Auf jeden Fall die Steckdose vorher fragen

Kling

Muss man Bücher von Marc-Uwe Kling eigentlich noch vorstellen? Vom Kleinkünstler zum Bestsellerautor, nötig hat er es jedenfalls nicht mehr: Das Känguru-Universum dürfte enorm vielen Menschen bekannt sein, die QualityLand-Bücher ebenso. Und das Neinhorn treibt in unzähligen Familien auch schon schön sein anarchisches Unwesen.

Und doch gibt es da noch die Der-Tag-an-dem-Kinderbuchreihe von Kling, dessen dritter Teil eine nun eine klingsche Abrechnung mit hetero-normativen Aufklärungsgesprächen ist – und dementsprechenden Lesespaß bietet. Jegliche sprachliche Bewertung von Kings Humorlevel endet bei mir leider immer nur in miesen Plattitüden, die dem Niveau des Autors nicht würdig sind und meine Hochachtung vor diesem Können nicht im mindesten abbilden, also lasse ich es.*

Breitseiten gegen heteronormative Vorstellungen

Jedenfalls steht in der Familie von Tiffany, 6, Max, 12, und Luisa, 17, ein Gespräch über Sex an. Denn Luisa will mit ihrem Freund Justin (Tiffany würde ihn »ungefähr so schreiben: Taschstn«) zelten gehen. Es wird natürlich kein Gespräch unter vier oder sechs Augen, wie Papa es gern hätte, sondern die gesamte Familie inklusive Oma, Opa und des befreundete Nachbars findet sich ein.
Aus Mamas ehrenwertem Versuch, das Gespräch in Gang zu bringen (»wenn sich zwei Menschen näher kommen, also ein Mann und eine Frau …«), entwickelt sich eine Diskussion über gesellschaftliche Normen, europäisch-christliche Sexualmoral, freie Liebe in den 1960ern und Evolutionsbiologie.

Die verklemmten Eltern

Dabei sind es vor allem die Eltern, die so ihre Probleme mit dem Vokabular haben und herumdrucksen, wenn es darum geht, konkret zu werden. Als die Sechsjährige fragt, was denn Sex sei, bedienen sie sich Ausdrücken wie »Mumu« und »Schniedelwutz«. Papa behilft sich zudem ganz anschaulich mit Stecker und Steckdose. Sehr zur Verwunderung der Anwesenden und dem Amüsement der Leserschaft. Zum Glück vergisst Papa auch nicht die überaus relevante Kleinigkeit im ganzen Prozess: »Das äh, das Wichtigste ist natürlich, dass man die Steckdose vorher fragt.«

Aufklärung 2.0 reloaded

So kommt es, dass schließlich die Teenager die Gesprächsführung übernehmen, das korrekte Vokabular benutzen, sachlich und ohne falsche Scham Geschlechtsorgane benennen, Zusammenhänge und Entwicklungen darlegen – und den Erwachsenen klar machen, dass sie längst aufgeklärt sind, Internet sei dank.
Astrid Henns Illus liefern dazu das bildlich-biologisch-korrekte Anschauungsmaterial.

Wie nebenbei bringt Marc-Uwe Kling damit die als so unangenehm empfundenen Aufklärungsgespräche in Familien auf ein neues Level – nicht nur was die Komik angeht – sondern auch das Eltern heute gefälligst auf Augenhöhe mit ihren Teenagern reden, sich mit den Diskursen um Sexualität, Gender, Identität auskennen und vor allem nicht peinlich rumeiern sollten.
Da er dieses Buch für Lesende ab 6 Jahren anbietet, wird es vermutlich in so manchen Familien vorgelesen werden und das ist gut. Nichts hilft mehr, sich das richtige Vokabular anzueignen und in den eigenen Wortschatz zu überführen, als vorzulesen.
Ich muss das Vorlesen nur leider immer wieder unterbrechen … wegen der ständigen Lachanfälle.

Marc-Uwe Kling: Der Tag, an dem Papa ein heikles Gespräch führen wollte, Illustration: Astrid Henn, Carlsen, 2021, ab 6, 12 Euro

Fußnote: * Das Buch ist witzig.

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