Über Ulrike Schimming

Ulrike Schimming übersetzt Literatur – von Kinder- und Jugendbüchern bis zu Graphic Novels und Comics – aus dem Italienischen und Englischen und arbeitet als freie Lektorin. Dieses E-Magazin entstand aus ihrer Arbeit für die Jugendzeitschrift stern Yuno. Hier stellt sie Neuerscheinungen oder Klassiker der Kinder- und Jugendbuchliteratur vor, Graphic Novels oder Buch-Perlen, denen sie ein paar mehr Leser wünscht. Weitere Infos zu Ulrike Schimming finden Sie unter www.letterata.de

Für die Liebe

Seit ein paar Wochen ist bei uns in Deutschland die Ehe für alle eine beschlossene Sache, und ich freue mich, dass alle Liebende, egal, welche sexuellen Präferenzen sie haben, heiraten können, wenn sie das denn wollen.

Mit dem Beschluss der Ehe für alle haben jedoch in gewissen Kreisen die Diskussionen und die Ablehnung der Ehe für Homosexuelle nicht aufgehört, sondern nehmen zum Teil echt absurd maßlose Züge an, wenn pauschal Homosexuellen pädophile Neigungen unterstellt werden. Man fasst sich an den Kopf und möchte diese Menschen eigentlich nur schütteln. Alternativ könnte man ihnen jetzt auch das Buch Väterland des Franco-Algeriers Christophe Léon in die Hand drücken, damit sie alle noch mal genau überlegen, was sie da eigentlich von sich geben.

In Väterland beschreibt Léon ein dystopisches Frankreich, in dem einst die Ehe für alle üblich, also eigentlich nicht der Rede wert war. So haben George und Phil vor 15 Jahren geheiratet und dann Gabrielle als Baby aus Somalia adoptiert. Jahrelang führen die beiden Künstler und das Mädchen ein unbeschwertes Familienleben. Gabrielle liebt ihre beiden Väter über alles.
Doch nach und nach ändert sich die Stimmung im Land. Die Nachbarn schauen das Paar anders an, Gabrielle wird in der Schule von Mitschülern beschimpft, ehemalige Freunde meiden die Familie. Die Regierung veranlasst, dass Homosexuelle neue Pässe bekommen, mit dem offensichtlichen Vermerk ihrer sexuellen Ausrichtung. Die Betroffenen werden gezwungen, eine rosa Stoffraute an der Kleidung zu tragen, und müssen schließlich aus der Pariser Innenstadt in ein Ghetto am Stadtrand ziehen.

Spätestens hier kommen definitiv unangenehme Assoziationen hoch, an die Zeiten vor über 70 Jahren, als die Nazis genau das in unserem Land getan haben. Nur dass sie die Homosexuellen nicht ins Ghetto, sondern gleich ins Konzentrationslager deportiert haben. Doch auch nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat die Diskriminierung von Homosexuellen hier noch lange nicht aufgehört. Trotz Ehe für alle sind wir, meines Erachtens, noch weit von einer Gesellschaft entfernt, in der es völlig egal ist, welche sexuellen Vorlieben man hat, und in der man gelassen und ohne journalistischen Voyeurismus damit umgeht. So lange das jedoch nicht erreicht ist, kann die Stimmung immer wieder umschlagen, und genau das zeigt Christophe Léon.

In seinem kurzen Roman schafft er sehr rasch eine bedrohliche Atmosphäre von Angst und Überwachung. Er nutzt dafür die Ich-Erzählung der 12-jährigen Gabrielle, die davon berichtet, wie ihre Väter unerlaubterweise nach Paris fahren, um ihr ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Auf dem Weg in die Stadt haben die Väter einen Unfall und flüchten verletzt durch die Straßen – auf Hilfe von Mitbürgern können sie nicht hoffen. Diese rufen vielmehr sofort die 666 – eine sehr schöne teuflische Metapher –, damit die Miliz sofort mit der Jagd auf die „Rosa Rauten“ beginnt. George und Phil versuchen, den allgegenwärtigen Überwachungskameras und Abfangbrigaden zu entgehen und wieder zu ihrer Tochter zu gelangen …

Schon nach den ersten Seiten finden sich die Leser in einem orwellschen Kosmos in der Gegenwart wieder, den man so überhaupt nicht möchte. Der jedoch, wenn wir ehrlich sind, gar nicht so weit entfernt ist. Dieses Unbehagen an der allgegenwärtigen Überwachung paart sich mit der so großartigen Liebe zwischen George, Phil und Gabrielle, so dass man das gesamte Buch mit den dreien mitfiebert. Man leidet mit, wenn die Väter verfolgt werden, man empört sich, wenn sie die Raute tragen sollen, man freut sich, wenn sie ihre Tochter mit hintersinnigem Witz verteidigen oder eine letzte große Ausstellung eröffnen.
Am Ende, das dann fast viel zu schnell kommt, möchte man die drei gar nicht loslassen, will wissen, wie es mit ihnen weitergeht, und hofft, dass sie es den Häschern entkommen.

Und genau so soll Literatur für mich sein. Sie soll mich gefühlsmäßig aufwühlen und gleichzeitig für gesellschaftliche Zustände sensibilisieren, die ganz schnell wieder in fürchterliche Extreme kippen können. Wehret den Anfängen, möchte man rufen, nicht nur angesichts von Rechtsrockkonzerten mit Tausenden von Nazis, sondern auch von verbohrten Menschen, die in Vorurteilen und Angst (vor was?) verhaftet geblieben sind und sich keine Liebe jenseits von Mann und Frau vorstellen können.

Väterland ist eine bittere Lektüre, doch vielleicht trägt sie zu mehr Akzeptanz und Selbstverständlichkeit von anderen Lebens- und Liebesformen bei.
Das wünsche ich mir jedenfalls.

Christophe Léon: Väterland, Übersetzung: Rosemarie Griebel-Kruip, Mixtvision, 2017, 116 Seiten, ab 14, 9,90 Euro

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Menschlichkeit im Unmenschlichen

ravensbrückHeute stelle ich nach sehr langer Zeit mal kein Kinder- oder Jugendbuch vor, auch wenn der Titel von Valentine Gobys Roman das vermuten lassen könnte. Doch Kinderzimmer ist alles andere als ein Kinderbuch.

Die Französin Goby nimmt den Leser hierin auf eine überaus bittere Reise ins Konzentrationslager Ravensbrück mit. Dort kommt im Frühjahr 1944 die junge Suzanne Langlois, genannt Mila, an. Mila war im französischen Widerstand tätig, hat Nachrichten für den Untergrund kodiert (mit einem Notensystem, das Übersetzerin Claudia Steinitz im Detail nachgebildet hat, was eine Heidenarbeit gewesen sein muss) und für eine Nacht einen Widerstandskämpfer versteckt. Von ihm ist sie schwanger. Schwanger im KZ.

Mila, deren Mutter sich umgebracht hat, als sie klein war, befindet sich in einem fast unvorstellbaren Zustand des Nicht-Wissens: Sie weiß nichts über die Vorgänge in ihrem Körper, sie weiß nichts über den Vater des Kindes, sie weiß nicht, wo sie in Deutschland ist oder wie das Leben in einem KZ laufen soll. Sie versteht kein Deutsch. In diesem Nicht-Wissen ist sie zunächst auf sich allein gestellt und erlebt den ganzen Horror im Frauenlager: Den Austausch der Kleidung, das Rasieren der Haare, die unsensible gynäkologische Untersuchung, dazu der tägliche Kampf um das Essen, um den Schlafplatz, die Zahnbürste, die Blechschüssel. Mila ahnt, dass sie schwanger ist, wagt es jedoch nicht, ihren Bauch zu betrachten. Dieser Bauch, der durch die Entbehrungen und den Hunger nicht richtig wächst.

Valentine Goby erzählt von Milas Schicksal in kurzen, oftmals fast schon nüchternen Sätzen, von Claudia Steinitz höchst feinfühlig ins Deutsche gebracht. Goby schönt nichts. Sie benennt den Hunger, die Auszehrungen, die drangvolle Enge in den Baracken, die Krankheiten, die Ausscheidungen, den Gestank, das Sterben, die ausgemergelten Toten. Die Bilder, die sie dadurch im Leser heraufbeschwört, sind kaum zu ertragen.
Und mittendrin Mila, in der ein kleiner Mensch heranreift.
Man wagt es kaum zu hoffen, doch Mila bringt ihren Sohn tatsächlich zur Welt. Anfangs ist James noch rosig, hat schwarzes Haar. Zusammen Teresa, einer Polin, die zu Milas bester Freundin wird, und ein paar anderen Frauen, versucht sie, James durchzubringen.
Doch James ist nicht das einzige Baby in Ravensbrück. Es gibt ein Kinderzimmer, in dem etwa 50 Babys untergebracht werden. Sie liegen aufgereiht auf Strohmatratzen, pro Kind gibt es nur eine Windel. Die Kinder dämmern folglich in ihren Exkrementen vor sich hin und verwandeln sich, je älter sie werden, in winzige Greise. Es gibt nicht genug Nahrung für sie, denn die meisten Mütter haben keine Milch. Auch Mila muss James irgendwann einer anderen Frau zum Stillen geben. Sie versuchen, sich gegenseitig zu helfen. Doch neben dem Hunger setzt auch die Kälte im Winter den Kleinsten zu. Kohlen für das Kinderzimmer gibt es nicht.

In all diesem Elend wird James zur Stütze für Mila und für Teresa. Er ist der Einbruch des freien Lebens in das Lager. Er ist der Hoffnungsschimmer auf ein Leben nach dem KZ, für ihn bleiben die Frauen stark.

Goby verhandelt in diesem Buch nichts weniger als die Essenz des Lebens, die das Sterben so lange hinauszuzögern weiß, wie es nur geht. Selbst unter den unmenschlichsten Umständen. Doch dazu braucht der Mensch Hoffnung und das Mitgefühl anderer Menschen. So erlebt Mila immer wieder Hilfe und eben dieses Mitgefühl. Die gefangenen Frauen bauen sich gegenseitig auf, so gut es eben geht, sie bringen sich Deutsch bei, singen Lieder, erzählen sich Geschichten, teilen das Wenige, wärmen sich. Natürlich gibt es auch Eigennutz, doch der geht letztendlich in der Menschlichkeit unter, die die Frauen zusammenschweißt.
Doch auch von den Frauen, die Mila helfen, überleben nicht alle. Zu heftig wüten Ruhr, Cholera und Flecktyphus, zu niederschmetternd ist es, das eigene Kind zu verlieren. Mila jedoch hält sich an ihrem Kind fest, klammert sich an das Leben und schafft es schließlich wieder nach Frankreich zurück.

Trotz aller Grausamkeiten, die Mila in Ravensbrück erlebt, die einem sehr, sehr nahe gehen und bedrücken, konnte ich dieses Buch nicht weglegen. Denn man hofft und bangt mit ihr. Man erlebt, wie sie von der Nicht-Wissenden zur Wissenden wird, und wie sie schließlich am Ende ihr Wissen um die Vorgänge in Ravensbrück weitergibt.
Denn auch darum geht es bei Valentine Goby: Wissen weitergeben, erinnern, immer wieder erinnern, jeden Tag.

Und wer jetzt sagt, so etwas darf man auf fiktive Art aber nicht, dem erwidert Mila:
„Man braucht Historiker, um über die Ereignisse zu berichten; Zeugen, die ihre persönliche Geschichte erzählen, und Schriftsteller, um zu erfinden, was für immer verschwunden ist: den Augenblick.“

Valentine Goby holt viele Augenblicke zurück, die so oder so ähnlich nicht nur in Ravensbrück stattgefunden haben. Damit wir, die Nachgeborenen, ein unmittelbareres Gefühl für die Zustände in einem KZ bekommen, damit wir das Leid der Insassen auch heute noch verspüren, es nie wieder vergessen und nicht zulassen, dass auch nur ansatzweise so etwas wieder passiert. Hier oder anderswo.

Für dieses eindrucksvolle Buch ist die Autorin mit dem Prix des Libraires 2014 und dem Annalise-Wagner-Preis 2017 ausgezeichnet worden.

Traut euch, es zu lesen.

Valentine Goby: Kinderzimmer, Übersetzung: Claudia Steinitz, ebersbach & simon, 2017, 234 Seiten, 19,95 Euro

Noch mal…

Bilderbücher sind ja angeblich eine schnelle Sache. Wenige Seiten, meistens große, sehr entzückende Bilder, kaum Text. Da ist man schnell durch und kann sich gleich das nächste schnappen. Denkste. Hier gibt es nun zwei Bilderbücher, die es in sich haben und die bei jedem Lesen anders erscheinen.

So stellt der französische Illustrator Olivier Tallec die vermeintlich harmlose Frage Wie war das?, die uns im Alltag eigentlich ständig herausrutscht, wenn wir mal wieder abgelenkt, unaufmerksam oder multitaskingmäßig unterwegs waren. In Tallecs querformatigem Bilderbuch werden nun die Betrachter_innen auf jeder Doppelseite mit einer Frage konfrontiert: Wer trägt einen gelben Schal? Wovor hat Olive Angst? Wer versteckt sich unter der Bettdecke?
Neben den Fragen tummeln sich charmante Figuren, Kinder, bebrillte Langohrhasen, ein Löwe, ein Wolf, Monster, Plüschtiere mit oder ohne Kappen oder Unterhosen auf den großen Köpfen. Schon allein der Anblick dieser Gesellen ist ein Wonne.

Doch diese Fragen, diese so simplen Fragen, dürften die meisten Betrachter_innen in so manche Verlegenheit bringen. Denn immer bezieht sich die Frage auf die Seite, die man gerade umgeschlagen hat. Und wenn man zuvor nicht genau geschaut hat, steht man ganz schön auf dem Schlauch: Zähne? Hatte das Monster etwa Zähne? Ja, hatte es, man muss nur achtsam sein und alles intensiv ansehen.
Je nach Aufmerksamkeitsspanne der Kinder kann es ganz schön dauern, bis man die Lösungen so präsent hat, dass das Buch langweilig wird. Bis es so weit ist, trainieren die Lütten hier ganz spielerisch die Konzentration und das Gedächtnis.

Und selbst, wenn man immer wieder falsch liegt, so entdeckt man bei dem Vor- und Zurückblättern ständig neue Details der Rasselbande. Und hat jede Menge Spaß.

Auch im Bilderbuch der niederländischen Illustratorin Mies van Hout sollte man genau hinsehen. Hier werden die Betrachter_innen jedoch auf andere Art gefordert. So ziehen anfangs ein Junge, ein Mädchen und eine Katze los zum Spielplatz.

Auf großen aquarellierten Doppelseiten suchen sich die kleinen Helden ihren Weg durch verschiedene, wunderbar quietschbunte Labyrinthe, einen Garten, durch Baumwipfel, über einen Krokodilfluss. Und nicht immer ist der richtige Weg auf den ersten Blick zu erkennen.

Da dürfen beispielsweise die Vögel in den Nestern nicht gestört werden oder die Wege durch die Brombeeren enden in dornigen Sackgassen. Doch es gibt zumindest eine kleine Orientierung in Form von roten Pfeilen, links und rechts an den Seitenrändern, die die Richtung anzeigen.

Zunächst ist man so mit der Wegefindung und dem Ausweichen beschäftigt, dass man erst am Ende merkt, dass die Kinder auf einmal nicht mehr allein unterwegs sind. Und schon schaut man noch mal, wo die vielen Spielgefährten denn so plötzlich hergekommen sind.
Allerdings sollte man kleinen Spielplatz-Erobern keine Stifte in die Hand geben, mit denen so gern die Weg eingezeichnet werden. Denn ist die Lösung erst einmal unauslöschlich in das Bilderbuch hineingemalt, ist der Reiz fürs nächste Mal leider weg.

Rein optisch mag ich an beiden Büchern, dass die Cover mit so viel Weißraum gestaltet sind und so schon auf den ersten Blick diese Leichtigkeit vermitteln, die sich dann in ihren spielerischen Inhalten wiederfinden lässt.

Olivier Tallec: Wie war das?, Ü: Miriam Zimmer, Gerstenberg, 2017, 32 Seiten, ab 3, 9,95 Euro

Mies van Hout: Spielplatz, Aracari Verlag, 2017, 32 Seiten, ab 3, 14,90 Euro

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Kunstwerk mit Köpfchen

Neulich unterhielt ich mich sehr ernsthaft mit meiner fünfjährigen Nichte über Kopfschmerzen. Sie berichtete, dass sie eigentlich sehr genau weiß, was bei ihr Kopfschmerzen auslöst. Ich war beeindruckt. Denn das weiß ich bei mir selbst manchmal nicht.

Dass der menschliche Kopf eine geniale Angelegenheit ist und sowohl unsere Sprache, wie auch unsere Kunst beeinflusst, beweisen die Tschechen David Böhm und Ondrej Buddeus in ihrem Bilder-Sachbuch Kopf im Kopf, ins Deutsche übertragen von Doris Kouba.

In einer Mischung aus kurzen Texten und Bildern von menschlichen Köpfen in allen Formen, Farben und Arten erfährt man so allerhand, angefangen bei den Redewendungen, in denen wir alle Teile des Gesichtes – also Nase, Mund, Augen, Ohren, Lippen – für unsere Kommunikation nutzen.
Ausklappbare Seiten erzählen großformatig von den Vorgängen in unserem Gehirn, entführen ins fiktive Kopfland oder zeigen das Portfolio eines Detektivs in Sachen Phantombild. Halbe Seiten hingegen offenbaren, was hinter Masken, Tüchern, Burkas, Astronautenhelmen stecken kann. Und ganz nebenbei erfährt man die Geschichten von Phantomas oder oder El Hijo el Santo.

Zwischendrin erzählt ein auf dem Kopf stehender Comic vom Ettamogah, der in seinem riesigen Kopf all das Wasser der Erde sammelt und erst durch den Vogellippler dazu bewegt wird, es wieder freizugeben. Das ist definitiv rätselhaft, aber so ein Wonne zum Anschauen, zum Blättern und Erkunden, dass sich jede_r Betrachter_in seinen/ihren eigenen Kopf dazu machen kann.

Man findet Hinweise, wie man sich Zahlen leichter merken kann, findet gereimte (Un-)Sinnssprüche, bekommt eine Karte der Hirnarealen. Die Mischung aus physiologischen und psychologischen Fakten mit charmant witzigen Kopfbildern führt kleine Betrachterinnen ganz wunderbar an die Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper heran. Und der menschlichen Sprache.

Und auch das Thema Kopfschmerz hat seinen Platz in diesem Buch. Ich werde das Buch   beim nächsten Besuch meiner Nichte zeigen, mal sehen, was sie davon hält…

Sehr zu recht ist dieses Kunstwerk für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2017 in der Sparte Sachbuch nominiert.

David Böhm & Ondrej Buddeus: Kopf im Kopf, Übersetzung: Doris Kouba, Karl Rauch Verlag, 2016, 120 Seiten, ab 4, 25 Euro

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Die Facetten der Frauenpower

Es hat in meinem Leben tatsächlich mal eine Zeit gegeben, da dachte ich, den Feminismus brauche ich nicht. Dabei war ich durchaus dankbar, dass die Frauen in den Generationen zuvor für Wahlrecht, Gleichberechtigung und Gleichstellung gekämpft hatten. Ich hielt es für selbstverständlich, die Errungenschaften zu genießen. Wie naiv ich war!

Natürlich schätze ich diese Rechte immer noch, sehe aber auch die Pflichten darin (zur Wahl zu gehen, beispielsweise, was jedoch für jede_n gilt, der in einer Demokratie lebt). Vor allem aber habe ich erkennen müssen, dass wir den Feminismus immer noch brauchen und dass jede von uns auf ihre Art dafür kämpfen muss. Was ich aber auch erkannt habe, dass es nicht nur einen Feminismus gibt, sondern jede Menge Strömungen, Moden und Facetten. Einen richtig guten Überblick, über das, was der Feminismus heute alles beinhaltet, liefert nun Sonja Eismann, Mitbegründerin des Missy-Magazins.

In Ene, mene, Missy! hat sie all die Vielfältigkeit der Frauenbewegung zusammengestellt und liefert die nötigen Hintergründe und Zahlen. Allein das Kapitel über die verschiedenen Feminismen machen deutlich, dass man heute eigentlich nicht mehr von „dem“ Feminismus reden kann. Automatisch fragt man sich beim Lesen: Bin ich Anarchafeministin? Cyberfeministin? DIY-Feministin? Oder marxistische Feministin? Mag sein, dass frau erst mal verwirrt ist, doch so zeigt sich, dass das Leben, auch das private, in jedem Fall politisch ist. Wir können dem nicht entgehen. So ist es sinnvoll, dass auch die heranwachsenden Mädchen genau wissen, wo und wie sie sich engagieren und unsere Gesellschaft zum Besseren verbessern können.

Eismann belässt es jedoch nicht nur bei den Kategorisierungen, sondern bietet zudem Hilfestellungen für die täglichen Anfeindungen, denen Mädchen und Frauen immer noch ausgesetzt sind, wenn sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollen. So macht sie Vorschläge, was frau auf „die allerblödesten Fragen zum Feminismus“ antworten oder wie der Feminismus uns im Alltag helfen kann, wenn man gegen überkommene Rollenbilder und Schönheitsnormen angeht.

Die Mischung aus Rückblicken auf historische Protestformen, emanzipatorische Mode oder feministische Manifeste und den Statements prominenter Feministinnen der Gegenwart, macht die Lektüre abwechslungs- und aufschlussreich. Die Kapitel über Mansplaning, über den Male Gaze und den Bechdel-Test sensibilisieren für männliche Überlegenheitsstrategien und zeigen, wie frau dagegen vorgehen kann.

Diese Einführung in eine feministische Lebensweise mit all ihren Facetten, mit ihrer Kunst, ihrer Lebensfreude und ihrem politischen Anspruch sollte eigentlich jedes Mädchen lesen – und jeder Junge. Das Kapitel mit den Fragen an die Männer ist da der passende Anfang. Schließlich sollte feministische Aufklärung für alle Geschlechter gelten, denn nur so kann im Endeffekt ein friedliches und wahrhaft gleichberechtigtes Zusammenleben in Zukunft gelingen.

Aber vielleicht bin ich immer noch naiv.

Sonja Eismann: Ene, mene, Missy! Die Superkräfte des Feminismus, Fischer, 2017, 256 Seiten, ab 14, 12,99 Euro

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Der Kampf gegen die Grummelgrame

depressionDie Depression ist eine fiese Krankheit. Zunächst einmal für die Betroffenen, die oft ihr Leben nicht mehr bewältigen können. Doch auch für die Angehörigen ist die Depression eines geliebten Menschen eine Belastung. Für Kinder nun, die ein erkranktes Elternteil haben, ist es extrem schwierig zu verstehen, was eigentlich passiert.

So ergeht es dem fünfjährigen Jan, in dem Buch Als Mama nur noch traurig war von Anja Möbest.
Seit einiger Zeit ist seine Mama nur noch traurig, starrt auf den Boden, weint viel, vergisst, den Schokokuchen für das Kindergartenfest zu backen. Sie weiß selbst gar nicht, was eigentlich mit ihr los ist. Als sie eines Tages auch noch Papa anschreit, begreift sie, dass sie Hilfe braucht. Papa schlägt vor, dass sie zum Ritter geht.

Jan, der fürchtet, dass er schuld an Mamas Zustand ist, freut sich, dass es einen Ritter gibt, der Mama helfen kann. Natürlich ist der Ritter kein echter Ritter, sondern ein liebenswerter alter Herr mit Namen Ritter, der als Psychotherapeut arbeitet. Er erklärt Jan, dass Mamas Seele ein Loch hat, durch das die Grummelgrame von Mama Besitz ergreifen. Zusammen überlegen sie, mit welchen Zaubersprüchen sie die Grummelgrame vertreiben können …

Das ernste Thema der Depression fasst Anja Möbest in wunderbar klare, leicht verständliche Worte und Sätze. Illustratorin Barbara Korthues zeigt Jan, seine Familie, den Ritter und die Grummelgrame auf ebenso unaufgeregte und liebenswerte Art. Jans Enttäuschung und seine Wut, wenn Mama ihn nicht beachtet oder ihm nicht zuhört, ist vollkommen nachvollziehbar. Gleichzeitig vermittelt die Autorin die typischen Symptome einer Depression, also Trauer, Erschöpfung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, so dass die Kinder von Betroffenen das Verhalten ihrer Eltern hier konkret wiederfinden können.

Wichtig ist zudem, dass Jan seine Mama mindestens einmal zum Therapeuten begleitet. Dort erfährt er vom Experten dann genauer, was mit Mama los ist und wie er ihr helfen kann. Dieser offene Umgang mit der Krankheit Depression und die deutliche Ansage, dass es Hilfe gibt, sind die große Stärke dieses Bilderbuches. Auch mit Fünfjährigen kann man nämlich sehr wohl darüber reden. Genau dies macht auch das Nachwort der Kinderpsychotherapeutin Ina Knocks deutlich. Kinder brauchen in solchen Fällen die Wahrheit. Nicht über die Krankheit zu reden oder den Kindern zu verbieten, mit anderen darüber zu reden, hilft nicht, auch wenn man meint, die Kinder schützen zu müssen.

Das mag sich unglaublich schwierig und schier unmöglich anhören, doch mit der Lektüre von Anja Möbest und Barbara Korthues Bilderbuch ist der erste Schritt zu einem Dialog gemacht. Vielleicht fällt es danach Kind und Eltern leichter, den nächsten zu machen, und trotz der fiesen Krankheit bald wieder ein fröhliches Familienleben zu führen.

Anja Möbest: Als Mama nur noch traurig war. Wenn ein Elternteil an Depression erkrankt, Illustration: Barbara Korthues, Coppenrath, 2017, 32 Seiten, ab 4, 14,95 Euro

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Auf den Punkt gebracht

Zurzeit läuft im TV ein Werbespot der Initiative „Wir zusammen“, in der sich deutsche Unternehmen für die Integration von Flüchtlingen engagieren. Im Spot gehen, angefeuert von einem Ohrwurm-Song über die Freiheit, Menschen in Berlin in Massen auf die Straßen und treffen sich vor dem Dom. Aus der Vogelperspektive erkennt man, dass die pünktchenkleinen Menschen zwei Hände bilden, die aufeinander zugehen. Eine wichtige Willkommensgeste, die hoffentlich auch jenseits der glatten Werbewelt Wirkung zeigt.

Mich erinnert dieser Spot jedes Mal an das wunderschöne Bilderbuch Punkte von Giancarlo Macrì und Carolina Zanotti. Dort treffen die reichen, spaßhabenden schwarzen Punkte auf viele hungernde weiße Punkte. Die Weißen möchten zu den Schwarzen hinüber, doch die müssen erstmal nachdenken – die schwarzen Punkte finden sich zu einer schematischen Darstellung des Parlaments zusammen –, lassen dann ein paar Weiße zu sich, werden schließlich fast überrannt, so dass kein Platz mehr auf der Seite für alle ist. Eine Lösung muss her …

Diese offensichtliche Anspielung an die immer noch herrschende Flüchtlingskrise und die ausstehenden Lösungsansätze mag auf den ersten Blick naiv und zu schlicht erscheinen, doch beim genauen Nachdenken über den Lösungsansatz – die schwarzen Punkte gehen zu den weißen und helfen ihnen – entfaltet sich ein schier revolutionäres Potential.

Das liegt vor allem in dem Satz: „Zusammen schaffen wir so viele Dinge!“ Aus der Hilfe wird ein Gemeinschaftsprojekt, das niemanden übervorteilt oder bevormundet. Ein einzelner Punkt ist nichts. Man braucht Familie, Freund_innnen und Kolleg_innen, um nützliche, lebenswichtige und spaßmachende Dinge zu schaffen. Hier geht es nicht um Gewinnmaximierung und kapitalistische Ausbeutung, die in den Köpfen von erwachsenen Betrachter_innen schnell hochploppen mögen. Hier geht es um das Grundkonzept von Hilfe und Gemeinschaftlichkeit.

Würde uns gelingen, das in der Realität umzusetzen, ohne dass irgendeiner benachteiligt, unterdrückt, ausgebeutet oder mundtot gemacht würde, ohne dass profitgierige Manager, Banker oder machthungrige Politiker alles an sich reißen würden, es wäre ein Paradies. Und zwar weltweit.

Den Punkten geht es schließlich so gut, dass sie miteinander verschmelzen und am Ende zwei schwarz-weiße Punkte Hallo sagen. Und ohne viele Worte erzählen sie von der Utopie einer Welt ohne Grenzen, in der alle Menschen wirklich gleich sind, gleiche Rechte, gleiche Pflichten haben. Neid und Missgunst wären ausgerottet, ebenso der Fremdenhass, denn in jedem steckt ein Teil des anderen. Es könnte eigentlich so einfach sein …

Kleine Betrachter_innen, die im Kindergarten oder in der Schule mit geflüchteten Kindern in Kontakt kommen, können mit diesem eindrucksvollen Bilderbuch eine erste Erklärung für den fundamentalen Wandel finden, der in unserer Gesellschaft gerade abläuft. Vielleicht öffnen sich die nächsten Generationen dann viel selbstverständlicher den anderen Menschen, die so dringend unsere Hilfe brauchen. Und finden einen Weg, dass aus diese schöne Utopie Realität wird.

Giancarlo Macrì/Carolina Zanotti: Punkte, Übersetzung: Salah Naoura, Illustration: Clara Zanotti, Gabriel, 2017, 48 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

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Kämpfen für Gott

Das Lutherjahr ist im vollen Gange, Ausstellungen werden eröffnet, der evangelische Kirchentag gefeiert, Bücher publiziert, es wird dem Reformator gedacht.

Dass es in der Zeit vor 500 Jahren jedoch nicht nur Luther gab, der sich gegen die römisch-katholische Kirche auflehnte, zeigt eine Graphic Novel, die sich mit einer wahren Begebenheit aus dem
16. Jahrhundert befasst. In Gotteskrieger erzählen Autor Alexander Hogh und Illustrator Lukas Kummer die Geschichte des Schreiner Heinrich Gresbeck, der sich der Täufer-Bewegung in der Stadt Münster anschließt.

Aus wenigen überlieferten Fakten haben die Macher eine Geschichte rekonstruiert, die sich so oder ähnlich zugetragen haben könnte. 1534 – Luther hat seine Thesen längst veröffentlicht – geht es in Sachen rechter Glauben quasi drunter und drüber. Katholiken gegen Protestanten, Lutheraner, Calvinisten, Zwinglianer, dazwischen breitet sich seit 1525 das Täufertum aus, eine fundamentale Bewegung, die wieder wie die christliche Urgemeinde leben will. Das passt weder Katholiken noch Protestanten. Dennoch findet die Bewegung überall in Europa immer mehr Anhänger.

1534 übernehmen die Täufer das westfälische Münster und rufen das Täuferreich aus. Münster wird zum „Neuen Jerusalem“ erklärt. 16 Monate lange belagert ein Söldnerheer aus Katholiken und Protestanten die Stadt.

Hogh und Kummer erzählen aus der Sicht von Heinrich Gresbeck, der sich den Täufern anschließt, im Laufe der Belagerung jedoch auch die Schrecken und den Terror durch den Anführer der Täufer, Jan van Leiden, mitbekommt. Schließlich läuft Heinrich zu den Belagerern über.

Abgesehen davon, dass Hogh und Kummer mit Gotteskrieger eine spannende Geschichte gelungen ist, die Aufschluss gibt über die Wirren, die vor 500 Jahren in diesen Landen herrschten, schoss mir beim Lesen ständig der IS durch den Kopf.
Das, was vor 500 Jahren hier passierte, findet gerade im Nahen Osten auf eine vermutlich noch viel grausamere Art wieder statt.
Fanatiker, die meinen, den rechten Glauben zu vertreten, dann aber doch nur ihre eigenen Machtgelüste befriedigen zu wollen, ist also ein Phänomen, was es schon öfter gegeben hat und vermutlich immer wieder geben wird, so lange keine wirkliche Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen existiert.

So weist diese Graphic Novel nicht nur in die Vergangenheit und erinnert uns an vergessene Kapitel in unserer Geschichte, sondern sensibilisiert dafür, dass auch heute noch Glaubenskämpfe geführt und fanatische Gotteskrieger immer noch ihr Unwesen treiben.

Einziger – grafischer – Kritikpunkt, den ich an dieser Graphic Novel habe, ist das Lettering. Eigentlich kann man hier nicht von Lettering sprechen, sind die Texte in den Sprechblasen doch in einem serifenlosen Maschinenfont gesetzt (vermutlich Helvetica oder Geneva) . Das nimmt diesem hervorragend recherchierten und dokumentierten Werk leider ein wenig von seinem Wert und wirkt in meinen Augen zu billig. Sicher wäre auch eine mittelalterliche Frakturschrift nicht passend, weil viel zu schwer zu lesen, gewesen, doch eine etwas liebevollere Schrifttype hätte ich mir schon gewünscht, die Inhalt und Zeit wenigstens ein bisschen spiegelt und würdigt.

Alexander Hogh: Gotteskrieger. Eine wahre Geschichte aus der Zeit der Reformation, Illustration: Lukas Kummer, Tintentrinker Verlag, 2017,156 Seiten, ab 12, 20 Euro

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Sei, was du willst

hannibalPrinz Hannibal ist anders: Er wünscht sich Reifröcke und Fächer, Lauten und Schalmeien, statt Kettenhemden, Säbeln, Pauken und Trompeten.

So beginnt das grafisch modern-minimalistisch aufgemachte Bilderbuch Prinzessin Hannibal von Melanie Laibl und Michael Roher zu einem der wichtigsten Themen im Leben: Wer bin ich? Und wer möchte ich sein?

Prinz Hannibal jedenfalls möchte Prinzessin sein und nicht Prinz. Seine Eltern haben für solchen Firlefanz keine Zeit. Also fragt Hannibal seine sieben Schwestern um Rat und bekommt die besten Tipps aus altbekannten Grimm’schen Märchen: Tellerchen schrubben, auf einer Erbse nächtigen, einen Frosch küssen, sich die Haare zum ellenlangen Zopf wachsen lassen, eben alles, was man als Märchenprinzessin so durchmachen muss.

Schließich kommt Hannibal darauf, dass in jedem Prinzen auch ein Fünkchen Prinzessin steckt, das nur entzündet werden muss. Hannibal leiht sich sieben Sachen …

Autorin Melanie Laibl und Illustrator Michael Roher bringen hier schon sehr jungen Lesern mit dem Wechsel der Geschlechterrollen in Kontakt, ohne ein großes Drama daraus zu machen oder mit Moralkeulen oder irgendwelchen Zeigefingern zu wedeln. Ihnen kommt es darauf an zu zeigen, dass, wenn man wirklich will, man nämlich genau das sein kann, was man tief im Herzen eigentlich ist. Dabei darf man sich nur nicht von gleichgültigen Eltern oder überkommenen Märchen und überholten Regeln, die die Gesellschaft einem auftischt, in die Irre führen bzw. entmutigen lassen.
Sicher brauchen Kinder Märchen. Hier finden sie die sieben Klassiker, was einen gewissen Wiedererkennungseffekt und Spaß an der Erinnerung an diese Geschichten erzeugt. Kinder brauchen die Märchen aber auch, um diese zu überwinden, sie hinter sich zu lassen, um zu erkennen, dass sie nichts mit dem eigenen Leben gemein haben. Sie können Anregung sein, um zum eigenen Ziel zu kommen. Doch das Umdenken, den Umbruch, den Wandel im echten Leben nehmen sie einem nicht ab.

Dieses edle Bilderbuch ist grafisch ein Hinkucker, eine Mischung aus Collage, Malerei und Zeichnung (wenn ich das recht erkenne, verbessert mich, wenn ich falsch liege…). Hier sollte man wirklich auf die Details achten, um auch den Batman zu entdecken.
Für kleine Kinder vielleicht eine künstlerische Überforderung, doch in Kombination mit der Geschichte ein guter Anstoß, sich schon früh über seine (geschlechtliche) Identität Gedanken zu machen.

Melanie Laibl/Michael Roher: Prinzessin Hannibal, luftschacht, 2017, 32 Seiten, 22 Euro

Kinder brauchen Monster

monsterMein Neffe, 3, geht nirgendwohin ohne sein Monster. Das ist ein mittlerweile ziemlich verschlissenes Plüschgebilde, das wohl bald das Zeitliche segnet.

Neulich jedenfalls fand er bei mir das Pappbuch Monstermampf von Tobias Krejtschi. Keine Frage, dass es von vorn bis hinten gründlich unter die Lupe genommen wurde. Denn hier essen das Quadrat-Monster, das Kreis-Monster, das Dreieck-Monster und noch ein paar andere Monstergesellen nur speziell geformte Speisen. Auf dem Teller liegen jedoch verschiedenste Leckereien – der kleine Leser muss zuordnen, was das Monster wohl verdrückt.
Wie bei vielen Pappen heute üblich, lassen sich dann die Monsterbäuche aufklappen, sodass kontrolliert werden kann, ob man dem Monster auch das Richtige zu fressen angeboten hat. Das Erkennen von ganz einfachen Formen, bis hin zu etwas komplizierteren wie Halbmonden oder Herzen, funktioniert mit diesen roten Monstern ganz hervorragend.

Mein Herr Neffe jedenfalls war eifrig dabei und hatte nach ein paar Runden den Dreh raus. Und freute sich über die Wendung, die es beim Wurst-Monster zum Abschluss gab.

Dmonsterass Monster, oder auch T-Rex-Dinos, nicht immer das fressen wollen, was angeblich ihrer Natur entspricht, thematisiert hingegen das quietschbunte Bilderbuch T-Veg von Smriti Prasadam-Halls.
T-Rex Theobald hat keine Lust auf Fleisch, sondern steht viel eher auf Karotten-Torte, Blattspinat, Brokkoli, Mango, Pastinaken und Lauch. Theo ist mit anderen Worten ein ausgemachter Vegetarier. Das kommt bei der T-Rex-Sippe natürlich nicht gut an, die Eltern wundern sich, die anderen T-Rexe behaupten, Theo könne ja gar nicht mit ihnen mithalten, wenn er kein Fleisch esse. Irgendwann hat Theo die Schnauze voll und macht sich auf zu den Pflanzenfressern. Doch die rennen schreiend vor ihm weg… Ein echtes Dilemma, das aber schließlich ein harmonisches Ende findet.

Das Besondere an T-Veg ist der locker gereimte Text. Übersetzerin Kathrin Köller hat für Theos kulinarische Vorlieben ganz wunderbare Reime gefunden, die sich beschwingt vorlesen lassen und Theo zu einem überaus liebenswerten Helden machen.

Ob die Leser von Theobalds Geschichte nun zu Vegetarieren werden, wage ich zwar zu bezweifeln, aber auch über solch Essensvorlieben kann man kleine Menschen bereits für Toleranz gegenüber anderen sensibilisieren. Denn ob es später das Essen oder der Musikgeschmack ist, der bei anderen eben anders ist, ist eigentlich egal, Hauptsache, man hat sich lieb und akzeptiert den anderen, so wie er is(s)t.

monster

Ganz ohne Worte kommt schließlich Alice Hoogstad in ihrem Das kunterbunte Monsterbuch aus. Hier begleitet man ein kleines Mädchen, das in einer schwarzweißen Stadt anfängt, die Straße und die Häuser bunt zu bemalen.

Auf ein rotes Herz folgt ein feuriggelbroter Drache, dann ein sechsäugiger Lindwurm. Mit jeder Seite bringt die Künstlerin mehr Farbe in die Stadt – und die Monster erwachen zum Leben. Hand in Hand ziehen sie durch die Straßen, zum Erstaunen der Bewohner. Zwei weitere Kinder helfen dem Mädchen beim Malen.

Die Städter finden die bunten Gesellen so gar nicht passend und rüsten mit Wasserschlauch und Besen gegen sie. Doch die Monster greifen selbst zur Farbe, und plötzlich ist die ganze Stadt ein Farbenmeer.

Das passt den Spießern natürlich nicht, und so müssen die Kinder alles wieder sauber machen. Der Regen wäschst schließlich noch die letzten Farben davon…

Auf den wimmelartig gestalteten Doppelseiten gibt es in den Winkeln, Gassen und Häusern einiges zu entdecken. Die bunten Monster, die sich nicht in schwarze Umrandungen pressen lassen, übernehmen nach und nach das Geschehen und wirken dabei so anregend, dass vermutlich kein Kind die Finger wird still halten können. Die Seiten laden geradezu dazu ein, selbst zum Buntstift zu greifen und Farbe in die Stadt zu bringen.
Eine schönere Aufforderung, mit Farben zu arbeiten, sich nicht von irgendwelchen Spießern abhalten zu lassen, Kunst zu machen, gibt es, glaube ich, kaum. Und wenn das Monsterbuch am Ende dann wirklich kunterbunt ist, ist es vermutlich das schönste Kompliment für die Autorin.

Smriti Prasadam-Halls: T-Veg. Der fürchterliche Früchte-Fresser, Übersetzung: Kathrin Köller, Illustration: Katherina Manolessou, Prestel, 2017, 32 Seiten, ab 3, 12,99 Euro

Alice Hoogstad: Das kunterbunte Monsterbuch, Aracari, 2017, 32 Seiten, ab 3, 14,90 Euro

Tobias Krejtschi: Monstermampf, minedition, 2017, 22 Seiten, ab 2, 11,95 Euro

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Mehr Erna sein

ernaFast könnte die elfjährige Erna, die Heldin aus Anke Stellings erstem Kinderbuch, einem leid tun: Sie trägt einen altmodischen, total uncoolen Namen, wohnt mit Eltern und Bruder in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt und geht auf eine Gemeinschaftsschule.
Gemeinsamkeit ist wichtig, jedenfalls für die Elterngeneration in diesem Buch.

Erna hingegen findet, dass in diesem ganzen Gemeinsamkeitsdingens ziemlich viel ziemlich gemein ist. Meistens regt Erna sich dann auf und kann nicht ruhig bleiben, sondern mischt sich ein. Nur kommt das nicht immer gut an, weder bei den Erwachsenen noch bei den Freunden oder Mitschülern von Erna. Dann eckt Erna an.

Doch statt sich von Unverständnis oder fiesen Sprüchen abhalten zu lassen, zieht Erna stoisch ihr Ding durch: Sie schaut genau hin, sie überlegt, sie forscht nach, sie beschäftigt sich mit der Bedeutung von Wörtern. So wird das etymologische Lexikon zu ihrer liebsten Lektüre. Und zur Stütze, die ihr hilft, sich gegen die Scheinheiligkeit der Freundinnen zu wappnen oder die Widersprüchlichkeiten der Erwachsenen zu entlarven.

Erna tritt als schlaue Ich-Erzählerin auf, die ihre Umgebung genau analysiert, die aber dennoch mit sich und ihrem Körper hadert (angeblich ist der Umfang ihrer Oberschenkel zu groß). Sie durchschaut die Nachteile von Gemeinschaftsprojekten, sehnt sich manchmal nach einer konventionellen Schule und weigert sich dennoch, einen Mitschüler zu verpetzen, der Gemeinschaftseigentum beschädigt hat. Mit anderen Worten: Erna hat es nicht leicht, obwohl sie intelligent ist.

Und genau das macht Erna so unglaublich liebenswert. Sie könnte das Ebenbild vieler Mädchen sein, die sich kurz vor der Pubertät in einer höchst komplexen und widersprüchlichen Welt zurecht finden müssen. In einer Welt, wo gebildete Städter plötzlich ein alternatives Leben führen wollen, den Kindern in der Schule aber schon das Prinzip der Selbstoptimierung einzuhämmern versuchen. Sie erkennt, dass es keine absolute Wahrheit gibt, sondern sich jeder seinen eigenen kleinen wahren Kosmos zusammenzimmert.

Anke Stelling, die mit ihrem Roman Bodentiefe Fenster 2015 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, hat mit Erna einen wunderbar kritischen Geist geschaffen, den die heutige Jugend, die aktuelle Gesellschaft sehr gut gebrauchen kann. Wenn wir klagen, dass Politikverdrossenheit herrscht, dass die jungen Menschen gegen nichts mehr rebellieren, dass sie angepasst und eingespannt in das Leistungsprinzip sind, dann sollten wir uns alle eine Scheibe von Erna abschneiden. Wir sollten auf absurde Körpermaße pfeifen, kreativ und mitfühlend sein, und sehr viel mehr auf unsere Worte und deren eigentliche Bedeutung achten.

Vielleicht wäre die Welt ein besserer Ort, wenn wir alle ein bisschen mehr wären wie Erna.

Anke Stelling: Erna und die drei Wahrheiten, cbt, 2017, 240 Seiten, ab 11, 12,99 Euro

Kinder brauchen Tiere

schomburgKinder und Tiere gehen in den (sozialen) Medien ja bekanntlich immer. In Kombination sind sie eigentlich unschlagbar.

Drei wunderbare Kinder-Tier-Geschichten haben mich in den vergangenen Wochen bezaubert. Etwas länger harrt hier schon Chamäleon Ottilie. Es scheint fast, als habe sich das Bilderbuch von Andrea Schomburg so unsichtbar gemacht, wie deren Hauptdarstellerin … Nein, im Ernst: Andrea Schomburg erzählt von Paul und Anna Sausebier aus Bonn. Die beiden Geschwister wünschen sich sehnlichst ein Tier, aber es ist wie so oft, die Eltern sagen Nein: Tiere machen Dreck und alles kaputt, sind zu groß oder zu gefährlich. Kennt man ja, diese Bedenken.

Dabei hat sich bei Familie Sausebier schon seit einiger Zeit ganz unbemerkt das Chamäleon Ottilie eingenistet. Durch seine Mimikri-Funktion verschmilzt es mal mit dem Sofakissen, mal mit dem Teddybären, der Tapete oder dem Mantel der Tante. Bis es eines Tages zur Katastrophe kommt und das Karo-Muster von der Bettwäsche nicht mehr weggeht. Anna und Paul entdecken Ottilie sofort… Na, wenn das mal gutgeht!

Nicht nur die Wahl des Chamäleons als Haupt- und Haustier ist außergewöhnlich und eine Herausforderung für die kleinen Leser, denn sie müssen das Tierchen auf jeder Seite erst einmal ausfindig machen, auch die Reime von Andrea Schomburg sind ein weiteres Mal so famos und leicht fließend, dass es eine Freude ist, sie laut vorzulesen. Fast möchte man nach Ende der Lektüre ein Chamäleon als Haustier anschaffen!

Ein ganz anderes Haustier wird hingegen in Jan Bircks Buch Zarah & Zottel zur Rettung für die junge Heldin.
Zarah ist mit ihrer Mutter in eine neue Wohnung gezogen. Unten im Hof, wo die Kinder spielen, kennt sie noch niemanden – und niemand will mit ihr spielen.
Zarah wünscht sich dringend einen Freund, doch der ist hier erst mal nicht zu finden. Sie träumt von einem Pferd, denn sie steht auf Indianer, doch ein Pferd passt leider nicht in eine Etagenwohnung – aber vielleicht ein Pony, wenn es klein genug ist.

Am nächsten Tag macht sich Zarah zum „Laden für alles“ auf, und der patente Verkäufer weiß Rat bzw. hat ein zotteliges vierbeiniges Tier für sie. Zarah steigt auf und reitet auf Zottel nach Hause. Dass Zottel Pfoten statt Hufe hat, an der Ampel das Bein zum Pinkeln hebt und die Kinder im Hof über Zottel lachen, stört sie nicht. Zottel passt in den Aufzug und in die Wohnung. Nur leider hat Mama kein Geld, um Zottel zu bezahlen. Doch auch dieses Problem lässt sich lösen …

Mit dem Zottelponyhund zeigt Jan Birck jungen Lesenden, dass es in einer Freundschaft ganz und gar unwichtig ist, was man ist oder wo man herkommt. Zusammenhalt über die Grenzen von Anatomie oder Gattung ist wichtiger, als die genauen Definitionen von Herkunft und Abstammung. So kann ein Hund durchaus auch als Pony durchgehen, und was die Hautfarben von Menschen angeht, so sind die nicht der Rede wert, wie es Jan Birck hier ganz selbstverständlich macht. Dass ich das hier extra erwähnen muss, zeigt allerdings, dass es immer noch nicht normal und eben nicht selbstverständlich ist, dass eine Bilderbuchheldin eine dunklere Hautfarbe hat als ihre Mama und die Kinder im Hof. Von solchen Heldinnen sollte es viel mehr geben, so dass die Diversität unserer Gesellschaft in den Büchern tatsächlich ein Abbild findet.

So schön das Zusammenleben mit Tieren auch sein kann, irgendwann kommt unweigerlich der Tag, an dem die Hausgenossen sterben. Dann wird aus Freude plötzlich Trauer und man stolpert in die Trauerpfützen.

So erklärt es der Kinderarzt der kleinen Leni, deren Hund Frieda neulich gestorben ist, im Bilderbuch von Hannah-Marie Heine. Zuhause erinnert Leni vieles an Frieda, und schwupps laufen ihr schon wieder die Tränen aus den Augen und der Bauch zieht sich zusammen. Aber ganz schnell hopst Leni auch wieder aus der Trauerpfütze heraus, genießt ein Stück Zuckerkuchen von Oma und schaut in die Sterne. Von dort oben kuckt Frieda ihr vielleicht zu …

Einfühlsam zeigt Hannah-Marie Heine kleinen Tierfreundinnen, dass es ganz normal ist, dass man seinem vierbeinigen oder geflügelten Freund nachtrauert. Gefühlsschwankungen gehören zum Abschied dazu, aber nach der Trauer kommt auch die Freude wieder. Wenn man dann noch die Erinnerungen an das geliebte Tier in einen würdigen Rahmen kleidet, kann man sicher sein, dass es auch weiterhin bei einem ist.

Dass Verlust und Tod Teil unseres Lebens sind, erfahren Kinder hier durch ganz alltägliche Szenen – wunderbar lässig von Katharina Vöhringer gezeichnet –, und genau die können helfen, so schwierige Momente zu bewältigen, wenn die geliebten Tiere plötzlich nicht mehr da sind.

 

Andrea Schomburg: Neu in der Familie: Chamäleon Ottilie, Illustration: Barbara Scholz, Sauerländer, 2016, 32 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

Jan Birck: Zarah & Zottel – Ein Pony auf vier Pfoten, Sauerländer, 2017, 64 Seiten, ab 5, 9,99 Euro

Hannah-Marie Heine: Leni und die Trauerpfützen, Illustration: Katharina Vöhringer, Kids in Balance, 2017, 40 Seiten, ab 4, 14,95 Euro

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Brüderlicher Beistand

gonzoSeit einiger Zeit stehen die Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2017 fest, worauf ich hier bis jetzt noch gar nicht eingegangen bin. Meine Mitbloggerinnen und ich haben natürlich nicht alle ausgewählten Bücher vorgestellt, aber für dieses Mal doch eine ganz gute „Trefferquote“ erreicht. Von den 28 nominierten Titeln haben wir immerhin sechs besprochen (Thé Tjong-Khings Hieronymus, Taran Björnstads Der Krokodildieb, Anna Woltz‘ Gips, Que Du Luus Im Jahr des Affen, Sarah Crossans Eins und Steven Herricks Wir beide wussten, es war was passiert.
Diesen und den anderen Nominierten sei hier – am Welttag des Buches – mit Verspätung herzlich gratuliert! Ich bin gespannt, wie sich die Jurys  dieses Jahr entscheiden.

Die Nominiertenliste ist für mich dann neben dieser Rückschau auch immer ein Anreiz, das nachzuholen, was ich im vergangenen Jahr versäumt habe. Gerade habe ich Dave Cousins Warten auf Gonzo, in der wunderbaren Übersetzung von Anne Brauner, beendet – und bin noch ganz selig berauscht.

Cousins, von dem ich vor zwei Jahren 15 kopflose Tage besprochen habe, widmet sich in seinem Roman, der in England bereits 2012 erschienen ist, dem Thema der Teenie-Schwangerschaft. Allerdings macht er das nicht auf voyeuristisch-betroffenheits-heischend-anklagende Art, sondern auf seine ganz spezielle, überaus komisch-liebenswerte Weise. Er wählt für dieses doch sehr weibliche Thema nämlich die Perspektive des 15-jährigen Ich-Erzählers Oz. Seines Zeichens Bruder von Meg, die mit 17 ein Kind von ihrem Ex-Freund erwartet.

Oz ist das, was man landläufig wohl eher als Loser bezeichnen würde. An der neuen Schule – er ist gerade mit seiner Familie irgendwo aufs Land in Nordengland gezogen – fällt er sofort auf, weil er den Rucksack mit der Schmutzunterwäsche seiner Schwester dabei hat, weswegen ihm umgehend der Spitzname „Slips“ verpasst wird. Davon ist nur schwer wieder runterzukommen, vor allem, wenn man sich dann mit dem Obernerd der Schule anfreundet, der auf Fantasy und Rollenspiele steht, sich die angebliche Schulpsychopatin zur Feindin macht und irgendwann das Handy mit all seiner Lieblingsmusik und kompromittierenden Fotos vom Obernerd verliert. Das pubertäre Schulelend nimmt unaufhaltsam seinen Lauf – so dass man Warten auf Gonzo auf den ersten Seiten zunächst für einen witzigen, aber relativ gewöhnlichen Schulroman halten könnte.

Doch Cousins Roman ist alles anderes als das: Als Oz per Zufall herausfindet, dass seine Schwester Meg schwanger ist, bekommt die Erzählung einen soghaften Drive. Denn Oz wundert sich zwar über seine Schwester, aber er verurteilt sie nicht. Viel mehr fängt er an, in seinen Gedanken mit dem Ungeborenen, das er Gonzo nennt zu kommunizieren. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie schildert Oz die Entwicklung in seinem Leben und dem seiner Familie, die mit dem kommenden Neuzuwachs einhergeht. Das sind keine dramatisch-überzogenen Ereignisse, doch allein, dass Meg eine Abtreibung plant, macht Oz schon ziemlich fertig.

Cousin hat hier einen Roman vorgelegt, der sich dadurch absetzt, dass er nicht die Perspektive und das Innenleben eines schwangeren Teenagers offenlegt und diskutiert. Gerade dadurch, dass er den frechen jüngeren Bruder in den Fokus rückt, bekommt die Geschichte eine angenehme Leichtigkeit, die aber dennoch die Schwierigkeiten einer Teenie-Schwangerschaft spiegelt. Meg nimmt das Ganze mitnichten auf die leichte Schulter. Ihr Hadern und ihre Verzweiflung bekommt Oz unmittelbar mit – und steht seiner Schwester dabei auf aller großartigste Weise zur Seite.Durch seine lakonisch-ironischen Kommentare trägt er schließlich zu Megs endgültiger Entscheidung bei.

Ohne erhobenen Zeigefinger oder Besserwisserei feiert Cousins das Leben. Er stellt sich ohne wenn und aber hinter seine jugendlichen Helden, so dass man als Leserin sowohl Oz, als auch Meg ins Herz schließt und beiden sagen möchten, dass sie das alles echt cool meistern.

Das Einzige, was ich mich nach der Lektüre gefragt habe, ist, wer dieses Buch wohl liest? Es ist zielgruppentechnisch ein echtes Rätsel: 15-jährige Jungs werden sich wohl kaum freiwillig für schwangere Mädchen interessieren, schwangere Teenager hingegen werden ganz andere Sorgen haben und in ihrer Lage vermutlich nicht noch ein Buch über eine Teenie-Schwangerschaft lesen, und schon gar nicht eins, das aus Sicht eines frechen Bruders erzählt ist. Erwachsene, die all diese Problemzeiten lange hinter sich gelassen haben, werden die Geschichte vermutlich lieben. Aber werden sie sie im Jugendbuchbereich auch finden?

Umso großartiger und verdienstvoller finde ich den Mut des Verlages, Warten auf Gonzo herausgebracht zu haben. Durch die Nominierung zum Jugendliteraturpreis in der Sparte Jugendbuch, in der Erwachsene die Wahl treffen, ist jetzt jedenfalls schon mal für die Aufmerksamkeit gesorgt. Und das hat diese Geschichte richtig verdient.

Dave Cousins: Warten auf Gonzo. Jeder kann einen Fehler machen. Um alles zu versauen, muss man ein Genie sein, Freies Geistesleben, 2016, Übersetzung: Anne Brauner, 304 Seiten, ab 12, 19,90 Euro

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Frühjahrslesetage in Hamburg

lutherIn Hamburg gibt es ja so einige Lesefeste, das Harbour Front Literaturfestival, die Lange Nacht der Literatur und Lesefeste der Seiteneinsteiger, allesamt im Herbst. Nun versucht Rainer Moritz, der Chef des Hamburger Literaturhauses, ein neues Leseevent im Frühjahr zu platzieren. Vom 20. bis 26. April 2017 finden die „High Voltage“-Lesetage zum ersten Mal an verschiedenen Orten in der Hansestadt. Zwölf Veranstaltungen soll es insgesamt geben, unterstützt vom Stromnetz Hamburg.

Letzteres erinnert natürlich an die Vattenfall Lesetage, die nach heftiger Kritik wegen Greenwashing und Markenbranding 2013 zum letzten Mal stattfanden. Bereits 2011 gab es die 1. Anti-Vattenfall-Lesung, aus ihr entstanden die Lesetage „Lesen ohne Atomstrom“, die gerade zum 7. Mal stattgefunden haben – allerdings ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit (an mir sind sie komplett vorbei gegangen…). Das lag vielleicht daran, dass nur sieben Lesungen stattfanden, die keine Kinder- und Jugendliteratur beinhalteten.

Anders sieht es bei den High Voltage Lesetagen aus. Die zwölf Veranstaltungen sind zu gleichen Teilen Kinderbüchern und Erwachsenenlektüre gewidmet. Eine ganz wunderbare Aufteilung, wie ich finde. So lesen immer vormittags Maja Nielsen, Ute Wegmann, Joachim Hecker, Uticha Marmon, Arne Rautenberg und Jan von Holleben für Kinder zwischen 6 und 12 Jahren. Abends kann man Jostein Gaarder, Clemens Meyer, Sarah Bakewell, Zsuzsa Bánk oder Eva Menasse lauschen.

Zwei Bücher aus dieser kleinen, aber feinen Kinderbuch-Auswahl haben es mir angetan – und wenn ich nicht anderweitig vergeben wäre, würde ich zu den beiden Lesungen gehen. Passend zum Lutherjahr darf der Reformator natürlich nicht fehlen. Maja Nielsen hat ihm in ihrer Reihe „Abenteuer! Maja Nielsen erzählt“ einen Band gewidmet. Sie schildert das Leben von Luther in klar verständlichen Sätzen, erzählt von dem Leben vor 500 Jahren und macht die Zweifel und Ängste Luthers anschaulich, die ihn schließlich dazu brachten, sich gegen die katholische Kirche aufzulehnen. Margot Käßmann, Lutherbotschafterin 2017, liefert in kurzen Statements die heutige Sicht der Evangelischen Kirche zu ihrem Gründungsvater. Auch dies macht ganz gut deutlich, wie sehr eine Kirche und der Glauben auch in heutiger Zeit immer im Wandel sind.
Fotos von Luthers Wirkungsorten, Illustrationen von Anne Bernhardi und die Abbildungen von vielen Gemälden und Stichen zeigen Luther auf vielfältige Art, so dass sich schon für junge Lesende ein differenziertes Bild des Reformators ergibt.

wegmannEinen Tag nach Maja Nielsen liest Ute Wegmann aus ihrem Kinderbuch Dunkelgrün wie das Meer, das mir vergangenes Jahr leider durch die Lappen gegangen ist. Mit umso mehr Freude habe ich die zarte Geschichte von Linn jetzt gelesen.
Die Sommerferien stehen vor der Tür. Linn fährt wie jedes Jahr mit den Eltern nach Holland in ein Schiffshaus am Meer. Doch dieses Mal ist es nicht so schön wie sonst. Papa muss noch mal zurück in die Stadt, wegen der Arbeit. Mama ist sauer. Und auch Linns Ferienfreundin Smilla will dieses Mal gar nichts von ihr wissen.

Linn erkennt, dass auch in den Ferien nicht immer alles schön und unbeschwert ist. Manche Probleme von zu Hause verfolgen einen bis an den Strand. Vor lauter Kummer macht Linn einen langen Spaziergang und wird schließlich von einem heftigen Gewitter überrascht.

Ute Wegmann paart in ihrem Text die sommerliche Ferienhitze mit dem Unbehagen Linns über all die Veränderungen und schafft trotz der Trauer, die Linn empfindet, eine poetische Stimmung. Diese wird von den zarten dunkelgrün und orangen Illustrationen von Birgit Schössow ganz zauberhaft eingefangen. Man ahnt, dass es für Linn noch ein glückliches Ende gibt, auch wenn diese Erfahrung sie ein Stück reifer hat werden lassen.

Zwei ganz unterschiedliche Bücher, die jedoch die wunderbare Bandbreite des neuen Lesefests spiegeln. Möge es für die Macher von High Voltage diesmal keinen Ärger wegen ihres Sponsors geben. Ich werde das jedenfalls verfolgen.

Am 20. April liest Maja Nielsen um 10 Uhr in der Bramfelder Chaussee 130 in Hamburg, im Haus 12 des Betriebshof Stromnetz Hamburg. Ute Wegmann liest am 21. April um 10 Uhr am selben Ort. Der Eintritt kostet jeweils 4 Euro.

Das gesamte Programm der High Voltage Frühjahrslesetage findet sich hier.

Maja Nielsen: Martin Luther. Glaube versetzt Berge, Gerstenberg, 2016, 62 Seiten, ab 11, 12,95 Euro

Ute Wegmann: Dunkelgrün wie das Meer, Illustration: Birgit Schössow, dtv, 2016, 80 Seiten, ab 8, 12,95 Euro

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Vom preisgekrönten Sinn und Unsinn im Leben

erlbruchDiese Woche läuft in Bologna die Kinderbuchmesse – und jeder Buchmensch, der sich mit Kinder- und Jugendbüchern beschäftigt, ist entweder dort oder beobachtet aus der Ferne die Geschehnisse.

Dieses Jahr habe ich es leider nicht in dieses Geschichten- und Illustrationsparadies geschafft und bekomme die News also nur über die Medien. Eine schöne gab es gestern: Der Illustrator und Kinderbuchautor Wolf Erlbruch ist dieses Jahr mit dem hoch geschätzten und hoch dotierten Astrid Lindgren Memorial Award (ALMA) ausgezeichnet worden. Herzlichste Glückwünsche!

Die meisten werden Erlbruch sicherlich mit dem Maulwurf verbinden, der das Dilemma auf seinem Kopf klären will, ich hingegen habe ihn durch zwei andere kleine Bücher kennengelernt.
Seine visuelle Interpretation des Goeth’schen Hexen-Einmal-Eins fasziniert mich immer wieder. So kryptisch wie die Reime des Geheimrats, die einem so sanft von der Zunge gehen und doch keinen eigentlichen Sinn ergeben, so geheimnisvoll sind auch die Collagen, die Erbruch dazugestellt hat. Mechanische Figuren, ein rauchender Seemann mit einem überlangen Boot unter dem Arm, Boxer, eine schöne Frau, eine Gänse-Fünf, der Sensenmann … es ist herrlich. Auf wenigen Seiten gibt es viel zu entdecken, und seien es die Zahlenkolonnen und die französischen Worte in den Papierschnipseln.
Und ganz ohne Sinn füllt sich der Geist des Lesers und Betrachters mit Klang und Bildern. Man fängt an zu träumen und zu staunen. Ganz leicht, ganz schön.

erlbruchDer Gans und dem Sensenmann begegnet man dann in dem Büchlein Ente, Tot und Tulpe wieder, das Erlbruch sowohl als Autor wie als Illustrator geschaffen hat. Das Zwiegespräch, das die Ente (die für mich eher wie eine Gans aussieht) hier auf wenigen Seiten mit dem Gevatter Tod führt, ist so rührend und voller Essenz, dass ich bei jeder Lektüre wieder schlucken muss. Doch ist in dieser Begegnung der beiden auch so viel Tröstliches, dass der Tod am Ende wie ein guter Freund dasteht.

Die philosophische Tiefe, mit der Erlbruch hier über die Allgegenwart des Todes, seines Dazugehörens zum Leben und dem Verschwinden der Welt nach dem Tod hier erzählt, ist meiner Ansicht nach, so auf den Punkt gebracht, dass man sich lange Abhandlungen von Philosophen durchaus schenken kann. Die Seitenhiebe des Todes auf christliche Glaubensüberzeugungen, was den Tod angeht, sprechen mir persönlich aus der Seele. So stößt er im Vorbeigehen auch noch das Nachdenken über den Unterschied zwischen Glauben und Wissen an.

In diesem Meisterwerk verliert der Tod seinen Schrecken. Die Gans hat das große Glück, sanft einzuschlafen. Denn die Grausamkeit des Sterbens bleibt ein Teil des Lebens und kommt in Form von Unfall oder schlimmem Schnupfen. Das ist dann aber eine andere Geschichte. Der Tod hingegen, der der toten Ente eine Tulpe mit auf den letzten Weg gibt, ist ein gutmütiger Geselle.

Ein besseres Trostbuch für kleine und große Menschen ist mir bis jetzt noch nicht untergekommen. Dafür sage ich Danke, Wolf Erlbruch!

Wolf Erlbruch/Johann Wolfgang von Goethe: Das Hexen-Einmal-Eins, Hanser, 2016, 32 Seiten, ab 3, 7,90 Euro

Wolf Erlbruch: Ente, Tod und Tulpe, Kunstmann, 2007, ab 4, 32 Seiten, 14,90 Euro