennt, nachdem Ben aus dem Jugendwerkhof zurückkommt, die als Botin zwischen den Welten wandelt.

Die Verbindung zwischen Ost und West

Mauerfall

Eine grenzgängerische Oma ist auch in dem Briefroman Mauerpost das verbindende Element zwischen Ost und West. Hier vermittelt Oma Ursel eine Brieffreundschaft zwischen ihrer Westberliner Enkelin Ines und der Ostberliner Nachbarstochter Julia. Die Mädchen beginnen sich zu schreiben, erzählen der jeweils anderen von ihrem Alltag und der Schule. Waren die Jungs noch 1985 in Berlin unterwegs, so kommunizieren die Mädchen bereits 1988 und schreiben sich mehr als ein Jahr, sodass die Ereignisse in der DDR, die zum Mauerfall geführt haben, in die die Briefe einfließen. Julia erzählt von den Demos auf der Straße, während Ines von dem merkwürdigen Verhalten der Mutter erzählt, die einst aus der DDR freigekauft wurde.

Erzählerische Parallelen

Hier entfaltet sich zwischen den beiden nach und nach ein fesselnder Krimi, in dem zwar nicht die Zustände in den Jugendwerkhöfen, dafür aber die in den Staatsgefängnissen wie Hoheneck und Hohenschönhausen geschildert werden. Dabei entdecken Ines und Julia immer mehr Details, die ihre Schicksale miteinander verbinden.
Zwar erzählen beide Romane unterschiedliche Geschichten, so zeigen sich doch bestimmte Muster, die bei beiden auftauchen: Ost trifft West, die Omas werden als Boten benutzt, die Stasi spielt natürlich immer mit, der Knast in der DDR ist für Jugendliche nicht weniger schlimmer wie der für Erwachsene, und am Ende stehen die Helden in beiden Geschichten in einem gewissen Verhältnis zueinander, dass ich nicht nennen werde, das man sich aber in beiden Geschichten relativ schnell denken kann. Es liegt eben in der Luft, 30 Jahre nach dem Mauerfall.
Parallel ist in beiden Romanen selbst eine gewisse Verwirrung um Ostberliner Stadtteile: So liegt im Todesstreifen eine Psychiatrie mal in Potsdam, ein paar Seiten weiter dann in Pankow (S. 194 vs. 202), in der Mauerpost werden Kekse in ein und demselben Laden gekauft, der mal in Friedrichshain, mal im Prenzlauer Berg zu finden ist (S. 100 vs. 134). Früher hat mich so was immer geärgert, heute schmunzle ich, weil das nun mal in der Hektik der Buchproduktion passiert. Es wäre trotzdem schön, wenn das in den nächsten Auflagen, soweit es die geben wird, behoben wird.
Beide Geschichten entwickeln jedoch einen packenden Drive und lassen die Leser und Leserinnen in die Zeit vor der Wende und vor dem Mauerfall eintauchen.

Blutsbrüder über die Mauer hinweg

Mauerfall

Etwas anders verhält es sich mit dem Kinderroman Alles nur aus Zuckersand von Dirk Kummer. Hier geht es hauptsächlich um eine Jungenfreundschaft in der DDR im Jahr 1979. Fred und Jonas sind dickste Kumpels, verbringen ihre Zeit zusammen, schließen Blutsbrüderschaft und erzählen sich alles – bis Jonas‘ Mutter einen Ausreiseantrag stellt.
Fred, dessen Vater beim Grenzschutz in Falkensee arbeitet, verbietet ihm den Kontakt mit Jonas. Doch daran hält er sich natürlich nicht. Stattdessen fangen die Jungs an, angeregt durch die Erzählungen vom alten Nachbar Marek über Australien, einen Tunnel in den brandenburgischen Sand zu graben. Sie wollen sich später in Australien treffen …

Kindgerechter Blick auf die DDR

Aufgrund der noch jüngeren Zielgruppe sind die Schrecken der DDR hier nicht ganz so heftig zu spüren wie in den beiden Jugendromanen. Fred fungiert als Ich-Erzähler und zeigt durch seine kritischen Kommentare alles das, was in der Schule und im System schief läuft. Er konstatiert, dass die Lehrerin den Schülern Angst macht, dass das System den Menschen Angst macht vor allem, was aus dem Westen kommt. Fred aber will keine Angst haben, sondern nur mit Jonas zusammen sein.
Als Jonas dann tatsächlich mit seiner Mutter ausreist und plötzlich weg ist, vermisst Fred ihn sehr. Ein Brief, den er an Jonas schreibt, kommt zurück, da Westkontakt verboten ist.

Das Buch nach dem Film

Wem diese Geschichte jetzt vielleicht bekannt vorkommt, liegt richtig, denn dieses Buch beruht auf dem gleichnamigen Film von Dirk Kummer, der 2018 mit den Grimme-Preis ausgezeichnet ist. Sind normalerweise erst die Bücher in der Welt und die Verfilmungen folgen später, so ist hier der andere Weg gegangen worden – allerdings mit einem entscheidenen Haken.
Um das Buch für Zehnjährige erträglich zu machen, haben Autor und Verlag auf einen Erzählstrang aus dem Film völlig verzichtet. Da ich den Film bereits kannte, habe ich mich zu Beginn der Lektüre noch gefragt, wie dieser Teil im Buch wohl erzählt wird (Achtung Filmspoiler: Jonas läuft kurz vor der Ausreise, als er mit der Mutter schon im Tränenpalast ist, noch einmal weg und findet in dem bereits gegrabenen Loch der Jungs ein schreckliches Ende). Dieser Teil wird gar nicht erzählt, was mich kurzfristig enttäuscht hat. Doch ich kann diese Auslassung verstehen, denn Jonas Schicksal ist im Film selbst für Erwachsene kaum zu ertragen.
So bleibt für junge Lesende eine liebevolle Freundschaftsgeschichte aus einem anderen Land. Sie erzählt von dem zerstörerischen Einfluss eines Staats in das Privatleben, aber auch noch ein Fünkchen Hoffnung aufblitzen lässt, dass die Jungs sich möglicherweise nach ein paar Jahren wiedersehen.

Doku-Fiktion zum Lesen

Mauerfall

Junge Lesende, die es nicht so sehr mit Romanen haben, können sich hingegen in dem Sachbuch Mein Mauerfall über die Zeit vor 30 Jahren informieren. Hier führt zwar der zwölfjährige Theo mit Erzähltexten durch das Buch, doch viele Fakten zur deutsch-deutschen Geschichte werden in Infokästen, Sprechblasen, Grafiken und Bildern in kurzen Texten geliefert.
Dabei geht Autorin Juliane Breinl auch auf die historischen Gründe für die deutsche Teilung ein, erläutert, was Hitler und die Nazis mit all dem zu tun haben und wie es überhaupt zu zwei deutschen Staaten gekommen ist.

BRD versus DDR

Gerade diese Gegenüberstellung von BRD und DDR zieht sich durch das Buch. Die Unterschiede, die wir heute immer noch spüren, wenn wir von West nach Ost und von Ost nach West fahren, bekommen in diesem Sachbuch ein Gesicht und eine Erklärung. Das mag uns Erwachsenen selbstverständlich vorkommen, doch den jungen Generationen das auf diese Art noch einmal vor Augen zu führen erscheint mir wichtig zu sein – und sehr gelungen.

DDR-Alltag und Zeitzeugenberichte

Breinl berichtet von den alltäglichen Unterschieden in beiden Staaten, von der allgegenwärtigen Überwachung in der DDR, den unterschiedlichen Inhalten in den Schulen, den Trabis und den Intershops, dem West-Konzert an der Mauer, zu denen die Ost-Jugend pilgerte und brutal niedergeknüppelt wurde. Doch auch staatlich organisierte Konzerten im Osten konnten die Menschen nicht mehr besänftigen, die Unzufriedenheit wuchs, man wollte raus und ging dafür in Massen auf die Straße. Die Mauer fiel. Von all dem lässt Breinl unter anderem Zeitzeugen erzählen, bekannte wie Jana Pallaske (Ost) oder Peter Wohlleben (West) und unbekannte, und bringt so jede Menge Authentizität in ihre Darstellung der damaligen Ereignisse.

Brüderlichkeit und Freiheit

Doch mit dem Mauerfall endet das Buch nicht. Es schlägt vielmehr eine Brücke bis in die Gegenwart, zum neuaufgeflammten Rechtspopulismus, ja Rechtsextremismus, dem grassierenden Fremdenhass, aber auch zum Bekenntnis für Europa, für Brüderlichkeit und eine grenzenlose Freiheit. Je länger ich in dem Buch vor und zurück gelesen habe, umso öfter wünschte ich mir, dass nicht nur Kinder dieses Buch lesen, sondern alle, die diese blöde blaue Partei wählen und anscheinend vergessen haben, was die Politik vor 80 Jahren und in den 40 Jahren der DDR-Geschichte angerichtet hat. Mögen die Kinder durch diese Lektüre ordentlich angeregt werden, in den eigenen Familien nachzufragen und die eigenen Familiengeschichten erkunden, ganz gleich, ob in Ost oder West.

Helen Endemann: Todesstreifen, Rowohlt, 2019, 256 Seiten, ab 13, 14 Euro
Maike Dugaro/Anne-Ev Ustorf: Mauerpost, cbt, 2019, 336 Seiten, ab 13, 9,99 Euro
Dirk Kummer: Alles nur aus Zuckersand, Carlsen, 2019, 144 Seiten, ab 10, 12 Euro
Juliane Breinl: Mein Mauerfall. Von der Teilung Deutschlands bis heute, arsEdition, 2019, 144 Seiten, ab 10, 15 Euro

Der Krieg und die Kinder

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Dieser Tage vor 80 Jahren löste Nazi-Deutschland mit dem Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg aus und stürzte die Menschheit in eine Katastrophe, deren Auswirkungen zum Teil heute noch spürbar sind. Dass davon auch die Kinder betroffen waren, ist eine Binse. Wie genau jedoch das Leben der Kinder und Jugendlichen vom Krieg beeinflusst wurde, zeigen momentan zwei Bücher.
Ganz aktuell ist Darstellung der Erlebnisse des jungen Paul Haentjes, der 1943 in Köln Flakhelfer wird.
Was sich zunächst wie ein Abenteuer mit den Kameraden aus der Schule und der HJ anhört, wird bald zu einer bedrohlichen Angelegenheit.

Eine deutsche Jugend

Paul ist für die damalige Zeit »typisch deutsch« aufgewachsen. Das Regime stellt er nicht infrage, er wird mit zehn Jahren Mitglied in der Hitler-Jugend, interessiert sich für alles, was mit Militaria und der Verteidigung des Vaterlandes zu tun hat. Die Jugendlichen an den Flugabwehrkanonen konkurrieren mit anderen Flakstellungen um die meisten Abschüsse.
Doch selbst nach einem Jahr ist der ursprünglich auf ein halbes Jahr angedachte Einsatz immer noch nicht zu Ende. Die Stimmung bei Paul und den Kameraden kippt.
Paul erzählt in Briefen seinem Bruder Werner davon, und sein Ton wird im Laufe der Zeit immer sarkastischer.

Von der Front in die Kriegsgefangenschaft

So wird Paul im Krieg erwachsen, er meldet sich zum Militär, wird Soldat und noch im März 1945 an die Front nach Plauen geschickt – obwohl die Alliierten und die Russen bereits im Land sind. Schlussendlich stellt sich Paul den Amerikanern und erlebt das Ende des Krieges als Gefangener in den fürchterlichen Rheinwiesenlagern. Doch Paul übersteht auch das, vielleicht weil sein Glaube an Gott ihm Kraft gibt, vielleicht weil er einfach Glück hat. Erstaunlich ist, dass er wohl nie über seine verlorene Jugend verbitterte.

Pauls Geschichte, ein Tatsachenbericht, erzählt seine Tochter Dorothee auf eine sehr sachliche Art, die nicht bewertet. Sie druckt die erhaltenen Briefe von Paul ab, lässt ihn somit selbst zu Wort kommen, zeigt Fotos von ihm mit seinen Kameraden. Und in unzähligen Info-Kästen liefert sie Hintergrundwissen zum Leben in Nazi-Deutschland, den politischen Vorgängen, den Kriegsgeschehnissen, sodass sie jungen Leser_innen ein komplexes Bild jener Zeit vermittelt und möglicherweise deren Interesse an dem Thema weckt.
Gerade, dass Jugendliche als Helfer herangezogen wurden und noch kurz vor Kriegsende an die Front geschickt wurden, macht wieder einmal eindrücklich klar, wie verabscheuungswürdig Krieg ist – damals, heute, in Zukunft, in jeder Art, die es gibt.

Antikriegs-Kinderroman

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Die Verdammung von Krieg ist auch das Anliegen von Erika Mann gewesen, die heute vor 50 Jahren in Zürich starb. Im amerikanischen Exil schrieb sie bereits 1942 den Roman Zehn jagen Mr. X.
Darin treffen in der fiktiven kalifornischen Hafenstadt El Peso zehn Kinder aus den unterschiedlichsten Ländern im Internat »Neue Welt« aufeinander. Als Erzählerin fungiert die Journalistin »Depesche«, die als mütterliche Freundin die Kinder bei ihren Aktionen gegen Hitler und den Krieg unterstützt.
Als ein geheimnisvoller Mann in El Peso auftaucht, beginnt eine wendungsreiche Spionage-Geschichte.

Vereinte Kinder gegen das Böse

Erika Mann erzählt im Stil von Erich Kästner, stellt sich auf die Seite der Kinder und lässt einen Teil von ihnen, ihre Erlebnisse in Europa während des Krieges erzählen.
Ihre Idee, dass sich die Kinder als »Vereinte Kinder« zusammentun und ihre unterschiedlichen Wurzeln feiern und dennoch gemeinsam gegen das Böse kämpfen, ist ein Verweis auf die Bildung der Vereinten Nationen, die Anfang der 1940er-Jahre gerade im Entstehen waren.
Den Gedanken, dass man über nationale Grenzen hinweg gemeinsam gegen das Böse kämpfen sollte und so viel mehr erreichen kann, den jungen Leser_innen auf diesem Wege näherzubringen ist das große Verdienst dieses Buches.
Der Geschichte, die Erika Mann auf Englisch geschrieben hat, ist das Alter durchaus und der politische Anspruch auf jeden Fall anzumerken, weshalb die Lektüre für junge Leser_innen eventuell nicht immer ganz einfach ist. Doch ein Glossar erläutert so wichtige Begriffe wie »Fünfte Kolonne«, »Minzjulep« oder historische Persönlichkeiten wie Hirohito oder Abraham Lincoln.

Eine authentische Stimme aus der Vergangenheit gegen den Krieg

Dass Erika Mann bereits 1942, als das Ende des Krieges noch lange nicht abzusehen und die schlimmsten Gräuel noch nicht geschehen waren, so ein vehementes Dokument gegen Hitler und den Krieg verfasste, berührt mich. Sie gehört für mich so auf eine gewissen Art zu den Widerstandskämpfern – zwar aus einer anderen Position und vom anderen Ende der Welt –, die seit Jahren immer wieder gegen das Regime schrieb und agierte. Sich dabei nicht so sehr an Erwachsene, sondern an die Kinder zu richten und von deren Schicksalen zu erzählen, zeigt, dass sie die Kinder als Zielgruppe für die wesentlich verständigeren hielt. Kinder können sich anscheinend leichter über persönliche Befindlichkeiten und Ansprüche hinwegsetzen. Sie sehen die Gefahr und finden im Kampf gegen das Böse gemeinsam. Erika Mann weckt so die Hoffnung, dass die nachkommenden Generationen nicht wieder so einen Krieg anfangen.
Wer weiß, was sie heute über die herrschenden Populisten geschrieben hätte … Vermutlich nicht viel anderes.

Dorothee Haentjes-Holländer: Paul und der Krieg. Als 15-Jähriger im Zweiten Weltkrieg, arsEdition, 2019, 144 Seiten, ab 12, 15 Euro

Erika Mann: Zehn jagen Mr. X, Übersetzung: Elga Abramowitz, Rowohlt rotfuchs, 2019, 270 Seiten, ab 12, 15 Euro

Faszinierend

bergeWie Illustrator und Autor Dieter Braun wohne auch ich im Flachland, bin mit weitem Horizont und Sandstrand unter den Füßen aufgewachsen. Und doch – oder vielleicht gerade deshalb – faszinieren mich die Berge. Einmal im Jahr muss ich in die Berge fahren, um diese Sehnsucht zu stillen. Dann reicht es mir aber auch wieder.
Dieter Braun hingegen hat sich so lange und so intensiv mit den Bergen auseinandergesetzt, dass nun ein wunderschönes Sach-Bilderbuch dabei herausgekommen ist.

Dieter Braun ist bekannt für seine einzigartigen geometrisch geprägten Illustrationen – z.B. in den Büchern Die Welt der wilden Tiere – im Süden und im Norden. Aus Kreisen, Drei- und Vielecken, den Vektoren im Programm Illustrator, kreiert Braun Tiere, Landschaften, Gegenstände. Ausführlich hat er im Juni über seine Arbeit auf der Facebook-Seite „Was mit Kinderbüchern“ von Stefanie Leo berichtet und aus seinem Alltag als Illustrator berichtet, der hauptsächlich am Computer arbeitet.

Das mag im ersten Moment sehr unsinnlich klingen, doch das, was bei Braun dann herauskommt ist so betörend, dass man sich seinem Werk kaum noch entziehen kann.
In Die Welt der Berge streift er zusammen mit dem Betrachter durch die Alpen, erklärt die Höhenstufen der dortigen Vegetation, zeigt die Tiere, die in den verschiedenen Gebirgen der Welt leben, z.B. das Dallschaf in Alaska oder das Guanako in Südamerika. Er erklärt, wie die Gebirge entstanden sind und warum es keinen Berg höher als 9000 Meter auf der Erde geben kann.
Neben den ganz natürlichen Zuständen der Berge verweist Braun jedoch auch auf den Einfluss des Menschen und wie sehr dieser über die Jahrhunderte die Berge geformt und gestaltet hat.

Braun hält sich dabei thematisch nicht an ein vorgegebenes Schema oder eine Chronologie, von den Alpen geht es zu den Sandbergen der Wüste, vom Uluru in Australien blättert man um und landet bei Pinguinen und Eisbären. Kleine Leser_innen brauchen da vielleicht ein bisschen Unterstützung in der geografischen Einordnung, doch macht gerade diese Abwechslung das Buch zu einer wahren Wundertüte der Berggeschichten, sodass man automatisch anfängt vor- und zurückzublättern. Man liest sich an den kurzen Texten und den Info-Kästen fest und staunt.

Man staunt sowohl dabei über die Inhalte, als auch über die farblich so harmonisch abgestimmten und wohlkomponierten Illustrationen, die sich zumeist über die gesamte querformatigen Doppelseite erstrecken und quasi ein Cinema-Scope-Panoramabild liefern, in dem man schon fast meditativ versinken kann (okay, das ist jetzt die Erwachsenen-Begeisterung!).

Das junge Publikum bekommt auf jeden Fall ein aufschlussreiches Sammelsurium über Flora und Fauna der Bergwelten, lernt fremde Orte auf unserem Planeten kennen, erfährt aber auch Handfestes über die Skiausrüstung und das Alpinklettern. Denn auch wenn die Berge faszinieren, können sie zu einem gefährlichen Terrain werden – wenn man sich eben nicht auskennt und nicht den gehörigen Respekt gegenüber der Natur und ihren Gewalten aufbringt. Das steht in diesem Buch, das von der Stiftung Buchkunst zu einem der schönsten Bücher 2018 gekürt wurde, zwar nicht im Vordergrund, sickert aber mit jedem Lesen und Schauen weiter ins Bewusstsein.

Und abgesehen davon, dass man Die Welt der Berge nicht mehr aus der Hand legen möchte, weckt es die Reiselust – in die Berge.

Dieter Braun: Die Welt der Berge, Knesebeck, 2018, 94 Seiten, ab 8, 20 Euro

AusLese 2016

cneutNach fünf Jahren Abwesenheit hat es mich dieses Jahr mal wieder auf die Leipziger Buchmesse getrieben. Pressekollegen und Auftraggeber treffen, Hallenluft schnuppern, Cosplayer bewundern, Bücher bestaunen und auf Inspirationssuche gehen. Zusätzlich stand die Nominierungsveranstaltung für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016 auf dem Programm. Die Verleihung habe ich in Frankfurt bereits mal erlebt, aber noch nie die Nominierung.

Das Schöne an der Sache war dann, dass diese Nominierungen für mich zu einer ganz persönlichen Freude wurde. Denn in der Kategorie Bilderbuch ist „Der goldene Käfig“ von Anna Castagnoli und Carll Cneut der Bohem Press ausgewählt worden – in meiner Übersetzung. Ein absolutes Glücksgefühl! Dieses opulente Bilderbuch habe ich hier auch schon mal vorgestellt.

Die Nominierungen waren jedoch nicht nur deshalb für mich interessant, denn ich nehme sie, seit ich diesen Blog betreibe, als Anlass noch einmal zurückzudenken und zu vergleichen, welche Bücher ich gelesen und hier rezensiert habe. Bei etwas 8000 Neuerscheinungen im Jahr im Bereich von Kinder- und Jugendbuch kann ich natürlich neben meinem normalen Job nicht alles lesen, und auch mit Hilfe von meinen Gastrezensentinnen kommen wir lange nicht auf alle preiswürdigen Titel. Doch im vergangenen Jahr haben wir ein ganz gutes Näschen gehabt, wie ich finde. Dazu trägt aber auch die Wahl der Jugendjury bei, die erstaunlich harte und politische Bücher ausgewählt hat – für die ich ein Faible habe. So waren da die Überschneidungen am höchsten.

Ein paar der noch nicht gelesenen Bücher werde ich in den nächsten Monaten bis zur Preisverleihung noch nachholen, und eventuell darüber berichten.

Hier kommen jetzt aber erst einmal alle Nominierten – samt der Links zu den Rezensionen auf letteraturen.

Bilderbuch

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Marcelo Pimentel (Illustration): Eine Geschichte ohne Ende. Ein Bilderbuch aus Brasilien, Baobab Books, 2015, 20 Seiten,  ab 2, 14,90 Euro

Marianne Dubuc (Text, Illustration): Bus fahren, Übersetzung: Julia Süßbrich, Beltz & Gelberg, 2015, 40 Seiten, ab 3, 13,95

Anja Mikolajetz (Text, Illustration): Das Herz des Affen, Aladin, 2015, 32 Seiten, 16,95 Euro

Emmanuelle Polack (Text)/Barroux (Illustration): Kako, der Schreckliche, Übersetzung: Babette Blume, mixtvision, 32 Seiten, ab 5, 14,90 Euro

Edward van de Vendel (Text)/Anton van Hertbruggen (Illustration): Der Hund, den Nino nicht hatte, Übersetzung: Rolf Erdorf, Bohem Press, 2015, 40 Seiten, ab 5, 14,95 Euro

Anna Castagnoli (Text)/Carll Cneut (Illustration): Der goldene Käfig oder Die wahre Geschichte der Blutprinzessin, Übersetzung: Ulrike Schimming, Bohem Press, 2015, 48 Seiten, ab 6, 28, 95 Euro

 

Kinderbuch 

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Uwe-Michael Gutzschhahn (Herausgeber)/Sabine Wilharm (Illustration): Ununterbrochen schwimmt im Meer der Hinundhering hin und her. Das dicke Buch vom Nonsens-Reim, cbj Verlag, 2015, ab 6, 19,99 Euro

Frida Nilsson (Text)/Anke Kuhl (Illustration): Frohe Weihnachten, Zwiebelchen!  Übersetzung: Friederike Buchinger, Gerstenberg Verlag, 2015, 128 Seiten, ab 6, 12,95 Euro

Hayfa Al Mansour: Das Mädchen Wadjda, Übersetzung: Catrin Frischer, cbt Verlag, 2015, 304 Seiten, ab 11, 12,99 Euro

Stefanie Höfler (Text)/Franziska Walther (Illustration): Mein Sommer mit Mucks, Beltz & Gelberg, 2015, 140 Seiten,  ab 11, 12,95 Euro

Ann M. Martin: Die wahre Geschichte von Regen und Sturm, Übersetzung: Gabriele Haefs, Königskinder, 2015, 240 Seiten, ab 11, 14,99 Euro

Ross Montgomery: Alex, Martha und die Reise ins Verbotene Land, Übersetzung: André Mumot, Carl Hanser Verlag, 2015, 336 Seiten,  ab 11, 14,90 Euro

 

Jugendbuch

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Erin Jade Lange: Halbe Helden, Übersetzung: Jessika Komina und Sandra Knuffinke, Magellan Verlag, 2015,  ab 12, 16,95 Euro

Makiia Lucier: Das Fieber, Übersetzung: Katharina Diestelmeier, Königskinder, 2015, 368 Seiten, ab 12, 17,99 Euro, besprochen hier.

Mariko Tamaki (Text)/Jillian Tamaki (Illustration): Ein Sommer am See, Übersetzung: Tina Hohl, Reprodukt, 2015, 320 Seiten, ab 12, 29,00 Euro

Kirsten Fuchs: Mädchenmeute, Rowohlt Rotfuchs, 2015, 464 Seiten, ab 14, 9,99 Euro

Rainbow Rowell: Eleanor & Park, Übersetzung: Brigitte Jakobeit, Carl Hanser Verlag, 2015, 368 Seiten, ab 14, 16,90 Euro

Erna Sassen: Das hier ist kein Tagebuch, Übersetzung: Rolf Erdorf, Verlag Freies Geistesleben, 2015, 183 Seiten, ab 14, 17,90 Euro

 

Sachbuch

abc.de ShackletonwetterleibnizEislandsamia

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Iwona Chmielewska (Text, Illustration): abc.de, Gimpel Verlag / Verlag Warstwy 2015, 96 Seiten, ab 6, 19,90 Euro

William Grill (Text, Illustration): Shackletons Reise, Übersetzung: Harald Stadler, NordSüd Verlag, 2015,  80 Seiten, ab 8, 19,99 Euro, besprochen hier.

Britta Teckentrup (Text, Illustration): Alle Wetter, Verlagshaus Jacoby & Stuart, 2015, 168 Seiten, ab 9, 24,95 Euro

Jean Paul Mongin (Text)/Julia Wauters (Illustration): Leibniz oder die beste der möglichen Welten, Übersetzung: Heinz Jatho, Diaphanes Verlag, 2015, 64 Seiten, ab 10, 14,95 Euro

Kristina Gehrmann (Text, Illustration): Im Eisland, Hinstorff Verlag, 2015, 224 Seiten, ab 12, 16,99 Euro

Reinhard Kleist (Text, Illustration): Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar, Carlsen Verlag, 2015, 152 Seiten, ab 14, 17,90 Euro, besprochen hier.

 

Preis der Jugendjury

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tagebuch
khmer

 

 

Nicola Yoon: Du neben mir und zwischen uns die ganze Welt, Übersetzung: Simone Wiemken, Dressler Verlag, 2015, 336 Seiten, ab 12, 16,99 Euro

Dirk Reinhardt: Train Kids,  Gerstenberg Verlag, 2015, 320 Seiten, ab 13, 14,95 Euro, besprochen hier.

Peer Martin: Sommer unter schwarzen Flügeln, Oetinger Verlag, 2015, 528 Seiten, ab 14, 19,99 Euro, besprochen hier.

Matthew Quick: Goodbye Bellmont, Übersetzung: Knut Krüger, dtv, 2015, 256 Seiten, ab 14, 16,95 Euro

Erna Sassen: Das hier ist kein Tagebuch, Übersetzung: Rolf Erdorf, Verlag Freies Geistesleben, 2015, 183 Seiten, ab 14, 17,90 Euro

Patricia McCormick: Der Tiger in meinem Herzen, Übersetzung: Maren Illinger, Fischer KJB, 2015, Seiten, ab 16, 14,99 Euro, besprochen hier.

Herzlichen Glückwunsch allen Nominierten!

Die Gewinner werden am 21. Oktober 2016 auf der Frankfurter Buchmesse bekannt gegeben. Ich bin sehr gespannt – in doppeltem Sinne …

 

[Jugendrezension] Leben im alten Rom

altes romWie wurde Rom zur Weltmacht? Wie lebten Kinder im alten Rom? Was haben die Römer uns hinterlassen?
Das Buch Altes Rom aus der Reihe „Wieso? Weshalb? Warum? Profi-Wissen“ von Dela Kienle gibt Antwort auf diese und viele andere Fragen. Es wird z.B. erklärt, wie die Römer ihre Freizeit verbrachten, wie das Wasser aus großer Entfernung in die Stadt kam und was die Römer zu genialen Baumeistern machte.

Die spannend und interessant geschriebenen, relativ kurzen Texte werden von vielen farbigen Abbildungen, Zeichnungen und einem Foto, in das etwas hinein gezeichnet wurde, begleitet. Die Zeichnungen sind sehr detailliert, indem sie viele kleine Einzelheiten zeigen, wie z.B. Vögel, eine in einem Fenster stehende Amphore, wehende Vorhänge (sofern es die bei den Römern schon gab…). Auf jeder Doppelseite ist ein kleiner Legionär abgebildet, der etwas zum Thema sagt. Manchmal ist das, was er sagt, witzig, aber selbst wenn das nicht der Fall ist, ist er lustig gezeichnet. Er begleitet die Leser durch das ganze Buch.

Im Buch gibt es auch ausklappbare Doppelseiten: Dort steht eine große Zeichnung im Mittelpunkt, am Rand gibt es Zusatzinformationen oder anderes, das mit dem Thema zu tun hat: Interviews mit Experten, Anregungen zu kleinen Experimenten usw. Auf den Doppelseiten werden die Themen Militär, Freizeit und der Vesuv-Ausbruch und Pompejis Untergang behandelt.

Das Buch ist für jüngere Leser sehr gut, weil es anschaulich geschrieben und bebildert ist. Es liefert dem Leser das wichtigste Allgemeinwissen zum Thema „altes Rom“ und ein paar Extras zusätzlich. Es fehlen aber ein Literaturverzeichnis oder weitere Internetlinks, wo man nachschauen könnte, wenn man sich näher zu einem Thema informieren will – denn man findet kaum Spezialwissen in diesem Buch. Es ist anschaulich und allgemein interessant, aber insgesamt trotzdem ein Römerbuch wie viele andere.
Ich empfehle das Buch zum Selberlesen ab 8 Jahren, für Interessierte und zum Vorlesen/Bilderanschauen schon ab 6/7 Jahren.

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Dela Kienle: Altes Rom, Wieso? Weshalb? Warum? Profiwissen, Band 9, Illustration: Anne Bernhardi/Sibylla Spiegelhauer, Ravensburger Buchverlag, 2014, 56 Seiten, ab 8 Jahre, 14,99 Euro