Lange ist es her, dass ich den Comic Maus von Art Spiegelman in den Händen hatte. Doch jetzt musste ich die beiden Bände (ich habe noch die „Originalausgaben“ aus den 90er Jahren) aus dem Regal ziehen und mich erneut in diese schreckliche Geschichte versenken. Wieder war ich gebannt und erschüttert, genau wie vor 20 Jahren, als ich zum ersten Mal von den Erlebnissen von Spiegelmans Eltern in Auschwitz gelesen habe. Auslöser für die Neulektüre ist das Buch MetaMaus, ebenfalls von Spiegelman, das jüngst auf Deutsch (in der Übersetzung von Andreas Heckmann) erschienen ist.
Hierin gibt Spiegelman Einblicke in die Entstehung von Maus und seine Arbeitsweise, denn mittlerweile hat er es wohl satt, die immergleichen Fragen zu seinem Opus Magnum zu beantworten. Daher hat er Hillary Chute, Professorin an der Universität von Chicago, in langen Gesprächen die die drei wichtigsten Fragen beantwortet: Warum der Holocaust? Warum Mäuse? Warum Comics?
Spiegelman holt dafür ausführlichst aus – man wird dabei ständig auf die Parallele zu den Gesprächen mit seinem Vater Wladek gestoßen, die er für Maus geführt hat. Zugleich hat er sein Archiv mit Familienfotos, ersten Maus-Skizzen, Entwürfen, Bildern, Büchern und Zeichnungen geöffnet, die ihn selbst bei seiner Arbeit inspirierten. So hat man mit MetaMaus nun beides vor sich: ein Bilderbuch, zum Blättern und Schauen, mit z.T. in Deutschland unveröffentlichten Comic-Strips von Spiegelman, und eine Dokumentation, wie Maus in 13 Jahren Arbeit aus einer kleinen dreiseitigen Urfassung zu einem der wichtigsten Bücher über die Judenverfolgung und den Holocaust geworden ist.
Der Comiczeichner, der weiterhin von Maus als Comic spricht und sich nicht der Umetikettierung auf Graphic Novel anschließt, ja diese Begrifflichkeit eher verabscheut, berichtet von seinem Hadern, nicht nur mit dem Vater, sondern viel mehr auch mit den zeitgeschichtlichen Widrigkeiten der 70er- und 80er-Jahre, als die Aufarbeitung des Holocaust noch keine Selbstverständlichkeit war. Er fürchtete sich vor der Banalisierung des eigentlich Unaussprechlichen und vor der Verkitschung des Genozids. Dass er diesen Fallstricken gekonnt ausgewichen ist, erkennt man nun beim dem wissenden Neu-Lesen noch deutlicher.
Aber MetaMaus ist mehr als ein Werkstattbericht. Es ist eine Hommage an die amerikanische Comic-Geschichte, in der Spiegelman Krazy Kat, Little Nemo und Disneys Kreaturen seine Aufwartung macht. Zudem zeigt sich im Laufe von Spiegelmans Berichten und Erklärungen, dass sich ein Werk irgendwann von seinem Schöpfer emanzipiert und Deutung anderer Leser und Kritiker zulässt und sogar bestätigt. Hat Scott McCloud 1993 mit Comics richtig lesen die formale Entstehung eines Comics genauesten erklärt und analysiert, so entwickelt Art Spiegelman hier quasi ein Lehrbuch, wie man einen Comic inhaltlich erarbeitet und daraus formale Entscheidungen fällt.
MetaMaus liegt eine DVD, die neben der digitalisierten Form von Maus mit weiterem umfangreichen Material ausgestattet ist. Beeindruckend sind die englischen Tonbandaufnahmen von Spiegelmans Gesprächen mit seinem Vater (im Buch sind die übersetzten Transkripte abgedruckt). Wladeks Stimme bringt dem Hörer sein Schicksal und die Schrecken des Holocaust ganz nah. Man ist geschockt und berührt: Geschockt von dem Horror, den Spiegelmans Eltern überlebt haben; berührt von Art Spiegelmans Leistung, sich über lange Jahre mit seinem Vater so intensiv auseinandergesetzt zu haben. Man fragt sich, was heldenhafter war – seinen Vater auszufragen, zum Reden zu bringen, sich seine Geschichte in aller Ausführlichkeit anzuhören – oder die anschließende Auseinander- und Umsetzung in zutiefst bewegende Bilder. Eins ist ohne das andere nicht denkbar, so wie ab jetzt Maus ohne MetaMaus nicht mehr lesbar ist.
Mit MetaMaus hat Art Spiegelman ein Grundlagenwerk geschaffen – und das nicht nur für die Comic-Forschung, sondern auch für den Umgang mit dem Holocaust und seine Aufarbeitung. Ein Muss also nicht nur für Maus-Fans …
Art Spiegelman: MetaMaus. Einblicke in Maus, ein moderner Klassiker. Übersetzung: Andreas Heckmann, Fischer Verlag, 2012, 298 Seiten mit DVD, 34,00 Euro
Art Spiegelman: Die vollständige Maus. Die Geschichte eines Überlebenden. Mein Vater kotzt Geschichte aus; Und hier begann mein Unglück. Ausgezeichnet mit dem Pulitzer Prize 1992, Fischer Verlag, 2010, 293 Seiten, 14,95 Euro