Über Ulrike Schimming

Ulrike Schimming übersetzt Literatur – von Kinder- und Jugendbüchern bis zu Graphic Novels und Comics – aus dem Italienischen und Englischen und arbeitet als freie Lektorin. Dieses E-Magazin entstand aus ihrer Arbeit für die Jugendzeitschrift stern Yuno. Hier stellt sie Neuerscheinungen oder Klassiker der Kinder- und Jugendbuchliteratur vor, Graphic Novels oder Buch-Perlen, denen sie ein paar mehr Leser wünscht. Weitere Infos zu Ulrike Schimming finden Sie unter www.letterata.de

Pinocchios übersetzerischer Werdegang

Neulich rückten die Übersetzer:innen in den Feuilletons in den Fokus, als anhand der Übersetzung von Amanda Gormans Gedicht The Hill We Climb darüber diskutiert wurde, wer denn einen Texte übersetzen dürfe. Dieser Ton war neu. Wir Übersetzer:innen diskutieren liebend gern darüber, wie man einen Text übersetzen kann oder sollte. Wir ringen um Wirkungsequivalenz mit dem Original, schätzen ab, wie viel Nähe zum Original nötig und wie viel Freiheit möglich ist. Herkunft, Hautfarbe, Religion und Lebenserfahrungen haben dabei bis jetzt nie eine Rolle gespielt, denn zu den Hauptfähigkeiten von Übersetzer:innen gehört neben den Sprachkenntnissen eine gehörige Portion Einfühlungsvermögen. Denn selbst wenn wir vergleichbare Erfahrungen machen, ganz gleich in welcher Lebenswelt, so empfindet jeder Mensch sie doch individuell und auf seine ganz spezielle Art. Niemand wird also das ganz genau das fühlen und assoziieren, was im Fall von Texten die Autor:innen beim Schreiben empfunden haben. Im besten Fall können Übersetzer:innen mit den Autor:innen kommunizieren und nachfragen – und bekommen dann Antworten, die die Feinheiten und Vielschichtigkeiten von Texten offenbaren. Diese gilt es dann zu übersetzen, also den Leser:innen in der Zielsprache zu vermitteln.
Und dennoch bleiben Übersetzungen immer nur ein »Serviervorschlag«, wie eine Kollegin mal sagte. Sie sind eine Momentaufnahme ihrer Zeit, sie unterliegen unzähligen (auch verlegerischen) Faktoren und haben die schlechte Angewohnheit noch schneller zu altern als die zugrundeliegenden Originaltexte. Was sich im Folgenden ziemlich gut erkennen lässt.

Von der Debatte zur Recherche

Während im Feuilleton also diese Debatte tobte – die für mich in dem Witz gipfelte, dass dann auch Kinderbücher nur noch von Kindern übersetzt werden sollten –, befasste ich mich mal wieder mit der italienischen Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. Unter den Neuerscheinungen fand sich, wie quasi jedes Jahr, eine neue Pinocchio-Ausgabe – für die eine Übersetzung aus den 1960-Jahren genutzt wurde. Ich wunderte mich, fing an nach die Übersetzerin zu recherchieren, zu der ich nichts fand. Stattdessen stieß ich auf unzählige Übersetzer:innen-Namen, die alle Pinocchio übersetzt, neu bearbeitet, neu getextet, neu irgendwas hatten. Was soll ich sagen: In mir erwachte ein Sammeltrieb, den ich so von mir eigentlich nicht kenne … doch dieses Mal wurde es für mich immer spannender, mit jeder neuen Übersetzungsfassung, die ich in die Finger bekam.

Pinocchios lange Übersetzungshistorie

So stapeln sich bei mir nun Pinocchio-Ausgaben jeglicher Couleur – angefangen bei der deutschen Erstausgabe von 1905 über unzählige Versionen aus den 1940er-Jahren in traurig vergilbtem und zerfallendem Nachkriegspapier, bis hin zu verkürzten Erstlese-Versionen, einer Ausgabe in Bernerdeutsch, Comic-Adaptionen und Bilderbüchern. Die Versionen stammen aus der Schweiz, Österreich und der DDR. Von der Disney-Version aus den USA mal ganz zu schweigen. Insgesamt 54 deutsche Varianten plus das Original. 48 davon werde ich unten auflisten. Natürlich gibt es wesentlich mehr Pinocchio-Ausgaben auf dem Markt, weil quasi jeder Kinderbuchverlag seine eigene Variante herausgebracht hat. Doch oft haben die Verlage dann auf bereits bestehende Übersetzungen zurückgegriffen, was man an den Einträgen zu Pinocchio in der Deutschen Nationalbibliothek sehr gut erkennen kann, die in die Hunderte gehen.
Die mir vorliegenden Versionen umfassen jedoch immer noch nicht alle Übersetzungen, eine habe ich antiquarisch noch nicht gefunden. Ich werde sie, sobald die Bibliotheken wieder öffnen, in der Hamburger Staatsbibliothek einsehen können. Zudem gibt es eine Theaterfassung, auf die ich noch keinen Zugriff erhalten habe.
Pinocchio, der in Italien 1883 zum ersten Mal als Buch erschienen ist, dürfte somit eines der meistübersetzten Kinderbücher ins Deutsche sein. Für Alice im Wunderland von Lewis Carroll gibt Wikipedia 36 Übersetzungen seit 1869 an, allerdings mit sehr strengen Maßgaben (nur vollständige Versionen). Für Der kleine Prinz von Saint-Exupéry sind es neun, wobei das Original aber auch erst 1943 erschienen ist. Auch hier freue ich mich über Infos, falls ein Kinderbuch diese Zahlen noch toppt.

Drei Sätze im Vergleich

Da ich nun jedoch nicht die Zeit habe, all diese Bücher von vorn bis hinten Wort für Wort zu vergleichen, habe ich mir ein pragmatisches Vorgehen überlegt. Ich habe drei markante Sätze und Absätze ausgewählt, die für Übersetzer:innen interessant sind: Zunächst den Absatz, in dem Geppetto Pinocchio seinen Namen gibt. Warum sich die Übersetzer:innen für ihre Versionen entschieden haben, wird vermutlich immer ein Rätsel bleiben (evt. müsste ich die wissenschaftliche Literatur einsehen, ob es darüber etwas gibt, aber auch das ist ein Zeitfrage). Allein für die relativ schlichten italienischen Sätze: „–Che nome gli metterò? – disse fra sè e sè. – Lo voglio chiamar Pinocchio.“ gibt es kaum gleichlautende Übersetzungen.
Die Namensfrage war dann so interessant, dass ich noch ein paar Namen, Figuren und den „Caffé-e-latte“ verglichen habe. Schon was aus Romeo, dem Verführer wurde, ist irre. Und welches Getränk bereitet man Kindern zu? Auch das „Paese dei balocchi“ ist nicht so eindeutig zu benennen. Ich bin aus dem Staunen über die Kreativität und die Freiheiten der Kolleg:innen kaum noch rausgekommen.
Der zweite Satz schildert die Fee und ist allein wegen der Übersetzung von „turchina“, ihrer Haarfarbe, interessant: fifty shades of blue … könnte man sagen. Bei diesem Satz kann man jedoch auch einen Blick auf den Umgang mit der Syntax in den Übersetzungen werfen, die naturgemäß ebenfalls sehr unterschiedlich ausfällt.
Das dritte Beispiel schildert die „Schlacht der Schuljungen“, die sich ihre Bücher um die Ohren hauen. Collodi hat unter die Bücher zwei seiner eigenen Werke aufgeführt, die deutschen Leser:innen vermutlich nichts mehr sagen (falls überhaupt je). Auch hier ist die Kreativität der Übersetzenden und ihr freizügiger Umgang in Form von Ergänzungen, Kürzungen oder Umschreibung frappierend.
Bei diesem Blick auf die verschieden Übersetzungsfassungen geht es mir nicht um eine wissenschaftliche Analyse oder Einordnung, sondern viel mehr um eine Dokumention des Vorhandenen. Auch inhaltliche Erörterungen zum Inhalt und zur Lesart von Pinocchio sind hier nicht das Ziel. Mein Fokus liegt auf den Übersetzungen.

Die Vielfalt der Übersetzungen

Ich habe die Versionen als eine lange Liste zusammengestellt, die ich hier kommentarlos einstelle. Bei den eingekürzten Versionen fehlen oftmals gewisse Szenen oder Kapitel, so dass dann auch die ausgewählten Sätze fehlen. Das habe ich dann vermerkt. Die Walt-Disney-Version habe ich hier nicht berücksichtigt, weil es sich dabei um einen Sonderfall handelt und die Texte zumeist aus dem Englischen übersetzt wurden. Wer sich auf die Lektüre dieser langen Liste einlässt, wird sich seine eigenen Gedanken zu den Übersetzungen machen können. Eine Bewertung, was gelungen ist oder nicht, wage ich nicht vorzunehmen, denn jede Version ist in ihrem ganz eigenen Kontext und ihrer ganz eigenen Zeit entstanden. Doch allein an diesen drei Beispielssätzen zeigt sich – für mich auf jeden Fall – wie sehr sich Übersetzungen wandeln und wie frei Übersetzer:innen arbeiten (können). Und wie wenig die Frage bringt, wer einen Texte übersetzen darf.
Noch habe ich keine Lieblingsübersetzung ausgemacht, noch habe ich keine gefunden, die ich als „kanonisch“ bezeichnen würde. Aber dafür bin ich eben selbst zu sehr Übersetzerin und würde ja am liebsten den gesamten Pinocchio auch noch mal übersetzen. Es würde sicher wieder etwas ganz anderes dabei herauskommen.

Da diese Auflistung wirklich sehr lang ist, könnt ihr euch das Ganze auch als unkommentiertes PDF hier herunterladen:

Es ist nicht weniger lang, aber vielleicht besser lesbar.

Illustrationen auf Instagram

Auf meinem Instagram-Kanal letteraturen werde ich in den kommenden Wochen die einzelnen Bücher kurz vorstellen, da die meisten von ihnen illustriert sind und selbst diese Bilder auf ihre Art so einiges über den Umgang mit und den Wandel von Pinocchio verraten.

Ein italienisches Original und 46 deutsche Versionen

Carlo Collodi
Le avventure di Pinocchio
Illus: Enrico Mazzanti
1883

Nomi/Namen  
Mastr’Antonio/Maestro Ciliegia | compar Geppetto | Burattinaio Mangiafuoco | Caffè-e-latte | Romeo/Lucignolo | Paese degli balocchi | Pesce-cane – «l’Attila dei pesci e dei pescatori»

Kap. III, S. 29   –Che nome gli metterò? – disse fra sè e sè. – Lo voglio chiamar Pinocchio. Questo nome gli porterà fortuna. Ho conosciuto una famiglia intera di Pinocchi: Pinocchio il padre, Pinocchia la madre e Pinocchi i ragazzi, e tutti se la passavano bene. Il più ricco di loro chiedeva l’elemosina.Kap. XVI, S. 86   In quel mentre che il povero Pinocchio impiccato dagli assassini a un ramo della Quercia grande, pareva oramai più morto che vivo, la bella Bambina dai capelli turchini si affacciò daccapo alla finestra, e impietositasi alla vista di quell’infelice che, sospeso per il collo, ballava il trescone alle ventate di tramontana, battè per tre volte le mani insieme, e fece tre piccolo colpi.Kap. XXVII, S. 148   Allora I ragazzi, indispettiti di non potersi misurare col burattino a corpo a corpo, pensarono bene di metter mano ai proiettili, e sciolti I fagotti de’ loro libri di scuola, cominciarono a scagliare contro di lui i Sillabari, le Grammatiche, i Giannettini, i Minuzzoli, i Racconti del Thouar, il Pulcino della Baccini e altri libri scolastici.

Hippeltitsch’s Abenteuer. Geschichte eines Holzbuben.
In autorisierter deutscher Bearbeitung von
Paul Artur Eugen Andrae
Illus: E. Chiostri
Carl Siwinna
Kattowitz und Leipzig, 1905
262 Seiten

Meister Fridolin/Meister Kirsche | Schlampel | Budenbesitzer Feuerfresser| Kakaogeschmause | Land der Müßiggänger | Paul, Freund Spitz | Haifisch – „Geißel der Fische und Fischer“  

  „Welchen Namen soll ich ihm geben?“ Fragte er sich. „Hippeltitsch will ich ihn heißen! Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich kannte eine ganze Familie Hippeltitsch: Hippeltitsch der Vater, Hippeltitschin die Mutter und Hippeltitschs auch die Kinder, und allen ging es gut. Der Reichste unter ihnen bettelte.“  Während der arme Hippeltitsch von den Mördern an einem Aste der großen Eiche aufgehängt wurde und jetzt einem Toten ähnlicher sah als einem Lebenden, trat das schöne Mädchen mit den dunkelbauen Haaren ans Fenster. Und da sie mit jenem Unglücklichen, der aufgehängt im Winde schaukelte, Mitleid hatte, klatschte sie dreimal leise in die Hände.  Aufgebracht, sich mit dem Holzbuben nicht Brust an Brust messen zu können, griffen sie zu Wurfgeschossen. Und nachdem sie ihre Schultaschen aufgeschnürt hatten, schleuderten sie ihre Fibeln, Grammatiken, Lesebücher, Heys Fabeln und andere Schulbücher gegen ihn; …

Die Geschichte vom hölzernen Bengele für große und kleine Kinder
Ü: Anton Grumann
Illus: Enrico Mazzanti
Herdersche Verlagshandlung, Freiburg, 1914
257 Seiten

Schreiner-Toni/Meister Pflaum | Meister Seppel | Direktor Feuerschlund | Kaffee mit Kuchen | Faulenzerland | Friedrich, Freund Röhrle | Der Große Hai, von dem ihr schon gehört habt


  Es quälte ihn nur noch eine Sorge. Er wackelte mit dem Kopfe hin und her, sann und dachte und fragte sich: „Ein Name!? – Ein Name!? – Was für einen Namen soll ich meinem Hampel geben?“ Plötzlich sprang er auf, griff sich an die Stirne und sagte: „Ja! ‚Bengele‘ muss er heißen. Das ist ein schöner Name und er bringt ihm Glück. Ich habe eine ganze Familie Bengele gekannt: der brave Vater Bengele, die fleißige Mutter Bengele, die Bengele Buben, alle so tüchtig, und allen ist es in der Welt gut gegangen. Einer von ihnen hat sogar Kienholz in der Stadt verkauft.“  In diesem Augenblicke, als Bengele zu sterben glaubte, trat das Mägdlein mit dem goldenen Haar wieder ans Fenster. Es hatte Mitleid bekommen mit dem armen Hampelchen, das vom Winde gefaßt hin und her schaukelte. Zierlich klatschte das holde Kind dreimal in die Hände und schlug dreimal mit dem Fuß auf den Boden.  Die Knaben waren wütend, daß sie Bengele nicht zwingen konnten, und wollten ihm auf eine andere Art beikommen. – Rasch machten sie ihre Schulsäcke auf und warfen ihre Bücher gegen ihn. Da kam eine Grammatik geflogen, da ein Rechenbuch, da eine Naturgeschichte, da ein Geographiebuch, ein Atlas und sogar ein Federkasten.

Hölzele, der Hampelmann, der schlimm ist und nicht folgen kann! Eine viellehrreiche Böse-Buben-Geschichte
Ü: Franz Latterer
Illus: Anton Kenner
Steyrermühl Verlag, Wien, 1923
166 Seiten

Meister Anton/Meister Kirschnas | Gevatter Armerling | Feuerfresser | Milchkaffee mit Schlagsahne | Spielestadt | Franz, Freund Döchterle | Haifisch [ohne Attila]  

  »Wie soll ich ihn nur taufen? … Halt! Ich habe es: „Hölzele“ will ich ihn nennen. Erstens weil er aus Holz ist, zweitens weil dieser Name sicher Glück bringt. Ich habe ja mal eine ganze Familie Hölzele gekannt: Herr Hölzele der Vater, Frau Hölzele die Mutter, Klein-Hölzele die Kinder und allen ist es gut gegangen; der Reichste von allen ging betteln.«  Während nun Arm-Hölzele, den die bösen Räuber an dem Zweig der Großen Eiche aufgehängt hatten, mehr tot als lebendig war, erschien am Fenster des Häuschens wieder das schöne Mädchen mit den schwarzblauen Haaren. Diesmal aber war sie gar nicht mehr tot und als sie den armen Wurstel an der Großen Eiche hängen sah und sah, wie er im Winde hin- und herbaumelte, ergriff sie tiefe Mitleid mit ihm. Dreimal schlug sie mit ihren Händchen zusammen, daß es dreimal niedlich patschte.  Die Buben ärgerten sich, daß es ihnen nicht möglich war, an Hölzele heranzukommen und sich mit ihm, einer nach dem andern, im Raufen messen zu können. Da kamen sie auf den Einfall, Hölzele zu bewerfen und zu beschießen mit den Geschossen, die sie eben zur Hand hatten, mit ihren Schulbüchern. Die Bücherpacke wurden rasch aufgeschnallt und schon flogen die Geschosse gegen Hölzele, das Lesebuch, das Sprachbuch, die Rechenlehre und die Geometrie, der Atlas und die Geographie.

Kasperles Abenteuer. Die Geschichte eines Holzbuben, der schließlich ein wirklicher Knabe wird
deutsch bearbeitet von Heinrich Siemer
Illus: Ottilie Kollwitz
Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, o.J.
221 Seiten – vermutlich 1920er oder 1930er Jahre (Titelei ist in Sütterlin gesetzt)

Meister Anton/Meister Kirsche | Meister Seppel | Feuerfresser | Schokolade mit Schlagsahne | Spielzeugland | Friedrich, Freund Spindelfritz | Riesenfisch

  „Welchen Namen soll ich ihr geben?“ fragte er sich lachend. „Ich glaube, ich werde sie Kasperle nennen. Der Name wird ihr Glück bringen. Ich kannte einmal eine Familie, die so heiß. Da war Kasper, der Vater, Kasperline, die Mutter und Kasperle, das Kind, und allen ging es gut. Der reichste von ihnen war ein Bettler.“  Während das arme Kasperle am Zweig der großen Eiche hing, offenbar mehr tot als lebendig, erschien das wunderschöne Kind mit dem blonden Haar wieder am Fenster. Wie es das unglückliche Kasperle an dem Ast hängen sah, vom Nordwind hin und her geschleudert, wurde es von Mitleid ergriffen. Es klatschte leise dreimal in die Hände.  Die Knaben wurden zornig, als sie sahen, daß sie Kasperle im Nahkampf nicht überwältigen konnten, und griffen zu anderen Waffen. Sie nahmen ihre Ränzel vom Rücken und begannen, ihre Schulbücher gegen ihn zu schleudern: Grammatiken, Wörterbücher, Lesebücher, Geographiebücher und andere dicke Bände.

Klötzlis lustige Abenteuer
frei nach dem Italienischen von Josef Kraft
Illus: Ettore Cocchi
Verlag Huber & Co., Frauenfeld und Leipzig, 1938
146 Seiten

Schreiner Toni/Meister Zwetschg | Sepp | Hampelmeister Feuerfresser | Kaffee | Gänggeliland | Fritz, Freund Zündi | Riesenhai „Herr der Meere“

  „Was für einen Namen soll ich ihm geben? … Was, ich taufe ihn Klötzli! Dieser Name bringt ihm Glück. Ich kannte ja eine ganze Klötzli-Familie: Klötzli-Vater, Klötzli-Mutter und Klötzli-Buben. Alles feine Leute. Der reichste davon ging sogar betteln. Jawohl, Klötzli!“  In diesem Augenblick erschien das Mädchen mit dem blauen Haar wieder am Fenster. Es sah den armen Hampelmann im Biswind baumeln und bekam Mitleid mit ihm. Es klatschte dreimal leicht in die Hände.  Aus der Nähe war nichts zu machen. Darüber waren sie schrecklich wütend. „Bücher schmeißen!“ schrie da einer. Die Schultaschen wurden aufgemacht. Rechenbücher, Lesebücher, Lineale, Griffelschachteln sausten Klötzli um den Kopf.

Pinocchio. Die Geschichte des hölzernen Hampelmanns, der ein richtiger Junge wurde
Ü: Erni Russig
Illus: Jo von Kalckreuth
Wiking Verlag, Leipzig, 1944
178 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsche | Gevatter Seppel | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Kamerad Docht | Riesenhai, „Das Fischgrab“

  „Wie werde ich ihn nennen? Fragte er sich. „Ich will ihn Pinocchio1 taufen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Familie Pinocchio gekannt. Pinocchio Vater, Pinocchio Mutter und Pinocchio Kinder, und allen ging es gut. Der reichste von ihnen war ein Bettelmann.“   1 Sprich: Pinokkio (= der länglich-runde Kern der Frucht der Pinie)  Während der arme Pinocchio an einem Ast der „großen Eiche“ mehr tot als lebendig hing, schaute das schöne Mädchen mit den blauen Haaren wieder zum Fenster heraus. Beim Anblick des Unglücklichen, der da am Halse aufgehängt im Winde baumelte, überkam sie das Mitleid. Sie klatschte dreimal in die Hände.  Voller Wut, daß es ihnen nicht gelang, dem Hampelmann zu Leibe zu gehen, fingen die Jungen an, zu Wurfgeschossen Zuflucht zu nehmen. Sie öffneten die Schultaschen, und schon kamen ABC-Bücher, die Grammatik, das Rechenbuch, der Atlas und anderes auf ihn zugeflogen.

Larifaris Abenteuer. Eine Kasperlgeschichte nach C. Collodis „Pinocchio“
frei übersetzt: Louis Concin
Illus: Reinken
Ritsch-Verlag, Bludenz, 1947
Teil 1-4, 130 Seiten 

Meister Anton/Meister Kirsche | Gevatter Valentin | Theaterdirektor Feuerfraß | Kakao mit Schlagobers | Land der Spiele | Hans – Freund Docht | Riesenhaifisch, „Attila der Fische und der Fischer“

  „Wie soll ich ihn aber nennen?“ fragte er sich. „Ich heiße ihn Larifari. Dieser Name bring Glück. Ich habe einmal eine ganze Familie Hampelmännchen gekannt. Der Vater hieß Larifari, die Mutter Frau Larifari und Larifaris hießen alle Kinder. Allen ging es gut, ja der Reichste von ihnen war sogar ein Bettler.“  Als nun der arme Larifari am Aste der großen Eiche hing und schon mehr tot als lebendig war, sah das Mädchen mit den türkisblauen Haaren neuerlich zum Fenster hinaus und erblickte den unglücklichen Hampelmann, der dort im Winde hin- und herschaukelte. Tiefes Erbarmen ergriff sie. Das schöne Mädchen schlug dreimal in die Hände.  Da sich die Buben mit Larifaris Kräften nicht messen konnten, wurden sie böse und trachteten, ihn auf andere Art unterzukriegen. Bald waren die Schulranzen aufgemacht und die Bücher flogen nur so gegen den Armen Hampelmann. Da regnete es Fibeln und Rechenbücher, große und kleine Schulbücher aller Art, […]

Pinocchio der Hampelmann
neubearbeitet von Marina Thudichum
Illus: Hans Toscano del Banner
Salzburger Jugendverlag, 1947
213 Seiten

Schreiner Toni/Meister Powidl | Schnitzer Sepp | Carlo Diabolicus | Kaffee, Kuchen und Butterbrot mit Honig | Vakanzien/Spielestadt | Fritz, Freund Röhrle | Haifisch [Dampfschiff-Vergleich]

  „Hör zu, was ich dir sage! Pinocchio sollst du heißen und du sollst ein wunderbarer Hampelmann werden! Alle Hampelmänner der Welt sollen vor Staunen die Arme und Beine hängen lassen, wenn sie dich sehen, und ich werde ein glücklicher Vater sein.“  Das schöne Mädchen mit den schwarzen Haaren, das Pinocchio am Fenster des Häuschens gesehen hatte, war eine gute Fee und hieß Felicitas. Weil sie eine Fee war, wußte sie mehr als gewöhnliche Menschen, und sie kannte auch den ungezogenen Hampelmann ganz genau. Als ihn aber nun so zwischen Himmel und Erde baumeln sah, erfaßte sie großes Mitleid mit ihm. Sie beugte sich aus dem Fenster und klatschte dreimal in die Hände.  Die Meerspinne zog den Kopf ein und kroch zurück, und die sieben Buben sahen sich nach neuen Wurfgeschossen um. Da fiel ihr Blick auf Pinocchios Schulmappe, die noch vollgepackt im Sande lag. Sogleich schnallten sie sie auf und fingen an, mit seinen Büchern und Heften nach ihm zu werfen. Der Lange nahm ein besonders Dickes Rechenbuch mit festen Lederecken und zielte damit nach dem Kopf des Hampelmanns.

Die Abenteuer des Pinocchio,
Ü: Vico Mantovani,
Illus: Gerhard Klaus
Erich Schmidt Verlag, Berlin, o.J.
vermutlich 1948

Meister Anton/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Schlaraffenland | Romeo, Freund Docht | Haifisch, der „Attila der Fischer und Fische“

  „Welchen Namen werde ich ihm geben?“ fragte er sich. „Ich will ihn ‚Pinocchio‘ nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Familie Pinocchio gekannt: Pinocchio – der Vater, Pinocchia – die Mutter und Pinocchi – die Kinder, und allen ging es gut: der reichste von ihnen mußte betteln.“  Als nun der arme, von Mördern an einem Zweig der „Großen Eiche“ aufgehängte Hampelmann mehr tot als lebendig zu sein schien, zeigte sich das schöne Mädchen mit dem blauschwarzen Haar von neuem am Fenster. Von Mitleid ergriffen beim Anblick des armen Unglücklichen, der, am Halse aufgehängt und von den Stößen des Nordwindes hin und hergeworfen, hin und her tanzte, klatschte es dreimal in die Hände.  Da ärgerten sich die Jungen, daß sie sich mit dem Hampelmann im Nahkampf nicht messen konnten, darum sahen sie sich nach Geschossen um. Sie ergriffen ihre Schulbücher und schleuderte sie nach Pinocchio. Es flogen die Fibel, die Grammatik, das Lesebuch, das Rechenbuch und andere, […]

Purzel der Hampelmann. Eine abenteuerliche Geschichte
Ü: Alois Pischinger
Illus: Susi Storck-Rossmanit
Carl Übereuter, Wien, 1948
254 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsch | lieber Josef | Herr Direktor Feuerfresser | Faulenzerland | Leopold, Freund Dochterl | zweihundert Schalen Schokolade | der riesige Haifisch, „der Attila der Fische und der Fischer“

  „Aber wie soll ich ihn nennen?“ dachte er bei sich und überlegte hin und her. Es wollte ihm nichts Rechtes einfallen. Doch plötzlich tippte er sich an den Kopf und rief freudig aus: „Ich hab’s! Ich will ihn Purzel heißen, ja Purzel! das ist ein schöner Name und wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Familie gekannt, die Purzel hieß, Vater, Mutter und Kinder, alle hießen so, und allen ist es in der Welt gut gegangen. Einer von ihnen hat es gar weit gebracht; er durfte im Zirkus Purzelbäume schlagen und am Ende der Vorstellung Geld einsammeln.“  Während der arme Purzel am Strick auf der großen Eiche hing und dem Tode nahe war, erschien das schöne Mägdlein mit den blauschwarz schimmernden Haaren wieder am Fenster des Häuschens. Beim Anblick des unglücklichen Knaben, der da im Wind an einem Ast baumelte, schlich sich inniges Mitleid in das Herz der lieblichen Jungfrau. Sie klatschte dreimal in die Hände und stampfte dreimal mit dem zierlichen Füßchen auf den Boden.  Die Buben waren wütend, daß sie nicht an den Hampelmann herankommen konnten, um im Ringen ihre Kräfte mit ihm zu messen. Da kamen sie auf den Gedanken, ihn mit Geschossen zu bewerfen. Sie rissen ihre Schultaschen auf, und schon flogen ihre Büchergeschosse gegen den wackeren Kämpfer. Da kam ein Lesebuch geflogen, da ein Rechenbuch, eine Naturgeschichte, ein Atlas, und noch viele andere Schulbücher traten denselben Weg an.

Die wunderbare Geschichte des Hampelmanns Pinocchio
Ü: Ella Zahn
Illus: Helmut Bibow
Gustav Kiepenheuer Verlag, o.O., 1948
192 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsch | Gevatter Pepi | Feuerfresser | Schokolade und Torte | Schlaraffenland | Romeo, Freund Döchtchen | Riesenhai, „Attila der Fische und der Fischer“

  „Welchen Namen werde ich ihm geben?“ fragte er sich. „Ich will ihn „Pinocchio“ nennen. Dieser Name wird ihm bestimmt Glück bringen. Ich habe einmal eine ganze Familie von Pinocchi gekannt. Pinocchio der Vater, Pinocchia die Mutter und Pinocchi die Kinder. Allen ginge es großartig. Der reichste von ihnen bettelte um Almosen…“  Der arme Pinocchio, den die Räuber auf einen Zweig der Großen Eiche aufgehängt hatten, schien mehr tot als lebendig, als ihn das schöne Mädchen mit den blauschwarzen Haaren von ihren Fenstern erblickte. Der Bergwind schaukelte den armen Jungen hin und her. Da klatschte sie dreimal in die Hände und klopfte dreimal leicht auf das Fensterbrett.  Die Buben waren wütend, daß sie im Handkampf unterlagen und sahen sich nach Waffen um; sie öffneten schnell ihre Schulranzen und warfen nun mit Büchern nach dem Hampelmann: die Grammatik, das Rechenbuch, die Naturgeschichte flogen durch die Luft.

Die Abenteuer des Kasperle Pinocchio
Ü: Hildegard Ossen
Stahlberg Verlag, Karlsruhe, 1948
202 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsche | Freund Beppo | Theaterdirektor Feuerfraß | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Strickchen | der riesige Haifisch, „der Schrecken der Fische und der Fischer“

  „Wie soll ich ihn nennen?“ sagte er zu sich. „‘Pinocchio‘ soll er heißen, dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Familie gekannt, die alle Pinocchio hießen: Pinocchio, der Vater, Pinocchia, die Mutter, und Pinocchi, die Kinder, und allen ist es gut gegangen; der reichste von ihnen war ein Bettler.“  Als der arme Pinocchio, von den Räubern aufgehängt, mehr tot als lebendig am Ast der dicken Eiche baumelte, erschien das schöne Mädchen mit den himmelblauen Haaren wieder am Fenster, und wie es den Unglücklichen da am Ast der Eiche baumelnd im Takt des Nordwindes tanzen sah, füllte sich sein Herz mit Mitleid und schnell klatschte es dreimal in die Hände.  Als die Jungen merkten, daß sie so dem Kasperle nichts anhaben konnten, wurden sie wütend und sahen sich nach Wurfgeschossen um; im Nu wurden die Ranzen aufgerissen und Lesebücher, Grammatiken, Rechenbücher und Federkästen wurden gegen ihn geschleudert.

Die Abenteuer des Pinocchio
Ü: Hubert und I. Tigges
Illus: Reinhold Bicher
Marées-Verlag, Wuppertal, 1948
168 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsch | Meister Sepp | Direktor Feuerfresser | Milchkaffee | Schlaraffenland | Julius, Freund Spitzdocht | Großer Hai, „Attila der Fische und Fischer“

  „Welchen Namen soll ich ihm geben?“ sagte er zu sich selbst. „Ich will ihn Pinocchio nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Familie Pinocchio bekannt, Pinocchio den Vater, Pinocchia die Mutter und Pinocchi die Kinder, und allen ist es gut ergangen. Der reichste von ihnen ging betteln.“  In dem Augenblick als der arme, von den Räubern an einem Ast der „Großen Eiche“ aufgehängte Pinocchio mehr tot als lebendig zu sein schien, zeigte sich das schöne Mädchen mit den blauschwarzen Haaren wieder am Fenster. Als es den Unglücklichen am Halse aufgehängt im Nordwind seinen Reigen tanzen sah, bekam es Mitleid, klatschte dreimal in die Hände und stampfte dreimal mit dem Fuß auf den Boden.  Dann versuchten es die Jungen, die sich darüber ärgerten, mit Wurfgeschossen; sie öffneten ihre Taschen mit den Schulbüchern und begannen, ihre Fibeln, Grammatiken, Lesebücher, Rechenbücher, ihre Naturgeschichte, ihr Geographiebuch, ihren Atlas und andere Schulutensilien gegen ihn zu schleudern.

Kasperls Abenteuer
Ü: Egle Rollinger
Illus: W. Kurasch
Scholle Verlag, Wien, o. J. (vermutlich 1949)
207 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsche | Gevatter Franzl | Kasperletheaterdirektor Feuerfresser | Kaffee mit Schlagobers | Spielzeugland | Fritz, Docht | Riesenhaifisch, der Schrecken aller Fische und Fischer

  „Welchen. Namen werde ich ihm geben?“ sprach er bei sich. „Ich will ihn ‚Bimbo‘ nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine große Familie von Bimbos gekannt: Vater Bimbo, Mutter Bimbo und Kinder Bimbo. Und alle waren glücklich und wohlauf. Der Reichste von ihnen war Bettler.“  Während der arme Bimbo von den Räubern auf den Ast der Eiche gehängt wurde und schon tot schien, zeigte sich wieder das Mädchen mit den blauen Haaren am Fenster und hatte Mitleid mit dem Unglücklichen, der, am Halse aufgehängt, im Winde hin und her schaukelte. Sie klatschte dreimal in die Hände.  Die Buben, gereizt und verärgert, weil sie mit dem Kasperl nicht Körper an Körper kämpfen konnten, entschlossen sich, zu Wurfgeschossen zu greifen. Sie machten ihre Schulbündel auf und begannen gegen ihn Lesebücher, Federpennale und sonstige Schulrequisiten zu werfen.

Purzels Abenteuer. Die Geschichte vom Pinocchio
Ü: Charlotte Birnbaum
Holzschnitte: Alfred Zacharias
Verlag Kurt Desch München, 1949
212 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsche | Gevatter Knurz | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Kinderspielland | Paul, Freund Strich | Wal, der euch hier schon mal begegnet ist

  Dabei überlegte er, wie der Holzbub heißen solle. „Ich hab’s“, rief er plötzlich. Ich nenne ihn Purzel. Dieser Name bringt ihm sicher Glück. Ich kannte eine ganze Familie Purze von Pinienholz. Purz den Vater, Purzi die Mutter, Purzel und Purzelchen die Kinder, und allen ging es gut. Der reichste von ihnen war ein Bettler.“  Da trat das schöne Mädchen mit den blauen Haaren wieder ans Fenster. An der Großen Eiche baumelte der Unglückliche, und der Nordostwind schlenkerte ihm Arme und Beine durcheinander, daß es aussah, als wolle der Purzel schuhplatteln. Dem Mädchen schmolz das Herz vor Mitleid. Es war ja wohl gestraft genug. Sie klatschte dreimal leicht in die Hände.  Da sich nun die Jungen an Körperkräften nicht mit dem Holzbub messen konnten, griffen sie in ihrer Wut zu Wurfgeschossen. Jetzt hagelte es Buchstabierfibeln, Sprachlehren, Rechenbücher, Fabeln und alles, was in ihren Ranzen zu finden war.

Pinocchio
Ü: Jakob Lorey
Ellermann, 1950

  • Liegt nicht vor

Pinocchios Abenteuer
Ü: Heinz Riedt
(Lizenz-Nr. 301.120/128/60), 20,5 cm hoch
Ü: Pan Rova
(Lizenz-Nr. 301.120/77/54) 21 cm hoch
Holzschnitte: Werner Kemke
Aufbau-Verlag, Berlin, 1954
250 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Land der Spielzeuge | Romeo, Freund Docht | Haifisch, Attila der Fische und Fischer

  ‚Welchen Namen soll ich ihm nur geben?‘ überlegte er sich. ‚Ich will ihn Pinocchio heißen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich kannte mal eine ganze Familie von Pinocchi: Pinocchio hieß der Vater, Pinocchia hieß die Mutter und Pinocchi hießen die Kinder, und alle haben sich gut gehalten. Der reichste lebte von Almosen.‘  Als nun der arme Pinocchio, den die Mordsgesellen an einem Ast der Großen Eiche aufgehängt hatten, mehr tot als lebendig schien, kam das schöne Mädchen mit dem türkisblauen Haar wieder ans Fenster. Sie wurde beim Anblick des unglücklich Erhängten, der unter den Stößen des Nordwinds herumwirbelte, von tiefem Mitleid ergriffen und klatschte dreimal kurz in die Hände.    Da ärgerten sich die Jungs, daß sie im Nahkampf nicht an den Hampelmann herankonnten, und griffen zu ihren Wurfgeschossen. Sie öffneten ihre Ranzen und bewarfen ihn mit ihren Fibeln und Grammatiken, mit ihren „Giannettini“ und „Minuzzoli“, mit den „Erzählungen“ von Thouar, dem „Pulcino“ von Baccini und noch anderen Schulbüchern.

Pinocchio
Ü: Rudolf Köster
Illus: Jan Marcin Szancer
Alfred Holz Verlag, Berlin, 1956
192 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirschnase | Gevatter Geppetto | Direktor Feuerfresser | Milchkaffee | Romeo, Freund „Docht” | Spielzeugland | Walfisch, „das Grab der Fische und Fischer”

  „Welchen Namen werde ich ihr geben?“ fragte er sich. „Ich werde da hölzerne Menschlein Pinocchio nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Familie von Pinocchios gekannt. Pinocchio hieß der Vater, Pinocchia die Mutter und PInocchi die Kinder. Und allen ging es glänzend. Der Reichste von ihnen mußte betteln gehen.“  In dem Augenblick, als der arme Pinocchio schon mehr tot als lebendig an einem Ast der „Großen Eiche“ hing, zeigte sich das Mädchen mit den dunkelblauen Haaren erneut am Fenster, und da sie bei dem Anblick des Unglücklichen, mit dem der Nordwind seinen Reigen aufführte, Mitleid empfand, klatschte sie dreimal in die Hände.  Da griffen die Jungen, ärgerlich, sich mit dem hölzernen Burschen nicht Körper an Körper messen zu können, zu Wurfgeschossen. Sie machten die Schulranzen auf und schleuderten ihre Bücher gegen ihn: Fibeln, Rechenbücher, Sprachlehren und anderes mehr;  […]

Die Geschichte vom Hölzernen Hampelchen
Ü: Lily Dolezal
Atlas-Verlag, Köln, o.J.
143 Seiten
– vermutlich 1956

Meister Anton/Meister Kirsche | Freund Beppo | Theaterdirektor Feuerfraß | Kaffee und Kuchen, Kakao und Brötchen | Ferienland | Robert, Strickchen | der riesige Haifisch

  »Wie soll ich ihn nennen?« sagte er zu sich. »Hampelchen solle es heißen, dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Familie gekannt, die alle Hampel hießen: Hampel-Vater, Hampel-Mutter und Hampel-Kinder. Allen ist es gut gegangen; der reichste von ihnen war ein Bettler.«  Als das arme Hampelchen den Tod vor Augen sah, erschien das schöne Mädchen mit den goldenen Haaren wieder am Fenster, und wie es den Unglücklichen da am Ast der Eiche baumelnd im Takt des Nordwindes tanzen sah, füllte sich sein Herz mit Mitleid, und schnell klatschte es dreimal in die Hände.  Als die Jungen merkten, daß sie so dem Hampelmann nichts anhaben konnten, wurden sie wütend und sahen sich nach Wurfgeschossen um; im Nu wurden die Ranzen aufgerissen, und Lesebücher, Grammatiken, Rechenbücher und Federkästen wurden gegen ihn geschleudert.

Pinocchios Abenteuer
Ü: Nino Erné,
Illus: Martin und Ruth Koser-Michaels
Droemersche Verlagsanstalt, München/Zürich, 1959
158 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsch | Gevatter Joseph | Puppenspieler Feuerschluck | Schokolade | Rudolf, Freund Bindfaden | Spielzeugland | Haifisch, „der Dschingis Khan der Fische und Fischer“

  „Wie soll ich sie denn nennen?“ sagte er zu sich selbst. „Ich weiß schon: ich nenne sie Pinocchio. Das wird ihr Glück bringen. Ich habe mal eine ganze Pinocchio-Familie gekannt: Vater Pinocchio, Mutter Pinocchio und einen Hafen kleiner Pinocchios; allen ginge es glänzend, der reichste von ihnen bettelte um Almosen.“  Zur selben Zeit, als der arme Pinocchio, mehr tot als lebendig, an einem Ast der tausendjährigen Eiche hing, trat das schöne Mädchen mit den Blauen Haaren noch einmal ans Fenster. Der Anblick des Unglücklichen, der da im Nordwind hin- und herschaukelte, rührte sie. Dreimal klatschte sie sacht in die Hände.  Die Buben wurden immer wütender, weil sie nicht an den Kasper herankommen konnten, und fingen an, Geschosse auf ihn zu schleudern, nämlich ihre Schulbücher, das Lesebuch, das Rechenbuch, die Grammatik und so weiter.

Die Abenteuer des Pinocchio

Ü: Hannelore Mücke-Wien
Illus: Libico Maraja
Heide Verlag, Linz
Fratelli Fabbri Editori, Milano, 1960
63 Seiten

Meister Antonio | Vater Kirsche/Freund Gepetto | Marionettenführer Feuerfresser | Milchkaffee | Land der Freuden | Romeo, Freund Spargel | Wal, „Attila“

  Er nannte ihn Pinocchio.  Als Pinocchio schon ehr tot als lebendig schien, wurde das schöne, junge Mädchen mit den blauen Haaren von Mitleid bewegt. Der unglückliche Hampelmann, der im Wind hin- und herschaukelte, dauerte sie. Sie klatschte dreimal in die Hände.  Die Kinder waren wütend, weil sie dem Hampelmann nicht nahekommen konnten, und begannen, ihn mit Schulbüchern zu bewerfen. Grammatik- und Geographie-, Lese- und Rechenbücher flogen auf Pinocchios Kopf zu.

Pinocchios Abenteuer
Ü: Paula Goldschmidt
Illus: Jan Marcin Szancer
Alfred Holz Verlag, Berlin, 6. Auflage 1966
208 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Docht | Riesenwalfisch, die Geißel der Fische und der Fischer

  „Welchen Namen soll ich ihr geben?“, überlegte er. „Ich werde den kleinen Kerl Pinocchio nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich kannte eine ganze Familie von Pinocchi, Pinocchio der Vater, Pinocchia die Mutter und Pinocchi die Kinder, und allen ging es großartig. Der Reichste von allen war ein Bettler.“  In diesem Augenblick, als der arme Pinocchio, den die Räuber an einem Ast der Großen Eiche aufgeknüpft hatten, schon mehr tot als lebendig war, da erschien das schöne Mädchen mit dem blauen Haar wieder am Fenster. Als es den unglückseligen Pinocchio erblickte, der an seiner Schnur baumelte und mit dem Nordwind tanzte, fühlte es tiefes Mitleid und klatschte dreimal in die Hände.  Da griffen die Jungen, verärgert darüber, dass sie sich mit Pinocchio nicht Körper an Körper messen konnten, schließlich zu Wurfgeschossen. Sie öffneten ihre Ranzen und schleuderten ihre Bücher nach ihm: ihre Fibeln, die Sprachlehre und die Rechenbücher, ihre Lesebücher und ganze Bände mit Erzählungen und alles, was sie sonst noch an Schulbüchern bei sich trugen.

Die Abenteuer des Pinocchio/Le avventure di Pinocchio
zweisprachige Ausgabe
Ü: Helga Legers
Max Huber Verlag, München, 1967
341 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsch | Freund Gepetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | das Land der Spielereien | Romeo, Freund Kerzendocht | der riesige Haifisch, „der Attila der Fische und der Fischer“

  »Welchen Namen soll ich ihm geben?« sagte er zu sich selbst. »Ich will ihn >Pinocchio< nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Pinocchio-Familie gekannt: Pinocchio der Vater, Pinocchia die Mutter und Pinocchi die Kinder, und allen ging es gut. Der reichste unter ihnen bettelte um Almosen.«  Während der arme Pinocchio, von den Mördern an einem Ast der »Großen Eiche« aufgehängt, mehr tot als lebendig schien, zeigte sich das schöne Mädchen mit den dunkelblauen Haaren wieder am Fenster und empfand Mitleid beim Anblick des Unglücklichen, der, am Hals aufgehängt, eine Art Springtanz im Nordwind vollführte. Es klatschte dreimal in die Hände mit drei leichten Schlägen.  Erbost darüber, sich im Nahkampf mit dem hölzernen Buben nicht messen zu können, gingen die Jungen zum Angriff mit Wurfgeschossen über. Sie schnallten die Bündel ihrer Schulbücher auf und begannen ihre Fibeln, Grammatikbücher, und die Giannettini und die Minuzzoli1, die Erzählungen von Thourar, das Küken von Baccini und andere Schulbücher gegen ihn zu schleudern.

  1 Giannettino und Minuzzolo sind Titel zweier Bücher von Collodi.

Die Abenteuer des Pinocchio. Eine Kasperlgeschichte
Ü und Bearbeitung: Maria Lutz
Illus: Helga Demmer
Obelisk-Verlag, Innsbruck, o.J.
vermutlich 1967

Meister Antonio/Meister Kirsch | Freund Geppetto | Direktor Feuerfresser | Schalen Schokolade | Spielzeugland | Romeo, Freund Docht | ein riesiger Wal

  „Ich werde ihn Pinocchio nennen“, sagte er. „Das ist ein schöner Name. Ich habe eine ganze Familie gekannt, die so geheißen hat, Vater, Mutter und die Kinder, und alle waren sie glücklich. Der reichste von ihnen war ein Bettler.“  In dem Augenblick, als der arme Pinocchio halbtot an einem Ast der großen Eiche im Wind baumelte, erschien am Fenster des schneeweißen Hauses ein schönes Feenmädchen mit blauschimmernden Haaren. Es klatschte in die Hände.  [fehlt ]

Das Märchen von Pinocchio. Eine Geschichte, die vor mehr als hundert Jahren in Italien passierte
Ü: nicht genannt
Illus: Martha Pfannenschmid
Silva-Verlag, Zürich, 1968
136 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler «Feuerfressen» | Milchkaffee | Land der Spielzeuge | Romeo, Freund Docht | Haifisch, «der Schrecken der Fische und der Fischer»

  «Welchen Namen werde ich ihm geben?» fragte er sich. «Ich will in Pinocchio nennen. Dieser Name bringt ihm Glück. Ich kannte eine ganze Familie von Pinocchios: Pinocchio der Vater, Pinocchia die Mutter und Pinocchini di Kinder, und allen ist es glänzend gegangen. Der Reichste von ihnen ist ein Bettler gewesen.»  Im Augenblick, als der arme Pinocchio, den die Räuber an einem Ast der Großen Eiche aufgeknüpft hatten, schon mehr tot als lebendig schien, kam das schöne Mädchen mit dem blauen Haar wieder ans Fenster, und voller Mitleid mit dem Unglücklichen, der da am Hals aufgehängt mit dem Nordwind einen Reigen tanzte, klatschte es dreimal in die Hände.  Die Buben – verärgert darüber, daß sie nicht an Pinocchio herankommen konnten –  überlegten es sich nicht lange, griffen wahllos zu ihren Büchern und benützten sie als Wurfgeschosse. Sie schleuderten alles nach ihm: ihre ABC-Bücher, die Sprachlehre, die Rechenbücher, die Lesebücher und ganze Bände mit Räubergeschichten, auch Lineale und alles, was sie sonst noch an Krimskrams bei sich trugen.

Pinocchio
Ü: Brigitte Eichhorn
Illus: Val Munteanu
Loewes Verlag, Bayreuth, 1972
175 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Freund Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Docht | Haifisch, „Attila der Fische und Fischer“

  „Welchen Namen soll ich ihm geben?“ murmelte er vor sich hin. „Ich will ihn Pinocchio heißen. Der Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine ganze Familie von Pinocchi gekannt: Pinocchio hieß der Vater, Pinocchio hieß die Mutter, und Pinocchio hießen die Kinder – und alle hatten ihr gutes Auskommen. Der reichste von ihnen war ein Bettler.“  Während der arme Pinocchio, von den Mordgesellen an einem Ast der großen Eiche aufgeknüpft, mehr tot als lebendig schien, zeigte sich das schöne Mädchen mit den türkisblauen Haaren von neuem am Fenster, und es wurde von tiefem Mitleid ergriffen beim Anblick, des Unglücklichen, der, am Halse aufgehängt, zum Blasen Nordwindes einen Tanzreigen aufführte. Und so klatschte sie dreimal kurz und leicht in die Hände.  Erbost darüber, daß sie es im Nahkampf nicht mit dem Holzbuben aufzunehmen vermochten, gingen die Jungen zum Angriff mit Wurfgeschossen über. Sie schnallten ihre Packen Schulbücher ab und fingen an, mit Fibeln und Grammatiken nach ihm zu werfen, mit ihren „Giannettini“ und „Minuzzoli“, den „Erzählungen von Thouar, dem „Pulcino“ von Baccini und anderen Schulbüchern.   [fehlende Abführungszeichen so im Text]

Pinocchio
Ü: Käthe und Günter Leupold
Illus: Sakura Fujita
Peters Bilderbuch
Hans Peters Verlag, Hanau, 1972
24 Seiten

– / – |Puppenspieler Gepetto [sic!] | Theaterdirektor | – | Spielzeugland | – | Walfisch

  »[…] Eigentlich sollte ich ihm einen Namen geben. Wie wär’s mit … Pinocchio?«  [Satz fehlt ]  [Satz fehlt]

Pinocchio
Ü: Fritz Märtin
Illus: N. Grzewski
Franz Schneider Verlag, München, 1973
122 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsch | Freund Seppel | Theaterdirektor Feuerfresser | Kaffee | Land Kinderspiel | –, Freund Strick | Haifisch

  „Wie soll diese Figur heißen?“ fragte er. „Pinocchio klingt nicht schlecht, meine ich. Dieser Name wir ihr Glück bringen.“  [ein schönes Mädchen mit blau schimmerndem Haar]   Dem schönen Mädchen war Pinocchios Leiden nicht verborgen geblieben. Es trat wieder ans Fenster und sann voller Mitleid sogleich auf Hilfe. Dreimal klatschte die Schöne in die Hände […]  […] und versuchten nun, ihn aus sicherer Entfernung mit den Schulbüchern zu treffen, die sie nach ihm warfen.

Pinocchio,
Bearbeitung: Anne Busch
Illus: Franz Josef Tripp,
Engelbert-Verlag, Alve/Sauerland, 1974
204 Seiten

Antonio/Meister Kirsche | lieber Gepetto | Meister Feuerschlund | Milchkaffee | Land der Faulenzer | Romeo, Docht | Haifisch

  Welchen Namen soll sie haben?“ überlegte er. „Oh ja jetzt weiß ich es! Ich werde meine kleine Puppe Pinocchio nennen. Das soll ihr Glück bringen. Ich erinnere mich an eine ganze Familie Pinocchi. Pinocchio, der Vater, Pinocchia, die Mutter, und Pinocchi, die Kinder. Allen ging es sehr gut  – der Reichste von ihnen war ein Bettler.“    Noch immer hing der bedauernswerte Pinocchio an der großen Eiche, wo ihn die Räuber aufgeknüpft hatten, und es schien kein Leben mehr in ihm zu sein. Da entdeckte ihn das schöne Mädchen mit den hellblauen Haaren, das in dem weißen Haus am Fenster saß. Sie empfand großes Mitleid mit ihm und wollte ihm helfen. Sie klatschte dreimal in die Hände, worauf […]  Vor Ärger darüber, daß es ihnen trotz ihrer Übermacht nicht gelang, Pinocchio in die Knie zu zwingen, gingen sie zu einer anderen Kampfesart über. Sie holten aus ihren Ranzen, die sie am Strand abgelegt hatten, die Bücher heraus und warfen sie nach Pinocchio. Lesebücher und Rechenbücher flogen durch die Luft, doch Pinocchio […]

Pinocchio
Text: M. Faulmüller/Ingrid Emond
Illus: Einar Lagerwall
Meister Verlag, München, 1980
28 Seiten

–/Schreinermeister Kirsche | Freund Gepetto [sic!] | Theaterdirektor Mangifuoco | – | – | – | –

  »Ich werde die Puppe Pinocchio taufen!« sagte Gepetto zu sich selbst. »Dieser Name bringt Glück!«  Das schöne Mädchen mit den blaugrünen Haaren Hatte Pinocchio wohl bemerkt. Sie klatschte in die Hände, […]  [Satz fehlt]

Die Abenteuer des Pinocchio
Ü: Roswitha und Neil Morris
Illus: Frank Baber
Tessloff Verlag, Hamburg, 1982
84 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsche | Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Limonade | Narrenland | Carlo, Freund Docht | Haifisch

  „Ich werde sie Pinocchio nennen“, dachte er. „Dieser Name wird ihr Glück bringen.“  Während Pinocchio so verlassen da draußen lag, erschien das schöne Mädchen mit den blauen Haaren wieder am Fenster. Sie blickte in den dunklen Wald und erkannte die Marionette, die wie ein Bündel nasses Reisig aussah. Sie tat ihr so leid, daß sie dreimal in die Hände klatschte.  Die Jungen ärgerte es fürchterlich, daß sie Pinocchio nicht unterkriegen konnten. Sie holten ihre Schulbücher aus den Ranzen und warfen damit nach ihm.

Pinocchio
neu erzählt: Bärbel Haller
Illus: Siegfried Krumm
Südwest Verlag, München, 3. Auflage 1983
157 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Docht | Riesenhai, »der Teufel der Fische und der Fischer“

  Wie soll ich sie nur nennen? überlegte er. Ich werde sie auf den Namen Pinocchio taufen. Er wird ihr sicher Glück bringen. Ich habe einmal eine ganze Familie gekannt, die so hieß. Der Vater, die Mutter, die Kinder – alle hießen Pinocchio, und allen ging es gut. Der reichste von ihnen war ein Bettler.  Als der arme Pinocchio mehr tot als lebendig am Ast der Großen Eiche hing, sah das schöne Mädchen mit dem schwarzen Haar wieder beim Fenster heraus. Sie erblickte den Unglücklichen, der da aufgehängt im Wind hin und her baumelte; das Mitleid überkam sie, und sie klatschte dreimal in die Hände.    Vor Wut darüber, daß sie ihm nicht an den Leib konnten, griffen die Taugenichtse zu Wurfgeschossen. Sie öffneten ihre Schultaschen, und Augenblicke später kamen Abc-Bücher, Sprachlehren, Rechenbücher und was es an Schulbüchern sonst noch alles gibt auf ihn zugeflogen.  

Pinocchios Abenteuer. Die Geschichte einer Holzpuppe
Ü: Hubert Bausch
Illus: Enrico Mazzanti
Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1986 (2008)
200 Seiten

Meister Anton/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler | Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Docht | Haifisch, „Attila der Fische und der Fischer

  »Wie soll sie den heißen«, fragte er sich. »Ich will sie Pinocchio nennen. Dieser Name wird ihr Glück bringen. Ich kannte eine ganze Familie, die Pinocchi hieß: Vater Pinocchio, Mutter Pinocchia und die Kinder Pinocchi. Und alle kamen gut durchs Leben. Der Reichste von ihnen bettelte um Almosen.«  Gerade als der arme Pinocchio, den die Mörder an einem Ast der Großen Eiche aufgehängt hatten, mehr tot als lebendig war, erschien das schöne Mädchen mit dem blauen Haar wieder am Fenster. Beim Anblick des armen, am Halse Aufgehängten, den die Böen des Nordwindes im Kreise herumwirbelten, wurde ihr Herz weich, und sie klatschte dreimal leise in die Hände.  Erbost darüber, dass sie sich nicht mit dem hölzernen Jungen im Nahkampf messen konnten, griffen sie zu Wurfgeschossen. Sie lösten ihre Bündel mit Schulbüchern auf und begannen, ihn mit ihren Lesebüchern, Grammatiken, ihren »Gianettini«, »Minuzzoli«,1 den »Erzählungen« von Thouar, Baccinis »Pulcino« und anderen Schulbüchern zu bewerfen.  

1 Gianettino und Minuzzolo sind Werke von Collodi.

Pinocchios Abenteuer
Ü: Joachim Meinert
Holzstiche: Werner Klemke
Aufbau-Verlag, Berlin, 1988
238 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Docht | riesiger Haifisch, „Attila der Fische und Fischer“

  »Wie soll ich ihn nennen?« sprach er zu sich. »Ich will ihn Pinocchio, Zapfenauge, nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich habe eine Familie gekannt, in der alle Pinocchio hießen: Pinocchio der Vater, Pinocchia die Mutter, Pinocchi die Kinder, und alle lebten sie fröhlich dahin. Der reichste von ihnen war Bettelmann.«  Während nun Pinocchio, von den Räubern am Ast der Großen Eiche aufgeknüpft, so dahing und mehr tot als lebendig schien, trat das Schöne Mädchen mit dem blauschwarzen Haar erneut ans Fenster. Beim Anblick des Unglücksvogels, der da am Halse aufgehängt war und bei den heftigen Böen des Nordost eine Dreher tanzte, erbarmte sie sich seiner und klatschte dreimal in die Hände.  Die Jungen waren wütend, weil sie sich mit dem Burattino nicht im direkten Handgemenge messen konnten, und suchten nach Wurfgeschossen. Sie knüpften die Bündel ihrer Schulbücher auf und schleuderten ihre Fibeln, Grammatiken, Lese- und andere Schulbücher nach ihm.

Der neue Pinocchio
neu erzählt von Christine Nöstlinger
Illus: Nikolaus Heidelbach
Beltz Verlag, Weinheim, 1988
215 Seiten

–  /Meister Kirsche | Geppetto | Puppenspieler | Kakaoschlückchen | Spielzeugland | –, Docht | Haifisch

  Mit den Haaren begann er, und dabei beschloß er, den Hampelmann Pinocchio zu taufen. Er hatte nämlich einmal eine Familie aus lauter lustigen Leuten gekannt, in der hatte der Vater Pinocchio geheißen und die Mutter Pinocchia und die Kinder Pinocchi. Dieser Name, dachte Geppetto, wird meinem Hampelmann sicher Glück bringen!  Das wunderschöne Mädchen mit den türkisblauen Locken machte sich Sorgen um Pinocchio, denn es hatte ja gesehen, wie er von den zwei tropfnassen Kartoffelsäcken in den Wald geschleppt worden war. Und daß die Kartoffelsäcke nichts Freundliches im Sinn gehabt hatten, war zu merken gewesen.  Da ließen ihn die bösen Buben los. Doch als Beute hatten sie seinen Schulranzen erobert. Mit dem traten sie den Rückzug an und verschanzten sich hinter einem Felsen am Ufer. Pinocchio rief: »Gebt mir meine Schulsachen wieder!« »Aber gern«, brüllte es hinter dem Felsen hervor, und dann sauste Pinocchios Lesebuch über den Felsen und platschte ins Wasser. Und hinter dem Felsen hervor kreischte es: »He, Blöder, warum hast du das Buch auch nicht gefangen?« Gleich darauf sausten Pinocchios Tintenwischer und seine Schreibfeder über den Felsen und landeten auch im Wasser.

Pinocchio
Ü: Maria Czedik-Eysenberg
Verlag Carl Ueberreuter, Wien, 1990
155 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Herr Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Docht | Riesenwalfisch, »die Geißel der Fische und der Fischer«

  »Welchen Namen soll ich ihr geben?« überlegte er. »Ich werde den kleinen Kerl Pinocchio nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich kannte eine ganze Familie von Pinocchi: Pinocchio der Vater, Pinocchia die Mutter und Pinocchi die Kinder, und allen ging es großartig. Der Reichste von allen war ein Bettler.«  In diesem Augenblick, als der arme Pinocchio, den die Räuber an einem Ast der Großen Eiche aufgeknüpft hatten, schon mehr tot als lebendig war, da erschien das schöne Mädchen mit dem blauen Haar wieder am Fenster. Als es den unglückseligen Pinocchio erblickte, der an einer Schnur baumelte und mit dem Nordwind tanzte, fühlte es tiefes Mitleid und klatschte dreimal in die Hände.  Die Jungen verärgert darüber, daß sie Pinocchio nicht an den Leib rücken konnten, griffen schließlich zu Wurfgeschossen. Sie öffneten ihre Ranzen und schleuderten ihre Bücher nach ihm: ihre Fibeln, die Sprachlehre- und die Rechenbücher, ihre Lesebücher und ganze Bände mit Erzählungen und alles, was sie sonst noch an Schulbüchern bei sich trugen.

Pinocchios Abenteuer
anhand der dt. Erstausgabe neu bearbeitet von Anne Braun
Illus: Klaus Müller
Arena Verlag, Würzburg, 1993
206 Seiten

Schreiner Tonio/Meister Pflaum | Meister Geppetto | Puppenspieler Feuerschlund | Kakao mit Kuchen | Faulenzerland | Friedrich, Freund Spindel | der große Hai, von dem ihr schon gehört habt

  Es quälte ihn nur noch eine Sorge. Wie sollte er seinen Hampelmann nennen? Plötzlich sprang er auf, schlug sich an die Stirn und rief: »Ja! Pinocchio muss er heißen. Das ist ein schöner Name, der ihm Glück bringen wird. Ich habe eine ganze Familie von Pinocchios gekannt: Vater Pinocchio, Mutter Pinocchio und all ihre Kinder. Sie waren so tüchtig und allen ist es im Leben gut gegangen. Einer von ihnen hatte es sogar zum reichsten Bettler der Stadt gebracht.«  In diesem Augenblick, als Pinocchio mehr tot als lebendig zu sein glaubte, trat das Mädchen mit dem goldenen Haar wieder ans Fenster. Es hatte Mitleid bekommen mit dem armen Hampelmann, der vom Winde geschüttelt, hin und her schaukelte. Es klatschte dreimal in die Hände und klopfte dreimal leicht mit dem Fuß auf den Boden.  Die Jungen ärgerten sich, dass sie Pinocchio auf diese Art nicht beikommen konnten, und griffen zu einer neuen Kampfart. Rasch machten sie ihre Schultaschen auf und bewarfen ihn mit ihren Büchern. Da kam eine Grammatik geflogen, ein Rechenbuch, dann eine Naturgeschichte, dann ein Geografiebuch, ein Atlas und sogar ein Federkasten.

Pinocchio
erzählt von Kristina Franke
Illus: Kestutis Kasparavicius
Coppenrath Verlag, Münster, 1993
48 Seiten

–/– | Holzschnitzer Geppetto | Puppenspieler Herr Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | –/der faule Docht | der riesige Haifisch

  „Aus dir will ich meine schönste und lebendigste Holzpuppe machen“, dachte er plötzlich. „Ich werde mit dir durch die Welt ziehen, damit du mir Glück und Geld bringst. Und weil du aus Pinienholz gemacht bist, will ich dich Pinocchio nennen.“  In dem schneeweißen Häuschen aber, das Pinocchio zwischen den Bäumen gesehen hatte, wohnte eine wunderschöne Fee mit blauen Haaren. Sie war Herrin und Freundin aller Tiere und empfand Mitleid mit dem armen Pinocchio.  [Satz fehlt]

Pinocchios Abenteuer
Ü: Bettina Kienlechner
Illus: Roland Topor
Gina Kehayoff, München, 1995
184 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | guter Geppetto | Puppenspieler Mangiafoco | Milchkaffee | Spielland | Romeo, Freund Docht | der riesige Haifisch, »Attila der Fische«

  »Wie soll ich sie nennen?« sagte er zu sich selbst. »Ich will sie Pinocchio nennen. Dieser Name wird ihr Glück bringen. Ich kannte einmal eine ganze Familie voller Pinocchi: Vater Pinocchio, Mutter Pinocchia, und Kinder Pinocchi, und allen ging es sehr gut. Der reichste von ihnen ging betteln.   [fehlende Abführungzeichen im Text]  Als der arme Pinocchio, den die Mörder an einem Ast der Großeiche aufgehängt hatten, mehr tot als lebendig schien, schaute das schöne Mädchen mit den blauen Haaren aus dem Fenster und war beim Anblick des Unglückseligen, der dort hing und im Wind einen Reigen tanzte, voller Mitleid. Es klatschte kurz dreimal in die Hände […]    Verärgert darüber, daß sie sich im Nahkampf mit Pinocchio nicht messen konnten, beschlossen die Jungen, zu den Wurfgeschossen zu greifen. Sie lösten die Riemen ihrer Bücherbündel und begannen Pinocchio mit Fibeln, Grammatiken, dem Einmaleins, mit Krambambuli und Reinicke Fuchs und anderen Schulbüchern zu bewerfen.

Pinocchios Abenteuer
neu erzählt: Ilse Bintig
Illus: Oliver Regener
Arena Verlag, Würzburg, 2000
80 Seiten

–/– | Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | – | Spielzeugland | Romeo, Kerzendocht | Riesenwal Monstro

  Er überlegte einen Augenblick, dann sagte er lachend zu dem zappeligen Männchen: »Weißt du, ich werde dich Pinocchio nennen. Das ist ein Name, der Glück bringt.«  [Satz fehlt]    [Satz fehlt]

Pinocchio
Ü: Ilse Fath-Engelhardt
Illus: Simon Bartram
Gondrom Verlag, Bindlach, 2002
48 Seiten

Meister Antonio/ – | Geppetto | – | – | Spielzeugland | Romeo | der schreckliche Hai

  »Wie soll ich die Puppe nur nennen?«, fragte er sich. »Ich weiß, sie soll Pinocchio heißen.«    In einem Häuschen wohnte aber eine wunderschöne Fee mit blauem Haar. Als sie am nächsten Tag aus dem Fenster schaute und den Holzbuben am Ast baumeln sah, hatte sie Mitleid. Sie klatschte dreimal in die Hände – eins, zwei drei.  Sie hatten Pinocchio hereingelegt, und es kam noch schlimmer. Einer der Jungen boxte ihn. Pinocchio schlug zurück und unversehens war eine Schlägerei im Gange.

Pinocchio. Die Geschichte eines Hampelmanns, ein Fortsetzungsroman
Ü: Marianne Schneider
Schirmer/Mosel, München, 2003
237 Seiten
– zweisprachige Ausgabe

Meister Antonio/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler Feuerschlucker | Kaffee mit Milch | Land der tausend Spiele | Romeo, Freund Dünndocht | Riesenhaifisch, „Attila der Fische und der Fischer“

  »Wie werde ich ihn denn nennen?« sagte er bei sich. »Pinocchio soll er heißen. Dieser Name wird ihm Glück bringen. Ich kannte einmal eine ganze Familie Pinocchios: Pinocchio, der Vater, Pinocchia, die Mutter, und Pinocchi, die Kinder, und alle ließen es sich wohl sein. Der Reichste von ihnen ging betteln.«    Während der arme Pinocchio, von den Mördern an einem Ast der Großen Eiche erhängt, nun schon mehr tot erschien als lebendig, zeigte sich das schöne Kind mit dem nachtblauen Haar wiederum am Fenster und beim Anblick des Unglückseligen, der am Hals aufgeknüpft zu den Stößen des Nordwinds einen gewaltsamen Reigen tanzte, wurde es von Mitleid erfaßt, klatschte in die Hände und ließ drei kleine Schläge hören.  Da griffen die Jungen vor Ärger darüber, daß sie mit dem Hampelmann nicht ringen konnten, wohlweislich zu ihren Geschossen, und nachdem sie die Riemen um ihre Schulbücher gelockert hatten, begannen sie Lesebücher, Grammatiken, sämtliche Giannettinos und Minuzzolos von Collodi und noch andere Schulbücher nach ihm zu werfen.

Pinocchio
Ü: Sonja Hartl
Illus: Barbara Scholz
Thienemann Verlag, Stuttgart, 2003
202 Seiten

Tischler Antonio/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Docht | der riesige Haifisch

  »Wie soll ich ihn nennen?«, grübelte er. »Pinocchio! Pinocchio nenne ich ihn. Der Name wird ihm Glück bringen. Ich kannte mal eine Familie Pinocchio, in der es alle gut hatten! Der Reichste von ihnen war Bettler.«  In jenem Augenblick, als Pinocchio mehr tot als lebendig am Baume hing, trat das schöne Mädchen mit dem nachtblauen Haar von neuem ans Fenster. Beim Anblick jenes unglücklichen Hampelmannes, der dort am Kragen aufgehängt im Nordwind baumelte, über kam sie solches Mitleid, dass sie dreimal leise in die Hände klatschte.    Dass sie mit Pinocchio nicht Mann gegen Mann kämpfen konnten, ärgerte die Jungen so sehr, dass sie darangingen, sich mancherlei Wurfgeschosse zu bedienen. Sie schnürten ihre Bücherbündel auf und eins ums andere warfen sie ihre Bücher nach ihm. So flogen Pinocchio also Lesebuch, Grammatik und andere gelehrte Werke um die Ohren.

Pinocchios Abenteuer
neu erzählt von Maria Seidemann
Illus: Petra Probst
Edition Bücherbär, Arena, Würzburg, 2006
64 Seiten
– Erstleser

–/– | Geppetto | Direktor | – | – | – | Wal

  » […] Und einen Namen kriegst du auch. Ich werde dich Pinocchio nennen. So wie die kleinen Kerne in den Pinienzapfen hießen. Weil du aus Pinienholz gemacht bist.«  »Weine nicht!«, sagte das Mädchen mit den blauen Haaren, das ihn aus dem Sack befreit hatte.  [Satz fehlt]

D Aabetüür vom Pinocchio
Ü ins Berndeutsche: Ruth Troxler und Thomas Gsteiger
Illus: Martha Pfannenschmid
Weltbild, CH-Olten, 2007
159 Seiten

Meischter Antonio/Meischter Chrischi | Nachber Geppetto | Puppespiler Mangiafoco | Milchgeffee | Gfätterliland | Romeo, Fründ Bohnestange | Haifisch <Attila vo de Fisch u de Fischer>

  «Was chönnt i ihm für ne Name gä?» het er sech gfragt. «Er söll Pinocchio heisse. Dä Name bringt ihm Glück I ha ne Familie vo Pinocchios kennt; Pinocchio der Vater, Pinocchia d Mueter u Pinocchini d Chind. U allne isch es glänzend ggange. Der Rychscht von ne isch e Bättler gsy.»      I däm Momänt, wo der arm Pinocchio, wo vo de Mörder amenen Ascht vo der Grossen Eichen ufghänkt worden isch, scho meh tod als läbig isch gsy, isch das schöne Meitschi mit de dunkelblaue Haar wider a ds Fänschter cho. Voll Erbarme mit däm Unglückleche, wo da ma Hals ufghänkt mit em Nordwind e Polka tanzet, het es drü Mal i d Händ gchlatschet.  Jitz hei di Giele, verergeret drüber, dass si nid a Pinocchio ane chöme, nid lang überleit, u wahllos zu ihrne Schuelbüecher ggriffen u se als Wurfgschoss benützt. Si hei ihm alles nachegschosse, was ne i d Händ cho isch: Läsibüecher, Grammatikbüecher, d «Giannettini» d «Brösmeli», di «Erzählige» vom Thouar, ds «Bibeli» von der Baccini u no anderi Schuelbüecher.

Die Abenteuer des Pinocchio
Ü und Illus: Mario Grasso
Lappan, Oldenburg, 2011
173 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Freund Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Kerzendocht | Haifisch, »Attila, der Hunnenkönig der Fische und Fischer«

  »Was für einen Namen gebe ich ihr?«, fragte er sich. »Ich will sie >Pinocchio< nennen. Dieser Name wird ihr Glück bringen. Ich kannte eine Familie Pinocchi. Der Vater hieß Pinocchio, die Mutter Pinocchia und die Kinder Pinocchi; und allen ging es gut. Der Reichste unter ihnen bettelte um Almosen.«  Als der arme Pinocchio, mehr tot als lebendig, an dem Ast der großen Eiche hing, erschien am Fenster wieder das schöne Mädchen mit den dunkelblauen Haaren und empfand Mitleid mit ihm. Da die Böen des Nordwindes im Kreise herumwirbelten, wurde ihr Herz weich, und sie klatschte dreimal in die Hände.    Erbost darüber, dass sie sich mit Pinocchio nicht messen konnten, griffen sie zu Wurfgeschossen. Sie bewarfen ihn mit ihren Schulbüchern.

Pinocchios Abenteuer
Ü aus dem Englischen: Gundula Müller-Wallraf
Illus: Robert Ingpen
Knesebeck Verlag, München, 2014 (2. Auflage 2020)
207 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Meister Geppetto | Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Kerzendocht | der mächtige Hai, »Attila der Meere«

  »Wie soll ich sie nennen?«, fragte er sich. »Ich glaube, ich nenne sie Pinocchio. Mit diesem Namen lässt sich ein Vermögen verdienen. Ich kannte einmal eine ganze Familie Pinocchi – Vater Pinocchio, Mutter Pinocchia und Kinder Pinocchi –, die alle vom Glück gesegnet waren. Der reichste von ihnen konnte nur vom Betteln leben.«  Wenn die arme Marionette dort noch etwas länger hätte baumeln müssen, wäre sicher alle Hoffnung dahin gewesen. Aber zu ihrem Glück sah das liebliche Mädchen mit dem azurblauen Haar noch einmal aus dem Fenster. Und voller Mitleid beim Anblick des armen, kleinen Kerls, der dort hilflos vom Wind hin und her geworfen wurde, klatschte es dreimal laut in die Hände.  Zornig darüber, die Marionette nicht im Nahkampf besiegen zu können, begannen die Jungen, alle möglichen Bücher nach ihr zu werfen. Lesebücher, Atlanten, Geschichtsbücher, Grammatiken flogen in alle Richtungen.

Pinocchio
Text: Giada Francia
Ü: Ulrike Schimming
Illus: Manuela Adreani
White Star, DeAgostini, Novara, 2014
80 Seiten

–/– | Tischler Geppetto | Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | –, Docht | Wal

  „[…] Ich werde dich Pinocchio nennen, so wie der Schlaumeier, den ich mal kannte. Dieser Name wird dir Glück bringen.“  Während Pinocchio am Ast baumelte, stand ein Mädchen mit türkisem Haar am Fenster eines Hauses ganz in der Nähe und sah die Holzpuppe, die mehr tot als lebendig war. Pinocchios Schicksal rührte sie, und sie beschloss, ihm zu helfen. Dreimal klatsche sie in die Hände […]  Doch die Jungen konnte ihm nichts anhaben, weil er sich mit seinen harten Holzfüßen geschickt zur Wehr setzte. Deshalb holten sie Bücher und Hefte aus ihren Ranzen und warfen sich Grammatik und Arithmetik an den Kopf.

Die Abenteuer des Pinocchio
Ü: Paul Goldschmidt (gekürzt und redigiert, s. 1966)
Illus: MinaLima Design
Coppenrath Verlag, Münster, 2020
287 Seiten

Meister Antonio/Meister Kirsche | Gevatter Geppetto | Puppenspieler Feuerfresser | Milchkaffee | Spielzeugland | Romeo, Freund Docht | Riesenwalfisch

  »Welchen Namen soll ich ihr geben?«, überlegte er. »Ich werde den kleinen Kerl Pinocchio nennen. Dieser Name wird ihm Glück bringen.«  In diesem Augenblick, als der arme Pinocchio schon mehr tot als lebendig war, da erschien das schöne Mädchen mit dem blauen Haar wieder am Fenster. Als es den unglückseligen Pinocchio erblickte, der an seiner Schnur baumelte und mit dem Nordwind tanzte, fühlte es tiefes Mitleid und klatschte dreimal in die Hände.  Da griffen die Jungen, verärgert darüber, dass sie sich mit Pinocchio nicht im Kampf messen konnten, schließlich zu Wurfgeschossen. Sie öffneten ihre Ranzen und schleuderten ihre Bücher nach ihm: ihre Fibeln, die Sprachlehre und die Rechenbücher, ihre Lesebücher und ganze Bände mit Erzählungen und alles, was sie sonst noch an Schulbüchern bei sich trugen.

Jungvater in der Zwickmühle

thomas

Eigentlich hat Mav, 17 Jahre alt, sich sein Leben anders vorgestellt. Der Ich-Erzähler in Angie Thomas neuem Roman Concrete Rose ist als Mitglied der King Lords geachtetes Mitglied einer Gang in den Garden Heights. Er dealt und hat immer genug Kohle für coole Klamotten und angesagte Sneakers. So könnte es weitergehen.

Doch dann liefert ein Vaterschaftstest den unumstößlichen Beweis, dass er und nicht sein bester Freund King der Vater von Ieshas Baby ist. Und noch ehe Mav sich versieht, lässt die Kindsmutter das Kind bei ihm und taucht erste einmal unter, ohne sich weiter um ihren Sohn zu kümmern. So beginnt eine Zeit, die jungen Eltern nur allzu bekannt vorkommen wird: ein dauerschreiendes Baby, volle Windeln, gestörter Nachtschlaf – und die Kohle geht weg wie nix. Zumal Mav als guter Daddy das Dealen aufgegeben und einen miesbezahlten Job im Laden von Mr. Wyatt angenommen hat.

Das Leben als Teenage-Vater

Mavs Leistungen in der Schule gehen durch die Dreifach-Belastung von Lernen-Jobben-Baby den Bach runter und seine geliebte Lisa nichts mehr mit ihm zu tun haben, als sie von dem Baby erfährt. Und als ob das nicht schon genug ist, wird dann auch noch sein Cousin Dre auf offener Straße erschossen und stirbt in Mavericks Armen.
Harter Tobak und viel Stoff für einen Roman, doch Thomas gelingt es – wie in ihren Vorgängerromanen THUG und On The Come Up – die Spannung und die Sympathie für ihren Protagonisten zu halten.

Die Gesetze der Straße

Mav hat Hochs und Tiefs, hadert mit seinem Leben, liebt seinen Sohn aber abgöttisch. Er ist hin und hergerissen zwischen den Ansprüchen seiner Gang und den Aufgaben eines Familienvaters, wobei ihm die Vorbehalte der Gesellschaft gegenüber einem Teenager-Vater zusätzlich belasten und nerven. Doch er versucht sein Bestes, um auf dem rechten Weg zu bleiben, obwohl der Mord an Dre ihn auf eine extreme Probe stellt, denn die Gesetze der Straße sind eindeutig – und hart.

Slang liefert authentische Atmosphäre

Thomas liefert eine dynamische plotgetriebene Geschichte, voller Dialoge, Liebesverwirrungen und überraschenden Wendungen, alles von Henriette Zeltner gewohnt souverän übersetzt. Diese lässt dabei unzählige Slangausdrücke im Original stehen – ein Glossar liefert die Bedeutungen –, sodass eine überaus authentische Atmosphäre selbst im Deutschen entsteht.

Wer Thomas‘ Debüt kennt, wird sich hier über die Vorgeschichte von Starrs Familie freuen und vieles von dem wiederfinden, was auch in THUG prägend war. Gerade in Zeiten, in denen Black-Lives-Matter-Aktionen aus guten Gründen täglich in den Nachrichten gezeigt und geschildert werden, Zeiten, in denen mit einer traurigen Regelmäßigkeit schwarze Bürger:innen von weißen Polizist:innen grundlos getötet werden, bleibt Thomas ihrem Thema treu. Die Gewalt in Problemvierteln ist quasi allgegenwärtig und das eben nicht erst seit George Floyds Tod im vergangenen Jahr, sondern seit vielen, sehr vielen Jahrzehnten. Aus diesen Gewaltspiralen auszubrechen und ein friedliches Leben zu führen, ist eine schwierige Aufgabe, die Haltung und Durchhaltevermögen benötigt. Genau das zeigt Angie Thomas anschaulich aus Sicht der schwarzen Jugend, wobei sie selbst nicht über dealende Jugendliche oder Teenager-Eltern urteilt, sondern deren Nöte und Beweggründe für ihr Verhalten schildert. Thomas überlässt es den Leser:innen, sich eigene Gedanken dazu zu machen – und das ist die bestechende Stärke ihres Schreibens.

Angie Thomas: Concrete Rose, Übersetzung: Henriette Zeltner-Shane, cbj, 2021, ab 14, 20 Euro

Die Bürden der Bürokratie

Patwardhan

In Zeiten, in denen sich der Fokus zumeist auf lästige Viren und allgegenwärtiges Infektionsgeschehen richtet, war es für mich eine willkommene Abwechslung endlich wieder ein Kinderbuch zu lesen, das davon ablenkt und gleichzeitig ein immer noch wichtiges Thema ins Bewusstsein zurückholt. In dem zweiten Band der Forschungsgruppe Erbsensuppe schafft Rieke Patwardhan es erneut, das Leben Geflüchteter in den Mittelpunkt zu stellen.

Dieses Mal machen sich Nils und Evi Gedanken um Lina, die sich seit einiger Zeit seltsam benimmt: Sie kommt zu spät zum Unterricht, hat ständig etwas zu tun und kann sich nicht mehr mit ihnen treffen. Obwohl die Detektivbande gerade einen neuen Treffpunkt nutzen können, da Opa sich um das Haus eines alten Freundes kümmert, der auf Mallorca wohnt.

Lina macht sich verdächtig

Auch wenn es Nils nicht behagt, beobachten er und Evi die Freundin und besuchen sie in ihrer Flüchtlingsunterkunft. Dort finden sie Lina über seltsamen Papierbergen, während ihr Vater krank im Bett liegt. Lina ist das alles sehr unangenehm und möchte mit den Freunden nicht darüber reden.
Doch die lassen nicht locker. Und ein Foto, das ihre Konkurrenten, die zwei Fragezeichen, aus Linas Schultasche stibitzen und das einen unbekannten Jungen zeigt, heizt die Spekulationen noch an. Wer ist das? Was ist nur mit Lina los? Was ist bloß passiert?

Papierkram nervt

Im Grunde ist nichts vorgefallen, sondern es ist die Bürokratie, die Lina und ihren Vater fertigmacht. Denn sie müssen ganz rasch unzählige Formulare vom Deutschen Roten Kreuz ausfüllen, um Linas Bruder, den Jungen vom Foto, zur sich zu holen. Dieser ist auf der Flucht von ihnen getrennt worden und in Österreich gelandet.
Patwardhan gelingt es hier auf leichte und kindgerechte Art den jungen Leser:innen einen Einblick in das tägliche Leben von Geflüchteten in Deutschland zu geben. Denn mit der Ankunft in Deutschland ist es für diese Menschen ja noch lange nicht getan, ein ruhiges, erfülltes Leben mit all ihren Lieben führen zu können. Sie müssen gegen die Mühlen der Bürokratie kämpfen und fürchten abgeschoben zu werden. All das dauert und zerrt an den Nerven – weshalb es kein Wunder ist, dass Linas Vater krank wird. Genau diese Aspekte aus dem Leben von Geflüchteten geraten in unserem tagtäglichen Stress oftmals in Vergessenheit.

Parallele zur deutschen Nachkriegsgeschichte

Und wie schon im ersten Teil der Forschungsgruppe zieht die Autorin auch dieses Mal wieder eine Parallele zur Geschichte deutscher Kriegsflüchtlinge, deren Familien in den Wirren des zweiten Weltkriegs auseinandergerissen wurden.
Sie zeigt damit eindrucksvoll, dass die Belastungen, die eine Flucht mit sich bringt, und alles, was im neuen Land danach auf die Familien einstürzt, natürlich auch an den Kindern nicht spurlos vorübergeht. Oftmals müssen diese, weil sie die neue Sprache schneller lernen als ihre Eltern, diesen bei dem lästigen Papierkram helfen – der ja nicht einmal deutschen Muttersprachler:innen leicht fällt. Unterschwellig findet sich hier der Appell an die Behörden, endlich einmal eine einfache Sprache zu nutzen und Abläufe zu vereinfachen. Es würde sicherlich vielen Menschen eine Hilfe sein, ganz gleich, woher sie stammen.

Die Wichtigkeit der internationalen Suchdienste

Darüberhinaus ist diese Geschichte auch eine Würdigung der internationalen Suchdienste, die alles Menschenmögliche unternehmen, um Familien wieder zusammenzuführen. Auch hier steckt natürlich wieder ein Quäntchen Kritik an den herrschenden Zuständen, denn noch viel zu oft legen die Behörden den Familien unüberwindbare Hürden in den Weg und agieren überaus unsensibel, wenn es darum geht, Kinder wieder mit ihren Eltern zusammenzubringen.

Junge Leser:innen erfahren hier auf spannende und kurzweilige Art, dass das Leben für geflüchtete Kinder unzählige belastende Facetten bereithält, die im Grunde so schnell wie möglich und unbürokratisch verändert werden müssten.

Rieke Patwardhan: Forschungsgruppe Erbsensuppe oder wie wir ein Haus kaperten und Linas Geheimnis auf die Spur kamen, Knesebeck, 2021, ab 8, 13 Euro

Die dunklen Seiten des Menschen

Was ist nur los mit den Menschen in der Welt und mit uns selbst? Das könnten wir uns in diesen Tagen ständig fragen, und zwar nicht nur wegen der nervenaufreibenden Corona-Lage. Hass, Lügen, Verarschung, Provokationen, Protest und Manipulationen sind gefühlt in allen Bereichen des Lebens an der Tagesordnung, in der Politik, der Wirtschaft, im virtuellen Raum wie auch im Freundes- oder Familienkreis. Schnell bleibt bei uns der Eindruck zurück, dass der Umgang der Menschen miteinander immer nur noch schlimmer wird. Diesem komplexen Phänomen widmet der Philosoph Jörg Bernardy sein aktuelles Buch für Jugendliche. In sechs Kapiteln erörtert er die oben genannten menschlichen Verhaltensweisen, unsere dunklen Neigungen.

Aufklärung im Sinne der Philosophie

In jedem Kapitel erklärt er die Grundlagen, also warum es beispielsweise menschlich ist zu lügen oder über wen gelacht werden darf und bei welchem Thema so etwas nicht angebracht ist. Bereits hier finden sich die Leser:innen rasch in ihren eigenen Lebenswelten wieder, die Bernardy mit unzähligen Beispielen aus den vergangenen Jahren und der Historie anreichert: Trumps Fake News-Politik kommen zur Sprache, die Provokationen der Dadaisten von Anfang des 20. Jahrhunderts oder auch die me-too-Debatte. So stecken wir von Seite eins an in einem hochpolitischen Buch, das nichts weniger verhandelt als die Grundfesten unserer Demokratie: Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Gerechtigkeit, Toleranz, Menschenrechte.

Orientierung im Polittalk

Was sich abstrakt anhört, begegnet uns nämlich tagtäglich, sobald wir mit anderen Menschen Umgang pflegen und mit ihnen über das Weltgeschehen, die Kommunalpolitik oder auch den Schulalltag diskutieren. Denn niemand von uns möchte angelogen, manipuliert, gemobbt oder rassistisch beleidigt werden. Bernardy bietet im Zuge einer grundlegenden Aufklärung differenzierte Definitionen allgegenwärtiger (Hass-)Tendenzen (z.B. Islamismus, Antisemitismus, Faschismus, Sexismus etc.) und macht damit deutlich, wie wichtig es ist, sich zunächst über die Begriffe und ihre Bedeutung klar zu werden.
Denn sobald wir wissen, wer beispielsweise den Begriff »Lügenpresse« in welchem Kontext und aus welchen Gründen benutzt, werden wir uns nicht so leicht vereinnahmen lassen oder möglichen Verschwörungstheorien auf den Leim gehen. Ausführlich erläutert Bernardy in diesem Kontext auch die die Rolle der Medien, das Ziel von »Clickbaiting« oder warum Tabubrüche in gewissen Blättern oder Sendern so beliebt sind.
So gelangen die Leser:innen im Laufe der Lektüre dazu, sich eine Haltung zu erarbeiten und sich mit ihren eigenen Meinungen und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen.

Eine Frage der Haltung

Doch Bernardy liefert nicht einfach nur Antworten und belässt es bei Erklärungen oder Definitionen, sondern er lädt die Leser:innen zu Gedankenspielen und -sprüngen ein, in denen ein jede/r angeregt wird, eigenes Tun und mögliche vorhandene Vorurteile zu überdenken. Er bedient sich dafür unzähligen Fragen, die tief in philosophische Diskussionen führen können, weil es selbst bei den dunklen Seiten von uns Menschen nicht einfach nur ein Richtig und ein Falsch gibt, sondern auch immer ein Es-kommt-darauf-an.
Ich glaube, es hackt! hat das Zeug, zur Diskussionsgrundlage für Schulklassen und Familien zu werden. Die gelungene Mischung aus Erklärungen, Beispielen und Fragen schafft ein kurzweiliges Lesevergnügen mit dem nachhaltigen Effekt, dass wir über viele Aspekte lange nachdenken und diskutieren können und sollten.
Junge Leute werden aus solchen Diskussionen auf jeden Fall gestärkt und mit einer eignen Haltung in diese anstrengende Welt gehen, in der scheinbar so vieles immer schlechter wird, es aber objektiv immer mehr Menschen besser geht. Wenn wir dann in Kenntnis unserer dunklen Seiten uns ganz bewusst für die guten Seiten wie Liebe, Hilfsbereitschaft, Mitgefühl und Toleranz entscheiden, kann jede/r von uns das Leben für alle noch ein bisschen schöner machen.

Jörg Bernardy: Ich glaube, es hackt! Leben in Zeiten von Tabubrüchen, Beltz & Gelberg, 2021, 174 Seiten, ab 14, 16,95 Euro

Wider das Vergessen

Dunkelnacht

Als ich die Ankündigung zu Kirsten Boies neuem Buch Dunkelnacht vor einiger Zeit las, dachte ich noch, dass ich darüber eine ganz normale Rezension schreiben würde. Doch nachdem ich heute die gerade einmal hundertseitige Geschichte in einem Rutsch gelesen habe, wurde mir klar, dass es hier etwas persönlicher zugehen wird. Denn ich wurde bei der Lektüre doch sehr an meine eigene Novelle Der Schritt erinnert und wie sehr das Schreiben über solche Geschehnisse einen mitnimmt und anstrengt – und doch so immens wichtig ist.

Kirsten Boie erzählt in »Dunkelnacht« von einem Verbrechen im bayrischen Penzberg, bei dem am 28. April 1945 sechzehn Menschen aus dem Ort von Nazis – in diesem Fall der Wehrmacht und der Untergrundorganisation »Werwolf« – umgebracht wurden.
Zehn Tage vor der Kapitulation Deutschlands, als die Alliierten nur noch wenige Kilometer vor der Stadt entfernt waren. Im Radio, auf dem offiziellen Sender, verkündet die Freiheitsaktion Bayern, dass der Krieg zu Ende sei. Der Nero-Befehl, also die Zerstörung sämtlicher Infrastruktur, sollte nicht ausgeführt werden. In Penzberg ist man verwirrt: Stimmt das? Soll man handeln? Soll man warten?
Ein paar Männer handeln, übernehmen das Rathaus, verhindern die Sprengung des lebenswichtigen Bergwerks, hoffen, dass die Amerikaner möglichst schnell die Stadt erreichen, damit das Kriegsende glimpflich abläuft. Doch ein durchziehender Wehrmachtsregiment geht gegen diesen »Volksverrat« vor, erschießt die Männer standrechtlich und fordert die Werwölfe an, die den weiteren Aufstand verhindern soll.

Endphasenverbrechen

Am Ende sind sechzehn Menschen erschossen und erhängt, und das nur, weil sie nicht mehr an falsche Endsiegversprechen glaubten, nicht dem Führer nachliefen, auf der anderen Seite standen.
Boie schildert dieses unsägliche Verbrechen aus der Sicht, in Dialogen, Beobachtungen und Gedanken, von drei Jugendlichen, Marie, Schorsch und Gustl. Sie sind die drei einzigen fiktiven Figuren in diesem Buch. Vor den Augen von Marie und Schorsch, die ein bisschen in einander verliebt sind, spielen sich die aufwühlenden Szenen ab, Gustl hingegen ist gerade erst Mitglied bei den Werwölfen geworden, weil er die »Schande« seines Vaters – einem Sozialisten – aus der Welt schaffen will. Er macht aus falschen Überzeugungen bei den Morden an seinen Nachbarn mit.

Erinnern, immer wieder Erinnern

Das alles ist durchaus keine leichte Lektüre. Das wird eingefleischte Leser:innen von Kirsten Boie, die für ihre Möwenweg– und Sommerby-Bücher im ganzen Land verehrt und geschätzt wird, möglicherweise verstören. Doch mit Dunkelnacht wendet sich Boie nicht an Kinder, sondern an Jugendliche und Erwachsene, um ihnen deutlich zu machen, wie wenig dazu gehört, zu Täter oder Opfer zu werden, wenn man schon meint, alles überstanden zu haben. In der letzten Phase des Krieges, in den Wirren, als sich in diesem Land so gut wie alles in Auflösung befand, als klar wurde, dass die Nazis verloren hatten, konnte das Schlimmste immer noch gesehen.
Boie zeigt in ihrem akkurat recherchierten Text, wie sich die Wendehälse durchlavieren, wie falsche Ideale Jugendliche auf den letzten Metern zu Mördern machen, wie vorausschauend denkende Menschen noch zu Opfern werden, und das so etwas sehr schnell – die Geschichte spielt an nicht mal zwei Tagen – gehen und jeden von uns treffen kann.

Parallelen

In so vielen Punkten und Aspekten dieser Novelle (in der Goethischen Definition »einer sich ereigneten unerhörten Begebenheit«) hat mich Kirsten Boies Geschichte an meine eigene Novelle erinnert, die ich – einige von euch werden es wissen – im vergangenen Jahr herausgebracht habe. Darin erzähle ich die Geschichte der Kinder vom Bullenhuser Damm, einem Verbrechen an zwanzig jüdischen Kindern in Hamburg, die am 20. April 1945 im Keller einer Schule umgebracht wurden. Auch dies ein »Endphasenverbrechen«, auch dies absurd und sinnlos, auch hier gab es Menschen, die immer noch Befehle befolgten, obwohl sie es längst besser wussten und anders hätten handeln können, auch hier gab es hinterher Gerichtsverfahren, in denen so mancher Schuldige nicht belangt wurde. Die Parallelen sind zahlreich. Und daher ist mir Kirsten Boies Buch so nah. Denn die Intention unserer beider Geschichten ist dieselbe: das Erinnern – an die Toten, an die Opfer, an das Unsinnige in diesen Taten, daran, dass sich so etwas nicht wiederholen darf!

Ein Lese-Muss

Es ist dieser Erinnerungsliteratur eigen, dass sie nicht einfach ist. Hier gibt es kein »Lesevergnügen«, keine Entspannung, kein Abschalten. In solchen Texten ist der Ausgang der Geschichte klar, es gibt kein Happy End. Und doch muss man Bücher wie »Dunkelnacht« allen zur Lektüre empfehlen, denn sie bringen die nackten, erschreckenden Fakten auf emotionaler Ebene den Leser:innen näher. Reine Zahlen und Daten ziehen zumeist an einem vorbei, man kann sie registrieren und eventuell auswendig lernen, doch sie berühren oftmals nicht. »Dunkelnacht« hingegen berührt, gerade weil Boie die Sicht der Jugendlichen wählt, die Dinge mitansehen müssen, die kein Mensch erleben sollte. Die Gedanken der Protagonisten, ihre Beweggründe – gerade auch die von Gustl – können jungen Lesenden vertraut vorkommen, die Konsequenzen sind allemal erschreckend. Ein Nachdenken, ein sich Fragen – Was hätte ich getan? Was würde ich tun? – kann nach dieser Lektüre nicht ausbleiben. So hält Kirsten Boie nicht nur die Erinnerung hoch, sondern animiert zum Diskutieren.

Kirsten Boie: Dunkelnacht, Oetinger, 2021, ab 16, 13 Euro

Ulrike Schimming: Der Schritt. Das Martyrium der Kinder vom Bullenhuser Damm, epubli, 2020, ab 18, 10 Euro

Körperbewusstsein

oben ohne

Amelie, 13, hadert mit ihrer Figur: Sie wäre so gern eine Sanduhr, ist aber eher eine Pyramide. Breite Hüften und noch keine Oberweite. Sie fühlt sich pummelig und sucht Rat in YouTube-Videos, wie sie ihre vermeintlichen Makel verstecken kann. Doch allein solche Tipps wie »die Taille hochanzusetzen, damit die Hüften nicht noch breiter wirken«, frustrieren sie unglaublich. Amelie versteckt sich lieber in den weiten Hemden ihres Vaters und anderen Schlabberklamotten und montiert geschickt in der Fotoapp ihren eigenen Kopf auf den Körper eines angesagten Top-Modells. Schöne, fiese Internetwelt!

Jutta Nymphius widmet sich in ihrem ersten Jugendbuch Oben ohne einem zunehmend problematischen Phänomen unserer Zeit: Der Vergleich mit anderen Menschen im Netz, die sich absolut perfekt und unangreifbar darstellen. Und so zu einer Verschiebung der Maßstäbe beitragen, wenn es um die Beurteilung von »normalen« Körpern geht. Schlank, sportlich, makellos schön, so haben junge Frauen heute auszusehen – und ich möchte nicht wissen, wie viele Mädchen da draußen sich tatsächlich diesem mediengemachten Druck beugen und mit sich selbst und ihrem Körper hadern.

Bekanntes Setting, überraschendes Ende

Amelie jedenfalls hadert und schwärmt gleichzeitig für den Schul-Beau Elias. Breite Schultern, Modelqualitäten, sicher ein cooles Six-Pack, »Elias ist ein Event«. Doch wie es mit solchen Typen eben ist: Er beachtet Amelie nicht, kennt sie gar nicht und ist einfach unerreichbar weit weg. Erst als Amelie sich mit der Neuen in der Klasse, Kira, anfreundet, ändert sich das. Kira ist der selbstbewusste Gegenpol zu Amelie, sie trägt knallenge Tops, die schon mal ihre Speckröllchen freilegen, hautenge Hosen, schminkt sich die Augen dunkel und schert sich nicht im Geringsten um die Meinung der anderen, die es nicht mal wagen, ihr gegenüber auch nur eine Bemerkung fallen zu lassen.
Aber Kira kennt Elias. Und stellt den Kontakt zwischen den beiden her, als sie merkt, dass Amelie für ihn schwärmt. Dass die Kombination Beau trifft auf Mäuschen selten gut ausgeht, ist bekannt, und so auch hier. Irgendwann bittet Elias Amelie um ein Foto von ihr – »oben ohne« – angeblich, um sie besser kennenzulernen. Als erwachsene Leserin schrillen natürlich alle Alarmglocken und man möchte die Heldin schütteln und sagen: Nein, lass das, das führt zu nichts, außer zu Tränen.

Gut verpackte Medienkritik

Aber Amelie ringt sich durch, schickt ein Foto, was natürlich prompt die Runde in der Schule macht … Doch so vorhersehbar wie man jetzt vermuten würde, machte es Jutta Nymphius den Leser:innen nicht, sondern sie hat einen ganz wunderbaren Kniff parat, der aber natürlich nicht offenbart wird.
Die Elbautorin zeigt mit dieser Geschichte all ihr Verständnis für die Sehnsüchte junger Mädchen, für ihre Kämpfe mit sich selbst, mit dem sich verändernden Körper in der Pubertät und für das Bedürfnis dazuzugehören. Die Kritik, die in dieser Geschichte an den Medien, dem Netz und unserem Umgang mit all dem mitschwingt, ist perfekt verpackt und kommt nicht moralisierend daher. Nymphius zeigt, wie es auf Schulhöfen zugehen kann und dass selbst gut Freunde und Freundinnen, die Amelie durchaus mit Kira und ihrem Sandkastenfreund Nicki hat, einen nicht unbedingt vor falschen Entscheidungen bewahren können.

Hohes Identifikationspotential

Der Identifikationsfaktor bei dieser Geschichte ist damit extrem hoch und gibt jungen Leserinnen hoffentlich genügend Stütze, sich den Verführungen im Netz und auf dem Schulhof eben nicht so einfach hinzugeben, sondern ein selbstbewusstes Verhältnis zum eigenen Körper zu entwickeln und die wahren Freund:innen im Leben zu erkennen und wertzuschätzen.

Genau das richtige Cover

Als ich das Buch zum ersten Mal in der Hand hielt, fiel mir das Cover besonders auf. Themen wie Bodyshaming und Körperbilder von jungen Mädchen verführen oft dazu, auf Buchumschlägen diese Mädchen wieder als das oben genannte Ideal zu zeigen: eben gertenschlank. Hier jedoch ist ein völlig normales Mädchen zu sehen – das wir jedoch mit genau diesem medienverdorbenen Blick sofort als leicht übergewichtig bewerten würden, weil da ja die Jeans ein bisschen einschneidet, der Bauch nicht flach ist und die Taille nicht der einer Wespe entspricht. Schon hier sollten wir stutzig werden, wie sehr wir die angeblich heute normalen Sehgewohnheiten und angeblich normalen Maßeinheiten von Körpern bereits verinnerlicht haben. Ich nehme mich da gar nicht aus, ich kann Amelies Wünsche, diesem »Ideal« zu entsprechen, sehr gut verstehen. Aber das kann einfach nicht sein, dass wir junge Mädchen in diese absurden Muster pressen und damit für ihr Unglück mitverantwortlich sind.
Jutta Nymphius ist mit Oben ohne ein Roman gelungen, der mit dem Finger in einem Auswuchs der Medienwelt bohrt. Ob wir in gewissen Bereichen (Mode, Werbung, Film …) je zu einem menschlicheren Maß in der Darstellung von Frauen und Männern kommen, wage ich ja manchmal zu bezweifeln, aber je mehr Menschen ein Bewusstsein für die Überzogenheit in den Medien entwickeln, umso eher gibt es eine Chance, sich davon nicht mehr beeinflussen zu lassen. Dieses Buch ist so ein Bewusstseinsentwickler!

Jutta Nymphius: Oben ohne, Tulipan, 2020, 200 Seiten, ab 12, 13 Euro

Vom Tragen des Leids

Nils

Heute, am Gratis-Comic-Tag hätte ich mir einen Haufen Heftchen holen können, die mir Einblick in die neuesten Comics auf dem Markt liefern würden. Hab ich aber nicht. Ich hatte viel mehr das Bedürfnis die Graphic Novel, Nils der Illustratorin Melanie Garanin zu lesen – obwohl ich um das schwere und bedrückende Thema dieser Geschichte wusste.

Melanie Garanin erzählt darin von ihrem Sohn Nils, der mit nicht einmal vier Jahren stirbt. Sie findet für dieses Unfassbare berührende, teils poetische Bilder aus klarem Strich und perfekt akzentuierten Aquarellfarben, die tatsächlich so mühelos erscheinen, wie es sich Garanin in ihrem Interview (s. unten) wünscht. Diese visuelle Mühelosigkeit und Leichtigkeit steht jedoch im Gegensatz zu der Schwere des Inhalts. Nils, der unerschrockene Ritter mit dem Laserschwert, erkrankt mit zwei Jahren an Leukämie. Die Familie – aus Eltern Melanie und Georg, sowie die drei Geschwister Artur, Greta und Julius – bangt um den Jüngsten. Mal scheinen die Prognosen gut, mal machen die Ärzte Hoffnung, mal verschlimmert sich Nils‘ Zustand, rein ins Krankenhaus, wieder raus. Ein fürchterliches Hin und Her, das per se schon kaum ein Mensch ertragen könnte. Irgendwann bekommt Nils Bauchschmerzen, deren Ursachen jedoch nicht festgestellt werden können. Er stirbt schließlich an einer Bauchspeicheldrüsen-Entzündung, etwas das mit der richtigen Behandlung wohl hätte geheilt werden können. Doch »hätte«-Sätze sind in dieser Geschichte nicht erwünscht.

Empathielose Ärzteschaft

Dieses an sich schon Unerträgliche wird jedoch durch das Verhalten der Ärzteschaft noch gesteigert. Oberflächlich betrachtet wird sich um den Jungen gekümmert, sein »Fall« ist interessant, er soll Teil einer Studie werden. Die Behandlung wird durch die Studie bestimmt. Die Bedenken der Eltern räumen die Behandelnden aus dem Weg, besser gesagt, sie beachten sie eigentlich nicht, sondern reden darüber hinweg, hören nicht zu. Garanin markiert den Fachsprech der Ärzte und Ärztinnen in serifenloser, steriler Druckschrift, während sie selbst die Geschichte in einer fast krakeligen Schreibschrift erzählt. Diese Druckschriftblöcke mit dem unverständlichen Fachvokabular wirken wie undurchdringliche Mauern, hinter denen sich die Behandelnden verrammeln, nur um sich nicht auf eine menschliche Kommunikationsebene zu begeben. Niemand gibt zu, irgendeinen Fehler gemacht oder gar nachlässig gehandelt zu haben.
Garanin bedient sich bei diesen Dialogen einem fantastischen (im Sinne des Wortes) Erzähltrick, indem sie ihrer Schreibtischlampe Leben einhaucht und sie zur »Mitarbeiterin«, die die Behandlenden verhört. Mit aller Wut und berechtigter Penetranz befragt die Lampe Frau Doktor Königin Antibiotika-Aber, ohne dass es ihr gelingt, deren Schutzwall aus Fachsprech zu durchdringen. Es hat was liebevoll humoristisches, wie die Mitarbeiterin den »Hals« verdreht und nur durch winzige Striche an den Augen, die Mimik ändert – wenn es nur nicht so erschütternd wäre.
Denn hier zeigt sich neben all der Trauer, die die Familie durchmacht, die Wut, die so überaus berechtigte Wut auf ein System, das versagt hat, weil sich dort – immer noch! – Behandelnde für etwas Besseres, Reineres, Weißgöttisches, Wissenderes halten. Sie sind von besorgten Eltern abgenervt, verstecken sich hinter einer unverständlichen Sprache, lassen keine Gefühle und kein Mitgefühl zu, weil ihre Karriere, ihr Ruf und ihr Status auf dem Spiel stehen. Es wäre wohlfeil zu sagen, auch Mediziner sind Menschen, die Fehler machen, die unter Druck stehen. Natürlich. Doch wenn so etwas wie mit Nils versteht, sollte es selbstverständlich sein, Mitgefühl zu zeigen. Als Leserin blättere ich fassungslos weiter, hoffe auf irgendein winziges Zeichen irgendeiner Menschlichkeit. Doch nichts.

Bewundernswerte Stärke

Umso mehr bewundere ich die Stärke von Mutter Melanie und ihrer Familie, die sich nicht einfach in ihr Schicksal ergeben, wozu sie alles Recht hätten, denn das Weiterleben nach so einem Schlag ist anstrengend genug. Die Eltern kämpfen viel mehr für Aufklärung, wollen, dass die Behandelnden für ihr Versagen zur Rechenschaft gezogen werden, ihre Fehler zugeben oder sich – zumindest – entschuldigen. Unnötig zu sagen, dass sie gegen Druckbuchstabenwände rennen, durch die kein menschliches Wort dringt.
Die Schreibschrift-Krakel-Erzählung hingegen ist durchzogen von allen menschlichen Regungen, inklusive einer leichten Ironie und einer guten Portion Humor. Denn »Humor ist in der Trauer sehr wichtig«, wie Garanin im Interview sagt. Und nur so scheint das alles in einem gewissen Maße ertragbar zu sein. Was jedoch nicht verhindert hat, dass mein Exemplar ein paar Tränen abbekommen hat, die sich in den Aquarellfarben auflösten.

Von Gänsen und Kämpferinnen

Im vierten und letzten Kapitel kämpft eine – imaginäre – Ritterschar für den kleinen Ritter Nils, für große, allumfassende Gerechtigkeit, darum, dass wenigstens einige um Verzeihung bitten. Am Anfang und am Ende fliegen Gänse. Eine von ihnen markiert jedes Kapitel, sie trägt ein Laserschwert und erinnert mich sehr stark an Wolf Erlbruchs Ente aus Ente, Tod und Tulpe – was ich als wunderschöne Hommage empfinde. Sie wandelt sich immer mehr in eine Kämpferin, so wie sich Garanin in eine Kämpferin verwandelt hat. Durch ihre Graphic Novel, an der sie dreieinhalb Jahre gearbeitet hat (wenn ich das recht sehe, entspricht das ungefähr den Lebensjahren von Nils und diese Koinzidenz treibt mir schon wieder die Tränen …), hat sie Nils auf ihre ganz eigene, sehr persönliche Art unsterblich gemacht.
Andere Eltern, die ähnlich Schlimmes erleben müssen, werden hier vielleicht ihr eigenes Gefühlschaos wiederfinden und somit auch ein Quäntchen Trost. Falls es so etwas in diesen Fällen überhaupt geben kann.
Alle anderen dürften sich ihres Glücks bewusst(er) werden und den hohen Wert des Mitgefühls erkennen. Hoffentlich.

Melanie Garanin: Nils. Von Tod und Wut. Und von Mut, Carlsen, 2020, 200 Seiten, ab 16, 22 Euro

Gladiator 2.0

Heute bin ich gereist, durch Zeit und durch Raum, jenseits aller Beschränkungen, die uns in den vergangenen Wochen so auferlegt worden sind. Und diese Hörspiel-Reise verdanke ich Birge Tetzner und ihrem Fred. Denn seit dieser Woche erlebt der Junge ein neues archäologisches Abenteuer – Fred im alten Rom!
Als Italienisch-Übersetzerin und Italien-Liebhaberin war es mir natürlich ein Bedürfnis, sofort in diese Geschichte reinzuhören und mein Rezensions-Sabbatical kurz mal zu unterbrechen, mit dem Ergebnis, dass ich nicht mehr davon losgekommen bin und mich zwei kurzweilige Stunden von Fred und Opa Alfred durch Rom habe führen lassen.

Der Blick hinter die Kulisse

Die beiden bekommen von Flavia, einer römischen Bauforscherin, eine spezielle Führung durch das Kolosseum, das größte Amphitheater im Römischen Reich. Es geht durch die engen Gänge des »Untergeschosses«, in dem Flavia und ihre Kollegen einen der vielen Holzaufzüge rekonstruiert haben, die vor fast 2000 Jahren die Gladiatoren und die wilden Tiere in die Kampfarena beförderten. Fred darf mitfahren und dabei gerät er – so wie in seinen anderen Abenteuern auch – in die Vergangenheit und quasi mitten rein in die Abläufe der Gladiatorenkämpfe im alten Rom. Durch sein zupackendes Verhalten, bei dem er einem verletzten Gladiator hilft, fällt er dem Medicus des Kolosseums auf und wird dessen Gehilfe. Er teilt sich eine Kammer mit dem jungen Sklaven Timonides, der am nächsten Tag gegen den fiesen, aber eigentlich feigen Imperator Commodus kämpfen soll. Ein Todesurteil für den untrainierten jungen Griechen. Fred kann das natürlich nicht einfach so zulassen …

Frauenkämpfe in der Arena

Hätte man mich heute – vor dieser Hörspiel-Reise – zu Gladiatorenkämpfen im alten Rom befragt, ich hätte mit hollywoodianisch geprägtem Halbwissen eher eine schlechte Figur gemacht. Doch nun ist mein Wissen, Dank der wieder einmal großartigen Rechercheleistung von Birge Tetzner und ihrer gekonnten Aufbereitung der Fakten, mein Wissen um ein paar erstaunliche Schätze reicher. So erlebt Fred einen Frauenkampf in der Arena und erfährt, dass nicht jeder Kampf dort mit dem Tod der Gladiatoren enden musste, sondern dass es auch die Möglichkeit eines Unentschiedens gab. Dabei ist jedoch immer klar, dass das römische System der Schaukämpfe kein Zuckerschlecken war, sondern ein bisweilen sehr unbarmherziges Menschenbild dahinterstand und so auch Todesurteile vollstreckt wurden. Menschenrechte in unserem heutigen Sinne gab es damals ja noch nicht, dafür aber Bürgerrechte, sodass das politische Rom zwar gnadenlos gegen seine Gegner vorging, seine Bürger jedoch aus allen Ecken des Reiches kamen und so eine wohl ziemlich multikulturelle Gesellschaft entstand war.

Faktenfülle und Fachbegriffe

Wer sich auf diese Welt der Gladiatoren einlässt, wird mit einer Reihe von lateinischen Begriffen konfrontiert wie Armentarium (Waffenlager), Sanitarium (Krankenhaus) oder Murmillo und Thraex (zwei Gladiatorentypen). Diese geschickt in das Hörspiel eingestreuten Begrifflichkeiten versteht man beim Hören aus dem Zusammenhang, kann sie aber bei Bedarf in dem ergänzenden Booklet nachlesen. Dort findet sich auch ein Glossar, das ein schnelles Nachschlagen möglich macht. Die Texte im Booklet vertiefen zudem die Hintergründe der Geschichte noch weiter und offenbaren, wie viele wahre Geschichten in Freds Abenteuer stecken.

Ein perfekt eingespieltes Team

So, wie ich den Entstehungsprozess von Fred im alten Rom über Instagram und Facebook in den vergangenen Monaten beobachten konnten, haben an dieser packenden Geschichte unzählige Menschen mitgewirkt. Allein 17 Sprecher*innen sind dieses Mal zu hören, allen voran das unverwechselbare Trio aus Remo Schulze als Fred, Jürgen Thormann als Opa Alfred und Andreas Fröhlich als Erzähler. Wer die anderen Fred-Abenteuer kennt, wird sich allein beim Klang dieser drei sofort wieder wohlfühlen und sich entspannt ins alte Rom entführen lassen. Mir persönlich haben natürlich die italienischen Sprecher*innen wie Manuela Naso als Flavia oder Lorenzo Monteleone als Barista sehr gefallen. Ihre italienischen Sätze, die im Folgenden immer übersetzt werden, sodass niemand befürchten muss, etwas nicht zu verstehen, lassen das heutige Rom sehr lebendig werden.
Die Soundeffekte und musikalischen Unterlegungen von Rupert Schellenberger, samt der Geräusche von Peter Sandmann, runden die Geschichte so wunderbar ab. Durch die lebendigen und anschaulichen Texte von Birge Tetzner sieht man Rom, das Kolosseum und die Gladiatoren so unmittelbar vor sich, dass jeder weitere Konsum von irgendwelchen amerikanischen Sandalenfilmen erübrigt.

Perfekte Vorbereitung für die nächste Rom-Reise

Junge Hörer*innen dürften also Freds neuestem Abenteuer gespannt lauschen. Sie finden darin mehr als genügend interessante Fakten, die bei den »Wusstes-du«-Gespräche wissensdurstiger Sprösslinge am Abendbrottisch für jede Menge Erstaunen bei den Großen sorgen werden (oder wissen Sie ohne zu googlen, woher das Wort »Kandidat« kommt?). Wer sich mit seiner Familie in den kommend Wochen und Monaten nach Rom aufmacht, kann sich mit diesem Hörspiel schon mal perfekt darauf einstimmen. Lebendiger und kurzweiliger kann man Geschichte nicht aufbereiten und den Kindern eine längst vergangene Welt und ihre Erforschung schmackhaft machen.

Birge Tetzner: Fred im alten Rom. Im Schatten des Kolosseums, ultramar media, 2020, 2 CDs, 132 Minuten, ab 9, 15,90 Euro

Das Sabbatical

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An meinem Herd klebt schon seit Jahren dieser Magnet mit dem Spruch von Konfuzius. Und diese tägliche Erinnerung, dass Veränderung ein wichtiger Bestandteil des Lebens ist und guttut, möchte ich nicht missen. Sie hilft mir, mit manchen Dingen gelassener umzugehen, und mahnt mich gleichzeitig nicht stillzustehen.
Jetzt mit Beginn dieses neuen Jahres, dieses neuen Jahrzehnts ist für mich wieder ein Moment der Veränderung gekommen. Ein selbstgewählter Moment, der mit diesem Blog, diesem E-Magazin zu tun hat.

Zeit für Veränderung

Gefühlt habe ich LETTERATUREN jetzt die gesamten Zehner Jahre hindurch betrieben (ja, wer nachrechnen möchte, es sind noch keine zehn Jahre, aber eine durchaus viele Jahre) und schon seit einiger Zeit merke ich, dass ich eine Pause brauche. Vom Rezensieren, vom Lesen von Kinder- und Jugendliteratur, vom Suchen nach neuem Material, von der Suche nach neuen Worten für die Rezensionen.
In den vergangenen Monaten bin ich schon einfach nicht mehr hinterhergekommen, die Massen an Neuerscheinungen zu sichten, zu bestellen und dann auch würdig zu begutachten bzw. zu lesen. Das ist gegenüber von Verlagen und Machern der Bücher nicht fair.
LETTERATUREN ist und war für mich immer ein zusätzliches Projekt neben meiner Arbeit. Als Freiberuflerin hatte ich da mal mehr, mal weniger volle Auftragsbücher. Momentan habe ich das große Glück, dass ich gut beschäftigt bin und mich mit äußerst interessanten Themen beschäftigen darf. Dafür brauche ich all meine Konzentration und Kraft.

Mehr Übersetzen, mehr selber schreiben

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In den vergangenen Wochen habe ich zudem gemerkt, dass ich mich noch mehr auf das Übersetzen von Literatur und das eigene Schreiben besinnen möchte. Das alles braucht Zeit. Zudem habe ich mir vorgenommen, wenn ich schon Bücher lese, mich endlich einmal an meinem eigenen Regal, in dem jede Menge ungelesene Bücher stehen zu bedienen und die bis jetzt aufgeschobenen Lektüren nachzuholen, statt immer neuen Stoff aus den Buchhandlungen zu holen, der dann doch wieder auf dem SUB landet.

Aus all diesen Gründen habe ich beschlossen, mir in diesem Jahr eine Auszeit zu nehmen. Quasi ein Sabbatical vom Rezensieren. Ich ahne schon, dass ich es in gewisser Weise auch vermissen werde, daher will ich gar nicht ausschließen, dass ich zwischendrin doch auch immer mal wieder Kinder- und Jugendliteratur lesen und möglicherweise besprechen werde. Doch zunächst möchte ich mich ganz frei, meinem beruflichen Büchermachen widmen.

Niemand geht so ganz

LETTERATUREN wird darum jedoch nicht eingestellt und schon gar nicht aus dem Netz genommen. Glücklicherweise hat sich Elke von Berkholz bereit erklärt, diese Seite weiter zu betreuen und Rezensionen zu veröffentlichen. Dafür, liebe Elke, jetzt schon ganz herzlichen Dank!

Herzlichen Dank für alles!

Auch bei den Verlagen und ihren Presseabteilungen bedanke ich mich sehr herzlich für die Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren, die vielen wunderschönen Rezensionsexemplare, die Veranstaltungen und guten Gespräche auf den Messen. Ich werde die KJB-Szene auf jeden Fall weiter beobachten, Vorschauen sichten, hoffentlich das eine oder andere Kinder- oder Jugendbuch übersetzen … in diesem Sinne werde ich also immer noch da sein und wir werden uns bei der einen oder anderen Gelegenheit sicher wieder treffen.

Damit wünsche ich allen Leser*innen von LETTERATUREN ein gutes neues Jahr, viele schöne, spannende und bewegende Bücher und bedanke mich bei Euch für Eure Treue! Schaut weiter vorbei …

Hausbesuch

Planet

Seit nun mehr einem guten Jahr mahnt Greta Thunberg uns immer wieder und völlig zu Recht: »Unser Haus steht in Flammen.«
Das Bild des Hauses für unseren Planeten Erde haben die Macher des großformatigen Sach-Bilderbuches So geht Planet! sehr genial aufgegriffen.
In 17 Kapiteln, die jeweils eine Doppelseite umfassen, erklärt Emmanuelle Figueras, wie die Erde entstanden, aufgebaut, bewohnt, bewässert, bewirtschaftet, aber auch von uns zerstört wird.

Unser Planet – eine Bestandsaufnahme

Das Haus Erde verfügt in dieser Darstellung unter anderem über ein Untergeschoss – das Erdinnere –, über Etagen und Dach – die Berge –, eine Küche – unsere Nahrungsressourcen –, Badezimmer und Toilette – die Weltmeere –, eine Werkstatt voller Bodenschätze, sowie über menschliche und tierische Mitbewohner. Zu jedem Lebensbereich des Hauses und seiner Umgebung – also dem Weltall – gibt es grundlegende Fakten und Zahlen, die erstaunen, aber auch erschrecken können.

Beeindruckende Zahlen

So erstaunt der Bau des Hauses Erde durch die langen Jahren bis zu seinem heutigen Aussehen. Die Vorstellung von Million oder gar Milliarden Jahren ist nicht einfach zu realisieren, ebensowenig Mengenangaben in Trilliarden – ich würde beim Aufschreiben der Nullen rettungslos durcheinander kommen. Doch genau diese immensen, quasi unfassbaren Zahlen setzen unser Hier und Jetzt in ein Verhältnis – vor allem, wenn es um die Zerstörung dieses Hauses geht, dessen Bau so ewig gedauert hat und das wir, die Mitbewohner, nun quasi in Null Komma Nix wieder einreißen.

Erschreckende Zahlen

Denn sobald es in die Werkstatt unseres Hauses geht, wird es erschreckend: Hier lagern die Bodenschätze und die Regale sind zum Teil schon verdammt leer. Kupfer, Zink und Blei dürften in etwa 25 Jahren erschöpft sein, Erdöl, Erdgas und Kohle in etwa 50 Jahren. Ja, könnte man sagen, das ist alles längst bekannt – doch bleibt es meist abstrakt und eine Umkehr im Denken, vor allem in der Wirtschaft und der Politik, scheint es nicht zu geben. Betrachtet man jedoch diese letzten Reste in den hier gezeichneten Regalen, kommt man ziemlich ins Grübeln.

Zusammenhänge erkennen

Man grübelt jedoch nicht nur hier, sondern auch bei solchen Infos wie der, dass ein Schaf nur etwa vier Kilogramm Wolle pro Jahr liefert. Das erscheint nicht viel, wenn man an die steigende Weltbevölkerung und den Bedarf an Kleidung denkt. Plastikkleidung scheint keine gute Lösung zu sein, denn die Herstellung verschmutzt Luft und Wasser viel zu sehr.
Ähnlich ergeht es einem im Wintergarten des Hauses, in dem die Lebensräume und Vegetation erklärt werden. Dort heißt es, dass in jeder Sekunde auf der Welt 32 Bäume gepflanzt werden. Im ersten Moment freut man sich vielleicht, doch dann liefert der nächste Kasten darunter die Information, dass in jeder Sekunde auch ein halbes Fußballfeld an Vegetation auf der Welt verschwindet. Was das dann für den wenigen Raum heißt, der auf der Erde überhaupt mit Bäumen und Pflanzen bedeckt ist, kann sich wirklich jedes Kind ausrechnen.

Hoffnung inklusive

Damit es jedoch nicht völlig frustrierend wird, liefern Figueras & Co. immer auch Lösungsvorschläge, wie wir das Haus Erde noch retten können. Sei es, dass man die Kleidung öfter trägt oder mehr Second-Hand-Klamotten kauft, sei es, dass man Wertstoffe recycelt oder neue Energien nutzt. Diese Kombination aus Zahlen, Fakten und Handlungshinweisen erscheint mir ein sehr gelungenes Konzept, um das Bewusstsein für unsere Umgebung, unsere Umwelt und unser eigenes Verhalten noch weiter zu schärfen.

Graphisch klar und aktuell

Zusätzlich trägt das optische Layout und die Illustrationen zu einem gelungenen Lese- und Schmökererlebnis bei. Verschieden große Kästen, in perfekt abgestimmten, gedeckten Farben liefern moderne flächige Illus, die in ihren Details viel zum Entdecken bieten. Da sitzt dann auch schon mal der Hipster mit einem Panda auf dem Sofa oder die überschwappende Badewanne bekommt Besuch vom Pinguin.

Nicht nur für Kinder interessant

Und wenn man am Ende der Lektüre erfährt, dass es mit dem Zweitwohnsitz auf Mond, Mars oder Jupiter eher schwierig werden dürfte, wird jedem doppelt klar, dass wir nur dieses eine Haus haben. Wir sollten es sorgsam behandeln, die Feuer löschen, unser eigenes Verhalten überdenken und verändern und uns so mehr um den Erhalt unseres Planeten kümmern. Es wären gute Vorsätze für das neue Jahr.

Emmanuelle Figueras: So geht Planet! Wissenswertes für junge Erdbewohner, Illustration: Alexandre Verhille und Sarah Tavernier, Übersetzung: Frederik Kugler, Kleine Gestalten, 2019, 45 Seiten, ab 8, 22,90 Euro

Von eigenen Welten und Liebestränken

Zipfel

Lucie, 13, braucht einen Job. Sie will weg von der Mutter, die sich schon wieder so einen seltsamen Typen angelacht hatte. So ein ökologisches Weichei mit Namen der Michi.
Da kommt ihr im Roman von Dita Zipfel der Zettel mit dem Angebot, als Hundesitter zu arbeiten, ganz gelegen. 20 Euro pro Stunde scheinen zudem ungemein lohnend.
Doch als sie an der Tür von einem gewissen Klinge läutet, ist da kein Hund sondern nur ein seltsamer Alter in Outdoor-Klamotten mit Sprachfehler, der sie einfach nur »Mädchen« nennt und ihr vegetarische Rezepte diktiert. Angeblich haben diese Rezepte Zauberkraft und sollen Ungeheuer fernhalten oder als Liebestrunk wirken.

Rösti des Lebens/Sterbens

Eigentlich glaubt Lucie an nichts davon, beobachtete Klinge aber überaus aufmerksam, stellt sich Fragen zu seinem Geisteszustand – und dennoch: Das mit dem Liebestrank muss sie ausprobieren, als Marvin, der angesagteste Boy der Schule, sie um ein Treffen im Freibad bittet. Er könnte schließlich funktionieren – man weiß ja nie.

Amüsante Weltbetrachtung

Lucies Beobachtungen und Schlussfolgerungen sind eine Mischung aus amüsanter Weltbetrachtung voller skurriler Menschen und der Entdeckung der eigenen Wünsche, des eigenen Weges, den Lucie schließlich einschlägt. Ihre Skepsis und ihre Verwunderung gegenüber Menschen wie Klinge oder der Michi kennen wir Lesende alle nur zu gut. Manchmal hält man einzelne Menschen für »verrückt«, manchmal auch die ganze Welt und steht mittendrin – mit seinen eigenen Zweifeln oder der leisen Ahnung, dass man vielleicht selbst »ver-rückt« ist.

Der Einfluss anderer

Dann bleibt die Frage, wie sehr man sich beeinflussen lässt, wie sehr man an gewissen Menschen hängt, wie sehr man Trends folgt – und dann feststellen muss, dass so ein Marvin vielleicht der Schwarm von vielen ist, im Grunde aber nicht gut riecht und auch ansonsten ein ziemliches A*loch sein kann.
Lucie begreift, dass es nicht nur eine objektive Welt gibt, sondern jeder von uns in seinem kleinen Kosmos lebt. Dass wir im Grunde vom anderen immer viel zu wenig wissen – und an dem Spruch »wer die Musik nicht hört, hält die Tanzenden für verrückt« ziemlich viel Wahres dran ist. Und dennoch neigen die Menschen dazu, andere immer und ständig in Schubladen zu stecken und sie zu bewerten. Lucie kann sich da gar nicht ausnehmen, aber sie lernt dazu und zwar in einer extrem steilen Lernkurve, die tatsächlich auf die Lesenden abfärben kann, wenn sie nur offen für dieses charmant wilde Buch von Dita Zipfel sind.

Anregend illustriert

Illustriert hat diese Wahnsinnsgeschichte (sorry, der passte jetzt grade!) Rán Flygenring, und es ist eine Wonne, die grellrot-schwarzen Drachen- und Punamy-Bilder zu betrachten. Und mögen die Rezepte nun Drachen im Zaum halten oder die Liebe heraufbeschwören, sie lesen sich so lecker, dass ein Nachkochen nach dieser Lektüre nur folgerichtig ist.

Dita Zipfel: Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte, Illustration: Rán Flygenring, Hanser Verlag, 2019, 200 Seiten, ab 12, 15 Euro

Liebe über Grenzen

Maike Stein

Die Feierlichkeiten zum 30-jährigen Mauerfall sind beendet, da bietet sich ein Blick darauf an, was dem Ganzen 28 Jahre zuvor vorausgegangen ist: der Mauerbau.
Maike Stein erweckt mit ihrem Roman Ein halber Sommer das Berlin von 1961 wieder zum Leben. Die Stadt ist in Sektoren unterteilt, als sich Marie aus dem sowjetischen Sektor und Lennie aus dem amerikanischen im Westteil der Stadt zufällig über den Weg laufen.
Die beiden sind sofort voneinander fasziniert, sind überwältigt, dass sie in der konservativ-düsteren Nachkriegsgesellschaft einen Menschen gefunden haben, der genauso tickt wie sie selbst.

Verwundete Familien

Heimlich treffen sie sich in einer Kriegsbrache voller Brombeergestrüpp, schreiben sich Briefchen oder treffen sich bei Lennies Tante im Osten. Beide kommen aus unvollständigen Familien, Lennies Vater ist im Krieg gefallen, Maries Mutter hat den Mann und die zwei Kinder verlassen. Und beide Mädchen sollen nach dem Wunsch des verbliebenen Elternteils etwas werden, was sie nicht wollen. Lennie soll Friseurin werden wie die Mutter, Marie Theaterschneiderin. Verständnis und familiärer Rückhalt ist bei diesen Konstellationen für beide nicht zu erwarten. Zumal Maries Vater einen guten Posten in der DDR-Administration bekleidet und viel auf den Sozialismus hält. Dass Marie regelmäßig in den Berliner Westen fährt, weiß er nicht und würde es auch nicht gutheißen.

Getrenntes Glück

In den ersten Wochen ihrer Liebe können die beiden noch annähernd ungehindert über die Grenze, sie verbringen heimlich ein Wochenende zusammen – denn ihre Liebe können sie nicht offen ausleben.
Im Sommer schließlich riegelt die DDR die Grenze ab, zieht Stacheldraht, baut die Mauer, verweigert ihren Bürgern die Ausreise und kappt die Telefonverbindungen. Lennie und Marie drehen schier durch – jede auf ihrer Seite der Mauer. Und dennoch hoffen sie, glauben an sich und an ihre Liebe, obwohl sie keinen Kontakt zueinander haben. Beide suchen Wege, wie Marie Ostberlin verlassen kann, doch die Grenzkontrollen werden immer schärfer …

Liebenswerte Figuren

Maike Stein hat mit Marie und Lennie zwei wunderbar liebenswerte Frauenfiguren erschaffen, die in ihrer Komplexität die Dramen des Lebens spiegeln und dadurch sehr viel Identifikationspotential liefern. So läuft Lennie am liebsten in den Klamotten ihres verstorbenen Vaters herum, möchte Uhrmacherin werden wie ihre geliebte Tante Ilse und sucht nach Nachrichten zum ungeklärten Tod des Vaters. Marie hingegen berlinert überaus sympathisch, ersetzt dem jüngeren Bruder quasi die Mutter und kann daher nicht so einfach alles stehen und liegen lassen, als sie Lennie kennenlernt. Die Figuren sind, so wie jeder von uns, in ihren eigenen Welten eingebettet und doch Teil des großen Ganzen. In diesem Fall ist es die Stadt Berlin in der heißen Phase des kalten Krieges, die so quasi zur dritten Hauptfigur wird.
Mit gekonnt gesetzten Wendungen hält Maike Stein bei dieser queeren Liebesgeschichte die Spannung wirklich bis zur letzen Seite und zeigt gleichzeitig, wie grausam die DDR-Regierung durch die Mauer das Leben der Menschen beeinflusst und beschädigt hat, wie sehr die Menschen leiden mussten. Erst dieses Wissen macht den Mauerfall dann zu diesem großen Glücksfall, der er gewesen ist.

Irreführendes Cover

Man darf sich bei dieser perfekten Geschichte nur nicht vom knallbunten Cover leiten lassen, das durch die Graffitis eher den Eindruck vermittelt, hier würde etwas aus den 1980er-Jahre erzählt. Ein bisschen mehr Zeitkolorit bei der Grafik hätte ich persönlich passender und authentischer gefunden. Ich frage mich dann immer, ob man jugendlichen Leserinnen so etwas nicht zumuten mag (von den ökonomischen Gründen mal abgesehen). Die Bilder, die Maike Stein mit ihrem stimmigen Text in mir erzeugt hat, sehen auf jeden Fall ganz anders aus und liefern mir quasi meinen eigenen inneren Film. Und den mag ich sehr gern!

Maike Stein: Ein halber Sommer, Oetinger, 2019, 270 Seiten, ab 14, 19 Euro

Kein Mensch ist illegal

illegal

Kaum ein Tag, an dem die Nachrichten nicht von Rettungsschiffen im Mittelmeer berichten, die Italien immer noch viel zu selten anlaufen dürfen. Das Leid der Menschen an Bord können wir uns in unseren sicheren Häusern und Wohnungen kaum vorstellen dürfen.
Und nun berichtet die UNHCR seit gestern von den noch größeren Gefahren an Land für die Flüchtenden.
Wie so eine Flucht durch den afrikanischen Kontinent aussehen könnte, zeigen uns Eoin Colfer und Andrew Donkin in der Graphic Novel Illegal, in der Übersetzung von Ulrich Pröfrock.
Colfer, eigentlich für seine Fantasy-Romane um Artemis Fowl, Warp und den nicht bellenden Hund bekannt ist, widmet sich hier dem tatsächlichen Leben.

Höllentour durch die Wüste

Colfer schildert die fiktive Geschichte des zwölfjährigen Ebo. Sein großer Bruder Kwame ist in der Nacht abgehauen, auf den Weg nach Europa zur Schwester. Kwame hat nichts gesagt und Ebo ist fest entschlossen, dem Bruder zu folgen. Aus seinem Dorf, irgendwo in Nigeria oder Ghana, nimmt er den Bus in die nächste größere Stadt: Agadez, eine riesige, labyrinthische Stadt in der Wüste. Hier sitzt Ebo erst einmal fest, er braucht Geld, ist aber noch zu jung, um für die üblichen Arbeitgeber zu schuften. Doch Ebo kann singen, und das tut er dann auf einer Hochzeit – und findet so durch Zufall seinen Bruder wieder.
Fünf Monate müssen die beiden arbeiten und sparen, bis sie die Tickets für den Lastwagen zusammen haben, der sie durch die Sahara bringen soll.

In den Fängen der Schlepper

Die Fahrt wird zur Tortur, dicht gedrängt stehen sie mit Fremden auf der Ladefläche. Die Sonne brennt ohne Schutz auf sie nieder. Als ein Mann vom Wagen fällt, hält der Fahrer nicht an. Das wenige Wasser, was mitgenommen wurde, verkauft der Schlepper für immer mehr Geld.
Bei der Übergabe an den nächsten Schlepper ist nicht mehr genug Platz für alle. Ebo, Kwame und ein halbes Dutzend weiterer Männer müssen zu Fuß durch die Wüste weiterlaufen. Die in Ligne claire gezeichneten Panels von Giovanni Rigano machen die tödliche Hitze und den Durst förmlich spürbar. Zu dritt schaffen sie es bis zur nächsten Siedlung.

Ebo wird krank. Doch die Brüder arbeiten weiter, um so von einer Stadt zur nächsten zu gelangen, bis sie schließlich Tripolis erreichen. Sie müssen sich vor Soldaten verstecken, dürfen niemandem vertrauen, nicht auffallen. Sie schlafen in einem Abflussrohr, werden von Ratten angeknabbert. Colfer erspart den Lesenden zwar die schrecklichen Lager, euphemistisch „Gefangenen-Zentren“ genannt, für die Libyen mittlerweile bekannt ist, doch das mindert den Schrecken in seiner Darstellung der Landflucht nicht.

Auf See in einem zu kleinen Schlauchboot

Und irgendwann ist der Tag bzw. die Nacht da, an dem Ebo und Kwame mit zwölf anderen Menschen auf ein Schlauchboot steigen, das nur für sechs Personen ausgelegt ist.
Ebo erzählt aus diesem Moment heraus. Die Kapitel auf dem Meer wechseln mit dem Rückblick auf Durchquerung der Wüste. Und das Meer ist nicht weniger lebensfeindlich wie die Sahara. Auch hier brennt die Sonne, das Wasser ist kalt, das Boot hat ein Leck. Diese Seefahrt ist alles andere als lustig.
Irgendwann ist der Sprit alle und das Trinkwasser auch. Die Richtung ist nicht mehr klar, in die die Jungs paddeln müssen. Die nächste Katastrophe steht kurz bevor.

Sensibilisierung für Ursachen und Gefahren einer Flucht

Colfers Geschichte, auch wenn sie fiktiv ist, orientiert sich an realen Schicksalen und kann daher als eine gelungene Illustration für jugendliche Leser_innen angesehen werden, die ihnen die täglichen Dramen auf dem Mittelmeer näher bringt. Das Verständnis und die Empathie für die Menschen, die sich nicht zum Spaß auf diesen lebensgefährlichen Weg machen, wächst. Die Ursachen, warum die Menschen die Heimat verlassen, werden zwar nur angedeutet und nicht in ihrer teilweise traumatisierenden Realität dargestellt, dennoch werden die Lesenden auf vielen Ebenen sensibilisiert.

Was heißt schon illegal

Gerade weil hier ein Kind flüchtet, wird zudem noch einmal deutlicher, dass kein Mensch illegal ist. Sie werden erst von Populisten und unmenschlichen Gesetzen dazu gemacht, eine Vorgehensweise, die unter keinen Umständen akzeptabel ist. Diese eigentlichen Banalitäten und Selbstverständlichkeiten über eine schnell zu lesende Graphic Novel auch der Jugend klar zu machen ist die Stärke dieses Buches.

Eoin Colfer/Andrew Donkin: Illegal, Illustrationen: Giovanni Rigano, Übersetzung: Ulrich Pröfrock, Rowohlt, 2019, 144 Seiten, ab 11, 16,99 Euro

Mauergeschichten

Mauerfall

Dieser Tage häufen sich in den Medien die Rückblicke und Erinnerungen an den Mauerfall vor 30 Jahren.
Hierzu gibt es natürlich eine Reihe von Publikationen für eine junge Zielgruppe. Vier davon habe ich herausgegriffen, die den Kids, für die dieses Kapitel jenseits der persönlichen Erfahrung liegt und über das sie nur von Eltern oder Großeltern Dinge erzählt bekommen, einen guten Eindruck von der damaligen Zeit liefern.
Bei zweien muss ich feststellen, dass es tatsächlich gewisse erzählerische Wendungen gibt, die offensichtlich in der Luft liegen und nicht durch Plagiat entstanden sein können (es würde mich jedenfalls sehr wundern). Denn sowohl in Helen Endemanns Roman Todesstreifen und in dem Briefroman Mauerpost von Maike Dugaro und Anne-Ev Ustorf entwickeln die Autorinnen einen Blick von zwei Seiten auf die Mauer, sprich auf die DDR und die Lebensverhältnisse ihrer Bewohner.
Endemann erzählt vom Ben, der in einem Westberliner Sportinternat wohnt und mit seiner Mannschaft zu einem Freundschaftstreffen in den Ostteil der Stadt fährt. Geplant ist ein Tag Aufenthalt mit Wettkampf. Doch für Ben wird es eine Odyssee, denn während des Querfeldeinlaufs wird er von zwei DDR-Jungs entführt und in einen Schuppen verschleppt. Dort steht ihm dann Marc gegenüber – und der sieht Ben verdammt ähnlich.

Republikflucht und Jugendwerkhof

Marc schlüpft in die Klamotten von Ben und fährt mit den westdeutschen Sportschülern nach Westberlin. Keiner der Schüler merkt, dass Marc nicht Ben ist.
Ben hingegen soll zu Marcs Oma und dessen Vater, die ihn dann – so die Vorstellung der Entführer – gleich wieder an der Grenze abliefern, weil er ja nicht Marc ist. Dass dieser halbgare Plan von Marc nicht aufgeht, merken Ben und die zwei »Fluchthelfer« von Marc, als vor dessen Haus die Stasi steht und Ben/Marc in einen Jugendwerkhof steckt, weil er kein ordentliches Mitglied der DDR-Gesellschaft ist. Ben sitzt in der Falle und die Möglichkeiten, rasch und unbehelligt wieder in den Westen zu gelangen sind gleich Null.

Beklemmende Atmosphäre

Das ist spannender Lesestoff, der auf sehr intensive Weise die beklemmende Atmosphäre, die Überwachung und das Eingesperrtsein in der DDR vermittelt. Jeden Weg, den die Jungs sich überlegen, wie Ben wieder nach Westen kommen kann, ist versperrt. Auch aus dem Westen ist keine Hilfe zu erwarten, denn Bens Eltern sind in Afrika auf einer Hilfsmission.
Marc hingegen macht sich im Westen auf die Suche nach seiner Mutter, die vor Jahren illegal über die Grenze geflüchtet ist. Doch auch er stößt auf Hindernisse: eine Tante, die etwas über die Mutter wissen könnte, ist dement. So ist es schließlich seine Oma, die den Enkeltausch natürlich gleich erkennt, nachdem Ben aus dem Jugendwerkhof zurückkommt, die als Botin zwischen den Welten wandelt.

Die Verbindung zwischen Ost und West

Mauerfall

Eine grenzgängerische Oma ist auch in dem Briefroman Mauerpost das verbindende Element zwischen Ost und West. Hier vermittelt Oma Ursel eine Brieffreundschaft zwischen ihrer Westberliner Enkelin Ines und der Ostberliner Nachbarstochter Julia. Die Mädchen beginnen sich zu schreiben, erzählen der jeweils anderen von ihrem Alltag und der Schule. Waren die Jungs noch 1985 in Berlin unterwegs, so kommunizieren die Mädchen bereits 1988 und schreiben sich mehr als ein Jahr, sodass die Ereignisse in der DDR, die zum Mauerfall geführt haben, in die die Briefe einfließen. Julia erzählt von den Demos auf der Straße, während Ines von dem merkwürdigen Verhalten der Mutter erzählt, die einst aus der DDR freigekauft wurde.

Erzählerische Parallelen

Hier entfaltet sich zwischen den beiden nach und nach ein fesselnder Krimi, in dem zwar nicht die Zustände in den Jugendwerkhöfen, dafür aber die in den Staatsgefängnissen wie Hoheneck und Hohenschönhausen geschildert werden. Dabei entdecken Ines und Julia immer mehr Details, die ihre Schicksale miteinander verbinden.
Zwar erzählen beide Romane unterschiedliche Geschichten, so zeigen sich doch bestimmte Muster, die bei beiden auftauchen: Ost trifft West, die Omas werden als Boten benutzt, die Stasi spielt natürlich immer mit, der Knast in der DDR ist für Jugendliche nicht weniger schlimmer wie der für Erwachsene, und am Ende stehen die Helden in beiden Geschichten in einem gewissen Verhältnis zueinander, dass ich nicht nennen werde, das man sich aber in beiden Geschichten relativ schnell denken kann. Es liegt eben in der Luft, 30 Jahre nach dem Mauerfall.
Parallel ist in beiden Romanen selbst eine gewisse Verwirrung um Ostberliner Stadtteile: So liegt im Todesstreifen eine Psychiatrie mal in Potsdam, ein paar Seiten weiter dann in Pankow (S. 194 vs. 202), in der Mauerpost werden Kekse in ein und demselben Laden gekauft, der mal in Friedrichshain, mal im Prenzlauer Berg zu finden ist (S. 100 vs. 134). Früher hat mich so was immer geärgert, heute schmunzle ich, weil das nun mal in der Hektik der Buchproduktion passiert. Es wäre trotzdem schön, wenn das in den nächsten Auflagen, soweit es die geben wird, behoben wird.
Beide Geschichten entwickeln jedoch einen packenden Drive und lassen die Leser und Leserinnen in die Zeit vor der Wende und vor dem Mauerfall eintauchen.

Blutsbrüder über die Mauer hinweg

Mauerfall

Etwas anders verhält es sich mit dem Kinderroman Alles nur aus Zuckersand von Dirk Kummer. Hier geht es hauptsächlich um eine Jungenfreundschaft in der DDR im Jahr 1979. Fred und Jonas sind dickste Kumpels, verbringen ihre Zeit zusammen, schließen Blutsbrüderschaft und erzählen sich alles – bis Jonas‘ Mutter einen Ausreiseantrag stellt.
Fred, dessen Vater beim Grenzschutz in Falkensee arbeitet, verbietet ihm den Kontakt mit Jonas. Doch daran hält er sich natürlich nicht. Stattdessen fangen die Jungs an, angeregt durch die Erzählungen vom alten Nachbar Marek über Australien, einen Tunnel in den brandenburgischen Sand zu graben. Sie wollen sich später in Australien treffen …

Kindgerechter Blick auf die DDR

Aufgrund der noch jüngeren Zielgruppe sind die Schrecken der DDR hier nicht ganz so heftig zu spüren wie in den beiden Jugendromanen. Fred fungiert als Ich-Erzähler und zeigt durch seine kritischen Kommentare alles das, was in der Schule und im System schief läuft. Er konstatiert, dass die Lehrerin den Schülern Angst macht, dass das System den Menschen Angst macht vor allem, was aus dem Westen kommt. Fred aber will keine Angst haben, sondern nur mit Jonas zusammen sein.
Als Jonas dann tatsächlich mit seiner Mutter ausreist und plötzlich weg ist, vermisst Fred ihn sehr. Ein Brief, den er an Jonas schreibt, kommt zurück, da Westkontakt verboten ist.

Das Buch nach dem Film

Wem diese Geschichte jetzt vielleicht bekannt vorkommt, liegt richtig, denn dieses Buch beruht auf dem gleichnamigen Film von Dirk Kummer, der 2018 mit den Grimme-Preis ausgezeichnet ist. Sind normalerweise erst die Bücher in der Welt und die Verfilmungen folgen später, so ist hier der andere Weg gegangen worden – allerdings mit einem entscheidenen Haken.
Um das Buch für Zehnjährige erträglich zu machen, haben Autor und Verlag auf einen Erzählstrang aus dem Film völlig verzichtet. Da ich den Film bereits kannte, habe ich mich zu Beginn der Lektüre noch gefragt, wie dieser Teil im Buch wohl erzählt wird (Achtung Filmspoiler: Jonas läuft kurz vor der Ausreise, als er mit der Mutter schon im Tränenpalast ist, noch einmal weg und findet in dem bereits gegrabenen Loch der Jungs ein schreckliches Ende). Dieser Teil wird gar nicht erzählt, was mich kurzfristig enttäuscht hat. Doch ich kann diese Auslassung verstehen, denn Jonas Schicksal ist im Film selbst für Erwachsene kaum zu ertragen.
So bleibt für junge Lesende eine liebevolle Freundschaftsgeschichte aus einem anderen Land. Sie erzählt von dem zerstörerischen Einfluss eines Staats in das Privatleben, aber auch noch ein Fünkchen Hoffnung aufblitzen lässt, dass die Jungs sich möglicherweise nach ein paar Jahren wiedersehen.

Doku-Fiktion zum Lesen

Mauerfall

Junge Lesende, die es nicht so sehr mit Romanen haben, können sich hingegen in dem Sachbuch Mein Mauerfall über die Zeit vor 30 Jahren informieren. Hier führt zwar der zwölfjährige Theo mit Erzähltexten durch das Buch, doch viele Fakten zur deutsch-deutschen Geschichte werden in Infokästen, Sprechblasen, Grafiken und Bildern in kurzen Texten geliefert.
Dabei geht Autorin Juliane Breinl auch auf die historischen Gründe für die deutsche Teilung ein, erläutert, was Hitler und die Nazis mit all dem zu tun haben und wie es überhaupt zu zwei deutschen Staaten gekommen ist.

BRD versus DDR

Gerade diese Gegenüberstellung von BRD und DDR zieht sich durch das Buch. Die Unterschiede, die wir heute immer noch spüren, wenn wir von West nach Ost und von Ost nach West fahren, bekommen in diesem Sachbuch ein Gesicht und eine Erklärung. Das mag uns Erwachsenen selbstverständlich vorkommen, doch den jungen Generationen das auf diese Art noch einmal vor Augen zu führen erscheint mir wichtig zu sein – und sehr gelungen.

DDR-Alltag und Zeitzeugenberichte

Breinl berichtet von den alltäglichen Unterschieden in beiden Staaten, von der allgegenwärtigen Überwachung in der DDR, den unterschiedlichen Inhalten in den Schulen, den Trabis und den Intershops, dem West-Konzert an der Mauer, zu denen die Ost-Jugend pilgerte und brutal niedergeknüppelt wurde. Doch auch staatlich organisierte Konzerten im Osten konnten die Menschen nicht mehr besänftigen, die Unzufriedenheit wuchs, man wollte raus und ging dafür in Massen auf die Straße. Die Mauer fiel. Von all dem lässt Breinl unter anderem Zeitzeugen erzählen, bekannte wie Jana Pallaske (Ost) oder Peter Wohlleben (West) und unbekannte, und bringt so jede Menge Authentizität in ihre Darstellung der damaligen Ereignisse.

Brüderlichkeit und Freiheit

Doch mit dem Mauerfall endet das Buch nicht. Es schlägt vielmehr eine Brücke bis in die Gegenwart, zum neuaufgeflammten Rechtspopulismus, ja Rechtsextremismus, dem grassierenden Fremdenhass, aber auch zum Bekenntnis für Europa, für Brüderlichkeit und eine grenzenlose Freiheit. Je länger ich in dem Buch vor und zurück gelesen habe, umso öfter wünschte ich mir, dass nicht nur Kinder dieses Buch lesen, sondern alle, die diese blöde blaue Partei wählen und anscheinend vergessen haben, was die Politik vor 80 Jahren und in den 40 Jahren der DDR-Geschichte angerichtet hat. Mögen die Kinder durch diese Lektüre ordentlich angeregt werden, in den eigenen Familien nachzufragen und die eigenen Familiengeschichten erkunden, ganz gleich, ob in Ost oder West.

Helen Endemann: Todesstreifen, Rowohlt, 2019, 256 Seiten, ab 13, 14 Euro
Maike Dugaro/Anne-Ev Ustorf: Mauerpost, cbt, 2019, 336 Seiten, ab 13, 9,99 Euro
Dirk Kummer: Alles nur aus Zuckersand, Carlsen, 2019, 144 Seiten, ab 10, 12 Euro
Juliane Breinl: Mein Mauerfall. Von der Teilung Deutschlands bis heute, arsEdition, 2019, 144 Seiten, ab 10, 15 Euro

Das filmreife pralle Leben

leben

Der Mensch hat so seine Bedürfnisse, nicht nur nach Essen und Schlafen, sondern auch nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Der Mensch möchte gesehen werden, und das oftmals nicht nur von seinem direkten Umfeld, sondern von einer größeren Masse an anderen Menschen. Das Konzept des »Berühmtseins« ist faszinierend und selbst kleinen Kindern nicht mehr fremd, wie ich neulich feststellte, als meine Nichte, 7, mich fragte, ob ich denn berühmt sei. Ich konnte getrost verneinen.
Berühmt werden ist aber auch harte Arbeit und fällt einem nicht in den Schoß. Davon ahnt Karl, 13, im neuen Roman von Kathrin Schrocke noch nicht besonders viel. Für ihn ist es – wie vielleicht für manchen Jugendlichen heutzutage – durchaus erstrebenswert auf YouTube ein Star zu werden. Diesen Wunsch hegt Karl, seit ihm sein Opa diese Idee im Traum offenbart hat. Doch über was soll Karl Filmchen drehen? Während er darüber grübelt, grätscht ihm das Leben in all seinen Facetten in die Star-Pläne.

Familienbande

Da ist zum einen Irina, seine Nachbarin, die aber in einen anderen Jungen verknallt ist, was Karl so gar nicht verstehen kann. Dann eröffnet Oma der gesamten Familie, dass sie nun, ein Jahr nach Opas Tod, in ein Mehrgenerationenhaus ziehen will, um nicht zu vereinsamen. Karls Eltern, eine Neurowissenschaftlerin und ein Biologie-Professor, sind entsetzt, dass sie die schöne große Wohnung gegen eine Hippie-WG tauschen will.
Als Opa Karl erneut im Traum erscheint und ihn dieses Mal um Hilfe für Oma bittet, tut sich Karl mit seinen Cousins Master und Desaster zusammen. Gemeinsam organisieren die Jungs heimlich den Umzug von Oma ins Generationenhaus. Dabei lernt Karl die schräge Larissa kennen und verknallt sich in die 17-Jährige.

Ehekrise

Derweil bekommt die Ehe von Karls Eltern einen Knacks, da der neue Chef der Mutter sich scheinbar als äußerst nett herausstellt, und die Mutter nun viel öfter unterwegs ist und abends immer später nach Hause kommt. Die Eltern streiten sich heftig und einigen sich schließlich auf eine Ehe-Pause. Der Vater zieht aus der Wohnung aus … was die Lage für Karl und für Oma nicht gerade entspannt.

Das mit der Liebe im Leben hört nie auf…

Kathrin Schrocke lässt Karl als Ich-Erzähler mit einer gewissen Komik und einem Hauch von Selbstironie von den Irrungen und Wirrungen in der Familie berichten. Das ist zum einen überaus kurzweilig, zum anderen durch den beständigen YouTube-Wunsch von Karl und seinen ersten Verliebtheitsgefühlen dicht an der Realität von 13-jährigen Jungs dran. Gleichzeitig aber vermittelt sie, dass jede Generation ihre Wünsche, Sehnsüchte und Liebesbedürfnisse hat. Fast nebenbei erfährt Karl, dass auch Menschen jenseits der 60 sich noch neu orientieren und lang begangene Weg verlassen können. Das kann eine neue Behausung sein oder aber auch neue Freunde.
Die Beziehung der Eltern ist ebenfalls nicht in Stein gemeißelt. Denn auch eine Ehe ist harte Arbeit, an sich, gemeinsam mit dem Partner, aber auch im Job und in der Familie ganz allgemein.
Karl lernt zudem, dass man in Sachen Liebe manchmal einfach nur fragen muss, um zu einer Verabredung zu kommen. Und dass 17-jährige Mädchen sich eher nicht mit 13-jährigen Jungs einlassen.

Filmreif

Bei dieser lockeren Verflechtung der Schicksale der Figuren in dieser Geschichte habe ich die Verfilmung bereits vor meinem inneren Auge flimmern gesehen. Gespickt mit einem Hauch von gefühlter Tschick-Verpeiltheit drin (ohne Road-Movie und ohne dass ich das gerade genau belegen könnte). Aber es gibt genug absurde Slapstick-Szenen, die von deutschen Jungschauspielern perfekt umgesetzt werden könnten. Die Figuren im Mehrgenerationenhaus bieten die ganze Bandbreite von jungen bis alten Charakterköpfen, die nervtötende basisdemokratische Versammlungen abhalten. Es gibt genug Drama (Polizei, Krankheit), Wendungen und Herzschmerz. Und für jede Generation das richtige Identifikationspotential. Das ist beim Lesen schon ein Spaß und wäre auf der großen Leinwand sicher perfekt.

So geht Inklusion

Das liegt auch an solchen Szenen, bei denen mir das Herz aufgeht. Generationshaus-Bewohnerin Selma, die wegen der Krankheit MS an Krücken geht, bedankt sich bei Karl, dass er Yussuf beim Fliesenverlegen geholfen hat. Sie: »Jetzt ist hier alles endlich wieder behindertengerecht.«
»Wohnen hier auch Behinderte?«, fragte ich verwirrt. Bislang war ich keinem begegnet.«

Genau. So. Soll. Es. Sein. Nonchalant, ohne großes Aufhebens. Menschen mit Behinderung sind ein Teil des Ganzen, ein Teil des Lebens, die weder ausgeschlossen, noch diskriminiert werden sollten, sondern so selbstverständlich dazugehören, dass die Behinderung nicht mal mehr auffällt. Doch so weit sind wir leider noch lange nicht. Aber für diese Szene liebe ich dieses Buch besonders.

Kathrin Schrocke: Immer kommt mir das Leben dazwischen, mixtvision, 2019, 181 Seiten, ab 12, 14 Euro