Für ihn soll’s bunte Blumen regnen

tuckermannIn diesem Frühjahr haben Anja Tuckermann, Mehrdad Zaeri & Uli Krappen ihr zweites gemeinsames Buch vorgelegt: Der Mann, der eine Blume sein wollte.
Bekannt wurden sie als Team bereits mit Nusret und die Kuh, das 2017 u.a. für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war. Beide Bilderbücher erscheinen im feinen Münchner Tulipan Verlag.

Doch wer ist nun dieser Mann ohne Namen aus dem Buchtitel? Und was ist das für eine Idee, eine Blume werden zu wollen?

Der Mann arbeitet als Bahnwärter. Sein Arbeitsleben ist nach der Uhr getaktet. Zugzeiten bestimmen den Tag, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit haben Priorität, man vertraut ihm und dem richtigen Rhythmus. Der Beruf scheint sein Leben zu sein. Kommt er nach Hause, erwartet ihn nur ein Kleiderständer als Gesprächspartner …

Eines Tages beginnt dieser Mann zu träumen. Von einer Wiese, auf der er als Butterblume leuchten würde. Von großen Blüten, die ihm Schutz gewähren vor den Hummeln. Von schaukelnden Schmetterlingen. Eine Leichtigkeit überkommt ihn, sein Traum wird konkreter und wagemutiger. Er würde wachsen, seine Blätter würden Schatten spenden, die Blüten süß duften. Die Menschen würden sich nach ihm umschauen, sich an ihm freuen. Er würde schweben ganz hoch hinauf auf einen Berg, um als blaue Blume die Wanderer zu bezaubern. Und dann noch ein Gedankensprung: Blumen und Frauen gehören zusammen. Wie wunderbar wäre es, er könnte fließende Kleider tragen, mit Blumen bedruckt, in allen Farben. Doch er ahnt: Seinem Chef würde das nicht gefallen. Und den Leuten? Die würden ihn auslachen. Mal Frau, mal Mann, wo gibt´s denn so was?

Vielleicht im Karneval? Und aus dem Konjunktiv wird ein Indikativ! Er verkleidet sich als Blumenwiese — und alle sind begeistert. Und sie klatschen nicht nur. Eine wunderschöne rote Tulpe löst sich aus der Menge und tritt auf ihn zu. Sie nehmen sich an der Hand, laufen hinaus in die Nacht, in die unbekannte Weite. Auf ihrem Weg wachsen Blumenmeere, Blättergirlanden ranken aus den hell beleuchteten Fenstern des Bahnwärterhäuschens, Schmetterlinge und Vögel schwirren durch die Luft, und wir meinen fast, den Duft der Blüten zu riechen. Aus der ehemals karg getönten Landschaft wird ein lebendiges Gemälde.

Es ist eine Freude, sich zu vertiefen, ja verführen zu lassen. Der Kraft der Imagination des kleinen Mannes mit der großen Brille und dem breiten Schnäuzer zu folgen, der eines Tages zu fliegen beginnt. Die Worte nehmen uns mit auf die Reise, und gleichzeitig lassen sie Raum für prachtvolle Doppelseiten ohne Text. Die wir selbst füllen können mit unserer Fantasie. Indem wir die Blumen aus den Vorsätzen suchen, die so schillernde Namen tragen wie Babydoll, Shiva, Meier 3 oder Hanni & Nanni. Oder selbst zum Stift greifen, um unsere Blumen und Namen zu entwerfen, und uns auszutauschen über das, was möglich ist … Am Ende des Buches erzählt das Trio hautnah von seiner Arbeit. Herausgekommen ist ein inspirierendes Kunstwerk!

Heike Brillmann-Ede

Anja Tuckermann/Mehrdad Zaeri & Uli Krappen (Illus): Der Mann, der eine Blume sein wollte, Tulipan 2018, 56 Seiten, für alle, € 14,95

Saturday-Night-Pussys

mogelDie Vorstadt kann die Hölle sein. Der Stadtrand auch. Beides spielt bei Nils Mohl nach Es war einmal Indianerland und Stradtrandritter erneut eine wichtige Rolle, wenn nicht sogar die Hauptrolle. Dieses Mal schickt er in seinem Roman Mogel den Jugendlichen Miguel Dos Santos in die Arena.

Der Leser begleitet ein pubertierendes Quartett aus 15-jährigen an einem Samstagabend. Miguel hat sturmfreie Bude und lädt seine Kumpels Flo, Silvester und Dimi in den Partykeller des Reihenhauses. Man spielt Bierpong, ein Trinkspiel mit Tischtennisbällen und gefüllten Polystyrolbechern. Nur dass das Bier alkoholfrei ist, zum Ärger von Flo.
Zur Strafe muss Miguel, den seine Kumpels gern auch „Pussy“ nennen, sich als ebendiese Pussy verkleiden und mit ins ChackaBum!, die Stadtrand-Disko. Mit gezupften Augenbrauen, in Netzstrümpfen und mit Ohrklipps mogelt er sich durch einen Abend voller Höhen und Tiefen, zwischen Tanke mit Mini-Discokugeln, Mädchenklo und Schrebergarten-Porno-Horror. Nein, den Jungs passiert nichts Schlimmes, soviel darf ich wohl verraten. Doch wie sie diesen Samstagabend und vor allem wie Miguel davon erzählt, ist … ist … mir fehlen hier die Worte, bzw. mein karger Wortschatz kann nicht ausdrücken, was Nils Mohl sprachlich vollbringt. Sein Begriff „erektionswürdig“ trifft es am besten, aber der ist jetzt eben doch geklaut … und nun für immer und ewig in meinem Kopf verankert und mit Mogel verbunden. Es gibt wahrscheinlich Schlimmeres.

Wer sich über solche Begriffe aufregt, der sollte Mogel nicht lesen. Denn gefühlt wimmelt es nur so davon. Aber eben nur gefühlt. Der Rest ist locker-umgangssprachlich-pubertierender Jugendsprech. Und den macht Mohl brillant. Man sieht die Jungs leibhaftig vor sich, keine Kinder mehr, aber auch noch nicht erwachsen, cool, aber noch nicht souverän, hormongesteuert und doch schon verantwortungsbewusst (die Eierbecher). Man könnte sich die ganze Zeit vor Lachen in die Ecke werfen, wenn einem nicht ständig das Lachen im Hals stecken bliebe, weil es in der Stadtrandhölle doch auch echt traurig zugeht.
Als Erwachsener ist man froh, diesen Höllenkreisen – Stadtrand, Vorstadt, Pubertät – entronnen zu sein. Man hat jetzt andere Höllen zu bereisen. Mohl erinnert auf extrem unterhaltsame Weise daran, was man einst so oder ähnlich durchgemacht hat oder haben könnte. Trotz aller Schnodderigkeit begleitet er dabei seine vier Jungs überaus liebevoll durch die Nacht und ins Leben der Erwachsenen.

Jugendliche Leser dürften ihren Spaß an dieser Saturday-Night-Variante haben, sich darin wiederfinden, sich erkennen, eventuell auch etwas über das Leben lernen. Aber das ist hierbei eigentlich egal. Es gibt viele Samstagabende im Leben, man sollte sie einfach genießen. So wie dieses Buch.

Nils MohlMogelRowohlt, 2014, 208 Seiten, ab 14, 9,99 Euro