Liebenswert-hinreißend-absurder Fantasy-Quark

ffordeAuf Wikipedia werden die Romane von Jasper Fforde mit dem schnöden Label „Alternativweltgeschichten“ versehen. Kann man machen, trifft es aber nur rudimentär. Ich wäre geneigt, eher von literarisch-absurd-intertextuellem-urkomisch-ironischem-Größenwahn zu sprechen.
Jetzt ist endlich Ffordes Jugendroman Die letzte Drachentöterin auf deutsch erschienen, übersetzt von Isabel Bogdan. Und auch der haut genau in diese Kerbe.

Wie in Ffordes Thursday-Next-Reihe spielt die Drachentöterin in einem zerfallenen Ununited Kingdom, von dem man noch Reste des britischen Empires zu erkennen meint, dann aber doch wieder durch die wahnwitzigen Absurditäten auf völlig andere Fährten gesetzt wird. Lässt man sich darauf ein, erlebt man das Abenteuer von Jennifer Strange, fast 16. Sie leitet Kazam, die Vermittlungsagentur für Magier, und betüddelt alternde Zauberer, die sich gegen das Abklingen der Magie und billigere Konkurrenten wehren müssen.
Als die Präkogniker eines Tages den Tod des letzten Drachen voraussagen, ändert sich Stranges beschauliches Leben schlagartig, denn sie ist ausersehen, das Schuppentier ins Jenseits zu befördern. Der Drache Maltcassion selbst lebt in einem abgegrenzten Reich, dessen magisch abgesicherte Hochspannungsgrenze jeden Eindringling, außer der Drachentöterin, sofort verpuffen lässt.  Nach seinem Tod jedoch würde diese Grenze fallen und das weite, unberührte Land könnte von Siedlern besetzt werden.
Da sich die Nachricht von Maltcassions bevorstehenden Tod natürlich in Windeseile herumspricht, sammeln sich die Menschen an der Grenze zum Drachenland, die Könige verschiedener Länder versuchen bei Strange, der auf einmal wichtigsten Person in Ununited Kingdom, Strippen zu ziehen und ihre Macht spielen zu lassen, Medien und Sponsoren stürzen sich auf sie … nur hat Jennifer Strange ganz andere Dinge im Sinn.

Plotmäßig kann ich hier natürlich nicht mehr erzählen, das wäre doch zu fies. Allerdings sei gesagt, dass es Fforde mit einer faszinierenden Leichtigkeit, die auch der frech-forsch-flappsigen Übersetzung von Isabel Bogdan geschuldet ist, sprechende Fantasy-Drachen-Smaug-Reminiszensen so mit Medien- und Gesellschaftskritik zu verheiraten, dass es eine Wonne ist. Die Gier von Regierenden, Medienschaffenden und normalem Volk trifft auf ein kämpferisches Mädchen, das sich von nichts und niemandem einschüchtern lässt und auch auf scheinbar unabänderliche Voraussagen pfeift. Man kann nicht anders, man schließt Jennifer Strange ins Herz – zusammen mit ihrem merkwürdigen tierischem Begleiter, dem furchterregend aussehenden, aber zutiefst sanftmütigen Quarktier.

Die Absurditäten in Ffordes Geschichten (Marzipan als Droge, Bananen zum Schwerterschleifen, Magier, die Leitungen verlegen und anderes mehr) und der Ideenreichtum des Autors suchen meines Erachtens seines Gleichen. Und unterhalten ganz vorzüglich. So finde ich es sehr bedauerlich, dass längst nicht alles von Jasper Fforde auf deutsch erschienen ist. Ich kenne eigentlich keine andere Fantasy-Literatur, die so grandios mit Verweisen auf andere literarische Werke (die ich hier beileibe nicht alle erkannt habe, was aber dem Vergnügen überhaupt keinen Abbruch tut) spielt und gleichzeitig die absurden Auswüchse unserer Gesellschaft aufdeckt. Davon will ich mehr. Möge also „The Song of the Quarkbeast“, der Nachfolge-Band der Drachentöterin, nicht erst in drei Jahren hier zu lesen sein …

Jasper Fforde: Die letzte Drachentöterin, Übersetzung: Isabel Bogdan,  Lübbe ONE, 2. Aufl. 2015, 252 Seiten, ab 14, 14,99 Euro

[Gastrezension] Auf der Suche nach dem Vater

„Hugo wusste ja gar nicht, dass er Vater war. Plötzlich tat er mir leid, denn eigentlich war es wie bei Hunden. Wenn man einen kleinen Hund bekam, musste man ihm beibringen, dass er nicht drinnen pinkeln durfte und ordentlich an der Leine laufen musste. Genauso mussten Väter viel lernen. Sie durften nicht auf der Straße singen, nicht komisch mit der Kellnerin rumscherzen und keine doofen Klamotten tragen“, überlegt der zehnjährige Samuel, der in den Ferien einem Mädchen hilft, ihren Vater kennenzulernen. Eine erfrischende Neuinterpretation des alten Spruchs „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr“ ist diese wunderbar seltsame Woche mit Tess. Und ebenso der furiose Roman Fünf Dinge, die ich über meinen Vater weiß. In diesen zwei Büchern, übrigens beide von jungen Niederländerinnen geschrieben, suchen Mädchen nach ihren Vätern – ein klassisches Thema, das in Zeiten moderner Familienstrukturen und Lebensformen spannend und herzzerreißend schön erzählt wird.

So weiß Kiki njongmanur fünf Dinge über ihren Vater, genau genommen nicht mal die mit Sicherheit, da sie lediglich auf vagen Erinnerungen ihrer Mutter beruhen. Weil das der 14-Jährigen aber nicht reicht, macht sie sich mit ihrer besten Freundin Lottie, einer begnadeten Zeichnerin aus einer glücklichen Familie, auf die Suche, nach dem Mann, der mehr sein soll als nur ihr Erzeuger. Außerdem hilft ihr Wieger, Exfreund der Mutter, der lange liebevoller Ersatzpapa war, jetzt aber eine eigene Familie und dementsprechend weniger Zeit hat.

Bassist soll Kikis biologischer Vater gewesen sein, und so sammeln die Mädchen Merkmale von bassspielenden Bandmusikern für ein Porträt. Dabei lernen sie die unterschiedlichsten Typen kennen, treten in einige Fettnäpfchen, gewinnen bleibende Eindrücke unter Alkohol, werden nach einem Einbruch verhaftet und stellen ihre Freundschaft auf eine harte Probe. Kiki erzählt flott in raffinierten Zeitsprüngen, mit viel Wortwitz und Selbstironie. Nebenbei spielt Mary Shelleys Roman Frankenstein eine Rolle, selten wurde der Stoff so charmant und mit soviel Sympathie für das Monster adaptiert.

Kiki hat mitreißende Ideen, ist schlau, etwas schräg, manchmal überschießend und ganz schön mutig. So eine Tochter lässt sich nicht mit vermeintlich harmlosen Lügen abspeisen, die in Wahrheit mehr ihrer immer noch ziemlich jungen Mutter helfen.
In 5 Dinge, die ich über meinen Vater weiß von Mariken Jongman krachen Mütter und Töchter mehrfach heftig aufeinander, denn auch Kikis Mama ist mit ihrer Mutter nicht im Reinen. Jahrelang schwelen Streitereien, wie sie wahrscheinlich nur zwischen starken Müttern und selbstbewussten Töchtern ausgetragen werden. Und immer wollen die Älteren nur das Beste für ihre Kinder. Aber die wollen und müssen das für sich selbst entdecken. Und so findet Kiki bei der Suche nach ihrem Vater auch ganz viele andere Dinge heraus – und schließlich ihre eigene, eigenartige, ebenso liebenswerte wie liebevolle Familie.

woltzDass man nicht selbst auf der Suche nach seinem Vater sein muss, um vieles über sich und die eigene Familie zu rauszufinden, erfährt Samuel, als er Tess begegnet. Im Roman Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess von Anna Woltz trifft der grüblerische Zehnjährige, von seinem älteren Bruder gehässig „Professor“ genannt,  das nur ein Jahr ältere, aber gut einen Kopf größere Mädchen in den Ferien auf der niederländischen Insel Texel. Und kaum hat sie ein paar merkwürdige Fragen auf ihn abgefeuert, übt sie auch schon Walzer mit ihm – denn „der Rest meines Lebens hängt davon ab“, sagt Tess. Ihre burschikose, selbstbewusste Mutter meint zwar, auf Männer könne man gut verzichten, trotzdem hat Tess ihren Vater durch schlaue Recherchen ausfindig gemacht und nun auf die Insel gelockt, ohne ihm zu verraten, dass sie seine Tochter ist. Sie will ihn erst kennenlernen und dann entscheiden.

Samuel ist eigentlich zu verkopft für soviel Spontanität. Außerdem übt er gerade, sich gegen Gefühle abzuhärten, um nicht vom Kummer überwältigt zu werden, wenn jemand Geliebtes stirbt. Die Beerdigung des Vaters einer Klassenkameradin hat ihn dazu gebracht. Ganz anders Tess, die ein Feuerwerk unterschiedlichster Emotionen ist, für Samuel ebenso faszinierend wie rätselhaft. Sie konfrontiert ihn auch erstmals mit einem feministischen Dilemma: Zum Beispiel ist Tess überzeugt, dass Frauen sich zu oft entschuldigen, und lässt es folglich bleiben, obwohl ihr tollkühner Plan auch mal schiefgeht und sie Samuels Hilfe braucht.

Samuel ist ein exzellenter Beobachter, trotzdem kann er sich nicht auf alles einen Reim machen. Aber wer so tolle, treffende Begriffe wie Dünenkaninchen und Schienbeinmuskelkater in einem Zusammenhang verwendet, versteht und erlebt mehr als andere. Diese Ferienwoche ist spannend, abenteuerlich, verrückt, lustig, kurios und philosophisch. Regine Kehns mal prägnante, mal leicht versponnene Bilder untermalen das sehr schön. Seltsam? Vielleicht. Wunderbar? Definitiv! Wie Tess’ funkelnde Pünktchenaugen.

Elke von Berkholz

Mariken Jongman: 5 Dinge, die ich über meinen Vater weiß, Übersetzung: Birgit Erdmann, Carlsen, 2015, 252 Seiten, ab 14, 10,99 Euro

Anna Woltz: Meine wunderbar seltsame Woche mit Tess, Übersetzung: Andrea Kluitmann, Illustrationen: Regina Kehn, Carlsen, 2015, 176 Seiten, ab 10, 10,99 Euro

 

 

[Jugendrezension] Voll normal

schrockeIn dem Buch Mein Leben und andere Katastrophen von Kathrin Schrocke geht es um die 13-jährige Barnie, mit richtigem Namen Bernadette, ein eigentlich ganz normales Mädchen, mit dem einen Unterschied, dass sie statt Vater und Mutter zwei Väter hat.

Wie ist das Leben wohl mit zwei Vätern? Im Grunde genommen passiert nichts Ungewöhnliches in ihrem Leben. Barnie ist ein klein wenig verliebt in Sergej, der sie allerdings nicht beachtet, die Schule ist wie immer langweilig und ein neues Handy bekommt sie leider auch nicht.
Doch an einem ganz gewöhnlichen Schultag kündigt ihre Lehrerin der Klasse ein besonderes Projekt an. Die ganze Klasse soll sich, aufgeteilt in zweier Gruppen, jeweils für zwei Wochen um eine Babypuppe kümmern.
Natürlich möchte Barnie dies gemeinsam mit ihrer besten Freundin machen, solange, bis Sergej plötzlich anbietet, die Vaterrolle zu übernehmen. Barnie’s beste Freundin ist total sauer auf Barnie, dennoch nimmt Barnie das Angebot von Sergej an.
Nun kommt Sergej jeden Tag zu Barnie nach Hause, doch bei einem seiner Besuche trifft er auf die beiden Väter. Was daraufhin Blödes passiert, das musst du nun selbst herausfinden…

Ich finde das Buch Mein Leben und andere Katastrophen lustig und spannend, außerdem gibt es ein vollkommen unerwartetes Ende.
Ich empfehle das Buch Mädchen im Alter zwischen 10 und 13 Jahren und hierbei besonders denjenigen, die gern einmal ausprobieren möchten, wie es wäre, ein kleines Baby zu haben…

Bücherwurm (13)

Kathrin Schrocke: Mein Leben und andere Katastrophen, FISCHER Sauerländer, 2015, 
192 Seiten, ab 12, 12,99 Euro

Es ist nie 2L8 für den Welttag des Buches…

blogger2015v-WUnd wieder ist ein Jahr vergangen und wieder findet die Aktion Blogger schenken Lesefreude am heutigen Welttag des Buches statt. Und wieder mach ich mit, denn man kann gar nicht oft genug Bücher verschenken. Und wieder verschenke ich ein von mir übersetztes Buch, das im Februar auf den Markt gekommen ist. Und wieder spielt die Geschichte dieses Buches in Rom. Ich schwöre, ich habe das nicht so beabsichtigt. Aber mittlerweile nehme ich das als gutes Omen. Also drückt schon mal die Daumen, dass es nächstes Jahr auch wieder eine Rom-Geschichte geben wird und ich dann von Tradition sprechen kann …

Doch jetzt mal kurz zu dem Buch: Es trägt den etwas kryptischen Titel 2L8 – gesprochen too late, zu spät – und stammt von Valentina F. Erzählt habe ich von der Vorgeschichte um dieses Buch vor fast einem Jahr hier.
2l8Nun ist 2L8 also seit ein paar Wochen auf dem Markt und alle Fans von Vale, Marco und Mirko können die Irrungen und Wirrungen dieser drei weiterverfolgen, denn eigentlich ist Vale mit Mirko zusammen, doch dann erfährt sie, dass sich Marco verletzt hat … Ihre Gefühle fahren Achterbahn … Ich verrate hier natürlich nicht, wie es ausgeht, aber Valentina F. macht es spannend und entführt die Leser in Mirkos verwunschenes Geheimversteck im Herzen Roms und besucht mit ihnen die Filmstadt Cinecittà.

Fünf Exemplare von 2L8 werde ich hier verlosen. Wenn ihr mitmachen möchtet, schreibt mir bitte bis zum 30. Mai 2015 in das Kommentarfeld, was euch an der Reihe von Valentina F., also an HDGDL, ZDOZM und SGUTS, gefallen hat – oder auch nicht! – und was ihr meint, wie es mit Vale und den Jungs wohl weitergeht …
Am 31.5. lose ich dann die Gewinner aus. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, was ihr mir über die Bücher erzählen wollt.
Ob es einen fünften Band geben wird, kann ich euch leider nicht sagen …

Valentina F.: 2L8 – Too late, Übersetzung: Ulrike Schimming, Fischer Verlag, 2015, 304 Seiten, ab 12, 8,99 Euro

Kammerspiel im Schulbus

park2Die aktuelle Pressemappe des Hanser Verlags zu Eleanor & Park von Rainbow Rowell beinhaltet erschreckend viele Rezensionen aus allen großen Tageszeitungen des Landes. Erschreckend für mich, weil nicht mehr viel bleibt, was man über dieses Buch schreiben kann, was nicht schon längst zu Papier gebracht wurde: Über rothaarige Protagonistinnen, über Romeo und Julia in der Geschichte, über John Greens Lobeshymne, über erste echte Liebe mit 16, das Erwachsenwerden von gemobbten Außenseitern. Für das Buch, die Autorin, die Übersetzerin, den Verlag ist es ein wunderbarer Erfolg, zu dem ich nur gratulieren kann.

Seit gestern ahne ich nun auch, warum die Geschichte um die beiden Teenager, die sich Mitte der 80er Jahre in einem Schulbus näher kommen, dieses Presseecho ausgelöst hat und längst auf der Bestsellerliste zu finden ist.
park4Ich saß – zusammen mit etwa zwanzig anderen Neugierigen – in einem knallgelben Schulbus im Hamburger Schanzenviertel und bekam aus dem Roman vorgelesen.
Die Schauspieler Franziska Hartmann und Julian Greis, die das Hörbuch von Eleanor & Park eingelesen haben, trugen Ausschnitte daraus vor. Was als Lesung gedacht war, entwickelte sich jedoch zu einem sehr vergnüglichen Kammerspiel. Denn die Vortragenden, die so gar nicht wie die Roman-Helden aussahen, schafften es, durch ihre pointierte Artikulation und wohlgesetzten Betonungen der Geschichte so viel Leben einzuhauchen, dass man wirklich mit Eleanor und Park im Schulbus sah. Doch Hartmann und Greis beließen es nicht beim reinen Vorlesen, denn als Kollegen am Hamburger Thalia Theater sind sie ein eingespieltes Team und selbst der beengte Raum von zwei Schulbussitzen reichte ihnen als Bühne. Blicke flogen zwischen ihnen hin und her, die vielleicht mehr andeuteten und sagten als so manche Action.

park3Franziska Hartmann ließ am Zynismus und an der Selbstironie von Eleanor keinen Zweifel. Der 32-jährige Julian Greis mutierte wieder zum unsicheren Teenager, der wie geflasht vor den unfassbaren Vorgängen einer großen Liebe zu stehen schien. Man konnte gar nicht anders: man lauschte, man schaute den beiden zu, genoss jeden Moment, jede hochgezogene Augenbraue, jedes verräterische Zucken um die Mundwinkel. Man sah und hörte den Spaß, den Greis und Hartmann am Lesen und an dieser Geschichte hatten. Man müsste schon ein arg unsensibler Klotz sein, wenn man sich von dieser Begeisterung, mit der hier ein Buch – auch von den Organisatorinnen der Lesung, den Damen der Hörcompany und der Pressefrau des Hanser Verlags – präsentiert wurde, nicht anstecken ließe. Ich jedenfalls habe mich anstecken lassen und bereue es gerade ein bisschen, dass das Buch bis heute auf meinem SUB warten musste. Doch nun werde ich das Versäumte umso rascher nachholen und zwar in der mitreißenden Hörversion – damit ich noch eine Weile mit Eleanor & Park im Schulbus sitzen kann.

Rainbow Rowell: Eleanor & Park.
Übersetzung: Brigitte Jakobeit, Hanser, 2015,  368 Seiten, ab 14, 16,90 Euro
5 Audio-CDs,
 Gesprochen von Franziska Hartmann und Julian Greis, Hörcompany, 2015, 19,95 Euro

[Jugendrezension] Totale Kontrolle

trojaDie USA in nicht allzu ferner Zukunft: Das Gesundheitswesen ist grundlegend erneuert worden. Jeder Mensch trägt im Körper winzige Nanobots, die den Körper rund um die Uhr bewachen und sogar kleine Operationen durchführen.

Doch sie können noch viel mehr. Als der frischgebackene FBI-Agent Nico Stiller für das Geheimprojekt TROJA rekrutiert wird, erfährt er, dass man mithilfe der Nanobots am Sehnerv einer Person andocken kann. Ideal für die Geheimdienste.
Auch Nico ist zunächst begeistert. Mit seinem Team hat er die Aufgabe, eine junge Frau namens Beta Matsui zu observieren. Doch ist sie wirklich eine Terroristin? Und was passiert mit den Agenten, wenn sie aus dem Projekt aussteigen?
Nico beginnt, misstrauisch zu werden. Er weiß, dass er sich in Lebensgefahr begibt, wenn er sich gegen das System stellt. Denn die Spione sind in seinem eigenen Körper …

T.R.O.J.A. Komplott von Ortwin Ramadan erhält alle Elemente eines klassischen Thrillers. Die Geschichte wird in einer flotten, flüssigen Sprache erzählt. Die Handlung ist spannend und mit vielen unvorhersehbaren Wendungen. Besonders gut hat mir gefallen, dass die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Nico, Beta und dem Erfinder der Nanotechnologie erzählt ist. Eine Person weiß mehr als die andere, und der Leser erahnt, dass an der ganzen Nanotechnologie etwas faul ist.

Das Erschreckende ist, dass der Roman eine nicht unrealistische Zukunft beschreibt. Wir leben in einer Welt, die immer mehr technisiert ist. Wer weiß, ob man nicht irgendwann auf die Idee kommt, die Menschen mit Nanobots zu versehen, um Gesundheitskosten zu sparen? Es gibt bereits Forschungen zu Nanobots. Einzelne der beschriebenen Umsetzungen existieren sogar schon. Aber noch ist die Wissenschaft nicht in der Lage, diese Ergebnisse zu einem autonomen Roboter zusammenzubauen.

Ortwin Ramadans Buch zeigt, was das bedeuten könnte: Totale Kontrolle! Gesundheit ist Pflicht, ansonsten wird man auf eine rote Liste gesetzt und muss Strafe zahlen. Ganz zu schweigen von dem Nutzen, den die Geheimdienste haben würden. Man könnte jegliche Daten über eine Person abfragen und sie überall orten.

Der realistische Hintergrund hat die Geschichte für mich noch spannender gemacht. Deswegen kann ich es nur weiterempfehlen!

Juliane (16)

Ortwin Ramadan: T.R.O.J.A. Komplott, Mitarbeit: Martina Eisele, Coppenrath, 2015, 384 Seiten, ab 14, 16,95 Euro

Gegen Unterdrückung, gegen Hass

nuriIch bin fertig. Völlig fertig. Und zwar in zweifacher Hinsicht. Eben haben ich den Roman Sommer unter schwarzen Flügeln von Peer Martin beendet. Nach überdurchschnittlich langer Lesezeit. Aber es ging nicht schneller. Denn die Geschichte von Nuri und Calvin ist keine leichte Kost. Zumal die aktuellen Nachrichten aus Syrien und Tröglitz die reale Bestätigung von Martins Fiktionalisierung sind. Aber der Reihe nach.

Martin erzählt von der 18-jährigen Nuri, die mit ihrer Familie vor dem Krieg aus Syrien geflüchtet ist und nun in einem Flüchtlingsheim in Stralsund lebt. Eines Tages trifft sie bei der alten Jüdin Frau Silbermann auf Calvin, ebenfalls 18, der seine jüngeren Brüder vom Nachhilfeunterricht abholt.
Calvin ist Neo-Nazi, mit Springerstiefeln, rechten Tattoos am Körper und rechten Ideen im Kopf. Die Asylbewerber sind für ihn und seine rechte Clique das Feindbild schlechthin. Dennoch ist er von der schwarzlockigen Nuri vom ersten Moment fasziniert.
Nuri beginnt, ihm von der Revolution, den Misshandlungen durch die Geheimdienstleute, dem Krieg und den Zerstörungen in Syrien zu erzählen.
Will Calvin das alles anfangs überhaupt nicht hören, entwickeln Nuris Geschichten jedoch so einen Sog, dass er immer mehr in die untergegangene Welt Syriens eintaucht. Immer öfter begegnen sich Nuri und Calvin. Zuerst zufällig, dann ganz gezielt. Nuri weiß um Calvins politische Einstellung, doch seine grünen Augen und seine Sommersprossen lassen sie nicht mehr los. Über viele, viele Seiten entwickelt sich ganz langsam eine große Liebe zwischen den beiden. Und Calvin fängt genauso langsam an, seine politische Einstellung abzulegen.
Immer größer wird der Zwiespalt in ihm: Nach außen macht er noch in seiner Clique mit, wird der neue Anführer, plant etwas „Großes“ gegen die Asylanten, innerlich jedoch geht er immer mehr auf Abstand, hintergeht die alten Freunde, fängt an Arabisch zu lernen.
Seine Kameraden werden misstrauisch, und als die Polizei ihre Laube im Kleingartenverein durchsucht und gehortetes Benzin sicherstellt, wird eine Gewaltspirale in Gang gesetzt, die bis zur letzten Seite andauert.

Martins Roman erzählt zwei Geschichten in einer. Ich war hin- und hergerissen zwischen den Welten, manchmal wollte ich den Wechsel nicht. Doch es fügt sich hervorragend zu einem erschreckend aktuellen Bild und spannenden Plot zusammen. Die Ereignisse in Syrien rollt Martin durch Nuris Erzählungen akkurat recherchiert von Anfang an auf, man wird daran erinnert, wie alles vor nur wenigen Jahren begann. Die Bilder in den Nachrichten und im Internet betrachtet man nach dieser Lektüre mit anderen Augen, mit Nuris Augen, und hat wie Calvin den Eindruck dort gewesen zu sein. Es nimmt einen mit, im Guten wie im Schlechten.
Auf eine andere Art erschreckend sind die Einblicke, die Martin in die rechte Szene Deutschlands gewährt. Lange hat er als Sozialarbeiter mit Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten gearbeitet und dort den Rechtsextremismus täglich erlebt. Diese Erfahrung schlägt sich in authentisch gezeichneten Szenen, Dialogen und Ansichten der Figuren wieder. Man mag es eigentlich nicht lesen, so real kommen die Diskussionen in der Clique daher. Doch Martin gelingt es, dass keine Verherrlichung dieses Gedankengutes aufkommt. Denn Calvins Zweifel und sein Wandel zum Aussteiger widerlegen die irrsinnigen Überzeugungen der Neo-Nazis und zeigt die Absurdität der Deutschtümelei (ein bisschen zum Schmunzeln sind die internationalen Namen der Clique wie Calvin, Kevin, Cindy, Kimberley …).

Die Erschütterung, die von diesem Buch also ausgeht, ist für mich vielfältig: Der Schrecken in Syrien rückt unglaublich nah, gleichzeitig wächst die Wut, dass scheinbar niemand diesem Land und seinen Menschen hilft. Und dass die Asylpolitik in diesem Land noch sehr zu wünschen übrig lässt, um es mal „nett“ zu formulieren. Hinzu kommt der Horror und die Abscheu vor den rechten Strömungen im eigenen Land, die mich fast krank machen.
Dennoch sollte Sommer unter schwarzen Flügeln gelesen werden, nicht nur von jungen Leuten, sondern von allen. Denn es bietet neben einer spannenden Liebesgeschichte vor allem Aufklärung und Diskussionsstoff – so dass kleingeistiges Denken, welcher Couleur auch immer, Gewalt und Unterdrückung in Zukunft hoffentlich keine Chance mehr bekommen.

Peer Martin: Sommer unter schwarzen Flügeln, Oetinger, 2015, 528 Seiten,  ab 16, 19,99 Euro

[Jugendrezension] Der Wald gibt jedem, was er verdient

oskari„Ein Junge, den man in die Wildnis schickt, kehrt als Mann zurück“: So ist es Tradition in Oskaris Dorf. Oskari steht kurz vor dem dreizehnten Geburtstag und damit vor der größten Prüfung seines Lebens. Er muss beweisen, dass er ein Mann ist. Dass sein Vater der beste Jäger des Dorfes ist und der Junge seinen Ruf nicht beschmutzen darf, macht ihm die Prüfung nicht leichter.

Eine Nacht muss Oskari alleine im Wald überleben und als Erfolg eine Jagdtrophäe vorzeigen. Das erlegte Tier hat eine bestimmte Bedeutung für das weitere Leben. Ein Hirsch steht z. B. für Intelligenz. Zum Glück hat sein Vater ihm von seinem geheimen Jagdgrund erzählt, wo er garantiert fündig werden wird.

Dass schon die Anfangszeremonie schiefläuft, hätte Oskari nicht erwartet. Er bringt nicht genug Kraft auf, um den rituellen Jagdbogen bis zur Wange zu ziehen. Bisher hatte er immer nur mit kleineren Bögen geübt. Normalerweise muss sich jeder Junge dem Ritual unterziehen, aber unter diesen Umständen sind sich die Einheimischen unsicher. Ein Kind, das denn Bogen nicht spannen kann, hatte es noch nie gegeben.

Oskaris Vater besteht darauf, dass sein Sohn bei der Prüfung teilnehmen kann. Sonst wäre es eine große Schande für ihn und besonders für Oskari. Nach einer Diskussion setzt der Vater sich durch, und Oskari zieht mit festem Willen in den Wald. Er muss unbedingt lebend wieder herauskommen. Noch einen Verlust würde der Vater nicht überstehen. Nach dem Tod von Oskaris Mutter lächelt er nicht mehr viel.

Oskari will seinen Vater stolz machen, was leider nicht so gut klappt. Als der Wald ihm endlich die Chance bietet, einen Hirsch zu erlegen, ertönt der ohrenbetäubende Lärm eines landenden Hubschraubers. Noch schlimmer ist, wer aussteigt. Es sind Hazar und seine Männer. Hazar, ein Berufskiller, scheut sich nicht, mal eben einen seiner Männer zu erschießen.

Oskari weiß nicht, was der Psychopath hier will und wer er ist. Er weiß nur, dass er fliehen muss. Blind vor Angst läuft er durch die Wildnis und ist kurz davor, zurück zu seinem Dorf zu laufen. Aber dann stößt er auf eine fremdartige große Metallkapsel. Aliens, ist seine erste Vermutung. Doch es ist nicht das Werk Außerirdischer. Der Mann, der aus der Metallkapsel herauskommt, ist niemand anderes als der Präsident der Vereinigten Staaten. Hazar hat es auf ihn abgesehen und die beiden müssen fliehen. Oskari merkt, dass der Präsident sich nicht in der Natur auskennt und nicht alleine zurechtkommt. Also übernimmt er das Kommando.

Diesmal ist er es, der den Durchblick hat. Oskari genießt es, nicht im Schatten des Vaters zu stehen und zum ersten Mal der bessere Jäger zu sein. Es beginnt ein fesselndes Abenteuer, und plötzlich fällt Oskari auf, dass es kein Zufall ist, dass er den Präsidenten getroffen hat. Der Wald gibt jedem, was er verdient.

Ich wollte Big Game – Die Jagd beginnt von Dan Smith lesen, weil das erste Kapitel mich an mein Lieblingsbuch erinnerte. Doch die Geschichte entpuppte sich als ein völlig anderes Genre, was mir aber sehr gut gefiel, weil es viele unerwartete Wendungen gab. Ich hatte zum Beispiel gehofft, dass Oskari endlich ein Tier erlegt. Was schließlich seine Trophäe sein würde, kam absolut überraschend. Gefallen hat mir auch der besondere Schreibstil. Es kam mir vor, als wäre der Autor selbst mal ein Jäger gewesen. Außerdem konnte ich mich gut in Oskari hineinversetzen. Welches Kind musste nicht einmal eine Mutprobe bestehen, um seine Stärke zu beweisen?

Katharina (12)

Dan Smith: Big Game – Die Jagd beginnt, Übersetzung:Birgit Niehaus, Carlsen Chicken House, 2015, 304 Seiten, ab 12, 15,99 Euro.

Ab 18.6. läuft die Verfilmung dieser Geschichte auch im Kino.

[Jugendrezension] Der Zauber von Istanbul

eveIn dem Buch Aprikosensommer von Deniz Selek geht es um das 16-jährige Mädchen Evelyn, die aktuell ganz schön viele Probleme gleichzeitig hat. Ihr Freund macht Schluss, sie schneidet sich fast einen Finger ab und vor allem weigert sich ihre Mutter immer noch, ihr zu verraten, wer ihr Vater ist.

Doch mit dieser Geheimnistuerei soll nun endlich Schluss sein. Eve redet so lange auf ihre Mutter ein, bis diese ihr alle ihre brennenden Fragen beantwortet. Nachdem sie endlich Antworten erhalten hat, ist sie Feuer und Flamme und will möglichst schnell ihren Vater ausfindig machen. Leider muss Eves Mutter ihren Eifer bremsen, denn sie selbst hat bereits vergeblich versucht, den Mann ausfindig zu machen. Am Ende vieler Diskussionen gelingt es Eve, ihre Mutter zu überreden, doch noch weitere Maßnahmen zur Auffindung von ihrem Vater zu ergreifen. Alles, was die beiden zu diesem Zeitpunkt wissen, sind sein Name und der Ort, wo er lebt – Istanbul. Mutter und Tochter ergreifen jeden kleinsten Strohhalm, um ihn zu finden, selbst einen Privatdetektiv beauftragen sie mit der Suche nach ihm.
Der Detektiv liefert ihnen einen guten Hinweis, aufgrund dessen sie dann in Richtung Istanbul aufbrechen. Hier finden Eve und ihre Mutter einiges Interessantes heraus, doch um was es sich hierbei handelt und ob Eve ihren Vater noch kennenlernen wird, musst du schon selbst herausfinden…

Mir gefällt Aprikosensommer sehr gut. Besonders der Titel und das Buchcover haben mich gleich angesprochen. Zwar hatte ich am Anfang ein paar Schwierigkeiten in die Geschichte einzusteigen, doch beim zweiten Anlauf konnte ich mich im Verlauf der Handlung kaum noch losreißen, in der Hoffnung, dass Eve ihren Vater noch findet. Nebenbei bemerkt ist das Buch sehr gut geschrieben und der Leser erfährt auch noch einiges über die Stadt Istanbul.

Ich empfehle das Buch Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren. Außerdem ist Aprikosensommer sicher interessant für alle Leser, die Istanbul kennen und mögen oder dieses Stadt gern einmal kennenlernen möchten. Auch Lesern, die eine Familiensituation kennen, die der von Eve ähnelt, dürfte Aprikosensommer gut gefallen.

Bücherwurm (12)

Deniz Selek: AprikosensommerFISCHER Kinder- und Jugendtaschenbuch, 2015,  288 Seiten, ab 12, 9,99 Euro

Durch die Hölle

khmerNormalerweise versuche ich immer einen schönen Einstiegssatz für eine neue Rezension zu finden, einen aktuellen Bezug oder etwas, das mit meinem Leben zu tun hat. Bei diesem Buch, Der Tiger in meinem Herzen, dem neuen von Patricia McCormick, fällt mir das gerade unglaublich schwer. Denn mit Kambodscha und den Roten Khmer hatte ich bis jetzt noch nichts zu tun. Aktuell ist das Thema auch nicht gerade, dafür mal wieder ein Gedenkjahr. Denn vor 40 Jahren übernahmen die Roten Khmer die Macht. Grund genug, daran zu erinnern.

Autorin Patricia McCormick tut dies auf eine erschütternde und zugleich mitreißende Art, indem sie die Lebensgeschichte des Human-Rights-Aktivisten Arn Chorn-Pond nacherzählt. Arn war neun Jahr alt, als die Roten Khmer 1975 an die Macht kamen und das Land in eine Art von Agrarkommunismus überführen wollten. Dies taten sie mit aller Gewalt und ohne jegliche Gnade. Schätzungsweise zwei Millionen Menschen verloren ihr Leben. McCormick lässt Arn in der Ich-Perspektive erzählen und das, es sei hier vorweggenommen, ist nichts für zartbesaitete Leser, egal welchen Alters.

Denn Arn hat Dinge gesehen, die man sich kaum vorstellen kann und mag. Beginnend mit der Vertreibung der Bevölkerung aus der Stadt erlebte der Junge, wie die Roten Khmer alle Menschen liquidierten, die ihrer Meinung nach bourgeoise oder Freunde Amerikas waren. Wer auch nur einen Hauch von Bildung besaß, wurde hingerichtet, wer kein Bauer war, wurde hingerichtet, wer nicht genug körperlich arbeitete, wurde hingerichtet, wer den Marsch aus der Stadt nicht durchhielt, Alte, Kinder, Kranke, wurde liegen gelassen oder erschossen. Wer die Fragen der Roten Khmer beantwortete, auf die eine oder die andere Art, wurde hingerichtet. Man konnte es ihnen nie richtig machen.
Arn machte sich unsichtbar, versuchte, nicht aufzufallen. Vielleicht die einzige Möglichkeit, der Willkür zu entkommen. Er arbeitete auf den Reisfeldern, den Killing Fields, in unendlich langen Schichten, die nicht einmal Erwachsene unbeschadet überstehen konnten. Er beobachtete, er sah, wie Kinder fortgebracht wurden und nicht wiederkamen. Er sah die Leichenberge im Mangohain. Und er fiel nicht auf.

Erst als eines Tages Musiker gesucht wurden, meldete er sich. Vielleicht war das seine Rettung. Jedenfalls lernte er die Khim zu spielen und die Machthaber mit ihren Revolutionsliedern zu unterhalten. Doch die Musik, die er zusammen mit anderen Kindern spielte, wurde auch per Lautsprecher auf die Reisfelder übertragen – um das Töten zu übertönen.
Als der Krieg aus Vietnam auf Kambodscha übergriff, fiel Arn wieder nicht auf. Er wurde Kindersoldat, konnte anfangs das Gewehr kaum halten. Er lernte das Töten, wurde selbst zum Roten Khmer und überlebte auch dieses Grauen.
Schließlich gelang ihm die Flucht nach Thailand.

Arns Geschichte ist die Hölle.

Gerade deswegen muss sie erzählt und erinnert werden, zeigt sie doch auf die grausamste Art, was Menschen anderen Menschen antun können. Sie mag zwar 40 Jahre her sein, doch die aktuellen Konflikte auf der Welt beweisen immer wieder, dass der Mensch nicht unbedingt aus der Geschichte lernt. Laut UNO-Angabe kämpfen derzeit etwa 250000 Kindersoldaten auf dem Globus. Jeder einzelne ist einer zuviel. Arns Geschichte zeigt, wie es dazu kommen kann, dass Kinder zu Kanonenfutter, Ködern, willigen Helfern und Mördern werden können. Die Art des Regimes, das dahinter steckt, ist fast schon egal, sobald Kinder dafür missbraucht werden und das Kämpfen für sie die einzige Überlebenschance darstellt.

Bei all dem Elend auf dieser Welt bin ich immer völlig überfordert, wie man Abhilfe schaffen kann. Es zerreißt mir immer schier das Herz, wenn ich so etwas wie von Arn lese – und mir klar mache, dass er gerade einmal ein Jahr älter ist als ich und diese Hölle immer noch in sich trägt. Und die derzeitigen Kindersoldaten in diesem Moment in dieser Hölle leben müssen. Es ist so verdammt fürchterlich.
Umso mehr sei Arn Chorn-Pond und Patricia McComick gedankt, dass sie diese Geschichte erzählen – die übrigens sehr angenehm von Maren Illinger ins Deutsche übersetzt wurde – und so das Bewusstsein sowohl für die Historie als auch für den gegenwärtigen Missbrauch von Kindersoldaten schärfen.

Lest dieses Buch.

Patricia McCormick: Der Tiger in meinem HerzenÜbersetzung: Maren Illinger, FISCHER KJB, 2015, 256 Seiten, ab 14, 14,99 Euro

Saturday-Night-Pussys

mogelDie Vorstadt kann die Hölle sein. Der Stadtrand auch. Beides spielt bei Nils Mohl nach Es war einmal Indianerland und Stradtrandritter erneut eine wichtige Rolle, wenn nicht sogar die Hauptrolle. Dieses Mal schickt er in seinem Roman Mogel den Jugendlichen Miguel Dos Santos in die Arena.

Der Leser begleitet ein pubertierendes Quartett aus 15-jährigen an einem Samstagabend. Miguel hat sturmfreie Bude und lädt seine Kumpels Flo, Silvester und Dimi in den Partykeller des Reihenhauses. Man spielt Bierpong, ein Trinkspiel mit Tischtennisbällen und gefüllten Polystyrolbechern. Nur dass das Bier alkoholfrei ist, zum Ärger von Flo.
Zur Strafe muss Miguel, den seine Kumpels gern auch „Pussy“ nennen, sich als ebendiese Pussy verkleiden und mit ins ChackaBum!, die Stadtrand-Disko. Mit gezupften Augenbrauen, in Netzstrümpfen und mit Ohrklipps mogelt er sich durch einen Abend voller Höhen und Tiefen, zwischen Tanke mit Mini-Discokugeln, Mädchenklo und Schrebergarten-Porno-Horror. Nein, den Jungs passiert nichts Schlimmes, soviel darf ich wohl verraten. Doch wie sie diesen Samstagabend und vor allem wie Miguel davon erzählt, ist … ist … mir fehlen hier die Worte, bzw. mein karger Wortschatz kann nicht ausdrücken, was Nils Mohl sprachlich vollbringt. Sein Begriff „erektionswürdig“ trifft es am besten, aber der ist jetzt eben doch geklaut … und nun für immer und ewig in meinem Kopf verankert und mit Mogel verbunden. Es gibt wahrscheinlich Schlimmeres.

Wer sich über solche Begriffe aufregt, der sollte Mogel nicht lesen. Denn gefühlt wimmelt es nur so davon. Aber eben nur gefühlt. Der Rest ist locker-umgangssprachlich-pubertierender Jugendsprech. Und den macht Mohl brillant. Man sieht die Jungs leibhaftig vor sich, keine Kinder mehr, aber auch noch nicht erwachsen, cool, aber noch nicht souverän, hormongesteuert und doch schon verantwortungsbewusst (die Eierbecher). Man könnte sich die ganze Zeit vor Lachen in die Ecke werfen, wenn einem nicht ständig das Lachen im Hals stecken bliebe, weil es in der Stadtrandhölle doch auch echt traurig zugeht.
Als Erwachsener ist man froh, diesen Höllenkreisen – Stadtrand, Vorstadt, Pubertät – entronnen zu sein. Man hat jetzt andere Höllen zu bereisen. Mohl erinnert auf extrem unterhaltsame Weise daran, was man einst so oder ähnlich durchgemacht hat oder haben könnte. Trotz aller Schnodderigkeit begleitet er dabei seine vier Jungs überaus liebevoll durch die Nacht und ins Leben der Erwachsenen.

Jugendliche Leser dürften ihren Spaß an dieser Saturday-Night-Variante haben, sich darin wiederfinden, sich erkennen, eventuell auch etwas über das Leben lernen. Aber das ist hierbei eigentlich egal. Es gibt viele Samstagabende im Leben, man sollte sie einfach genießen. So wie dieses Buch.

Nils MohlMogelRowohlt, 2014, 208 Seiten, ab 14, 9,99 Euro

Erinnere.

leysonGestern wurde auf allen Kanälen erinnert, an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 70 Jahren durch die Rote Armee.
Ich habe den ganzen Tag gegrübelt, wie ich mich diesem Chor anschließen könnte – und war schließlich etwas überfordert. Die vielen Bilder von damals lassen mich nicht so richtig los. Es ist schwierig und doch so wichtig, immer wieder zu erinnern. Gerade in diesen Tagen, an denen in dieser Welt schon wieder – oder immer noch – unglaublich viel Hass auf Menschen mit anderem Glauben geschürt wird.

Dann stellte sich mir im Laufe des Tages auch noch die Frage, wie man Jugendlichen das Grauen des Holocaust begreifbar machen kann, wenn es selbst die Erwachsenen schon überfordert. Auch das ist alles andere als leicht. Eine Möglichkeit, junge Leser mit dem Thema in Kontakt zu bringen, ist der Zeitzeugenbericht von Leon Leyson.

Leyson, polnischer Jude, Jahrgang 1929, war nicht in Auschwitz, hat aber die Judenverfolgung in allen fürchterlichen Details miterlebt und ebenso gelitten. Denn seine Familie wurde in Krakau zuerst aus der Wohnung vertrieben, ins Ghetto umgesiedelt, dann ins Lager Plaszów gebracht und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Immer mehr Juden verschwanden, der sadistische Lagerkommandant Amon Göth tötete willkürlich, Leysons Bruder Tsalig wurde verschleppt und vermutlich erschossen. Leyson selbst durfte da schon lange nicht mehr zur Schule gehen, sondern musste ebenfalls arbeiten.
Glück hatte Leyson, weil seinem Vater gelang, in der Emaillefabrik von Oskar Schindler Arbeit zu finden. Er konnte die Familie in das fabrikeigene Lager nachholen. Leyson musste als Zwölfjähriger Nachtschichten in der Fabrik schieben – und dabei auf einer Holzkiste stehen, um die Maschinen zu bedienen, weil er so klein war. Ausreichend Nahrung gab es nicht. Hunger, Entbehrung, Angst beherrschten das Leben.
Dennoch spürte Leyson, dass Schindler anders war als die „normalen“ Nazis. Die berühmte Liste, die Schindler zusammenstellen ließ, rettete Leyson und seiner restlichen Familie zusammen mit 1200 anderen das Leben.

Leyson, der nach Ende des Krieges nach Los Angeles zu Verwandten zog, hat wie viele Überlebende spät angefangen, von seinen Erlebnissen zu erzählen. So hat er dieses Buch erst vor wenigen Jahren geschrieben, die Veröffentlichung dann jedoch nicht mehr miterlebt.
Sein Bericht ist so lebendig und mitreißend erzählt, dass man von dem Buch nicht mehr lassen kann. Als Erwachsener zieht man rasch Vergleiche mit dem Film von Steven Spielberg, merkt jedoch genauso schnell, dass das nichts bringt. Denn hier erzählt eines der Opfer aus seiner ganz persönlichen Sicht. Leyson tut dies bei all dem Schrecklichen jedoch ohne Groll, dafür mit Respekt vor Oskar Schindler, ohne diese widersprüchliche Person komplett zu verherrlichen.

Gaskammern und Leichenberge kommen in Leysons Bericht nicht vor, doch sind seine Erlebnisse schon grauenhaft genug, um für die Verbrechen der Nazis zu sensibilisieren. Junge Leser sollten die Eltern dennoch noch nicht mit dieser Lektüre allein lassen, sondern mit ihnen gemeinsam das Gelesene einordnen und so eine Erinnerungskultur aufbauen. Denn diese Schrecken zu vergessen steht uns nicht zu und dürfen wir uns, vor allem im Angesicht von herrschendem Hass und grassierender Dummheit, nicht erlauben.

Leon Leyson: Der Junge auf der Holzkiste. Wie Schindlers Liste mein Leben rettete, Übersetzung: Mirjam Pressler, Fischer, 2015, 224 Seiten, ab 12, 8,99 Euro

[Jugendrezension] Das Böse außerhalb der Mauern

gatedDer Weltuntergang steht bevor. Die Menschen der Gemeinde Mandrodage Meadows treffen eifrig Vorbereitungen, denn sie wurden von den Brüdern ausgewählt, zu überleben. Mitglied der Gemeinde ist die 17-jährige Lyla Hamilton. Wie die anderen gehorcht sie dem Anführer Pioneer bedingungslos, obwohl sie insgeheim hofft, dass er sich irrt. Sie fühlt sich nicht bereit für ihre Aufgabe. Deswegen macht sie sich Vorwürfe und schwört, sich zu bessern.

Dann trifft sie Cody, einen Jungen von außerhalb, und verliebt sich in ihn. Langsam gerät Lylas Weltbild ins Wanken. Was, wenn Pioneer gar nicht von den Brüdern auserwählt wurde? Was, wenn es keinen Weltuntergang gäbe?

„Ich dachte, das Böse lebe außerhalb unserer Mauern. Ich habe mich geirrt.“ Lyla erkennt, dass sie in einem Unterdrückungssystem gefangen ist. Sie versucht, den anderen Gemeindemitgliedern die Augen zu öffnen, bis es fast zu spät ist.
Doch Pioneer ist unberechenbar.

Mit Gated – Die letzten 12 Tage hat Amy Christine Parker ein tolles Debüt geschrieben. Es behandelt das Thema Sekten so, dass es für Jugendliche interessant ist. Lyla ist eine Protagonistin, mit der sich viele identifizieren können. Sie hat, wie viele Heranwachsende, eine Identitätskrise. Sie versucht herauszufinden, was für ein Mensch sie sein will. Das macht sie sympathisch. Lyla ist keine typische Heldin. Sie hadert mit sich und hat oft Angst, aber das macht sie bewundernswert. Denn sie überwindet sich und lehnt sich auf.
Auch die anderen Figuren sind gut ausgedacht und beschrieben. Eine der interessantesten Persönlichkeiten ist Lylas Mutter. An ihrem Beispiel versteht man, wie Menschen auf jemanden wie Pioneer hereinfallen.

Lyla kann sich schwach an ein Leben vor Mandrodage Meadows erinnern. Damals lebten sie in New York. Lyla, ihre große Schwester Karen und ihre Eltern. Ihre Mutter war immer fröhlich.
Dann verschwand Karen spurlos, direkt vor dem Haus. Nie wieder hörten die Hamiltons von ihr. Seitdem glaubte Lylas Mutter nicht mehr an das Gute. Es ist nachvollziehbar, dass den Hamiltons die Weltanschauung von Mandrodage Meadows gefällt.

Es ist nicht leicht, über das Thema Sekten zu schreiben, doch Amy Christine Parker hat es gut gemeistert. Das Buch bewertet nicht, es hilft, zu verstehen. Die Geschichte ist spannend, man fiebert bis zur letzten Seite mit und hofft sehr, dass es ein Happy End gibt.

Eine gute Idee fand ich es, am Anfang jedes Kapitels ein Zitat zu schreiben. Das sind teilweise fiktionale Aussagen von Pioneer, aber auch Zitate aus der Bibel oder von Jim Jones, Anführer des Peoples Temple. Überhaupt weist die Gemeinde Mandrodage Meadows Parallelen zum Peoples Temple auf, einer neureligiöse Gruppe, die 1978 durch die Massenselbsttötung in Jonestown, Guyana, bekannt wurde.

Auch wenn das Buch oft erschreckend ist, so schenkt es zugleich Hoffnung. Denn wie bemerkt Lyla so schön am Ende, als sie in den Sternenhimmel guckt: „Wenn ein Himmel, der so dunkel ist, so voller Licht sein kann, dann gilt das vielleicht auch für diese Welt.“

Juliane (15)

Amy Christine Parker: Gated – Die letzten 12 Tage, Übersetzung: Bettina Münch, dtv, 2014, 336 Seiten, ab 14, 16,95 Euro

Historiengewimmel

gitteWenn Sie die Bilder von Pieter Breugel, dem Älteren kennen, dann denken Sie jetzt bitte an eins von denen – die Bauernhochzeit beispielsweise oder Der Kampf zwischen Karneval und Fasten – und schon sind Sie in dem historischen Roman Galgenmädchen der Flamen Jean-Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs.

So wie es auf Breugels Gemälden von Personen und Szenen wimmelt, so pulsiert es auch im Galgenmädchen. Die Protagonisten ist das Mädchen Gitte, das von seiner Mutter mit fünf Jahren in das Mädchenhaus von Antwerpen abgeschoben wird. Dort bekommt sie zwar Essen und einen Schlafplatz, aber an Liebe mangelt es. Halt gibt Gitte eine Camee, die angeblich von ihrem Vater stammt, einem spanischen Herzog. Gitte ist fest entschlossen, eines Tages ihren Vater zu suchen. Zuvor wird sie jedoch von den Heimleitern an einen fahrenden Apotheker verkauft. Dieser reist mit Frau und drei Helfern von Markt zu Markt durch Flandern. Ihren Unterhalt verdient die Truppe mit Wahrsagen, dem Verkauf zweifelhafter Gesundheitsmittel, Betrug und Diebstahl. Karl der Kirchenpisser bringt Gitte alle Kniffe und Tricks bei, wie man auf den Märkten den Menschen ihre Beutel abschneidet und sie um ihre Wertsachen bringt.

Bis es eines Tages schief geht. Gitte wird gefasst, angeklagt, verurteilt und soll am Galgen sterben. Doch der Hilfsvogt Johannes verliebt sich in sie und rettet sie, die Tochter eines spanischen Adligen, vor dem Tod. Doch ungeschoren kommt Gitte nicht davon. Sie wird als Gaunerin gebrandmarkt und verpflichtet, als Spionin für die niederländische Krone nach Sevilla zu gehen.
Dort findet sie tatsächlich ihren Vater, gewinnt sein Vertrauen, wird als Tochter in dessen Haus aufgenommen. Gitte lernt das Leben als Edelfräulein kennen, trägt plötzlich sperrige Röcke, isst die exquisitesten Speisen. Aber sie muss sich regelmäßig mit Johannes treffen und Bericht erstatten. Denn die Niederländer wollen das Wertvollste, was die Spanier besitzen: die siebenteilige Weltkarte …

Das Gewimmel im Plot von Galgenmädchen kann ich hier nur mit dürren Worten wiedergeben. Jedes Kapitel strotzt vor atmosphärischen Beschreibungen vom Leben in Antwerpen und Sevilla im 16. Jahrhundert. Es wird klar, dass das Leben auf der Straße, das Gitte anfangs führt, kein Zuckerschlecken ist. Und selbst in Spanien, im Haus des Herzogs, ist es nicht nur angenehm, da niemand dort Gittes Brandzeichen sehen darf.

Die Autoren Jean-Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs entführen die Leser gekonnt in die Zeit vor fast 500 Jahren. Jedes Detail ist akribisch recherchiert, von der Kleidung, über die Pistolen, bis hin zu den Nachttöpfen. Die Sprache von Gitte ist oftmals derbe und unverblümt. Die Mischung aus Gaunerleben, Liebe, Krieg und Spionage, kombiniert mit der Entwicklung eines jungen Mädchens zur selbstbewussten, in jeder Hinsicht schlagfertigen Frau, macht richtig Laune, in diese vergangene Welt einzutauchen. Sie lässt einen bis zum Ende des Buches nicht mehr los.

Jean-Claude van Rijckeghem/Pat van Beirs: Galgenmädchen, Übersetzung:Mirjam Pressler,  Gerstenberg Verlag, 2014,  496 Seiten,  ab 14, 19,95 Euro

[Jugendrezension] Das Ende der Neuanfänge

friday„Wenn ich immer nur Anfänge hatte und meine Vergangenheit so perfekt war, dann würde die Zukunft niemals meine Erwartungen erfüllen.“

Das Leben der 17-jährigen Liliane Brown, Friday genannt, bestand bisher nur aus Neuanfängen, die sie mit ihrer Mutter Vivienne zusammen in Australien gemacht hat. Nach dem Tod ihrer Mutter wohnt Friday bei ihrem Großvater. Bei ihm ist sie gut aufgehoben, doch trotzdem fühlt sie sich nicht wohl und will weg. Sie will vergessen und wieder neu anfangen.

Durch einen Zufall kommt sie in eine Gang, die aus mehreren Straßenkindern in ihrem Alter besteht. Angeführt wird sie von der hübschen Arden. Alle fühlen sich bei Arden sicher, denn sie beschützt sie. Die Jugendlichen werden zu Fridays Freunden. Ihren einzigen Freunden. Zusammen wohnen sie in einem baufälligen Haus. Alles scheint in Ordnung, doch schnell merkt Friday, dass Arden alles bestimmt und die totale Kontrolle besitzt.
Als sie ihre Unterkunft verlassen und in eine Geisterstadt im australischen Outback fahren, passiert das Unfassbare: Einer aus der Gruppe wird tot aufgefunden. Als Friday herausfindet, wer ihn getötet hat, versucht sie mit den anderen alles, um aus der Geisterstadt hinaus zu kommen und zurück in die Stadt zu fahren. Es beginnt ein spannendes Abenteuer.

Das Buch Zeit zu gehen Friday Brown von Vikki Wakefield hat mir sehr gut gefallen. Anfangs war ich noch nicht ganz überzeugt und auch etwas skeptisch, doch nach und nach verschwanden meine Zweifel und waren schließlich komplett weg, denn die Geschichte entwickelte sich immer besser weiter. Zum Schluss war es sehr spannend und traurig zugleich, und die Geschichte war wirklich fantastisch. Somit kann ich das Buch nur weiterempfehlen.

Laura (15)

Vikki Wakefield: Zeit zu gehenFriday Brown, Übersetzung: Birgit Schmitz, FISCHER Sauerländer, 2014, 416 Seiten, ab 14, 14,99