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Kreuz & quer durch Prag

pragGeschichten, in denen die Orte eine der Hauptrollen spielen, faszinieren mich irgendwie. Ganz besonders, wenn ich die Städte kenne. Ansatzweise kenne ich Prag – und war daher gespannt, was es mit der City-Crime-Reihe von Andreas Schlüter auf sich hat.

Dieses Mal hat Joanna, Finns Schwester, Karten für ein Popkonzert ihrer Lieblingsband in Prag gewonnen. Die Familie reist für ein Wochenende nach Tschechien und finden sich schon bald in dem Touristentrubel der Karlsbrücke wieder. Hochzeitspaare, Puppenspieler, Menschenmassen, kein Durchkommen. Während Joanna von einem gutaussehenden Marionettenspieler fasziniert ist, bemerkt Finn ein Ehepaar, das nach einem Portmonee sucht. Dabei vergessen sie eine Tüte mit einer Marionette auf der Brücke. Nun kommt eins zum anderen: Die Mutter verknackst sich den Fuß und muss zum Arzt, Joanna will Zeit mit dem Puppenspieler verbringen und Finn will die Marionette zurückgeben. Noch eher sie bis drei zählen können, stecken die Geschwister in einer verwickelten Drogen-Entführungs-Erpressungsgeschichte.

Schlüter gelingt hier das Kunststück, Krimi und Reiseführer in eins zu gießen. Die Helden erkunden nämlich die Stadt und kommen auf der Jagd nach den Bösewichten an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei. Die Infos über Prag werden dabei wie selbstverständlich in den Plot eingearbeitet – für junge Prag-Reisende ist das eine sehr unterhaltsame und aufschlussreiche Art, sich über die Stadt zu informieren.
Auch die tschechische Sprache kommt nicht zu kurz. Originalsätze der Einheimischen geben einen klanglichen Eindruck, die Übersetzung des Tschechischen findet sich am Ende des Buches in einem kleinen Wortschatz, der das wichtigste Vokabular für den Kurztripp liefert.

Wer also mit seinen Kindern eine Städtereise nach Prag plant, sollte den Kids diese spannende Reiselektüre mit auf den Weg geben. Sie werden die Stadt mit ganz anderen Augen sehen.

Andreas Schlüter: City Crime – Puppentanz in Prag, Illustration: Daniel Napp, Tulipan, 2015, 192 Seiten, ab 10, 11,95 Euro

Illustrierte Geschichtsstunde

trebisandBei manchen öffentlichen Veranstaltungen tut es mir in der Seele weh, dass nur ganz wenige Menschen den Weg dorthin finden. Gestern war so eine Veranstaltung: Die Comiclesung von Treibsand im hippen Nochtspeicher auf St. Pauli in Hamburg. Die beiden Autoren Max Mönch und Alexander Lahl stellten ihr Werk einem knappen Dutzend Zuhörern vor. Sie, und vor allem ihre Geschichte, hätten wahrlich mehr Publikum verdient.

Lahl und Mönch lasen in verteilten Rollen aus ihrer Graphic Novel, offenbarten sich als ein eingespieltes Team. Die Bilder wurden hinter ihnen an die Wand projiziert. Gezeichnet von Kitty Kahane, die zu meinem großen Bedauern leider nicht dabei sein konnte, erzählen sie von dem amerikanischen Journalisten Tom Sandman, der von seinem Zeitungschef im Sommer 1989 zunächst nach China, dann nach Deutschland geschickt wird – immer auf der Suche nach der Story, die den Fall des Kommunismus schildert. Sandman, gequält von Zahnschmerzen und Alpträumen, erlebt das Massaker auf dem Tianamen-Platz und dann die letzten Tage der DDR.
In Berlin wird ihm Ingrid zur Seite gestellt. Die junge Frau wurde nach einem missglückten Fluchtversuch von der BRD freigekauft. Sie kennt die Verhältnisse in der DDR und instruiert Sandman. Die beiden kommen sich näher, und plötzlich steckt der Amerikaner in den komplizierten Verhältnissen einer Ostfamilie, die durch Linientreue, Flucht und Verrat auseinander gerissen wurde.
Sandman tut seinen Job als Journalist und sitzt schließlich am 9. November 1989 in der stinklangweiligen Pressekonferenz von Schabowski. Als der italienische Kollege Ricardo Ehrmann die Frage nach dem Reisegesetzentwurf stellt, Schabowski sich an „den Zettel“ erinnert und mitteilt, dass die Reiseerleichterungen unverzüglich, ab sofort gelten, da wird Sandman von seinen Zahnschmerzen besiegt. Ohnmächtig wird er in die Charité gebracht und verpennt den Fall der Mauer.

Die Graphic Novel Treibsand ist in gerade einmal acht Monaten entstanden. Allein vier davon hatte Kitty Kahane für die Zeichnungen gebraucht. Eine Mammutleistung, die meinen höchsten Respekt hat. Kahanes grober, fast krakeliger Zeichenstil passt hervorragend zu den gezeigten Geschehnissen, denn dieser Stil überhöht nicht, verherrlicht nicht, sondern bringt eine Distanz und eine Kritik mit sich, die gegenüber dem DDR-Regime nötig ist.
Mönch und Lahl haben auf der faktischen Ebene der Geschichte saubere Arbeit geleistet. Von den Ereignissen in der Prager Botschaft – Genschers berühmter Halbsatz ist hier endlich mal ausgeschrieben – über die Protestbewegung in den Kirchen bis zur Pressekonferenz und der Öffnung des Schlagbaums an der Bornholmer Straße stimmt alles. Sie schildern zudem noch die Ereignisse vom 10. November, an dem Egon Krenz die NVA in erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzte, eine militärische Eskalation wäre durchaus möglich gewesen – was im Jubel damals wie heute gern vergessen wird. Warum nichts damals nichts passierte, wird nicht aufgelöst.
Zudem reichern die Autoren die Geschehnisse mit verschiedenen Episoden aus der DDR-Zeit an: Grenzzwischenfälle, der Fluchtversuch Ingrids, der Verrat in der Familie. Auch das beruht auf realen Tatsachen. Man bekommt einen fast sachlichen Eindruck, wie die Stimmung in der DDR gewesen war.

Dennoch hadere ich ein bisschen mit Treibsand. Was für mich an der Figur von Tom Sandman liegt. Er kommt als Betrachter von außen, erzählt in der Rückschau mit 25 Jahren Abstand, als Journalist, der perfekt recherchieren und die Leute ausfragen kann. Und obwohl er sich damals in Ingrid verliebt und zeitweise Teil ihrer Familie wird, bleibt er ein Fremdkörper. So spult sich die Geschichte sehr korrekt, sehr gradlinig, sehr informativ, sehr detailliert vor dem Leser ab, doch für mich irgendwie emotionslos. Sandman bleibt mir fremd, da helfen auch seine Alpträume nicht, von den anderen Figuren erfahre ich nur das, was er erzählt, es bleibt eine Distanz – und das finde ich bei einem der emotionalsten Momente der deutschen Geschichte ein bisschen schade.

Max Mönch/Alexander Lahl/Kitty Kahane: Treibsand, Eine Graphic Novel aus den letzten Tagen der DDR, Walde und Graf bei Metrolit, 2014, 176 Seiten, 20 Euro

Botschaft der Freiheit

gritt poppe abgehauenNeulich gab es im Fernsehen mal wieder eine dieser Umfragen, mit der das vermeintliche Unwissen der Bevölkerung dokumentiert werden sollte. Dieses Mal: Was wissen die Jugendlichen vom Fall der Mauer, der Wiedervereinigung und den Geschehnissen in der DDR vor 23 Jahren? Nicht viel, wie die zusammengeschnittenen Film-Schnippsel propagieren sollten. Darüber kann man sich natürlich sofort aufregen und die scheinbar mangelnde Qualität des Geschichtsunterrichts in den Schulen anprangern – oder aber die perfiden Mittel der TV-Macher, die mit Zuspitzung und Auslassung arbeiten. Bleibt die Frage, wie man geschichtliche Ereignisse und vergangenen Lebensverhältnisse so vermittelt, dass sie auch bei denen im Bewusstsein bleiben, die sie nicht selbst miterlebt haben.

Im Fall der Wendezeit und dem zum Teil schwierigen Leben der Jugendlichen in der DDR bieten die Romane Weggesperrt und Abgehauen von Grit Poppe eine alternative Möglichkeit der Geschichtsvermittlung. Hatte die Autorin, die in der DDR geboren und aufgewachsen ist, bereits 2009 in Weggesperrt die Geschichte von Anja erzählt, die im Jugendwerkhof Torgau zu einer sozialistisch angepassten Genossin geformt werden sollte, so hat sie nun die Fortsetzung dazu geliefert.

In Abgehauen schildert sie das Schicksal der 16-jährigen Gonzo, der besten Freundin von Anja. Das Mädchen ist ebenfalls in Torgau inhaftiert. Sie wird von den Aufsehern schikaniert, psychisch und physisch gequält, in der Dunkelzelle tagelang mit Isolierhaft bestraft. Erst als Gonzo sich selbst so stark verletzt, dass sie ins Krankenhaus gebracht wird, gelingt ihr die Flucht. Orientierungslos irrt sie durch das Land – auch der Leser erfährt nie, wo sie sich genau aufhält – und trifft in einem Kleingarten schließlich René. Der Junge, der zu seinem Vater in der Bundesrepublik will, hat einen Plan und nutzt den Stimmungswandel im Land. Zusammen schlagen sich die Jugendlichen nach Prag durch, um in der westdeutschen Botschaft Zuflucht zu suchen.

Zunächst müssen sich die beiden in der tschechischen Hauptstadt durchfragen, bevor sie  schließlich auf der Kleinseite zum Palais Lobkowitz gelangen. Zusammen mit anderen Flüchtlingen klettern sie über den Zaun auf der Rückseite des Gebäudes und befinden sich nun offiziell auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Doch Gonzo, deren Seele durch die unfassbaren Erlebnisse im Jugendwerkhof Torgau Schaden genommen hat, traut dem Ganzen nicht. Immer wieder piesackt ihr innerer Punk sie mit Selbstzweifeln und der Skepsis gegenüber ihrer Umwelt. So traut sie weder den anderen Flüchtlingen noch René und auch den möglichen Veränderungen nicht.

Die Zustände in der Botschaft werden immer unerträglicher. Immer mehr Menschen flüchten auf das Gelände, die Schlafplätze werden knapp, der Botschafter selbst gräbt Zierbüsche aus, um Platz für die Flüchtenden zu schaffen, für Toilettengänge und Essensausgabe müssen die Menschen stundenlang anstehen. Gonzo bewegt sich in dieser Masse wie eine Außerirdische, vom ständigen Zweifel und dem Punk in ihrem Kopf gepeinigt. Als endlich am 30. September 1989 Hans-Dietrich Genscher auf den Balkon der Botschaft tritt und den berühmtesten Halbsatz der Geschichte spricht, keimt die erste richtige Hoffnung bei Gonzo auf …

Über die Zustände in der deutschen Botschaft in Prag habe ich so bis jetzt noch nirgendwo gelesen (vielleicht ist mir da was entgangen, dann bitte ich um Aufklärung). Die Fernsehbilder von Herrn Genscher auf dem Balkon kenne ich natürlich und irgendwie treiben sie mir jedes Mal wieder Tränen in die Augen – und genau diesen Effekt hatte nun auch die entsprechende Szene im Buch auf mich. Man ist ganz nah dran am Geschehen, wird scheinbar Teil der deutschen Geschichte, leidet und freut sich mit der Heldin. Genau das ist die Art von Geschichtsdarstellung, die sich unvergesslich ins Hirn der Leser einbrennt, denn die Kombination von Fakten und Gefühlen macht es einem leicht, Geschehnisse nachzuempfinden und somit auch zu behalten. Das ist Grit Poppe hier ausgesprochen gut gelungen. Nach der Lektüre von Abgehauen wird wahrscheinlich kein Jugendlicher mehr sagen, dass er nichts über den Mauerfall und die Deutsche Einheit weiß.

Grit Poppe: Abgehauen, Dressler Verlag, 2012, 334 Seiten, ab 14, 9,95 Euro

Grit Poppe: Weggesperrt, Oetinger Taschenbuch Verlag, 2012,  Ausgezeichnet mit dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis 2010, 330 Seiten, ab 14, 6,95 Euro

Signor Eco und der Hamburger

 

Umberto Eco hat mich in Form seiner semiotischen Werke durch die Dissertation begleitet. Da war es fast schon ein Muss, ihn auf seiner Lesereise durch Deutschland einmal live in Augenschein zu nehmen. Und so saß eben der ältere Herr und Überintellektuelle im Hamburger Thalia Theater auf der Bühne,  um seine jüngste Fiktion, Der Friedhof in Prag, zu promoten. Der fast 80-jährige Signor Eco plauderte eloquent – oder sollte man sagen, erwartungsgemäß schlau – über Trottel, Vorurteile, echte Fälschungen, Feindbilder, vom Hass als einem warmen und verbindenden Gefühl sowie über kulinarische Vorlieben (Hamburger). Die medien-massentauglichen Fragen von Denis Scheck forderten den Denker allerdings nicht sonderlich. Da wünscht man ihm wirklich einen etwas tiefgründigeren Interviewpartner.

Bei der Betrachtung dieser beiden stattlichen Herren drängte sich mir so vielmehr der Eindruck auf, in Denis Scheck einen 1-A-Wiedergänger von Umberto Eco vor mir zu haben – da bräuchte man nur ein Bärtchen ankleben, einen Pullunder überziehen und die Ohren anlegen…

Neben dem gefeierten Idol war für mich Paola Barbon die wahre Heldin des Abends. Klein und schmal saß sie zwischen den beiden Schwergewichtern und übertrug Ecos wortreiche Ausführungen souverän und dauerhaft lächelnd ins Deutsche. Und Wolf-Dietrich Sprenger hauchte mit seiner Lesart der Hauptfigur Simonini Leben ein und holte quasi die Kloake von Paris auf die Bühne. Währenddessen verfolgte Umberto Eco in seiner italienischen Ausgabe, leicht vor und zurück schaukelnd, die vorgetragenen deutschen Sätze so aufmerksam, als würde er seinen eigenen Text zum ersten Mal hören und lesen. Ein fast rührender Anblick.

Die italienische Ausgabe von Ecos Roman habe ich hier schon so einige Zeit liegen – jetzt sollte ich die Geschichte endlich mal zu Ende lesen.

Umberto Eco: Der Friedhof in Prag, Hanser Verlag, Übersetzung: Burkhart Kroeber, 528 Seiten, 26 Euro