[Jugendrezension] Unzertrennlich

lilly„Ich liebe dich April. Ich liebe dich so sehr, dass ich in der Klinik einbrechen würde, um dich da rauszuholen und zurück nach Hause zu bringen.“

Phoebe und April aus dem Roman Was fehlt, wenn ich verschwunden bin von Lilly Lindner sind Geschwister und lieben sich, trotz kleiner Streitigkeiten, sehr.

Gegenseitig geben sie sich Halt, in einer Familie, die nicht mehr funktioniert, denn ihre Eltern sind maßlos überfordert. Deshalb reagieren sie in den meisten Situationen auch falsch. In den Momenten, in denen ihre Kinder Halt bräuchten, geben sie ihnen keinen. Als April in eine Klinik kommt, weil sie magersüchtig ist, fühlt sich Phoebe oft alleine, obwohl sie ihre guten Freundinnen hat.
Zu Hause ist nichts mehr, wie es vorher war. Das Mädchen wird nicht mehr von ihren Eltern verstanden. Ihr Vater arbeitet viel und ihre Mutter strickt nur noch. Phoebe will auf jeden Fall Kontakt mit April halten, deshalb schreibt sie oft Briefe an sie. Selbst wenn April nicht antwortet, schreibt sie trotzdem immer weiter. Sie erzählt von ihrem Leben zu Hause, von ihren Eltern und Freunden und von den schönen Erinnerungen mit April. Sie vermisst ihre große Schwester sehr und hofft, dass sie bald wieder zurück nach Hause kommt.

Was fehlt, wenn ich verschwunden bin von Lilly Linder ist ein trauriges und herzzerreißendes Buch. Die Beziehung zwischen Phoebe und April ist so stark, dass sie unzertrennlich scheint.

Diesen Roman zu lesen war sehr schön, denn er zeigt, wie sehr sich Geschwister lieben können, wenn sie getrennt sind und nicht mehr den ganzen Tag beisammen sind. Gleichzeitig war das Buch nicht nur angenehm, sondern auch sehr traurig, denn es wurde auch von der schlimmen Krankheit Magersucht erzählt. Da Lilly Lindner einen ganz eigenen Schreibstil hat und das Buch nur in Briefen geschrieben ist, kann man es rasch in einem Zug durchlesen. Wegen all diesen guten Sachen kann ich dieses Buch nur weiterempfehlen.

Laura (15)

Lilly Lindner: Was fehlt, wenn ich verschwunden bin, FISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch, 2015, 400 Seiten, ab 14, 9,99 Euro

Liebenswert-hinreißend-absurder Fantasy-Quark

ffordeAuf Wikipedia werden die Romane von Jasper Fforde mit dem schnöden Label „Alternativweltgeschichten“ versehen. Kann man machen, trifft es aber nur rudimentär. Ich wäre geneigt, eher von literarisch-absurd-intertextuellem-urkomisch-ironischem-Größenwahn zu sprechen.
Jetzt ist endlich Ffordes Jugendroman Die letzte Drachentöterin auf deutsch erschienen, übersetzt von Isabel Bogdan. Und auch der haut genau in diese Kerbe.

Wie in Ffordes Thursday-Next-Reihe spielt die Drachentöterin in einem zerfallenen Ununited Kingdom, von dem man noch Reste des britischen Empires zu erkennen meint, dann aber doch wieder durch die wahnwitzigen Absurditäten auf völlig andere Fährten gesetzt wird. Lässt man sich darauf ein, erlebt man das Abenteuer von Jennifer Strange, fast 16. Sie leitet Kazam, die Vermittlungsagentur für Magier, und betüddelt alternde Zauberer, die sich gegen das Abklingen der Magie und billigere Konkurrenten wehren müssen.
Als die Präkogniker eines Tages den Tod des letzten Drachen voraussagen, ändert sich Stranges beschauliches Leben schlagartig, denn sie ist ausersehen, das Schuppentier ins Jenseits zu befördern. Der Drache Maltcassion selbst lebt in einem abgegrenzten Reich, dessen magisch abgesicherte Hochspannungsgrenze jeden Eindringling, außer der Drachentöterin, sofort verpuffen lässt.  Nach seinem Tod jedoch würde diese Grenze fallen und das weite, unberührte Land könnte von Siedlern besetzt werden.
Da sich die Nachricht von Maltcassions bevorstehenden Tod natürlich in Windeseile herumspricht, sammeln sich die Menschen an der Grenze zum Drachenland, die Könige verschiedener Länder versuchen bei Strange, der auf einmal wichtigsten Person in Ununited Kingdom, Strippen zu ziehen und ihre Macht spielen zu lassen, Medien und Sponsoren stürzen sich auf sie … nur hat Jennifer Strange ganz andere Dinge im Sinn.

Plotmäßig kann ich hier natürlich nicht mehr erzählen, das wäre doch zu fies. Allerdings sei gesagt, dass es Fforde mit einer faszinierenden Leichtigkeit, die auch der frech-forsch-flappsigen Übersetzung von Isabel Bogdan geschuldet ist, sprechende Fantasy-Drachen-Smaug-Reminiszensen so mit Medien- und Gesellschaftskritik zu verheiraten, dass es eine Wonne ist. Die Gier von Regierenden, Medienschaffenden und normalem Volk trifft auf ein kämpferisches Mädchen, das sich von nichts und niemandem einschüchtern lässt und auch auf scheinbar unabänderliche Voraussagen pfeift. Man kann nicht anders, man schließt Jennifer Strange ins Herz – zusammen mit ihrem merkwürdigen tierischem Begleiter, dem furchterregend aussehenden, aber zutiefst sanftmütigen Quarktier.

Die Absurditäten in Ffordes Geschichten (Marzipan als Droge, Bananen zum Schwerterschleifen, Magier, die Leitungen verlegen und anderes mehr) und der Ideenreichtum des Autors suchen meines Erachtens seines Gleichen. Und unterhalten ganz vorzüglich. So finde ich es sehr bedauerlich, dass längst nicht alles von Jasper Fforde auf deutsch erschienen ist. Ich kenne eigentlich keine andere Fantasy-Literatur, die so grandios mit Verweisen auf andere literarische Werke (die ich hier beileibe nicht alle erkannt habe, was aber dem Vergnügen überhaupt keinen Abbruch tut) spielt und gleichzeitig die absurden Auswüchse unserer Gesellschaft aufdeckt. Davon will ich mehr. Möge also „The Song of the Quarkbeast“, der Nachfolge-Band der Drachentöterin, nicht erst in drei Jahren hier zu lesen sein …

Jasper Fforde: Die letzte Drachentöterin, Übersetzung: Isabel Bogdan,  Lübbe ONE, 2. Aufl. 2015, 252 Seiten, ab 14, 14,99 Euro

[Gastrezension] Auf der Suche nach dem Vater

„Hugo wusste ja gar nicht, dass er Vater war. Plötzlich tat er mir leid, denn eigentlich war es wie bei Hunden. Wenn man einen kleinen Hund bekam, musste man ihm beibringen, dass er nicht drinnen pinkeln durfte und ordentlich an der Leine laufen musste. Genauso mussten Väter viel lernen. Sie durften nicht auf der Straße singen, nicht komisch mit der Kellnerin rumscherzen und keine doofen Klamotten tragen“, überlegt der zehnjährige Samuel, der in den Ferien einem Mädchen hilft, ihren Vater kennenzulernen. Eine erfrischende Neuinterpretation des alten Spruchs „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr“ ist diese wunderbar seltsame Woche mit Tess. Und ebenso der furiose Roman Fünf Dinge, die ich über meinen Vater weiß. In diesen zwei Büchern, übrigens beide von jungen Niederländerinnen geschrieben, suchen Mädchen nach ihren Vätern – ein klassisches Thema, das in Zeiten moderner Familienstrukturen und Lebensformen spannend und herzzerreißend schön erzählt wird.

So weiß Kiki njongmanur fünf Dinge über ihren Vater, genau genommen nicht mal die mit Sicherheit, da sie lediglich auf vagen Erinnerungen ihrer Mutter beruhen. Weil das der 14-Jährigen aber nicht reicht, macht sie sich mit ihrer besten Freundin Lottie, einer begnadeten Zeichnerin aus einer glücklichen Familie, auf die Suche, nach dem Mann, der mehr sein soll als nur ihr Erzeuger. Außerdem hilft ihr Wieger, Exfreund der Mutter, der lange liebevoller Ersatzpapa war, jetzt aber eine eigene Familie und dementsprechend weniger Zeit hat.

Bassist soll Kikis biologischer Vater gewesen sein, und so sammeln die Mädchen Merkmale von bassspielenden Bandmusikern für ein Porträt. Dabei lernen sie die unterschiedlichsten Typen kennen, treten in einige Fettnäpfchen, gewinnen bleibende Eindrücke unter Alkohol, werden nach einem Einbruch verhaftet und stellen ihre Freundschaft auf eine harte Probe. Kiki erzählt flott in raffinierten Zeitsprüngen, mit viel Wortwitz und Selbstironie. Nebenbei spielt Mary Shelleys Roman Frankenstein eine Rolle, selten wurde der Stoff so charmant und mit soviel Sympathie für das Monster adaptiert.

Kiki hat mitreißende Ideen, ist schlau, etwas schräg, manchmal überschießend und ganz schön mutig. So eine Tochter lässt sich nicht mit vermeintlich harmlosen Lügen abspeisen, die in Wahrheit mehr ihrer immer noch ziemlich jungen Mutter helfen.
In 5 Dinge, die ich über meinen Vater weiß von Mariken Jongman krachen Mütter und Töchter mehrfach heftig aufeinander, denn auch Kikis Mama ist mit ihrer Mutter nicht im Reinen. Jahrelang schwelen Streitereien, wie sie wahrscheinlich nur zwischen starken Müttern und selbstbewussten Töchtern ausgetragen werden. Und immer wollen die Älteren nur das Beste für ihre Kinder. Aber die wollen und müssen das für sich selbst entdecken. Und so findet Kiki bei der Suche nach ihrem Vater auch ganz viele andere Dinge heraus – und schließlich ihre eigene, eigenartige, ebenso liebenswerte wie liebevolle Familie.

woltzDass man nicht selbst auf der Suche nach seinem Vater sein muss, um vieles über sich und die eigene Familie zu rauszufinden, erfährt Samuel, als er Tess begegnet. Im Roman Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess von Anna Woltz trifft der grüblerische Zehnjährige, von seinem älteren Bruder gehässig „Professor“ genannt,  das nur ein Jahr ältere, aber gut einen Kopf größere Mädchen in den Ferien auf der niederländischen Insel Texel. Und kaum hat sie ein paar merkwürdige Fragen auf ihn abgefeuert, übt sie auch schon Walzer mit ihm – denn „der Rest meines Lebens hängt davon ab“, sagt Tess. Ihre burschikose, selbstbewusste Mutter meint zwar, auf Männer könne man gut verzichten, trotzdem hat Tess ihren Vater durch schlaue Recherchen ausfindig gemacht und nun auf die Insel gelockt, ohne ihm zu verraten, dass sie seine Tochter ist. Sie will ihn erst kennenlernen und dann entscheiden.

Samuel ist eigentlich zu verkopft für soviel Spontanität. Außerdem übt er gerade, sich gegen Gefühle abzuhärten, um nicht vom Kummer überwältigt zu werden, wenn jemand Geliebtes stirbt. Die Beerdigung des Vaters einer Klassenkameradin hat ihn dazu gebracht. Ganz anders Tess, die ein Feuerwerk unterschiedlichster Emotionen ist, für Samuel ebenso faszinierend wie rätselhaft. Sie konfrontiert ihn auch erstmals mit einem feministischen Dilemma: Zum Beispiel ist Tess überzeugt, dass Frauen sich zu oft entschuldigen, und lässt es folglich bleiben, obwohl ihr tollkühner Plan auch mal schiefgeht und sie Samuels Hilfe braucht.

Samuel ist ein exzellenter Beobachter, trotzdem kann er sich nicht auf alles einen Reim machen. Aber wer so tolle, treffende Begriffe wie Dünenkaninchen und Schienbeinmuskelkater in einem Zusammenhang verwendet, versteht und erlebt mehr als andere. Diese Ferienwoche ist spannend, abenteuerlich, verrückt, lustig, kurios und philosophisch. Regine Kehns mal prägnante, mal leicht versponnene Bilder untermalen das sehr schön. Seltsam? Vielleicht. Wunderbar? Definitiv! Wie Tess’ funkelnde Pünktchenaugen.

Elke von Berkholz

Mariken Jongman: 5 Dinge, die ich über meinen Vater weiß, Übersetzung: Birgit Erdmann, Carlsen, 2015, 252 Seiten, ab 14, 10,99 Euro

Anna Woltz: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess, Übersetzung: Andrea Kluitmann, Illustrationen: Regina Kehn, Carlsen, 2015, 176 Seiten, ab 10, 10,99 Euro

 

 

Iiiiiiehhh … ähhh … wie cool!

ekligOkay, reden wir Tacheles: Das Leben steckt voll richtig ekliger Dinge wie Körperausscheidungen aller Art, Kriech- und Krabbeltieren, Nagern, Abfall und Abgasen … und gleichzeitig sind diese auch überaus faszinierend, so dass man sich mit einem wohligen Schauer immer wieder mit ihnen befasst.
In dem Sachbuch Voll eklig! von Bärbel Oftring kann man nach Lust und Laune den ekligsten Substanzen und Getieren auf den Grund gehen. Wie entstehen Pickel? Warum mögen wir weder Zecken noch Kakerlaken? Warum ekeln wir uns vor Kot, Kotze, Blut, Urin, Ohrenschmalz und Popeln? Wie wurde in früheren Zeiten gekackt, als es noch keine Wasserklosetts gab? Antworten liefert Oftring in kurzen, aber sehr aufschlussreichen Texten, so dass der Ekelfaktor nicht überstrapaziert wird. Quizfragen und Forscheraufgaben reizen dann das eigene Wissen heraus oder machen dem Leser bewusst, wie er mit einem dieser Ekelthemen umgeht.

Ekel ist kein angeborener Instinkt, sondern von Eltern, Familie und der Gesellschaft, in der wir leben, anerzogen. Dabei hat die Gefühlsmischung aus Abneigung und Widerwillen durchaus einen Sinn, schützt sie uns doch vor Gefahren und Krankheiten. Allerdings können wir bei gewissen ekligen Dingen den Ekel auch wieder verlernen, zum Beispiel mit Hilfe von Oftrings „Nicht-mehr-ekeln-Tipps“.

Das Schöne an Bärbel Oftrings Buch ist, dass es ohne Tabus daherkommt, die Dinge klar beim Namen nennt, um die im normalen Leben meist verschämt herumgeredet wird. Die Fotos und Illus entsprechen dieser Offenheit, so dass man sich zwar manchmal überwinden muss, gleichzeitig aber auch seinem Voyeurismus ungehemmt freien Lauf lassen kann. Durch die vielen Mitmachelemente – man kann ankreuzen, ausfüllen, rätseln, am Ende eine persönliche Ekel-Hitparade aufstellen – führt sie fast nebenbei das wissenschaftliche Prinzip des Hinterfragens und genau Ansehens ein. Den Kindern macht sie so klar, dass das Ekeln durchaus okay ist, aber dass man auch unangenehme Dinge hinterfragen kann und sollte. Dass die Kids – und die erwachsenen Leser ebenso – ganz nebenbei dazu noch eine Menge über Hygiene, andere Kulturen, Geschichte, Biologie und das menschliche Leben lernen, ist da fast nebensächlich. Und nach der Lektüre kann es durchaus passieren, dass manches auf einmal gar nicht mehr so eklig ist …

Bärbel Oftring: Voll eklig! 55 eklige Dinge und was dahinter steckt, Haupt, 2014, 129 Seiten, ab 8, 19,90 Euro

[Jugendrezension] Voll normal

schrockeIn dem Buch Mein Leben und andere Katastrophen von Kathrin Schrocke geht es um die 13-jährige Barnie, mit richtigem Namen Bernadette, ein eigentlich ganz normales Mädchen, mit dem einen Unterschied, dass sie statt Vater und Mutter zwei Väter hat.

Wie ist das Leben wohl mit zwei Vätern? Im Grunde genommen passiert nichts Ungewöhnliches in ihrem Leben. Barnie ist ein klein wenig verliebt in Sergej, der sie allerdings nicht beachtet, die Schule ist wie immer langweilig und ein neues Handy bekommt sie leider auch nicht.
Doch an einem ganz gewöhnlichen Schultag kündigt ihre Lehrerin der Klasse ein besonderes Projekt an. Die ganze Klasse soll sich, aufgeteilt in zweier Gruppen, jeweils für zwei Wochen um eine Babypuppe kümmern.
Natürlich möchte Barnie dies gemeinsam mit ihrer besten Freundin machen, solange, bis Sergej plötzlich anbietet, die Vaterrolle zu übernehmen. Barnie’s beste Freundin ist total sauer auf Barnie, dennoch nimmt Barnie das Angebot von Sergej an.
Nun kommt Sergej jeden Tag zu Barnie nach Hause, doch bei einem seiner Besuche trifft er auf die beiden Väter. Was daraufhin Blödes passiert, das musst du nun selbst herausfinden…

Ich finde das Buch Mein Leben und andere Katastrophen lustig und spannend, außerdem gibt es ein vollkommen unerwartetes Ende.
Ich empfehle das Buch Mädchen im Alter zwischen 10 und 13 Jahren und hierbei besonders denjenigen, die gern einmal ausprobieren möchten, wie es wäre, ein kleines Baby zu haben…

Bücherwurm (13)

Kathrin Schrocke: Mein Leben und andere Katastrophen, FISCHER Sauerländer, 2015, 
192 Seiten, ab 12, 12,99 Euro

#AufDieStiefelTreten

naziDer NSU-Prozess in München verzeichnet bis jetzt bereits über 200 Verhandlungstage. Ich muss zugeben, dass ich dieses gerichtliche Trauerspiel nicht täglich mitverfolge und nur rudimentär über die bisherigen Erkenntnisse Bescheid weiß. Wären allerdings bahnbrechende Ergebnisse zu vermelden gewesen, hätte ich das sehr wohl mitbekommen. Es wird aber nichts vermeldet.
Wenn ich die Protokolle auf NSU-Watch nachlese, ist das eine eher mühsame Angelegenheit, was sowohl an den ausgesagten Erinnerungsfragmenten, als auch an der nicht besonders ausgefeilten Sprache der Protokolle liegt. Das ermüdet und bringt mich nicht wirklich weiter.

Weiter gebracht hingegen, was die möglichen Beweggründe des NSU und die Vorgänge in der rechten Szene angeht, hat mich die grafische Reportage Weisse Wölfe von David Schraven und Jan Feindt. In harten schwarzweißen Panels, denen oftmals stark gerasterte Fotos zugrunde liegen, erzählen die Autoren von der Recherche eines Journalisten in der rechten Szene. Er will ergründen, warum die Thüringer Terrorzelle gerade in Dortmund einen unschuldigen Türken ermordet hat. Er taucht tief in die Szene ein, redet mit einem rechten Aussteiger, der seinen Weg vom orientierungslosen Punk zum knallharten Skin erzählt, trifft einen Verfassungsschützer, der von ermittelten, aber der Öffentlichkeit unterschlagenen Erkenntnissen berichtet. Daneben zitieren Schraven und Feindt aus dem verbotenen rassistischen Roman „The Turner Dairies“ von 1978, der in der rechten Szene als Blaupause für den rassistischen Untergrundkampf gegen das System gehandelt wird.

Die Lektüre ist durchaus anstrengend, denn die vielen Infos fordern den Leser enorm und manches ist erzähltechnisch etwas verwirrend. Zudem macht der Lebensweg des Punks hin zum Skin ziemlich wütend und ratlos. Dennoch ist der Erkenntnisgewinn, wie die rechte Szene tickt, sich organisiert und sich finanziert, extrem wertvoll. Schravens Recherchen und Schlussfolgerungen erklären eindrücklich, dass die Neonazis sich inspiriert durch die Turner Dairies europaweit dem führerlosen Krieg gegen das System verschrieben haben – wovon der Verfassungsschutz und die Regierungen durchaus wissen, es aber gepflegt ignorieren und klein reden. Ernsthaft, man könnte kotzen, nachdem man Weisse Wölfe gelesen hat. Sowohl wegen des einen, als auch wegen des anderen.

Zum Glück lässt das Recherchebüro CORRECT!V, zu dem David Schraven gehört und in dem die Graphic Novel erschienen ist, einen nicht mit diesem Frust allein, sondern schlägt auf ihrer Website http://weisse-woelfe-comic.de/ fünf Maßnahmen vor, wie man gegen gewaltbereite Nazibanden antreten und ihre Organisation aushöhlen könnte. Zwar habe ich keinen Einfluss auf die Ausbildung in der Polizei und die Arbeit der Finanzämter, aber virtuell kann ich denen durchaus #AufDieStiefelTreten.
Damit dieses Wissen um Strukturen und Hintergründe möglichst viele erreicht, haben die Macher die Graphic Novel auf ihrer Website auch kostenlos ins Netz gestellt. Mögen viele dorthin surfen, aber mögen noch viel mehr diesen Comic kaufen, denn auch so ein Werk entsteht nicht aus dem Nichts …

David Schraven/Jan Feindt: Weisse Wölfe. Eine grafische Reportage über rechten Terror, Nachwort: Thomas Kuban und David Schraven, CORRECT!V,  2015, 225 Seiten, 15 Euro

Happy Birthday, Pippi Langstrumpf!

pippiIn diesen Tag jährt sich nach all den Kriegende-Rückblicken noch ein Jahrestag: Vor 70 Jahren erblickte Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf das Licht der Buchwelt.

Aus diesem Anlass zeigt Arte am 24. Mai 2015 den Dokumentarfilm Astrid Lindgren der Schwedin Kristina Lindström.
Im Film taucht man ein in die Welt von Astrid Lindgren, die am 14. November 1907  in der Nähe von Vimmerby geboren wurde. In historischen Filmaufnahmen sieht man den Viehmarkt von Vimmerby und leicht unscharfe Aufnahmen von Astrid Ericsson, so ihr Mädchenname, mit großen weißen Schleifen im Haar. Filmemacherin Lindström rollt das Leben der Schriftstellerin auf, die bereits als Kind zu schreiben begann und schon früh als die „Selma Lagerlöf von Vimmerby“ bezeichnet wurde. Lindgren ist rebellisch, lässt sich als erste im Dorf einen Bubikopf schneiden, liebt das Kino und den Jazz. Sie macht ein Zeitungsvolontariat und wird mit 18 schwanger. Es ist keine Liebe. Heimlich bringt sie ihren Sohn Lars in Kopenhagen zur Welt und gibt ihn zu einer Pflegemutter – was sie ihr Leben lang bereuen wird, wie dieser Film sehr eindrücklich zeigt. Drei Jahre später holt sie den Sohn nach Schweden, doch erst 1931, als sie Sture Lindgren heiratet, kann sie sich richtig um ihn kümmern und Mutter sein. Die Jahre der Trennung vom Sohn haben Astrid Lindgren tief geprägt.

pippiNeben den Daten zu Astrid Lindgrens Biographie offenbart der Film zudem die Einflüsse, künstlerischer und familiärer Art, die in die Bücher der Schriftstellerin eingeflossen sind.
Es gibt hinreißende Ausschnitte aus dem Stummfilm „Through the Back Door“ von 1921, in dem Mary Pickford anfangs eine aufmüpfige 10-Jährige spielt. Lindgren liebte scheinbar die Filme von Pickford. Man sieht hier quasi eine frühe Version von Pippi, die auf Schrubberbürsten den Fußboden putzt und ein Pferd am Schwanz zieht.
Auch wie Lindgren die politischen Entwicklungen während des zweiten Weltkriegs allegorisch verarbeitet, macht der Film deutlich.

Das Schreiben hat Astrid Lindgren über ihren Schmerz geholfen. Wenn sie schrieb, ging es ihr gut, wird berichtet. Dann tauchte sie wieder ein in eine glückliche Kindheit. Ihre eigene endete, als sie schwanger wurde. Sie entwickelte aus ihren bitteren Erfahrungen als ledige junge Mutter den Respekt für die Kindern, der aus ihren Geschichten strahlt, und für den wir sie so lieben. So berichtete Oetinger-Verlegerin Silke Weitendorf im Gespräch nach der Filmvorführung, dass Lindgren sie in persönlichen Begegnungen nie mit lästigen Erwachsenenbemerkungen genervt hat, sondern sie immer fragte: „Bist du ein glückliches Kind?“
Das Glück der Kinder lag Lindgren am Herzen. Den Erwachsenen hat sie es in ihrer Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1978 noch einmal ganz deutlich und unmissverständlich gesagt: Niemals Gewalt gegen Kinder. Auch daran erinnert der Film.

Ursprünglich war dieser Film in der schwedischen Originalfassung drei Stunden lang. Für das deutsche Publikum wurde er auf 52 Minuten gekürzt – was ich sehr schade finde, den Astrid Lindgren ist so eine interessante Frau gewesen, dass man eigentlich nicht genug über sie erfahren kann …
Doch auch nach dieser kurzen Version ist man von Astrid Lindgren tief beeindruckt und liebt sie nun noch mehr. Ihre Bücher werde ich nun mit einem geweiteten Blick und diesem wichtigen Hintergrundwissen erneut lesen.

Astrid Lindgren. Ein Film von Kristina Lindström. Deutsche Fassung: Claudia Drexel, 2015, 52 Minuten. Zu sehen auf arte am 24.05.2015 um 22.15 h.

[Gastrezension] Buchstaben des Vergessens

perryPerry, die Protagonistin aus Kate de Goldis Roman Die Anarchie der Buchstaben, hat nicht nur ein exzentrisches Rhythmusgefühl. Perry ist eine brillante Beobachterin, stellt mit den richtigen Fragen die Dinge auf den Prüfstand und malt Bilder, die mehr erzählen als tausend Worte. Allerdings möchte ihre Mutter, eine Psychologin, das einzige Kind, am liebsten permanent beschäftigt wissen, um Perrys unkonventionelle Art im Zaum zu halten. Bis eines Tages der eng gestrickte Stundenplan eine Lücke bekommt – und Perry beschließt, jeden Donnerstag ihre Großmutter Honora Lee im Seniorenheim zu besuchen.
Die hat schon ziemlich viel vergessen, erkennt ihren Sohn, Perrys Vater, nicht mehr, und auch ihrer Enkelin mit dem Jungennamen begegnet sie fast jedes Mal neu. Um Konventionen schert sich die alte, agile Dame auch nicht mehr, plündert die Süßigkeitenschubladen und Kleiderschränke ihrer Mitbewohner und stößt mit ihrer sehr direkten, unverblümten Art andere häufig vor den Kopf. Früher war sie Lehrerin mit erfrischenden Unterrichtsmethoden und Inhalten, wie Perry bald herausfindet. Und so beginnt Perry für ihre Oma bei ihren Donnerstagsbesuchen ein ganz individuelles Alphabet zu malen.

Ein Ritual war schon einmal die Initialzündung für eine Geschichte der neuseeländischen Autorin Kate de Goldi, in ihrem gefeierten, herzergreifenden Roman Abends um 10, im Original The ten o’clock question. Damals ging der sensible, sorgenvolle Frankie jeden Abend vor dem Schlafengehen zu seiner Mutter, um von ihr zuverlässig Antworten auf seine Fragen zu erhalten. Und viel über seine ebenso schräge wie liebenswerte Familie zu erfahren.
Jetzt ist es Perry, die immer mehr über ihre Großmutter, die anderen Heimbewohner und die Betreuer, ihre Eltern, über Gedächtnis und Erinnerung herausfindet – über das Universum, das Leben und den ganzen Rest sozusagen. Dabei setzt die Neunjährige mit der orangen Brille Einiges in Bewegung: Sie kann ihren Vater mit seiner Mutter versöhnen, die er übrigens nie Mama, sondern immer nur Honora Lee genannt hat. Perrys Mutter wird gelassener und lernt ihre exzentrische Art zu schätzen.

Nebenbei wächst und gedeiht in verrückter Reihenfolge Honora Lees persönliches „ACB“. Zu lesen – und zu sehen auf den originellen Illustrationen Gregory O’Briens, die wie sehr dynamische Schaubilder wirken.
Die Anarchie der Buchstaben ist eines der charmantesten Bücher über Demenz und das Altern. Kongenial übersetzt von Ingo Herzke, der auch die zahlreichen Reime elegant ins Deutsche übertragen hat.

Der einzige Nachteil des ACB with Honora Lee (so der Originaltitel) ist, dass es so kurz ist, selbst für eine notorische Langsamleserin wie die Rezensentin. Aber das Alphabet hat nur mal nur 26 Buchstaben, egal wie anarchisch man diese durcheinander wirbelt. Trotzdem ist es immer wieder verblüffend, was man mit diesen wenigen kleinen Zeichen alles erzählen und erschaffen kann.

Elke von Berkholz

Kate de Goldi: Die Anarchie der Buchstaben, Illustrationen: Gregory O’Brien, Übersetzung: Ingo Herzke, Königskinder, 2014, 160 Seiten, ab 12, 13,90 Euro

Kreuz & quer durch Prag

pragGeschichten, in denen die Orte eine der Hauptrollen spielen, faszinieren mich irgendwie. Ganz besonders, wenn ich die Städte kenne. Ansatzweise kenne ich Prag – und war daher gespannt, was es mit der City-Crime-Reihe von Andreas Schlüter auf sich hat.

Dieses Mal hat Joanna, Finns Schwester, Karten für ein Popkonzert ihrer Lieblingsband in Prag gewonnen. Die Familie reist für ein Wochenende nach Tschechien und finden sich schon bald in dem Touristentrubel der Karlsbrücke wieder. Hochzeitspaare, Puppenspieler, Menschenmassen, kein Durchkommen. Während Joanna von einem gutaussehenden Marionettenspieler fasziniert ist, bemerkt Finn ein Ehepaar, das nach einem Portmonee sucht. Dabei vergessen sie eine Tüte mit einer Marionette auf der Brücke. Nun kommt eins zum anderen: Die Mutter verknackst sich den Fuß und muss zum Arzt, Joanna will Zeit mit dem Puppenspieler verbringen und Finn will die Marionette zurückgeben. Noch eher sie bis drei zählen können, stecken die Geschwister in einer verwickelten Drogen-Entführungs-Erpressungsgeschichte.

Schlüter gelingt hier das Kunststück, Krimi und Reiseführer in eins zu gießen. Die Helden erkunden nämlich die Stadt und kommen auf der Jagd nach den Bösewichten an den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt vorbei. Die Infos über Prag werden dabei wie selbstverständlich in den Plot eingearbeitet – für junge Prag-Reisende ist das eine sehr unterhaltsame und aufschlussreiche Art, sich über die Stadt zu informieren.
Auch die tschechische Sprache kommt nicht zu kurz. Originalsätze der Einheimischen geben einen klanglichen Eindruck, die Übersetzung des Tschechischen findet sich am Ende des Buches in einem kleinen Wortschatz, der das wichtigste Vokabular für den Kurztripp liefert.

Wer also mit seinen Kindern eine Städtereise nach Prag plant, sollte den Kids diese spannende Reiselektüre mit auf den Weg geben. Sie werden die Stadt mit ganz anderen Augen sehen.

Andreas Schlüter: City Crime – Puppentanz in Prag, Illustration: Daniel Napp, Tulipan, 2015, 192 Seiten, ab 10, 11,95 Euro

Spukgruselig & fußballfiebrig

max

Normalerweise versuche ich, meinen SUB schön der Reihe nach, kontinuierlich durchzulesen – doch es gibt Momente, in denen auch ich alles über den Haufen werfe und mich kopfüber in ein neues Buch ziehen lasse. Aktuell geschehen mit dem zweiten Band der Reihe Max und die Wilde Sieben von Lisa-Marie Dickreiter und Winfried Oelsner.

Da das Personal aus dem ersten Band mir noch lebhaft in Erinnerung war, war ich nach den ersten Sätzen sofort wieder auf Burg Geroldseck, dem Seniorenheim, in dem Max mit seiner Mutter lebt und wo er an Tisch Sieben in Vera, Kilian und Horst allerbeste Freunde gefunden hat. Danach war klar, dass ich das Buch nicht so schnell wieder aus der Hand legen würde. Denn die sympathische Generationsbande muss einen neuen Fall lösen: Vera wird des Nächtens von einer Geisterstimme terrorisiert und um den wichtigen Schlaf gebracht. Die Schauspielerin ist mit den Nerven am Ende und überlegt ernsthaft, das Angebot eines anderen Seniorenheims unten in der Stadt anzunehmen, um endlich wieder Ruhe zu haben.
Die drei „Jungs“ können das natürlich nicht zulassen und nehmen die Ermittlungen auf. Für Max kommt allerdings erschwerend hinzu, dass er in der Schule weiterhin von Ole gemobbt wird und prompt das Probetraining für die Schulfußballmannschaft versemmelt. Dabei ist Max ein echt guter Kicker. Das stellt Horst, der ehemalige Trainer, nach nur fünf Minuten fest.
Zu Maxens Leidwesen interveniert Horst in der Schule und als Ergebnis muss die Schulmannschaft gegen eine Alt-Knacki-Auswahl plus Max antreten. Es geht um die Ehre.
Max erlebt in mehrfacher Hinsicht ein Wechselbad der Gefühle. Die Geisterjagd setzt ihm zu und das mit dem Fußball, dem Mut und der Ehrlichkeit ist auch nicht so einfach zu meistern.

Die Autoren Dickreiter und Oelsner schaffen es erneut, den Leser von der ersten Seite in den Bann zu ziehen. Man freut sich, die alten Bekannten, ja, Freunde, wiederzulesen und fiebert mit Max und Konsorten mit und wird von den diversen Wendungen im Plot und den Wandlungen der Figuren dann doch immer wieder überrascht. Die Auflösungen der beiden Herausforderungen sind sehr lange Zeit nicht offensichtlich und auch nicht vorhersehbar, was ganz fein gemacht ist!
Max und die Wilde Sieben nimmt richtig Fahrt auf, lässt sich hervorragend vorlesen und wird die Leselust von Jungen und auch Mädchen mit Sicherheit befördern. Ein dritter Band ist auch schon angekündigt – mögen noch viele folgen, damit dieses Lesevergnügen noch lange fortdauert …

Lisa-Marie Dickreiter/Winfried Oelsner: Max und die Wilde Sieben – Die GeisterOma, Illustration: Ute Krause, Oetinger, 2015, 272 Seiten,  ab 8, 12 Euro

… und Action!

bilderbuch1Einfach nur schauen, blättern, vorlesen – das war gestern. So könnte man meinen, wenn man die vier Bilderbücher betrachtet, die in diesem Frühjahr bei mir gelandet sind. In jedem steckt ein Goodie, das zum Mitmachen einlädt.

Den Auftakt macht Ulff, ein undefiniertes, schuppiges Ungeheuer, das am liebsten Backenhörnchen verspeist und sich mit seinem Lasso folglich auf Backenhörnchenjagd macht. Doch Ulff ist etwas schusselig und verlegt das Lasso. Irgendwo. Also macht er sich auf nach Irgendwo. Durch den Wald, durch die Stadt, am Flughafen, am Meer, unter Wasser und in der Wüste sucht Ulff.
Dem Leser steht für diese Lektüre eine gestreifte Folie zur Verfügung, die auf jeder dieser Seite bestimmte Elemente der Bilder in Bewegung bringen kann: Räder routieren, Blätter im Baum rascheln, Rauch quillt aus dem Schornstein, die Sonne flimmert, Wellen plätschern. Man muss ein bisschen üben, um die richtige Geschwindigkeit herauszufinden, doch dann  bietet jede Seite eine neue Überraschung.

bilderbuch 2Eine Folie in Form eine Lupe findet sich auch im Magischen Zauberlupenbuch. Man begleitet den Vogel Rotschnabel durch rotgezeichnete Landschaften. Hinter den Bäumen, Ameisenhaufen, der Fabrik, der Großstadt und den Bergen jedoch verstecken sich komplett andere Welten, die erst sichtbar werden, wenn man mit der Lupe darüber fährt.
Hier braucht man ein bisschen Geduld, um alle Details mit der Lupe abzufahren und zu erkunden, denn sie zeigt nur einen kleinen Ausschnitt der großformatigen Seiten.
Doch die zarten Stichzeichnungen befeuern die Fantasie und machen spielerisch klar, dass hinter dem Offensichtlichen manchmal etwas ganz anderes stecken kann.

bilderbuch 3Ohne Folie, dafür mit einem Smartphone oder Tablet erkundet man die Geschichten von Was ist denn hier passiert?
Mittels QR-Code kann man zu den an sich schon skurrilen Bildern nicht weniger merkwürdige und lustige Ultrakurz-Filme laden, die die Geheimnisse der Bilder lüften: von den Hasen im Schnee, der fliegenden Oma im rosa Auto, vom angebissen Schiff auf der einsamen Insel, von Krebsen im Weltall …
Bilder und Filme kommen ohne Worte auf. Die muss man sich als Betrachter selbst ausdenken – doch die Bild-Collagen allein bieten schon so viele Details, die es zu entdecken gilt, dass es ganz viel zu erzählen gibt.

lindberghUnd wer sich dann doch alles lieber vorlesen lassen möchte, der sollte sich die App von Tigerbooks auf sein Tablet laden und sich die animierte Version von Torben Kuhlmanns Lindbergh holen.
Tausend verschiedene Animationen und Soundeffekte stecken in diesem digitalisierten Bilderwerk. Die sepiafarbenen Zeichnungen von Kuhlmann werden fast filmisch animiert. Da wird in die Szene hineingezoomt und -geschwenkt. Diskrete Kreise zeigen den Betrachtern, wo sie die „Action“ in den Bildern anstoßen können: Da gongt dann der Hamburger Michel, die kleine Maus schnüffelt, Mausefallen schnappen zu … Auf manchen Seiten ist man richtig lange beschäftigt, alle Gimmicks ausfindig zu machen.
Allerdings – wer diese digitale Lindbergh-Version kennt, den „Porsche“ unter den animierten Bilderbüchern, ist hinterher von anderen animierten Bücher möglicherweise enttäuscht. Denn so üppig und so liebevoll wie dieses ist kaum ein anderes Buch bis jetzt als Digi-Version umgesetzt worden. Aber es zeigt, was animierte Bilderbücher können und wo die Reise im Digitalen möglicherweise hingehen wird.

Torben Kuhlmann: Lindbergh, Tigerbooks/Oetinger, 2015, ab 5, 1,99 Euro

Julia Neuhaus/Till Penzek: Was ist denn hier passiert? Ein Bilderbuch mit zwölf Trickfilmen. Mit QR-Codes. Tulipan, 2015, 36 Seiten, ab 3, 18 Euro

Agathe Demois/Vincent Godeau: Das magische Zauberlupenbuch, Übersetzung: Barbara  Heller, FISCHER Sauerländer, 2015, 32 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

Katja Alves/Trixi Schneefuß: Ulff, die Backenhörnchen und eine irre VerfolgungsjagdBewegte Bilder wie durch Zauberhand,  mixtvision, 2015, 32 Seiten, ab 4, 16,90 Euro

Demokratisch von klein auf

demokratieEin Freund sagte neulich zu mir: „Mit Demokratie kann man sich auch den Abend verderben.“ Ja, möchte man manchmal seufzen – aber was wären die Alternativen zur Demokratie? Mir fällte keine ernstzunehmende ein. Und so anstrengend Demokratie also sein mag, so wichtig ist sie.

Dass man die Grundprinzipien von freien Wahlen,  Mehrheitsvotum und Volksvertretung auch schon den ganz jungen Menschen beibringen kann, zeigt Juli Zeh in ihrem Kinderbuch Jetzt bestimme ich, ich, ich!
Anhand der vierköpfigen Familie Wiefels spielt sie verschiedenen Formen von Entscheidungsfindung durch, damit es nicht immer so viel Streit am Abendbrottisch gibt. Angefangen beim „Bestimmer-Karussell“, in dem immer einer dem nächsten sagt, was er zu tun hat, über das Auslosen, wer was im Haushalt machen soll, bis hin zur Bildung eigener Mini-Reiche im Haus, wo jeder machen kann, was er will.
Doch nichts bringt die Familie wirklich weiter. Entweder ist durch das Bestimmer-Karussell nur grüner Salat zum Abendbrot da, oder alle verziehen sich in ihre Mini-Reiche und leben nicht mehr wirklich miteinander, sondern aneinander vorbei. Auch die einfachen Abstimmungsverfahren bringen die Wiefels nicht richtig weiter, da es zu oft unentschieden steht.
Erst als eine „Regierung“ gewählt wird, nach einem aufregenden Wahlkampf mit Luftballons und Wahlplakaten, kehrt die Zufriedenheit in der Familie ein.

Juli Zeh kommt in dieser Geschichte ohne schwieriges Polit-Vokabular aus und macht es jungen Lesern damit leicht, die Grundprinzipien unserer Staatsform zu verstehen. So wie heute der Umgang mit technischem Gerät wie Smartphones und Tabletts für kleine Menschen schon fast selbstverständlich ist, kann mit dieser Lektüre auch das Bewusstsein für demokratisches Verhalten früh geweckt werden. Denn das, was für einen selbstverständlich zum Leben dazu gehört, lässt man sich auch nicht so leicht nehmen. Anderen undemokratischen Strömungen und Tendenzen wird damit von Anfang an der Nährboden entzogen – zumindest hoffe ich das. Daraus folgt eigentlich die Empfehlung, dass dieses kleine, aber ganz feine Buch in keiner Familie mit kleinen Kindern und in keinem Kindergarten fehlen darf.

Juli Zeh: Jetzt bestimme ich, ich, ich! Illustration: Dunja Schnabel, Carlsen, 2015, 48 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

Es ist nie 2L8 für den Welttag des Buches…

blogger2015v-WUnd wieder ist ein Jahr vergangen und wieder findet die Aktion Blogger schenken Lesefreude am heutigen Welttag des Buches statt. Und wieder mach ich mit, denn man kann gar nicht oft genug Bücher verschenken. Und wieder verschenke ich ein von mir übersetztes Buch, das im Februar auf den Markt gekommen ist. Und wieder spielt die Geschichte dieses Buches in Rom. Ich schwöre, ich habe das nicht so beabsichtigt. Aber mittlerweile nehme ich das als gutes Omen. Also drückt schon mal die Daumen, dass es nächstes Jahr auch wieder eine Rom-Geschichte geben wird und ich dann von Tradition sprechen kann …

Doch jetzt mal kurz zu dem Buch: Es trägt den etwas kryptischen Titel 2L8 – gesprochen too late, zu spät – und stammt von Valentina F. Erzählt habe ich von der Vorgeschichte um dieses Buch vor fast einem Jahr hier.
2l8Nun ist 2L8 also seit ein paar Wochen auf dem Markt und alle Fans von Vale, Marco und Mirko können die Irrungen und Wirrungen dieser drei weiterverfolgen, denn eigentlich ist Vale mit Mirko zusammen, doch dann erfährt sie, dass sich Marco verletzt hat … Ihre Gefühle fahren Achterbahn … Ich verrate hier natürlich nicht, wie es ausgeht, aber Valentina F. macht es spannend und entführt die Leser in Mirkos verwunschenes Geheimversteck im Herzen Roms und besucht mit ihnen die Filmstadt Cinecittà.

Fünf Exemplare von 2L8 werde ich hier verlosen. Wenn ihr mitmachen möchtet, schreibt mir bitte bis zum 30. Mai 2015 in das Kommentarfeld, was euch an der Reihe von Valentina F., also an HDGDL, ZDOZM und SGUTS, gefallen hat – oder auch nicht! – und was ihr meint, wie es mit Vale und den Jungs wohl weitergeht …
Am 31.5. lose ich dann die Gewinner aus. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, was ihr mir über die Bücher erzählen wollt.
Ob es einen fünften Band geben wird, kann ich euch leider nicht sagen …

Valentina F.: 2L8 – Too late, Übersetzung: Ulrike Schimming, Fischer Verlag, 2015, 304 Seiten, ab 12, 8,99 Euro

[Jugendrezension] Caesars Leibwächter

römerSelbst die beste Technik hat ihre Fehler. Ein Beispiel dafür gibt das Buch Albert Zweisteins Zeitkanone – Bei den Römern von Heiko Wolz.

Albert hat eine Lichtgeschwindigkeitskapsel gebaut, für die er in Physik eine Eins mit Stern bekommen hat. Doch schon beim ersten Flug geht etwas schief. Eigentlich will Albert nur zum Baumarkt und einen Silizium-Halbleiter kaufen, doch dann landet er im Jahr 49 v. Chr., besser gesagt: Er landet nicht, sondern stößt im Flug gegen ein Pferd.
Die zwei Personen aus dem Wagen, den das Pferd gezogen hat, sind zwar erst wütend, aber als Albert dann klar wird, dass es sich um Römer handelt, und nachdem er sich mit ihnen anzufreunden versucht, sind auch sie gleich netter zu ihm.

Da sie kein Pferd mehr haben, bitten sie Albert, ihren Auftrag zu übernehmen:  Er soll eine Botschaft zu Caesar nach Ravenna bringen. Bis dorthin sei es nicht mehr so weit. Albert sieht aber zu spät im Mini-Computer des Rat-Packs (auch eine seiner Erfindungen) seiner Ratte nach: Es ist doch sehr weit. Trotzdem kommt er nach Ravenna und wird schnell als Leibwächter Caesars eingespannt. Ihm gefällt das römische Leben sehr: die Thermen, in denen er mit Caesar war, das Essen und überhaupt alles. Er muss jetzt Caesar überallhin begleiten, doch Albert versucht, ihn mit raffinierten Tricks aufzuhalten, so zum Beispiel hält er ihn bei einer Eroberung einer Stadt auf: Man solle sie lieber tagsüber einnehmen, um einen besseren Überblick über die Soldaten zu haben.
Er tut das, weil die beiden Römer, die er am Anfang getroffen hat, ihm nämlich seine Kapsel hinterherschicken wollen. Aber das geht aber nur recht langsam. Ob es Albert gelingt, dass sie ihn einholt? Und ob er seiner Leibwächter-Rolle entkommt?

Das Buch eröffnet dem Leser eine andere Möglichkeit, Geschichte kennenzulernen, als in Geschichtsbüchern. Es ist sehr witzig aus Alberts Perspektive geschrieben. Man hat Einsichten in alles, was er denkt, und das macht die Geschichte sehr lebendig. Man kann sich gut vorstellen, dass diese Geschichte passiert sein könnte. Die Fakten und das Geschehen um Caesar werden ziemlich genau wiedergegeben, obwohl natürlich etwas dazuerfunden ist.

Das Buch würde ich ab etwa acht Jahren empfehlen. Ich denke, dass das Buch für eher Jüngere sehr unterhaltsam und lehrreich ist, Ältere es aber kindisch finden könnten.

lector03 (12 Jahre)

Zusatz von lector06 (9 Jahre):

Ich fand das Buch gut, weil es nicht langweilig ist, sondern spannend. Außerdem spricht Albert wie Schüler heutzutage. Ich habe mehr über Caesar und die römische Geschichte gelernt. Auch über das Leben der Römer, z.B. über ihre Villen, habe ich Neues erfahren.

Heiko Wolz: Albert Zweisteins Zeitkanone – Bei den RömernIllustration: Lisa Hänsch, Oetinger, 2015, 144 Seiten, ab 9, 12 Euro

Kammerspiel im Schulbus

park2Die aktuelle Pressemappe des Hanser Verlags zu Eleanor & Park von Rainbow Rowell beinhaltet erschreckend viele Rezensionen aus allen großen Tageszeitungen des Landes. Erschreckend für mich, weil nicht mehr viel bleibt, was man über dieses Buch schreiben kann, was nicht schon längst zu Papier gebracht wurde: Über rothaarige Protagonistinnen, über Romeo und Julia in der Geschichte, über John Greens Lobeshymne, über erste echte Liebe mit 16, das Erwachsenwerden von gemobbten Außenseitern. Für das Buch, die Autorin, die Übersetzerin, den Verlag ist es ein wunderbarer Erfolg, zu dem ich nur gratulieren kann.

Seit gestern ahne ich nun auch, warum die Geschichte um die beiden Teenager, die sich Mitte der 80er Jahre in einem Schulbus näher kommen, dieses Presseecho ausgelöst hat und längst auf der Bestsellerliste zu finden ist.
park4Ich saß – zusammen mit etwa zwanzig anderen Neugierigen – in einem knallgelben Schulbus im Hamburger Schanzenviertel und bekam aus dem Roman vorgelesen.
Die Schauspieler Franziska Hartmann und Julian Greis, die das Hörbuch von Eleanor & Park eingelesen haben, trugen Ausschnitte daraus vor. Was als Lesung gedacht war, entwickelte sich jedoch zu einem sehr vergnüglichen Kammerspiel. Denn die Vortragenden, die so gar nicht wie die Roman-Helden aussahen, schafften es, durch ihre pointierte Artikulation und wohlgesetzten Betonungen der Geschichte so viel Leben einzuhauchen, dass man wirklich mit Eleanor und Park im Schulbus sah. Doch Hartmann und Greis beließen es nicht beim reinen Vorlesen, denn als Kollegen am Hamburger Thalia Theater sind sie ein eingespieltes Team und selbst der beengte Raum von zwei Schulbussitzen reichte ihnen als Bühne. Blicke flogen zwischen ihnen hin und her, die vielleicht mehr andeuteten und sagten als so manche Action.

park3Franziska Hartmann ließ am Zynismus und an der Selbstironie von Eleanor keinen Zweifel. Der 32-jährige Julian Greis mutierte wieder zum unsicheren Teenager, der wie geflasht vor den unfassbaren Vorgängen einer großen Liebe zu stehen schien. Man konnte gar nicht anders: man lauschte, man schaute den beiden zu, genoss jeden Moment, jede hochgezogene Augenbraue, jedes verräterische Zucken um die Mundwinkel. Man sah und hörte den Spaß, den Greis und Hartmann am Lesen und an dieser Geschichte hatten. Man müsste schon ein arg unsensibler Klotz sein, wenn man sich von dieser Begeisterung, mit der hier ein Buch – auch von den Organisatorinnen der Lesung, den Damen der Hörcompany und der Pressefrau des Hanser Verlags – präsentiert wurde, nicht anstecken ließe. Ich jedenfalls habe mich anstecken lassen und bereue es gerade ein bisschen, dass das Buch bis heute auf meinem SUB warten musste. Doch nun werde ich das Versäumte umso rascher nachholen und zwar in der mitreißenden Hörversion – damit ich noch eine Weile mit Eleanor & Park im Schulbus sitzen kann.

Rainbow Rowell: Eleanor & Park.
Übersetzung: Brigitte Jakobeit, Hanser, 2015,  368 Seiten, ab 14, 16,90 Euro
5 Audio-CDs,
 Gesprochen von Franziska Hartmann und Julian Greis, Hörcompany, 2015, 19,95 Euro