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Bilder gegen Neonazis

drei steineBrutal zusammengeschlagen liegt ein Junge auf dem siffigem Fußboden eines Schulklos. Seine Schulsachen sind ausgekippt, an den Wänden Kritzeleien, die Comicfigur Werner, BVB Logo, ein verdrehtes Hakenkreuz.

Mit dem Titelbild seiner autobiographischen Graphic Novel Drei Steine springt Nils Oskamp direkt in die Geschichte: Dortmund-Dorstfeld in den 80er Jahren. Zechen werden geschlossen, mit der Stahlindustrie geht es bergab, die Arbeitslosigkeit steigt und die rechtsradikale Szene erstarkt.

Der Schüler Nils Oskamp hat bei den immer lauter werdenden, faschistischen Parolen an seiner Schule nicht weggehört und den Neonazis seine Meinung gesagt – und hätte das fast mit dem Leben bezahlt. Doch die rechte Gewalt hat ihn nicht mundtot gemacht – im Gegenteil: Statt den Neonazis mit den gleichen Mitteln zu begegnen und die Spirale der Gewalt weiterzudrehen, schlägt der Illustrator jetzt mit Drei Steine zurück.

Seine Geschichte zeigt, dass man sich wehren muss. Vor allem wird deutlich, wie gefährlich die Rechtsradikalen waren und immer noch sind. Und wer dachte, dass die Neonazi-Szene früher nur im repressiven DDR-Staat gedeihen konnte und wie aus dem Nichts mit der Wiedervereinigung über Deutschland hereingebrochen ist, dem werden mit diesen Szenen aus Dortmund, einer Hochburg der Rechtsradikalen seit Jahrzehnten, unmissverständlich die Augen geöffnet.

Zur Story: Oskamp, der auch Trickfilm studiert hat, beherzigt die alte Filmregel, mit einer Explosion zu beginnen und sich dann langsam zu steigern. Gleich auf dem Vorsatzpapier knallt es: Mit einem gewaltigem „BÄÄM“ wird ein riesiger Förderturm gesprengt und kracht in sich zusammen. Das Ende von Bergbau und Stahlindustrie im Ruhrgebiet Anfang der 80er Jahre. Und dann gerät der Leser unvermittelt in einen Albtraum: Mehrere Skinheads mit Baseballschlägern treiben einen Teenager in eine Falle, prügeln und treten auf ihn ein. Es ist ein wiederkehrender Albtraum, aus dem der Erzähler Nils Oskamp erwacht, geweckt von seinem kleinen Sohn Tom. Der ist nach einem Schulfreund Oskamps benannt, und jetzt erzählt der Vater seinem Jungen die Geschichte.

Die gegenwärtige Rahmenhandlung ist in warmen Sepiatönen gehalten. Die eigentliche Geschichte in kaltem Blau-Grau. Die Atmosphäre ist sofort so bedrückend wie das Geschehen. Als 14-Jähriger erlebt Oskamp, wie Mitschüler rechtsradikale Parolen grölen, ungeniert antisemitische Meinungen äußern, die Nazidiktatur verherrlichen und Wände mit Hakenkreuzen beschmieren. Er beobachtet, wie Altnazis Kinder für „kameradschaftliche“ Freizeitaktivitäten anwerben. Im Geschichtsunterricht verbreitet der Lehrer, früher Wehrmachtssoldat und Ostfrontkämpfer, angefeuert von interessierten Schülern, ungehemmt revanchistisches Gedankengut. Nils Oskamp kann und will das nicht hinnehmen. Seine vermeintlich neutralen Mitschüler lachen zwar, wenn er Paroli bietet, sich Wortgefechte liefert und aus dem Unterricht fliegt. Aber er ist isoliert und bleibt im unfairen Kampf gegen die Neonazis allein.

Die Gewalt, die die Faschos ausüben, um Andersdenkende mundtot zu machen, ist erschütternd anzusehen. Das sind nicht nur Einschüchterungen. Bei „mundtot“ liegt die Betonung auf dem zweiten Teil, so brutal und hemmungslos wie die Schläger auf ihre Opfer einprügeln. Da gibt es keine Anzeichen von Mitgefühl, Empathie oder Verständnis für den Schmerz des anderen. Ihre Ideologie scheint alle diese Emotionen auszuschalten und jedes Mittel zu rechtfertigen.

Fast ebenso schlimm und wirklich übelkeitserregend ist das Weggucken Außenstehender. Passanten drehen sich weg, Fenster werden geschlossen, Lehrer verkennen Tatsachen und Zusammenhänge. Als auf Oskamp in seinem Elternhaus durch ein Fenster geschossen wird, verharmlosen Polizisten den Anschlag als Luftgewehrstreich und „am Sonntag kommt die Spurensicherung nicht“. Richter ahnden rechtsradikale Verbrechen als Straftaten Minderjähriger und verurteilen Gewalttäter, falls es überhaupt zur Anzeige und einem Verfahren kommt, zu geringen Bewährungsstrafen. Oskamps Eltern sind von familiären und finanziellen Problemen absorbiert.

Das ist wirklich schwer auszuhalten und macht ungeheuer wütend. Nur Tom, eigentlich ein Kumpel seines ebenso ignoranten, älteren und pseudocoolen Bruders, hilft Nils gegen die Neonazis und haut ihn auch mal aus einer brenzligen Situation raus. Kurzzeitig war Tom selbst für die „kameradschaftlichen“, sportlichen Verlockungen der rechtsradikalen Verbände empfänglich, aber sein Verstand hat ihn vor falschen Freunden und deren kranken Ideologien bewahrt.

Umso erstaunlicher und bewundernswerter, dass Oskamp noch als Jugendlicher in einem entscheidenden Moment innehält, nicht mit dem Stein in seiner Hand zum finalen Schlag ausholt, sondern beschließt, mit anderen Mitteln und einer anderen Sprache zu kämpfen. Davon erzählt seine Graphic Novel Drei Steine sehr eindringlich.

Nur wie die Nazis ihre Propaganda so effektiv verbreiten können und was Menschen dafür so empfänglich macht, wird in dieser Geschichte nicht deutlich, insbesondere für jüngere Leser, die wenig von den gesellschaftlichen und historischen Zusammenhängen wissen. Oskamp erzählt aus der Perspektive eines 14-Jährigen. Auch der ausführliche Informationstext am Ende des Buchs ist eher eine zeitgeschichtliche Rekapitulation der erstarkenden Neonaziszene in Dortmund und Westdeutschland.

Drei Steine ist ein starkes Buch, eine eindringliche Graphic Novel. Es ist nur zum Kotzen (sorry für die deutlichen Worte), dass solche Geschichten immer noch und immer wieder erzählt werden müssen.

Elke von Berkholz

Nils Oskamp: Drei Steine, Panini Comics, 2016, 160 Seiten, ab 13, 19,99 Euro