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Urzustand jedes Seins

Zuletzt hat hier Burkhard Spinnen mit »Fipp, Vanessa und die Koofmichs« gezeigt, was der Besuch von Außerirdischen mit den Erdenbewohnern machen kann. Diesmal werden Außerirdische durch eine Begegnung mit dem All bedroht. Es sind Die letzten 23 Tage der Plüm, die die Comic-Zeichnerin Katharina Greve höchst vergnüglich in Szene setzt. Ursprünglich als täglicher Strip in der Berliner Tageszeitung abgedruckt, liegt die komplette Katastrophe jetzt sauber hintereinander weg erzählt in einem entzückenden, querformativen Band des avant-Verlags vor.

Erste Regel in ausweglosen Situationen: PANIK!!!

Es ist das klassische Endzeitszenario zahlreicher Filme und reizvoller Gedankenspiele: Du hast nur noch wenige Tage zu leben – was machst du? Oder anders gesagt: Du hast keine Chance – nutze sie.
Das ist leichter gesagt als getan. »Schte, Rüm, schlechte Nachrichten. Dieser pinke Punkt da oben kommt auf uns zu. Nach meiner Berechnung stoßen wir in 23 Tagen mit ihm zusammen. Wir werden alle sterben«, erklärt Pla, der schlaueste der letzten drei Bewohner des Planeten Plümos. Und die drei Plüm reagieren so, wie wohl Jeder andere auch. Erste Regel in ausweglosen Situationen: PANIK!!! Zweite Regel: So viel Summerling, das lokale Rauschmittel, trinken wie sie können.

Ungeschlechtliche Kopffüßler mit erstaunlich viel Charakter

Die Plüm sind ungeschlechtliche Kopffüßler. Greve gibt den drei extrem reduzierten grünen Riesenköpfen mit Strichbeinchen und -ärmchen erstaunlich viel Charakter. Nicht nur optisch sind die kuriosen Plüm auf das Wesentliche reduziert. Jeder Tag endet mit »Wissenswertem über die Plüm«. Greves Comic ist eine famose Symbiose aus lustigen Zeichnungen und hintersinnigen Texten, die genug Raum zum Weiterdenken lassen.
Auch die Zivilisation der Plüm konzentriert sich auf das Essenzielle: Zum Beispiel haben sie sich von den immer komplizierteren Ritualen der Anbetung einer stetig wachsenden Zahl von Göttern dem Monotheismus zugewandt. »Da aber auch der Kult um nur einen Gott den Plüm bald zu anstrengend wurde, schafften sie einfach die Religion komplett ab.« Eine weise Entscheidung, die auch den Bewohnern anderer Planeten viele Probleme ersparen würde.

Diese komische Phase, wenn man dem Leben Sinn geben will

Sehr sympathisch ist auch diese Lebenseinstellung: »Seit jeher halten die Plüm den Schlaf für den Urzustand jedes Seins, da man schlafend niemandem Schaden zufügt. Alle anderen Aktionen – wie etwa die Ernährung – dienen nur dazu, den Schlaf zu sichern.«
So könnte es also immer weitergehen, wenn sich nicht dieser pinke Punkt auf ihren Planeten zu bewegen würde … Verdrängen, Ignorieren und demonstratives Vorbeisehen klappen auf Dauer nicht.
Und so machen die Plüm diese komische Phase durch, wenn man glaubt, dem Leben einen Sinn geben zu müssen. Vermehren, was in ihrem Fall mühselige Teilung statt entspanntem Sex bedeutet, verbietet sich, weil dann noch mehr Plüm beim Zusammenstoß getötet würden.

Alles sinnlos, sehr lustig und allzu menschlich

Also entschließen sie sich, jeden Tag etwas zu machen, was sie noch nie gemacht haben: Schmutzen und den Dreck wieder auffegen. Vergammeltes Trufontfleisch essen und zum ersten Mal eine Fleischvergiftung haben – obwohl der plümsche Magen sonst fast alles verträgt. Überflüssige Bildhauerei, Megaschaumbäder, unspielbare Bälle, mythische Artefakte ausgraben und vor des Rätsels Lösung gleich wieder vernichten …
Alles sinnlos, total bekloppt, sehr lustig und vor allem allzu, ja genau, menschlich. Kein Wunder, dass die taz-Leser vehement gegen Greves ursprünglichen Plan, die Plüm nach 23 Tagen tatsächlich sterben zu lassen, protestierten. Mit Erfolg: Am Ende entpuppt sich der große Knall als ein großer »Platsch«, es regnet rosa, das war’s. »Na, das war ja maximal ein ENDCHEN«, konstatiert ein Plüm.

Very nice, very nice … but maybe in the next world

Der kluge Pla begreift den knapp verpassten Weltuntergang als zweite Chance: »Wir sind quasi verpflichtet, die Plümheit zu neuer alter Größe zu führen! Wir legen Sum-Baum-Plantagen und Lübosen-Farmen an, füllen die Plüm-Kultur mit neuem Leben, bauen Städte, Straßen, Kanäle, erschließen neu Energiequellen, versetzen Berge, erobern den Weltraum!«
Tolle Ideen, leider sehr anstrengend umzusetzen. Oder wie The Smiths einst sangen: »Love, peace and harmony? Oh, very nice. Very nice. Very nice … but maybe in the next world.«
Darauf einen Summerling. Und noch einen. Und noch ganz viele. Und ein Hoch auf die Plüm!

Katharina Greve: Die letzten 23 Tage der Plüm, avant-Verlag, 2021, 104 Seiten, ab 10, 20 Euro

[Jugendrezension] Das Böse außerhalb der Mauern

gatedDer Weltuntergang steht bevor. Die Menschen der Gemeinde Mandrodage Meadows treffen eifrig Vorbereitungen, denn sie wurden von den Brüdern ausgewählt, zu überleben. Mitglied der Gemeinde ist die 17-jährige Lyla Hamilton. Wie die anderen gehorcht sie dem Anführer Pioneer bedingungslos, obwohl sie insgeheim hofft, dass er sich irrt. Sie fühlt sich nicht bereit für ihre Aufgabe. Deswegen macht sie sich Vorwürfe und schwört, sich zu bessern.

Dann trifft sie Cody, einen Jungen von außerhalb, und verliebt sich in ihn. Langsam gerät Lylas Weltbild ins Wanken. Was, wenn Pioneer gar nicht von den Brüdern auserwählt wurde? Was, wenn es keinen Weltuntergang gäbe?

„Ich dachte, das Böse lebe außerhalb unserer Mauern. Ich habe mich geirrt.“ Lyla erkennt, dass sie in einem Unterdrückungssystem gefangen ist. Sie versucht, den anderen Gemeindemitgliedern die Augen zu öffnen, bis es fast zu spät ist.
Doch Pioneer ist unberechenbar.

Mit Gated – Die letzten 12 Tage hat Amy Christine Parker ein tolles Debüt geschrieben. Es behandelt das Thema Sekten so, dass es für Jugendliche interessant ist. Lyla ist eine Protagonistin, mit der sich viele identifizieren können. Sie hat, wie viele Heranwachsende, eine Identitätskrise. Sie versucht herauszufinden, was für ein Mensch sie sein will. Das macht sie sympathisch. Lyla ist keine typische Heldin. Sie hadert mit sich und hat oft Angst, aber das macht sie bewundernswert. Denn sie überwindet sich und lehnt sich auf.
Auch die anderen Figuren sind gut ausgedacht und beschrieben. Eine der interessantesten Persönlichkeiten ist Lylas Mutter. An ihrem Beispiel versteht man, wie Menschen auf jemanden wie Pioneer hereinfallen.

Lyla kann sich schwach an ein Leben vor Mandrodage Meadows erinnern. Damals lebten sie in New York. Lyla, ihre große Schwester Karen und ihre Eltern. Ihre Mutter war immer fröhlich.
Dann verschwand Karen spurlos, direkt vor dem Haus. Nie wieder hörten die Hamiltons von ihr. Seitdem glaubte Lylas Mutter nicht mehr an das Gute. Es ist nachvollziehbar, dass den Hamiltons die Weltanschauung von Mandrodage Meadows gefällt.

Es ist nicht leicht, über das Thema Sekten zu schreiben, doch Amy Christine Parker hat es gut gemeistert. Das Buch bewertet nicht, es hilft, zu verstehen. Die Geschichte ist spannend, man fiebert bis zur letzten Seite mit und hofft sehr, dass es ein Happy End gibt.

Eine gute Idee fand ich es, am Anfang jedes Kapitels ein Zitat zu schreiben. Das sind teilweise fiktionale Aussagen von Pioneer, aber auch Zitate aus der Bibel oder von Jim Jones, Anführer des Peoples Temple. Überhaupt weist die Gemeinde Mandrodage Meadows Parallelen zum Peoples Temple auf, einer neureligiöse Gruppe, die 1978 durch die Massenselbsttötung in Jonestown, Guyana, bekannt wurde.

Auch wenn das Buch oft erschreckend ist, so schenkt es zugleich Hoffnung. Denn wie bemerkt Lyla so schön am Ende, als sie in den Sternenhimmel guckt: „Wenn ein Himmel, der so dunkel ist, so voller Licht sein kann, dann gilt das vielleicht auch für diese Welt.“

Juliane (15)

Amy Christine Parker: Gated – Die letzten 12 Tage, Übersetzung: Bettina Münch, dtv, 2014, 336 Seiten, ab 14, 16,95 Euro