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Frühjahrslesetage in Hamburg

lutherIn Hamburg gibt es ja so einige Lesefeste, das Harbour Front Literaturfestival, die Lange Nacht der Literatur und Lesefeste der Seiteneinsteiger, allesamt im Herbst. Nun versucht Rainer Moritz, der Chef des Hamburger Literaturhauses, ein neues Leseevent im Frühjahr zu platzieren. Vom 20. bis 26. April 2017 finden die „High Voltage“-Lesetage zum ersten Mal an verschiedenen Orten in der Hansestadt. Zwölf Veranstaltungen soll es insgesamt geben, unterstützt vom Stromnetz Hamburg.

Letzteres erinnert natürlich an die Vattenfall Lesetage, die nach heftiger Kritik wegen Greenwashing und Markenbranding 2013 zum letzten Mal stattfanden. Bereits 2011 gab es die 1. Anti-Vattenfall-Lesung, aus ihr entstanden die Lesetage „Lesen ohne Atomstrom“, die gerade zum 7. Mal stattgefunden haben – allerdings ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit (an mir sind sie komplett vorbei gegangen…). Das lag vielleicht daran, dass nur sieben Lesungen stattfanden, die keine Kinder- und Jugendliteratur beinhalteten.

Anders sieht es bei den High Voltage Lesetagen aus. Die zwölf Veranstaltungen sind zu gleichen Teilen Kinderbüchern und Erwachsenenlektüre gewidmet. Eine ganz wunderbare Aufteilung, wie ich finde. So lesen immer vormittags Maja Nielsen, Ute Wegmann, Joachim Hecker, Uticha Marmon, Arne Rautenberg und Jan von Holleben für Kinder zwischen 6 und 12 Jahren. Abends kann man Jostein Gaarder, Clemens Meyer, Sarah Bakewell, Zsuzsa Bánk oder Eva Menasse lauschen.

Zwei Bücher aus dieser kleinen, aber feinen Kinderbuch-Auswahl haben es mir angetan – und wenn ich nicht anderweitig vergeben wäre, würde ich zu den beiden Lesungen gehen. Passend zum Lutherjahr darf der Reformator natürlich nicht fehlen. Maja Nielsen hat ihm in ihrer Reihe „Abenteuer! Maja Nielsen erzählt“ einen Band gewidmet. Sie schildert das Leben von Luther in klar verständlichen Sätzen, erzählt von dem Leben vor 500 Jahren und macht die Zweifel und Ängste Luthers anschaulich, die ihn schließlich dazu brachten, sich gegen die katholische Kirche aufzulehnen. Margot Käßmann, Lutherbotschafterin 2017, liefert in kurzen Statements die heutige Sicht der Evangelischen Kirche zu ihrem Gründungsvater. Auch dies macht ganz gut deutlich, wie sehr eine Kirche und der Glauben auch in heutiger Zeit immer im Wandel sind.
Fotos von Luthers Wirkungsorten, Illustrationen von Anne Bernhardi und die Abbildungen von vielen Gemälden und Stichen zeigen Luther auf vielfältige Art, so dass sich schon für junge Lesende ein differenziertes Bild des Reformators ergibt.

wegmannEinen Tag nach Maja Nielsen liest Ute Wegmann aus ihrem Kinderbuch Dunkelgrün wie das Meer, das mir vergangenes Jahr leider durch die Lappen gegangen ist. Mit umso mehr Freude habe ich die zarte Geschichte von Linn jetzt gelesen.
Die Sommerferien stehen vor der Tür. Linn fährt wie jedes Jahr mit den Eltern nach Holland in ein Schiffshaus am Meer. Doch dieses Mal ist es nicht so schön wie sonst. Papa muss noch mal zurück in die Stadt, wegen der Arbeit. Mama ist sauer. Und auch Linns Ferienfreundin Smilla will dieses Mal gar nichts von ihr wissen.

Linn erkennt, dass auch in den Ferien nicht immer alles schön und unbeschwert ist. Manche Probleme von zu Hause verfolgen einen bis an den Strand. Vor lauter Kummer macht Linn einen langen Spaziergang und wird schließlich von einem heftigen Gewitter überrascht.

Ute Wegmann paart in ihrem Text die sommerliche Ferienhitze mit dem Unbehagen Linns über all die Veränderungen und schafft trotz der Trauer, die Linn empfindet, eine poetische Stimmung. Diese wird von den zarten dunkelgrün und orangen Illustrationen von Birgit Schössow ganz zauberhaft eingefangen. Man ahnt, dass es für Linn noch ein glückliches Ende gibt, auch wenn diese Erfahrung sie ein Stück reifer hat werden lassen.

Zwei ganz unterschiedliche Bücher, die jedoch die wunderbare Bandbreite des neuen Lesefests spiegeln. Möge es für die Macher von High Voltage diesmal keinen Ärger wegen ihres Sponsors geben. Ich werde das jedenfalls verfolgen.

Am 20. April liest Maja Nielsen um 10 Uhr in der Bramfelder Chaussee 130 in Hamburg, im Haus 12 des Betriebshof Stromnetz Hamburg. Ute Wegmann liest am 21. April um 10 Uhr am selben Ort. Der Eintritt kostet jeweils 4 Euro.

Das gesamte Programm der High Voltage Frühjahrslesetage findet sich hier.

Maja Nielsen: Martin Luther. Glaube versetzt Berge, Gerstenberg, 2016, 62 Seiten, ab 11, 12,95 Euro

Ute Wegmann: Dunkelgrün wie das Meer, Illustration: Birgit Schössow, dtv, 2016, 80 Seiten, ab 8, 12,95 Euro

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Lob der Freundschaft

die besten Freunde der WeltNeulich hörte ich einen für mich neuen Begriff: Helikopter-Eltern. Damit sind Väter und Mütter gemeint, die sich überführsorglich um das Wohl der Sprösslinge sorgen und ständig über sie wachen, damit ihnen ja kein Leid zustoße. Dass das auf die Dauer nicht immer hilfreich ist, kann man sich fast denken.

Nun ist mir zu diesem Begriff das entsprechende Kinderbuch unter die Nase gekommen: Die besten Freunde der Welt von Ute Wegmann. Darin erzählt die Autorin von Fritz und Ben. Ich-Erzähler Fritz hat ständig was um die Ohren, jeden Nachmittag Termine, Termine, Termine: Tennis, Fußball, Schlagzeugunterricht, Nachmittage im Park oder bei den Großeltern. Nur sonntags verbringt er ganz entspannt mit seinen Eltern und fragt sie Löcher in den Bauch. Ganz anders ist das bei Ben: Der hat gar keine Termine, geht nirgendwohin, liest dafür jede Menge Bücher und kann sich alles merken. Ben hatte als Baby einen Herzklappenfehler, und seine Mutter hat sich auch Jahre später noch nicht davon erholt und hält den Jungen von allem ab, was auch nur im Geringsten anstrengend sein könnte, obwohl er mittlerweile kerngesund ist. Dabei würde Ben gern Fußballspielen, Tennis lernen, mit der Schulklasse am Schwimmunterricht teilnehmen, das Seepferdchen machen und nicht immer am Rand sitzen und der ewige Außenseiter sein. Doch die Mutter verbietet es. Zum Glück gibt es Fritz, der seinen besten Freund dabei unterstützt, dem Radar dieser Helikopter-Mutter wenigstens ab und zu zu entfliehen. Und so versucht er, in der wenigen Zeit, die er zwischen seinen Terminen hat, Ben das Schwimmen beizubringen. Das ist nicht ganz einfach, denn Ben hat Angst vor Wasser. Doch ganz behutsam führt Fritz ihn an das nasse Element heran, von der Badewanne über das Babybecken im Schwimmbad bis zum großen Becken. Und auch wenn Ben seine Angst nur sehr langsam überwindet und immer wieder Rückschläge erlebt, verliert Fritz nie die Geduld und hält unerschütterlich zu ihm.  Alles passiert heimlich, ohne dass die Eltern der Jungen etwas mitbekommen. Und gerade das schweißt die beiden noch fester zusammen.

Ute Wegmann ist eine entzückende Hymne auf die Freundschaft gelungen, in der sie zwei völlig unterschiedliche Charaktere zusammenbringt, die sich durch nichts unterkriegen lassen. Sie zeigt, dass gute Freunde sich manchmal besser kennen und die Bedürfnisse und Wünsche des anderen viel nachhaltiger befriedigen können als Eltern. Dabei handelt es sich hier keinesfalls um Rabeneltern, sondern Wegmann porträtiert einen Eltern-Typus, der scheinbar gerade immer mehr in Mode kommt. Erwachsenen Lesern hält sie damit einen Spiegel vor, ihrer Zielgruppe, 8-jährigen Jungs, zeigt sie hingegen, dass man sich dem elterlichen Überwachungssystem mit Mut, Cleverness und Spaß auch mal entziehen kann und sollte. Denn das stärkt ganz klar das Selbstbewusstsein und macht stolz –schlussendlich auch die Eltern.

Sehr charmant finde ich in der Geschichte zudem noch die Mutter von Fritz. Ruby ist Britin, spricht ständig Englisch und ein nicht ganz korrektes, aber überaus apartes Deutsch. Ihre englischen Sätze bleiben zum Teil einfach so stehen, werden nicht sklavisch übersetzt, sondern erklären sich durch die Zusammenhänge der Szenen von selbst. Das grammatisch nicht korrekte Deutsch verpasst ihr einen authentischen Anstrich und macht sie zu einer total coolen Mutter-Figur.

Ergänzt wird der Roman von den zarten Illustrationen von Sabine Wilharm, die schon die deutsche Harry-Potter-Ausgaben gestaltet hat. Sie verleihen der Geschichte ein ganz muckeliges Gefühl – wie die Schlafanzüge der Jungs nach dem Baden …

Ute Wegmann: Die besten Freunde der Welt,  Illustrationen: Sabine Wilharm, dtv, Reihe Hanser, 2012, 205 Seiten, ab 8, 12,95 Euro