Elefanten im Bauch oder: Es muss nicht immer Kater sein

Elefanten sind kluge, sympathische, liebenswerte und meist friedliche Tiere. Nur auf sich sitzen möchte man keinen haben. Schon beim Gedanken bekommt man Beklemmung und Atemnot. Elefant auf der Brust nennt Lucia Zamolo ihr neues Buch absolut eindringlich.
Denn es geht um Liebeskummer. In ihrer sehr besonderen Mischung aus Comic, Sachbuch und persönlicher Betrachtung setzt die Illustratorin und Autorin das ätzende Gefühl in all seinen Facetten in Szene. Dass das nicht nur eine todtraurige Angelegenheit wird, obwohl es so anfängt, deutet Zamolo schon im Untertitel an: »Oder: Warum sich Liebeskummer lohnt«.
Echt jetzt? Ja. Oder: Warum ich dieses Buch gern schon vor vielen Jahren gehabt hätte. Und es trotzdem noch gut brauchen kann, steht ziemlich am Anfang bei den Fakten unter 2.: »Liebeskummer kommt in jedem Alter vor & und es wird nicht leichter«.

Liebeskummer kann man nicht trainieren

Stimmt, leider. Man kann das nicht trainieren. Es relativiert sich nur etwas, wenn man die Erfahrung, ins zunächst Bodenlose zu fallen und zu fallen und schließlich hart aufzuprallen, schon ein paar Mal überlebt hat. Wenn man schon ziemlich durchgerüttelt ist vom Leben und sich keine Illusionen mehr macht. Wenn eigene Kinder ins Spiel kommen, und mit ihnen eine andere Art der Liebe, auch der Sorge und Angst, ebenfalls sehr starke Gefühle, mit denen man klarkommen muss.

Man will immer mehr und bleibt lebenslang süchtig

Was macht diesen verflixten Liebeskummer so tückisch? »Das Hormon Oxytocin sorgt dafür, dass wir uns in Beziehungen stabil und ausgeglichen fühlen. Das ganze Verliebtsein findet in genau den Arealen im Gehirn statt wie bei einer Drogensucht«, erklärt Lucia Zamolo sehr anschaulich. Das heißt, man ist beim Verliebtsein wieder »drauf«, man könnte auch sagen rückfällig geworden. Auf jeden Fall will man regelmäßig den Stoff, am besten sogar immer mehr davon. »Das heißt: Wenn die Liebe wegfällt, hast du sozusagen Entzugserscheinungen, weil dir scheinbar etwas fehlt«. Wobei der Zusatz »scheinbar« aufgrund der nachweisbaren chemischen Prozesse in besonders anfälligen Regionen im Gehirn falsch ist. Liebeskummer gehört verboten. Aber eigentlich müsste der Dealer, also das Gefühl verliebt zu sein, verboten werden. Denn man bleibt lebenslang süchtig, wenn man einmal davon probiert hat. Wie gesagt, egal in welchem Alter.

Tolle Aussichten

Es kommt aber noch eine schlimmere, weitere Tatsache: »Der Herzschmerz eines gebrochenen Herzens finden dann in denselben Gehirnarealen wie körperliche Schmerzen statt.« Damit sind wir beim ganz realen, furchtbaren Herzschmerz – dem Broken-Heart-Syndrom. »Folgendes passiert: Aufgrund von starken Emotionen macht eine Seite des Herzens schlapp. Die Symptome sind ähnlich denen eines Herzinfarkts: Atemnot, Brustschmerzen, Übelkeit, Engegefühl im Brustkorb.« Was uns zum Buchtitel zurückbringt: »Dieses Gefühl wird auch so beschrieben: Ein Elefant sitzt auf der Brust.« Und es kommt noch besser: »Es betrifft hauptsächlich Frauen nach den Wechseljahren.« Na, das sind ja tolle Aussichten.

Den Göttern ging’s gehörig auf die Nerven

Apropos brechen und kaputt gehen, zahlreiche kluge Leute haben sich den Kopf über die Liebe zerbrochen. Von den alten griechischen Philosophen wie Platon und Aristophanes stammt die Idee, dass wir ursprünglich glückliche Kugelwesen waren. Die gingen mit ihrem Glückbärchigetue den Göttern auf die Nerven (nachvollziehbar, »Pärchen verpisst euch / keiner vermisst euch«, sangen die famosen Lassie Singers einst), so dass sie die Kuschelkugeln in zwei Einzelwesen teilten. Und seitdem sei man eben auf der Suche nach seiner anderen Hälfte.

Zamolo darf liebend gern ihren Senf dazu geben

Allein schon wie Lucia Zamolo mit klugem Strich witzig und geistreich zunächst die Theorie von Eros und Ente und anschließend die teils sehr fiesen Phasen vom anfänglichen Schock bis zur Genesung illustriert, machen dieses Buch lesenswert. Überzeugend warnt sie davor, sich für jemanden zu verbiegen und zu verstellen. Und auch von vorschnellen, neuen Beziehungen rät sie ab, weil dabei weitere Leute in Mitleidenschaft (!) gezogen werden. Zamolos Beobachtungen, Überlegungen und Vorschläge sind erfrischend, einfühlend und nicht in Stein gemeißelt, wie schon durch die lebendige und mitreißende Typographie deutlich wird. Da wird mal etwas durchgestrichen, verbessert, hervorgehoben, eingefügt. Buchstaben purzeln über die Seiten, fallen aus dem Kontext, bevormunden nicht. Auf die Fragen, »wie um Himmelswillen überlebe ich das?« darf Zamolo liebend gern ihren Senf dazugeben.

Allein für dieses Buch lohnt sich Liebeskummer

Wortspiele gelingen ihr ebenso virtuos wie die Darstellung unterschiedlicher, auch ambivalenter Gefühle nach dem Liebesaus. Sparsame Kolorierungen akzentuieren ihre kuriosen Bilder und Gedanken. Die Erkenntnis, dass allein sein nicht gleich einsam sein bedeutet. Und dass Liebeskummer sich von der Existenz der Liebe und der Fähigkeit zu lieben ableitet ist ebenso banal wie wahr. Einer Freundin erschien das trotz meiner begeisterten Erzählung etwas wenig. Aber sie hat Zamolos charmante Illustrationen dazu nicht gesehen. Allein dafür lohnt sich Liebeskummer.
Der Rausch der Liebe lohnt sich natürlich auch immer wieder, drauf sein auf rosa Wolken, purple Haze, Schmetterlinge im Bauch, diese Leichtigkeit, dass sich alles gut und richtig anfühlt, ihr wisst, was ich meine. Es muss ja nicht immer mit einem Kater enden. Es kann auch ein absolut liebenswertes Buch dabei entstehen.

Lucia Zamolo: Elefant auf der Brust oder: Warum sich Liebeskummer lohnt, Bohem Press, 128 Seiten, ab 12, 15 Euro

Jungvater in der Zwickmühle

thomas

Eigentlich hat Mav, 17 Jahre alt, sich sein Leben anders vorgestellt. Der Ich-Erzähler in Angie Thomas neuem Roman Concrete Rose ist als Mitglied der King Lords geachtetes Mitglied einer Gang in den Garden Heights. Er dealt und hat immer genug Kohle für coole Klamotten und angesagte Sneakers. So könnte es weitergehen.

Doch dann liefert ein Vaterschaftstest den unumstößlichen Beweis, dass er und nicht sein bester Freund King der Vater von Ieshas Baby ist. Und noch ehe Mav sich versieht, lässt die Kindsmutter das Kind bei ihm und taucht erste einmal unter, ohne sich weiter um ihren Sohn zu kümmern. So beginnt eine Zeit, die jungen Eltern nur allzu bekannt vorkommen wird: ein dauerschreiendes Baby, volle Windeln, gestörter Nachtschlaf – und die Kohle geht weg wie nix. Zumal Mav als guter Daddy das Dealen aufgegeben und einen miesbezahlten Job im Laden von Mr. Wyatt angenommen hat.

Das Leben als Teenage-Vater

Mavs Leistungen in der Schule gehen durch die Dreifach-Belastung von Lernen-Jobben-Baby den Bach runter und seine geliebte Lisa nichts mehr mit ihm zu tun haben, als sie von dem Baby erfährt. Und als ob das nicht schon genug ist, wird dann auch noch sein Cousin Dre auf offener Straße erschossen und stirbt in Mavericks Armen.
Harter Tobak und viel Stoff für einen Roman, doch Thomas gelingt es – wie in ihren Vorgängerromanen THUG und On The Come Up – die Spannung und die Sympathie für ihren Protagonisten zu halten.

Die Gesetze der Straße

Mav hat Hochs und Tiefs, hadert mit seinem Leben, liebt seinen Sohn aber abgöttisch. Er ist hin und hergerissen zwischen den Ansprüchen seiner Gang und den Aufgaben eines Familienvaters, wobei ihm die Vorbehalte der Gesellschaft gegenüber einem Teenager-Vater zusätzlich belasten und nerven. Doch er versucht sein Bestes, um auf dem rechten Weg zu bleiben, obwohl der Mord an Dre ihn auf eine extreme Probe stellt, denn die Gesetze der Straße sind eindeutig – und hart.

Slang liefert authentische Atmosphäre

Thomas liefert eine dynamische plotgetriebene Geschichte, voller Dialoge, Liebesverwirrungen und überraschenden Wendungen, alles von Henriette Zeltner gewohnt souverän übersetzt. Diese lässt dabei unzählige Slangausdrücke im Original stehen – ein Glossar liefert die Bedeutungen –, sodass eine überaus authentische Atmosphäre selbst im Deutschen entsteht.

Wer Thomas‘ Debüt kennt, wird sich hier über die Vorgeschichte von Starrs Familie freuen und vieles von dem wiederfinden, was auch in THUG prägend war. Gerade in Zeiten, in denen Black-Lives-Matter-Aktionen aus guten Gründen täglich in den Nachrichten gezeigt und geschildert werden, Zeiten, in denen mit einer traurigen Regelmäßigkeit schwarze Bürger:innen von weißen Polizist:innen grundlos getötet werden, bleibt Thomas ihrem Thema treu. Die Gewalt in Problemvierteln ist quasi allgegenwärtig und das eben nicht erst seit George Floyds Tod im vergangenen Jahr, sondern seit vielen, sehr vielen Jahrzehnten. Aus diesen Gewaltspiralen auszubrechen und ein friedliches Leben zu führen, ist eine schwierige Aufgabe, die Haltung und Durchhaltevermögen benötigt. Genau das zeigt Angie Thomas anschaulich aus Sicht der schwarzen Jugend, wobei sie selbst nicht über dealende Jugendliche oder Teenager-Eltern urteilt, sondern deren Nöte und Beweggründe für ihr Verhalten schildert. Thomas überlässt es den Leser:innen, sich eigene Gedanken dazu zu machen – und das ist die bestechende Stärke ihres Schreibens.

Angie Thomas: Concrete Rose, Übersetzung: Henriette Zeltner-Shane, cbj, 2021, ab 14, 20 Euro

Teebeutel ohne Bändchen

Zuhause ist da, wo die Teebeutel keine Bändchen haben. Wo das Brot weich und weiß ist. Heimat ist da, wo die Luft nach warmen Regen und salziger Luft vom rauen Atlantik riecht. Heimat ist da, wo man deine Sprache spricht.
Heimat ist definitiv nicht dort, wo man deinen Namen nicht aussprechen kann und dich mit fiesen Lauten als Affe verspottet. So ergeht es Emmas kleiner Schwester Aoife an ihrem ersten Schultag in der tiefsten Provinz Mecklenburg-Vorpommerns. Kurz zuvor hat Emmas Mutter mit ihren drei Kindern Dublin verlassen, um nach Deutschland umzuziehen. »Nach Velgow, in das Dorf unserer Mutter, in das sie seit zwanzig Jahren keinen Fuß und keins von ihren Kindern gesetzt hat.« Mit einer Auswanderung von West nach Ost, einer Reise ohne Rückfahrkarte, die für niemanden eine Heimkehr ist, beginnt Susan Krellers betörender und sprachgewandter Roman Elektrische Fische.

Innere Emigration im Schweigen

»Wir waren noch gar nicht fertig«, sagt die zwölfjährige Emma. »Dara hat mit der Hockeymannschaft alle Spiele und Mädchenherzen gewonnen. Auch Aoife und ich waren mittenrein und noch gar nicht fertig mit unserem Leben in Dublin.« Für Emma ist klar, sie will so schnell wie möglich zurück in ihr vertrautes Leben, zu den irischen Großeltern ziehen.
Aoife geht nach dem verstörenden ersten Schultag in die innere Emigration. Sie verstummt, sagt kein Wort mehr, nicht auf Englisch, nicht auf Irisch und erst recht nicht im von ihr verhassten Deutsch. Fortan kommuniziert die kleine Schwester nur noch über gelbe Klebezettel.

Leben zwischen zwei Sprachen

Zwar sind die drei Geschwister zweisprachig aufgewachsen und auf die deutschsprachige Schule in Dublin gegangen. Aber: »Die englische Sprache bin ich. Deutsch spreche ich nur. Deutsch ist immer noch ein paar Meere von mir entfernt«, stellt Emma sehr bald fest.
Sprache, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, und wie man zwischen zwei Sprachen lebt – das alles spielt eine zentrale Rolle in Susan Krellers Jugendbuch. Die 1977 in Ostdeutschland geborenen Autorin hat Germanistik und Anglistik studiert. Bei ihr ist das nicht nur ein biografisches Detail. Allein das angehängte Glossar macht Elektrische Fische schon lesenswert.

Sehr viele Arten der Trunkenheit

Durch Emma lernen wir zum Beispiel fundamentale Unterschiede in Umgangsformen kennen. Man bekommt beim Lesen selbst einen ganz trockenen Mund, nachdem sie das einmal aus Höflichkeit angebotene Getränk abgelehnt hat – und niemand erneut nachfragt oder insistiert, etwas zu trinken zu bringen.
Es gibt auch traurige Gemeinsamkeiten: »Es stimmt tatsächlich, in Irland kann man auf sehr viele Arten betrunken sein, man ist zum Beispiel pissed oder stocious oder on his ear oder langered oder einfach nur full as a bingo bus. Mein Vater beherrschte fast alles davon.« Der Vater ist Alkoholiker und hat Frau und Kinder verlassen. Deshalb sind sie nach Deutschland umgezogen, Emmas Mutter konnte allein das Haus nicht bezahlen, es drohte der Umzug ins berüchtigte Northern Dublin.

Ausgerechnet in diesen Teil der Welt

Als der 16-Jährige Dara eines Nachts sturztrunken nach Hause kommt, fürchtet die Mutter, auch ihren Sohn an den Alkohol zu verlieren und flippt total aus. Dabei findet sie im Plattdeutschen erstaunlich viele Begriffe: »Buddelbroder. Sprietkopp. Suupbüdel.«
Oder wie ihre Großmutter es auf den Punkt bringt: »Sie steht neben mir und sagt etwas zu mir, was sie wahrscheinlich schon die ganze Zeit mal zu irgendjemand sagen wollte: wie verrückt es ist, vor dem Alkohol wegzurennen und dann ausgerechnet in diesen Teil der Welt zu ziehen.«

Verbunden durch das Meer

Emma erträgt die provinzielle Einöde, die unbekannten und schroffen deutschen Großeltern, ihre niedergeschlagene Mutter, das harte dunkle Brot und die Unfreundlichkeit der desillusionierten Dorfbewohner durch den Gedanken an ihre Heimreise. Und weil sie das Meer, in dem Fall die Ostsee für sich entdeckt. Sie schwimmt stundenlang, sie taucht unter und fühlt sich der irischen Heimat verbunden.
Ihr Mitschüler Levin hat einen Plan ausbaldowert, wie man als Minderjährige, ohne Flugzeug, nach Irland kommt. Levin in seinen übergroßen, ausgewaschenen Heavy-Metal-Band-T-Shirts, »dünn wie Dünengras«, ist selbst ein Außenseiter und Einzelgänger.

Entwurzelte Kinder

Zwar lassen die anderen den Jungen in Ruhe, doch wie Emma bald hautnah erfährt, hat auch Levin kein Zuhause. Seine Mutter ist psychisch krank, verweigert die Therapie, hält in ihrem Wahn ihre ganze Familie gefangen. Levin, sein Vater und sein älterer Bruder schweigen aus Scham und Hilflosigkeit. Durch seinen Plan für Emmas Flucht droht Levin den einzigen Menschen zu verlieren, dem er vertraut und sich verbunden fühlt.
Sprachdifferenzen, entwurzelte Kinder, die Kraft des Meeres und viele verschiedene Arten des Schweigens, kreative Schimpftiraden, zauberhafte, aber auch brutale Begriffe – das alles verbindet Susan Kreller zu einer herzzerreißend traurigen und schönen Geschichte.
Es heißt »home is where the heart is«. Das klingt kitschig, stimmt aber. Zum Schluss kommt Emmas Herz zu Hause an.

Susan Kreller: Elektrische Fische, Carlsen, 192 Seiten, 15 Euro, ab 12

Die dunklen Seiten des Menschen

Was ist nur los mit den Menschen in der Welt und mit uns selbst? Das könnten wir uns in diesen Tagen ständig fragen, und zwar nicht nur wegen der nervenaufreibenden Corona-Lage. Hass, Lügen, Verarschung, Provokationen, Protest und Manipulationen sind gefühlt in allen Bereichen des Lebens an der Tagesordnung, in der Politik, der Wirtschaft, im virtuellen Raum wie auch im Freundes- oder Familienkreis. Schnell bleibt bei uns der Eindruck zurück, dass der Umgang der Menschen miteinander immer nur noch schlimmer wird. Diesem komplexen Phänomen widmet der Philosoph Jörg Bernardy sein aktuelles Buch für Jugendliche. In sechs Kapiteln erörtert er die oben genannten menschlichen Verhaltensweisen, unsere dunklen Neigungen.

Aufklärung im Sinne der Philosophie

In jedem Kapitel erklärt er die Grundlagen, also warum es beispielsweise menschlich ist zu lügen oder über wen gelacht werden darf und bei welchem Thema so etwas nicht angebracht ist. Bereits hier finden sich die Leser:innen rasch in ihren eigenen Lebenswelten wieder, die Bernardy mit unzähligen Beispielen aus den vergangenen Jahren und der Historie anreichert: Trumps Fake News-Politik kommen zur Sprache, die Provokationen der Dadaisten von Anfang des 20. Jahrhunderts oder auch die me-too-Debatte. So stecken wir von Seite eins an in einem hochpolitischen Buch, das nichts weniger verhandelt als die Grundfesten unserer Demokratie: Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit, Toleranz, Menschenrechte.

Orientierung im Polittalk

Was sich abstrakt anhört, begegnet uns nämlich tagtäglich, sobald wir mit anderen Menschen Umgang pflegen und mit ihnen über das Weltgeschehen, die Kommunalpolitik oder auch den Schulalltag diskutieren. Denn niemand von uns möchte angelogen, manipuliert, gemobbt oder rassistisch beleidigt werden. Bernardy bietet im Zuge einer grundlegenden Aufklärung differenzierte Definitionen allgegenwärtiger (Hass-)Tendenzen (z.B. Islamismus, Antisemitismus, Faschismus, Sexismus etc.) und macht damit deutlich, wie wichtig es ist, sich zunächst über die Begriffe und ihre Bedeutung klar zu werden.
Denn sobald wir wissen, wer beispielsweise den Begriff »Lügenpresse« in welchem Kontext und aus welchen Gründen benutzt, werden wir uns nicht so leicht vereinnahmen lassen oder möglichen Verschwörungstheorien auf den Leim gehen. Ausführlich erläutert Bernardy in diesem Kontext auch die die Rolle der Medien, das Ziel von »Clickbaiting« oder warum Tabubrüche in gewissen Blättern oder Sendern so beliebt sind.
So gelangen die Leser:innen im Laufe der Lektüre dazu, sich eine Haltung zu erarbeiten und sich mit ihren eigenen Meinungen und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen.

Eine Frage der Haltung

Doch Bernardy liefert nicht einfach nur Antworten und belässt es bei Erklärungen oder Definitionen, sondern er lädt die Leser:innen zu Gedankenspielen und -sprüngen ein, in denen ein jede/r angeregt wird, eigenes Tun und mögliche vorhandene Vorurteile zu überdenken. Er bedient sich dafür unzähligen Fragen, die tief in philosophische Diskussionen führen können, weil es selbst bei den dunklen Seiten von uns Menschen nicht einfach nur ein Richtig und ein Falsch gibt, sondern auch immer ein Es-kommt-darauf-an.
Ich glaube, es hackt! hat das Zeug, zur Diskussionsgrundlage für Schulklassen und Familien zu werden. Die gelungene Mischung aus Erklärungen, Beispielen und Fragen schafft ein kurzweiliges Lesevergnügen mit dem nachhaltigen Effekt, dass wir über viele Aspekte lange nachdenken und diskutieren können und sollten.
Junge Leute werden aus solchen Diskussionen auf jeden Fall gestärkt und mit einer eignen Haltung in diese anstrengende Welt gehen, in der scheinbar so vieles immer schlechter wird, es aber objektiv immer mehr Menschen besser geht. Wenn wir dann in Kenntnis unserer dunklen Seiten uns ganz bewusst für die guten Seiten wie Liebe, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Toleranz entscheiden, kann jede/r von uns das Leben für alle noch ein bisschen schöner machen.

Jörg Bernardy: Ich glaube, es hackt! Leben in Zeiten von Tabubrüchen, Beltz & Gelberg, 2021, 174 Seiten, ab 14, 16,95 Euro

Vom Hinterhof zum Horizont

Will ein Mensch dazugehören, dann muss er im Hinterhof abhängen. Aber es gibt Momente, da merkt man, dass das nicht reicht. Auf dem Hinterhof ist meine Position Abseits. Da will doch niemand stehen. ›Ich geh dann mal nach Hause‹, sage ich und gehe, und keiner hält mich auf. Ich habe mich selbst ausgewechselt. In meiner Wohnung ziehe ich die Badekappe über. Und dann fange ich an zu heulen.
So endet die Geschichte.«
Wie, das war’s jetzt? So deprimierend könnte Sarah Jägers Romandebüt Nach vorn, nach Süden enden. Tut es aber nicht. Weil die Suche nach Jo noch nicht beendet ist. Weil durch sein Verschwinden das Geflecht der Leute im Hinterhof der Penny-Filiale in Bewegung geraten ist. Weil die Erzählerin mehr damit zu tun hat, als alle ahnen. Weil sie Lena heißt, von allen aber Entenarsch genannt wird. Weil ein halber Roadmovie im Landstraßentempo kein ganzer Roman ist.

Man chillt und grillt zusammen

Sarah Jäger erzählt sehr raffiniert mit interessanten Umwegen, Abzweigungen und Zeitsprüngen von einer zusammengewürfelte Bande aus Angestellten, Aushilfen, Freundinnen und jüngeren Brüdern von Aushilfen. Man chillt und grillt zusammen. Man küsst und zofft sich. Zwei haben eine gemeinsame kleine Tochter, sind aber nicht mehr zusammen. Manche sind verliebt, manche glücklich, manche geheim.

Festgefahrene Strukturen werden dynamisch

Lena alias Entenarsch ist die einzige mit Führerschein und eigenem, bisher wohlweislich nie genutztem Auto. In dem macht sich ein Teil der Hinterhoffamilie auf den Weg nach Süden, um Jo, Maries Liebsten zu finden. Die anderen aus dem Hinterhof fahren virtuell mit Tipps und Kommentaren mit. Vordergründig ist es ein Roadmovie oder Roadroman, und wie bei jedem guten Werk aus diesem Genre ist der Weg das Ziel. Vermeintlich festgefahrene Strukturen werden dynamisch. Zwei, die fast nichts miteinander zu tun haben, kommen sich sehr nahe. Man muss wegfahren, um anzukommen. Schnurgerade Straßen Richtung Zukunft werden zu Serpentinen und können sich sogar als Sackgasse entpuppen.

Je knapper die Sätze, umso gewichtiger ihre Bedeutung

Sarah Jäger erzählt aus Lenas Sicht. Mit ihren Augen entdecken wir nach und nach ganz unterschiedliche, vielschichtige Charaktere. Diese sind verwoben in spannenden Wahlverwandtschaften. Eine Schicksalsgemeinschaft aus sozial eher unterprivilegierten jungen Menschen, die sich aber nicht unterbuttern lassen. Besonderheiten, tragische Erlebnisse oder familiäre Schwierigkeiten werden nur dann angerissen, wenn es sich aus dem Verlauf ergibt und die Handlung dadurch vorangetrieben wird. Je knapper die Sätze, umso gewichtiger ihre Bedeutung.

T-Shirt-Sprüche wirken wie Zwischenüberschriften

Dabei ist Jägers furioses Debüt keinesfalls wortkarg oder minimalistisch. Es lebt von Wortwitz und dem Spiel mit Sprache. »Die Luft ist so dick und schwer wie ein Vorgartenbuddha, aber sie lächelt nicht, sie ist so mies gelaunt, dass es einem den Atem raubt«, beschreibt Lena nicht nur die dicke Luft eines heraufziehenden Gewitters. »Ich möchte in keiner Sackgasse wohnen«, sagt Can. »Was ist mit Einbahnstraßen?« »Wenigstens weiß man bei einer Einbahnstraße in welche Richtung es geht.« »Auch wieder wahr, das hilft bei absoluter Planlosigkeit.« Über Kreisverkehr, Standstreifen, Dauerbaustelle und Fahrbahnverengung kalauern Lena und ihr Schwarm Can in schlagfertigem Screwballstil und kommen sich näher. T-Shirt-Sprüche wirken wie pointierte Zwischenüberschriften. Zuckerwatte ist eben nicht nur süßes, klebriges Zeug, sondern steht für die Leichtigkeit des Seins. Nicht zuletzt geht es auch um Namen, Namen, die wie eine Auszeichnung sind. Und Namen, die sehr verletzend sein können und nicht nur dem Namensträger schaden.

Eine Geschichte wie aus einer verlorenen Zeit

Die Autorin konnte es nicht ahnen, aber Nach vorn, nach Süden wirkt wie eine Erzählung aus einer anderen, einer verlorenen Zeit: Es ist heiß, junge Leute verreisen dichtgedrängt, machen Party und tanzen auf Festivals. Gut also, dass die Geschichte nicht auf halber Strecke endet. Dass es nicht nur eine zweite Reise und etliche Kilometer mehr gibt. Und dass dieses von mir verspätet entdeckte Debüt den Horizont weitet und neugierig macht auf mehr: »Ich klettere auf die Plattform und höre die Stimme von unserem Pavel. ›Man muss doch mal weit gucken … das braucht man doch mal.‹« Absolut. Nicht nur in diesen erstarrten, distanzierten und vergnügungsfernen Zeiten.

Sarah Jäger: Nach vorn, nach Süden, Rowohlt 2020, 224 Seiten, ab 14, 18 Euro

Alles andere als perfekt, aber ziemlich schön

Steinkellner

In dieser Familie ist alles zu knapp:
– das Geld
– die Vorräte in unserem Kühlschrank
– der Platz in unserer Zweizimmerwohnung
– Ruths Hotpants (wer denkt sich so was eigentlich aus: Hosen für Zehnjährige, die so kurz sind, dass unten die Arschbacken rausgucken?)
– die Zeitspanne zwischen dem Moment, wenn Mama von der Arbeit heimkommt, und dem, wenn sie erschöpft auf der Couch einschläft.«
Ebenso knapp wie prägnant fasst die Maia in Elisabeth Steinkellners Papierklavier ihre familiäre Situation zusammen. Gespickt mit einer treffenden Kritik an absurden Klamottentrends und merkwürdigen Bildern, denen schon sehr junge Mädchen unterworfen werden.

Selbstmitleid so fern wie Size Zero

Nicht nur, dass Maia sich mit ihren beiden jüngeren Schwestern ein Neun-Quadratmeter-Zimmer und ein Drei-Etagenbett teilen muss. Zusätzlich trägt die 16-Jährige Kleidergröße 42, hat weder Modellmaße noch ansatzweise Geld für Designerfummel.
Elisabeth Steinkellners neuer Roman hat also alle Zutaten für eine deprimierende Geschichte über einen Teenagertrauerkloß aus prekären Verhältnissen. Das hätte ein tristes Sozialdrama oder eine kitschige Aschenputtelgeschichte werden können. Doch die Österreicherin hat eine famose, Mut machende, geradezu bezaubernde Geschichte in Form eines Tagebuchromans geschrieben. Mit einer absolut liebenswerten Heldin, der Selbstmitleid so fern ist wie Size Zero.

Dickes Fell in Übergröße wäre gut

Manchmal wünscht Maia sich zwar ein dickes Fell in Übergröße. Und natürlich gehen Lästereien über ihren »fetten Arsch« nicht spurlos an eben jenem an ihr vorbei. Trotzdem macht sie den Schönheitswahn nicht mit. Weil sie stark ist. Weil sie klug ist. Weil sie selbstbewusst ist. Weil sie weiß, um was es sich zu kämpfen lohnt.
Jetzt sind wir nämlich bei den Vorurteilen, denen Maia, ihre kleinen Schwestern, vor allem aber ihre Mutter ausgesetzt sind: »Drei Töchter von drei verschiedenen Männer. Leute (insgeheim): Schon mal was von Verhütung gehört? Oder: Schlampe. Wechselt die Männer wie die Unterwäsche, lässt sich von jedem ein Kinder machen und nimmt dann alle aus wie die Weihnachtsgänse.«

Freundinnen, die sich schätzen, weil sie sind, wie sie sind

Dass ihre Mutter von keinem der Väter auch nur einen Cent Unterhalt bekommt, interessiert niemanden. Zumindest im Umgang mit dem Sozialberater hilft es, wenn sie ein zu drei Vierteln absolviertes Medizinstudium heraushängen lässt, die Leute sind leicht zu blenden, und damit gilt sie zumindest nicht mehr als zu blöd zum Verhüten und wird etwas respektvoller behandelt.
Maias Mutter ist zwar chronisch erschöpft, manchmal wütend und würde sich ein anderes Leben wünschen. Aber sie liebt ihre Töchter, und das zeigt und sagt sie ihnen auch. Außerdem hat Maia zwei besondere, beste Freundinnen. Die drei akzeptieren sich gegenseitig so, wie sie sind. Und sie schätzen sich, weil jede eben so ist, wie sie ist.

Steinkellner lässt Leser:innen in die Vorurteilsfalle tappen

Steinkellner erzählt lebendig mit umwerfend viel Sympathie und ohne künstliches Drama. Die mehrfach ausgezeichnete Jugendbuchautorin karikiert Klischees und entlarvt Vorurteile.
Manchmal lässt sie dazu Leser:innen raffiniert in die Falle tappen: Etwa als Maias zehnjährige Schwester Ruth heulend auf dem Bett liegt und sagt »Niemand mag mich, nicht in der Klasse und nicht im Hort«, denkt man sofort, sie wird als »Asi« oder Schlimmeres gemobbt. Dabei sind es nur richtig schlechte Laune und blöde Zankereien, wie sie unter kleinen Mädchen öfter mal vorkommen. Das Ganze hat nichts mit sozialem Status und so zu tun. Maia ist auch nicht alarmiert, wünscht sich nur ein »Handbuch für kleine Schwestern«.

Die Illustration akzentuieren den Text und erzählen ihn weiter

Steinkellners Heldin ist ein beeindruckend empathisches Mädchen. Eine brillante Beobachterin, mit exzellentem Sinn für Situationskomik. Sie schreibt mit reichlich Wortwitz und einer gepfefferten Portion Selbstironie ihr Tagebuch. Und stattet es mit tollen Zeichnungen aus.
Diese Zeichnungen stammen natürlich nicht von Maia, sondern von Anna Gusella. Sie illustriert die Seiten mit vielfältigen, faszinierenden und dezent kolorierten Zeichnungen, die den Text akzentuieren, verstärken und weitererzählen.
Maia ist eine ganz normale, wenn auch ganz schön schlaue 16-Jährige. Zwar mit etwas weniger Geld, dafür aber mit viel Liebe in sich und um sie herum. Und die kann man bekanntlich nicht kaufen. Oder um es mit ihren Worten zu sagen: »Und wie ich mich so umsehe, stelle ich fest: Es ist alles andere als perfekt hier. Aber eindeutig ziemlich schön.«

Elisabeth Steinkellner: Papierklavier, Illustration: Anna Gusella, Beltz & Gelberg, 140 Seiten, ab 14, 14,95 Euro

Körperbewusstsein

oben ohne

Amelie, 13, hadert mit ihrer Figur: Sie wäre so gern eine Sanduhr, ist aber eher eine Pyramide. Breite Hüften und noch keine Oberweite. Sie fühlt sich pummelig und sucht Rat in YouTube-Videos, wie sie ihre vermeintlichen Makel verstecken kann. Doch allein solche Tipps wie »die Taille hochanzusetzen, damit die Hüften nicht noch breiter wirken«, frustrieren sie unglaublich. Amelie versteckt sich lieber in den weiten Hemden ihres Vaters und anderen Schlabberklamotten und montiert geschickt in der Fotoapp ihren eigenen Kopf auf den Körper eines angesagten Top-Modells. Schöne, fiese Internetwelt!

Jutta Nymphius widmet sich in ihrem ersten Jugendbuch Oben ohne einem zunehmend problematischen Phänomen unserer Zeit: Der Vergleich mit anderen Menschen im Netz, die sich absolut perfekt und unangreifbar darstellen. Und so zu einer Verschiebung der Maßstäbe beitragen, wenn es um die Beurteilung von »normalen« Körpern geht. Schlank, sportlich, makellos schön, so haben junge Frauen heute auszusehen – und ich möchte nicht wissen, wie viele Mädchen da draußen sich tatsächlich diesem mediengemachten Druck beugen und mit sich selbst und ihrem Körper hadern.

Bekanntes Setting, überraschendes Ende

Amelie jedenfalls hadert und schwärmt gleichzeitig für den Schul-Beau Elias. Breite Schultern, Modelqualitäten, sicher ein cooles Six-Pack, »Elias ist ein Event«. Doch wie es mit solchen Typen eben ist: Er beachtet Amelie nicht, kennt sie gar nicht und ist einfach unerreichbar weit weg. Erst als Amelie sich mit der Neuen in der Klasse, Kira, anfreundet, ändert sich das. Kira ist der selbstbewusste Gegenpol zu Amelie, sie trägt knallenge Tops, die schon mal ihre Speckröllchen freilegen, hautenge Hosen, schminkt sich die Augen dunkel und schert sich nicht im Geringsten um die Meinung der anderen, die es nicht mal wagen, ihr gegenüber auch nur eine Bemerkung fallen zu lassen.
Aber Kira kennt Elias. Und stellt den Kontakt zwischen den beiden her, als sie merkt, dass Amelie für ihn schwärmt. Dass die Kombination Beau trifft auf Mäuschen selten gut ausgeht, ist bekannt, und so auch hier. Irgendwann bittet Elias Amelie um ein Foto von ihr – »oben ohne« – angeblich, um sie besser kennenzulernen. Als erwachsene Leserin schrillen natürlich alle Alarmglocken und man möchte die Heldin schütteln und sagen: Nein, lass das, das führt zu nichts, außer zu Tränen.

Gut verpackte Medienkritik

Aber Amelie ringt sich durch, schickt ein Foto, was natürlich prompt die Runde in der Schule macht … Doch so vorhersehbar wie man jetzt vermuten würde, machte es Jutta Nymphius den Leser:innen nicht, sondern sie hat einen ganz wunderbaren Kniff parat, der aber natürlich nicht offenbart wird.
Die Elbautorin zeigt mit dieser Geschichte all ihr Verständnis für die Sehnsüchte junger Mädchen, für ihre Kämpfe mit sich selbst, mit dem sich verändernden Körper in der Pubertät und für das Bedürfnis dazuzugehören. Die Kritik, die in dieser Geschichte an den Medien, dem Netz und unserem Umgang mit all dem mitschwingt, ist perfekt verpackt und kommt nicht moralisierend daher. Nymphius zeigt, wie es auf Schulhöfen zugehen kann und dass selbst gut Freunde und Freundinnen, die Amelie durchaus mit Kira und ihrem Sandkastenfreund Nicki hat, einen nicht unbedingt vor falschen Entscheidungen bewahren können.

Hohes Identifikationspotential

Der Identifikationsfaktor bei dieser Geschichte ist damit extrem hoch und gibt jungen Leserinnen hoffentlich genügend Stütze, sich den Verführungen im Netz und auf dem Schulhof eben nicht so einfach hinzugeben, sondern ein selbstbewusstes Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln und die wahren Freund:innen im Leben zu erkennen und wertzuschätzen.

Genau das richtige Cover

Als ich das Buch zum ersten Mal in der Hand hielt, fiel mir das Cover besonders auf. Themen wie Bodyshaming und Körperbilder von jungen Mädchen verführen oft dazu, auf Buchumschlägen diese Mädchen wieder als das oben genannte Ideal zu zeigen: eben gertenschlank. Hier jedoch ist ein völlig normales Mädchen zu sehen – das wir jedoch mit genau diesem medienverdorbenen Blick sofort als leicht übergewichtig bewerten würden, weil da ja die Jeans ein bisschen einschneidet, der Bauch nicht flach ist und die Taille nicht der einer Wespe entspricht. Schon hier sollten wir stutzig werden, wie sehr wir die angeblich heute normalen Sehgewohnheiten und angeblich normalen Maßeinheiten von Körpern bereits verinnerlicht haben. Ich nehme mich da gar nicht aus, ich kann Amelies Wünsche, diesem »Ideal« zu entsprechen, sehr gut verstehen. Aber das kann einfach nicht sein, dass wir junge Mädchen in diese absurden Muster pressen und damit für ihr Unglück mitverantwortlich sind.
Jutta Nymphius ist mit Oben ohne ein Roman gelungen, der mit dem Finger in einem Auswuchs der Medienwelt bohrt. Ob wir in gewissen Bereichen (Mode, Werbung, Film …) je zu einem menschlicheren Maß in der Darstellung von Frauen und Männern kommen, wage ich ja manchmal zu bezweifeln, aber je mehr Menschen ein Bewusstsein für die Überzogenheit in den Medien entwickeln, umso eher gibt es eine Chance, sich davon nicht mehr beeinflussen zu lassen. Dieses Buch ist so ein Bewusstseinsentwickler!

Jutta Nymphius: Oben ohne, Tulipan, 2020, 200 Seiten, ab 12, 13 Euro

Lasst uns die Regeln brechen

Bushnell

Ich betrachtete Deannas steinerne Miene. Ich wüsste nicht, dass ich mir je große Gedanken darüber gemacht hätte, warum eigentlich alle sagen, sie wäre eine Schlampe – abgesehen davon, dass sie viel Busen hat und schon in der Siebten mit einem Jungen zusammen war. Und selbst wenn sie mit einer Million Typen zusammen gewesen wäre, denke ich plötzlich, selbst wenn sie mit ihrer Kleidung Aufmerksamkeit erregen will, dann ist das doch einzig und allein ihre Sache?!«
Es ist etwas passiert im Leben der 17-jährigen Highschool-Schülerin Marin. Seitdem sieht sie ihr Umfeld anders. Sie denkt anders. Und sie schreibt anders – einen wütenden Leitartikel für die Schülerzeitung. Die ungeschriebenen Regeln für junge Mädchen, die Rules for being a Girl, wie Candace Bushnells erstes Jugendbuch heißt, das sie zusammen mit Katie Cotugno geschrieben hat.

Ausgerechnet die Autorin von Sex and the City

Candace Bushnell, ist das nicht die Autorin der 90er Jahre Kultserie Sex and the City? Wo es für vier erwachsene Freundinnen in New York vor allem um teure Klamotten, coole Partys, Genuss und Luxus ging – und letztendlich doch auch darum, den einen, den Mr. Big, zu finden.
Genau so fängt es an: Marin und ihre beste Freundin Chloe sind im letzten Jahr der Highschool, hängen mit den coolen Lacrosse-Spielern ab, freuen sich aufs College, tauschen Schminktipps, sind quasi die Redaktion des Bridgewater-Schulblättchens, zuständig für euphorische Spielberichte, Kursneuigkeiten, Klatsch und Tratsch. Und schwärmen beide für den jungen, lässigen Englischlehrer Mr. Beckett, genannt Bex.
Nebenbei ein bisschen Namedropping zu Kleidungs- und Getränkefirmen, Neckereien mit Jungs und die große Frage, wer mit wem und ob und wann. Hanni und Nanni der 2010er Jahre also?

Du kannst tun, was du willst! Solange du dich bloß an die Regeln hältst

Geschickte Täuschung. So wie Marin 17 Jahre in ihrer Heile-Welt-Blase gelebt hat, lullen Bushnell und die routinierte Frauenromanautorin Cotugno die Leser:innen zunächst ein. Es ist noch keine Feministin vom Himmel gefallen.
»Denk dran, Mädchen: Du zu sein, das war in der Geschichte der Menschheit noch nie so toll wie gerade jetzt. Du kannst tun, was du willst! Du kannst so sein, wie du willst! Dir ist alles erlaubt! Solange du dich bloß an die Regeln hältst.«
Diese ungeschriebenen Gesetze hat Marin ihr bisheriges Leben unbewusst befolgt. Süß, lieb, nett, kumpelhaft, später sexy, souverän, lässig, selbstbewusst – aber eben nicht zu sehr. Alles zwischen Mädchen zum Pferdestehlen (mit dem entsprechenden Appetit, trotzdem magischerweise natürlich gertenschlank), kluge Schülerin (die ihre Intelligenz nicht zu sehr raushängen lassen), gewitzte Gefährtin und Vamp – aber immer kontrolliert, immer antizipierend, dass sie keine falschen Signale aussendet, nicht falsch verstanden wird, keine scheinbar eindeutigen Angebote macht. Immer vor allem für die Jungs mitdenkend.

Den alltäglichen Sexismus längst verinnerlicht

Doch nun wird Marin der alltägliche, allgemeine Sexismus überdeutlich. Angefangen bei Frotzeleien über Übervorteilungen bis zu massiven Grenzüberschreitungen. Ein Sexismus, den sie selbst längst verinnerlicht hat. Oder warum hat sie sich noch nie für das sehr erfolgreiche Volleyballteam der Mädchen interessiert, die erneut kurz vor der Meisterschaft stehen? Und stattdessen die klägliche Jungen-Footballmannschaft angefeuert? Warum geht sie davon aus, dass ein Junge nicht wirklich ein Buch, noch dazu das einer Autorin über Frauen, gelesen haben kann?
Dabei lebt sie doch in einer vermeintlich toleranten, diversen Umgebung. Wo ein Mitschüler selbstverständlich von seinen zwei Müttern spricht (in der Übersetzung heißt es leider immer ausnahmslos »Mom«). Ein anderer datet einen »supersüßen Typen«. Auch die Hautfarbe der Interviewerin am College spielt keine Rolle – bis sie von ihr selbst thematisiert wird (»das ist hier schon ein ziemlich weißer Campus«).

Darüber würde ein Kerl sich gar keine Gedanken machen

Marin und mit ihr die Leser:innen werden immer sensibler für und vor allem immer wütender über die tagtäglichen verbalen Attacken und die allgegenwärtige Doppelmoral (»Hast du deine Tage, oder was?« »Du schreibst irgendeinen seltsamen Artikel und benimmst dich wie ein totaler Psycho … entwickelst dich zu irgendeiner verrückten Feministin?«): »Weil …«, überlege ich, weil sein beiläufiger Sexismus auf einmal anfing mich zu nerven …« denkt Marin zwar, spricht es aber nicht mal gegenüber ihrer Freundin aus, weil es ihr nicht mehr logisch erscheint.
Beim Bewerbungsgespräch ermahnt Marin sich selbst, nicht zu souverän auf ein ernstgemeintes Kompliment für ihren Leitartikel zu reagieren: »Ich lächle und senke erfreut den Kopf, aber ich will nicht zu großspurig wirken – worüber, denke ich urplötzlich, ich mir wahrscheinlich als Kerl gar keine Gedanken machen würde.«

Das ist schlicht die Realität, oder?

Später wird Marin richtig zornig: »Ich habe die Nase voll davon, euch alle einfach davonkommen zu lassen, wenn ihr so einen Scheiß redet.«
Sie gründet einen feministischen Buchclub, als Reaktion auf die männlich dominierte Literatur im Unterricht, und reagiert lautstark und handfest auf auch nur beiläufige, viel zu lange hingenommene Ungerechtigkeiten. Schließlich meldet Marin der Schulleitung, was ausgerechnet Bex ihr angetan hat, und hat fortan die ganze Schule gegen sich – fast …
Als später die Zeitungen über die Ereignisse an Marins Schule berichten und alle sich wundern, wie »so etwas heutzutage noch geschehen konnte«, konstatiert Marin trocken: »[…] ich schätze, das ist schlicht die Realität, oder?«
Dass der Kampf gegen die ungeschriebenen und ungerechten Regeln, gegen Sexismus und Diskriminierung, noch lange nicht ausgefochten ist – auch nicht in unserer ach so toleranten, aufgeklärten westlichen Welt – das schreiben Bushnell und Cotugno mitreißend und spannend in Rules for being a Girl. Bis auf einige unnötige Anglizismen und die inflationären »Moms« und »Grams« haben Sylvia Bieker und Martina Tichy auch frisch, eloquent und authentisch übersetzt. Mit einem sehr schönem Schluss: »Sorry, dass ich zu spät bin«, sagt er und zuckt ein wenig schüchtern mit den Schultern. »Ich musste erst das Buch zu Ende lesen.«

Nonchalant feministisch

Und von wegen Vorurteile: Wer hätte der Sex-and-the-City-Autorin so viel absolut überzeugenden, kenntnisreichen Feminismus zugetraut? Tatsächlich hat sie ihre Figuren nonchalant feministisch entworfen: »Diese Frauen nehmen sich einfach das, was für Männer völlig normal ist. Sie sind selbstbewusst, dominant, genießen Geld und Statussymbole – und sie haben Sex, wann und mit wem und mit wie vielen sie wollen«, sagt Bushnell. Richtig so, lasst uns die Regeln brechen!

Candace Bushnell & Katie Cotugno: Rules for being a Girl, Übersetzung: Sylvia Bieker und Martina Tichy, Dragonfly 2020, 287 Seiten, ab 14, 15 Euro

Drei Figuren suchen eine Autorin

Ich. Hasse. Mein. Leben.« Lizzy hat auch allen Grund dazu: Ihr Vater ist mit ihr auf eine kleine Insel hoch im Norden, vor der Küste Schottlands gezogen, weil dort seine Freundin das Ainsley Castle Hotel betreibt, eine edle Wellnessherberge. Weit weg von ihrem bisherigen Zuhause. An ihre Mutter hat Lizzy keine Erinnerung, »da ist nur so ein Gefühl. Etwas Warmes, wie die Farbe von Pfirsich … Etwas Süßes mit einer leicht herben Note, wie gezuckerte Schlagsahne mit Preiselbeeren.«
Die Mutter ist gestorben, als Lizzy drei Jahre alt war. Nichtmal ein Foto ist ihr geblieben, weil bei einem Einbruch der Laptop mit allen Bildern gestohlen wurde. Geblieben ist ihr nur ein Seidentuch, ein Souvenir, das ihre Mutter in Paris gekauft hatte.

Böse Stiefmutter

Und jetzt ist da diese Stiefmutter, die ständig meckert und an ihr rummäkelt: Lizzy soll aufräumen, Krümel wegfegen, ihre Umzugskartons auspacken, das Regal aufbauen, höflicher sein, freundlicher, umgänglicher … »Ha. Ich weiß ganz genau, wohin das führen wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie mir befiehlt, in der Spülküche zu schlafen, mit nichts als Mäusen und Küchenschaben zur Gesellschaft.
Ich wiederhole: Ich. Hasse. Mein. Leben.«

Merkwürdige Mails

Was aber, wenn es gar nicht ihr Leben ist? Erst sind es nur kleine Irritationen, verschwundene Sachen, falsche Erinnerungen, Schwindelattacken.
Aber plötzlich bekommt Lizzy merkwürdige Mails: Irgendjemand weiß nicht nur genau, was sie tut, sondern der unbekannte Absender – oder ist es nicht eher eine Absenderin? – scheint auch ihre Gedanken lesen zu können und kennt sogar ihre Albträume!
Lizzy ist überzeugt, dass ihre Stiefmutter dahinter steckt. Zusammen mit dem Aushilfskellner und Computerexperten Mack will sie ihr auf die Schliche kommen und Das Rätsel von Ainsley Castle lösen. Aber dann steht Lizzy ihrer Doppelgängerin gegenüber: Betty. Netter, adretter, naiver und mädchenhafter zwar – doch gespuckt ihr Ebenbild.
Was Holly-Jane Rahlens als modernes Märchen mit klassisch böser Stiefmutter und digitalen Kommunikationsmedien beginnt, entwickelt sie zum super spannenden Abenteuer und Gedankenexperiment über das Schreiben an sich.

Romane sind nur so gut wie ihre Charaktere

Schon ihre frühen Romane wie Mauerblümchen oder Max Minsky und ich, mit denen die seit den 1970er Jahren in Berlin lebende New Yorkerin Anfang der 2000er bekannt wurde, überzeugten mit außerordentlich echten und lebendigen Mädchencharakteren. Jetzt geht sie noch weiter.
Romane sind nur so gut wie ihre Figuren. Sie tragen die Handlung, man erlebt die Geschichte durch sie, sie begleiten uns bis zum Ende, und es fällt schwer, sich wieder von ihnen zu verabschieden, meist für immer.
Fortsetzungen gelingen nur selten, erstaunlicherweise schaffen es vor allem Krimiautor*innen, ihre Charaktere über mehrere Bände lebendig zu halten und jede Wiederbegegnung zu einem Vergnügen zu machen. Leser*innen leiden und lieben,  wandeln sich und wachsen mit den Figuren.

Spiel zwischen Fiktion und Realität

Das Beste, das einem Autor passieren kann, ist, wenn seine Figuren ein Eigenleben entwickeln und der Geschichte ungeahnte Dynamik geben. Der Theaterautor Luigi Pirandello hat dieses Spiel zwischen Fiktion und Realität vor fast genau 100 Jahren in seinem Stück Sechs Figuren suchen einen Autorauf die Spitze getrieben.
Tragischerweise gelingt es den sechs, alle Mitglieder einer Familie, nicht, in einem Theaterstück verewigt zu werden. Das ist natürlich absurd, denn genau das ist es – ein Theaterstück über sechs Figuren, die ihr Drama auf die Bühne bringen wollen.
Pirandellos Figuren wissen von ihrer Fiktionalität und wollen lebendig werden.

Gelöscht und ersetzt durch eine stimmigere Doppelgängerin

Bei Rahlens weiß Lizzy anfangs nicht, dass sie nicht real ist, hasst schön theatralisch das, was sie für ihr Leben hält, und glaubt, sie hätte Optionen auf  ein besseres, glücklicheres.
Aber dann begreift sie, dass sie nicht nur die Erfindung einer Autorin ist. Sondern diese mit ihr so unzufrieden ist, dass sie Lizzy in schwere Konflikte und lebensgefährliche Situationen treibt und schreibt. Und sie durch eine vermeintlich stimmigere Kopie ersetzen will.
Spätestens als auch das Leben ihres heißgeliebten Vaters bedroht ist, beginnt Lizzy um ihre Existenz zu kämpfen. »Schriftsteller erzählen doch manchmal, sobald sie richtig tief in Geschichte stecken, fangen ihre Figuren an, ihnen zu sagen, was sie schreiben sollen. Autoren lieben diese Phase. Sie blühen total auf. Sie werden zu Sklaven ihrer eigenen Charaktere. Wenn E. L. Northlander etwas taugt, wird sie uns tun lassen, was wir wollen«, erklärt Lizzy ihren Verbündeten Mack und Betty.

Figuren werden zugunsten eines aufregenden Plots geopfert

Mit diesem hoffnungsvollen Gedanken erklimmen die drei Ainsley Castle. »Drei Figuren auf der Suche nach einer Autorin« zitiert Rahlens Pirandello als Kapitelüberschrift.
Leider taugt die ominöse E. L. Northlander, Absenderin der mysteriösen Mails und raffinierte Manipulatorin, in diesem Sinn überhaupt nichts. Weil sie ohne jeden Skrupel ihrer Meinung nach misslungene Figuren zugunsten eines fesselnden Plots opfern will.

Das Leben ein bisschen weniger hassenswert

Was für ein Glück, dass Holly-Jane Rahlens eine viel bessere Autorin ist: Sie gibt ihren Figuren genug Raum und Freiheit, um ein Eigenleben zu entwickeln und sich in die Herzen der Leser zu spielen. Und sie weiß, wie man eine spannende Geschichte erzählt. Der sie sogar noch augenzwinkernd ein richtig kitschiges Ende gönnt. Ganz großes Kino.
Es sind genau solche Bücher, Geschichtens und Gefährten auf Zeit, die das Leben zumindest weniger hassenswert machen. Und im besten Fall lebenswert. Ich. Liebe. Meine. Bücher.

Holly-Jane Rahlens: Das Rätsel von Ainsley Castle, Übersetzung: Bettina Münch, Rowohlt Rotfuchs, 315 Seiten, ab 12, 15 Euro

Was bleibt

Kurz vorab: Ich tue in Zeiten der Corona-Krise nicht so, als würde ich hier weitermachen wie bisher – ich mache tatsächlich weiter wie bisher. Denn wann hat man mehr Gelegenheit zu lesen, als jetzt, während dieser verflixten Pandemie, die hier auch nur einmal namentlich erwähnt werden soll. Also, los geht’s …

Plötzlich weiß ich es: Solange ich Noa hasse, wird Mama nicht sterben.«
Leas beste Freundin Noa hat das ausgesprochen, was Lea schon lange verdrängt und nicht zu denken wagt: Dass Leas Mutter den Kampf gegen den Krebs verlieren und sterben wird.
Deshalb versucht die Neunjährige das grausame Schicksal ebenso grausam auszutricksen, indem sie Noa, schneidet, ignoriert, wegschubst, beschimpft, mobbt, aus ihrem Leben verbannt. Das ist irrational – aber absolut verständlich.
Wie der drohende Tod Seele und Herz eines Mädchens mit Hass und Schmerz erfüllen – und dann doch ein stärkeres Gefühl sie tröstet und rettet, erzählt die schwedische Autorin Moni Nilsson absolut ergreifend und brillant mit So viel Liebe.

Wie ist es, wenn da nichts und niemand ist?

Man kennt den Kampf eines jungen Mädchens gegen ihre Krebserkrankung aus John Greens mal todtraurigem, mal todkomischem Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Hier blickt die Heldin dem eigenen Tod ins Auge.
Aber wie ist es für Kinder, wenn ein Elternteil stirbt? Wenn da ein großes Nichts ist, wo jemand war, der tröstet, beschützt, Halt gibt, bedingungslos liebt, auf den man sich verlassen kann – der eigentlich immer da sein sollte, solange man noch Kind ist?

Herz kaputt, Hirn zerreißt

Schon für Erwachsene ist es nicht leicht, mit dem Tod geliebter Menschen umzugehen, selbst darüber nur nachzudenken scheuen die meisten. Moni Nilsson beschreibt ungeheuer eindringlich, was diese Angst, die kein Kind erleiden sollte, mit Kindern macht.
»Es ist unbegreiflich.
In einem Monat gibt es Mama nicht mehr.
In einem Monat ist sie tot.
In einem Monat kann sie nicht mehr abwaschen.
Nicht einmal weinen. Oder ihre Lieblingsband hören.
Das ist unbegreiflich.
Es geht einfach nicht.
Mein Gehirn zerreißt.
Mein Herz ist schon kaputt.«
Lea versucht, das Undenkbare nicht zu denken. Aber das geht natürlich nicht. Eigentlich kennt sie ihre Mutter nur krank: »Alle anderen Mamas arbeiten. Meine Mama ist fast immer zu Hause, schon seit ich in die erste Klasse gekommen bin. Sie sagt, ihre Arbeit ist es, gesund zu werden. Und mich rund um die Uhr lieb zu haben.«

Prügeln ist auch keine Lösung

Lea ist extrem wütend auf das Schicksal, das manchmal tatsächlich ein richtig mieser Verräter zu sein scheint. Sie ist wütend über die schreiende Ungerechtigkeit, dass alle anderen gesunde Mütter haben. Und sie ist wütend auf jeden, der Mitleid mit ihr hat und sie bedauernd ankuckt. Da schlägt sie sofort zu.
Jeden Tag verprügelt sie ein Kind auf dem Schulhof. Bis ihr großer Bruder eingreift: »Es ist Lucas, der mich von meiner Prügelkrankheit heilt. Er kommt in mein Zimmer, ohne anzuklopfen, packt mich und drückt mich auf den Boden. Hält mich fest. Sehr fest. Er ist schwer. Ich krieg kaum Luft. Lucas guckt mich fuchsteufelswild an. ›Du hörst verdammt noch mal damit auf, dich wie eine Idiotin zu benehmen, kapiert? Damit machst du es Mama und Papa nur noch schwerer. Du bist nicht die Einzige, die einem leidtun muss, falls du das glaubst.‹«

Brutaler Deal mit dem Schicksal

Lektion verstanden, Prügeln ist keine Lösung. Aber an ihrem brutalen Deal gegen den Tod hält Lea fest: »Ich darf nicht vergessen, Noa zu hassen.«
Die Niederländerin Marjolijn Hof hat von dieser verqueren Logik, die nicht nur Kinder verfolgen, um dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen, in der fesselnden Erzählung Buch Tote Maus für Papas Leben erzählt.
Leas Angst ist noch konkreter, erlebt sie doch das langsame, qualvolle Sterben ihrer Mutter hautnah mit. Horrorfilme, die sie selbstverständlich nicht sehen darf, erscheinen ihr harmlos im Vergleich dazu. »Die Wirklichkeit, in der Eltern abends weinen und in der man nicht vergessen darf, seine beste Freundin zu hassen, die sollte für Kinder verboten werden.«

Kraft und Mut, sie sterben zu lassen

Patrick Ness hat in dem bereits verfilmten Sieben Minuten nach Mitternacht diese unerträgliche Wirklichkeit zu einem bizarren, schließlich befreienden Albraum werden lassen. Moni Nilsson bleibt realistisch und ganz nah an ihrer authentischen und sehr sympathischen Heldin.
Leas Mutter gelingt es schließlich zusammen mit dem ebenso traurigen Vater und Bruder Lea zu befreien von ihrer Wut, ihrer Verzweiflung, der Angst und Einsamkeit. Absolut überzeugend und glaubwürdig gibt sie ihrer Tocher das Vertrauen und auch den Mut und die Kraft, sie sterben zu lassen. Denn da ist nicht Nichts. Was bleibt, ist so viel Liebe.

Moni Nilsson: So viel Liebe, Übersetzung: Angelika Kutsch, Carlsen, 2020, 128 Seiten, ab 10, 12 Euro

Weil die Zeiten gerade ungewöhnlich sind, hier auch noch eine zusätzliche Leseempfehlung für junge Erwachsene:

In seinem Roman Die Pest beschreibt Albert Camus sehr eindringlich, was eine tödliche Infektionskrankheit macht mit einer menschlichen Gemeinschaft. Er erzählt, vor allem aus der Perspektive des Arztes Bernard Rieux, einfühlend vom Zwischenmenschlichen in einer isolierten Gemeinschaft. Vom Kampf dieses Arztes gegen die Schöpfung und seinen Weg zur Wahrheit. Vom Umgang mit der Ungewissheit, mit der Zeit, mit Sehnsucht, Angst, Schuld. Von Glauben, Moral, Werten und Überzeugungen. Und vom Tod.
»Was treibt Sie eigentlich, sich damit zu befassen?«
»Ich weiß nicht. Meine Moral vielleicht.«
»Und die wäre?«
»Mein Verständnis.«
Die Pest ist so voller kluger und letztlich erstaunlich optimistischer Gedanken (das unterscheidet den Philosophen und Nobelpreisträger Camus von seinem Kollegen Jean-Paul Sartre), dass man dieses Buch auf jeden Fall lesen sollte, am besten jetzt.

Albert Camus: Die Pest, Übersetzung: Uli Aumüller, Rowohlt, 12 Euro.

Mut zur Lücke

Becker

Zunächst wird es nur angedeutet: Eine handbeschriebene Tafel und Ärger mit dem Imbissbesitzer. Eine nicht wahrgenommene, viel sagende Widmung auf der ersten Seite. Die frotzelnde große Schwester: »Wer liest, ist im Vorteil.« Der ignorierte Klassenchat. Eltern, die sich selten, dieses Mal aber so richtig zoffen.
Erst nach gut einem Drittel taucht die Therapeutin in Anne Beckers Debütroman Die beste Bahn meines Lebens auf. Und man kapiert: Dies ist mehr als ein fabelhaft geschriebener Roman über das erste Verliebtsein. Und der 13-jährige Jan ist nicht nur ein höchst begabter und begeisterter Schwimmer, der mit seinen Eltern, älterer Schwester und Bruder im Kita-Alter ans andere Ende der Stadt gezogen ist.

»Du bist eigentlich zu alt für eine Therapie«

Jan hat LRS. Drei fiese Buchstaben, die für das stehen, womit Jan mehr als sein halbes, junges Leben bereits auf Kriegsfuß steht: Lesen und Rechtschreibung klappt bei ihm nicht. Aneinander gereihte Buchstaben ergeben für ihn keinen Sinn, Worte verschwimmen vor seinen Augen. Und dann sagt ihm die neue Therapeutin gleich in der ersten Stunde: »Du bist eigentlich zu alt für eine Therapie.«
Diese unverblümte Stimme ist ungeheuer erfrischend – und die Stimme der Autorin Anne Becker, die selbst als Förderschullehrerin arbeitet. Weil sie einem die Illusion nimmt, man könnte alles wegtherapieren, es wäre nur eine Frage von Ehrgeiz, Fleiß und Übung und alle Kinder wären gleich.

Chips-Cola-Momente mit dem Nachbarsmädchen

Es kann auch nicht jeder so schnell schwimmen wie Jan, geschweige denn in Rückenlage. Es schafft nicht jeder beim ersten Mal, ein ausgebüxtes Huhn einzufangen und zu beruhigen. Und es hat auch nicht jeder »Chips-Cola«-Momente mit dem Nachbarmädchen, der rothaarigen, sommersprossigen Flo (wie sich dieser Moment gestaltet, wird hier natürlich nicht verraten).
Die Vielseitigkeit macht den Reiz dieser charmant und beschwingt geschriebenen Geschichte aus. Es geht um neue Freunde und erste Liebe. Dazu gehören auch die typischen Missverständnisse, Schüchternheit, Ungeschicklichkeit und Übersprungshandlungen. Es geht um Angst und Mut, um Schwächen und Stärken. Auch Mobbing und die perfidere Form, das Cybermobbing, spielen eine Rolle: Geklaute Fahrradventile, entwendete Lieblingsbücher, spuckefeuchte Papierkügelchen, ungewollte Fotos und Filmaufnahmen.

Gefühle in Torten- und Balkendiagrammen

Das alles ist aber nie Schwarz-Weiß dargestellt, nicht auf Vorhersehbares reduziert: Jans Schwester Nele kann auch nett sein und ihm in peinlichen Situationen zur Seite springen. Der tumbe Fiesling und Konkurrent ist nicht nur böse. Und wenn man zusammen hält, kann man sich wehren. »Linus ist manchmal echt nett, weißt du? Aber das Nettsein hält nie lange an. Deshalb musste ich ihm leider mein Eisschirmchen in die Hand rammen.«
Erzählt wird aus Jans Perspektive. Dazwischen finden sich Seiten aus Flos Tagebuch. Und weil die ein Mathegenie, manchmal auch nerviger, nachrechnender Nerd ist, beschreibt sie ihre Gefühle in Form von Balken- und Tortendiagrammen, Skalen und Vektoren. Das ist schräg, super auf den Punkt gebracht und sehr witzig.

Nur ein Teilaspekt des Lebens

So wie das ganze Buch, das zeigt, dass eine Lese-Rechtschreibstörung echt kein Spaß ist und man diese Beeinträchtigung nicht einfach unter Wasser drücken kann. Aber sie ist nur ein Teilaspekt des Lebens und macht nie den ganzen Menschen aus – außer man lässt sie. »Dein Monster ist wasserscheu«, sagt Jans Therapeutin. Diese Haltung ist die Stärke dieses Debüts, das wahrscheinlich nur vorerst die beste Bahn in Anne Beckers Leben als Schriftstellerin ist. Einziges Manko des Buchs ist, dass betroffene Kinder und Jugendliche Jans Geschichte wahrscheinlich nicht selbst lesen werden. Sie sollten sie sich aber unbedingt vorlesen lassen. Und das grandiose Ende kann wirklich jeder selbst dechiffrieren, die beste Beschreibung eines Kusses: »Sprengt jede Grafik!«

Anne Becker: Die beste Bahn meines Lebens, Beltz & Gelberg, 176 Seiten, ab 11, 12,95 Euro

Von eigenen Welten und Liebestränken

Zipfel

Lucie, 13, braucht einen Job. Sie will weg von der Mutter, die sich schon wieder so einen seltsamen Typen angelacht hatte. So ein ökologisches Weichei mit Namen der Michi.
Da kommt ihr im Roman von Dita Zipfel der Zettel mit dem Angebot, als Hundesitter zu arbeiten, ganz gelegen. 20 Euro pro Stunde scheinen zudem ungemein lohnend.
Doch als sie an der Tür von einem gewissen Klinge läutet, ist da kein Hund sondern nur ein seltsamer Alter in Outdoor-Klamotten mit Sprachfehler, der sie einfach nur »Mädchen« nennt und ihr vegetarische Rezepte diktiert. Angeblich haben diese Rezepte Zauberkraft und sollen Ungeheuer fernhalten oder als Liebestrunk wirken.

Rösti des Lebens/Sterbens

Eigentlich glaubt Lucie an nichts davon, beobachtete Klinge aber überaus aufmerksam, stellt sich Fragen zu seinem Geisteszustand – und dennoch: Das mit dem Liebestrank muss sie ausprobieren, als Marvin, der angesagteste Boy der Schule, sie um ein Treffen im Freibad bittet. Er könnte schließlich funktionieren – man weiß ja nie.

Amüsante Weltbetrachtung

Lucies Beobachtungen und Schlussfolgerungen sind eine Mischung aus amüsanter Weltbetrachtung voller skurriler Menschen und der Entdeckung der eigenen Wünsche, des eigenen Weges, den Lucie schließlich einschlägt. Ihre Skepsis und ihre Verwunderung gegenüber Menschen wie Klinge oder der Michi kennen wir Lesende alle nur zu gut. Manchmal hält man einzelne Menschen für »verrückt«, manchmal auch die ganze Welt und steht mittendrin – mit seinen eigenen Zweifeln oder der leisen Ahnung, dass man vielleicht selbst »ver-rückt« ist.

Der Einfluss anderer

Dann bleibt die Frage, wie sehr man sich beeinflussen lässt, wie sehr man an gewissen Menschen hängt, wie sehr man Trends folgt – und dann feststellen muss, dass so ein Marvin vielleicht der Schwarm von vielen ist, im Grunde aber nicht gut riecht und auch ansonsten ein ziemliches A*loch sein kann.
Lucie begreift, dass es nicht nur eine objektive Welt gibt, sondern jeder von uns in seinem kleinen Kosmos lebt. Dass wir im Grunde vom anderen immer viel zu wenig wissen – und an dem Spruch »wer die Musik nicht hört, hält die Tanzenden für verrückt« ziemlich viel Wahres dran ist. Und dennoch neigen die Menschen dazu, andere immer und ständig in Schubladen zu stecken und sie zu bewerten. Lucie kann sich da gar nicht ausnehmen, aber sie lernt dazu und zwar in einer extrem steilen Lernkurve, die tatsächlich auf die Lesenden abfärben kann, wenn sie nur offen für dieses charmant wilde Buch von Dita Zipfel sind.

Anregend illustriert

Illustriert hat diese Wahnsinnsgeschichte (sorry, der passte jetzt grade!) Rán Flygenring, und es ist eine Wonne, die grellrot-schwarzen Drachen- und Punamy-Bilder zu betrachten. Und mögen die Rezepte nun Drachen im Zaum halten oder die Liebe heraufbeschwören, sie lesen sich so lecker, dass ein Nachkochen nach dieser Lektüre nur folgerichtig ist.

Dita Zipfel: Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte, Illustration: Rán Flygenring, Hanser Verlag, 2019, 200 Seiten, ab 12, 15 Euro

Liebe über Grenzen

Maike Stein

Die Feierlichkeiten zum 30-jährigen Mauerfall sind beendet, da bietet sich ein Blick darauf an, was dem Ganzen 28 Jahre zuvor vorausgegangen ist: der Mauerbau.
Maike Stein erweckt mit ihrem Roman Ein halber Sommer das Berlin von 1961 wieder zum Leben. Die Stadt ist in Sektoren unterteilt, als sich Marie aus dem sowjetischen Sektor und Lennie aus dem amerikanischen im Westteil der Stadt zufällig über den Weg laufen.
Die beiden sind sofort voneinander fasziniert, sind überwältigt, dass sie in der konservativ-düsteren Nachkriegsgesellschaft einen Menschen gefunden haben, der genauso tickt wie sie selbst.

Verwundete Familien

Heimlich treffen sie sich in einer Kriegsbrache voller Brombeergestrüpp, schreiben sich Briefchen oder treffen sich bei Lennies Tante im Osten. Beide kommen aus unvollständigen Familien, Lennies Vater ist im Krieg gefallen, Maries Mutter hat den Mann und die zwei Kinder verlassen. Und beide Mädchen sollen nach dem Wunsch des verbliebenen Elternteils etwas werden, was sie nicht wollen. Lennie soll Friseurin werden wie die Mutter, Marie Theaterschneiderin. Verständnis und familiärer Rückhalt ist bei diesen Konstellationen für beide nicht zu erwarten. Zumal Maries Vater einen guten Posten in der DDR-Administration bekleidet und viel auf den Sozialismus hält. Dass Marie regelmäßig in den Berliner Westen fährt, weiß er nicht und würde es auch nicht gutheißen.

Getrenntes Glück

In den ersten Wochen ihrer Liebe können die beiden noch annähernd ungehindert über die Grenze, sie verbringen heimlich ein Wochenende zusammen – denn ihre Liebe können sie nicht offen ausleben.
Im Sommer schließlich riegelt die DDR die Grenze ab, zieht Stacheldraht, baut die Mauer, verweigert ihren Bürgern die Ausreise und kappt die Telefonverbindungen. Lennie und Marie drehen schier durch – jede auf ihrer Seite der Mauer. Und dennoch hoffen sie, glauben an sich und an ihre Liebe, obwohl sie keinen Kontakt zueinander haben. Beide suchen Wege, wie Marie Ostberlin verlassen kann, doch die Grenzkontrollen werden immer schärfer …

Liebenswerte Figuren

Maike Stein hat mit Marie und Lennie zwei wunderbar liebenswerte Frauenfiguren erschaffen, die in ihrer Komplexität die Dramen des Lebens spiegeln und dadurch sehr viel Identifikationspotential liefern. So läuft Lennie am liebsten in den Klamotten ihres verstorbenen Vaters herum, möchte Uhrmacherin werden wie ihre geliebte Tante Ilse und sucht nach Nachrichten zum ungeklärten Tod des Vaters. Marie hingegen berlinert überaus sympathisch, ersetzt dem jüngeren Bruder quasi die Mutter und kann daher nicht so einfach alles stehen und liegen lassen, als sie Lennie kennenlernt. Die Figuren sind, so wie jeder von uns, in ihren eigenen Welten eingebettet und doch Teil des großen Ganzen. In diesem Fall ist es die Stadt Berlin in der heißen Phase des kalten Krieges, die so quasi zur dritten Hauptfigur wird.
Mit gekonnt gesetzten Wendungen hält Maike Stein bei dieser queeren Liebesgeschichte die Spannung wirklich bis zur letzen Seite und zeigt gleichzeitig, wie grausam die DDR-Regierung durch die Mauer das Leben der Menschen beeinflusst und beschädigt hat, wie sehr die Menschen leiden mussten. Erst dieses Wissen macht den Mauerfall dann zu diesem großen Glücksfall, der er gewesen ist.

Irreführendes Cover

Man darf sich bei dieser perfekten Geschichte nur nicht vom knallbunten Cover leiten lassen, das durch die Graffitis eher den Eindruck vermittelt, hier würde etwas aus den 1980er-Jahre erzählt. Ein bisschen mehr Zeitkolorit bei der Grafik hätte ich persönlich passender und authentischer gefunden. Ich frage mich dann immer, ob man jugendlichen Leserinnen so etwas nicht zumuten mag (von den ökonomischen Gründen mal abgesehen). Die Bilder, die Maike Stein mit ihrem stimmigen Text in mir erzeugt hat, sehen auf jeden Fall ganz anders aus und liefern mir quasi meinen eigenen inneren Film. Und den mag ich sehr gern!

Maike Stein: Ein halber Sommer, Oetinger, 2019, 270 Seiten, ab 14, 19 Euro

Mauergeschichten

Mauerfall

Dieser Tage häufen sich in den Medien die Rückblicke und Erinnerungen an den Mauerfall vor 30 Jahren.
Hierzu gibt es natürlich eine Reihe von Publikationen für eine junge Zielgruppe. Vier davon habe ich herausgegriffen, die den Kids, für die dieses Kapitel jenseits der persönlichen Erfahrung liegt und über das sie nur von Eltern oder Großeltern Dinge erzählt bekommen, einen guten Eindruck von der damaligen Zeit liefern.
Bei zweien muss ich feststellen, dass es tatsächlich gewisse erzählerische Wendungen gibt, die offensichtlich in der Luft liegen und nicht durch Plagiat entstanden sein können (es würde mich jedenfalls sehr wundern). Denn sowohl in Helen Endemanns Roman Todesstreifen und in dem Briefroman Mauerpost von Maike Dugaro und Anne-Ev Ustorf entwickeln die Autorinnen einen Blick von zwei Seiten auf die Mauer, sprich auf die DDR und die Lebensverhältnisse ihrer Bewohner.
Endemann erzählt vom Ben, der in einem Westberliner Sportinternat wohnt und mit seiner Mannschaft zu einem Freundschaftstreffen in den Ostteil der Stadt fährt. Geplant ist ein Tag Aufenthalt mit Wettkampf. Doch für Ben wird es eine Odyssee, denn während des Querfeldeinlaufs wird er von zwei DDR-Jungs entführt und in einen Schuppen verschleppt. Dort steht ihm dann Marc gegenüber – und der sieht Ben verdammt ähnlich.

Republikflucht und Jugendwerkhof

Marc schlüpft in die Klamotten von Ben und fährt mit den westdeutschen Sportschülern nach Westberlin. Keiner der Schüler merkt, dass Marc nicht Ben ist.
Ben hingegen soll zu Marcs Oma und dessen Vater, die ihn dann – so die Vorstellung der Entführer – gleich wieder an der Grenze abliefern, weil er ja nicht Marc ist. Dass dieser halbgare Plan von Marc nicht aufgeht, merken Ben und die zwei »Fluchthelfer« von Marc, als vor dessen Haus die Stasi steht und Ben/Marc in einen Jugendwerkhof steckt, weil er kein ordentliches Mitglied der DDR-Gesellschaft ist. Ben sitzt in der Falle und die Möglichkeiten, rasch und unbehelligt wieder in den Westen zu gelangen sind gleich Null.

Beklemmende Atmosphäre

Das ist spannender Lesestoff, der auf sehr intensive Weise die beklemmende Atmosphäre, die Überwachung und das Eingesperrtsein in der DDR vermittelt. Jeden Weg, den die Jungs sich überlegen, wie Ben wieder nach Westen kommen kann, ist versperrt. Auch aus dem Westen ist keine Hilfe zu erwarten, denn Bens Eltern sind in Afrika auf einer Hilfsmission.
Marc hingegen macht sich im Westen auf die Suche nach seiner Mutter, die vor Jahren illegal über die Grenze geflüchtet ist. Doch auch er stößt auf Hindernisse: eine Tante, die etwas über die Mutter wissen könnte, ist dement. So ist es schließlich seine Oma, die den Enkeltausch natürlich gleich erkennt, nachdem Ben aus dem Jugendwerkhof zurückkommt, die als Botin zwischen den Welten wandelt.

Die Verbindung zwischen Ost und West

Mauerfall

Eine grenzgängerische Oma ist auch in dem Briefroman Mauerpost das verbindende Element zwischen Ost und West. Hier vermittelt Oma Ursel eine Brieffreundschaft zwischen ihrer Westberliner Enkelin Ines und der Ostberliner Nachbarstochter Julia. Die Mädchen beginnen sich zu schreiben, erzählen der jeweils anderen von ihrem Alltag und der Schule. Waren die Jungs noch 1985 in Berlin unterwegs, so kommunizieren die Mädchen bereits 1988 und schreiben sich mehr als ein Jahr, sodass die Ereignisse in der DDR, die zum Mauerfall geführt haben, in die die Briefe einfließen. Julia erzählt von den Demos auf der Straße, während Ines von dem merkwürdigen Verhalten der Mutter erzählt, die einst aus der DDR freigekauft wurde.

Erzählerische Parallelen

Hier entfaltet sich zwischen den beiden nach und nach ein fesselnder Krimi, in dem zwar nicht die Zustände in den Jugendwerkhöfen, dafür aber die in den Staatsgefängnissen wie Hoheneck und Hohenschönhausen geschildert werden. Dabei entdecken Ines und Julia immer mehr Details, die ihre Schicksale miteinander verbinden.
Zwar erzählen beide Romane unterschiedliche Geschichten, so zeigen sich doch bestimmte Muster, die bei beiden auftauchen: Ost trifft West, die Omas werden als Boten benutzt, die Stasi spielt natürlich immer mit, der Knast in der DDR ist für Jugendliche nicht weniger schlimmer wie der für Erwachsene, und am Ende stehen die Helden in beiden Geschichten in einem gewissen Verhältnis zueinander, dass ich nicht nennen werde, das man sich aber in beiden Geschichten relativ schnell denken kann. Es liegt eben in der Luft, 30 Jahre nach dem Mauerfall.
Parallel ist in beiden Romanen selbst eine gewisse Verwirrung um Ostberliner Stadtteile: So liegt im Todesstreifen eine Psychiatrie mal in Potsdam, ein paar Seiten weiter dann in Pankow (S. 194 vs. 202), in der Mauerpost werden Kekse in ein und demselben Laden gekauft, der mal in Friedrichshain, mal im Prenzlauer Berg zu finden ist (S. 100 vs. 134). Früher hat mich so was immer geärgert, heute schmunzle ich, weil das nun mal in der Hektik der Buchproduktion passiert. Es wäre trotzdem schön, wenn das in den nächsten Auflagen, soweit es die geben wird, behoben wird.
Beide Geschichten entwickeln jedoch einen packenden Drive und lassen die Leser und Leserinnen in die Zeit vor der Wende und vor dem Mauerfall eintauchen.

Blutsbrüder über die Mauer hinweg

Mauerfall

Etwas anders verhält es sich mit dem Kinderroman Alles nur aus Zuckersand von Dirk Kummer. Hier geht es hauptsächlich um eine Jungenfreundschaft in der DDR im Jahr 1979. Fred und Jonas sind dickste Kumpels, verbringen ihre Zeit zusammen, schließen Blutsbrüderschaft und erzählen sich alles – bis Jonas‘ Mutter einen Ausreiseantrag stellt.
Fred, dessen Vater beim Grenzschutz in Falkensee arbeitet, verbietet ihm den Kontakt mit Jonas. Doch daran hält er sich natürlich nicht. Stattdessen fangen die Jungs an, angeregt durch die Erzählungen vom alten Nachbar Marek über Australien, einen Tunnel in den brandenburgischen Sand zu graben. Sie wollen sich später in Australien treffen …

Kindgerechter Blick auf die DDR

Aufgrund der noch jüngeren Zielgruppe sind die Schrecken der DDR hier nicht ganz so heftig zu spüren wie in den beiden Jugendromanen. Fred fungiert als Ich-Erzähler und zeigt durch seine kritischen Kommentare alles das, was in der Schule und im System schief läuft. Er konstatiert, dass die Lehrerin den Schülern Angst macht, dass das System den Menschen Angst macht vor allem, was aus dem Westen kommt. Fred aber will keine Angst haben, sondern nur mit Jonas zusammen sein.
Als Jonas dann tatsächlich mit seiner Mutter ausreist und plötzlich weg ist, vermisst Fred ihn sehr. Ein Brief, den er an Jonas schreibt, kommt zurück, da Westkontakt verboten ist.

Das Buch nach dem Film

Wem diese Geschichte jetzt vielleicht bekannt vorkommt, liegt richtig, denn dieses Buch beruht auf dem gleichnamigen Film von Dirk Kummer, der 2018 mit den Grimme-Preis ausgezeichnet ist. Sind normalerweise erst die Bücher in der Welt und die Verfilmungen folgen später, so ist hier der andere Weg gegangen worden – allerdings mit einem entscheidenen Haken.
Um das Buch für Zehnjährige erträglich zu machen, haben Autor und Verlag auf einen Erzählstrang aus dem Film völlig verzichtet. Da ich den Film bereits kannte, habe ich mich zu Beginn der Lektüre noch gefragt, wie dieser Teil im Buch wohl erzählt wird (Achtung Filmspoiler: Jonas läuft kurz vor der Ausreise, als er mit der Mutter schon im Tränenpalast ist, noch einmal weg und findet in dem bereits gegrabenen Loch der Jungs ein schreckliches Ende). Dieser Teil wird gar nicht erzählt, was mich kurzfristig enttäuscht hat. Doch ich kann diese Auslassung verstehen, denn Jonas Schicksal ist im Film selbst für Erwachsene kaum zu ertragen.
So bleibt für junge Lesende eine liebevolle Freundschaftsgeschichte aus einem anderen Land. Sie erzählt von dem zerstörerischen Einfluss eines Staats in das Privatleben, aber auch noch ein Fünkchen Hoffnung aufblitzen lässt, dass die Jungs sich möglicherweise nach ein paar Jahren wiedersehen.

Doku-Fiktion zum Lesen

Mauerfall

Junge Lesende, die es nicht so sehr mit Romanen haben, können sich hingegen in dem Sachbuch Mein Mauerfall über die Zeit vor 30 Jahren informieren. Hier führt zwar der zwölfjährige Theo mit Erzähltexten durch das Buch, doch viele Fakten zur deutsch-deutschen Geschichte werden in Infokästen, Sprechblasen, Grafiken und Bildern in kurzen Texten geliefert.
Dabei geht Autorin Juliane Breinl auch auf die historischen Gründe für die deutsche Teilung ein, erläutert, was Hitler und die Nazis mit all dem zu tun haben und wie es überhaupt zu zwei deutschen Staaten gekommen ist.

BRD versus DDR

Gerade diese Gegenüberstellung von BRD und DDR zieht sich durch das Buch. Die Unterschiede, die wir heute immer noch spüren, wenn wir von West nach Ost und von Ost nach West fahren, bekommen in diesem Sachbuch ein Gesicht und eine Erklärung. Das mag uns Erwachsenen selbstverständlich vorkommen, doch den jungen Generationen das auf diese Art noch einmal vor Augen zu führen erscheint mir wichtig zu sein – und sehr gelungen.

DDR-Alltag und Zeitzeugenberichte

Breinl berichtet von den alltäglichen Unterschieden in beiden Staaten, von der allgegenwärtigen Überwachung in der DDR, den unterschiedlichen Inhalten in den Schulen, den Trabis und den Intershops, dem West-Konzert an der Mauer, zu denen die Ost-Jugend pilgerte und brutal niedergeknüppelt wurde. Doch auch staatlich organisierte Konzerten im Osten konnten die Menschen nicht mehr besänftigen, die Unzufriedenheit wuchs, man wollte raus und ging dafür in Massen auf die Straße. Die Mauer fiel. Von all dem lässt Breinl unter anderem Zeitzeugen erzählen, bekannte wie Jana Pallaske (Ost) oder Peter Wohlleben (West) und unbekannte, und bringt so jede Menge Authentizität in ihre Darstellung der damaligen Ereignisse.

Brüderlichkeit und Freiheit

Doch mit dem Mauerfall endet das Buch nicht. Es schlägt vielmehr eine Brücke bis in die Gegenwart, zum neuaufgeflammten Rechtspopulismus, ja Rechtsextremismus, dem grassierenden Fremdenhass, aber auch zum Bekenntnis für Europa, für Brüderlichkeit und eine grenzenlose Freiheit. Je länger ich in dem Buch vor und zurück gelesen habe, umso öfter wünschte ich mir, dass nicht nur Kinder dieses Buch lesen, sondern alle, die diese blöde blaue Partei wählen und anscheinend vergessen haben, was die Politik vor 80 Jahren und in den 40 Jahren der DDR-Geschichte angerichtet hat. Mögen die Kinder durch diese Lektüre ordentlich angeregt werden, in den eigenen Familien nachzufragen und die eigenen Familiengeschichten erkunden, ganz gleich, ob in Ost oder West.

Helen Endemann: Todesstreifen, Rowohlt, 2019, 256 Seiten, ab 13, 14 Euro
Maike Dugaro/Anne-Ev Ustorf: Mauerpost, cbt, 2019, 336 Seiten, ab 13, 9,99 Euro
Dirk Kummer: Alles nur aus Zuckersand, Carlsen, 2019, 144 Seiten, ab 10, 12 Euro
Juliane Breinl: Mein Mauerfall. Von der Teilung Deutschlands bis heute, arsEdition, 2019, 144 Seiten, ab 10, 15 Euro

Unter uns das Meer

steinkellner

Ein Junge, ein Mädchen, beide 16 Jahre alt und beide auf der Suche nach einem bestimmten Menschen. Zufällig begegnen Simon und Antonia sich im Park. Antonia sieht in Simon erst jemand anderen, alles dreht sich vor ihren Augen und sie sinkt in Simons Arme.
Aber wer jetzt eine leicht kitschige Liebesgeschichte vermutet, liegt völlig falsch.
Dieser wilde Ozean den wir Leben nennen von Elisabeth Steinkellner ist viel mehr. Unweigerlich taucht man ein in diesen aus zwei Perspektiven erzählten Roman. Anfangs sind die Wechsel noch etwas verwirrend, doch bald wird klar, dass Simons Passagen immer mit Farben überschrieben sind, Antonias mit prägnanten Begriffen.

Romantische Sehnsucht nach dem Meer

Die Liebe ist nur ein Teilaspekt des Lebens (und des Buchs), wie die formidablen Lassie Singers richtig sangen. Dass die allein schon deutlich mehr sein kann, ahnt Simon bereits: »Woher weiß man, dass man verliebt ist? Dass es wirklich verliebtheit ist und nicht einfach nur anziehung oder der wunsch nach aufregung und abenteuer oder schlichtweg selbstbetrug, weil man in dem anderen jemanden sieht, der man selbst gern ware?«, tippt er ins Telefon. Die Antwort seiner besten Freundin kommt prompt: »Vermutlich gehört das alles irgendwie dazu, der selbstbetrug und die die sehnsucht nach abenteuer und großem gefühlskino …«
Simon ist total verknallt in Paulus, den er vor einem halben Jahr im Zug kennengelernt hat. Leider weiß er kaum mehr als den Vornamen und wo sein Schwarm studiert. Und dass Paulus taucht und unter Wasser fotografiert, weshalb er eine romantische Sehnsucht nach dem ihm unbekannten Meer hat (das Buch spielt in Österreich). Jetzt ist er in den Ferien in jene nicht genannte Universitätsstadt gereist, um Paulus zu suchen – und Farbe in sein eintönig graues Leben zu bringen.

Outing erst drei Jahre später

Dass Simon schwul ist, wird angenehm unaufgeregt thematisiert. Selbst weiß er schon länger, dass er auf Jungs steht. Sich offiziell zu outen, »Farbe zu bekennen«, hat er sich noch nicht getraut. Das passt gut zu den Zahlen einer Jugendstudie, laut der Jungen sich mit gut 13 Jahren innerlich outen, aber im Durchschnitt erst drei Jahre später anderen sagen, dass sie homosexuell sind. Bei Mädchen ist der zeitliche Abstand übrigens nur ein Jahr. Simons Verhalten spiegelt treffend unsere Gesellschaft: Sexualität ist allgegenwärtig, aber das auf T-Shirts des FC St. Pauli aufgedruckte Motto »Liebe doch wen du willst« ist längst noch nicht selbstverständlich.

Die Kapitänin wie ein sterbendes Tier

Antonia vermisst ihren älteren Bruder. Die Leerstelle, die seit Joels Verschwinden in ihrem Leben entstanden ist, bildet auch einen immer breiter werdenden Graben zu allen anderen Menschen in ihrem Leben, zu ihrer besten Freundin, zu ihrer Mutter, zu ihrem Vater, zu ihrem Freund.
»Ich merke, wie unglaublich groß die Wut in mir ist. Die Wut darauf, dass ich immer noch traurig bin wegen Joel und dass ich mich so verdammt machtlos fühle gegen die Leere, die er in mir hinterlassen hat. Die Wut darauf, die falschen Dinge gesagt zu haben, als es darauf angekommen ist, und immer wieder die falschen Dinge tue, wenn es darauf ankommt.«
Antonias Bruder Joel ist kurz vorm Abitur (Österreichisch: Matura) komplett ausgetickt, litt unter Wahnvorstellungen, Angst, Panik, wurde aggressiv. Wie diese schwer zu begreifende Psychose die Familie verzweifelt, hilflos, traurig und wütend macht, Rollen durcheinanderbringt und alles auseinander sprengt, beschreibt Antonia im Laufe des Buchs eindringlich und erschütternd. »Mama war immer die Kapitänin unseres Schiffs … In der Nacht, nachdem sie Joel ins Auto gepackt und in der Psychiatrie abgeliefert hatte, hat sie stundenlang gewimmert wie ein sterbendes Tier.«

Szenen zärtlicher Leichtigkeit

Elisabeth Steinkellner verleiht ihren sich so liebenswert selbst im Weg stehenden Charakteren starke Stimmen. Auch den Nebenfiguren, »als Mutter liebst du niemanden auf der Welt so sehr wie deine Kinder. Und trotzdem machst du Fehler, vielleicht aus Unachtsamkeit oder Angst, vielleicht aus Egoismus oder Ungeduld. Bei dir bleibt am Ende das Gefühl der Liebe. Aber wer weiß, bei deinem Kind wiegt vielleicht der Schrecken schwerer«, sagt Antonias Mama zum Ende.
Zwischen spritzigen Dialogen, gern auch in Form von Textnachrichten, schonungslosen Selbstreflexionen und klassischen Fehlinterpretationen, gewinnen Simon und Antonia immer mehr Klarheit über ihre Wünsche. Typisch pubertäre Stimmungsumschwünge beenden Szenen voller unerwarteter Ausgelassenheit und zärtlicher Leichtigkeit. Es gibt echtes Drama, nie künstlich oder überzogen. So kommt es mal zum heftigen Krach zwischen Antonia und ihrer besten Freundin. Aber das ist nicht das Ende: Ines schätzt es nämlich, dass Antonia sehr emotional agiert und sich nicht verstellt, um anderen zu gefallen.

Knoten lösen

»Ich weiß selber nicht, warum ich das Gefühl habe, dass mir die richtigen Worte fehlen«, sagt Simon am Anfang. Auch seine Hände versteckt er lieber zu Fäusten in den Hosentaschen geballt, als jemandem zu nahe zu kommen, seltene Gesten geraten ihm zum Slapstick. Bei Antonia aber macht er von Anfang an instinktiv fast alles richtig. So lösen sich bei beiden nicht nur ein paar hartnäckige Knoten im Schopf. Und beide finden ihren Weg zum Meer, mit dem sie ganz unterschiedliche Gefühle assoziieren.
Steinkellner hat auf jeden Fall genau die richtigen Worte für diesen vielschichtigen, brillanten Roman. Sie ist eine der faszinierendsten Jugendbuchautorinnen aus Österreich, seit der wunderbaren, im vergangenen Jahr gestorbenen Christine Nöstlinger.

Elisabeth Steinkellner: Dieser wilde Ozean den wir Leben nennen, Beltz & Gelberg, 2018, 236 Seiten, ab 14, 13,95 Euro