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Iiiiiiehhh … ähhh … wie cool!

ekligOkay, reden wir Tacheles: Das Leben steckt voll richtig ekliger Dinge wie Körperausscheidungen aller Art, Kriech- und Krabbeltieren, Nagern, Abfall und Abgasen … und gleichzeitig sind diese auch überaus faszinierend, so dass man sich mit einem wohligen Schauer immer wieder mit ihnen befasst.
In dem Sachbuch Voll eklig! von Bärbel Oftring kann man nach Lust und Laune den ekligsten Substanzen und Getieren auf den Grund gehen. Wie entstehen Pickel? Warum mögen wir weder Zecken noch Kakerlaken? Warum ekeln wir uns vor Kot, Kotze, Blut, Urin, Ohrenschmalz und Popeln? Wie wurde in früheren Zeiten gekackt, als es noch keine Wasserklosetts gab? Antworten liefert Oftring in kurzen, aber sehr aufschlussreichen Texten, so dass der Ekelfaktor nicht überstrapaziert wird. Quizfragen und Forscheraufgaben reizen dann das eigene Wissen heraus oder machen dem Leser bewusst, wie er mit einem dieser Ekelthemen umgeht.

Ekel ist kein angeborener Instinkt, sondern von Eltern, Familie und der Gesellschaft, in der wir leben, anerzogen. Dabei hat die Gefühlsmischung aus Abneigung und Widerwillen durchaus einen Sinn, schützt sie uns doch vor Gefahren und Krankheiten. Allerdings können wir bei gewissen ekligen Dingen den Ekel auch wieder verlernen, zum Beispiel mit Hilfe von Oftrings „Nicht-mehr-ekeln-Tipps“.

Das Schöne an Bärbel Oftrings Buch ist, dass es ohne Tabus daherkommt, die Dinge klar beim Namen nennt, um die im normalen Leben meist verschämt herumgeredet wird. Die Fotos und Illus entsprechen dieser Offenheit, so dass man sich zwar manchmal überwinden muss, gleichzeitig aber auch seinem Voyeurismus ungehemmt freien Lauf lassen kann. Durch die vielen Mitmachelemente – man kann ankreuzen, ausfüllen, rätseln, am Ende eine persönliche Ekel-Hitparade aufstellen – führt sie fast nebenbei das wissenschaftliche Prinzip des Hinterfragens und genau Ansehens ein. Den Kindern macht sie so klar, dass das Ekeln durchaus okay ist, aber dass man auch unangenehme Dinge hinterfragen kann und sollte. Dass die Kids – und die erwachsenen Leser ebenso – ganz nebenbei dazu noch eine Menge über Hygiene, andere Kulturen, Geschichte, Biologie und das menschliche Leben lernen, ist da fast nebensächlich. Und nach der Lektüre kann es durchaus passieren, dass manches auf einmal gar nicht mehr so eklig ist …

Bärbel Oftring: Voll eklig! 55 eklige Dinge und was dahinter steckt, Haupt, 2014, 129 Seiten, ab 8, 19,90 Euro

Die Fragen der Mentalität

kriegFiktive Geschichten über den ersten Weltkrieg habe ich bereits hier, hier und hier vorgestellt. Sie lassen die Geschehnisse für junge Leser lebendig werden, können jedoch immer nur Teile einer komplizierten weltpolitischen Entwicklung anreißen.

Einen Versuch, in einem Sachbuch, die Zeitläufte um den ersten Weltkrieg verständlich zu machen, unternimmt Nikolaus Nützel in seinem Buch Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg. Ausgangspunkt ist für ihn das Schicksal seines Großvaters, der bereits am 24. August 1914 so schwer im Kampf verletzt wurde, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. Für die Familie war dies später immer ein Freudentag, denn für den Großvater war der Krieg damit bereits vorbei.

Dass dies natürlich nicht für alle Soldaten galt, schildert Nützel dann im Folgenden ausführlich, gut verständlich und sehr weitsichtig. Er beschränkt sich nämlich nicht nur auf die Jahre 1914-1918, auf Schlachtendarstellungen, Grabenkämpfe und die Not der Zivilbevölkerung, sondern bindet die Ereignisse in die politischen Strömungen ein und zeigt immer wieder deren Einflüsse bis zum 2. Weltkrieg und bis in unsere Gegenwart auf. Vor allem jedoch macht er die Mentalität und die Denkweisen der Deutschen und ihrer europäischen Nachbarn vor hundert Jahren klar.
Fällt es uns heute schon schwer manche aktuelle Überzeugungen zu verstehen, so erscheint uns das Denken von vor hundert Jahren umso fremder und ferner. Nützel jedoch versteht es, genau dieses Denken zu erklären und einzuordnen.

Das, was im Geschichtsunterricht – zumindest so, wie ich ihn noch erlebt habe – ungeklärt und mysteriös blieb und bleibt, wird hier beantwortet. Allen voran die „Hä-Frage“ (großartig!), nämlich wieso der Mord an dem österreichischen Thronfolgerpaar in Sarajevo den ersten Weltkrieg auslösen konnte. Nützel bringt immer wieder sein persönliches Unbehagen und seine Schwierigkeiten mit ein, die Mentalität von damals zu verstehen. Damit begibt er sich auf eine sehr angenehm unprätentiöse Art auf die Augenhöhe der jungen Leser, die all die geschichtlichen Fakten, die Kriegs-Grausamkeiten und die unverständlichen Winkelzüge von Erwachsenen natürlich nicht sofort verstehen können. Und genau diese Erzählweise, die immer dicht an den Wünschen und Ängsten der Menschen bleibt, macht Nützels Buch auch für Erwachsene zu einer erhellenden Bereicherung.

Das Buch Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg ist mit jeder Menge Bildern, Karten, Original-Dokumenten sowie Glossar, Zeittafel und weiterführender Literatur ausgestattet – und wird damit zu einem überaus vielschichtigen und anregenden Geschichtsbuch, das Lust darauf macht, die Historie genauer zu betrachten.

Nikolaus Nützel: Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg. Was der Erste Weltkrieg mit uns zu tun hat. Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2014, Kategorie Sachbuch, arsEdition, 2014, 144 Seiten,  ab 12, 14,99 Euro