Die Vielfalt der italienischen Kinder- und Jugendliteratur

Nachdem 2024 Italien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war, habe ich mir mal wieder die Kinder- und Jugendliteratur angesehen, die seit 2021, als ich zuletzt hier darüber berichtet habe, im deutschsprachigen Raum erschienen ist. Es hat sich wider erwarten doch so Einiges getan, und ich bin erstaunt, was sich wieder alles finden ließ. Und vor allem, wie vielfältig die Publikationen sind, die aus Italien zu uns kommen.
Dieses Mal sind mir sogar Bücher für die ganz Kleinen untergekommen – inklusive einem Badebuch, das die Farben wechselt.
Erstaunlich ist die Vielzahl an Bilderbüchern, im Gegensatz zu recht wenigen erzählenden Kinder- und Jugendbüchern. Die Universalität von Bilderbuch-Geschichten spielt dabei sicherlich eine entscheidende Rolle, sind sie doch nicht an Italien und italienische Lebensverhältnisse gebunden, wie es in Kinderbüchern oftmals der Fall ist.
Erstaunlich finde ich zudem, dass so einige Bücher, deren Autor:innen oder Illustrator:innen zwar aus Italien kommen, nicht aus dem Italienischen, sondern aus dem Englischen oder Französischen übersetzt worden sind. In einem Fall dürfte es sich definitiv um Stille-Post handeln, was in Übersetzendenkreisen nicht gern gesehen ist. Manchmal sind die Titel jedoch tatsächlich ursprünglich in den anderen Ländern erschienen.

Die Reihenfolge, in der ich die Bücher hier vorstelle, ist rein zufällig und hat nichts mit Wertung oder meinen persönlichen Vorlieben zu tun. Auch ist dieser Beitrag sicherlich nicht vollständig.
Falls hier Verlage mitlesen: Ich freue mich über Hinweise und/oder Rezensionsexemplare von fehlenden Büchern aus Italien.
Im Laufe des nächsten Jahres werde ich die Neuerscheinungen aus Italien kontinuierlich sammeln und nehme Hinweise zu Erscheinungen sehr gern entgegen.

Und nun viel Spaß beim Entdecken!

Bilderbücher

Den Auftakt bei den Bilderbücher macht natürlich der Klassiker Pinocchio von Carlo Collodi. Eigentlich müsste ich diese beiden Versionen in meinen Pinocchio-Post einbauen, aber auch hier sollte die Langnase einfach nicht fehlen.

Dieses annähernd quadratische Pappbilderbuch bringt selbst den Allerkleinsten schon den italienischen Klassiker schlechthin näher. Der minimalistisch gezeichnete Pinocchio mit den dicken schwarzen Umrandungslinien und den knalligen Farben ist total knuffig. Trotz der extrem verkürzten Texte sind die wichtigsten Eckpunkt der Geschichte drin: Gepetto, die sprechende Grille, Fuchs & Wolf, Kerzendocht, der Wal. Designtechnisch ist das eine der tollsten Pinocchio-Ausgaben und erinnert mich an den Stil von Dick Bruna, z. B. Das Fischlein.

Attilio Cassinelli: Pinocchio, Ü: Vivien Danne, Insel Verlag Anton Kippenberg, 2022, 44 Seiten, 9,95, ab 1

Diese weitere Pinocchio-Pappe kommt hingegen extrem reduziert daher: Pinocchio läuft aus der Schule weg ins Spielzeugland, wird in einen Esel verwandelt und vom Wal verschluckt. Clou ist hier, dass bei diesem Mach-mit-Märchen auf jeder Seite kleine Finger einen Schieber betätigen können, die die Illus von Pinocchio verändern und ihm beispielsweise die lange Nase oder Eselsohren wachsen lassen. Als erste Annäherung an diesen Literaturklassiker durchaus akzeptabel.

Pinocchio, Illus: Tiago Americo, Ü: Susanne Schmidt-Wussow, Auzou, 2022, 12 Seiten, 12 Euro, ab 1

Eine der wohl produktivsten Illustratorinnen ist Agnese Baruzzi. Sie hat in diversen Verlagen veröffentlicht und tauchten unten bei den Sachbüchern auch noch mal auf. Nur ist ihr Name nicht so richtig bekannt – wie ich finde. Das mag vielleicht an diesen Gebrauchsbilderbüchern für die ganz Kleinen liegen.

Ein Badebuch hatte ich hier auf diesem Blog auch noch nie. Aber Agnese Baruzzi hat auch dafür etwas entworfen. Auf sechs gepolsterten Plastikseiten tummeln sich kleine Tier auf schwarzem Untergrund. Jeweils zwei gereimte Verse gibt es dazu: »Die Krabbe winkt, schickt einen Kuss/ und verwandelt sich in einen Oktokpus!« Ganz stimmt der Rhythmus zwar nicht, aber das ist wohl etwas pingelig von mir. Jedenfalls war ich zuerst etwas verwirrt, bis ich begriff, dass die schwarzen Seiten sich im warmen Wasser in weiße verwandeln und die größeren Tiere zum Vorschein kommen. Den Badespaß kann ich mir lebhaft vorstellen.
In der Produktbeschreibung heißt es zwar: » Hinweise zum Material: Das Produkt enthält keine Phthalate und Schadstoffe …« – aber ehrlich: das Plastik stinkt erbärmlich und nicht besonders gesund. Vielleicht dünstet das irgendwann aus, aber so lange würde ich das keinem Kind ins Bad tun. Sorry.

Agnese Baruzzi: Kleine Fische, ohne Übersetzernennung, minedition, o.J., 6 Seiten, 14 Euro, ab 1

Die Kleine Raupe Nimmersatt mal umgekehrt. Hier begleiten wir keine Raupe, sondern bekommen lauter angeknabbertes Gemüse und Obst präsentiert. Da sind Löcher im Mais und im Salat, der Käse ist angebissen und auch den Karotten fehlen Stücke. Hinter den entsprechend ausgeschnitten Seiten, finden sich die hungrigen Geschöpfe, Huhn, Hase, Maus und auch eine Raupe. Sie alle machen dem Kind auf der letzten Seite Lust, ebenfalls Karotten, Äpfel und gesunde Sachen zu essen. Schön, wenn das im echten Leben wirklich so einfach und spielerisch klappen würde …
Auch hier bleibt die Übersetzerin leider ungenannt.

Agnese Baruzzi: … und was isst du?, minedition, 2024, 26 Seiten, 14 Euro, ab 3

Die Pappbücher Mein Zahlenbuch und Mein Farbenbuch sind vom Prinzip identisch aufgemacht. Auf jeder Doppelseite werden zwei Zahlen (von 1-10) oder zwei Farben vorgestellt. Durch einen Schieberegler verändert sich in einem Kasten das Bild, gibt entweder die nächst höhere Zahl frei oder zeigt eine andere Farbe. Für die kleinsten Leser:innen ein Spaß, der die Motorik fördert und Lerneffekte garantiert.
Ich frage mich nur, warum überall im Netz Gabriele Clima als Autor angegeben ist, nur auf den Büchern findet sich kein Hinweis auf ihn. Dort wird nur die Illustratorin Agnese Baruzzi genannt.

Gabriele Clima: Mein Zahlenbuch, Illus: Angese Baruzzi, Ü: Igna Gantschev, minedition, 2024, 12 Seiten, 14 Euro, ab 3
Gabriele Clima: Mein Farbenbuch, Illus: Angese Baruzzi, Ü: Igna Gantschev, minedition, 2024, 12 Seiten, 14 Euro, ab 3

Eine weitere sehr produktive Illustratorin und Autorin ist Marianna Coppo, von der mindestens drei Bücher erschienen sind.

Eine Glühbirne als Hauptfigur gibt es vermutlich in keinem anderen Buch. Aber der großartigen Marianna Coppo gelingt es auch mit so einer Protagonistin, eine entzückende Geschichte zu erzählen. Ray, die Glühbirne, hängt eigentlich in einer Abstellkammer. Zuvor war sier schon mal im Wohnzimmer oder auch im Badezimmer, was nicht so toll war. In der Rumpelkammer kennt Ray alles, hat alles gezählt – auf 41 Dinge ist sier gekommen. Doch eines Tages geht es mit Vater und Kind hinaus in die Natur und auf den Campingplatz. Dort lernt Ray die größte Glühbirne der Welt kennen … und sieht, zurück in der Abstellkammer, siere Welt mit ganz anderen Augen. Ein absolutes Pladoyer, die Welt vor unserer Haustür zu erkunden und sich überraschen und bereichern zu lassen.
Das einzig Verwunderliche für mich als Übersetzerin ist jedoch, dass diese Geschichte aus dem Englischen übersetzt wurde und nicht aus dem Italienischen …

Auch einen Kieselstein zum knallharten Protagonisten zu machen ist ungewöhnlich. Titelfigur Steinchen jedenfalls ist unerschütterlich. Nichts bringt es von seinem angestammten Platz weg, weder Wind noch Zeit. Steinchen hält sich für ein furchtloses Riesengebirge. Doch das ändert sich, als eines Tages ein Hund auftaucht und Steinchen in die Welt hinausbefördert. Jetzt beginnt Steinchen zu überlegen, was es alles so sein könnte: ein feuerspuckender Drache, ein Smoking tragender Pinguin, auf jeden Fall etwas ganz Besonderes … und das findet die Leserschaft dann am Ende selbst heraus und wird mit Sicherheit anfangen Steinchen zu sammeln und sie in etwas ganz Eigenes verwandeln.

In …aber wo ist die Geschichte? bevölkern fünf Figuren eine weiße Doppelseite. Und warteten. Nur auf was? Irgendwann sagte eine, sie müssten auf die Geschichte warten. Doch das wird dann dem Häschen zu langweilig. Und während vier weiter warteten und sich über die Unpünktlichkeit und das Wetter aufregen, fängt Häschen an, auf den linken Seiten etwas zu zeichnen. Erst nur ganz klein, von Seite zu Seite dann immer größer und bunter. Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf und erinnert die Betrachtenden daran, dass Jammern nichts nützt und man die Sache vielleicht besser selbst in die Hand nimmt.

Marianna Coppo: Ray. Die Abenteuer einer wissbegierigen Glühbirne, Ü aus dem Englischen: Katharina Naumann, Atrium, 2021, 48 Seiten, 13 Euro, ab 4
Marianna Coppo: Steinchen, Ü: Ulrike Schimming, Bohem, 2022, 48 Seiten, 15 Euro, ab 4
Marianna Coppo: … aber wo ist die Geschichte?, Ü: Ulrike Schimming, Bohem, 2022, 48 Seiten, 18 Euro, ab 4

In Zusammen können wir fliegen treffen die Erzfeinde Schaf und Wolf aufeinander. Doch von Feindschaft keine Spur. Das Schafmädchen beobachtet die Vögel am Himmel und träumt davon, die Welt von oben zu betrachten. Schon läuft sie zu ihrem Freund Wolf und überredet ihn, ein Fluggerät zu bauen. Gemeinsam planen, entwerfen und bauen sie. Doch sie benötigen drei Anläufe, bevor sie wirklich in den Himmel aufsteigen können.
Dieses kleine Buch von großen Träumen und großer Freundschaft kommt in einer Mischung aus Zeichnungen und Kollagen aus wunderschönen alten Buchseiten, geografischen Karten, Mustern, Handschriften daher. Das ist ein wirklicher Hinkucker. Und die Botschaft – gemeinsam ist alles zu schaffen, gerade auch, wenn angebliche Feinde dicke Freunde werden – ist universell.

Giulia Belloni: Zusammen können wir fliegen, Ü: Romy Bouché, Illus Marco Trevisan, Jumbo, 2024, 32 Seiten, 16 Euro, ab 4

In diesem quadratischen Pappbilderbuch stellt die Künstlerin Arianna Papini zehn Farben vor. Auf der linken Seite gibt es jedes Mal einen Sechszeiler darüber, was eine Farbe kann (»Grün kann sich schlingen. Grün kann springen.«) Die erste und sechste Zeile sind immer identisch: »Farbe XY ist nicht nur XY« und »XY kann noch so vieles mehr …« Reime geben den Versen einen dynamischen Rhythmus.
Die gegenüberliegende rechte Seite ist in der jeweiligen Farbe gestaltet und lässt sich nach außen aufklappen. Zum Vorschein kommen dort die unterschiedlichsten Tiere und Pflanzen in der jeweiligen Farbe (ein Flamingo für Rosa, ein Orang-Utan für Orange). Den Abschluss bildet ein Regenbogen und die Aufforderung an die Kids, mit all diesen Farben zu spielen. Die Mischung aus Spannung (was sich hinter den farbigen Seiten verbirgt), Poesie und Mitmach-Aufforderung ist eine super Anregung für Kinder, Kunst zu schaffen.
Nur schade, dass die Übersetzerin nirgendwo genannt wird.

Arianna Papini:  Spiel mit uns FARBEN, ohne Übersetzernennung, minedition, 22 Seiten, 16 Euro, ab 4

Wenn es um die Größe von Tieren geht, ist es im Alltag manchmal schwierig, diese richtig einzuschätzen. Eine erstaunliche Handreichung liefert Rossana Bossù mit Wie groß ist ein Elefant?
Da heißt es in einem wiederkehrenden Schema »1 Eisbär ist kleiner als ein Elefant. Du brauchst 7 Eisbären für die Größe eines Elefanten.« Danach wird der Eisbär mit Löwen verglichen, der Löwe mit dem Alligator. Und so geht es weiter bis zum Floh.
Und zurück zu einem Tier, das noch größer ist als ein Elefant.
Als Betrachter:in staunt man und die Lütten können ganz nebenbei noch das Zählen lernen und üben.

Rossana Bossù: Wie groß ist ein Elefant?, Ü: TextDoc Kiesel, 360 Grad Verlag, 2021, 18 Seiten, 12 Euro (vergriffen), ab 4

Ein kleines Mädchen in Kommst du mit? erzählt dem Nachbarjungen, dass es einen ganz tollen Ort kennt, und fragt, ob er mitkommt. Die zwei wandern los und immer mehr Kinder schließen sich an, gespannt auf den Ort, an dem es gut duftet, man trainieren kann, es sehr bunt zugeht, wo viele Leute sind. Aber dieser Ort ist weder die Bäckerei, noch die Schule, noch das Schwimmbad und auch nicht die Eisdiele. Dieser charmante Reigen führt durch eine italienische Kleinstadt und Italienkenner:innen werden die Straßen und Plätze mit bekannten Orten vergleichen können. Die Auflösung gibt es hier natürlich nicht.
Wunderbar ist es, dass der Achse Verlag die Übersetzerin Anne Brauner auf dem Cover nennt und sie am Ende des Buches selbst zu Wort kommen lässt. Dort erzählt Brauner ganz kurz, was es mit dem Übersetzen auf sich hat. An diesem Vorbild sollten sich die anderen Verlage ein Beispiel nehmen. Das Cover ist weder verunstaltet oder überladen durch die Übersetzerin-Nennung. Und der Text am Ende des Buches macht den Kindern deutlich, wie viel Teamarbeit in einem Bilderbuch steckt.

Cristina Petit: Kommst du mit?, Illus: Chiara Ficarelli, Ü: Anne Brauner, Achse, 2024, 48 Seiten, 22,50 Euro, ab 6

Eine entzückende Freundschaftsgeschichte erzählt Giorgio Volpe: Fux und Hörnchen sind beste Freunde, aber Hörnchen macht immer Winterschlaf. Fux freut sich jedes Mal bannig, wenn Hörnchen im Frühling wieder aufwacht. Bis er eines Tages Dax kennenlernt und auch mit ihm gern Zeit verbringt.
Aber wie soll er Hörnchen nur beibringen, dass er jetzt auch mit Dax befreundet ist? Fux sagt erst mal nix, aber Hörnchen merkt ganz schnell, dass etwas nicht mit ihm stimmt …
Das ist die perfekte Geschichte für kleine Leute, die ihre Freunde immer ganz für sich haben wollen. Über poetische Bilder und einfache Sätze lernen sie hier, dass es für einen selbst und auch für andere eine Bereicherung ist mehr Freunde im eigenen Leben zu haben.

Giorgio Volpe: Freundschaft zu dritt, Illus: Paolo Proietti, Ü: Maxime Pasker, Carl-Auer, 2023, 32 Seiten, 19,95, ab 3

Davide Calì, den ich 2024 auf der Frankfurter Buchmesse bei einer Veranstaltung erlebt habe, ist hierzulande für seine tiefgründigen und psychologischen Bilderbücher bekannt. Hier hatte ich bereits einige von ihm vorgestellt. Nun sind zwei neue bei mir gelandet: In Rhododendron erzählt er von Jakob, der eines Tages schrumpft. Zuerst kann er nicht mehr in den Spiegel schauen, im Auto braucht er Sitzkissen, um was zu sehen, und bei der Arbeit fliegt er raus, weil Kunden nur große Männer mögen. Irgendwann ist er so klein, dass er sich in einer Wiese verläuft und den Weg nach Hause nicht mehr findet. Auf einem Rhododendron jedoch trifft er auf Flora, die genauso klein ist wie er. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg …
In grün-gelben Illustrationen von Marco Paschetta finden Jakob und Flora schließlich eine Lösung für ihr Problem. Und die Leserschaft jede Menge Anregungen zum Nachdenken, über absonderliche Vorgänge im Leben, Ansprüche von anderen und den Umgang mit ungewohnten, neuen Situationen. Die Interpretationsebenen hier sind vielfältig, die kreativen Möglichkeiten, mit dieser Geschichte umzugehen, ebenso.

Und auch im Bilderbuch Ein köstliches Problem, das aus dem Französischen übersetzt wurde, finden sich jede Menge Momente zum Nachdenken und Reflektieren: Eines Tages fällt in einem Dorf etwas Gigantisches vom Himmel. Niemand weiß, was es ist, aber schnell machen sich die Dorfbewohner daran zu überlegen, wie man dieses offensichtlich große Problem wegbekommt. Man erwägt Maschinen zu bauen oder Bomben zu werfen, der Philosoph will den Grund wissen, warum das Problem überhaupt da ist, der Neugierige, woher es kommt, und der Pessimist sieht es als Zeichen für das Ende der Welt. Es wird demonstriert, aber nichts ändert sich. Bis ein Mädchen sich alles mal genauer ansieht…
Wer jetzt schon die Parallelen zu unserer Gegenwart sieht, ja, sie sind offensichtlich. Die Auflösung verrate ich hier aber nicht. Die Illustrationen zeigen die Figuren als Schmetterlinge in rostrot-brauen Naturszenarien, die etwas Fabel-haftes an sich haben. Wunderbar zum Anschauen und voller Details, die entdeckt werden wollen. Bis sich das Problem irgendwann gelöst hat.

Davide Calì: Rhododendron, Illus: Marco Paschetta, Ü: Paola Sfilio und Celine Eßlinger, Carl-Auer, 2023, 30 Seiten, 21,95, ab 4
Davide Calì: Ein köstliches Problem, Illus: Marco Somà, Ü aus dem Französischen: Maxime Pasker, Carl-Auer, 32 Seiten, 19,95, ab 4

Ameise Emilia will etwas Besonderes unter all den Ameisen aus ihrem Bau sein. Eines Tages zieht sie sich ein gelbes T-Shirt an. Das finden auch die anderen Ameisen schick und machen es ihr nach. Emilia wechselt zu rot, die anderen machen es ihr nach. So geht es ein paar Seiten weiter. Bis Emilia sich eine Krone aufsetzt. Das macht ihr keine andere Ameise nach, denn es gibt nur eine Königin im Bau. Und die ruft Emilia zu sich, schimpft und wirft mit der falschen Krone nach Emilia. Als Emilia sich ein Pflaster auf die Wunde klebt, machen die anderen Ameisen ihr auch das wieder nach.
Nach dieser Lektüre kann man trefflich über Gemeinschaft und Individualität diskutieren, warum wir alle so gern das haben, was die anderen auch haben, und warum manche Individuen wirklich einzigartig sind.

Tullio Corda: Emilia, eine Ameise wie keine andere, Ü: Igna Gantschev, minedition, 2024, 32 Seiten, 16 Euro, ab 4

Eines Tages steht eine Kiste mit zwei Löchern im Wald. Die Tiere sind erstaunt und neugierig. Wer da wohl drinsteckt? Sie versuchen alles, damit sich der neue Gast zeigt. Doch vergeblich. Selbst die reingesteckten Leckereien nützen nichts. Als ein Unwetter über dem Wald niedergeht, nehmen die Tiere die Kiste mit in ihren Unterschlupf und da zeigt sich endlich der neue Waldbewohner …
Bär, Fuchs, Kaninchen, Eichhörnchen und alle möglichen Vögel tun sich in dieser Geschichte, die die Freundschaft feiert, zusammen. Sie beweisen, dass man manchmal Ausdauer und Geduld haben muss und dass manche Geschöpfe sich nicht sofort zeigen, sondern erst einmal Vertrauen aufbauen müssen.

Isabella Paglia: Die Kiste, Illus: Paolo Proietti, Ü: Igna Gantschev und Annika Siems, minedition, 2024, 32 Seiten, 16 Euro, ab 4

Rufus ist ein Weihnachtsmannkater. Er entstammt einer langen Dynastie aus Katern, die beim Weihnachtsmann lebten. Dort geht es das Jahr über meist sehr geruhsam zu. Kater und Weihnachtsmann essen Süßigkeiten, machen ein Nickerchen und setzen Speck an. Rufus wird das jedoch zu langweilig und so schleicht er sich eines Weihnachtsabends auf den Schlitten und reist mit dem Weihnachtsmann zu den Häusern der Kinder, die an den Weihnachtsmann geschrieben haben. In einem der Häuser findet der Weihnachtsmann einen Brief eines Jungen, der seine ursprünglichen Wünsche nicht mehr will. Er wünscht sich statt Technikspielzeug viel lieber einen Freund zum Spielen, eine Katze. Und nun hat Rufus seinen Auftritt …
Eine ganz entzückende Weihnachtsgeschichte, die die Leserschaft ganz unaufgeregt an das wirklich Wichtige im Leben erinnert: die Freundschaft.

Fulvia Degl’Innocenti: Rufus, der Weihnachtskater, Illus: Daniela Costa, Ü: Igna Gantschev, minedition, 2024, 32 Seiten, 16 Euro, ab 4

Der kleine Bär Bruno streift mittlerweile in zwei Bilderbüchern durch den Lesewald. 2021 tauchte er zum ersten mal in Deutschland auf, kurz vor dem Winter. Mama Bär holt ihn da vom Spielen aus dem Wald zurück, denn Bruno soll endlich Winterschlaf halten. Aber das Einschlafen fällt ihm gar nicht so leicht. Daher greift Mama Bär auf einen altbewährten Trick zurück: Sie erzählt ihm kurze Geschichten von anderen Tieren, wie Antonello, dem popelnde Tapir, oder Fifo, dem kleinen Angsthasen.
Im zweiten Band nun, aus dem Jahr 2024, erwacht Bruno aus dem Winterschlaf und Mama Bär hat für ihn und seine Waldfreunde, die ihn schon sehnlichst erwarten eine Überraschung parat.
Sie hat viele Eier besorgt, die die Tierkinder anmalen sollen. Mama Bär versteckt diese kleine Kunstwerke anschließend und schickt die Lütten dann zum Eiersuchen.
Bei der Rückkehr mit den Eiern erzählt sie dann zu Belohnung wieder verschiedene Tiergeschichten. Dieses Mal tritt ein eitler Pfau auf, eine etwas unreinliche Rattenfamilie und ein kleiner Biber mit schlechten Zähnen.
Diese süßen kurzen Geschichten sind durchweg gereimt und halten alle möglichen Überraschungen für Bruno und die anderen kleinen Zuhörenden bereit. Für die Übersetzerin Daniela Papenberg dürfte das Reimen und Nachdichten sicherlich eine ganz schöne Mühe gewesen sein. Das Vorlesen macht dadurch aber noch mal mehr Spaß.

Serena Romanelli: Bruno. Kurze Geschichten für lange Nächte, Illus: Hans de Beer, Ü: Daniela Papenberg, Nordsüd, 2021, 32 Seiten, 15 Euro, ab 3
Serena Romanelli: Bruno. Bärige Ostern, Illus: Hans de Beer, Ü: Daniela Papenberg, Nordsüd, 2024, 32 Seiten, 17 Euro, ab 3

Gianni Rodari, der Meister der Kurzgeschichten, Gedichte und Reime und ein Klassiker in Italien, hat ein Gedicht über die Hoffnung verfasst, das diesem Bilderbuch zugrunde liegt. Dieses Gedicht, indem ein Ich-Erzähler in einem winzigen Laden Hoffnung an all die für ganz wenig Geld verkaufen würden, die sie dringend brauchen, wurde 2020 im EU-Parlament öffentlich verlesen. So sollte Italien, das damals als eines der ersten Länder schwer vom der Corona-Pandemie getroffen wurde, Hoffnung geschenkt werden. Francesca Ballarini hat quietschbunte, fröhliche Bilder für die wenigen Verse gefunden, in denen ein Kind ein Plakat mit der Aufschrift »Hoffnung« malt und es über einem Kiosk aufhängt. Die supergünstige Hoffnung macht Schlagzeilen und versteckt sich im Verkaufsregal. Armen Menschen würde der Erzähler die Hoffnung allerdings auch schenken. Einfach nur schön, dieses Buch!

Gianni Rodari: Hoffnung, Illus: Francesca Ballarini, Ü: Susanna und Johannes Rieder, Rieder Bilderbücher, 2021, 32 Seiten, 15 Euro, ab 4

Sachbilderbücher über Tiere sind immer wieder faszinierend. Eine ganz besondere Zusammenstellung hat Daniela Pareschi vorgelegt. 19 Tierarten präsentiert sie und zwar nicht sortiert nach den üblichen biologischen Kriterien, sondern nach überraschenden Merkmalen, die uns so vielleicht noch nie aufgefallen sind. Da lernen wir beispielsweise Tiere mit Kopfschmuck kennen. Wer jetzt an den Hirschen denkt, liegt völlig richtig, aber wer kennt schon den Kagu? Dieser Vogel besitzt am Schnabel kleine Klappen, mit denen er die Nasenlöcher verschließen kann und die wie kleine Hörner aussehen. Ähnliches entdeckt man bei Tieren mit Stacheln (Dornteufel und Dornenkronenseestern) oder mit langen Zähnen (Vampirfisch und Goliath-Vogelspinne). Dazu kommen leuchtende und unsichtbare Tiere; welche, die fliegen können, aber keine Vögel sind; welche, die sich aufblasen oder viel schlafen. Und natürlich Tiere, die es gar nicht gibt. Jeweils auf einer Doppelseite trifft man auf das entsprechende Sammelsurium, flankiert von jeweils einer ganzseitigen Illu in stimmungsvoll-atmosphärischen Farben. Das ist nicht nur ein Buch für naturbegeisterte Kids, die ihr Tierwissen erweitern wollen, sondern für alle.

Daniela Pareschi: Tierisch schön, Ü: Cornelia Panzacchi, Gerstenberg, 2024, 44 Seiten, 18 Euro, ab 4-99

Dieses Bilderbuch zu Dantes Göttliche Komödie habe ich schon eine Weile hier liegen und habe mich bis jetzt immer gefragt, welches Kind wohl dieses Buch anschaut oder liest. Eine Antwort habe ich noch nicht darauf gefunden.
Autor Daniele Aristarco erzählt in diesem Buch eigentlich seine eigene Geschichte, wie er mit neun Jahren zum ersten Mal von Dantes Komödie gehört und sie heimlich gelesen hat. Das passt in Italien natürlich ganz hervorragend, da dort niemand an Dante vorbeikommt, Zusammenfassungen und Umschreibungen von Klassikern gang und gäbe sind und die Lektüre in der Schule selbstverständlich Pflicht ist. Nur bei uns ist das nicht ganz so einfach. Dementsprechend unverständlich dürften die Erzähltexte Aristarcos für deutsche Lesende bleiben, die nicht italienische Literaturwissenschaft studiert haben. Die Anspielungen und einzelnen Erklärungen zum »Plot« der Göttlichen Komödie dürften nur die Experten wirklich erkennen. Die Originalzitate aus der deutschen Übersetzung der Komödie sind so kurz, dass kaum ein Zusammenhang erkennbar ist.
Die Illus von Marco Somà mögen in ihrer rostroten und petrolblauen Farbgebung durchaus faszinieren, zumal die Figuren mit Tierköpfen versehen sind und so eine Mischung aus Hieronymus Bosch und Michelangelos »Jüngstem Gericht« ergeben.
Der ganze Anspruch mittels der Göttlichen Komödie über das Leben und seine Irrungen und Wirrungen, über Hölle und Erkenntnis nachzudenken, mag ein hehrer sein, aber Kinder dürfte es ziemlich überfordern bzw. langweilen.

Daniele Aristarco: Die Göttliche Komödie, Die ersten Schritte in den dunklen Wald, Ü: Christel Rech-Simon und Hartmut Köhler (ex Reclam, 2014), Illus: Marco Somà, Carl-Auer, 2022, 46 Seiten, 19,95 Euro, ab 10

In diesem 42 cm großen Bilderbuch befasst sich die Iranerin Elham Asadi auf eine ganz berührende Weise mit der Geschichte vom persischen Neujahrsfest Newroz. Auslöser ist der erste Schnee, den ein Mädchen erlebt. Die Großmutter erzählt ihr daraufhin, dass einst im alten Persien eine Frau namens Naneh Sarma hoch über den Wolken lebte. Sie wartete auf einen Mann, der gefrorene Gewässer wieder zum Fließen bringen konnte. Sie wartete auf Nouruz. Und während sie wartete, putzte sie das Haus, fegte, wirbelte den Staub aus dem Haus, der als Schnee auf die Erde fiel. Nach dem Hausputz war sie so müde, dass sie einschlief …
Diese Frühlings- und Neujahrsgeschichte hat Sylvie Bello mit zarten poetischen Bildern illustriert, in denen man sich wahrlich verlieren kann. Das gesamte Buch ist ein poetischer Schatz und zeugt von der Universalität gewisser Geschichten.

Elham Asadi: Der erste Schnee, Ü: Ulrike Schimming, Illus: Sylvie Bello, Bohem, 2022, 32 Seiten, 29,95, ab 6

Kinderbücher

Bei den Kinderbüchern sind erstaunlich wenige neue Geschichten zu finden. Die, die es geschafft haben, sind im Reich der Fantasie angesiedelt – bis auf das Buch eines TikTokers…

Eine Neuauflage, die mich persönlich besonders freut, sind die Gutenachtgeschichten am Telefon von Gianni Rodari, einem DER Klassiker der italienischen Kinderbuchliteratur. Hier konnte ich nämlich meine Übersetzung von 2012 noch einmal neu unterbringen. Zwar sind im Vergleich zur Ausgabe von damals nur 60 der ursprünglich 70 Geschichten vertreten, aber das ist in Ordnung. Denn es gab durchaus ein paar, die heute nicht mehr gut vermittelbar sind, wie beispielsweise die vom Eisbären, der sich freut, dass der Nordpol abschmilzt und dort nun Veilchen wachsen. Das würde selbst ein Gianni Rodari verstehen und heute vermutlich ganz andere Geschichten in Sachen Klimakrise schreiben.
Aber es gibt immer noch genug kurze Geschichten, die Signor Bianchi seiner Tochter abends am Telefon erzählt: vom Kaputtmachhaus, der Straße aus Schokolade, dem Fahrstuhl zu den Sternen. Immer ist es etwas schräg und anarchisch. Die Kinder in den Geschichten dürfen sich ausleben und werden nie gemaßregelt. Das macht einfach Freude und Lust auf eigene wilde Ideen.

Der kleine Susanna Rieder Verlag hat die verbleibenden Geschichten von Anna Ring ganz wunderbar neu illustrieren lassen. Die knallbunten frisch-frechen Bilder sind toll anzuschauen und heizen die Fantasie noch mal zusätzlich an.

Gianni Rodari: Gutenachtgeschichten am Telefon, Illus: Anna Ring, Ü: Ulrike Schimming, Susanna Rieder Verlag, 2024, 208 Seiten, 24 Euro, ab 4

Kennt ihr Khaby Lame? Also ich kannte ihn nicht und habe sein aktuelles Buch, Das Leben kann so einfach sein, als ich es in der Hand hielt, zunächst einmal mit Verwunderung gelesen. Ein Comic-Roman à la Gregs Tagebuch. Darin steht Khaby dem 11-jährigen Marco bei, der auf eine höhere Schule wechselt und nun mit dem Leben hadert: Er hat die falschen Klamotten, das falsche Handy, keine Freunde, das verkehrte Hobby, gilt plötzlich als Streber, nur weil er einen englischen Satz korrekt formuliert hat. Die üblichen Dramen im Schulalltag.
Khaby steht Marco bei und hilft ihm aus diversen Patschen.

Soweit so mäßig spannend. Dann habe ich mal gegoogelt und musst feststellen, dass es sich bei Khaby Lame um einen der erfolgreichsten TikToker mit 162 Millionen Follower handelt, der in bester Manier Stummfilm-Comedy betreibt. Dabei nimmt er vor allem unnütze Life Hacks auf die Schippe und präsentiert die viel offensichtlicheren Alltagslösungen. Das ist schon ziemlich witzig.
Leider bekommt er diesen Witz nicht in seinen Büchern rüber. Aber vielleicht werden seine jüngsten TikTok-Fans so zum Lesen animiert, wer weiß.

Khaby Lame/Simmone Laudiero: Das Leben kann so einfach sein, Illus: Gabriele Bagnoli, Ü: Christina Neiske, dtv junior, 2023, 160 Seiten, 14 Euro, ab 10

Seit ein paar Jahren treibt das Vampirmädchen Mortina sich nun schon in der Buchwelt herum. In kurzen kindgerechten Gruselgeschichten kann man sie und ihre schräge Verwandtschaft – die Adam’s Family lässt grüßen – in ihrem Spukschloss begleiten. Auf meinem Schreibtisch sind jetzt Wer klopft da an die Tür und Das große Verschwinden gelandet.

Im ersten hilft Mortina einem Geisterjungen, sich an seinen Namen und seine Geschichte zu erinnern, um nicht völlig in der Vergessenheit zu geraten. Im zweiten verschwindet plötzlich Tante Dipartita. Und als Mortinas Menschenfreunde ihr bei der Suche nach der Tante helfen, ist plötzlich auch das Mädchen Teresa nicht mehr aufzufinden.
Der langweilige Dilbert mit dem Sprachfehler trägt schließlich zu Lösung dieser Gruselsuche bei …

Die Mortina-Reihe, die mittlerweile fünf Bände umfasst, lebt vor allem durch die Illustrationen der Autorin Barbara Cantini. Darin gibt es immer viel zu schauen und kleine comicartige Hinweise auf ungewöhnliches Inventar (Kekse von 1895) erweitern die Geschichten um atmosphärische Details. Zu Halloween sind diese Bücher die absolut passende Lektüre und für alle Grusel- und Spukfans.

Barbara Cantini: Mortina. Wer klopft da an die Tür?, Ü: Knut Krüger, dtv junior, 2020, 48 Seiten, 10,95, ab 8
Barbara Cantini: Mortina. Das große Verschwinden, Ü: Knut Krüger, dtv junior, 2020, 48 Seiten, 10,95, ab 8

Eine weitere Geschichte von Barbara Cantini erzählt von der Hexenschülerin Ophelia und dem kleinen schwarzen Kater Oskar. Dieser verfügt über eine besondere Begabung, denn er kann sich verwandeln – in eine Balletttänzerin, einen Bäcker, eine Fledermaus. Doch nichts scheint für ihn das Richtige zu sein. Das ändert sich, als Ophelia sich auf die Suche nach einem Hexenkater macht, den sie für ihren ersten Mitternachtsflug auf dem Hexenbesen braucht. Das Mädchen mit den roten Locken und der Kater legen zwar zunächst eine Bruchlandung hin, dennoch fühlen sie sich für den großen Tag gewappnet …
Auch hier hat Cantini wieder sowohl den Text als auch die Bilder geliefert und wieder finden sich lustige Details und Hinweise in den Illus. Für Katzenliebhaberinnen und Hexenfans ist das entzückend schräges Lesefutter, das Erstleser nicht überfordert, weil es neben den kurzen Texten sehr viel zu gucken gibt.
In Italien ist bereits ein zweiter Teil erschienen – dort heißen die Hauptfiguren lustigerweise Puffy und Brunhilde … wobei mir Brunhilde eigentlich viel besser gefällt als Ophelia, die für mich ja irgendwann bleich und ertrunken im Teich liegen müsste, während Brunhilde viel eher zum Walkürenritt durch die Wolken antreten kann. Aber das nur am Rande. Aus Erwachsenensicht.

Barbara Cantini: Oskar & Ophelia. Flugstunde mit Kater, Ü: Knut Krüger, dtv, 2022, 64 Seiten, 13 Euro, ab 8

Fast schon kein Kinderbuch mehr ist das sehr poetisch-philosophische Buch Osso von Michele Serra. Darin taucht eines Tages bei einem namenlosen alten Mann ein abgemagerter Hund im Garten auf. Der Mann erholt sich gerade von einer Krankheit und ist verunsichert, weil er noch nie einen Hund oder ein anderes Haustier hatte. Doch er stellte dem Tier einen Napf mit Futter hin. Und so entspinnt sich einen vorsichtige Annäherung zwischen Mensch und Tier, das die kleine Enkelin des Mannes »Osso« tauft, abgeleitet von italienischen Begriff für »Knochen«. Osso steht für die Natur, die vor dem Haus des Großvaters beginnt und in der er lange nicht mehr war. Doch langsam traut sich der alte Mann wieder hinaus, fängt an, sich um Osso zu kümmern und die Schönheit der Natur zu entdecken.
In diese anrührende Freundschaftsgeschichte hat der Journalist Serra seine Version der Domestizierung der Wölfe vor vielen Tausend Jahren eingebaut. Diese Geschichte für große und kleine Hundliebhaber:innen wird von zarten Aquarellen von Alessandro Sanna flankiert.

Michele Serra: Osso, Illus: Alessandro Sanna, Ü: Peter Klöss, Diogenes, 2024, 136 Seiten, 25 Euro, ab 10

Jugendromane

Auch die Ausbeute bei den Jugendbüchern ist dieses Mal nicht besonders umfangreich – bitte schreibt mir die Bücher, die ich übersehen habe!

Spannend fand ich die Lektüre von Der Geruch der Wut von Gabriele Clima: Alex ist von einem fixen Gedanken besessen: Er will den Mann finden, der den Unfall verursacht hat, bei dem sein Vater um Leben gekommen ist. Dafür wendet er sich an einen rechten Schlägertrupp und wird in eine Spirale aus Hass und Gewalt hineingezogen. Denn die Black Boys – das Schwarz steht hier für die Schwarzhemden aus dem faschistischen Italien der 1920er Jahre – machen Jagd auf Menschen mit dunkler Hautfarbe. Als Alex merkt, in was er da verwickelt wird, will er aussteigen, doch das ist schwieriger als gedacht.
Gabriele Clima liefert mit dieser Geschichte einen hochaktuellen Jugendroman. Es gibt einige überraschende Wendungen, die die Leserschaft aufrütteln und die eigenen Einstellungen und Vorurteile auf den Prüfstand stellen. Ich könnte mir hier lebhafte Diskussionen in den Schulen vorstellen, sollte dieses Buch mal Schullektüre werden.

Gabriele Clima: Der Geruch von Wut, Ü: Barbara Neeb, Katharina Schmidt, Hanser, 2022, 192 Seiten, 17 Euro, ab 15

Auch Antonella Sbuelz versucht sich an aktuellen Themen: Die beiden Teenager Mattia und Aziz leben an verschiedenen Orten. Mattia in Italien, Aziz in Afghanistan. Und doch erleben sie, wie ihre gewohnten Welten zusammenbrechen. Aziz wird durch den Krieg zur Flucht aus seiner Heimat gezwungen. Seine Mutter wird getötet, von seinem Vater und Onkel wird er getrennt.
Als Mattias Eltern sich trennen, verlässt der Junge sein Zuhause und versteckt sich in verschiedenen Kellern, streunt umher. Irgendwann trifft er Aziz und rettet ihn vor der Polizei. Später entdeckt er, dass Aziz gar nicht Aziz ist.
Antonella Sbuelz erzählt in Heute geh ich nicht nach Hause sehr poetisch von den zwei verschiedenen Lebenswegen, die sich schließlich überschneiden. Sie lässt ihre Figuren in Erinnerungen ihre Gefühlslagen erkunden und schürt die Hoffnung auf ein besseres Leben, trotz schwieriger Lebenslagen.
In wieweit die Gegenüberstellung von westlichem Scheidungskind-Drama mit echtem Kriegselend und der Verfolgung von Mädchen allerdings sinnvoll ist, wage ich etwas zu bezweifeln.

Antonella Sbuelz: Heute gehe ich nicht nach Hause, Ü: Michaela Heissenberger, Arctis, 2023, 288 Seiten, 18 Euro, ab 12

Fantastisch geht es in Marta Palazzesis Feder und Kralle zu. Im spanischen Valencia im Jahr 1914 treffen auf einem Jahrmarkt das Mädchen Amparo und der Junge Tomás aufeinander. Beide sind Gestaltwandler: Amparo verwandelt sich beim ersten Sonnenstrahl des Tages in einen Falken, Tomás wird bei Sonnenuntergang zu einem Panther. Zusammen mit Pepe, dem »König« des Hafenviertels, machen sie sich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit und den Gründen, warum sie so sind, wie sie sind.
Ergänzt wird die Geschichte von atmosphärischen Schwarzweißbildern von Ambra Garlaschelli. Hier wird die Geschichte auf visueller Ebene ergänzt und anschaulich gemacht. Manche Figuren wirken dabei wunderbar gruselig. Für Fantasy-Fans auf jeden Fall eine unterhaltsame Lektüre.

Marta Palazzesi: Feder und Kralle, Illus: Ambra Garlaschelli, Ü: Cornelia Panzacchi, Thienemann, 2024, 272 Seiten, 15 Euro, ab 10

Vom Dauerschreiber und Abenteuer-Autor Davide Morosinotto, siehe auch hier, sind in den vergangenen Jahren zwei weitere Bücher ins Deutsche übersetzt worden: In Time Shifters spielt er dieses Mal ein Sciencefiction-Szenario durch, das dem faszinierenden Gedanken »Was wäre wenn … wir durch die Zeit reisen könnten?« Rechnung träg. Micaela ist eine Agentin, die mithilfe einer neuen Technik in der Zeit zurück- und an andere Orte reisen kann. Sie überwindet dabei keine langen Zeiträume, sondern immer nur ein paar Stunden. So soll sie dieses Mal einen Bombenanschlag auf eine Schule in Bologna verhindern. Normalerweise muss sie nicht viel machen, um den Lauf der Geschichte zu verändern – es reicht, sich die Schuhe zu binden oder einen Zettel von einem Tisch zu nehmen. Sie ist wie ein kleiner Anstupser, der die Abläufe in eine andere Richtung lenkt. Doch dieses Mal funktioniert es nicht und Micaela muss die anstrengende Tour durch die Zeit ein paar Mal hinter sich bringen, denn sie wird von einem Kollegen sabotiert.
Morosinotto liefert hier wie gewohnt eine spannende Geschichte, die bis zum Schluss Überraschungen bereit hält.

In Sohn des Meeres versetzt Morosinotto die Leserschaft 1600 Jahre zurück in der Geschichte, ins zerfallende Römische Reich. Der 14-jährige Pietro erlebt, wie die Hunnen unter Attila im Land einfallen. Der Junge, der für sein Alter sehr groß und kräftig ist, wird als Soldat rekrutiert. Natürlich kann er nicht kämpfen und gerät stattdessen mit seinen Freunden Tito und Justina auf eine Wanderschaft durch Norditalien. Insgeheim hofft er, unter den Hunnen vielleicht seinen richtigen Vater zu finden. Dieser hatte seiner Mutter einst eine halbe Goldmünze dagelassen, als Erkennungszeichen.
Gewohnt spannend und voller Wendungen erzählt Morosinotto vom Leben in der damaligen Zeit, von der wir uns so gut wie keine Begriffe mehr machen. Er zeigt die Lebensumstände, die damalige Kleidung, das Essen, das zu jener Zeit noch ohne Pizza und Pommes auskam und eher aus Spanferkel und Hirsebrei bestand. Super Lesefutter für Abenteuer-Fans.

Davide Morosinotto: Time Shifters. Ohne uns gibt es kein Morgen, Ü: Cornelia Panzacchi, Thienemann, 2022, 416 Seiten, 17 Euro, ab 14
Davide Morosinotto: Sohn des Meeres, Ü: Cornelia Panzacchi, Thienemann, 2024, 368 Seiten, 18 Euro, ab 14

Sachbücher


Actionreich geht es in den Verrückt-nach-Sammelbänden zu. Hier wird nicht nur gelesen, sondern gemalt, ausgeschnitten, gebastelt, gerätselt und zwar zu so wichtigen Themen wie Geografie oder Wissenschaften. Im Geografie-Band bekommen die Kids einen Einblick, was für Karten es gibt, die wir heute auf unseren Smartphones und Tablets so selbstverständlich nutzen. Sie erfahren, wie man solche Karten liest, welche Informationen die Farben liefern, wie die Himmelsrichtungen zu erkennen sind und wie man solche Karten auch selbst anlegen kann. Ähnliches passiert in den Bänden über Flaggen, Städte und Naturlandschaften, die sich anschließen.
Im Sammelband über die Wissenschaften taucht man in die Welt der Insekten, der Geologie und des Wassers ein. Auch hier gibt es wieder Spiel- und Bastelspaß – mein inneres Kind ist ganz begeistert und würde am liebsten sofort losmalen und ausschneiden. Die Illus stammen wieder einmal von Agnese Baruzzi und kommen sehr klar und modern daher. Und neben dem ganzen Spielspaß bleiben unglaublich viele Infos und viel Wissen über unsere Umwelt hängen.

Paola Misesti (Hg.): Verrückt nach Geografie, Illus: Agnese Baruzzi, Ü aus dem Englischen: Ulrich Magin, impian, 2024, 288 Seiten, 16,95 Euro, ab 7
Tecnoscienza (Hg.): Verrückt nach Wissenschaften, Illus: Agnese Baruzzi, ohne Übersetzer-Angabe, impian, 2024, 216 Seiten, 14,95, ab 6

Braucht man eigentlich ein Buch über Bücher? Ja, wenn es so schön und sinnvoll gemacht ist, wie Das Buch der Bücher von Pierdomenico Baccalario. Darin stellt er 37 Klassiker der Weltliteratur vor – und darunter verstehe ich jetzt wirklich die gesamte Literatur von Kinderliteratur bis Belletristik. Denn Baccalario begrenzt sich nicht auf eine Altersgruppe, sondern liefert jungen Lesenden eine Orientierung in der Literatur. Beginnend bei Maurice Sendaks Wo die wilden Kerle wohnen bis hin zu Ernest Hemingways Der alte Mann und das Meer lassen sich hier grundlegende Geschichten entdecken. Jedem Buch sind vier Seiten gewidmet. Darauf werden kurz und knapp die Hauptfiguren der Geschichte vorgestellt, der Inhalt umrissen, die Besonderheiten angedeutet, ein prägnanter Satz zitiert und eine Begründung geliefert, warum man dieses Buch lesen soll. Also im Grunde der Elevator-Pitch fürs Lesen.
Daneben gibt es aber zudem weitere Buchtipps, die zu der jeweilige Lektüre passen würden.
Wer also Orientierung sucht im Dschungel der Bücher, Bibliotheken und Bestseller, hat mit Baccalarios Buch einen ersten Leitfaden in der Hand, von dem aus man in die Weiten der Literatur aufbrechen kann und ein perfektes Fundament an Kulturwissen anlegen kann.

Pierdomenico Baccalario: Das Buch der Bücher. Von Grüffelo bis Sofies Welt. Alle Bücher, die du zum Großwerden brauchst, Ü: Anna Becchi, Illus: Andrea Ucini, Hanser, 2022, 160 Seiten, 22 Euro, ab 12

Leider vergriffen ist das Buch über das Weltall, das ich übersetzt habe und das ich sehr schätze, weil es von sechs Astrophysikerinnen geschrieben wurden. In einer unvergleichlichen Mischung liefern die sechs Erzähl- und Erklärtexte, Anleitungen zum Nachmachen, um das Weltall besser zu verstehen, und diverse Biografien von Frauen, die die Astrophysik geprägt haben. Daneben gibt es freie Gedichte von Silvia Vecchini, die den ganzen Zauber des Alls einfangen. In den Erzählpassagen erklärt eine große Schwester, die Astrophysik studiert, ihrem jüngeren Geschwisterkind – dessen Geschlecht nicht offenbart wird, was wohl sämtlichen Rezensenten entgangen ist – das All. So werden nicht nur die Mysterien der Sterne poetisch und gleichzeitig leicht verständlich gemacht, sondern auch die Mädchen darin empowert, sich für dieses Fach und den Kosmos um uns zu interessieren. Hätte ich so ein Buch von 30 Jahren in die Finger bekommen, würde ich heute vielleicht die Stern erforschen…

Simona Gallerani/Maria C. Orofino/Edwige Pezzulli/Raffaella Schneider/Rosa Valiante/Tullia Sbarrato: Das Weltall. Ein Spaziergang durch die Geheimnisse des Universums, Gedichte von Silvia Vecchini, Ü: Ulrike Schimming, Illus: Alice Beniero, Carlsen, 2021, 216 Seiten, 22 Euro, ab 10

Beim Autor Gianumberto Accinelli wurde ich hellhörig, habe ich doch 2017 von ihm Der Dominoeffekt übersetzt. Das Buch wurde 2018 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Doch was muss ich bei Hinab ins tiefe Blau und Hinauf ins Himmelblau feststellen? Übersetzt aus dem Englischen. Meines Wissens schreibt Accinelli jedoch nicht auf Englisch, die bibliografische Angabe verweist auf ein italienisches Original. Es wäre eigentlich für arsedition ein leichtes gewesen, eine:n Übersetzer:in aus dem Italienischen zu finden – mich oder eine:n Kolleg:in. Ich weiß, dass Accinelli und diese naturwissenschaftlichen Themen nicht leicht zu übersetzen sind, aber so über Bande bzw. stille Post zu spielen, sollte eigentlich nicht nötig sein. Das mal vorweg.
Accinelli erzählt hier kurze Geschichten über die Lebewesen der Meere. Dabei hält man das Buch senkrecht und blättert quasi nach oben um und bekommt so den Eindruck immer tiefer ins Meer abzutauchen. Aus dem hellen Türkisblau wird so mit jedem Blättern ein tieferes Meeresblau. Links läuft eine Meterangabe mit und je nach Lebensraum »schwimmen« die Fische und Wasserbewohner vorbei. Bis schließlich am tiefsten, schwärzestens Punkt im Mariannengraben nur noch der Meeresboden und darüber das U-Boot Trieste zu finden ist. Clever gemacht und für Kids mit Wissensdurst eine Fundgrube.

Bei Hinauf ins Himmelblau geht es nun hoch in Lüfte. Es beginnt zunächst einmal mit den Ameisen am und im Boden sowie den erdnahen Insekten und Vögeln. Känguru und Hochspringer Javier Sotomayer hopsen durchs Bild und beweisen, wie sie die Schwerkraft überwinden. Eine kleine Hummel schafft es bis in 5600 Meter Höhe (nur schade, dass sie auf der Skala bei 6400 eingezeichnet ist – das verwirrt doch etwas). Kraniche schaffen es als einzige Lebewesen wohl über die 10.000 Meter. Darüber, im All, sind dann nur noch Meteoriten und menschengeschaffene Raumsonden zu finden … Auch dies wieder eine interessante Idee und für wissensdurstige Jungleser:innen spannend. Nur hat mich hier das Hochblättern irritiert. Vielleicht hätte man dieses Buch von hinten aufziehen müssen, wie einen Manga, um die Bewegung nach oben zu simulieren. So muss man immer genau hinschauen, auf welcher Höhe man sich gerade befindet.

Nichtsdestotrotz wurde Hinauf ins Himmelblau von bild der Wissenschaft in der Sparte »Perspektive: Sachkundigste Kinderbuch« als Wissensbuch des Jahres 2024 ausgezeichnet.

Gianumberto Accinelli: Hinab ins tiefe Blau. Eine erstaunliche Reise von der Erde bis zum Meeresgrund, Illus: Giulia Zaffaroni, Ü aus dem Englischen: Andreas Jäger, arsedition, 2022, 80 Seiten, 18 Euro, ab 10
Gianumberto Accinelli: Hinauf ins Himmelblau. Eine erstaunliche Reise von der Erde bis ins Weltall, Illus: Giulia Zaffaroni, Ü aus dem Englischen: Andreas Jäger, arsedition, 2024, 96 Seiten, 18 Euro, ab 10



Vom Philosophen Umberto Galimberti sind mittlerweile drei Bücher für Jugendliche erschienen, zwei davon in meiner Übersetzung. ZIn Das große Buch der Gefühle befasst sich Galimberti mit 50 menschlichen Emotionen, angefangen beim Altruismus bis hin zur Zuversicht. Zusammen mit seiner Co-Autorin Anna Vivarelli erklärt er, um was für ein Gefühl es sich eigentlich handelt, wenn wir Liebe, Hass, Freude oder Wut empfinden, wie wir uns verhalten, wenn uns so eine Emotion überkommt, was wir dafür oder dagegen unternehmen können. Jedem Kapitel ist ein längeres Zitat aus der Weltliteratur vorangestellt (was beim Übersetzen enorm viel Arbeit gemacht hat, denn es galt die bereits übersetzten Stellen aus den deutschen Ausgaben herauszusuchen).

Das große Buch der Philosophie liefert dann 100 Kurzbiografien von philosophischen Denker:innen. Den Anfang macht Thales von Milet, den Abschluss bildet Judith Butler. Hier finden alle Philosophie-Interessierten einen ersten kurzen Abriss über die Denkmodelle der vergangenen 2000 Jahre. Anregende Fragen oder Hinweise zum Hinterfragen der großen Denker:innen fordern dann die Leserschaft auf, das eigene Hirn zu benutzen. Das war für mich als Übersetzerin eine wunderbare Arbeit, da ich an mein Studium der Philosophie anknüpfen konnte und neue Anregungen für philosophische Lektüren bekommen habe. Auch das ist eine Nebenwirkung des Übersetzerin-Lebens: Man könnte so unendlich viel lesen – wenn man denn die Zeit dafür finden würde …

Den dritten Band konnte ich leider aus Zeit- und andern Gründen nicht übersetzen, obwohl ich das Thema überaus interessant fand. Im großen Buch der Fragen stellt Galimberti 50 essenzielle Fragen des Lebens und lädt erneut zum Selberdenken ein. Das sind dann Fragen wie: »Gibt es Gott?«, »Was ist die Zeit?«, »Kennst du dich selbst?«, »Gibt es die Seele?« oder »Warum empfinden wir Mitleid?« Auf gerade mal zwei Seiten gibt es dann eher Anregungen als Antworten, aber gerade das macht den Reiz aus. Man kommt ins Grübeln und ist schon fast auf dem Weg, selbst Philosoph:in zu werden. Auf jeden Fall sieht man nach der Lektüre manches mit anderen Augen und kann sich im Nachrichten- und Meinungsdschungel souveräner bewegen.

Umberto Galimberti/Anna Vivarelli: Das große Buch der Gefühle. 50 Emotionen von Angst bis Zuversicht, Ü: Ulrike Schimming, midas, 2022, 232 Seiten, 22 Euro
Umberto Galimberti/ Irene, Merlini/Maria Luisa Petruccelli: Das große Buch der Philosophie. 100 Porträts für Neugierige, Ü: Ulrike Schimming, midas, 2022, 224 Seiten, 22 Euro
Umberto Galimberti: Das Buch der großen Fragen. Was wirklich zählt im Leben, Ü: Arianna Volpi, midas, 2024, 224 Seiten, 22 Euro

Ein sehr spezielles Buch ist das des Stararchitekten Renzo Piano. Geschrieben hat es sein Sohn Carlo. Darin gehen Carlos Tochter Elsa und ihr Großvater Renzo auf eine Seereise um die Welt – zu den Gebäuden, die der Großvater im Laufe seiner Karriere gebaut hat, wie das Centre Pompidou oder die Hochhäuser am Potsdamer Platz in Berlin. Immer wieder erzählt Renzo Piano wie in einem Interview darin von seiner Arbeit als Architekt, von den Dingen, die für den Bau von großen Gebäuden wichtig sind. So erfährt man etwas über die Herausforderungen, erdbebensicher zu bauen, oder wie man den Gesang des Windes durch die Nutzung von Holz einfangen kann.
Das sind per se interessante Infos, aber man muss schon einen Faible für Architektur haben, um diese Lektüre wirklich genießen zu können und nicht gelangweilt zu sein. Aber es gibt ja sicher Architekt:innen, deren Kinder sich von der Leidenschaft der Eltern anstecken lassen. Dies wäre dann die passende Lektüre …

Carlo & Renzo Piano: Auf der Suche nach Atlantis. Eine Reise durch die Architektur, Illus: Tommaso Vidus Rosin, Ü: Claudia Koch/Friederike Römhild, midas, 2021, 160 Seiten, 22 Euro

Atlanten

Der Schweizer midas Verlag hat nicht nur die Bücher von Galimberti und Renzo Piano im Programm, sondern ist auf für die großformatigen Atlanten bekannt, die allesamt wunderbar illustriert und aufgemacht sind. Die kleinteiligen Texte verlocken zum lesenden Herumspringen. Man kann einfach irgendwo aufschlagen und wird von den Details und den Bilder gefangen.

So auch im Atlas über eines faszinierendsten Themen im Kinder-Sachbuch-Bereich: das Weltall. Irgendwann mache ich vielleicht mal einen Post nur mit Weltallbüchern – zumal ich selbst bereits drei KJBs darüber übersetzt habe.
In diesem Altas des Weltalls finden sich die üblichen Kapitel über Sternbilder, Galaxien, die unterschiedlichen Planeten und alles rund um die Technik in Sachen Sternbeobachtung und Raumfahrt.
Besonders ist jedoch, dass bei den Sternbildern auf die kulturellen Unterschiede eingegangen wird. Neben den klassischen griechischen Sternbildern, die uns hier am bekanntesten sind, erfahren kleine Sternkundler:innen etwas über die Himmel der Chinesen, der Südafrikaner und der Navajos. Die Konstellationen haben bei diesen Menschen natürlich andere Namen und zeugen somit von den anderen Lebenswelten und Kulturen. So ehrt man in Südafrika Großmutter Canopus, während die Navajo den ersten Mann und die erste Frau am Himmel erkennen.

Lara Albanese: Atlas des Weltalls, Illus: Tommaso Vidus Rosin, Ü: Claudia Koch, midas, 2021, 88 Seiten, 25 Euro

Der Atlas der Wissenschaften beginnt mit einem Knall, dem Urknall, und führt von dort durch Physik und Chemie, die unser gesamtes Universum beherrschen. Hier sind die Texte länger und man wird mit ebenso vielen Fachbegriffen konfrontiert wie im Weltall-Atlas, wenn nicht sogar noch mehr. Das erfordert schon so einiges Vorwissen. Über die Astrophysik geht es weiter zur Geologie und dem Aufbau der Erde mit ihrer Atmosphäre, den tektonischen Platten, dem Wasser, aus dem das Leben stammt. Am Ende sind wir bei der Biologie mit ihren Zellen, Viren und Bakterien und der Entstehung der Arten.
Eingewoben in diesen naturwissenschaftlichen Rundumschlag sind die Namen von Wissenschaftler:innen und Entdecker:innen samt ihrer Ideen und Theorien. Das ist viel Stoff, zeigt aber sehr anschaulich, wie all dies miteinander in Verbindung steht und zusammenhängt. Vielleicht ist dieser Altas eine ganz gute Ergänzung zu monothematischen Schulbüchern.

Loris Stella: Atlas der Wissenschaften, Illus: Tommaso Vidus Rosin, Ü: Claudia Koch, midas, 2023, 88 Seiten, 25 Euro

Kleinformatiger und daher leider mit sehr viel kleiner Schrift kommt der Altas der Rohstoffe daher. Dennoch finden sich hier eine Vielzahl von Informationen über 24 verschiedene Rohstoffe wie Gold, Kaffee, Baumwolle, Lithium, Öl oder Soja. Diese werden auf Doppelseiten anhand einer Weltkarte vorstellt. Man erfährt so, wo die Rohstoffe ab- oder angebaut werden, wer sie verbraucht und wie sie die (Handels-)geschichte geprägt haben. Dazu gibt es Anekdoten, Historisches und seltsame Geschichten, Hintergrundinfos zu Welthandel und zu Verkehrswegen.
Allein die Auftakt-Illu eines Bleistiftes macht deutlich, wie viele verschiedene Rohstoffe in so einem kleinen, kaum beachteten Alltagsgegenstand stecken und wie sehr wir mit der Welt vernetzt sind, ohne es immer zu wissen. So wird dieser Atlas zu einem Lehrstück über die alltägliche Globalsierung, die zum einen schon seit Jahrhunderten praktiziert wird und die zum anderen auch nicht mehr aufzuheben ist. Wir sollten nur sehr viel bewusster mit all diesen wertvollen Rohstoffen umgehen.

Alessandro Giraudo: Atlas der Rohstoffe, Illus: Irene Rinaldi, Ü: Claudia Koch, midas, 2023, 88 Seiten, 25 Euro

Nicht ganz anfreunden konnte ich mich mit dem City Atlas von National Geographic. Hier geht es durch 32 Großstädte, zumeist auf einer Doppelseite, hin und wieder auf vier Seiten. Die Geschwister Erik und Iris erzählen in einer Bubble jeweils kurz etwas über ihren Aufenthalt in der jeweiligen Stadt. Danach gibt es im Schnitt zehn Tipps, was man in den Städten besichtigen und machen sollte. Diese Tipps sind auf der Illu mit Nummern verortet – und da liegt das Problem (für mich): Die Illus der Städte sind im Grunde ganz hübsch, aber so abstrahiert, dass für mich am Ende fast alles gleich aussah. Man muss schon sehr genau hinsehen und evt. ein paar Sehenswürdigkeiten bereits kennen, um sie in den Bildern zu entdecken. Ich wage ein bisschen zu bezweifeln, ob man damit Kids Lust auf eine Städtetour macht …

Federica Magrin: City Atlas, Illus: Giulia Lombardo, Ü: Anke Wellner-Kämpf, National Geographic/White Star, 2022, 96 Seiten, 16,95 Euro

Religiöse Kinderbücher

In Italien, dem ur-katholischen Land, sehr viel verbreiteter als hier, sind die Bücher zu religiösen Themen. Nur wenige werden ins Deutsche übersetzt.

Im Bilderbuch Der rote Faden stellt ein kleiner Junge fest, dass es einen roten Faden gibt, der alles mit allem verbindet. Ihn mit Mama und Papa, ihr Haus mit den anderen Häusern der Stadt, die Stadt und die Menschen mit der Natur. Der Junge fragt alle möglichen Menschen, was dieser rote Faden wohl ist. Mama meint, es ist die Liebe, Papa sagt, die Vernunft, die Lehrerin erklärt, die Wahrheit. Der beste Freund des Jungen sagt, für ihn ist Gott der rote Faden.
Und so feiert dieses Buch aus der christlichen Abteilung des österreichischen Tyrolia Verlags den Glauben an Gott und die Freundschaft. Denn jede:r sollte eine:n beste:n Freund:in haben.

Manuela Monari: Der rote Faden, Illus: Brunella Baldi, Ü:  Gottfried Kompatscher, Tyrolia, 4. Auflage 2024 (2012), 32 Seiten, 18 Euro, ab 4

Geschichten von Heiligen können manchmal ziemlich faszinierend sein, ganz gleich, ob mal gläubige:r Christ:in ist oder nicht. Alberto Benevelli hat in diesem kleinen Buch sechs Viten kindgerecht erzählt: Georg tötet den Drachen, Martin teilt seinen Mantel, Romedius – den ich bis jetzt noch nicht kannte – zähmt einen Bären, Franziskus wählt den Weg der Armut, Johanna kämpft für Gott im Krieg und Maximilian Kolbe opfert sich im KZ Auschwitz im Tausch gegen einen Familienvater. Der christliche Anspruch und die Intention sind offensichtlich. Es ist eines dieser typischen Bücher, die zur Erstkommunion verschenkt werden können. Nur schade, dass das Geschlechterverhältnis bei den Heiligen etwas unausgewogen ist.

Alberto Benevelli: Heilige Ritter. Große Heilige und ihre Geschichten, Illus: Loretta Serofilli, Ü: Gabriele Stein, Tyrolia, 2017, 60 Seiten, 14,95 Euro, ab 8

Ein etwas anderes Weihnachtsbuch liefert Beatrice Masini. Sie lässt die Heiligen Drei Könige eines Tages einem falschen Kometen folgen. Die drei verirren sich und verbringen den 24. Dezember in einer weit entfernten Oase. Dort erinnern sie sich an ihre bisher erlebten Abenteuer und erzählen. Insgesamt 24 ungewöhnliche Geschichten rund um die Könige und das Christkind lassen sich hier entdecken. Da geht es um Schnee in der Wüste, Parfum aus dem Suk oder warum einmal exotische Tiere vor der Krippe standen. Aber auch sehr italienische Themen und Bräuche fließen hier ein. So tritt Pulcinella auf und serviert neapolitanische Pizza. Die Befana, die Hexe, die in Italien den Kinder am 6. Januar Geschenke bringt, flirtet mit Balthasar.
Für die Adventszeit also ein charmantes Buch zum täglichen Vorlesen und Freuen auf Weihnachten.

Beatrice Masini: Die unglaublichen Abenteuer der Heiligen Drei Könige, Illus: Angela Marchetti, Ü: Gabriele Stein, Tyrolia, 2014, 112 Seiten, 14,95 Euro, ab 8

Ich muss tatsächlich zugeben, dass ich bis dato noch nie etwas von Khalil Gibran gehört, geschweige denn gelesen habe. Und jetzt bin ich auch nur auf ihn gekommen, weil es bei Patmos eine Version von Der Prophet gibt, die aus dem Italienischen übersetzt und für Kinder erzählt wird. Dass literarische Klassiker für Kinder in kondensierter Form herausgebracht werden, ist in Italien gang und gäbe. Alle großen Werke beispielsweise von Dante oder Manzoni gibt es immer auch in kindgerechter Form. Nun also Khalil Gibran. In diesem Buch sind zwölf seiner Reden in verkürzter Form versammelt. So erzählt der Prophet kurz vor seiner Abreise den Stadtmenschen von der Liebe, den Kindern, der Arbeit, der Freiheit, von Selbsterkenntnis und Freundschaft. Diese philosophischen Texte lesen sich wie biblische Gleichnisse. Natürlich kann sich jede*r ihren Teil dazu denken. Ob es Kindern wirklich gefällt, ist die Frage.
Die Illus von Alessandro Sanna schrammen zwischen Kitsch, Poesie und Esoterik. Für Fans von Gibran ist das hier sicherlich eine Publikation, um Kindern seine Weisheiten näher zu bringen.

Khalil Gibran: Der Prophet. Kindern erzählt, Hg: Anna Peiretti, Illus: Alessandro Sanna, Ü: Gabriele Stein, Patmos Verlag, 2023, 64 Seiten, 18 Euro, ab 8

Comics

Italien kann auf eine lange Comic-Tradition zurückblicken, selbst wenn das in Deutschland nicht so präsent ist wie die Bildergeschichten aus den USA, Belgien und Frankreich. Zu den neuesten Publikationen bei uns gehören die folgenden:

Timothy hat gerade eine nicht so gute Zeit: Seine Eltern streiten ständig, in der Schule läuft es mies, seine kleine Schwester plärrt nur rum und ein Fiesling will den Park mit dem schönen alten Baum in eine Zementhölle verwandeln. Halt findet Timothy nur bei seinen beiden Lieblingshelden aus dem TV. Doch eines Nachts bemerkt er, dass sein rechter Daumen grün leuchtet – wie das kommt, weiß niemand. Mit diesem Wunderdaumen kann Timothy Pflanzen heilen und findet den Mut, sich gegen den Fiesling zu stellen und den Park zu retten.

Dieser Heldencomic der anderen Art ist entzückend unlieblich von Gud gezeichnet, feiert den Mut der Jüngsten und appelliert an den Zusammenhalt der Gemeinschaft, die etwas gegen fiese Investoren und Umweltzerstörer unternehmen kann. Man kann nur hoffen, dass die nächsten Bände von Timothy Top ebenfalls übersetzt werden.

Gud: Timothy Top. Der magische grüne Daumen, Band 1, Ü: Henrieke Markert, Edition Helden, 2022, 144 Seiten, 18,90 Euro, ab 8

Der Römer Zerocalcare ist seit Kobane Calling in der Graphic-Novel-Szene ein bekanntes Gesicht. Zero verarbeitet in seinen Büchern immer seine eigene – mehr oder minder wahre – Geschichte und seine eigenen Erfahrungen. So auch in Die Krake im Nacken. Dieses Mal nimmt er uns mit in seine Kindheit in den 1990er Jahren an seine Schule und erzählt von den Beziehungen zu seinen Mitschüler:innen und Lehrer:innen. Es geht um den Druck dazuzugehören, die richtigen Serien gesehen zu haben, Mut zu beweisen und bei den Mädchen auf dicke Hose zu machen. Als er eines Tages, nach einem verbotenen Ausflug in den Wald, inklusive Auffindung eines menschlichen Schädels, eine Mitschülerin zu Unrecht der Lehrerin ausliefert, legt sich von nun an die Krake der Reue um seinen Hals. Und so entspinnt sich ein kurzweiliger Tripp durch pubertäre Schuljahre, samt rätselhaften Gestalten, einem Spukhaus und Minderwertigkeitskomplexen.
Zerocalcare liefert eine so dermaßen italienische Coming-of-Age-Geschichte, dass die Übersetzerin Myriam Alfano, die mal wieder hervorragend den Ton von Zeros Slang getroffen hat, ein Glossar zur italienischen Popkultur aus den 1980er und 1990er Jahren verfasst hat. Denn nicht alles, was damals in Italien bei der Jugend angesagt war, war auch in Deutschland populär. So gibt es neben Darth Vader, Curt Kobain und Che Guevara so einige Figuren aus japanischen Animes wie Jeegrobbó oder Yatterman, die nur echten Experten was sagen dürften. Im Lesefluss haben mich diese Unbekannten nicht gestört, denn ich hatte ja bei den italienischen Namen wie Alberto Sordi oder Gianni Rodari meine Wiedererkennungsmomente.
Für Fans von Zerocalcare ist das hier ein großer Spaß – und die Geschichte um den Schädel wird auch geklärt …

Zerocalcare: Die Krake im Nacken, Ü: Myriam Alfano, avant, 2024, 192 Seiten, 25 Euro

Manchmal gibt es merkwürdige Zufälle. Jetzt liegt hier der 1. Sammelband der W.i.t.c.h. vor mir, eine Comic-Reihe über fünf Mädchen mit Zauberkräften. Und ich stelle fest, dass ich im Jahr 2000 die erste Geschichte daraus übersetzt habe. Auf meinem Rechner findet sich noch die alte Datei. Die Texte im Band sind ordentlich überarbeitet worden, denn damals hatte ich noch längst nicht so viel Erfahrung im Übersetzen wie heute. Aber der Kern ist identisch. Mein Name taucht in dem Band nirgendwo auf. Damals wurde das Projekt auf Eis gelegt, zwei Jahre später waren auf einmal Hefte von W.i.t.c.h. im Handel – ohne dass ich weiter mit der Übersetzung beauftragt worden war. Ehapa ist damals von Leinfelden-Echterdingen nach Berlin umgezogen und mein Kontaktmensch ist nicht mitgegangen. So riss meine Verbindung zu Ehapa. Später habe ich dann andere Comics für Egmont-Ehapa übersetzt. Aber W.i.t.ch. habe ich immer ein bisschen hinterher getrauert. Denn es sind wirklich ganz liebenswerte Figuren, die dort agieren.

Die fünf Hauptfiguren sind Schulmädchen, die über magische Fähigkeiten entsprechend der Naturelemente Feuer, Wasser, Erde, Luft und Energie verfügen. Sie werden als Wächterinnen ausgewählt, um das Parallelreich Kandrakar zu schützen. Soweit so spannend, wie auch typisch Fantasy.
Diese Geschichten, die vom italienischen Walt-Disney-Team erfunden wurden, liefern eine Mischung aus Manga und Disney mit liebenswerten Figuren, natürlich bösen Gegenspieler:innen und heißen Jungs. Allerdings merkt man auch, dass diese Comics schon ein gewisses Alter haben, wenn man die Technik – Strippentelefone, Röhrenbildschirme, Speicher-Floppydisks – betrachtet, die bei uns Erwachsenen vielleicht nostalgische Gefühle aufkommen lassen, Jugendliche aber wohl eher verwundern dürften. Aber Fans dürften sich über die hochwertigen Sammelbände als Hardcoverausgaben freuen.
Wenn ich das richtig überblicke, sind bisher elf Sammelbände und zwei zusätzliche Bücher erschienen. Man kann sehr tief in den W.i.t.c.h.-Kosmos eintauchen.

Elisabetta Gnone/Francesco Artibani/Bruno Enna: W.i.t.c.h., Band 1, Ü: Sabine Schirmer, Egmont Comic Collection, 4. Auflage 2024, 384 Seiten, 29,99 Euro, ab 10

Und auch die Winx erleben gerade eine Neuauflage als dicke Sammelbände. Auch hier habe ich lange Jahre die Geschichten übersetzt. Winx Club 02, das im Frühjahr herauskommt, habe ich ebenfalls wieder übersetzt.
Hier sind es sechs Feen mit unterschiedlichen magischen Fähigkeiten aus Natur, Musik, Mode, Kunst, Technik, die Abenteuer aller Art auf dem Planeten Magix erleben. Sie kämpfen gegen die Hexen Trix und andere böse Wesen.
Viele Kids kennen möglicherweise die Zeichentrickserie. Die Realverfilmung ist meines Wissens eher gefloppt. Aktuell gibt es wohl Bestrebungen, die Winx dahingehend zu überarbeiten, dass das Körperbild und das Auftreten nicht mehr so sehr einem Männertraum entspricht, sondern kindgerechter wird. Hoffen wir mal, dass das klappt. Die Winx jedenfalls feiern in jeder ihrer Geschichten nämlich die Freundschaft und den Teamgeist.

Iginio Straffi: Winx Club 01, Das Geheimnis von Alfea, Ü: Matthias Wieland, Ehapa Comic Collection, 2024, 25 Euro

Worauf ich bisher noch nie eingegangen bin, und was vielen vielleicht gar nicht so klar ist: Die Geschichten in den Lustigen Taschenbüchern von Walt Disney werden seit vielen Jahren zum Teil in Italien produziert und daher aus dem Italienischen übersetzt.
Ich werde hier jetzt keine Zusammenfassung irgendeines neues Bandes liefern – das Cover ist daher eher als Symbolbild zu verstehen – vielmehr möchte ich auf das Video von Übersetzungskollegin Petra Müller verweisen und es hier einbinden, die für die Weltlesebühne e.V. von ihrer Arbeit an den Lustigen Taschenbüchern berichtet. Das ist überaus interessant und sagt alles …


Zum Schluss noch ein Pinocchio – diesmal einer für Erwachsene. Hierbei handelt es sich um eine SEHR freie Adaption der Lügenjungen-Geschichte, die nicht jugendfrei ist.
Geppetto ist in dieser Variante Diplom-Erfinder und mit einer ehemaligen Sexarbeiterin verheiratet. In seiner Werkstatt dengelt er einen metallenen Pinocchio zusammen, den er als Wunderwaffe ans Militär verkaufen will. In Pinocchios hohlen Kopf zieht die Wanze Jiminy ein und dieses Wesen ist quasi das einzige, das spricht, erzählt, schreibt. Die Story von Pinocchio selbst kommt ohne Worte auf. Braucht es auch nicht. Die krassen Bilder sprechen für sich. Sie sind nichts für schwache Nerven, denn es geht sehr blutrünstig und splattermäßig zu.
Dieser Pinocchio, der bereits 2009 zum ersten Mal auf Deutsch vorlag und jetzt neu aufgelegt wurde, ist also auch schon fast ein Klassiker und kommt eher als düstere, testosterongesteuerte Männerfantasie daher. Hinter Winshluss steckt der französische Comicautor und Regisseur Vincent Paronnaud, der 2007 zusammen mit der iranischen Comiczeichnerin Marjane Satrapi deren Graphic Novel Persepolis als Animationsfilm veröffentlichte.
Aber dieser Pinocchio ist auch mit unzähligen kulturellen Anspielungen gespickt, wie Disneys Schneewittchen, das allerdings von fiesen Zwergen missbraucht wird. Dazu kommt jede Menge Gesellschaftskritik, weshalb es mit einer schnellen Lektüre nicht getan ist. In jeder Runde entdeckt man neue Aspekte und Details. Für Literaturwissenschaftler:innen ist dieses Werk eine Fundgrube für Analysen, Interpretationen und Deutungsdiskussionen.
In meiner Pinocchio-Sammlung erweitert diese Graphic Novel nun die klassischen Textausgaben um den ganz freien Umgang mit dieser Geschichte und zeigt, was man aus alten Texten alles machen kann.

Winshluss: Pinocchio, Ü: Kai Wilksen, avant, 2024, 208 Seiten, 30 Euro

Soweit. Dank an alle, die bis hierher gelesen haben.
Im nächsten Jahr gibt es wieder ein Up-Date zur italienischen KJL in Deutschland. Ich freu mich drauf!

Auf der Suche nach Italien …

in italienischen Kinder- und Jugendbüchern in Deutschland

2018 habe ich hier zum ersten Mal einen Überblick über die italienische KJL in Deutschlang geliefert. Nun habe ich mich erneut gründlich umgesehen, was es denn so Italienisches für Kinder und Jugendlichen auf dem hiesigen Markt gibt – und ich muss sagen: Es hat sich so einiges getan.
Hatte ich vor drei Jahren den Eindruck, dass die Bücher aus Italien noch irgendwie überschaubar sind, so präsentierte sich mir nun eine immense Vielfalt (vielleicht liegt das auch an einer besseren Recherche…). Nicht alles davon konnte ich im Detail lesen, doch die Tendenzen und Strömungen lassen sich auch so ganz gut erfassen. Auch hier gilt wieder, dass dieser Überblick keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, zu mannigfaltig sind die Publikationen, sodass ich vermute, dass ich auch weiterhin noch das eine oder andere übersehen habe.

Die gefundenen Publikationen habe ich nach gewissen Kategorien geordnet, um ein bisschen Ordnung zu schaffen. Dabei kam heraus, dass italienische Bücher nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind, sieht man mal von den italienischen Autor:innennamen ab. In den 1990er Jahren während meines Studiums der italienischen Literatur hatte einer meiner Professoren immer betont, dass italienische Autor:innen nur über Italien schreiben. Einen gewissen Zweifel hatte ich damals schon, doch nun, durch diesen Blick auf die Neuerscheinungen der vergangenen Jahre, zeigt sich, dass diese Behauptung unhaltbar ist, selbst bei Kinder- und Jugendbüchern. Daher habe ich mich mal auf die Suche nach Italien und der Italianità, dem Italienischen an sich, in diesen Publikationen gemacht …

Den Auftakt machen aber auch dieses Mal die italienischen Klassiker. Denn quasi kein Herbst- oder Frühjahrsprogramm kommt ohne zumindest einen italienischen Autor aus: Carlo Collodi.

Klassiker

Italien

Die unzähligen Ausgaben von Pinocchio zeichnen sich heute dadurch aus, dass es sich dabei nicht um Neuübersetzungen, sondern um Neugestaltungen bzw. Neuillustrationen handelt. So beispielsweise bei der Ausgabe aus dem Coppenrath Verlag, bei der das Designatelier MinaLima aus London holzschnittartige Illustrationen und aufwändige Extras geliefert hat. Da kann man ein Minitheater aufklappen, Fingerpuppen ausschneiden, Pinocchio als Hampelmann zappeln lassen und ihn mit neuen Kleidern bestücken. Diese filigranen und empfindlichen Kunstwerke veredeln die altbekannte Geschichte um den hölzernen Lausbuben und sind fast zu schade, um sie aus dem Buch zu trennen und zu bespielen.
Die Übersetzung dieser Ausgabe stammt von Paula Goldschmidt. Sie stammt aus den 1960er Jahren – so habe ich es zumindest aus den Eintragungen in der Deutschen Nationalbibliothek entnommen. Da mich das nicht sehr befriedigt hat und ich über Paula Goldschmidt auch sonst noch keine weiteren Informationen gefunden habe, habe ich weiterrecherchiert. In diesem Zuge habe ich mir die verschiedenen Pinocchio-Übersetzungen etwas intensiver angesehen – quasi als berufsbedingte Übersetzerin-Fortbildung, weil ich einfach neugierig geworden bin. Das Ergebnis ist ein ellenlanger Riemen geworden, den ihr hier findet, und eine Fotoserie auf Instagram.

Die Beschäftigung mit Collodi spülte mir dann auch noch die Übersetzung seines Buches Pipì, der kleine rosarote Affe auf den Bildschirm. Hierin lässt Collodi einen kleinen Affenjungen pinocchieske Abenteuer erleben. Der neugierige Pipì verlässt seine Familie, erkundet die Welt, wird zum Kaiser einer verstrittenen Affenbande, verliert seinen Schwanz an ein hungriges Krokodil … den er von einer Fee zurückbekommt, wenn er denn seine Versprechen einhält. Das hört sich bekannt an, Collodi hat hier seine Ursprungsidee noch mal wiederverwertet, kommt aber an seinen echten Pinocchio natürlich nicht heran. Da helfen dann auch die Illustrationen von Axel Scheffler nicht wirklich. Zudem wurde Collodis Werk leider auf Grundlage eines englischen Textes ins Deutsche übersetzt, ist also ein Fall von Stiller Post, was eigentlich nicht üblich und keine guter Stil ist.

Als weiterer italienischer Kinderbuch-Klassiker ist eine kurze Geschichte von Gianni Rodari bei Eulenspiegel erschienen: Die Geschäfte des Mister Cat in der Übersetzung von Giulia Engler ist ein typischer Rodari, der in seinen Texten die absurden Gebaren unserer Wirtschaft und Gesellschaft aufs Korn nimmt. Da will nämlich Mister Cat reich werden und überlegt sich ein Geschäftsmodel – Mäuse in Dosen – und organisiert, besorgt Dosen, malt Plakate, stellt Verkäuferin und Lieferjunge an, nimmt Bestellungen entgegen, hat aber noch gar keine Mäuse für seine Dosen. Das kommt einem in Zeiten von Hypes um Produkte, seien es die neuesten Smartphones, Klopapier, Impfdosen und Schnelltests irgendwie bekannt vor. Die jungen Adressaten dieser entzückend illustrierten Geschichte erfahren hier so einiges über marktwirtschaftliches Denken bzw. die Abgründe desselben – und dass wir die Rechnung nie ohne den Wirt, besser gesagt die Mäuse machen sollten.

Die Italianità, also das typisch Italienische ist in diesen Klassikern nicht zu finden, sind sie doch eher universelle Märchen. Am ehesten spiegelt sich Italien in den erzählenden Jugendbüchern, so dachte ich es zunächst, doch auch in diesem Bereich lässt sich Erstaunliches entdecken.

erzählende Jugendbücher

Zwei aktuellere Jugendbücher – Der Sonne nach von Gabriele Clima und Alles ganz normal von Roberta Marasco – spielen ganz offensichtlich in Italien, auch wenn die Hauptorte nicht namentlich benannt werden. Italienische Figurennamen und das gesamte Setting der Real-Geschichten vermitteln einen Hauch Fremdheit, ohne dabei völlig exotisch zu wirken.
Clima erzählt die Geschichte von Dario, der zur Strafe für sein respektloses Verhalten in der Schule, den spastisch gelähmten Andy betreuen muss. Irgendwann hat Dario es satt und haut zusammen mit Andy ab. Es beginnt ein intensiver Roadroman, übersetzt von Barbara Neeb und Katharina Schmidt, der die zwei unterschiedlichen Jungs immer näher bringt und so eine Lanze für Inklusion und Menschlichkeit bricht.

Italien

Roberta Marasco widmet sich in ihrem Roman dem Thema Menstruation, das bisher in Deutschland hauptsächlich in Sachbüchern behandelt wurde. Sie erzählt aus der Sicht der schüchternen Camila und der erfolgreichen Tiktokerin Luna. Haben die Mädchen anfangs nicht miteinander gemein, so werden sie durch schulische Umstände zu einem Team. Als dann durch eine fiese Gemeinheit ein ungeschicktes Video Camilas, in dem sie über ihre erste Regel spricht, viral geht, entwickelt sich zwischen den Mädchen ein ganz besonderer Teamgeist.

Italien paart sich in diesen beiden Geschichten mit universellen Themen, die für unsere Gesellschaft relevant sind und daher möglicherweise etwas länger in den Buchhandlungen und Bibliotheken zu finden sein werden.

Anders als die beiden Romane von Francesco Gungui, die mir erst jetzt untergekommen sind und beide vom Team Neeb/Schmidt übersetzt wurden. Ich mag dich wie du bist. Es passt … oder eben nicht (2011) und Ich mag dich immer noch, wie du bist. Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage (2012) sind zwei eher seichte Liebesromane für Jugendliche. Im ersten Teil macht die 16-jähre Alice gezwungenermaßen Campingurlaub in Apulien und kommuniziert via Netz mit ihrem Freund Luca, doch im zweiten Teil zieht dieser zum Studium nach San Francisco, womit sich der italienische Blick bereits weitet und international wird.

Alles andere als Italien hat Autor Davide Morosinotto im Sinn. In seinen Abenteuerbüchern, von denen mittlerweile drei auf Deutsch erschienen sind, alle übersetzt von Cornelia Panzacchi, erzählt er von fernen Zeiten und fremden Ländern. 2017 machte er mit seiner Mississippi-Bande in Deutschland Furore, war damit für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. In seinem Debüt entführte er die Lesenden in die USA des 19. Jahrhunderts. Nur ein Jahr später folgte Verloren in Eis und Schnee, worin es in den Kriegswinter 1941 in der UdSSR geht. Bezeichnend für Morosinottos Bücher sind die opulenten Illustrationen, die die Lesenden unterhalten, durch geografische Karten weiterbilden und die Lektüre zu einem kurzweiligen Vergnügen machen. So auch in dem aktuellen Buch Der Ruf des Schamanen, das im peruanischen Amazonasgebiet spielt. Morosinotto schickt seine kleinen Protagonisten stets auf »Reisen«, auf denen sie die diversesten Probleme überstehen müssen, um schließlich zu sich selbst zu finden. Das ist spannendes Lesefutter, bei dem die Leser:innen mitfiebern können, etwas lernen und jede Menge Spaß haben. Für den Oktober dieses Jahres ist bereits das nächste Buch angekündigt: Die Rebellen von Salento … scheinbar lässt er in seinem Erstlingswerk (das nun nach dem Erfolg auch veröffentlicht wird) die Geschichte in Italien spielen. Ich werde es herausfinden.

Italien

Pierdomenico Baccalario, bekannt für seine Ulysses-Moore-Reihe, veröffentliche 2015 die wahre und äußerst grausame Geschichte des afghanischen Jungen Hazrat in Dem Leben entgegen (Ü: Barbara Neeb und Katharina Schmidt). Hazrat erlebt in seinem Zuhause Schrecken und Gewalt, als sein Vater durchdreht und die Mutter sowie einige seiner Geschwister niedermetzelt. Hazrat kommt zunächst bei Verwandten unter, doch das bewahrt ihn nicht vor weiterer Gewalt. Er flieht und schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und landet schließlich in einer Koranschule, in der er zum Selbstmordattentäter ausgebildet werden soll – was er jedoch nicht eindeutig erzählt. Ihm gelingt die Flucht. Nach einen jahrelangen Aufenthalt im Iran schlägt Hazrat sich schließlich nach Italien durch. Dieses Land spielt hier nur am Ende von Hazrats Geschichte eine Rolle, quasi als Rettung für den Jungen, der hier als Minderjähriger unproblematisch Aufnahme findet.

Kinderbücher

Bei den Kinderbüchern ist es mit der Italianità bereits wieder vorbei. Hier erzählen italienische Autor:innen universelle Geschichten, die zum Teil nicht einmal mehr in Italien spielen. So beispielsweise in der Reihe Ein Fall für Me, Mum & Mystery von Lucia Vaccarino, übersetzt von Bettina Dürr und Birgit Ulmer. Hier dreht sich alles um das Detektivbüro von Emily und ihrer Mutter Linda im englischen Kent, das die beiden von einem verstorbenen Onkel erben.
In gerade einmal drei Bänden aus dem Jahr 2016 lösen Mutter und Tochter (harmlose) Kriminalfälle, wie sie für 9-jährige Mädchen eben geeignet sind. Die Bücher sind nur noch antiquarisch zu haben – oder stehen in den Stadtbibliotheken.

Vaccarino gehört, ebenso wie Morosinotto, zur Storytelling-Agentur Book on a Tree. 2014 gegründet von Vielschreiber Pierdomencio Baccalario, arbeitet hier ein großes Team aus mehr als 50 Autor:innen und mehr als 100 Illustrator:innen an unzähligen Geschichten, die international funktionieren. Im Grunde kann man hier von einer Geschichten-Fabrik sprechen, die allerdings ziemlich gut den Geschmack der breiten Masse treffen und unzählige Bücher auf den Markt werfen, von denen jedoch nur verhältnismäßig wenige ins Deutsche übersetzt werden.

Ans und ins Meer entführen aktuell Elisa Sabatinelli und Iacopo Bruno die Leserschaft in Emilio und das Meer. Der kleine Held Emilio will unbedingt Taucher werden wie sein Vater, denn er kann ohne das Meer nicht leben. In einem namenlosen Dorf erkundet er schließlich mit einem zusammengesuchten Taucheranzug – der eher an 20000 Meilen unter dem Meer von Jules Vernes erinnert, als an modernes Sporttauchen – die Unterwasserwelt. Als der Junge dort unten tatsächlich eine sagenumwobene Perle findet, nimmt auch an Land das Abenteuer seinen Lauf und er muss es mit einem ausgemachten Bösewicht aufnehmen.
Illustriert hat diese Geschichte, in der es auch um den Respekt der Natur geht, Iacopo Bruno, ein Schwergewicht der Illustrator:innen-Szene (er hat die aktuellen deutschen Harry-Potter-Cover neu gestaltet). Seine maritimen Bilder besitzen eine antike Patina, die in die Welt von Seebären, Tauchern und fiesen Geschäftsmännern, aber auch in mystische Unterwasserwelten entführt. Sie sind wahrlich eine Augenweide.

Italien

Mit Die Kinder der verlorenen Bucht (Ü: Barbara Neeb/Katharina Schmidt) liefert Luca di Fulvio, der eigentlich für seine historischen Unterhaltungsromane bekannt ist, 2016 eine Fantasy-Abenteuergeschichte für junge Leser:innen. Darin müssen die Freunde Lily, Max und Red zusammen mit der Möwe Luigi eine Bucht erkunden, in der immer wieder Kinder verschwinden.

Bis auf die Namen einiger Figuren (Lehrer Tappabucchi) und Orten wie der Baia del Sole (Sonnenbucht) ist auch hier nicht viel Italianità zu finden. Das Bestehen von Abenteuern und der Kampf gegen fantastische Bösewichte ist einfach zu universell, um sie auf ein Land zu beschränken.

2018 brachte der Verlag Jacoby & Stuart Fulivo Tomizzas Kinderbuch Die Flöhe in der Oper neu heraus. Bereits 1997 war es in der Übersetzung von Edmund Jacoby im Gerstenberg Verlag erschienen. Quasi eine zeitliche Mogelpackung – oder vielleicht auch eher ein Klassiker, das Tomizza seine belletristischen Hauptwerke schon in den 1960er bis 1980er Jahren in Italien veröffentlichte. Seine Geschichte der Flohfamilie, die ein Opernhaus besucht und dort für Verwirrung sorgt, ist jedoch zeitlos lustig und entführen die jungen Leser:innen in diesen ganz speziellen Musikkosmos. Der Anhang »Alles über die Oper« erklärt dann die wichtigsten Begriffe, Komponisten und Werke. Illustriert hat Axel Scheffler, der Schöpfer des Grüffello.

Italien

Susanna Tamaro, die seit Ende der 1990er Jahre dem Buch Geh wohin dein Herz dich trägt bekannt ist, hat 2017 ein weiteres Kinderbuch veröffentlicht (schon in den 1990er Jahren sind ihre Kinderbücher ins Deutsche übersetzt worden). Mit Bart, das sprechende Huhn und der Hüter der Weisheit, übersetzt von Ingrid Ickler, nimmt sie die Technikgläubigkeit gewisser Eltern aufs Korn. Die Eltern von Bart haben viel zu tun und lassen ihren Sohn von den neuesten technischen Geräten überwachen. Als die Mutter seinen geliebten, aber hässlichen und nutzlosen Teddy wegwirft, bricht der Junge aus seiner überwachten Welt aus. Aufgrund der Leseprobe kann ich nur sagen, dass sich der Anfang durchaus witzig liest, aber auch mit einem moralischen Unterton daherkommt. Bei Gelegenheit werde ich die Geschichte zu Ende lesen.

Im vergangenen Herbst kam dann das Weihnachtsbuch Das Wunder von R. von Francesca Cavallo, in der Übersetzung von Daniela Papenberg, auf den Markt. Cavallo ist durch die Good Night Stories for Rebel Girls (s.u.) bekannt geworden. Wer dabei eine italienische Weihnachtsgeschichte erwartet, wird eher enttäuscht. Die Stadt R. könnte in jedem Land liegen, der Ort ist nicht wirklich wichtig. Das Besondere an diesem aufwändig illustrierten Buch ist die Familienkonstellation: Zwei Mütter ziehen mit ihren drei Kindern in die Stadt R., weil sie hier keine Repressalien wegen ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe fürchten müssen. Diese Liebe erzählt Cavallo als etwas völlig Selbstverständliches und greift dann in die Fantasy-Kiste, um einen Weihnachtsabend zu schildern, bei dem die drei Kinder zusammen mit einer Horde Elfen dem Weihnachtsmann helfen, all die Geschenke für die Kinder der Welt zu packen.
Die Illustrationen von Verena Wugeditsch machen zudem die Diversität der Figuren an ihren unterschiedlichen Hautfarben deutlich.

Italien

Bei meiner Recherche zu italienischen Kinderbüchern tauchte dann – seltsamerweiser – auch ein ganz schmales Bändchen von Elena Ferrante auf: Der Strand bei Nacht, übersetzt von Karin Krieger. Darin erzählt die Bestseller-Autorin aus der Sicht einer Puppe eine ziemlich beklemmende Geschichte. Die fünfjährige Mati bekommt von ihrem Vater ein Kätzchen geschenkt und vergisst daraufhin die heißgeliebte Puppe Celina am Strand. Der Grausame Strandwärter schiebt mit seinem Rechen am Abend all die vergessenen und verlorenen Dinge eines Strandtages zu einem Haufen zusammen und zündet ihn an. Der Puppe würde er gern ihre Worte entlocken und sie auf dem Puppenmarkt verkaufen. Puppe Celina fürchtet sich sehr, fängt schon fast Feuer, als eine Welle sie ins Meer spült, bis Matis Kätzchen sie am nächsten Tag zu dem Mädchen zurückbringt.
Dieser psychologisch durchkomponierte Albtraum à la E.T.A Hoffmann, mit ebensolchen Illustrationen von Mara Cerri, ist eher nichts für kleine Leseratten, sondern nur etwas für Hardcore-Fans von Elena Ferrantes Neapolitanischer Saga um die beiden genialen Freundinnen Lila und Lenu.

Fantasy

Im Bereich der Fantasy-Roman gibt es von Silvana De Mari, der Autorin von Der letzte Elf, die neue Reihe Das Erbe des Magierkönigs, in der Übersetzung von Barbara Kleiner. Ehrlich gesagt, kann ich mich leider nicht zum Lesen dieser Bücher aufraffen, da Fantasy einfach nicht mein Genre ist. Viel interessanter, ja erschreckender fand ich die Schlagzeilen, die die Autorin 2018 machte. Die studierte Ärztin hatte sich wiederholt abschätzig und verunglimpfend gegenüber der LGBT*-Szene geäußert. De Mari meinte, dass »Homosexualität zu tolerieren sei wie Pädophilie zu akzeptieren«, zudem behauptete sie, »LGBT* wolle die Meinungsfreiheit unterdrücken und verbreite Pädophilie«. Sie wurde daraufhin zweimal zu seiner Geldstrafe verurteilt. Im Zuge der Diskussionen, wie sehr man Autor:innen von ihren Werken trennen sollte, dürfte das eigentlich keine Rolle spielen. Dennoch bleibt – bei mir – ein unguter Nachgeschmack.

Zum Fantasy-Genre muss man sicher auch die kurzen Geschichte um die Zombie-Protagonistin Mortina von Barbara Cantini rechnen. Erstleser:innen erleben die leicht gruseligen Abenteuer des kleinen Zombie-Mädchens, das so gern mit den Kindern aus der Nachbarschaft spielen möchte. Ein wenig erinnert die Villa Decadente, in der Mortina mit ihrer Tante Dipartita lebt, an die AdamsFamily. Die Bücher, bis dato sind vier Bände in der Übersetzung von Knut Krüger erschienen, bestechen durch ihre fantasievollen Illustrationen, die ebenfalls von der Autorin stammen.

Überaus lustig und mit Hintersinn kommt aktuell Fabrizio Sileis Orkobello daher. Er entführt die Leser:innen ins Monsterland, in dem alles hässlich, stinkend und fürchterlich ist. Je hässlicher, umso wohler fühlen sich die Monster, die Gestank und Müll lieben und um die gerechte Verteilung des Mülls streiten. Als der Bürgermeister Grollboll zum dritten Mal Vater wird und endlich der ersehnte Sohn geboren wird, bricht für ihn, den Hässlichsten und Stinkigsten von allen, jedoch eine Welt zusammen: Das Baby ist schön. Ganz wunderschön. Und der Junge Orkobello verhält sich in seinem weiteren Leben viel mehr wie die Menschen und verliebt sich schließlich sogar in ein Menschenmädchen. Orkobello ist ein herrlicher Spaß, um schlechten Geschmack, schlechte Manieren, Ekelkram und vor allem das Anderssein. Vorzüglich und mit Witz von Ingrid Ickler übersetzt.

Bilderbücher

Bei den Bilderbüchern findet sich eine wunderbare Vielfalt. So erzählt Marco Viale in Ich bin der König! mit wenigen Strichen und kaum Farbe von einem kleinen Angeber, der auf jeder Seite seine Grandezza herauspustet. Wie ein typischer Narzisst erklärt er, in der Übersetzung von Sebastian Hoch, was er alles hat, kann, macht. Er ist der Größte, der Beste, der Tollste. Sein Gegenüber kann immer nur mit »ich nicht« antworten, wenn der Angeber ihn fragt, ob er auch … Doch als es um die Dunkelheit geht, wendet sich das Blatt. Den ganz Kleinen wird hier fast spielerisch das Nachdenken über eigenes Verhalten näher gebracht, dass Angebertum eben nicht weiterhilft, wenn dann die Angst doch nicht beherrscht werden kann.

Italien

Farblich reduziert ist auch die Geschichte Schwarzer Kater, Weiße Katze von Silvia Borando, ebenfalls von Sebastian Hoch übersetzt. Hier werden die Gegensätze des Lebens thematisiert: schwarz, weiß, Kater, Katze, Tag, Nacht. Jede Facette im Leben und der Welt ist wichtig, jede hat ihre Funktion. Manches ist anders, manche macht einem vielleicht Angst. Doch dann zeigen Katze und Kater einander ihre Welten. Und so erkennen sie, dass sie sich gegenseitig ergänzen und das Leben erst dadurch rund und vollkommen wird.

Ein weiters Bilderbuch von Silvia Borando fällt unter die Kategorie »ohne Text« – gehört also eigentlich nicht in meine Kategorie der übersetzten Texte. Aber es ist eine entzückende Variante für ganz Kleine, genau hinzusehen: Ein Mädchen und ein Junge schauen aus dem Fenster und beobachten ein Vögelchen im Schnee, drei rosane Häschen, eine Katze und einen Bären. Die Action draußen ist cool, bis … ja, bis … der Bär Hunger bekommt. Als die Kinder nach draußen rennen, verändert sich die Lage. Und die Erwachsenen, die diese Geschichte vortragen, habe jede Menge Freiraum, die Bilder in eigene Worte zu fassen.

Tausendsassa Pierdomenico Baccalario hat in Zusammenarbeit mit Alessandro Gatti und den Bildern von Simona Mulazzani das Wendebuche Die Geschichte von Tropfen und Flocke herausgebracht (Ü: Elisa Collini). Jeweils aus der Sicht einer Schneeflocke und eine Tintentropfens wird die Sehnsucht geschildert, irgendwo anders zu sein. Der Wind spielt dann Schicksal und bringt die beiden schließlich zusammen. Mit zarten Cut-outs werden die Illus zunächst teilweise verdeckt, so dass nur die Farben durchschimmern und gerätselt werden kann, was sich hinter den durchbrochenen Seiten wohl befindet. Die Reisen, die Tropfen und Flocke machen, schüren die Neugierde und die Lust auf eigene Lebensreisen.

Wenn es um Italien in Bilderbüchern gibt, so findet sich das Land und seine Atmosphäre in den Alben Ein Strandtag und Ein Markttag von Susanna Mattiangeli und Vessela Nikolova, übersetzt von Lucia Zamolo, ganz besonders wider. Hier sind es namenlose Kinder, die alltägliche Situationen erleben und beobachten, sei es auf dem städtischen Wochenmarkt oder im Sommer am Meer. Da gibt es jede Menge Popos zu betrachten, Bäuche und Gesichter. Boote natürlich auch. Zwischen all den Füßen verliert man dann leicht den eigenen Sonnenschirm aus dem Blick. Auf dem Markt hingegen sind es die verschiedenen Stände mit den unzähligen Dingen, die sich dort erstehen lassen. In Italien sind das auf den Märkten aber eben nicht nur Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch, sondern auch Kleidungsstücke, Handschuhe, Stoffe, Schuhe, Haushaltswaren, Gürtel, Taschen, Strümpfe und Unterwäsche. Und in diesen fast etwas rotzig gemalten Quasi-Wimmelbildern steckt für mich die größte Nähe zu Italien, die meine Sehnsucht nach dem Land auf jeder Seite weckt. Eine Wonne, bei der ich schon das Stimmengewirr höre und die unterschiedlichen Düfte verspüre.

Italien

Ganz ohne Italien kommt die Mischung aus Kinder- und Bilderbuch Sie nannten uns die Müll-Kids von Davide Calì und Maurizio A. C. Quarello aus. In einem dystopischen Wüstenland leben Lizzy und ihre Freunde vom Müllsuchen und -verkaufen. Als sie eines Tages auf dem Müllberg Ararat ein ihnen unbekanntes Objekt finden, durchlaufen sie die ganze Kette von Käufern, bis sie zu einem Mann gelangen, der ihnen sagen kann, um was es sich dabei handelt …
Bei dem italienischen Autor Calì liegt die Besonderheit, dass er die Originalausgabe dieses Buches auf Französisch erschienen ist. Die Übersetzung hat Verleger Edmund Jacoby selbst besorgt. Dieses Buch besticht neben der Geschichte, vor allem durch die Bilder einer postapokalyptischen Wüstenwelt. Die Menschen tragen fast zeitlose Wüstenkleidung, sie reiten auf seltsamen Tieren, die aus Star Wars entsprungen zu sein scheinen. Man erfährt nicht, was genau geschehen ist, nur von einem Blauen Blitz erzählt Lizzy, nachdem nichts mehr so war wie früher. Wer sich auf diese Geschichte einlässt, wird danach jedes Buch mit anderen Augen sehen.

Auch bei den Bilderbüchern gibt es natürlich solche, die sich mit fantastischen Inhalten auseinandersetzen. Besonders aufgefallen ist mir dabei das Kompendium von Frederica Magrin über Die schrecklichsten Monster & Geister der Welt (Ü: Britta Köhler). Wenn man bei diesem Titel an Vampire, Drakula, Frankenstein oder Trolle denkt, ist man richtig. Doch Magrin geht weit über europäische Sagenfiguren hinaus, indem sie eine monstermäßige Weltreise unternimmt und Schreckgestalten von allen Kontinenten präsentiert, deren Namen hier zumeist unbekannt sind, wie die Schlange Ogopogo aus British Columbia in Kanada, der japanische Karura, ein Mensch mit Vogelkopf oder der Bulle Kujata von der arabischen Halbinsel. Das ist beste Kulturkunde für junge Leser:innen.

Italien

Für Drachenfans hat Federica Magrin zudem ein Kompendium über diese fantastischen Wesen verfasst, übersetzt von Birgit Franz. Diese stammen beispielsweise aus Vietnam, so wie Con-Rong, aus Kambodscha wie Neak oder aus Frankreich wie Tarasque. Kulturkunde vermischt sich hier mit Geschichte, wenn sie von heldenhaften Drachentötern wie Herakles oder dem Gott Susanoo berichtet. Am Ende möchte man an die Existenz dieser wundersamen Kreaturen wirklich glauben …

Biografien

Ein Phänomen, das seit ein paar Jahren den Buchmarkt überrollt, sind die die Biografie-Sammlungen. Darin finden sich die unterschiedlichsten Kurzbiografien zu mal mehr, mal weniger berühmten Persönlichkeiten in mal mehr, mal weniger sinnvoller Fokussierung und Zusammenstellung.

Ausgangspunkt war das Buch Good Night Stories for Rebel Girls von Elena Favilli und Francesca Cavallo – ja, die Autorin vom Das Wunder von R. –, das die beiden jedoch auf Englisch verfasst haben. 2017 erschien es in der Übersetzung von Birgit Kollmann und bedarf eigentlich keiner weiteren Worte. Der Erfolg dieser Compilation von rebellischen Frauen löste jedoch eine wahre Welle von Nachahmer-Sammlungen. So beispielsweise der großformatige Heldenatlas von Miralda Colombo, in der Übersetzung von Eva Baumgart-Catania und mir, in dem dann nicht nur Frauen versammelt sind, sondern in kurzen Textschnipseln auch bedeutende Männer.
Renzo Barsotti lädt dann in seinem Kompendium die Leser:innnen dazu ein: Entdecke über 200 starke Frauen und wie sie die Welt verändert haben. Auch hier sind es nur kurze Texte, die jedoch mit zahlreichen Fakten gespickt sind. Meine Kolleginnen Katharina Schmidt, Barbara Neeb und ich haben beim Übersetzen gefühlt eigentlich mehr recherchiert als übersetzt.

Verschiedene Geschlechter sind auch in den Storys für Kinder, die die Welt retten wollen von Carola Benedetto und Luciana Ciliento vertreten (meine Ü). Hier jedoch liegt der Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz, den sechzehn Prominente sich auf ihre Fahnen geschrieben haben. Die beiden Autorinnen stellen in relativ langen Kapiteln das Engagement von Menschen wie Leonardo Di Caprio, Emma Watson, Rigoberta Menchù, Greta Thunberg oder Sebastiaõ Salgado vor. Die Bandbreite der vorgestellten Persönlichkeiten und ihrer Schwerpunkte ist beeindruckend, denn es geht nicht nur um Gretas Klima-Anliegen, sondern auch um Wiederaufforstung, Menschenrechte, sauberes Wasser oder die Folgen der Fast-Fashion.

Italien

Überhaupt Greta: Die Klima-Aktivistin und Fridays-For-Future-Auslöserin hat selbst ein Reihe von Publikationen für junge Lesende inspiriert. Die Lebensgeschichte der jungen Frau wird darin in den bis dato bekannten Details erzählt, um Kinder und Jugendliche zum Nachahmen anzuregen. Warum dabei gerade italienische Autorinnen so zahlreich vertreten sind, wird wohl ein Rätsel bleiben.

Italien

Viviana Mazza hat dann auch gleich noch 13 weitere Jugendliche aus aller Welt recherchiert, die sich neben Greta fürs Klima einsetzen, und liefert deren Lebensläufe in kurzen Kapiteln in den Stories für Future, in der Übersetzung von Sophia Marzolff. Darin begehrt Emma Gonzalez gegen die US-amerikanische Waffenlobby auf, Nojoud Ali aus dem Jemen rebelliert gegen Zwangsverheiratungen oder Negin Khpalwak aus Afghanistan befasst sich mit Musik, was den Mädchen im Land eigentlich verwehrt ist. Hier zeigt sich, dass es viele Fronten gibt, an denen wir uns engagieren können, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Federica Magrin, Stammautorin im White Star Verlag (s. Bilderbücher), liefert in Helden der Zeitgeschichte 20 Biografien von Menschen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, deren Zusammenstellung keine eindeutige Linie erkennen lässt. Hier kommt es mir eher so vor, als wollte der Verlag bei einem Trend mitmachen, ohne ein klares Profil zu bieten. Zu White Star folgen unten noch ein paar Worte.

Biografien sind generell auch in der KJL ein dankbares Genre, so hat der Arena Verlag schon in den Nuller Jahren allein eine ganze Reihe dazu herausgebracht (Ü: Anne Braun). Der Autor Luca Novelli widmet sich in etwa einhundert Seiten langen Monografien herausragenden Persönlichkeiten – zumeist Männer – der Wissenschaft.

Italien

Die Reihe Lebendige Biographien zeichnen sich dadurch aus, dass Novelli die Protagonisten aus der Ich-Perspektive von ihren Entdeckungen und Theorien erzählen lässt. Angereichert sind die einfach formulierten Texte mit Comiczeichnungen der Figuren und Sprechblasen – à la Gregs Tagebuch. Schwarzweiß abgedruckte Gemälde und Fotos vermitteln einen Hauch der vergangenen Atmosphäre. So kommen die großen Denker und Entdecker den Kids sehr nahe und vermitteln ihr Wissen auf eine verständliche Art. Novelli bekam dafür bereits 2004 in Italien den Andersen-Preis als bester populärwissenschaftlicher Autor. Dass Marie Curie als einzige Frau unter lauter Männern dargestellt wird, ist jedoch ein Mangel. 2020 ist in der Reihe zwar eine Biografie über Sophie Scholl, deren 100. Geburtstag gerade gedacht wurde, erschienen, jedoch nicht von Luca Novelli, und fällt damit nicht unter italienische Literatur.

Natur/Klima/Umwelt/Wissenschaft/Tiere

In den Bereichen von Wissenschaft, Natur, Umwelt, Klima und Tiere bietet sich mittlerweile eine enorme Bandbreite von Publikationen, die aus Italien kommen – aber natürlich Italien nicht zum Thema haben, sondern global gedacht sind.

Italien

Sowohl für Kinder als auch Jugendliche finden sich hier Sachbücher, die in kurzen Kapiteln Vorschläge machen oder Anregungen liefern, wie wir unser Leben nachhaltiger, klimafreundlicher und (umwelt-)gerechter gestalten können. So in Green Nation Revolution von Valentina  Giannella und Lucia Esther Maruzzelli (meine Ü).
Das literarische Multitalent Pierdomenico Baccalario spielt da gleich mit zwei Büchern mit: 50 Abenteuer für unter 12-Jährige und 50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt ein bisschen schöner machst, beide übersetzt von Sophia Marzloff.

Neben Umweltrevolutionen wie den eigenen CO2-Abdruck zu verringern, die Stadt vom Müll zu befreien oder sich eine Woche vegetarisch zu ernähren, gibt es aber auch so kuriose Anregungen, wie etwas ohne Wikipedia zu recherchieren, zehn Kilometer zu wandern oder ein altes Buch zu lesen. Baccalario und Mit-Autor Federico Taddia geht es dabei um fünf revolutionäre Anliegen: Aufmüpfigkeit, Umweltschutz, gute Taten, Verzicht und Neuentdeckungen. Eine bessere Ermunterung an die jungen Generationen unserer westlich verwöhnten Gesellschaft gibt es eigentlich kaum.

Um sich für die Weltverbesserung noch einen Überblick über unsere Erde ganz im allgemeinen zu verschaffen, gibt es diverse Atlanten, in denen junge Lesende sich vertiefen können: Ganz im Sinne von Stadt, Land, Stern …

Italien

Für den Atlas der Städte, quasi ein Wimmelbuch für Städtereisende, von Miralda Colombo und Ilaria Faccioli kann ich aus Übersetzerin-Sicht schildern, dass hier die Städte mit dem Fokus auf die Kinder, und was diese dort interessieren und unternehmen könnten, dargestellt werden. Wieder war es eine Fülle von Fakten und Infos, die das Übersetzen zeitweise mühsam gestaltet hat, aber das Ergebnis ist entzückend geworden.

Beim Space Atlas, in der Übersetzung von Dania D’Eramo, geht es dann in die unendlichen Weiten des Weltraums, zu den Sternen, Planeten und Galaxien. Technik-Afficionados und Sternenkucker:innen finden hier Interessantes über Raketen, Mondfahrzeuge, Satelliten und Raumanzüge.
Im Herbst wird es dann bei Carlsen eine Übersetzung von mir zum Thema Weltall geben, mit einem ganz wunderbaren Fokus auf die Frauen in der Astrophysik. Mehr dazu dann beim Erscheinen …

Von Stadt und Land können wir dann den Blick auf unsere tierischen Mitbewohner auf der Erde richten. Auch in diesem Bereich haben italienische Autor:innen so einiges zu erzählen, was nicht nur für Italien interessant ist.

Italien

Absolut entzückend und entsprechend der aktuellen Mode, Hühner als Haustiere zu halten, haben Barbara Sandri, Francesco Giubbilini und Camilla Pintonato quasi ein Kompendium über unser liebstes Federvieh zusammengestellt: Ich wollt‘ ich wär‘ ein Huhn besticht durch mitreißende Illustrationen und kuriose Details. So beispielsweise die Doppelseite über die verschiedenen Kämme der Hähne und ihren Ursprung in bei den Dinosauriern. Eierkunde und Hühnerassen-Parade fehlen ebensowenig wie die Anatomie von Hühnern. Hühnerliebhaber:innen und -halter:innen kommen an diesem Sachbilderbuch also nicht vorbei.

In das Reich der Insekten und anderer Tiere können kleine Forscher:innen dann mit den Büchern 100 % Prozent Insekten in Lebensgröße – dort mag das mit der Lebensgröße noch hinkommen – und 100 % Tiere in Lebensgröße eintauchen. Bei der Ausgabe mit den Tieren wird es schon schwieriger, denn einen Tiger in Lebensgröße im Buch, nun ja … Hier werden jedoch verschiedene Körperteile wie Krallen oder Zungen in Lebensgröße gezeigt. Die filigranen Illustrationen von Isabella Grott sind hier das absolute Faszinosum.

Beide Bücher sind im White Star Verlag erschienen, der noch einen kurzen Exkurs wert ist. Dieser Verlag, der zu DeAgostini gehört und in Mailand und Novara sitzt, produziert eher für den Massenmarkt und zeichnet sich aber durch hochwertige Illustrationen und Fotografien aus. Die Übersetzungen werden, wenn ich recht informiert bin, über Agenturen vergeben und unterliegen dem italienischen Verlagsrecht, sind von den Konditionen her für hiesige Übersetzer:innen eher unattraktiv (verbessert mich, wenn es da neue Entwicklungen gibt). Die Bandbreite der Veröffentlichungen von White Star reicht von Feen- und Drachenbücher, über geschichtliche Themen wie Wikinger oder das alte Ägypten, die zum größten Teil von Autorin Federica Magrin stammen. Da ich nicht alle Publikationen aus diesem Verlag real lesen und begutachten konnte, ist es hier zum Teil schwierig, die Übesetzer:innen ausfindig zu machen, da diese zumeist nur im Impressum erwähnt werden und daher bei manchen Bibliografien in Online-Buchhandlungen oder Büchereien nicht aufgeführt sind. Das ist generell kein gutes Zeichen für Übersetzer:innen, weil es bedeutet, dass der Verlag die Übersetzenden nicht angemessen nennt.

Psychologie

Ein Bereich, den ich bis jetzt tatsächlich noch nicht mit italienischen Kinderbüchern in Verbindung gebracht habe, sind psychologische Bücher, die für therapeutisch Zwecke eingesetzt werden können. So thematisiert Davide Calì, der Autor der Müll-Kids, beispielsweise im Buch Boris und der Ruf des Wasser, in der Übersetzung von Christel Rech-Simon, Andersartigkeit, Herkunft und eigene Wurzeln. Adoptivkinder, die auf der Suche mit ihrer Herkunft hadern, finden hier Trost und erhellende Gedanken.

Italien

Der Glücksverkäufer Herr Taube hingegen verkauft das Glück in großen oder kleinen Dosen an seinen gefiederten Mitbewohner im Wald, an Frau Wachtel, Frau Zaunkönig oder Frau Kohlmeise. Doch erst Herr Maus findet schließlich heraus, was in den Glücksdosen eigentlich steckt…
Von Davide Calì gibt es noch weitere Bilderbücher, die jedoch aus dem Französischen und Englischen übersetzt wurden, so Walfisch Wanda und So etwas tun Erwachsene nie.

In den Bereich der Psycho-Büchern gehört auch Wolkentage von Alice Brière-Haquet, das im Original auf Italienisch erschienen ist, obwohl die Autorin aus Frankreich stammt. Die kurzen Texte, in der Übersetzung von Christel Rech-Simon, drehen sich um Depression und werden von poetischen Illustrationen von Monica Barengo begleitet, die eine traurige Geigerin durch einen Tag begleiten. In der Reihe Carl-Auer Kids liefert die Herausgeberin und Übersetzerin Rech-Simon am Ende immer auch Hinweise für Eltern, Erziehende und Vorlesende, damit diese wichtigen Bücher auch ihre richtige Wirkung erzielen können.

Katholische Publikationen

Eine Kategorie von Büchern, die ich in meinem ersten Post über italienische KJL nicht berücksichtigt hatte, sind katholische Publikationen. Aktuell sind mir zwei passende Bücher untergekommen, die ich jedoch nur im Netz über Leseproben sichten konnte. In den Hamburger Bücherhallen sind sie nicht vorhanden – kein Wunder wohne ich doch im protestantisch geprägten Norden.

Bei Heilige Ritter, in der Übersetzung von Gabriele Stein, handelt es sich um eine Sammlung von kurz erzählten Legenden, um katholische Ritter wie der Hl. Georg oder der Hl. Martin. Clou ist im konfessionellen Kontext natürlich immer die Treue der Figuren zu Jesus und dem christlichen Glauben. Erstaunlich hier, dass der Verlag ausdrücklich »Für Jungen« in die Bibliografie schreibt. Ich erspare mir weitere Worte.

Italien

Für Kinder ab acht Jahren erzählt Theaterautor Marco Baliani, in der Übersetzung von Brigitte Korn-Wimmer, die Geschichte des Hl. Franziskus, der sich vom Sohn eines reichen Tuchhändlers zum Bettelmönch wandelte, die Nähe zur Natur suchte und den Franziskaner-Orden gründete. Zarte schwarzweiß Illustrationen von Brigitte Püls lockern die Lektüre auf.
Beide Bücher könnten auch gut unter dem Abschnitt Biografien laufen, doch der katholische Fokus erscheint mir schon wichtig, da hier mehr dahintersteckt als reine Information über legendäre oder historische Persönlichkeiten, sondern wie Tyrolia schreibt die »Hervorhebung religiöser Motivation«.

Graphic Novels

Bei den Graphic Novels gibt es mindestens drei Neuentdeckungen…

Ins Italien der 1960er Jahre führt Davide Reviati die Leserschaft mit seiner brikettgroßen Graphic Novel Dreimal Spucken, übersetzt von Myriam Alfano. In ausdrucksstarken schwarz-weißen Zeichnungen erzählt Reviati von einer Jugendclique in der Gegend von Rimini. Guido, Grisù und ihre Freunde hängen ab, kiffen, fallen durch Prüfungen an der Berufsschule, suchen Zeitvertreib in den Clubs der Küste. Und sie treffen immer wieder auf das Roma-Mädchen Loretta, das sie fasziniert, aber auch abstößt. Es vermischen sich die verschiedenen Welten der Jugendlichen und nach und nach dringt der Horror des Holocaust in die Seiten ein, den die Roma-Familie nur wenige Jahre zuvor erleben musste. Ein dichtes und kompliziertes Werk, das Aufmerksamkeit und mehrmalige Lektüre verlangt, um es vollständig zu begreifen.

Mit Andrea Serios Rhapsodie in Blau, übersetzt von Resel Rebiersch, tauchen wir ins faschistische Italien von 1938 ein. Nach einem unbeschwerten Sommer erlässt Mussolini die Rassengesetze und für den jungen Juden Andrea und seine Freunde ändert sich alle. Andrea wandert in die USA aus, kehrt aber während des 2. Weltkriegs nach Italien zurück. Serio erzählt eine wahre Geschichte in hauptsächlich blau gestalteten Buntstiftbildern nach, die die Absurdität von Faschismus und Krieg deutlich macht.

Matteo Mastragostino und Alessandro Ranghiasci liefern mit Primo Levi, in der Übersetzung von Georg Fingerlos, ein besonderes Stück Italien. Sie würdigen den Autor und Auschwitz-Überlebenden Primo Levi, indem sie seine Geschichte während des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust nachzeichnen. Levi besucht hier als alter Herr eine Schulklasse und erzählt einer zum Teil aufmüpfigen Klasse von 12-Jährigen sein Schicksal. Die Erinnerung an das das Vernichtungslager Auschwitz und der große Zufall, dass Levi den Horror überlebt hat, werden in eindrucksvollen Bildern lebendig. Die Tragik ist dem gezeichneten Levi ins Gesicht gezeichnet, die Wirkung, die sein Bericht auf die Kinder hat, ist in einem rührenden Wandel der Kinder beschrieben. Mastragostino und Ranghiasci ist eine wichtiges Stück Erinnerungsliteratur gelungen, die zeigt, wie sehr auch italienische Juden Opfer der Nazis geworden sind.

Gipi, vermutlich DER Graphic Novel-Künstler der Gegenwart, liefert aktuell mit Aldobrando, in der souveränen Übersetzung von Ulrich Pröfrock, eine Mittelaltergeschichte um den einfältigen Titelhelden, der von seinem Meister in die Welt hinausgeschickt wird. Mit seiner unbedarften, offenen Art gelingt es Aldobrando, einen tyrannischen König zu stürzen, ungerecht Verurteilte zu befreien und die Liebe zu finden. Die zumeist sepiagefärbten Tuschepanels von Luigi Critone entwickeln einen filmischen Sog in eine klassische Abenteuer- und Entwicklungsgeschichte mit zeitloser Message.

Bereits 2018 hat Gipi mit der Dystopie Die Welt der Söhne einen Mega-Erfolg in Italien abgeliefert. Die deutsche Übersetzung hat auch wieder Myriam Alfano geliefert, die die gebrochene und verlorene Sprache der Brüder gekonnt umsetzt. Die Brüder leben mit ihrem Vater in einem Holzhaus auf Stelen mitten in einer Lagune – man könnte an das Valle di Comacchio denken. Die Welt, wie wir sie kennen ist zerstört, nur wenige Menschen haben eine Katastrophe überlebt und zerfleischen sich jetzt bei Gelegenheit gegenseitig. Die Jungs können weder richtig reden, noch lesen und wundern sich daher immer, was der Vater in ein seltsames Heft kritzelt. Als dieser eines Tages an einem Herzinfarkt stirbt, machen sich die Brüder zu anderen Menschen auf, die ihnen sagen sollen, was es mit dem Gekritzel auf sich hat. Die Rohheit und die fehlende Menschlichkeit der »Überlebenden« sind teilweise nur schwer zu ertragen.

2015 erschien auf Deutsch, in der Übersetzung von Giovanni Peduto, MSGL – mein schlecht gezeichnete Leben, die Geschichte seiner Jugend zwischen Drogenkonsum, Gefängnis, Liebesexzessen und eine mysteriösen „Pimmelkrankheit“. Entgegen des Titels ist hier natürlich nichts schlecht gezeichnet, ganz im Gegenteil. Hier muss man einfach einen Faible für etwas durchgeknallte Jungsgeschichten haben und darf nicht zimperlich sein.

Die Bände von Manuel Fior, die ich bis jetzt noch nicht gelesen habe, sind Die Übertragung und Die Tage der Amsel. Beide sind schon etwas länger auf dem Markt, was aber den Geschichten natürlich nichts anhat. Faszinierend fand ich Die Übertragung, übersetzt von Claudia Sandberg, komplett in schwarzweiß gehalten, mit „Spezialeffekten“ von Anne-Lie Vernejoul, wie der Autor selbst erzählt. Diese Effekte lassen manche Zeichnungen wie fotografische Solarisationen wirken, die an die Werke von Man Ray erinnern.
Der irren Geschichte von um Telepathie und außerirdische Phänomene kommt man tatsächlich erst nach und nach auf die Spur. Es gibt immer wieder leichte Irritationen, wenn es beispielsweise für normale Autos keine Ersatzteile mehr gibt oder von Unruhen die Rede ist. Wer die Hauptfiguren Dora und Rainiero verfolgt, wird sich in einem seltsam vertrauten Italien wiederfinden – die unübersetzten Schriftzüge im Stadt- und Straßenbild lassen keinen Zweifel an dem Land aufkommen.

In dem Erzählband Die Tage der Amsel, Übersetzung von Carola Köhler, hingegen finden wir uns in Berlin, Paris oder auch in Norwegen wieder. Hier zeigt sich die gesamt Bandbreite von Fior grafischem und zeichnerischem Können, denn jede Geschichte, manche sind nur zwei Seiten lang, sind unterschiedlich gestaltet – mit Ligne clair, aquarelliert oder mit Kohle gestaltet, Panels mit Rahmen oder ohne, dick oder dünn umrandet. Manuel Fior kann alles.
Und wir begegnen in einer Geschichte Dora wieder und erleben auch dort bereits seltsame Phänomene in einem Marmorsteinbruch. Für Fans von Fior ist dieser Band natürlich ein Muss.

Damit endet – für den Moment – der Blick auf die übersetzten italienischen Kinder- und Jugendbücher. Italien ist, wie gesehen, eher selten zu finden, sieht man von den Graphic Novels mal ab. Das liegt natürlich auch daran, dass hauptsächlich die KJL-Autor:innen ins Deutsche übersetzt werden, die eben nicht so italienisch schreiben, nicht nur Italien und seine Charakteristika in den Mittelpunkt stellen, die bei hiesigen jungen Leser:innen eher Verwirrung als Unterhaltung stiften würden. Universelle Geschichten verkaufen sich eben besser.
Wenn Italien 2024 Gastland der Frankfurter Buchmesse sein wird, werden wir bis dahin sicher noch viele weitere italienische KJB auf Deutsch lesen können. Ich werde die Szene bis dahin weiter beobachten und wieder berichten …

Bibliografie

Klassiker

Carlo Collodi: Die Abenteuer des Pinocchio, Ü: Paula Goldschmidt, Illustration: MinaLima, Coppenrath, 2020, ab 10
Carlo Collodi: Pipì, der kleine rosarote Affe, Ü aus dem Englischen: Nicola T. Stuart, Illustration: Axel Scheffler, Jacoby & Stuart, 2018, ab 6
Gianni Rodari: Die Geschäfte des Mister Cat, Ü: Giulia Engler, Illustration: Karoline Grunske, Eulenspiegel, 2019, ab 8  

erzählende Jugendbücher

Roberta Marasco: Alles ganz normal, Ü: Ulrike Schimming, Carlsen, 2021, ab 12
Gabriele Clima: Der Sonne nach, Ü: Barbara Neeb/Katharina Schmidt, dtv, 2020, ab 12
Francesco Gungui: Ich mag dich wie du bist. Es passt … oder eben nicht und: Ich mag dich immer noch, wie du bist. Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage, beide Ü: Barbara Neeb/Katharina Schmidt, Baumhaus Medien, 2012 , ab 14
Morosinotto, Davide: Die Mississippi-Bande. Wie wir mit drei Dollar reich wurden Ü: Cornelia Panzacchi, Thienemann, 10. Aufl. 2017, ab 10
Morosinotto, Davide: Der Ruf des Schamanen. Unsere abenteuerliche Reise in das Herz der Dunkelheit, Ü: Cornelia Panzacchi, Illus: Paolo Domeniconi, Thienemann, 2021, ab 12
Morosinotto, Davide: Verloren in Eis und Schnee Die unglaubliche Geschichte der Geschwister Danilow, Ü: Cornelia Panzacchi, Carlsen, 2020, ab 12
Pierdomenico Baccalario: Dem Leben entgegen. Eine wahre Geschichte, Ü: Barbara Neeb, Katharina Schmidt, cbt 2015, ab 12

Kinderbücher

Lucia Vaccarino: Ein Fall für Me, Mum & Mystery – Können Elefanten schwindeln?, Mitarbeit: Carolin Liepins, Ü: Birgit Ulmer
Ein Fall für Me, Mum & Mystery – Können Geister Fahrrad fahren?, Mitarbeit: Carolin Liepins, Ü: Bettina Dürr
Ein Fall für Me, Mum & Mystery – Können Gänseblümchen sprechen?, Mitarbeit: Liepins, Carolin, Ü: Bettina Dürr, Schneiderbuch, 2016, ab 9
Luca Di Fulvio: Die Kinder der Verlorenen Bucht, Ü: Katharina Schmidt, Barbara Neeb, Boje, 2016, ab 9
Fulvio Tomizza: Die Flöhe in der Oper, Ü: Edmund Jacoby, Illustration: Axel Scheffler, Jacoby & Stuart, 2018, ab 8
Francesca Cavallo: Das Wunder von R. Ü: Papenberg, Daniela, Mentor Berlin, 2020 ab 8
Susanna Tamaro: Bart, das sprechende Huhn und der Hüter der Weisheit, Ü: Ingrid Ickler, lllus: Thomas M. Müller, Hanser, 2017, ab 10
Elena Ferrante: Der Strand bei Nacht, Ü: Karin Krieger, Illus: Mara Cerri, Insel Verlag, 2018 

Fantasy

Barbara Cantini (Texte und Illus):
Mortina – Wer klopft da an die Tür? Ü: Knut Krüger, dtv, 2020, ab 5
Mortina – Das große Verschwinden, Ü: Knut Krüger, dtv, 2020, ab 6
Mortina – Ein Mädchen voller Überraschungen, Ü: Knut Krüger, dtv, 2019, ab 5
Mortina – Schwindelei zur Ferienzeit, Ü: Knut Krüger, dtv, 2021, ab 5 
Silvana De Mari:
Das Erbe des Magierkönigs – Tochter des Lichts, Ü: Barbara Kleiner, cbt, 2018, ab 11
Das Erbe des Magierkönigs – Der Aufbruch, Ü: Barbara Kleiner, cbj, 2017, ab 11
Fabrizio Silei: Orkobello, Ü: Ingrid Ickler, Illustration: Fabrizio di Baldo, Knesebeck, 2020, ab 8
Federica Magrin: Die schrecklichsten Monster & Geister der Welt, Ü: Britta Köhler,Illus: Laura Brenlla, White Star, 2019, ab 8
Federica Magrin: Drachen. Eine faszinierende Reise durch die Welt der fantastischen Wesen, Ü: Birgit Franz, Illus: Anna Láng, ars edition, 2019, ab 8

Bilderbücher

Viale, Marco: Ich bin der König!, Ü: Sebastian Hoch, Illus: Marco Viale, Freies Geistesleben, 2020, ab 3
Pierdomenico Baccalario/Alessandro Gatti: Die Geschichte von Flocke und Tropfen, Ü: Elisa Collini, Illus: Simona Mulazzani, Bohem Press, 2014, ab 3
Silvia Borando: Schwarzer Kater, Weiße Katze, Ü: Sebastian Hoch, Freies Geistesleben, 2020, ab 2
Silvia Borando: Pass auf!, Freies Geistesleben, 2019, ab 3
Susanna Mattiangli: Ein Strandtag und Ein Markttag, Ü: Lucia Zamolo, Illustration: Vessela Nikolova, Bohem Press, 2020, ab 3
David Cali/Maurizio A. C. Quarello: Sie nannten uns die Müll-Kids, Ü: Eduard Jacoby, Jacoby & Stuart, 2020, ab 8

Biografien

Elena Favilli/ Francesca Cavallo: Good Night Stories for Rebel Girls. 100 außergewöhnliche Frauen, Ü: Birgitt Kollmann, Hanser 2017, ab 10 
Miralda Colombo: Helden-Atlas. 101 Frauen und Männer, die die Welt verändert haben, Ü: Eva-Baumgart-Catania, Ulrike Schimming, Illus: Ilaria Faccioli, Midas, 2019 , ab 6
Carola Benedetto/Luciana Ciliento: Storys für Kinder, die die Welt retten wollen, Ü: Ulrike Schimming, Illus: Roberta Maddalena Bireau, Rowohlt, 2020, ab 9
Renzo Barsotti: Entdecke über 200 starke Frauen und wie sie die Welt verändert haben, Ü: Barbara Neeb, Ulrike Schimming, Katharina Schmidt, Ullmann Medien, 2020, ab 9
Viviana Mazza: Jeden Freitag die Welt bewegen – Gretas Geschichte, Ü: Christina Neiske, Illus: Elisa Macellari, DTV, 2019, ab 9
Valentina Camerini: Gretas Geschichte. Du bist nie zu klein, um etwas zu bewirken (Greta Thunberg), Ü: Thomas Albrecht, Heel Verlag, 2019, ab 6
Viviana Mazza: Stories for Future – 13 Jugendliche, die etwas bewegen, Ü: Sophia Marzolff, Illus: Paolo d’Altan, dtv, 2020, ab 12
Federica Magrin: Helden der Zeitgeschichte. Persönlichkeiten, die die Welt veränderten, Ü: Langue & Parole, Illus: Isabella Grott, White Star, 2019 ab 8
Arena Bibliothek des Wissens. Lebendige Biografien
Luca Novelli (Text eund Illustrationen):
Stephen Hawking und das Geheimnis der Schwarzen Löcher, Ü: Anne Braun, 2020, ab 11
Edison und die Erfindung des Lichts, Ü: Anne Braun 2006, ab 9
Leonardo da Vinci, der Zeichner der Zukunft, Ü: Anne Braun, ab 10
Galilei und der erste Krieg der Sterne, Ü: Anne Braun, 2005, ab 9
Archimedes und der Hebel der Welt, Ü: Anne Braun, 2006, ab 11
Newton und der Apfel der Erkenntnis, Ü: Anne Braun, 2009, ab 11
Einstein und die Zeitmaschinen, Übersetzung: Anne Braun, ab 9
Marie Curie und das Rätsel der Atome, Ü: Anne Braun, 2017, ab 11
Volta und die Seele der Roboter, Ü: Petra Kaiser, 2017, ab 9
Darwin und die wahre Geschichte der Dinosaurier, Ü: Anne Braun 2015, ab 11
Magellan und die Welt ohne Anfang und Ende, Ü: Anne Braun, 2015, ab 11
Mendel und die Antwort der Erbsen, Ü: Braun, Anne, 2. Aufl., ab 10

Natur/Klima/Umwelt/Wissenschaft/Tiere

Pierdomenico Baccalario/Federico Taddia: 50 kleine Revolutionen, mit denen du die Welt (ein bisschen) schöner machst, Ü: Sophia Marzolff, Illus: Anton Gionata Ferrari, DTV, 2019, ab 9
Pierdomenico  Baccalario/Tommaso Percivale: 50 Abenteuer, die du erleben solltest, bis du 12 bist, Ü: Sophia Marzolff, dtv, 2017, ab 9
Valentina  Giannella/Lucia Esther Maruzzelli: Green Nation Revolution. Klimajugend, grüne Ideen, New Economy, Ü: Ulrike Schimming, Illus: Manuela Marazzi, Midas, 2020, ab 12
Mein großer Weltatlas. Die Vielfalt der Welt entdecken, Ü: Dania D’Eramo, Ullmann Medien, 2019, ab 7
Miralda Colombo: Atlas der Städte. Eine Reise um die Welt, Ü: Ulrike Schimming, Illustration: Ilaria Faccioli, Midas, 2020, ab 6
Mein großer Space Atlas. Sterne, Planeten, Galaxien, Ü: Dania D´Eramo, Ullmann Medien, 2020, ab 8
Fogato, Valter 100% Insekten in Lebensgröße, Ü: Annette Ostlaender, Illust: Isabella Grott, White Star, 2020, ab 7
Rita Mabel Schiavo: 100% Tiere in Lebensgröße, Ü: Annette Ostlaender, Illus: Isabella Grott, White Star, 2020, ab 7
Barbara  Sandri/ Francesco Giubbilini: Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn Wissenswertes über unser liebstes Federvieh, Ü: Christina Gauglitz, Illus: Camilla Pintonato, Die Gestalten Verlag, 2020, ab 7

Whitestar Verlag

Federica Magrin: Die Wikinger Spiel- und Entdeckerspaß, Ü: ?, Illus: Laura Brenlla, White Star, 2020, ab 5
Federica Magrin: Survival-Guide für Prinzessinnen, Ü: Annette Osterlaender, Illus: Laura Brenlla, White Star, 2020, ab 7
Federica Magrin: Das Alte Ägypten. Spiel- und Entdeckerspaß, Ü: Syliva Winnewieser, Illus: Laura Brenlla, White Star, 2020, ab 5
Federica Magrin: Die zauberhafte Welt der Feen, Ü: Annette Ostlaender, llus: Claudia Bordin, White Star, 2020, ab 6

Psychologie

Davide Calì: Boris und der Ruf des Wassers, Ü: Christel Rech-Simon, Illustration: Marco Soma, Carl-Auer 2018, ab 6
Davide Calì: Der Glücksverkäufer, Ü: Christel Rech-Simon, Illustration: Marco Somà, Carl-Auer, 2020, ab 4
Alice Brière-Haquet: Wolkentage, Ü: Christel Rech-Simon Illustration: Monica Barengo, Carl-Auer, 2016, ab 4
Sandro Natalini: Familie. Das alles sind wir – Bilderbuch über Zusammenhalt, Toleranz und Liebe Illustration: Sandro Natalini, Ü: Joshua Schulz, Loewe Verlag, 2020, ab 3

Katholische Publikationen

Alberto Benevelli: Heilige Ritter. Große Heilige und ihre Geschichten, für Jungen, Ü: Gabriele Stein, Illus: Loretto Serofilli, Tyrolia, 2017, ab 8
Marco Baliani/Felice Cappa: Franziskus steht Kopf. Das Leben des Franz von Assisi, Ü: Brigitte Korn-Wimmer, Illus: Brigitte Püls, Verlag Sankt Michaelsbund, 2016, ab 6

Graphic Novel

Davide Reviati: Dreimal spucken, Ü: Myriam Alfano, avant-verlag, 2020
Serio, Andrea: Rhapsodie in Blau, Zeichnungen: Andrea Serio, Schreiber & Leser, 2020
Matteo Mastragostino/Alessandro Ranghiasci: Primo Levi, Ü: Georg Fingerlos, bahoe books, 2017
Gipi/Luigi Critone: Aldobrando, Ü: Ulrich Pröfrock, Carlsen, 2021, 28 Euro
Gipi: MSGL – Mein schlecht gezeichnetes Leben, Ü: Giovanni Peduto, Reprodukt, 2015
Gipi: Die Welt der Söhne, Übersetzung: Myriam Alfano, avant-verlag, 2018 
Manuele Fior: Die Tage der Amsel, Übersetzung: Carola Köhler, avant-verlag, 2018 
Manuele Fior: Die Übertragung, Ü: Carola Köhler, avant-verlag, 2013

Italienische Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland

Ein Überblick – ohne Anspruch auf Vollständigkeit

Im Frühjahr hatte Laura von Lütte Lotte mich gefragt, ob ich einen Gastbeitrag über italienische Kinder- und Jugendliteratur schreiben möchte, während sie mit ihrer Familie in Italien urlaubte. Da ich seit zwanzig Jahren vor allem KJB aus dem Italienischen übersetze, habe ich die Gelegenheit genutzt und mal ein wenig die Veröffentlichungen in Deutschland rekapituliert.
Da vielleicht nicht alle Leser_innen von LETTERATUREN die drei Teile, die bei Lütte Lotte erschienen sind, verfolgt haben, werde ich meine Zusammenstellung hier noch einmal komplett, dafür aber leicht überarbeitet und ergänzt posten.

Für einen detaillierten Überblick über die italienischen KJB, die es in Übersetzung nach Deutschland geschafft hat, reichen jedoch selbst zwanzig Jahre Übersetzungstätigkeit nicht aus (von dem Platz hier mal ganz abgesehen – Achtung! Dieser Post wird lang!). Aber ich werde versuchen, euch ein paar Klassiker, Highlights und italienische Besonderheiten näherzubringen. Von den hier aufgeführten Titel habe ich jedoch (noch) nicht alle gelesen, Tendenzen lassen sich dennoch erkennen.

 

Die Klassiker

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Der italienische Klassiker schlechthin, den hierzulande vermutlich viele mit italienischer Kinderliteratur verbinden, ist immer noch Carlo Collodis Pinocchio. Die Geschichte von dem hölzernen Knaben, die zwischen 1881 und 1882 entstand, taucht laut den Einträgen der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) 1905 zum ersten Mal in deutscher Übersetzung auf, unter dem Titel Hippeltitsch’s Abenteuer. Geschichte eines Holzbuben. Übersetzer war Paul Artur Eugen Andrae, ein Name, der mir zwar nichts sagt, den ich aber trotzdem nenne.
Denn als Übersetzerin habe ich es mir angewöhnt, die anderen Übersetzer_innen immer zu nennen. Sie sind schließlich die Urheber der deutschen Texte (hier setze ich dann immer ein „Ü“ für „Übersetzer_in“; steht kein Ü hinter dem Titel, habe ich den Text übersetzt … 😉 ).
1913 folgte die erste „Neuübersetzung“ für Herder: Die Geschichte vom hölzernen Bengele lustig und lehrreich für kleine und große Kinder, deutsch bearbeitet von Anton Grumann.

Im selben Jahr wurde Pinocchio in Wien zu Hölzele, der Hampelmann, der schlimmer ist und nicht folgen kann. Eine viellehrreiche Böse-Buben-Geschichte, übertragen von Franz Latterer. Vermutlich 1929 spoilerte der Titel Kasperles Abenteuer: Die Geschichte eines Holzbuben, der schließlich ein wirklicher Knabe wird (Ü: Heinrich Siemer) bereits das Ende. 1938 heißt es dann nur noch Klötzlis lustige Abenteuer (Ü: Josef Kraft). Erst 1947 taucht der Name Pinocchio zum ersten Mal im deutschen Titel auf: Pinocchio, das hölzerne Bengele, eine Neuauflage der Übersetzung von Anton Grumann. 1948 versucht Ueberreuter in Wien es noch einmal mit Purzel, der Hampelmann (Ü: Alois Pischinger), danach wechseln die Titel beständig zwischen „hölzernem Bengele“, „Kasperle“, „Hampelchen“, „Purzel“ und „Pinocchio“. Der „hölzerne Bengele“ hält sich noch bis in die 70er Jahre, dann taucht in einer freien Nacherzählung von Otto Julius Bierbaum auf einmal „Zäpfel Kern“ als Name auf. Doch der setzt sich nicht durch. Viel mehr scheint mir, dass die zweite Synchronisation des Disney Zeichentrickfilms Pinocchio, die 1973 in die Kinos kam (der Film stammt ursprünglich von 1940), maßgebend wurde. Nun endlich hieß der namenstechnisch gebeutelte Holzjunge auch in Deutschland nur noch Pinocchio.

Dieser lange Auftakt zu nur einem Buch zeigt, dass hier eine italienische Geschichte über annähernd 115 Jahre auch in den deutschen Kinderzimmern zu finden gewesen ist – und immer noch zu finden ist. Denn seit Ende des zweiten Weltkrieges ist jedes Jahr mindestens eine Neuauflage oder Neuübersetzung erschienen. NordSüd und Coppenrath bringen dieser Tage ihre Neuauflagen auf den Markt. Pinocchio ist also dauerpräsent.

Von deutschen Kinderbüchern sind es gerade einmal die Werke von Erich Kästner, die zwar noch keine 100 Jahre alt sind, aber aus den Kinderzimmern ebenfalls nicht mehr wegzudenken sind.

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Ein weiterer Klassiker, auch in Italien, ist der Roman Cuore („Herz“) von Edmondo de Amicis (1846-1908) aus dem Jahr 1886. Die DNB verzeichnet Herz. Ein Buch für die Jugend in der Übersetzung von Raimund Wülser 1918 bereits mit einer Auflage von 57-58 Tausend in der Basler Buch- und Antiquariatshandlung. Enorm für die damalige Zeit, wenn man bedenkt, dass heute Kinderbücher oftmals nur mit einer Auflage von 3000 Exemplaren erscheinen, die oftmals nicht verkauft werden. Wann Cuore genau zum ersten Mal ins Deutsche übertragen wurde, lässt sich in der DNB jedoch nicht nachvollziehen.

Aus dem Band ist vor allem die Geschichte Von den Apenninen zu den Anden bekannt, auch unter dem Titel Marco sucht seine Mutter (1936). Aus diesem Auszug wurde in den 70er Jahren eine 52-teilige japanische Anime-Serie gemacht, die in Deutschland unter dem Namen Marco lief. 1981 wurde sogar der vollständige Roman als 26-teiliger Anime Ai no Gakkō: Cuore Monogatari umgesetzt. Zudem diente das Buch als Vorlage der 1990 entstandenen Weihnachtsserie Marco – Über Meere und Berge. Zu diesen filmischen Umsetzungen kann ich leider nichts sagen – es wäre aber eine gute Gelegenheit, dem mal nachzugehen.

Der Roman ist als Tagebuch angelegt, in dem der Junge Enrico Bottini von Erlebnissen und Mitschülern seiner Klasse, einer dritten Grundschulklasse, erzählt. Die Episoden berichten von den verschiedenen Landesteilen Italiens, das erst wenige Jahre zuvor zu einem Staat vereint worden war, und haben einen patriotischen Anstrich.
1986 hat Hans-Ludwig Freese Cuore neu übersetzt von und als gekürzte Version neu aufgelegt. Die letzte Auflage dieser Übersetzung ist von 1996, der Illustrationen der italienischen Prachtausgabe von 1892 beigefügt sind.
Cuore hat noch zwei, drei weitere Übersetzung erlebt, was jedoch nicht mit der beständigen Überarbeitung von Pinocchio vergleichbar ist. Hier lässt sich eine erste Vermutung, warum relativ wenige italienische Kinder- und Jugendbücher in Deutschland veröffentlicht werden, anbringen: Die extrem auf Italien zugeschnittenen Geschichten, die italienische Lebenswelten und italienische Heimatliebe spiegeln, bieten deutschen Leser_innen oftmals viel zu wenig Identifikationspotential. Ihnen fehlt somit die Allgemeingültigkeit, die Pinocchio in seiner fantastischen Märchenhaftigkeit für sich verbuchen kann.

italienischeAbenteuer hingegen sind universell. So sind auch die Romane von Emilio Salgari (1862-1911) – Sandokan (1907), Pharaonentöchter (1906), Der algerische Panther (1903), Der schwarze Korsar (1898) (alle Ü: Martha von Siegroth, 1929), Die Tiger von Mompracem (1900, Ü: Karl-Heinz Hellwig, 1930) – heute immer mal wieder zu haben. Die ersten Übersetzungen von Salgaris Büchern lagen bereits 1913 vor: Die Robbenjäger der Baffin-Bai und Die Schiffbrüchigen von Spitzbergen (beide Ü: Arthur Wihlfahrt).
2009 hatte der Schweizer Unionsverlag einige Neuübersetzungen herausgebracht (Sandokan, Ü: Jutta Wurm). Aktuell hat der Selfpublishing-Dienstleister Tredition vier lieferbare Titel im Programm, jedoch sind es alte Übersetzungen. Vielleicht kennt die eine oder andere von euch die Geschichten noch als Hörspielkassetten oder –platten.
In Deutschland galt Salgari, der einige Jahre für verschiedene Jugendzeitschriften gearbeitet hat, als der italienische Karl May. Insgesamt 80 Romane hat er geschrieben, die an den exotischsten Orten der Welt spielen, nur nicht in Italien. Dazu kamen noch unzählig Erzählungen. In den 50er und 60er Jahren entstanden zahlreiche Verfilmungen seiner Geschichten. Salgaris Werk ist folglich ein Zwitter zwischen Jugendbuch und Erwachsenenlektüre, ähnlich wie die Werke von Mark Twain oder Jules Verne, die eigentlich von allen Altersstufen gelesen werden können.

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Der nächste Autor, der sowohl in Italien als auch in Deutschland zu den italienischen Klassikern gehört, ist Gianni Rodari (1920-1980), der 1970 mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis für Jugendliteratur ausgezeichnet wurde.
Vor allem sein Roman Zwiebelchen, der 1954 im ostdeutschen Kinderbuchverlag in der Übersetzung von Pan Rova herauskam, und die Gutenachtgeschichten am Telefon sind hier bekannt. Dazu ein paar von seinen Gedichten, die in den 70er Jahren von James Krüss ins Deutsche gebracht wurden: Kopfblumen. 7 x 7 Gedichte für Kinder  (Kinderbuchverlag Berlin 1972).

1964 wurden die Favole al telefono zum ersten Mal von Ruth Wright übersetzt. Doch die ursprünglich 70 Geschichten waren bis vor ein paar Jahren in Deutschland nie komplett zu haben. In den verschiedenen Ausgaben, darunter auch eine Wagenbach-Ausgabe für Erwachsene (Das fabelhafte Telefon, Ü: Marianne Schneider), fehlten immer einige Geschichten.
2012 durfte ich eine komplette Neuübersetzung anfertigen – und habe auch vermeintlich unübersetzbare Geschichten ins Deutsche gebracht. Die fantasievollen kurzen Geschichten mit ihrem kritischen Geist eignen sich gut zum Vorlesen. Leider geht auch so ein wunderbarer Klassiker wie dieser hierzulande den Weg aller Bücher, die nicht zu Longsellern werden: In diesem Sommer erreichte mich die Nachricht, dass das Buch vom Markt und aus der Backlist des Verlages genommen wird. Schon schade. Aber vielleicht findet ihr ja irgendwo noch ein Exemplar.

Zwiebelchen war wegen seiner sozialistischen Ideale in der DDR sehr beliebt. Und ist 2009 von Katharina Thalbach als Hörbuch eingelesen worden (die Übersetzernennung fehlt). Bei meinen Freunden aus dem Osten fangen meistens die Augen an zu leuchten, wenn wir auf Zwiebelchen zu sprechen kommen. Alle anderen kennen die Geschichte meist nicht.

 

Die Vergessenen

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Nun wird es mit den „großen“ Namen der italienischen KJB-Szene in Deutschland schon etwas dünner. Natürlich wurden immer mal wieder Bücher aus Italien übersetzt, doch sie haben sich nicht zu Longsellern entwickelt, sondern sind relativ schnell wieder in der Versenkung verschwunden.
Wer erinnert sich an Donatella Ziliotto (Mister Master, Ü: Marlis Ingenmey, 1972), Bianca Pitzorno (Polissena mit dem Schweinchen, Ü: Bettina Dürr, 1995), Teresa Buongiorno (366 Geschichten zur guten Nacht, Ü: Gabriele Fentzke/Marcus Würmli, 1991), Roberto Piumini (Matti und der Großvater, Ü: Maria Fehringer, 1994), Silvana Gandolfi (Der Katze auf der Spur, 1998) Angela Nanetti (Mein Großvater war ein Kirschbaum, Ü: Rosemarie Griebel-Kuip, 2001), Beatrice Masini (Ballerina in Spitzenschuhen, Ü: fehlt, 2004)? Vielleicht ein paar Eltern oder Großeltern, doch die Kinder sicherlich nicht. Im Handel sind sie allesamt vergriffen.
In Italien jedoch gehören diese Autorinnen zum Kanon der KJB-Literatur, schreiben immer noch, z.T. auch belletristisch für die Großen. So war Angela Nanetti für den Premio Strega 2018 nominiert (vergleichbar mit dem Deutschen Buchpreis).

2013 gab es dann kurz eine kleine Sachbuchreihe von Federico Taddia mit dem Obertitel Warum? Darum!. Vier Bücher habe ich zu Themen wie Evolution, Astrologie, Geographie und Mathematik übersetzt. Eigentlich sollte die Reihe noch weitere Bände umfassen, aber die hat man gestrichen. Und ich vermute, dass auch daher kaum jemand Warum? Darum! kennt. Zudem sie ist nicht mehr im Handel erhältlich.

italienischeUnd auch an die Fußball-Serie Tor! von Luigi Garlando (Ü: Boris Pfeiffer) erinnern sich vermutlich  nur noch wenige. Sie kam von 2009 bis 2012 im Kosmos-Verlag  heraus und umfasste immerhin zehn Bände.
Mir selbst ist die Reihe damals nicht aufgefallen – aber das liegt eher daran, dass Fußball nicht gerade zu meinem Lieblingsthemen gehört.

 

 

Die Aktuellen

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Die Kinder heute kennen vermutlich eher Gironimo Stilton – ohne diese bunten Mäuse-Geschichten um die Verleger-Maus als ursprünglich italienisch zu identifizieren (Ü: Gesine Rickers/Carsten Jung). Erfunden hat diese Figur die Autorin Elisabetta Maria Dami, entwickelt und geschrieben werden die vielen Geschichten und die Trickfilmserie von der Agentur Atlantyca in Mailand.

Bekannt dürfte deutschen Kindern und Jugendlichen auch die Reihen Ulysses Moore, Century oder Der Zauberladen von Applecross – auch hier ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen, dass dahinter der Autor Pierdomenico Baccalario steht (Ü: Cornelia Panzacchi, Barbara Neeb, Katharina Schmidt). Baccalario, der in London lebt, ist einer der umtriebigsten Autoren Italiens, hat unzählige Serien geschrieben (vermutlich mit Hilfe von unzähligen Ghostwritern) und ist in Deutschland bei verschiedenen Verlagen erschienen (Coppenrath, cbj, Fischer). Das war vielleicht nicht unbedingt hilfreich, denn so hat er hier verlagstechnisch kein wirkliches Zuhause gefunden.

Jugendliche haben jüngst möglicherweise auch Staubgeboren. Stadt der Vergänglichen (Ü: Christiane Burkhardt) von Fabio Geda und Marco Magnone gelesen. Dieser Auftakt einer dystopischen Reihe spielt jedoch in Berlin und verweist nicht auf Italien. Ob die Nachfolgebände auch übersetzt werden, ist mir momentan nicht bekannt. Es ist aber nicht ungewöhnlich, dass die Verlage Reihen eingehen lassen, wenn sich kein Erfolg einstellt (dazu später unten mehr). Von Fabio Geda mögen manche von euch vielleicht Im Meer schwimmen Krokodile (Ü: Christiane Burkhardt) kennen, in dem er die bewegende Fluchtgeschichte des afghanischen Jungen Enaiat erzählt. Geda gehört damit und seinen anderen Romanen auch zu den Belletristikautoren, die auch für ein junges Publikum schreiben.

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Wer von euch KJB-Begeisterten den Deutschen Jugendliteraturpreis verfolgt, dem dürfte momentan der Roman Die Mississippi-Bande von Davide Morosinotto (Ü: Cornelia Panzacchi) bekannt sein. Er spielt Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA und ist eine mitreißende Abenteuergeschichte um vier Kinder, die drei Dollar finden und sich davon etwas aus dem beliebten Versandhauskatalog von Walker & Dawn bestellen wollen – was sich dann zu einem Flussabenteuer entwickelt, das die Kinder bis nach Chicago führt.

Auf der Nominierungsliste steht in der Sparte Sachbuch dieses Jahr sogar noch ein zweites italienisches Buch: Der Dominoeffekt – oder die unsichtbaren Fäden der Natur. Darin erzählt der Insektenexperte Gianumberto Accinelli in 18 Geschichten, wie der Mensch die Natur tiefgreifend beeinflusst, wenn er sie bearbeitet, beackert, Tiere fängt, züchtet oder aussetzt. Und was für irreparable Folgen dieses Tun für die Natur hat. Folgen, mit denen wir heute immer noch leben müssen. Accinelli sensibilisiert damit für einen vorsichtigeren Umgang mit unserer Umwelt – ein Thema, das in Zeiten von Klimawandel und Umweltzerstörung wichtiger ist denn je. Illustriert hat dieses nachhaltige Buch Serena Viola.

All diese Titel haben neben den italienischen Urhebern gemein, dass sie nicht die italienische Realität spiegeln, sondern in Fantasywelten, historischen Zeiten oder dystopischen Szenarien spielen. Oder unsere tatsächliche Welt global betrachten. Damit werden sie für deutsche Leser_innen interessant, da hier die allgemeine Fantasie gefordert ist und keine Kenntnis italienischer Realien.

 

Die Bilderbücher

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In Sachen Bilderbüchern ist es für mich etwas schwieriger einen Rückblick zu liefern, denn von den unzähligen Bilderbüchern, die in Italien entstehen, werden die meisten nicht übersetzt. Und die, die übersetzt werden, halten sich meist nicht lange am Markt.
Ein Klassiker unter den Büchern für die kleinsten Italiener ist mit Sicherheit Pimpa von Comiczeichner Francesco Tullio Altan, der in den 80er Jahren den Kunden von Schreiber & Leser bekannt gewesen sein dürfte.
Pimpa ist eine rot gepunktete Hündin, die Altan ab 1974 für die Kinderbeilage der Tageszeitung Corriere della Sera zeichnete. Heute gibt es sie als Bücher, zum Teil sind es Comics, zum Teil Bildergeschichten. Übersetzt ist Pimpa nicht.

Einen Sonderfall „italienischer“ Bilderbücher stellen die Werke des Grafikers und Künstlers Leo Lionni dar. Denn wenn ich es recht verstanden habe, hat der in Amsterdam geborene Lionni seine Bilderbücher wie Frederick, Das kleine Blau und das kleine Gelb auf englisch herausgebracht, nicht auf italienische. Frederick beispielsweise hat sich seit 1967 zu einem Longseller entwickelt und ist mittlerweile in der 16. Auflage bei Beltz zu haben, nachdem er anfangs von Middelhauve herausgebracht worden war.

Einen gewissen Eindruck über die vielfältige Illustratoren-Szene Italiens habe ich im Laufe der vergangenen zwei Jahre gewonnen, seit ich die ersten Bilderbücher übersetzt habe.
Allerdings ist meine erste Bilderbuchübersetzung, Der goldene Käfig von Anna Castagnoli, vom Belgier Carll Cneut illustriert worden und daher mehr ein europäisches Buch. Cneuts opulente Vogel-Illustrationen haben dazu beigetragen, dass das Märchen 2016 für den Deutschen Jugendliteraturpreise in der Sparte Bilderbuch nominiert wurde.

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Als Folge der Nominierung habe ich dann die Bilderbücher Schlaft, Tierchen schlaft von Simona Mulazzani mit den Illus von Giovanna Zoboli – gereimte Gute-Nacht-Gedichte – für den Schaltzeit Verlag, Zusammen umarmen wir die ganze Welt von Manuela Monari mit den Illus von Evelyn Daviddi, für Coppenrath, und Vorsicht, roter Wolf! von Marco Viale, für Sauerländer, übersetzen dürfen.

italienischeSo unterschiedlich die Geschichten, so unterschiedlich sind auch die Illustrationsstile. Eine Bewertung dieser Bücher werde ich hier nicht abgeben, sondern kann nur sagen: Das Übersetzen von Bilderbüchern ist eine Gratwanderung zwischen Frust und Freude. Auf eingeschränktem Raum die wenigen richtigen Worte zu finden, die das Gefühl der Geschichte in kurzen Texten angemessen rüberbringen, ist trotz oder wegen der Kürze nicht mal eben getan. Bis die endgültige Fassung steht, ändere ich immer und immer wieder Worte und Satzstellung, streiche oder füge hinzu. Da können dann bis zu zehn Versionen entstehen. Manchmal hilft auch erst der distanzierte Blick der Lektorin zu einer endgültigen Lösung. Doch trotz der Arbeit ist es für mich auf jeden Fall immer ein Fest!

 

Die Buchcover

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Kurzer Exkurs zu den Buchcovern: Einer der momentan bekanntesten Illustratoren Italiens ist Iacopo Bruno, der in Deutschland momentan durch die neuen Harry-Potter-Cover noch präsenter sein wird. Zuvor hat er bereits Eoin Colfers Swarp, Soman Chainanis School of Good and Evil, Baccalarios Ulysses Moore, Das Volk von Tarkaan und Der Zauberladen von Applecross oder Alan Bradleys Flavia de Luce illustriert. Insgesamt hat er mehr als 300 internationale Buchcover gestaltet. Man könnte fast sagen, ohne dass es uns bewusst ist, hat ein Italiener unsere Sehgewohnheiten in Sachen Cover mitgeprägt. (Ich kenne mich ehrlich zu wenig mit Grafik und Cover-Tendenzen aus, finde die neue HP-Verpackung auch nicht besonders toll, aber es ist schon beeindruckend.)

 

Die ganz jungen Autorinnen

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Ein spezielles Phänomen, das mir beim Übersetzen begegnet ist, sind die ganz jungen Autorinnen Italiens, die schon als Teenager bei Publikumsverlagen Bücher veröffentlichen. Zumeist handelt es sich dabei um Teenie-Liebesgeschichten, die auch bei uns funktionieren. So ging es 2008 mit den Romanen von Valentina F. los. 15-jährig hat sie begonnen ihre vierbändige Liebesgeschichte um Vale und Marco niederzuschreiben, die auf Deutsch die Titel HDGDL (Ü: Katja Massury), ZDOZM – Zu dir oder zu mir (2009), SGUTS – Schlaf gut und träum süß (2010) tragen. Diese Mädchenträume wurden zu stillen Bestsellern, die mehrere Auflagen erlebt haben. Die Leserinnen waren so begeistert, dass sie über Jahre immer wieder nachgefragt haben (selbst bei mir), wann der vierte Teil der Reihe den käme. Schließlich hat Fischer 2015 auch 2L8 – Too late herausgebracht.

Dieses Vorbild hat den Verlag über die Jahre dann veranlasst nach anderen jungen Autorinnen Ausschau zu halten. Sie fanden Erica Bertelegni, die bereits mit 13 ihr Debüt vorlegte: 99 und (m)ein Wunsch. Darin hat die Schülerin Aurora 100 Wünsche frei, was zunächst zu Chaos, dann zu immer mehr Verantwortungsgefühl führt. 2017 hat Bertelegni ihr zweites Buch, La chiave dell’amicizia („Der Schlüssel der Freundschaft“) veröffentlicht, eine Fantasygeschichte, die noch nicht übersetzt ist.

Aktuell ist bei Fischer die Reihe Mein Dilemma bist du von Cristina Chiperi zu haben. Die ersten beiden Bänder der Trilogie sind bereits erschienen, Teil drei erscheint im Herbst. Chiperi hat, als sie 16 Jahre alt war, eine Fanfiktion zu der vor ein paar Jahren angesagten Influenzergruppe Magcon um den US-Amerikaner Cameron Dallas geschrieben. Kapitelweise hat sie das On-Off-Drama zwischen der Ich-Erzählerin Chris und Cameron auf Wattpad hochgeladen und jede Menge Klicks gesammelt. Angeblich haben sechs Millionen Italienerinnen ihre Geschichten gelesen – doch das scheint mir etwas übertrieben. Als ein italienischer Verlag dann Printbücher daraus gemacht hat, ist der Fischer Verlag aufgesprungen.
Dass das junge Alter von Autorinnen jedoch nicht immer zum Erfolg führt, merkt man momentan daran, dass die Dilemma-Reihe gerade komplett untergeht (was durchaus an der dünnen Geschichte liegt).

 

Die Belletristikautor_innen

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Eine Besonderheit in der italienischen Literaturlandschaft ist aber auch, dass Autoren, die normalerweise für ihre belletristischen Erwachsenentitel bekannt und hochgelobt sind, immer auch Bücher für Kinder und Jugendliche schreiben.

Das haben bereits Dino Buzzati (1906-1972) mit Wie die Bären einst Sizilien eroberten (Hanser, 2005, Ü: Heide Ringe) und Italo Calvino (1923-1985) getan, die zu den Klassikern der Weltliteratur gehören.
Momentan ist Calvinos Geschichte Das schwarze Schaf (Ü: Burkhart Kroeber) in einer eindrucksvollen Collage-Version von Lena Schall bei mixtvision zu haben.
Zu Calvino, einer der größten italienischen Nachkriegsautoren, und Buzzati, einem Vertreter des Surrealismus, kann ich hier nicht mehr sagen, einfach weil es den Rahmen sprengen und zu sehr von den KJB ablenken würde.

italienischeAber auch Krimi-Autoren wie Carlo Lucarelli haben Exkurse zu den KJB gemacht. So konnten Jugendliche im Jahr 2000 hier die Romane Das Mädchen Nikita und Schüsse aus dem Walkman (später noch mal aufgelegt als Mafia alla Chinese) lesen. Diese zwei Romane spielen nun allerdings sehr in der italienischen Gegenwart – sodass sie eigentlich meiner Vermutung von oben widersprechen. Doch in beiden Fällen handelt es sich um Krimis. Und Krimis wie Liebesgeschichten scheinen hin und wieder auch global zu funktionieren.

Auch Patrizia Rinaldi, eine in Italien sehr geschätzte und preisgekrönte Autorin aus Neapel, schreibt sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Von ihr ist bis jetzt nur ein Krimi in Deutsche übersetzt worden (Die blinde Kommissarin, Ullstein, 2013). Ihre Kinderbücher Mare Giallo (2012), Federico il pazzo (2014) oder ll giardino di Lontan Town (2015) fehlen hierzulande, obwohl sie 2016 den Premio Andersen als beste Schriftstellerin bekommen hat. Ich werde mich bei Gelegenheit mit ihren Romanen befassen, um herauszufinden, warum sie für Deutschland nicht infrage kamen.

 

Die Fantasy-Autorinnen

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Im Bereich Fantasy ragen für Italien vor allem zwei Autorinnen heraus: Silvana De Mari und Licia Troisi.

De Mari ist seit 2010 mit Der letzte Elf (Ü: Barbara Kleiner) bekannt, einer entzückenden Geschichte um einen kleinen, verlassenen Elf, der eine Prophezeiung erfüllen und den Menschen die Freude und Fantasy wieder bringen muss. Es gibt zwar in ihrer Der-letzte-XX- Reihe noch drei Nachfolgebände (Der letzte Ork, Der letzte Zauberer, Die Rückkehr der Elfen), doch die bewegen sich so in Richtung High-Fantasy für Erwachsene, dass sie an den Erfolg vom letzten Elfen, der mittlerweile neun Auflagen erlebt hat, nicht mithalten können.

Licia Troisi hingegen ist hauptsächlich als Autorin von High-Fantasy für Erwachsene bekannt, mit Trilogien wie Die Schattenkämpferin, Die Feuerkämpferin, Die Eiskriegerin (Ü: Bruno Genzler). Diese Reihen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass hier die Heldinnen durch die Bank weg Frauen sind – und zwar kompromisslos. Was durchaus beachtenswert ist (allerdings reichen meine Fantasy-Kenntnisse nicht so weit, um das als absolutes Alleinstellungsmerkmal zu nennen – zum mal momentan die Amerikanerin Tomi Adeyemi mit Children of Blood and Bone (Ü: Andrea Fischer) ebenfalls eine weibliche und schwarze Heldin an den Start gebracht hat). Troisi hat jedoch auch eine Reihe für Jugendliche geschrieben: Drachenschwester (Ü: Bruno Genzler), in der das Waisenmädchen Sofia entdeckt, dass sie das Herz eines Drachen in sich trägt und gegen einen dunklen Feind antreten muss. Von dieser ursprünglich fünfteiligen Reihe sind hier jedoch nur zwei Bänder erschienen.

2012 ist dann die Nina-Fantastik-Reihe von Moony Witcher erschienen (Ü: Julia Süßbrich/Gehring). Hinter dem Pseudonym verbirgt sich die Journalistin Roberta Rizzo, die die Reihe in Italien zwischen 2002 und 2017 herausgebracht hat. 2005 habe ich den ersten Teil begutachtet und – wie ich eben wieder nachgelesen habe – abgelehnt, weil er mir zu platt, zu esoterisch und ohne Zwischentöne geschrieben war. Mit einer altklugen Protagonistin, die immer gewinnt. Thienemann hat es fast zehn Jahre später wohl doch gefallen. Von den sieben italienischen Bänden sind vier auf Deutsch erschienen, zwei davon bereits vergriffen. Die weiteren Serien, die Witcher veröffentlicht hat, sind bei uns nicht übersetzt.

italienischeDass angefangene Reihen von den Verlagen nicht zu Ende geführt werden, ist mir mehrmals passiert: Im KJB-Bereich mit Pierdomenico Baccalarios Reihe Will Moogleys Geisteragentur (2009), von der ich zwei Teile übersetzt habe, aber nur einer davon je veröffentlicht wurde.
Das habe ich allerdings nie richtig verstanden, denn es war eine sehr witzige Reihe für Jungs über eine Agentur für Geister und Spukgestalten in New York, die unterschiedlichste chaotische Aufträge ausführen müssen (auch hier war das Cover bereits von Iacopo Bruno gestaltet, was jedoch den comicartigen Witz der Geschichte nur so gar nicht traf). Dass Will Moogley keine Leser in Deutschland fand, lag vermutlich auch daran, dass von Verlagsseite kein Marketingbudget für diesen Titel zur Verfügung stand. LETTERATUREN gab es damals noch nicht, sonst hätte ich ordentlich die Werbetrommel für diese liebenswert witzigen Helden gerührt.

italienischeZudem gab es mal den Auftakt einer Trilogie von Miriam Dubini, Aria. Das Schicksal fährt Fahrrad (2014), eine niedliche fantastische Engel-Geschichte, die in Rom spielte – aber leider nicht genügend Publikum fand.
Auch hier habe ich den zweiten Teil leider für die Schublade übersetzt. Aber auch das gehört zum Übersetzerinnendasein dazu.

Die Stillen

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Dann gibt es noch Autor_innen, die ins Deutsche übersetzt werden, die jedoch kaum Beachtung finden. So beispielsweise Fabrizio Silei mit Abseits. 1938. Ein Fußballer sagt Nein (Ü Edmund Jacoby, 2014) oder Nonno und der rosa Hund (Ü: Kathrin Wolf, 2016). Lediglich sein Buch Der Bus von Rosa Parks (Ü: Sarah Pasquay, 2011) wurde ein paar Mal besprochen und stand auf der Nominierungsliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2012, Sparte Sachbuch.

Mein filmreifer Sommer (Ü: Karin Rother) von Simona Toma von 2014 ist auch bereits vergriffen – und hat nicht einmal eine Bewertung auf Amazon.

Ohne Amazon-Rezension muss auch Paola Zannoners Ausgewechselt (Ü: Ingrid Ickler, 2012) auskommen. Dieses Buch kenne ich nicht, doch ich habe andere von Zannoner angelesen und begutachtet. Sie kamen nicht für eine Übersetzung infrage, da sie mir vom Erzählton her nicht gefielen (laut meinem Gutachten, also meinem Leseeindruck von damals, hat sie einen moralischen Ton und erzählt eher distanziert von oben herab).

italienischeNeulich habe ich hier den Roman Im Ghetto gibt es keine Schmetterlinge von Matteo Corradini (Ü: Ingrid Ickler, 2017) über die Kinder im Ghetto von Theresienstadt vorgestellt und den Autor dafür zu seinem Buch befragt. Seine Antworten, wie er diese tatsächlich passierten Ereignisse im Ghetto in einen Roman umgearbeitet hat, sind auf jeden Fall sehr aufschlussreich. Denn die Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg und der Nazi-Zeit sind sicher nicht die Themen,  die Jugendliche aus eigenem Antrieb angehen.
Dennoch ist es wichtig, dass auch solche Bücher übersetzt werden, selbst wenn sie wenige Leser finden.

 

Die Comics und Graphic Novels

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Zum Schluss noch ein Mini-Abstecher noch zu den Comics. Italien hat eine langjährige Comic-Tradition, jedoch zumeist für Erwachsene. Da gibt es die Werke von Hugo Pratt (1927-1995, Ü: Harald Sachse/Resel Rebiersch), die spätestens seit den 80er Jahren hier bekannt wurden, Gipi (Ü: Giovanni Peduto) oder Zerocalcare (Ü: Carola Köhler), der vor zwei Jahren für den Premio Strega nominiert war. Doch auch Disneys Donald und Micky kommen zum Teil aus Italien (hier die Übersetzer_innen nachzuvollziehen sprengt für diese Format den Rahmen), ebenso wie die rosa Mädchen-Comics die Winx, die seit 2007 am Kiosk zu haben sind.

italienischeDiese Auflistung mag nun vielleicht nach sehr viel aussehen – ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass ich hier im Schnelldurchlauf mehr als 100 Jahre Literaturgeschichte abgehandelt habe. Sicherlich sind mir auch noch diverse Übersetzungen entgangen. Auf jeden Fall sind es natürlich längst nicht alle Publikationen oder Autor_innen, die in Italien selbst erschienen sind.
Es wäre ja aber auch absurd zu glauben, alle Bücher würden übersetzt werden. Zwar wundere ich mich manchmal, dass langjährige italienische Erfolgsautoren wie Roberto Piumini oder Bianca Pitzorno oder Premio-Andersen-Preisträger_innen nicht öfter ins Deutsche übersetzt werden, aber oft passen eben Inhalt, Erzählweise, pädagogischer Anspruch, italienische Lebens- und Erziehungswelten oder andere Fantasie- und Humor-Konzepte nicht zu deutschen Leser_innen.

2023 wird Italien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse sein. Bis dahin werden hoffentlich noch so einige italienische Bilder-, Kinder- und Jugendbücher übersetzt werden – auch wenn sie es anscheinend schwerer haben als Titel aus dem angloamerikanischen Raum.
Ich werde in der kommenden Zeit intensiver die Augen offenhalten, was es im Land noch an Geschichten und neuen Talenten zu entdecken gibt. Und dann liefere ich vielleicht ein Update zu Italiens KJB-Szene.
Bis dahin dürft ihr mir aber immer gern eure italienischen Lieblingsbücher nennen (unten im Kommentar oder direkt als Mail an mich), die ich hier vielleicht übersehen habe.

 

Mein Sommer mit Rodari

mein sommer mit rodariNach meinem Urlaub fand ich in meiner Post die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Eselsohr. Normalerweise freue ich mich auch so schon immer über die neuesten Rezensionen und Hintergrundartikel zu Kinder- und Jugendbüchern, doch dieses Mal kommt noch etwas Besonderes hinzu. Ich durfte die Rubrik VdÜ-Spot füllen, wo Übersetzer aus ihrem Arbeitsalltag berichten.

Und so habe ich dort von der Entstehung meiner Neuübersetzung der Gutenachtgeschichten am Telefon von Gianni Rodari berichtet. Wer das Eselsohr nicht bezieht oder irgendwo anders lesen kann, hat hier die Gelegenheit, meinen Artikel Mein Sommer mit Rodari nachzulesen.

Gianni Rodari: Gutenachtgeschichten am Telefon, Übersetzung: Ulrike Schimming, Illustration: Anke Kuhl, S. Fischer Verlag, 2012, 207 Seiten, 14,99 Euro

Buntes Wiedersehen

2012 mausert sich zum Jahr der Jubiläen: 50 Jahre Gutenachtgeschichten am Telefon von Gianni Rodari, im Dezember jähren sich die Hausmärchen der Brüder Grimm zum 200sten Mal, und dieser Tage feiert Räuber Hotzenplotz  von Otfried Preußler seinen 50sten. Jetzt könnte man denken, dass der Räuber in die Jahre gekommen ist – doch mit der aktuellen Auflage der dreibändigen Kasperlgeschichte hat man viel mehr den Eindruck, er hätte sich einer Frischzellenkur unterzogen. In der Automobilbranche wird so etwas „Facelift“ genannt.

Was ist passiert? Die Geschichte um Großmutters gestohlene Kaffeemühle, Kasperls und Seppels Unternehmung, den Räuber zu fangen, ihre Begegnung mit dem großen und bösen Petrosilius Zwackelmann sowie die fabelhafte Befreiung der Fee Amaryllis hat sich natürlich nicht verändert. Einer Zeitreise gleich in die 1970er Jahre fieberte ich auch jetzt mit den beiden Freunden bei ihren gefährlichen Abenteuern mit, kicherte über Kasperls Namensverdrehungen von Zeprodilius Wackelzahn, Eprolisius Dackelschwanz und Spektrofilius Zaschelschwan, hatte kein Mitleid mit dem widerborstigen Zauberer, sondern war erneut ganz fasziniert von dem goldenen Kleid der Fee und ihrer wilden Haarmähne.

Letztere ist nur auf den Illustrationen von Franz Josef Tripp zu sehen. Diese gab es auch in meiner Uralt-Ausgabe schon, und sie waren damals schon einprägsam und emotional aufwühlend: die großen, nackten Käsemauken von Hotzenplotz als Verkörperung des Unholds schlechthin, die Warzen auf Zwackelmanns Nase auf den Punkt gebrachte Verschlagenheit, Seppel in kurzen Lederhosen für mich als Norddeutsche ein ganz klares Zeichen, dass ich zum Glück weit weg vom Einzugsgebiet des Räubers wohnte. Heute würde man all dies wohl ikonografisch nennen. Jedenfalls trugen diese Zeichnungen dazu bei, dass ich nie eine andere Darstellung des Hotzenplotz’ und seiner Mitstreiter ertragen konnte.

Und nun das: Alles ist bunt! Kunterbunt! Sehr liebevoll und anheimelnd hat Mathias Weber Tripps Illustrationen koloriert. Endlich ist Kasperls Zipfelmütze richtig rot, und das grüne Hemd des Räubers passt wie die Faust aufs Auge. Petrosilius in magisches Blau zu kleiden lag vielleicht auf der Hand, aber mit den grünen Nuancen scheint sein Zaubermantel schier seidig zu glänzen. Die Fee strahlt natürlich in blendendem Goldgelb. Und der Wald … der Wald wird zu einem sonnendurchschienen Traumort, in dem eigentlich gar kein böser Räuber hausen kann. Die Illus treten in ihrer neuen Plastizität förmlich aus dem Buch heraus. Die Farben unterstreichen die Charakterzüge der Figuren aufs treffliche. Ein schöneres Geschenk hätte man dem Räuber und seinem Schöpfer wohl nicht machen können.

Eine weitere Neuerung für mich sind passenderweise die Hörspiele zum Räuber Hotzenplotz, die jetzt in einer Hörspielbox noch einmal gesammelt bei Universal Music erschienen sind. Dietmar Bär leiht darin dem Titelhelden sein überzeugend gutmütig-böses Sprachorgan, Johanna von Koczian würde ich als Großmutter sofort adoptieren, und Ilja Richter macht Zwackelmann noch unsympathischer, als der eh schon ist. Die Erzählerstimme von Peter Striebeck beruhigt die aufgewühlten Gemüter jedoch sofort wieder. Und Kasperls Lachen – aus dem Mund von Oliver Reinhard – ist einfach nur ansteckend. Auch das ist zum 50. Jubeltag von Hotzenplotz eine fesselnde und gelungene Umsetzung von Preußlers Meisterwerk. Denn dieser Hörspaß verbindet sich mit den frisch eingefärbten Illustrationen der Bücher zu einem sehr sinnlichen (Lese-Hör-und-Seh-)Genuss und gehört einfach in jeden Haushalt mit Kindern!

Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz, Thienemann Verlag, 2012, 120 Seiten, ab 6, 12,95 Euro.

Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz – die große 6 CD-Hörspielbox, 6 Audio-CDs, Universal Music, 2012, 340 Minuten, Sprecher: Dietmar Bär; Ilja Richter; Johanna von Koczian; Peter Striebeck u. a. , ab 5, 19,99 Euro

Mohnschnecke ahoi!

die wilden PiroggenpiratenWenn man so darüber nachdenkt, wie die Helden und Protagonisten in Romanen beschaffen sind, so sind es doch in der Mehrzahl Menschen, die die unterschiedlichsten Abenteuer erleben. Manchmal gehören die Figuren zu fantastischen Spezies wie Feen, Vampiren, Hobbits oder Engeln. Treten Tiere als Akteure auf, sprach man früher von Fabeln. Doch spätestens seit Lewis Carrols Alice im Wunderland oder Rudyard Kiplings Dschungelbuch können Tiere auch jenseits von belehrender Absicht Geschichten erzählen.

Ganz selten findet man Gemüse und Obst als Romanhelden. Gianni Rodari brachte 1951 Le Avventure di cipollino (Zwiebelchen) heraus, in dem ein Zwiebeljunge seinen Zwiebelvater aus dem Gefängnis befreien will und sich gegen die Ungerechtigkeiten der Welt auflehnt.

Bei meiner Recherche stieß ich dann noch auf Philippe Bertrands Der Krieg der Gemüse, in dem sich das Grünzeug die Köpfe einschlägt. Falls es weitere Romane mit essbaren Helden gibt, bitte ich um Aufklärung, aber mir ist beim Grübeln über dieses Thema schließlich nur noch Bernd das Brot eingefallen. Aber der ist TV-Star und kein Romanheld.

Mit diesem Exkurs möchte ich auf ein wirklich einzigartiges Buch aufmerksam machen, deren Protagonisten zur Gattung des Backwerks gehören. Ja, richtig gelesen: Backwerk. Also Krapfen, Laib Brot, Mohnstrudel, Honigkuchen, Eclair, Empanada, Wan Tan, Piroggen, Pelmen, Pumpernickel, Zwieback und was die Backstube noch so hergibt. Der lettische Autor Maris Putnins muss eine große Leidenschaft für Gebäck hegen, denn er lässt diese Leckerbissen in einer absolut wahnwitzigen Abenteuergeschichte agieren, in: Die wilden Piroggenpiraten.

Mohnschnecke Eloise aus Murseille, Tochter von Mohnstrudel und einer Wiener Mohnpotitze, ist eine gute Partie. Der Angestellte des Vaters, Eclair, ist rettungslos in sie verliebt. Doch eines Tages funkt das arrogante Hörnchen in Eclairs Liebesbemühungen und lädt Mohnschnecke auf seine Yacht ein. Diese wird von Piroggenpiraten geentert, Mohnschnecke entführt, Hörnchen über die Planke geschickt. Glücklicherweise landet der Schnösel in Eclais Ruderboot und kommt noch mal davon.

Was nun folgt, ist eine verwickelt komische Rettungsaktion: Eclair macht sich umgehend auf die Suche nach der Geliebten, schließt sich dafür sogar den erfolglosen Pelmen an und lässt nichts unversucht. Hörnchen wird von seinem geschäftstüchtigen Vater ausgeschickt, um die Mohntochter, die vermutlich auf dem Sklavenmarkt von Djadida verkauft werden wird, einfach zurückzukaufen und einen ordentlichen Gewinn zu machen.

Und das arme Opfer? Frauen an Bord bringen Unglück, hieß es früher in Seefahrerkreisen. Die Piroggenpiraten würden das möglicherweise ähnlich sehen, denn Mohnschnecke ist alles andere als das fügsame Opfer. Auf der Brigg ‚Speckkugel’ findet sie Gefallen an dem wilden Piratenleben mit der fetten Beute, und so stellt sie im Laufe der Geschichte das Leben der ungehobelten Piroggen gehörig auf den Kopf: Mohnschnecke zieht in die Kapitänskajüte, führt an Bord die ‚Hügjene’ ein, legt die damenhaften Kleider ab und schlüpft in Piratenklamotten. Dann übernimmt sie das Kommando …

Die unzähligen Irrungen und Wirrungen dieser drei Erzählstränge kann ich hier jetzt natürlich nicht aufführen oder gar verraten. Nur so viel muss gesagt werden: Das Backwerk bleibt nicht unter sich, denn es tummeln sich in diesen über 600 Seiten auch noch stinkiges Käsegebäck in Tschiesburg, kriegerische Blutwürste, die viel zu schnell ihre Füllung verlieren, und der Große Konditor, der alles geschaffen hat. Am Himmel strahlen der Große und der Kleine Bäckerwagen. Auf der Erde zeigen Groß- und Kleingebäck, was für eine Füllung in ihnen steckt (mein Favorit: Hippopotamusspeck). Und die Piraten schießen mit unreifen Pfirsichen, Dörrpflaumen oder grünen Kartoffeln aus allen Rohren.

Wie gesagt, etwas Vergleichbares ist mir noch nicht untergekommen. Dieses Buch ist ein Riesenspaß, eine Explosion der Fantasie. Die Wortschöpfungen von Übersetzer Matthias Knoll sind die humoristischen Sahnehäubchen in diesem Back- und Piratenuniversum. Dabei wirken die Analogien zur realen Welt in all der Leichtigkeit trotzdem wie ein kritischer Spiegel unserer Gesellschaft – und bringen den Leser im nächsten Moment gleich wieder zum Grinsen. Und was Mohnschneckes Durchgreifen und Erfindungsgeist angeht: Jack Sparrow kann einpacken.

Maris Putnins: Die wilden Piroggenpiraten. Ein tollkühnes Abenteuer um eine entführte Mohnschnecke und ihre furchtlosen Retter, Übersetzung: Matthias Knoll, Illustrationen: Karsten Teich, Fischer Schatzinsel, 2012, 652 Seiten, ab 10, 14,99 Euro

Purzelchen und Appetitis

gutenachtgeschichten am telefonHeute erreichte mich das erste Exemplar eines ganz entzückendes Buchs: Gutenachtgeschichten am Telefon. Dass ich mich bannig über dieses Buch freue, liegt an daran, dass ich im vergangenen Jahr die Favole al telefono von Gianni Rodari neu übersetzt habe. Und die Frucht dieser Arbeit liegt nun endlich vor mir.

Ausnahmsweise muss ich hier in eigener Sache schreiben und die Gelegenheit nutzen, mich zu bedanken. Die Arbeit an der Übersetzung hat richtig viel Spaß gemacht und war zugleich eine anspruchsvolle Herausforderung. Die Leichtigkeit von Rodaris Sprache, der charmante Humor, der Wortwitz, die italienischen Besonderheiten waren nicht immer leicht zu übertragen. Anfangs war ich sogar felsenfest davon überzeugt, dass zwei Geschichten nicht zu übersetzen sind. Zu speziell erschienen mir die Geschichten „Il paese con l’esse davanti“ und „Processo al nipote“. Vor allem letztere zeichnet sich durch ein Wortspiel aus, in dem ein vergessenes Apostroph die Bedeutung eines Wortes (l’ozio/der Müßiggang) in eine völlig andere verschiebt (lo zio/der Onkel). Was also tun, wenn das betreffende Sprichwort auf Deutsch lautet „Müßiggang ist aller Laster Anfang“? Wie soll man da einen Onkel unterbringen?

Wochenlang war ich ziemlich ratlos. Und habe schön um diese Geschichte herumübersetzt. Doch zum Glück war ich als Übersetzerin nicht allein und hatte zwei aufschlussreiche Begegnungen mit Kollegen, die ebenfalls aus dem Italienischen übersetzen.

Im Sommer 2011 durfte ich an der Übersetzer-Werkstatt ViceVersa in Settignano bei Florenz teilnehmen. Dort stellten zwölf italienisch-deutsch Übersetzer ihre aktuellen Texte vor. Stundenlang diskutierten wir über Wortbedeutungen, Intentionen von Autoren, Syntaxmonster, Reime und Poesie. Es war manchmal anstrengend, aber hauptsächlich anregend. Unglaublich anregend.

Fortgesetzt habe ich die Diskussion ein paar Wochen später in Berlin beim italienischen Übersetzertreffen. Und auch hier wurde wieder kein Blatt vor den Mund genommen, alles wurde auseinandergenommen, angeschaut, gewendet, gedreht, gelobt, geknickt, geklärt … und so hielten Alte Sprichwörter, Purzelchen und Appetits Einzug in die Texte.

Angeregt durch diese intensiven Arbeitsrunden konnten meine Hirnwindungen dann das Denken und Rumprobieren nicht mehr lassen, bis auch die Lösungen für die beiden scheinbar unübersetzbaren Geschichten plötzlich da waren. Und so finden sich jetzt in diesem Buch auch „Im Lande Frei“ und „Der Neffe vor Gericht“ …

Den Organisatoren von ViceVersa, den Kollegen, die in der Villa Morghen mitdiskutiert haben, und den Berliner Italienischübersetzern gilt mein allerherzlichster Dank!!

In dieser Ausgabe liegen nun also alle 70 Geschichten von Rodaris Favole al telefono in einer einheitlichen Übersetzung vor. Geadelt werden die fünfzig Jahre alte Geschichten durch die luftig-leichten, märchenhaft-schönen Illustrationen von Anke Kuhl. Sie machen dieses Buch zu einem Gesamtkunstwerk – wie ich finde.

Gianni Rodari: Gutenachtgeschichten am Telefon, Übersetzung: Ulrike Schimming, Illustration: Anke Kuhl, S. Fischer Verlag, 2012, 207 Seiten,  14,99 Euro