Gerade ist – wieder mal – ein Gemälde eines alten Meisters für eine Unsumme versteigert worden, obwohl die Urheberschaft anscheinend nicht eindeutig geklärt ist und sich da ein potenter Käufer vielleicht gar keinen echten Leonardo Da Vinci zugelegt hat. Kunst ist eben ein ziemlich macht- und geldgetriebenes Geschäft geworden. Was aber auch wieder zeigt, dass Kunst in unserem Leben einen (ge)wichtigen Stellenwert einnimmt. Was mich zu der Frage bringt: Wie führt man Kinder an die Kunst und ihre Vielfältigkeit heran?
Selbst malen ist wahrscheinlich der beste Weg, kleine Menschen mit Kunst vertraut zu machen. Neben der Fähigkeit einen Stift zu halten, gehört dann aber auch das genaue Hinsehen und Beobachten dazu. Denn wer aufmerksam hinschaut, bringt irgendwann auch Wiedererkennbares aufs Papier.
Ganz spielerisch geht die Berliner Illustratorin Marion Goedelt an diese Herausforderung ran. Sie verwandelt die eigentlich immer etwas spießig und unkreativ daherkommenden Zahlenbilder – bei den man also durchnummerierte Punkte zu einem Objekt verbinden muss – in ein aufregendes Entdeckungsabenteuer.
Angelehnt an da Spiel „Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist …“ wiederholt sich auf jeder Doppelseite dieser Satz, ergänzt durch etwas, das herausgefunden werden soll, beispielsweise etwas Spaciges, Schleimiges, Gruseliges oder Gefährliches. Auf wunderschön aquarellierten oder mit Wachsmalfarben gestalteten Hintergrundbildern müssen die kleinen Künstler nun das Werk vervollständigen. Die schrägen Figuren, die bei den Zahlenbildern entstehen, sind nicht leicht vorherzusehen (auch für Erwachsene nicht). Was die Angelegenheit dann auch noch spannend macht.
Und hat man mit einem dünnen Bleistift (meine Nichte und ich haben uns erst gar nicht getraut, dicke Filzer zu nehmen) alle Punkte verbunden, geht der Spaß noch eine Runde weiter, denn nun müssen die Gesellen mit dicken Stiften und bunten Farben weiter zum Leben erweckt werden. Die Endergebnisse verwandeln dieses so schon charmante Malbuch dann in ein ganz feines, wertvolles Einzelstück.
Ist nach diesem ersten Malabenteuer dann der Schritt zum genauen Hingucken und angeleitetem Zeichnen vollzogen, stellt sich oft die Frage: Wie bekommt man die Figuren und Gegenstände auf den Bildern so hin, dass sie witzig, dynamisch und mehr oder minder realistisch aussehen?
Der Münchner Comic-Zeichner Ja Reiser hat dafür nun, seine Strich-und-Farben-Kolumne, die zwei Jahre lang in der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung erschienen ist, zu einem knallbunten Anleitungsbuch zusammengefasst.
In seinem comic-artigen Stil zeigt er zunächst einmal alles, was man zum Zeichnen benötigt, neben Papier, Stifte und Farben, eben auch Anspitzer und Radiergummi, sowie einen passenden Stuhl, damit man beim Zeichnen keine Rückenschmerzen bekommt. Immer wieder eingeflochten sind dann kurze Kapitel über Grundlagen des Zeichnens, also Erläuterungen zu Licht und Schatten oder der Perspektive.
Reisers Sammlung von Motiven – Tiere, Menschen und Fahrzeuge aller Art – liefert unzählige Vorschläge, was alles gezeichnet werden kann. Dabei macht er durch den Aufbau einer Seite klar, dass nicht einfach drauflos gekritzelt wird, sondern, dass man jedes Motiv zunächst einmal genau betrachten sollte und es dann in seine Formen zerlegt. Diese zeichnet man vor und fügt schließlich die Details hinzu. Um den typischen Ligné-claire-Stil der Comics hinzubekommen, werden die Umrisse dann mit Schwarz nachgezogen und erst ganz zum Schluss werden die Motive bunt koloriert. Das mag für angehende Comic-Zeichner vielleicht erstmal frustrierend sein, macht ihnen jedoch bereits von Anfang an klar, dass es eben kein Kinderspiel ist, einen richtig guten Comic zu zeichnen.
Wem der humoristische Comic-Stil dann doch nicht so liegt, sondern wer sich völlig frei auf dem Zeichenblatt bewegen will, der findet eine überaus großartig Anregung bei Marion Deuchars. In ihrem fast DIN-A-4-großen Wälzer Malen und zeichnen wie die großen Künstler stellt sie 18 Künstler_innen vor, von Joan Mirò, Salvador Dalí, Frida Kahlo oder Andy Warhol bis zum Japaner Hokusai.
In kurzen Texten erläutert sie den besonderen Stil des jeweiligen Künstlers und lädt dann sofort zum Nachmachen ein. So entstehen auf dickem, ungebürstenem Papier kubistisch inspirierte Stillleben, Collagen, Selbstportraits, Kalligramme, Menschen und Tiere, Kreise und Dreiecke, Selbstportraits und Tintenkleckszeichnungen.
Auch hier wird wieder genau hingeschaut, beispielsweise bei den mexikanischen Glyphen oder bei den Unterschieden von zornigen oder fröhlichen Bleistiftstrichen. Und bei all dem entfaltet sich vor den Augen der Betrachter_innen die ganze Vielfältigkeit der Kunst und ihre Sinnhaftigkeit. Dabei zeigt auch das Beispiel der australischen Aborigine Emiliy Kngwarreye, dass man für künstlerische Betätigung nie zu alt ist (sie begann mit 80 Jahren zu malen). Ihr Rückgriff auf die eigenen Traditionen und die eigene Lebenswelt beweisen anschaulich, dass auch ein einfacher Stock zu einem Kunstwerk werden kann.
Nach der Beschäftigung mit diesem Buch, das selbst ein Kunstwerk ist, schaut man seine eigene Umwelt definitiv mit anderen Augen an. Man entdeckt, was in Haus und Garten alles für die Erstellung von Kunstwerken genutzt werden kann. Beim Malen, Zeichnen, Kleben, Ausschneiden, Zusammensetzen, Kolorieren und Ausdenken entsteht so ein sinnliches Erlebnis, das weitaus mehr befriedigt, als so manch andere passive Freizeitbeschäftigung. Hier bekommen die Synapsen im Hirn richtig Futter – und vielleicht findet der oder die kleine Künstler_in ganz nebenbei ihren eigenen Stil und ihre eigene Leidenschaft.
Marion Goeddelt: Ich sehe was, was du nicht siehst. Zahlenbilder zum Verbinden, Aus- und Weitermalen, Tulipan, 2017, 40 Seiten, ab 6, 10 Euro
Jan Reiser: Strich und Farben – Die große Zeichenschule, 96 Seiten, ab 8, 14,99 Euro
Marion Deuchars: Malen und Zeichnen wie die großen Künstler, Übersetzung: Claudia Koch/Kathrin Lichtenberg, Midas, 2. Aufl. 2015, 240 Seiten, ab 10, 24,90 Euro