Jedem Ende wohnt ein Maulzauber inne

maulina 3Nein, man möchte das nicht. Dass es vorbei ist. Mit Maulinas Mama und mit dieser Geschichte. Man wünscht Maulina ein maultastisches Happy End. Und man möchte unbedingt und auf jeden Fall wissen, wie es mit Maulina weitergeht. Aber irgendwann hat alles ein Ende. Jetzt ist der letzte Teil von Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt von Finn-Ole Heinrich erschienen. Man weint nicht nur, weil darin Maulinas Mama schließlich wirklich stirbt.

Noch ein drittes Mal erzählt Maulina von ihrem Leben in Plastikhausen, ihrer kranken Mama, die immer schwächer wird, von ihrem Freund Paul und dessen Hund Kurt, vom General für Käse und dem Maulzauber. Das Leben schreitet voran, unerbittlich, und doch auch zauberhaft, liebens- und lebenswert. Maulina redet wieder mit dem Mann. Dieser ist mittlerweile zum zweiten Mal Vater geworden, von den Zwillingen Theo und Ron. Nur deren Mutter, der „Flamingo“, raubt Maulina noch den letzten Nerv.
Aus dem Dachboden über Mauldawien hat Maulina Maultropolis gemacht und baut dort ein Museum für Mama, in dem sie alle möglichen Erinnerungsstücke – vom Schal bis zur Haarlocke – sammelt.
Bei allen Veränderungen, den guten, wie den schlechten, steht Paul ihr rührend und unerschütterlich zur Seite, ebenso wie Ludmilla und der General für Käse. Maulina verliert ihre Mama, und das ist an Traurigkeit nicht zu überbieten. Aber sie kann auf ein dichtes Netz an Menschen zählen, die ihr Halt geben.

Maulinas Schicksal wünscht man keinem Kind, egal, wie alte es ist. Und doch genau diese Dinge passieren. Täglich. Und als Erwachsener steht man da und fragt sich, wie Trost möglich sein kann. Finn-Ole Heinrich zeigt eine mögliche Art von Trost und Trauer: erinnern, feiern, maulen. Das hört sich hier vielleicht ziemlich schräg an, aber so wie Heinrich das Maulina erzählen lässt, überzeugt es sofort. Jedenfalls mich.

Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt finden mit Ende des Universums ein würdiges Ende. Das geht allerdings nicht ohne Tränen. Das Herz scheint zu reißen, gleichzeitig ist es erfrischt und hoffnungsfroh. Maulina – das ist mal klar – vergisst man nicht so schnell, dafür vermisst man sie bereits, sobald die letzte Seite gelesen ist.

Bleibt nur noch zu sagen, dass die Illus von Rán Flygenring wieder einmal ganz wunderbare Ergänzungen, Leckerbissen und Schauzeug bieten. Und die liefern bei all der Trauer und Schwere die richtige Portion an visueller Leichtigkeit.

Finn-Ole Heinrich: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Das Ende des Universums, Illustrationen: Rán Flygenring, Hanser Verlag, 2014, 192 Seiten, 12,90 Euro

Akustischer Maulzauber

maulinaMittlerweile sollte klar sein, dass ich absoluter Fan von Maulina Schmitt und ihrem Schöpfer Finn-Ole Heinrich bin, was an den Beiträgen auf diesem Blog hier, hier und hier ziemlich offensichtlich ist. Jetzt leg ich noch mal nach, denn neulich trudelte zum einen zu meiner großen Überraschung das Hörbuch zum zweiten Teil von Maulinas Geschichte ein. Zum anderen haben Finn-Ole Heinrich und Rán Flygenring heute den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis erhalten. Doppelte Freude total! Und maultastische Glückwünsche an die beiden!

Obwohl ich Maulinas neue Erlebnisse, ihr Leben in Plastikhausen, die Verschlechterung von Mamas Gesundheitszustand, ihre Freundschaft zu Paul und ihr schwieriges Verhältnis zu dem Mann, schon kannte, hat mir die Hörversion noch einmal die Feinheiten, den Witz und die Wortgewandtheit von Finn-Ole Heinrich verdeutlicht.
Wie schon bei Teil eins ist es auch hier wieder Sandra Hüller, die perfekte Arbeit leistet. An den richtigen Stellen liest sie nüchtern, fast sachlich, dann wieder mault sie anständig. Sie trifft die leisen Töne, wenn es traurig wird, lässt gleichzeitig die Hoffnung durchschimmern, an die Maulina sich heldinnenhaft klammert. Allem verleiht sie den gehörigen Respekt, so dass Maulina nie albern wirkt. Stattdessen möchte man beim Hören Maulina ständig in den Arm nehmen, mit Pauls Brauseeis trösten und ihr für ihren Mut und ihre Kraft danken, mit dem sie jeden Leser und Zuhörer ansteckt.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Die Kombination aus Finn-Ole Heinrich und Sandra Hüller ist der Knaller. Maulina Schmitt ist herzerfrischende und herzzerreißende Literatur, die mit Leichtigkeit die Untiefen des Daseins auslotet und trotz aller Klippen dem Leben eine der schönsten Liebeserklärungen macht.

Finn-Ole Heinrich: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Warten auf ein Wunder, Sprecherin: Sandra Hüller, Hörcompany, 2014, 150 Minuten, ab 10, 14,95 Euro

 

Maulinas Stimme

MaulinaNachdem ich neulich Maulina von Finn-Ole Heinrich und Rán Flygenring hier vorgestellt habe, bekam ich das Angebot, auch das Hörbuch zu rezensieren. Zunächst war ich etwas skeptisch, weil bei einem Hörbuch ja die visuelle Ebene der Illustrationen wegfallen würde – und die sind bei Maulina nun einmal ein sehr wichtiger Teil. Doch dann  habe ich mich auf dieses – nennen wir es mal – Experiment eingelassen.

Normalerweise höre ich Bücher immer abends im Bett zur Entspannung und komme so in den Genuss von so manchem Buch, für das ich sonst lesetechnisch keine Zeit hätte. Meistens schlafe ich über den vorgelesenen Texten ein – was jedoch eher an mir, als an den Büchern liegt.
Maulina habe ich nicht im Bett gehört. Eigentlich wollte ich erstmal nur kurz reinhören, da ich die Geschichte ja schon kannte, um festzustellen, ob mir die Stimme, die da liest überhaupt gefällt.

Sie hat mir gefallen, und zwar so sehr, dass ich ich die erste von den zwei CDs in einem Rutsch durchgehört habe. Denn – von wegen ich kenne die Geschichte – so vorgelesen, fielen mir auf einmal wieder zig wunderbare Wörter und Sätze, Wendungen und Ideen von Finn-Ole Heinrich auf, die mich sofort und erneut in den Bann gezogen haben. Zudem verband sich die Stimme von Sandra Hüller aufs Herrlichste mit der Figur Maulina.

Die etwas tiefere und zum Glück nicht mädchenhaft quietschende Stimme der Schauspielerin, die ich vor allem aus dem eindrucksvollen Film Requiem kenne, schenkt Maulina eine sehr passende akustische Ebene. Sie ist cool und sanft, strunztrocken und maulend zugleich, ohne es zu übertreiben. Die Betonungen der Sätze stimmt perfekt, und Maulina, ihr Mauldawien, Paul und Plastikhausen werden überaus lebendig und plastisch. Maulinas gesamtes Unglück trifft so noch einmal ganz unmittelbar ins Herz des Zuhörers. Man lacht und man weint, und das ist groß.

Was mir an Sandra Hüllers Leseweise besonders gefallen hat, war die Professionalität des Vortrags. Weder schnaufen, noch atmen, noch unangenehm-zischende S-Laute sind zu hören. Das mag für eine Schauspielerin vielleicht selbstverständlich sein, aber ich habe schon so viele Hörbücher und -proben erlebt, wo genau das mir die Texte und den Vortrag verdorben hat. Hier jedenfalls stört nichts, sondern man wird von Sandra Hüller auf die beste und fesselndste Art mit nach Mauldawien genommen. So bleibt mir nur zu hoffen, dass sie neben den kommenden Maulina-Bänden noch viele weitere Bücher einliest, über denen ich im Bett dann ganz bestimmt nicht einschlafen werde.

Nachtrag am 23.10.2014: Sandra Hüller bekommt den BEO 2014 in der Kategorie II, 7-11 Jahre, für ihre Interpretation von Maulina.

Die Jurybegründung lautet:

Schon das Buch ist ein rarer Glücksfall, doch ihre Vollendung erfährt die Geschichte vom Leben-aus-den-Fugen durch die Lesung von Sandra Hüller. Die Bühnen- und Filmschauspielerin erweist sich als fulminant einfühlsame Sprech- und Sprachspielerin. Als lausche sie dem Geschriebenen nach, gibt sie wortwitzigem Ideen-Feuerwerk Form und Charakterköpfen ein Forum, schafft Räume für ungebremstes Innenleben, tobt, trotzt, turnt durch den Text und entfacht in hingebungsvoller Stimmakrobatik voll feinster Nuancen und treffsicherer Intuition eine maulend sich mausernde Heldin. Die bietet dem Irrsinn der Erwachsenen den Dickkopf, allen Verlusten ihre Wut und der Welt ihr ganzes Herz. Das berührt, bewegt. Und bleibt: „Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt. Mein kaputtes Königreich“ – wir verneigen uns.

Ich verneige mich ebenfalls. Herzlichen Glückwunsch!

Finn-Ole Heinrich: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Mein kaputtes Königreich, gelesen von Sandra Hüller, 2 Audio-CDs, Hörcompany, 2013, 145 Min., ab 8, 14,95 Euro

Die Vertreibung aus dem Paradies

finn-ole HeinrichEigentlich glaube ich ja nicht an Liebe auf den ersten Blick. Doch jetzt ist es mir passiert. Und zwar mit einem Buch. Das auserwählte trägt den unglaublich langen Titel Die erstaunlichen Abenteuer der einzigartigen, ungewöhnlich spektakulären, grenzenlos mirakulösen Maulina Schmitt – Mein kaputtes Königreich. Der Einfachheit halber werde ich hier aber nur von Maulina sprechen. Entsprungen ist die etwa zehnjährige Heldin dem fantastischen Genius von Finn-Ole Heinrich.

Um mich war es geschehen, als ich das Buch aufschlug und die Aufforderung im Innendeckel fand, mit wachen Augen 84 Topfpflanzen in der Geschichte auszumachen und hier anzukreuzen. Bei den vielen großen und kleinen, geraden und krummen, üppigen und kümmerlichen Gewächsen ging mir einfach das Herz auf. Beim Lesen habe ich an die Topfpflanzen dann zwar erst wieder gedacht, als ich das Buch zugeschlagen wollte und im hinteren Innendeckel die restlichen Ankreuz-Blumentöpfe sah. Doch das war gar nicht schlimm, denn in der Zwischenzeit war ich aufs Großartigste zum Lachen und Weinen gebracht worden.

Denn Maulina, die ein großes Talent zum Maulen hat, erzählt von den Unbill in ihrem jungen Leben. Sie wurde aus ihrem Paradies Mauldawien, in dem sie die Prinzessin ist, vertrieben, nachdem die Eltern sich getrennt haben. Statt im Altbau mit allesfressenden Holzdielenfugen, einem blau-weißen Turnsofa und großem Garten mit Maulhöhle muss sie nun mit der Mutter in einer winzigen Wohnung namens Plastikhausen leben. Dort sind überall Plastikgriffe angebracht, Fenster und Boden sind aus Plastik, der Garten vor der Tür ist so winzig, dass Maulina fast alle vier Ecken berührt, wenn sie sich auf den Rasen legt. Platz für die beiden Schildkröten gibt es kaum. Es ist einfach nur schrecklich. Da helfen auch der Super-Zimt-Kakao von Mama oder der Bienenstich-Kaffee-Klatsch mit dem Großvater nichts. Maulina will zurück nach Mauldawien, obwohl sie mit „dem Mann“, wie sie ihren Vater nur noch nennt, kein Wort mehr redet.
Glücklicherweise lernt sie in der neuen Schule Paul kennen. Auch bei Paul ist die Familie zerrüttet, jedoch auf eine ganz andere Art, die in ihren Einzelheiten jedoch noch im Dunkeln bleiben. Er erzählt Maulina, dass vor ihnen eine Frau im Rollstuhl in Plastikhausen gewohnt hat. Und dieses Wissen wird für Maulina ein paar Tage später plötzlich sehr wichtig.

Aha, Trennungsgeschichte, könnte man jetzt denken. Doch Maulina ist viel mehr. Maulina ist ein Wirbelwind, der einen von der ersten Seite an mitreißt und nicht mehr loslässt. Finn-Ole Heinrich gelingt das zusammen mit der Illustratorin Rán Flygenring in einer kongenialen Mischung aus Poesie und Schnodderigkeit, Drama und Tragödie kombiniert mit Witz und Humor. Bilder und Texte verweben zu einer Einheit, in der Comic-Elemente und „Lexikalische Einschübe“ die Geschichte auf der visuellen Ebene anreichern.
Die Heldin Maulina nimmt den Leser mit ihrer unnachahmlichen Art über sich selbst zu reflektieren, die zwischen Größenwahn und echter Selbsterkenntnis changiert, sofort gefangen. In Momenten der größten Not bekommt sie meist einen Maulanfall, der zu Stimmverlust und Erschöpfung führt. Daneben backt Maulina den besten Maulwurfskuchen und schenkt der Mutter all ihre Liebe und Wärme. Und regt zum Nachdenken über Beziehungen, Krankheit und das Leben in seiner ganzen Wucht an. Bei alldem kann man, muss man Maulina einfach nur lieb haben, etwas anderes geht gar nicht. Zumal sie sich mit einer ungeheueren Kraft und einem ungebrochenen Optimismus gegen die Schicksalsschläge des Lebens stellt, die da auf sie niedergehen.

Und als ob Maulina an sich nicht schon Geschenk genug wäre, schafft es Finn-Ole Heinrich mit seinem Sprachkönnen, dass man endgültig vor Verehrung auf die Knie fällt. Zwischen die locker leichte Umgangssprache mit Dialogen, die den Ton auf den Punkt  treffen, mischen sich zutiefst poetische Wendungen und Wortneuschöpfungen. Da „brummeln und grummeln die Hummeln“, Paul ist aufgeregt wie ein „Kolibri auf Koffein“, da gibt es die „Fleischwurststrumpfhose“. Es ist eine Wonne, auf allen Ebenen: inhaltlich, erzählerisch, sprachlich, bildlich – ein ebenso großes Kompliment gebührt Rán Flygenring, die eine liebenswert-lockige Maulina von großer Ausdruckskraft erschaffen hat, samt dieser 84 Topfpflanzen.

Mag Maulina auch aus ihrem Paradies Mauldawien vertrieben worden sein, für große und kleine Leser ist dieses Buch trotz all der traurigen Ereignisse das Paradies. Was für ein Glück, dass zwei bis drei paradiesische Fortsetzungen geplant sind…

Finn-Ole Heinrich/Rán Flygenring: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Mein kaputtes Königreich, Hanser, 2013, 176 Seiten,  ab 10, 12,90 Euro