Freundschaft ist bunt

krokodil

Irgendwie habe ich eine Leidenschaft für eigenwillige Krokodile. In meiner Kindheit gab es das Bilderbuch Das Haus in der Lindenallee, in dem Familie Prim in das Haus in der Lindenallee einzieht und das Krokodil Lyl in der Badewanne findet. Gott, hab ich die Geschichte geliebt und gelitten, als Lyl von seinem Besitzer wieder abgeholt wurde. Erinnert sich sonst noch jemand daran?

Jedenfalls muss diese wohlige Erinnerung ein Grund gewesen sein, warum ich beim dem Crowdfundig-Projekt vom Jaja Verlag gleich ganz angetan war: ein neues Krokodil-Buch sollte finanziert werden. Und es hat geklappt. Eben habe ich das das fertige Schätzchen ausgepackt – und bin ganz verzückt. Das hier ist ein überaus würdiger Nachfolger für Lyl aus der Lindenallee.
Zwar hat das Krokodil keinen Namen, aber dafür jede Menge Freunde. An seinem Geburtstag jedoch stellt das Krokodil fest, dass es gar nicht so aussieht wie eben diese Freunde. Es beschließt, sich neue Freunde zu suchen, die so aussehen wie es selbst.

Frosch, Tiger und Schildkröte erinnern Krokodil vergeblich daran, was sie alles gemeinsam haben – Hautfarbe, Zähne, Panzer – und was sie für einen Spaß beim Wettrennen und Wettstillhalten haben. Krokodil geht auf Nimmerwiedersehen davon und schließt sich einer riesigen Krokodilhorde an. Endlich hat er die Tiere um sich, die so aussehen wie Krokodil. Nur leider sind diese Krokodil die totalen Langweiler …

Die Geschichte vom Krokodils-Geburtstag besticht nicht nur durch die entzückende und hintersinnige Geschichte um Freundschaft, Individualität, Gleichheit und Buntheit auf allen Ebenen im Leben, sondern auch durch die mit zartem Strich gezeichneten Illustrationen. Der Lebensraum der Tiere ist ein dichter Urwald, wo keine Kreatur der anderen gleicht – von den Krokodilen mal abgesehen. Affen, Vögel, Fische, Libellen, Chamäleons, Schnecken, Raupen, Tiger, Frösche, Krabbelzeugs tummeln sich zwischen Blättern, Blumen, Blüten. Man muss genau hinschauen und hat viel zu entdecken, was einem die Kinder mit Sicherheit mit Bravour vormachen werden. Vorlesen und Schauen werden damit zu einem echten Erlebnis.

Die „fein illustrierten Machwerke“ des Jaja Verlages werde ich jetzt mal im Auge behalten. Dieses Machwerk jedenfalls, das das Anderssein und die Verschiedenheit auf allerschönste Art feiert und jedem Gleichmachertum eine lange Nase dreht, ist einfach rundum herzerwärmend.

Luise Winter/Stephanie Gustai: Krokodils-Geburtstag, Jaja Verlag, 2014, 32, Seiten, ab 3, 17 Euro

Der Mangel an Mut

irminaGab es „normale Deutsche“ während der Nazizeit? Aus der zeitlichen Entfernung möchte man sagen, nein, entweder gab es stramme Nazis, feige Mitläufer oder Verfolgte. Das ist die Außensicht. Eine Sicht von innen versucht Barbara Yelin in ihrer Graphic Novel Irmina darzustellen.

Darin erzählt sie die Geschichte der anfangs 17-jährigen Irmina, die 1934 nach London geht und dort eine Ausbildung als Fremdsprachensekretärin macht. Das Mädchen träumt von der Freiheit, will reisen, arbeiten und unabhängig sein. Auf einer Party lernt sie den Oxford-Studenten Howard kennen. Howard kommt aus Barbados und wird wegen seiner dunklen Hautfarbe angefeindet. Beide sind auf ihre Art Außenseiter, denn Irmina wird zwar als zuverlässige, fleißige Deutsche geschätzt, gleichzeitig ist sie jedoch keine Emigrantin und muss immer wieder Fragen zur Politik in Deutschland beantworten. Doch Irmina hat keine Antworten, sie changiert zwischen Trotz und Naivität, kann die Verhältnisse aus der Ferne nicht genau einschätzen.
Halt gibt ihr die Freundschaft zu Howard, die sich langsam in Liebe verwandelt.
Dann jedoch muss  Irmina nach Deutschland zurück, da die Eltern kein Geld mehr ins Ausland schicken dürfen, ihr Zimmer für eine Emigrantin gebraucht wird und sie nicht den Mut hat, sich einen Job zu suchen. Irmina verspricht Howard, so schnell wie möglich zurückzukommen.
In Deutschland findet sie zwar Arbeit im Kriegsministerium, doch das Gehalt ist schmal und ihr Antrag, nach London versetzt zu werden, wird abgelehnt. Gerade als sie sich mit geliehenem Geld ein Schiffsticket nach London gekauft hat, kommt einer ihrer Briefe an Howard zurück mit dem Vermerk „unbekannt verzogen“. Daraufhin gibt sie den Avancen des Architekten Gregor nach, heiratet ihn, bekommt einen Sohn, wird zur Hausfrau und  Mitläuferin und Profiteurin des Regimes. Ihr mangelnder Mut wandelt sich in die Schuld, sich arrangiert, weggesehen und den Mund gehalten zu haben.

Yelin lenkt mit ihren gedämpft grau-braunen Panels den Blick auf das alltägliche Schicksal einer jungen Frau, deren Träume zerplatzen, die ganz auf sich gestellt ist. Die Not, der Kampf ums Überleben scheinen sie zu ihren Entscheidungen zu zwingen. Der Leser hingegen sieht die Alternativen, hadert mit ihr Angst, meint es besser zu wissen, wünscht ihr mehr Mut, empört sich über ihre Feigheit und ihr Schweigen – und hat doch auch keine Lösungen parat. Denn die Frage: „Was hätte ich damals getan?“ kann niemand wirklich beantworten, der nicht dabei gewesen war. Aber genau über dieser Frage denkt man nach der Lektüre dieser Graphic Novel verstärkt nach. Und leidet dann mit Irmina umso mehr mit, als sie nach Jahren, als alte Frau, Howard noch einmal wiedersieht und ihr die verpasste Chance so überdeutlich vor Augen geführt wird.

Irminas Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, macht nachdenklich und zwar sehr. Yelin zeigt, wie es Menschen damals gegangen sein könnte, ohne es platt zu verurteilen. Das besorgt der Leser selbst, obwohl es kaum einfache Lösungen und Antworten gibt. Wie so oft im Leben. Aber Irmina mahnt und macht Mut, öfter mal mutig zu sein.

Barbara Yelin: Irmina, Reprodukt, 2014, 300 Seiten, 39 Euro

Pädagogische Abgründe

ludwigGibt es Kinderbücher, die keine Kinderbücher sind? Im Falle von Sabine Ludwigs neuem Roman Schwarze Häuser möchte ich fast sagen, ja. Aber ganz so einfach ist es nicht.

Ludwig erzählt die Geschichte der 12-jährigen Uli, die für sechs Wochen in ein Kinderheim an die Nordsee geschickt wird, zur Erholung. Das Ganze ist Mitte der 1960er Jahre angesiedelt.
Uli kommt aus Berlin, dort wohnt sie bei ihrer Oma. Auf der Insel lernt sie die Mädchen Fritze, Freya und die kleine Anneliese kennen. Jede von ihnen hat Probleme: Fritze kommt aus einem Künstlerhaushalt und wird von den Mitschülern gemobbt, Anneliese lutscht mit acht Jahren noch am Daumen und scheint in ihrer Entwicklung etwas zurückgeblieben zu sein, Freya meint aus einer intakten Arztfamilie zu kommen, doch auch da liegt etwas im Argen. Uli selbst ist unehelich geboren, und erst vor kurzem hat die Mutter einen Mann geheiratet, der nicht Ulis Vater ist.

Doch anstatt sich von den häuslichen Dramen erholen zu können, erwartet die Kinder im Heim das strenge Regime von Schwester Hildegard und der Heimleiterin Frau Butt. Mädchen und Jungen werden getrennt und zwar nicht nur in Sachen Schlafsäle, sondern auch beim Essen und beim Spielen. Kontakt unerwünscht. Die Jungs werden durchweg „netter“ behandelt als die Mädchen: Sie bekommen Brötchen zum Frühstück, während die Mädchen mit Milchsuppe versorgt werden. Das Essen wird zu einem beherrschenden Moment für die Mädchen, denn es ist schlecht, sehr, sehr schlecht. Es ist zu wenig, eklig, alt, verschimmelt, mit Maden durchsetzt, einfach fürchterlich. Die vier Hauptfiguren leiden regelrecht Hunger. Wagen sie es, die Qualität des Essens anzumahnen, werden sie drakonisch bestraft: Fensterputzen, Essensentzug oder umgekehrt Zwangsessen mit schrecklich fetter Butterkremtorte – die ihnen natürlich auch nicht bekommt. Dazu ist es kalt, es zieht durch die Fenster, Kuscheltiere sind nicht erlaubt, die Post wird kontrolliert. Es ist ein elender Leidensweg, den Uli und ihre Zimmergenossinnen beschreiten müssen. Sie magern ab, werden krank und die Stimmung ist alles andere als rosig oder gar erholsam. Als Freya dann noch eine schlechte Nachricht von zu Hause bekommt, reißt sie aus. Ihre Freundinnen kommen ihr zu Hilfe, doch die Rettungsaktion endet im Watt …

Sabine Ludwig beschreibt die schwarze Pädagogik, die vor einem halben Jahrhundert hier an der Tagesordnung war, sehr präzise und mit all der psychologischen Perfidität, die den Kindern immer wieder das Gefühl vermittelte, sie wären selbst an ihrem Unglück Schuld. Es ist eine ergreifende Lektüre, auch in dem Sinne, dass man als Ältere das alles so verdammt gut nachvollziehen und mitleiden kann. Dabei habe ich noch Glück gehabt und so Schlimmes nicht selbst erlebt, höchsten die Ausläufer noch mitbekommen. Was mir aber schon gereicht hat.

Vielleicht hadere ich deshalb damit, dieses Buch als Kinderbuch zu bezeichnen. Keinem Kind wünscht man solche Erlebnisse. Nie. Und schon die Lektüre kommt mir fast zu grausam vor. Dann jedoch denke ich, vielleicht sollten sie es gerade deshalb auf jeden Fall lesen, auch um zu erfahren, dass es andere Zustände gab (obwohl sich in manchen Heimen heute noch Ähnliches, wenn nicht gar Schlimmeres abspielt …). Denn auch diese Art des Umgangs mit Kindern ist ein Teil unserer Vergangenheit. Daran zu erinnern, damit es nicht wieder passiert, ist wichtig. Daran zu erinnern, was Eltern und Großeltern in der Kindheit durchgemacht haben könnten, ist ebenso wichtig, kann es doch eine mögliche Ursache für ihr heutiges Verhalten sein. Das sollten Kinder durchaus wissen. Nur sollte man sie bei der Lektüre von Schwarze Häuser nicht allein lassen, sondern ihre Fragen, die mit Sicherheit kommen werden, in aller Offenheit beantworten und ihnen so den Grusel nehmen.

Sabine Ludwig: Schwarze Häuser, Dressler, 2014, 352 Seiten,  ab 10, 14,99 Euro

 

[Jugendrezension] Ein aufregender Sommer

miaManchmal können unmögliche Wünsche wahr werden. Davon erzählt das Buch Mein Sommer mit Mia vom Berliner Autor Karsten Stollwerck.

In der Geschichte geht es um den 11-jährigen Meik, der 1989 in West-Berlin wohnt.
Meik wundert sich ständig, wie kompliziert es mit der DDR und West-Berlin ist. Als er einmal seine Cousine in Ost-Berlin besucht, lernt er Mia kennen, die bald seine beste Freundin wird.
Zusammen mit Meiks Cousine fahren sie in den Sommerferien zum Zelten und unternehmen viele Dinge. Als sie zurückkehren, fällt Meik auf, dass auf der Karte der DDR an Stelle von West-Berlin nur ein weißer Fleck ist. Wieder wundert er sich.
Als er dann auch noch erfährt, wie schlecht die Bedingungen in der DDR sind, beschließt er, einen Tunnel zu graben, um Mia nach West-Berlin zu holen. In der Nacht schleicht er mit einem Freund an die Mauer. Dabei werden die Jungs fast erwischt.

Nachdem dieser Plan nicht funktioniert hat, denkt Meik über alles mögliche Andere nach. Plötzlich erfährt er, dass in Ungarn die Grenze geöffnet wurde. Als er das nächste Mal mit Mia telefoniert, will er ihr das sagen, doch seine Mutter verhindert das, um die Stasi nicht aufmerksam zu machen.
Ein paar Tage danach hört er von einer Demonstration in Leipzig, bei der Verwandte von ihm waren. Als die Demonstration nichts bewirkt, ärgert sich Meik.

Doch einige Nächte später hupt es vor Meiks Haus: Er hört Menschen schreien, dass die Grenze offen sei …

Mein Sommer mit Mia ist spannend und ernst, da es die Realität aus dem Sommer 1989 vor dem Mauerfall behandelt. Ich würde das Buch wegen des Themas ab elf Jahren empfehlen, für mutige Leser schon ab zehn.

Lector03 (11)

Karsten Stollwerck: Mein Sommer mit Mia, Ravensburger Buchverlag, 2014, 224 Seiten, ab 10, 7,99 Euro

Congratulations!

malalaWährend der Frankfurter Buchmesse werden immer jede Menge Preise vergeben. Angefangen beim Deutschen Buchpreis (dieses Jahr für Kruso von Lutz Seiler), über den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (Jargon Lanier), den Melusine-Huss-Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage (an den Aviva Verlag für Mädchenhimmel von Lili Grün), den Virenschleuderpreis und die Nobelpreise. Bei den letzteren brennen auf der Buchmesse immer alle auf den Literaturnobelpreisträger. In diesem Jahr ist es der Franzose Patrick Modiano – einen Autor, den ich erst noch entdecken muss. Ich habe jetzt bestimmt noch ein paar andere Preise vergessen.

Das Highlight war für mich der Freitag. Da wurde mittags verkündet, dass Malala Yousafzai zusammen mit Kailash Satyarthi den Friedensnobelpreis bekommt. Echtes Gänsehautfeeling im Messetrubel. Denn gerade habe ich Malalas Geschichte in der Fischer-Ausgabe gelesen. Zusammen mit Patricia McCormick, der Jugendbuchautorin von Cut und Versehrt, erzählt Malala noch einmal von ihrem Leben im pakistanischen Swat-Tal, ihrem Wunsch nach Bildung und dem Schrecken der Taliban und ihrem Widerstand – und zwar für jugendliche Leser. So ist man ganz dicht bei Malala, erfährt, dass sich sich durchaus mit ihren Brüder streitet oder ihre Nase zu groß findet, dass sie gerne Badminton spielt – und wie sie schließlich 2012 als 15-Jährige niedergeschossen wurde und in Birmingham wieder gesund wird. Bilder aus ihrem Leben zeigen das wache Mädchen während einer Schulaufführung, als Klassenvorsteherin, mit Auszeichnungen für gute Leistungen. Es waren nur die ersten von einer ganzen Reihe, die ihr nach dem Attentat verliehen wurden.
Mit ihrer Malala-Stiftung kämpft sie weiterhin für das Recht von Mädchen auf Bildung. Vor all dem, ihrem Schicksal, ihrem Mut, ihrer Unverdrossenheit, ihrer Lebensfreude kann man sich nur respektvoll verneigen und ihr wünschen, dass sie durchhält und ihre Ideen möglichst viele Früchte tragen.

garlandFreitagabend wurde dann in Frankfurt zudem der Deutsche Jugendliteraturpreis vergeben. Aus Termingründen konnte ich nicht bei der Veranstaltung teilnehmen und erfuhr dann am späten Abend, dass Inés Garland und ihre Übersetzerin Ilse Layer in der Kategorie Jugendbuch gewonnen haben. Welche Freude! Ihren Roman Wie ein unsichtbares Band hatte ich bereits im vergangenen Jahr besprochen und ein Interview mit Inés Garland geführt. Nachzulesen hier.

Die anderen Preisträger sind Claude K. Dubois mit Akim rennt, in der Übersetzung von Tobias Scheffel, in der Kategorie Bilderbuch. Der Kinderbuchpreis ging an Martina Wildners Roman Königin des Sprungturms. Heidi Trpak (Text) und Laura Momo Aufderhaar (Illustration) bekamen den Preis für das beste Sachbuch, Gerda Gelse, Allgemeine Weisheiten über Stechmücke. Die Jugendjury entschied sich für Raquel J. Palacio Roman Wunder (übersetzt von André Mumot). Der Sonderpreis schließlich ging an die Übersetzerin Angelika Kutsch, die Kinderbücher aus dem Dänischen, Schwedischen und Norwegischen ins Deutsche bringt.

Also, ein echt preiswürdiger Messe-Freitag. Allen Gewinnern ganz herzlichen Glückwunsch! Congratulations! Felicitaciones!

Malala Yousafzai/Patricia McCormickMalala. Meine GeschichteAusgezeichnet mit dem Internationalen Friedenspreis für Kinder 2013 und Specsavers National Book Awards, Non-Fiction Book of the Year 2013, Übersetzung: Maren Illinger, Fischer KJB, 2014,  272 Seiten, 12,99 Euro

Im Strudel der Gefühle

danteAch, die Pubertät. Eine schwierige Zeit, alles verändert sich, der Körper vor allem, aber auch der Geist. Die Sicherheiten gehen verloren, die Richtung im Leben wird unklar. Alles gerät durcheinander. Von diesen Zuständen im Leben des 15-jährigen Aristoteles, genannt Ari, erzählt Benjamin Alire Saenz in seinem Roman Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums.

Ari trifft 1987 in El Paso, Texas, gleich an der Grenze zu Mexiko, Dante im Schwimmbad. Die Jungen könnten unterschiedlicher nicht sein: Ari ist introvertiert, verunsichert, hat keine Freunde. Er ist schwermütig, unter anderem, weil sein Vater nicht über seine Erlebnisse aus dem Vietnamkrieg berichtet. Zudem wird in der Familie nicht über Aris älteren Bruder gesprochen, der im Gefängnis sitzt.
Dante hingegen ist selbstsicher, liebt Poesie und Kunst, in seiner Familie gibt es keine Geheimnisse – und er weiß, dass er Jungs liebt. Nach und nach freunden sich die beiden an. Dante bringt Ari das Schwimmen bei, aber nicht nur das. Sie verbringen immer mehr Zeit miteinander, fahren in die Wüste und beobachten die Sterne, lesen Gedichte, diskutieren über ihre mexikanischen Wurzeln und ihr Leben in einer weißen Gesellschaft.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Aristoteles, und so stehen vor allem die Zweifel und Unsicherheiten des Heranwachsenden im Vordergrund. Lange, ganz lange kann und will er sich nicht eingestehen, dass er Dante liebt, zu außergewöhnlich ist das doch für einen Jungen, der aus einer katholischen Familie mit mexikanischen Wurzeln stammt. Aris Hadern, seine Wut, seine Suche, sein Übergang vom Kind zum Erwachsenen bekommt der Leser hautnah mit. Seine Gefühle werden quasi zu den Gefühlen des Lesers, so unmittelbar erzählt Saenz, in der lässigen deutschen Übersetzung von Brigitte Jakobeit. Und gerade das macht diesen Roman für pubertierende Jungen interessant. Hier finden sie eine Identifikationsfigur, die ihnen zeigt, dass all dieses Gefühlschaos zum Erwachsenwerden dazugehört, dass es okay ist, nicht dem Mainstream anzugehören, dass es in Ordnung ist, sich von familiären und gesellschaftlichen Traditionen zu verabschieden.
Gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund finden in Ari und Dante zwei Helden, die sich aus ihrem alten Kontext lösen und um der Liebe willen ihren eigenen Weg gehen.

Benjamin Alire Saenz: Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums,  Übersetzung: Brigitte Jakobeit,  Thienemann Verlag, 2014, 384 Seiten,  ab 14, 16,99 Euro

Die Absurditäten des Krieges

frankIn den vergangenen Wochen ist mir ein Buch untergekommen, das eine echte Entdeckung für mich ist. Im Rahmen des Gedenkens an den Ausbruch des ersten Weltkriegs vor 100 Jahren ist bei Ravensburger der Antikriegsroman Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß von Rudolf Frank neu erschienen.
Sind Bücher wie Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque oder Nesthäkchen und der Weltkrieg von Else Ury bekannte Geschichten aus jener Zeit, so ist der Text von Frank ziemlich in Vergessenheit geraten. Was verdammt schade ist.

Frank erzählt die Geschichte des 14-jährigen Jan Kubitzki, der als Deutschrusse in Polen lebt. Seine Mutter ist gestorben, der Vater von den Russen eingezogen worden. In Jans Dorf ist niemand mehr, als die Deutschen einmarschieren. Da der Junge nicht allein dort bleiben kann, schließt er sich in der Not den Deutschen an und wird Teil der Armee. Statt den Jungen wie einen Gefangen zu behandeln, wird er quasi zum Maskottchen der Kompanie. Mit seinem offenen, bodenständigen und menschlichen Blick hilft Jan den Soldaten immer wieder aus der Patsche und rettet sie vor den russischen Sümpfen, Spionen und Angriffen. Er lernt die Schlachten an der Ostfront und später auch den Grabenkrieg im Westen kennen. Dabei  konstatiert er immer wieder die Absurditäten von Krieg und Armeegebahren. So sind die Uniformen für ihn kein Zeichen der Einheit, sondern vielmehr ein Ausdruck „grenzenloser Ungleicheit und Uneinheit“. Jan hat mit Hierarchien und Auszeichnungen für angeblichen Heldenmut nichts am Hut.

Frank, der selbst im ersten Weltkrieg gekämpft hat, schrieb die Geschichte von Jan 1931. Zwei Jahre später verboten die Nazis das Buch und verbrannten es am 10. Mai 1933. Frank war also noch relativ dicht an den Geschehnissen des ersten Weltkriegs dran. Schonungslos erzählt er von verheerenden Schrapnellbomben und den Toten auf dem Schlachtfeld – und ahnte auch schon die kommende Katastrophe des zweiten Weltkrieges. So lässt er einen alten jüdischen Kaufmann räsonieren: „[Die Großmächtigen in Deitschland würden sagen:] Jetzt machen wir ä neuen Krieg, ä Krieg, der nix kostet und einbringt Geld. Jetzt machen wir Krieg gegen die Juden. Gegen die Juden im Land.“ Jan fragt den Alten daraufhin, ob er ein Prophet sei. Antwort: „Wozu braucht man sein ä Prophet, wenn man hat ä Kopf, der denkt, und zwei Augen, die sehen?“
Mir lief es bei diesen Zeilen eiskalt den Rücken runter. Denn Frank zeigt damit nicht nur seine Hellsichtigkeit bezüglich des damals aufkommenden Nazi-Terrors, sondern liefert universelle Botschaften, die auch heute noch gültig sind.

Dabei verklausuliert Frank seine Botschaft nicht, sondern sagt geradeheraus, was er von einer Unternehmung wie Krieg hält. Jans Erlebnisse illustrieren dazu das, was im Feld passiert. Immer wieder denkt der Junge darüber nach, wie die Sprache die Schrecken verbrämt, umbenennt und verfälscht.
Jungen Lesern zeigt Frank so ganz deutlich und unmissverständlich, dass Krieg immer grausam und zu verachten ist.
Uns Erwachsenen ruft der Text wieder einmal in Erinnerung, dass es heute nicht sehr viel anders zugeht. Wir in Deutschland haben zwar das unglaubliche Glück, nicht in einem Kriegsgebiet zu leben, doch die Nachrichten aus  der Ukraine, Syrien und dem Irak halten uns tagtäglich vor Augen, dass diese Welt alles andere als ein friedlicher Ort ist und die Menschheit aus Geschichte einfach nichts zu lernen scheint. Dann möchte ich am liebsten allen dieses Buch in die Hand drücken und den Soldaten Mut machen, Jans Beispiel zu folgen und den Dienst zu quittieren. Aber so simpel ist es ja bekanntlich nicht. Leider.

Rudolf Frank: Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß, Ravensburger Buchverlag, 2014, 256 Seiten, ab 12, 7,99 Euro

[Jugendrezension] Die Unvernunft der Menschen

outlawsSpanien, 1978. Franco ist seit drei Jahren tot, und das Land ist auf dem Weg in die Demokratie.
Dieser Sommer wird für Ignacio Cañas in Javier Cercas‘ Roman Outlaws der Sommer seines Lebens. Er lernt die schöne Tere kennen, und Zarco, der später zur Legende wird.

Doch zuerst sehen Ignacios Aussichten für diesen Sommer nicht so rosig aus, wegen Bastia, einem Jungen, der ihm das Leben zur Hölle macht. Seine Schulfreunde wenden sich von Ignacio ab. Er geht ihnen deshalb aus dem Weg. Eines Tages trifft er eine Gruppe Jugendlicher aus den Behelfsunterkünften. Ihr Anführer, der 17-jährige Quinqui Zarco, zeigt Interesse an Ignacio, dem schüchternen Jungen aus der Mittelschicht. Auch das Mädchen Tere hat es Ignacio angetan. Ignacio treibt sich immer öfter mit ihnen herum. Als Erstes begehen die Jugendlichen nur kleinere Diebstähle, aber als Ignacio dazustößt, werden aus ihnen bewaffnete Verbrecher. Sie nehmen Drogen, überfallen Banken und stehlen Autos.
Als sie eines Tages geschnappt werden, kann Ignacio entkommen. Mit Hilfe seiner Familie kommt er wieder auf den richtigen Weg. Doch dieser Sommer hat ihn verändert: Er ist erwachsen geworden. Von Bastia lässt er sich nichts mehr gefallen und findet neue Freunde. Von seiner Vergangenheit mit Zarcos Bande erzählt er niemanden. Das Mädchen Tere hakt er als Sommerromanze ab.

Spanien, 1999. Fast alle Mitglieder aus Zarcos Bande sind gestorben, an Drogen oder Ähnlichem. Zarco hat sein Leben hinter Gittern zugebracht. Er ist zu einem Mythos geworden und steht für die Jugendkriminalität in Spanien in den 70er und 80er Jahren. Zahlreiche Bücher wurden über ihn geschrieben und sein Leben wurde mehrmals verfilmt.
Ignacio Cañas dagegen ist nun Anwalt. Er hat seine eigene Kanzlei und genießt großes Ansehen. Dass er zu Zarcos Bande gehörte, ist nicht bekannt. Plötzlich taucht die schöne Tere wieder auf. Sie bittet Ignacio, Zarco vor Gericht zu vertreten. Ignacio zögert erst. Dann merkt er, dass er Tere immer noch liebt. Also übernimmt er Zarcos Verteidigung. Alte Erinnerungen kommen hoch, und keiner weiß, was die Zukunft bringen wird …

Der Roman Outlaws besteht aus zahlreichen Gesprächen. Ein Autor will ein Buch über Zarco schreiben. Deshalb trifft er sich mit einem ehemaligen Polizisten, einem Gefängnisdirektor und Ignacio. Sie alle erzählen ihm ihre Erlebnisse. Anfangs fand ich das gewöhnungsbedürftig, aber je mehr ich las, desto spannender wurde es. Der Autor stellt geschickte Fragen und lenkt die Gespräche in bestimmte Richtungen. Es ist fesselnd, wie sich die Geschichte entwickelt, und wie die verschiedenen Personen sie erlebten. Am meisten wird von Ignacio erzählt, aber es ist gut, dass auch andere Zeitzeugen zu Wort kommen. So baut sich eine komplexe Geschichte auf. Sie ist oft traurig und wirft an vielen Stellen philosophische Fragen auf: Ist die Gesellschaft schuld? Kann Zarco in der Freiheit zurechtkommen, obwohl er sein halbes Leben in Gefängnissen verbracht hat? Können Menschen sich ändern? Ist die Wahrheit das Einzige, für das es sich zu leben lohnt?

Nach Anatomie eines Augenblicks hat Javier Cercas mit Outlaws wieder einen Roman zur Aufarbeitung Spaniens jüngster Geschichte geschrieben. Es ist aber kein Sachbuch, sondern eine spannende Erzählung. Man lernt, ohne es zu merken, eine Menge über Menschen. Zarco zerbricht schließlich am Widerspruch zwischen seiner realen Person und seinem Mythos. Tere bleibt undurchschaubar. Liegt ihr wirklich etwas an Ignacio? Wie ist ihre wahre Beziehung zu Zarco?

Durch die stilistische Grundidee mit dem Autor, der mit anderen Leuten über Zarco redet, wirkt die Geschichte besonders glaubhaft. Eine originelle Idee, die mir immer besser gefallen hat. Man erfährt, wie die Personen heute über alles denken. Der Autor stellt viele intelligente Fragen, aber das Buch ist so geschrieben, dass man die Antworten nicht direkt geliefert bekommt. Man muss selbst mitdenken. Auf viele dieser Fragen gibt es verschiedene Antworten – oder keine. Menschen handeln eben oft unvernünftig.

„Javier Cercas schreibt fesselnd und aufwühlend über eine verlorene Jugend voller Wünsche und Sehnsüchte und zerrissener Freundschaften“, steht in der Kurzbeschreibung. Ich würde eher von einem ganzen Leben sprechen, denn die Geschichte geht bis heute. Und wie Ignacio am Ende sagt: Vielleicht ist dies noch nicht das Ende. Vielleicht ist ihm noch nicht alles passiert, was ihm passieren soll.

Ein Roman, der mir lange im Kopf blieb!

Juliane (15)

Javier Cercas: Outlaws, Übersetzung: Susanne Lange, Fischer, 2014,  512 Seiten, 24,99 Euro

50 Jahre Die drei ???

die drei ???Ach, die ewigen Berufsjugendlichen benutzen Handys? Das war die erstaunlichste und vermutlich banalste Feststellung, die ich machte, als ich mir dieser Tage eines der aktuellen Die drei-???-Bücher schnappte, das mit dem Titel Sinfonie der Angst.

Anlass war, dass Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews, die drei Detektive aus Los Angeles, heute 50 werden. Jawohl. Am 26. September 1964 erschien in den USA der erste Band unter dem Titel The Three Investigators. Die deutschen Kinder mussten noch bis 1968 warten, bis sie mit den Jungs mitfiebern und ermitteln konnten. Die drei ??? und das Gespensterschloss war gefühlt auch meine erste Detektivgeschichte. Ende der 70er Jahre habe ich sie mit meinem Bruder zusammen auf Kassette rauf und runter gehört. Damals war ich fest davon überzeugt, dass Alfred Hitchcock diese Geschichten persönlich geschrieben und inszeniert hatte. Zierten doch sein Name und sein Konterfei die Cover von Büchern und Kassetten. Das hatte immer etwas sehr Beeindruckendes und Respekteinflößendes.

Irgendwann habe ich Die drei ??? nicht mehr gehört und gelesen. Man wächst da ja raus und entdeckt anderes. Umso netter, jetzt einmal wieder einzutauchen, in die fast beschauliche Welt der Detektive. Los Angeles hat bei ihnen nichts von dem Ausufernden und Unüberschaubaren des realen Molochs. Nur am Rande bekommt man mit, dass die Autofahrten dort sehr zeitraubend sein können. Aber ich schweife ab. Denn darum geht eigentlich gar nicht. Es geht viel mehr – für mich – um die Entmystifizierung eines Kindheitsphänomens.
Denn natürlich hat Hitchcock die Fälle der Drei ??? nicht selbst geschrieben. Das war zunächst der Journalist Robert Arthur. Hitchcock hat ihm nur seinen Namen geliehen, clever und geschäftstüchtig. Es hat gewirkt. Bei mir jedenfalls. Arthur selbst hat die ersten zehn Folgen der Reihe geschrieben. Er verstarb 1969, danach setzten andere Autoren die Arbeit fort. In Deutschland sind bis jetzt 175 Fälle erschienen, zehn deutsche Autoren liefern mittlerweile die Geschichten. In den USA wurde die Serie bereits 1987 eingestellt. Vielleicht sollte man den Drei ??? die deutsche Staatsbürgerschaft anbieten, so sehr sind sie zu einem Teil von deutscher Kindheit geworden. Mehr als 16,5 Millionen Bände sind laut Verlagsangabe seit Reihenstart vor über 40 Jahren hierzulande verkauft worden. Man muss also von Kult sprechen, wenn man von den Drei ??? spricht.

Wenn ich die Pressmappe vom Kosmos-Verlag so lese, merke ich, dass ich damals nur die Vorhut eines Phänomens miterlebt habe. Mittlerweile gibt es neben den Büchern und Hörspielen Kinofilme, Computerspiele, Kids-Bände für Leser ab acht Jahren, Comics und Detektivkästen. In einem Airstream-Wohnwagen tourte die geheime Zentrale der Drei ??? 2005 durch Deutschland, die Hörspielsprecher Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich füllen mit dem Live-Event Phonophobia, dem der oben abgebildete Band Sinfonie der Angst zugrunde liegt, ganze Arenen. Es gibt Sonderausgaben und dreibändige Schuber. Im Netz können die Kinder den Drei ??? helfen einen üblen Rufmörder zu entlarven. Auf facebook sind die Detektive natürlich auch … Es kann einem fast ein bisschen schwindelig werden.

Sinfonie der Angst übrigens habe ich auf einer kurzen Bahnfahrt von Berlin nach Hamburg verschlungen und fühlte mich gut unterhalten. Darin geht es um einen synästhetischen und etwas durchgeknallten Orgelkomponisten, der die Musik zu einer bedrohlichen Waffe umfunktionieren will. Ziemlich schräg, aber auch sehr spannend. Da kann ich schon verstehen, dass Kinder und Erwachsene immer noch fasziniert und gebannt sind.

In der Pressemappe zum 50. Jubeltag der Drei ??? gibt es auch einen Zettel mit kuriosen Fakten, auf dem man solche Infos findet, wie: „Mit allen verkauften Bänden der Drei ??? könnte man rund 60 Fußballfelder bedecken“ oder „Die Band Jupiter Jones hat sich nach dem gleichnamigen Detektiv benannt, der in der deutschen Fassung der Bücher Justus Jonas heißt“. Kurios oder nicht, erschütternd fand ich darunter eher dieses Faktum: „Der Drei-???-Band Feuerteufel war bis dato der einzige Band, auf dem der Name des Autors auf dem Cover erschienen ist.“  Mit Name des Autors ist nicht Alfred Hitchcock gemeint (s.0.), sondern André Marx.
Wir Übersetzer beschweren uns immer, nicht wirklich sichtbar auf den Covern der übersetzten Bücher zu stehen. Und jetzt finde ich hier eine ganze Riege von Autoren, die auch nicht wirklich sichtbar sind. Daher gratuliere ich hiermit den aktuellen Schöpfern der Drei-???-Geschichten zu ihrer Arbeit und zu dem Erfolg (der sich hoffentlich auch für sie auszahlt), als da wären:

Hendrik Buchna, Christoph Dittert, Kari Erlhoff, Katharina Fischer, Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer, André Marx, André Minninger, Ben Nevis, Marco Sonnleitner und Astrid Vollenbruch.

Kari Erhoff: Die drei ??? – Sinfonie der Angst, Kosmos, 2014, 144 Seiten,  ab 10, 8,99 Euro

[Jugendrezension] … wie in schlechten Zeiten

moll„Und ich würde dich auch lieben, wenn du hässlich wärst. Hässlich. Dümmlich. Von mir aus auch mausetot.“

In dem Buch Was ich dich träumen lasse von Franziska Moll geht es um Elena und Rico, die ein glückliches Paar sind. Sie wollen zusammen Abitur machen, doch dann passiert ein tragischer Unfall. Rico fällt ins Koma. Elena ist geschockt und will nicht mehr in die Schule gehen. Sie will die Schule zusammen mit Rico beenden. Als sie in Ricos Sachen sucht, findet sie eine „Top Ten Liste“, die Rico geschrieben hat. Wie der Name schon sagt, stehen dort zehn Dinge drauf, die er vor seinem Tod noch machen will. Elena fängt an, diese abzuarbeiten, und erzählt ihm jeden Tag von ihren neuen Erlebnissen. Ob Rico stirbt oder doch überlebt, erfahrt ihr am Ende des Buches.

Was wirklich besonders an diesem Buch ist, ist, dass die Sätze manchmal extrem kurz sind. Außerdem gibt es viele Absätze und so liest man dieses Buch auch sehr schnell durch.
Franziska Moll schreibt eben durch diese kurzen Sätze sehr interessant, und man liest meistens direkt noch mehr Kapitel, als man eigentlich lesen wollte.
Was ich teilweise etwas verwirrend fand, waren kurze Dialoge zwischen zwei Personen. Auch das Ende kam schließlich sehr schnell, und ich hätte es mir noch ein bisschen länger gewünscht. Doch im Endeffekt fand ich Was ich dich träumen lasse gut und für zwischendurch genau richtig.

Es ist auf jeden Fall lesenswert und sehr interessant.

Laura (14)

Franziska Moll: Was ich dich träumen lasse, Loewe Verlag, 2014,  256 Seiten, ab 14, 14,95 Euro

Klassiker zum Hören

shakespeareWir Erwachsenen meinen ja manchmal, Klassiker der Weltliteratur zu kennen. Genau zu kennen. Wenn man ein gewisses Maß an Bildung genossen hat. Dachte ich auch.

Dann hatte ich Gelegenheit, die Klassiker-Versionen von Barbara Kindermann als Hörbücher zu genießen – und stellte fest, dass es doch mal gut tut, diese alt bekannten Geschichten in vereinfachter Form vorgetragen zu bekommen.

Aktuell hat die Hörcompany drei Shakespeare-Stück aufgenommen: Die Liebesgeschichte von Romeo und Julia, das Drama Hamlet und die Komödie Ein Sommernachtstraum. Gelesen werden sie, sehr angenehm und mitreißend, von den Schauspielern Devid  Striesow und Samuel Weiss. Erwachsene Zuhörer haben zwar sicherlich sehr schnell die Gesichter der beiden vor sich, doch das tut dem Genuss keinen Abbruch. Die klaren Sätze von Barbara Kindermann machen kleine Hörer schnell und verständlich mit den oftmals doch ganz schön verworrenen Geschichten bekannt. Nach den Zusammenfassungen gibt es dann jeweils noch ein, zwei Auszüge aus den Originaltexten. Ist also die Neugierde auf die Geschichte geweckt, kann der junge Mensch weiterforschen, ob er für die alten Texte, die komplizierte Syntax und die Theaterversion schon bereit ist.

tellGleiches gilt für die deutschen Klassiker. Seit vergangenem Jahr liegen Goethes Faust, Schillers Wilhelm Tell und Lessings Nathan der Weise auch als leicht verständliche Hörbücher vor. Hier liest noch Otto Sander zwei Geschichten (Tell und Nathan), was ein bisschen wie eine Reise in die Vergangenheit ist, gleichzeitig aber auch eine sehr schöne Erinnerung an einen großen Darsteller, der vor einem Jahr verstorben ist.

Auch bei diesen drei Geschichten gibt es im Anschluss an die Nacherzählungen Ausschnitte aus den Original-Stücken, die nicht nur Lust auf die Lektüre, sondern auch auf einen Theaterbesuch machen. Zu Recht hat die Reihe den Deutschen Hörbuchpreis 2014 für die beste verlegerische Leistung bekommen.

Ich will nicht verschweigen, dass ich beim Hören so meine Aha-Momente hatte. Im Sinne: „Ach, daher stammt dieses Zitat!“ Was mich wieder daran erinnerte, dass man als Erwachsener vielleicht schon viel gehört, gesehen, gelesen, konsumiert hat, aber auch genauso viel wieder vergisst. Daher ist es manchmal eben doch ziemlich hilfreich, sich ohne irgendwelche dämliche Dünkel die Klassiker-Versionen für Kinder anzuhören.
Man lernt immer was.

Weltliteratur für Kinder: Shakespeare leicht erzählt: Romeo und Julia, Hamlet, Ein Sommernachtstraum, Sprecher: Devid Striesow, Samuel Weiss, Hörcompany, 2014, 3 CDs, Laufzeit ca. 3 Stunden, 10 Minuten, 19,95 Euro

Weltliteratur für Kinder: Klassiker leicht erzählt: Faust, Wilhelm Tell, Nathan der Weise, Sprecher: Otto Sander, Joachim Meyerhoff, Hörcompany, 2013, 3 CDs, Laufzeit ca. 2 Stunden 50 Minuten, 19,95 Euro

Der Abraxas des Lebens

naoEs gibt Lektüren, die mich manchmal etwas ratlos zurücklassen – und mich gleichzeitig ungemein faszinieren, so wie aktuell die Graphic Novel Das NAO in Brown von Glyn Dillon.

Erzählt wird die Geschichte der Mittzwanzigerin Nao Brown. Nao ist Halbjapanerin, lebt in London und zeichnet Spielzeug. So weit, so normal – möchte man meinen, doch Nao hat Ticks und sonderbare Vorstellungen, in denen sie Menschen aus ihrer Umwelt schlimme Sachen antun will. Nur die Erinnerung an die Liebe ihrer Mutter und das Buddhistische Zentrum scheinen ihr Ruhe zu geben.
Nao tritt einen neuen Job in einem Design-Spielzeugladen für Nerds an. Dort begegnet ihr eines Tages ein bärtiger Waschmaschinenmechaniker, der sie an eine japanische Anime-Figur erinnert. Nao ist fasziniert, fühlt sich zu dem philosophierenden Mann hingezogen, ohne zu merken, dass auch er Abgründe in sich trägt.

Die wichtigste Farbe in dieser Graphic Novel ist Rot. Nao trägt immer irgendetwas Rotes. Wenn ihre Angst durchbricht, färben sich die Panels rot. Rot als vielleicht symbolträchtigste Farbe für das Leben, für Liebe, für Leidenschaft, für Blut, Wut, Gewalt. In zarten Aquarellen entfaltet Glyn Dillon das Mysterium des Lebens, in dem es nicht nur weiß oder schwarz gibt, in dem Gut ohne Böse nicht existieren kann. Nicht alles ist, wie man es sich vorstellt oder wünscht. Und manchmal kann sogar ein Unfall helfen, Ängste zu überwinden.
Eingebettet in Naos Geschichte ist ein weiterer Comic über die sehr rätselhafte Mensch-Baum-Figur Pictor, der in den Krieg zieht. Hier bleibt offen, ob es sich dabei um eine Fantasie von Nao handelt, um ihre Träume, um ein Märchen. Das muss jeder Leser selbst entscheiden.

Das Hardcover ist wunderschön ausgestattet: Komplett weißer Einband, der Titel auf dem Buchrücken ist eingeprägt, nur das japanische Zeichen für Nichts prangt vorne auf dem Cover, ebenfalls geprägt. Der Buchschnitt ist in Nao-Rot gehalten. Der Schutzumschlag ist auf der Innenseite mit einer fiktiven Karte von Everywhere/Nowhere gestaltet. Buddhisten und Japankenner werden darin sicherlich eine Reihe von Anspielungen finden. Für Nicht-Experten wie mich ist es ein schönes Suchspiel nach bekannten philosophischen Konzepten und Haltungen zum Leben.

Das NAO in Brown ist so mysteriös wie das Leben selbst. Ein Abraxas voller Kraft, Dauer und Wandel. Nicht alles versteht man, vieles fesselt einen, manches liebt man. Nicht alles läuft so, wie man es gerne hätte, Ängste gehören dazu, können aber überwunden werden. Wenn man es will. Und Das NAO in Brown will man nach dem ersten Durchgang gleich noch mal lesen – um alle die Geheimnisse darin noch besser zu ergründen.

Glyn Dillon: Das NAO in Brown, Übersetzung: Volker Zimmermann,  Egmont Graphic Novel, 2014,  208 Seiten, 29,99 Euro

Agnese, die Lagune und die Deutschen

agneseEndlich, endlich halte ich mein frisch gedrucktes, neu aufgelegtes, neu bearbeitetes italienisches Herzensbuch in Händen: Renata Viganòs Roman Agnese geht in den Tod.
Lange Jahre war dieses Buch auf Deutsch nur als antiquarische Version von 1951 oder 1959 erhältlich. Damals hatte der Ostberliner Verlag Volk und Welt den Partisanen-Roman veröffentlicht, der heute in Italien zum Schulkanon gehört. Jetzt hat editionfünf diesen Text wieder aus der Versenkung geholt. Passend zum 75. Jahrestag des Beginns des zweiten Weltkriegs.

Renata Viganò erzählt die Geschichte der einfachen Bäuerin und Wäscherin Agnese in den Jahren 1943 bis 1945. Agnese kümmert sich rührend um ihren kranken Mann Palita, bis im Spätsommer 1943, nachdem Mussolini gestürzt wurde und die deutsch-italienische Achse gefallen ist, die Deutschen durch ihr Dorf ziehen. Sie verhaften Verräter und Kommunisten und deportieren in die KZs. Palita überlebt den Transport nach Deutschland nicht. Agnese, eine äußerlich barsche, innerlich jedoch loyale und aufrichtige Frau, erschlägt einen deutschen Soldaten, nachdem dieser Palitas Katze erschossen hat. Nichts hält sie mehr auf ihrem Hof. Sie flüchtet und schließt sich den Partisanen der Gegend an.
Die Widerstandskämpfer verstecken sich zu der Zeit in der riesigen Lagune von Comacchio, die in dem Roman eine zweite Hauptrolle spielt. Von dort aus planen sie ihre Aktionen und brechen meist nachts auf, um ihre Vorräte aufzustocken, Waffen zu besorgen oder den deutschen Soldaten Fallen zu stellen. Agnese schlüpft auf der Flucht vor den deutschen Vergeltungsmaßnahmen bei ihnen unter und wandelt sich dort zur „Mutter der Kompanie“ und zu einer überzeugten Widerstandskämpferin.
Sehnsüchtig erwartet sie zusammen mit den Partisanen die Alliierten, die von Süden aus Italien befreien. Doch die Front rückt nur langsam nach Norden, zu sehr wehren sich die Deutschen und ihre letzten Verbündeten, die italienischen Faschisten. Der strenge Winter 1944/45 verzögert die Befreiung von Norditalien zusätzlich. Die Partisanen in ihren notdürftigen Unterkünften im Schilf leiden unter Regen, Schnee, Frost. Das Wasser der Lagune gefriert, einige der Genossen werden in einem überschwemmten Haus eingeschlossen.
Agnese, die mit der Organisation der „Staffette“, den Botengängerinnen, beauftragt ist, versucht alles, um den Nachschub an Lebensmittel für die Jungs zu gewährleisten. Die alte Frau wächst dabei über sich hinaus, sie wird zur „la Responsabile“, zur Verantwortlichen. Kilometer um Kilometer radelt sie über die Deiche, schleppt Körbe mit Brot, Wein und Käse, aber auch mit Sprengstoff und Flugblättern. Begegnet sie deutschen Patrouillen macht sie aus ihrer Verachtung den Besatzern gegenüber keinen Hehl. Immer wieder ist sie der Gefahr ausgesetzt, als Mörderin eines deutschen Soldaten erkannt zu werden.

Viganòs Roman ist harter Stoff. Der Tod ist ein beständiger Begleiter bei der Lektüre. Dazu kommen das Leiden der italienischen Partisanen, die Übergriffe und Greultaten der Deutschen, die Verschlagenheit der italienischen Faschisten, die Passivität der Alliierten. Der Krieg an und für sich ist hautnah zu spüren. Viganò schrieb in der Tradition des Neorealismus. Ihr Roman kam in Italien 1949 heraus und wurde noch im selben Jahr mit dem Premio Viareggio ausgezeichnet. Die Autorin, die selbst bei den Partisanen gekämpft hat, vermischt darin eigene Erfahrungen mit fiktiven Gestalten. Und illustriert so auf eindrucksvolle Weise, wie sich die Wehrmacht und die SS in den letzten Kriegsjahren in Italien verhalten haben.

Deutschlands Beziehung zu Italien scheint eine ewige Liebesbeziehung, seit Goethes Zeiten und den Filmschmonzetten aus den 50er Jahren (die in neuem Gewand heute immer noch produziert werden). Italien steht oftmals für Amore, Gelato, Kunst und Leichtigkeit. Die bittere Realität des Landes liefern uns Geschichten über Mafia und Korruption, manchmal spannend verpackt als Krimis, wie bei Carlo Lucarelli oder Patrizia Rinaldi, neuerdings mischen sich darunter auch vermehrt die Berichte über die Flüchtlinge aus Afrika. Gern hört man das hierzulande jedoch nicht. Dass Deutschlands Beziehung zu Italien jedoch selbst auch eine ganz düstere Seite hat, ist vielen nicht bekannt oder schon wieder vergessen. Renata Viganòs Roman erinnert nun ganz plastisch wieder daran, dass die Verbrechen der Wehrmacht nicht nur in Osteuropa stattfanden, sondern auch dort. Mit der gleichen Härte, der gleichen Unbarmherzigkeit. Aufgearbeitet sind diese Verbrechen noch viel zu wenig, wie eine deutsch-italienische Historikerkommission in ihrem Abschlussbericht im Juli 2012 festgestellt hat, und zwar auf beiden Seiten.

Mir ist Viganòs Roman zum ersten Mal 1992 während meines Studienjahres in Florenz untergekommen, und schon damals war ich fasziniert. Aus meinem Vorhaben, über den Roman meine Magisterarbeit zu schreiben, ist damals leider nichts geworden. Dann stand der Roman bei mir im Regal und lauerte in meinem Hinterkopf – bis sich editionfünf bereit erklärte, ihn in neuem Gewand herauszubringen.
Ich hätte gern eine richtige Neuübersetzung gemacht, doch wie immer ist das auch eine Frage der Finanzen. So konnte ich aber immerhin die alte Übersetzung von Ina Jun-Broda, die 1959 schon einmal von Ernst-August Nicklas redigiert worden war, gründlich überarbeiten. Es war nicht weniger Arbeit, vielmehr eine Gratwanderung zwischen drei verschiedenen Versionen (dem italienischen Original und den beiden DDR-Ausgaben). Ich glaube jedoch, dass nun Viganòs Text auch auf deutsch so frisch und hoffentlich zeitlos wirkt wie das italienische Original. Agnese geht in den Tod ist ein Puzzlestück, das eine weitere Nuance des zweiten Weltkrieges beleuchtet und damit zur Aufarbeitung beiträgt, die die Historiker einfordern.

Es bleibt die Hoffnung, dass sich das romantische Italienbild vielleicht ein winziges Bisschen zum Realistischen hin verschiebt und der nächste Italienurlaub möglicherweise mit anderen Augen genossen wird.

Renata Viganò: Agnese geht in den Tod, Übersetzung: Ina Jun-Broda, Neubearbeitung und Nachwort: Ulrike Schimming, editionfünf, 2014, 316 Seiten, 21,90 Euro

Von Schuld und Unschuld

schuldGute Bücher über den Fall der Mauer und die Flucht aus der DDR gibt es zuhauf, zum Beispiel  Tonspur. Das Schicksal der Kinder von Stasi-Mitarbeitern wird eher selten literarisch verarbeitet. Die Lebensläufe von Kindern hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter hat Ruth Hoffmann vor zwei Jahren in ihrem Sachbuch Stasi-Kinder erzählt.

Nun liefert Grit Poppe einen Jugendbuch-Roman zu diesem Thema. Schuld spielt in den Jahren 1988/89 sowie 1992 und erzählt von den 15-jährigen Jugendlichen Jana und Jakob.
Jana kommt neu in eine Schule am Rande von Ostberlin. Vom ersten Moment an fühlt sie sich zu dem Außenseiter Jakob hingezogen. Dessen Eltern haben einen Ausreiseantrag gestellt. Jakob selbst schreibt und verteilt illegal Flugblätter, engagiert sich im Neuen Forum und kämpft für Meinungsfreiheit. Eines Tages gibt er Jana ein solches Flugblatt, das sie bei sich zu Hause versteckt.

Als diese Flugblätter auch in der Schule auftauchen, fliegt Jakob erst von der Schule, später finden Stasileute einen weiteren Entwurf mit einem Aufruf zur Demo bei ihm. Der Junge kommt in Untersuchungshaft, wird verurteilt und in das Jugendgefängnis Halle gesteckt.
Jana ist verzweifelt. Zum einen, weil sie nicht weiß, wann und ob sie Jakob wiedersehen wird, zum anderen, weil ihre Eltern, linientreue Sozialisten, beständig gegen sie und ihre Beziehung zu Jakob arbeiten. Sie verbieten ihr schließlich, Jakob zu schreiben.
Jana ist da jedoch schon lange in der Protestbewegung engagiert, in die Jakob sie eingeführt hat, und lässt sich von ihrem Weg nicht abbringen.

Grit Poppes Roman Schuld schildert die letzen Jahre der DDR konsequent aus den Perspektiven von Jana und Jakob. Vor allem bei Jana ist das sehr beeindruckend gelungen, den das Mädchen durchschaut erst nach und nach das Überwachungssystem der DDR. Die Rebellion gegen den Staat geht mit der Rebellion gegen die Eltern einher – das verzahnt Poppe so geschickt, dass man eigentlich nicht weiß, was zuerst war. Allerdings bleibt Jana die perfide Ausspionierung durch den eigenen Vater bis zu letzt verborgen. Nur im Leser, vor allem im erwachsenen, macht sich ein fieses Gefühl von Abscheu breit.
Mit Jakob hingegen erlebt man die grausamen Zustände, die in den DDR-Jugendknästen geherrscht haben. Nach ihren Romanen Weggesperrt und Abgehauen zeigt Poppe auch hier noch einmal, wie sehr Jugendliche in der DDR gelitten haben, wenn sie nicht dem Ideal der vorgegebenen Doktrin entsprachen.

25 Jahre nach dem Mauerfall macht Grit Poppe mit ihren Büchern die dunkle Geschichte der DDR für junge Leser anschaulich und lebendig. Was in den Schulen meist nur als Faktenansammlung vermittelt wird, reichert sie mit Gesichtern, persönlichen Schicksalen und jeder Menge Emotionen an. Schuld legt man daher nicht mehr aus der Hand, man leidet mit den beiden Helden bis zur letzten Seite mit, ist gleichzeitig erleichtert, wie frei wir heute leben, wundert sich dann aber auch, wie wenig momentan noch protestiert wird (Gründe gäbe es genug).

Grit Poppe: Schuld, Dressler Verlag, 2014, 365 Seiten, ab 14, 9,99 Euro

Jedem Ende wohnt ein Maulzauber inne

maulina 3Nein, man möchte das nicht. Dass es vorbei ist. Mit Maulinas Mama und mit dieser Geschichte. Man wünscht Maulina ein maultastisches Happy End. Und man möchte unbedingt und auf jeden Fall wissen, wie es mit Maulina weitergeht. Aber irgendwann hat alles ein Ende. Jetzt ist der letzte Teil von Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt von Finn-Ole Heinrich erschienen. Man weint nicht nur, weil darin Maulinas Mama schließlich wirklich stirbt.

Noch ein drittes Mal erzählt Maulina von ihrem Leben in Plastikhausen, ihrer kranken Mama, die immer schwächer wird, von ihrem Freund Paul und dessen Hund Kurt, vom General für Käse und dem Maulzauber. Das Leben schreitet voran, unerbittlich, und doch auch zauberhaft, liebens- und lebenswert. Maulina redet wieder mit dem Mann. Dieser ist mittlerweile zum zweiten Mal Vater geworden, von den Zwillingen Theo und Ron. Nur deren Mutter, der „Flamingo“, raubt Maulina noch den letzten Nerv.
Aus dem Dachboden über Mauldawien hat Maulina Maultropolis gemacht und baut dort ein Museum für Mama, in dem sie alle möglichen Erinnerungsstücke – vom Schal bis zur Haarlocke – sammelt.
Bei allen Veränderungen, den guten, wie den schlechten, steht Paul ihr rührend und unerschütterlich zur Seite, ebenso wie Ludmilla und der General für Käse. Maulina verliert ihre Mama, und das ist an Traurigkeit nicht zu überbieten. Aber sie kann auf ein dichtes Netz an Menschen zählen, die ihr Halt geben.

Maulinas Schicksal wünscht man keinem Kind, egal, wie alte es ist. Und doch genau diese Dinge passieren. Täglich. Und als Erwachsener steht man da und fragt sich, wie Trost möglich sein kann. Finn-Ole Heinrich zeigt eine mögliche Art von Trost und Trauer: erinnern, feiern, maulen. Das hört sich hier vielleicht ziemlich schräg an, aber so wie Heinrich das Maulina erzählen lässt, überzeugt es sofort. Jedenfalls mich.

Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt finden mit Ende des Universums ein würdiges Ende. Das geht allerdings nicht ohne Tränen. Das Herz scheint zu reißen, gleichzeitig ist es erfrischt und hoffnungsfroh. Maulina – das ist mal klar – vergisst man nicht so schnell, dafür vermisst man sie bereits, sobald die letzte Seite gelesen ist.

Bleibt nur noch zu sagen, dass die Illus von Rán Flygenring wieder einmal ganz wunderbare Ergänzungen, Leckerbissen und Schauzeug bieten. Und die liefern bei all der Trauer und Schwere die richtige Portion an visueller Leichtigkeit.

Finn-Ole Heinrich: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Das Ende des Universums, Illustrationen: Rán Flygenring, Hanser Verlag, 2014, 192 Seiten, 12,90 Euro