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Nenn mich nicht „Untenrum“

Karbolsäure darüberkippen, wegschneiden, verstümmeln, verteufeln, auf ein Loch reduzieren – was ist es, das über Jahrhunderte Männer, leider auch einflussreiche, so ängstigte, dass sie es mit martialischen Mitteln bekämpften? Es ist die Vulva, das äußere weibliche Geschlechtsorgan, vom Maler Gustave Courbet auf seinem im facebook-Zeitalter erneut skandalisierten Gemälde „Ursprung der Welt“ genannt.

Und so nennt auch die schwedische Comiczeichnerin Liv Strömquist ihr furioses Porträt der Vulva, das Katharina Erben ins Deutsche übersetzt hat. Auf dem Einband posiert sie selbst, breitbeinig auf einer Bank sitzend, wuschelige, dunkle Haare auf dem Kopf (die wie ein hübsches Zitat Courbets wirken, auf dessen Bild man vor allem ein dichtes, großes Büschel Schamhaare sieht, nebenbei der Beweis, dass das Gemälde aus einem anderen Jahrhundert stammt) und die Hände dreiecksförmig im Schoß gehalten. Neben Strömquist lehnt eine Maschinenpistole – das Cover ist die perfekte Einstimmung auf ihr Buch: Strömquist schießt scharf, absolut treffsicher, und in rasantem Stakkato geht es durch die Geschichte der Menschheit und unzählige Absurditäten.

Mit wunderbar schwarzem Humor und genügend Selbstironie erzählt sie von der Wahrnehmung weiblicher Sexualität im Laufe der Zeit. Dass die Vulva fast nie beim Namen genannt wird, wenn dann eher veralbert oder beleidigt, meist schamvoll verschwiegen wird und alles, was mit ihr zusammenhängt, als peinlich gilt, ist nur ein Teil des Problems.

Schwerwiegender war, dass es genügend Männer gab, die geradezu besessen von der Vulva waren und sie für Teufelszeug und den Ursprung allen Übels hielten. Im Mittelalter wurden Frauen angesichts einer vorhandenen Klitoris zweifelsfrei als Hexen identifiziert – faktisch konnte also jedes weibliche Wesen mit dem Segen der Kirche gefoltert und verbrannt werden.

Strömquist hat Haarsträubendes, Gruseliges und schlicht Unglaubliches recherchiert und in wunderbar reduzierte schwarz-weiße Comicstrips umgesetzt. Zum Beispiel sendet die NASA Nachrichten an eventuelle außerirdische Lebensformen ins All und zeigt ein Paar, von dem einer am Penis zweifelsfrei als Mann zu identifizieren ist. Daneben steht ein merkwürdig asexuelles Wesen, gegen das eine Schaufensterpuppe voll Porno wirkt. Ursprünglich gab es in der Schamgegend noch eine angedeutete Linie. Doch auch die wurde eliminiert. Mit messerscharfem Witz denkt Strömquist die Botschaft der NASA zu Ende: Klassisch comiceske Außerirdische in Amöbenform mit mehreren Stielaugen und diversen Tentakeln wenden sich beim Anblick einer auch nur angedeuteten Vulva angewidert ab: „Igitt, darauf antworten wir nicht!“

Die Menschen hatten nicht immer so groteske Wahrnehmungsstörungen und Berührungsängste mit der Vulva: In der Steinzeit gab es hübsch explizite und verehrte Darstellungen in Form üppiger Fruchtbarkeitsgöttinnen. Und vor nicht allzu langer Zeit glaubte man, Frauen müssten einen Orgasmus haben, um überhaupt Kinder kriegen zu können. Weibliche Lust wurde also nicht als Bedrohung empfunden, sondern im Gegenteil geschätzt. Übrigens ist das mit dem Orgasmus und der Befruchtung gar nicht so falsch, durch die Kontraktionen von Beckenboden und Scheidenmuskulatur werden Spermien schneller Richtung Eizelle transportiert. Ärzte rieten damals instinktiv richtig bei Kinderwunsch zur Klitorisstimulation.

„Aber im späten 18. Jahrhunderts änderte das Bild der menschlichen Sexualität sich RADIKAL“, fährt Strömquist fort. Seitdem werden vor allem die Unterschiede zwischen den Geschlechtern betont, ein perfides Instrument, um Frauen zu benachteiligen. Die Vulva, bestehend aus großen und kleinen Schamlippen, Klitoris, Harnröhrenmündung, Damm und Vagina wurde maximal auf letztere reduziert – ein Loch, das gefüllt werden muss. Selbst das Magazin „Der Spiegel“ schreibt in einer euphorischen Buchkritik, „Strömquist erzählt von der Vagina“. Oft ist auch nur von „Untenrum“ die Rede und ich habe auch schon modern und aufgeklärt wirkende Mütter mit ihren Töchtern über „Sand in der Mumu“ reden hören – ein Ausdruck, den Elyas M’Barek im fahrlässig unterschätzten Film „Fack ju Göhte“ ungläubig mit „das hast du jetzt nicht wirklich gesagt“ kommentiert.

Irgendwie setzt sich dieses krude Denken auch in unseren weiblichen Köpfen fort, besonders beim Thema Menstruation. Strömquist wurde übelst beschimpft wegen eines roten Flecks auf einer hübschen Plakatillustration. Der befand sich auf der Unterhose einer Eiskunstläuferin, die lächelnd mit hochgestrecktem Bein dahingleitet.

Die Hälfte der Bevölkerung menstruiert monatlich, es sollte also das Normalste der Welt sein. Trotzdem wäre uns zum Beispiel ein kleiner Blutfleck auf dem Sofa des Gastgebers tausendmal peinlicher als verschütteter Rotwein. Ein sehr anschaulich illustriertes Beispiel, mit dem Strömquist unser verqueres Verhältnis zum eigenen Körper entlarvt. Auch dass so genannte Hygieneartikel vor allem mit „Frische“ werben, als wäre die Monatsblutung schon mal per se unhygienisch und müsse mit einer Extraportion Frische vertuscht werden. Sehr verwunderlich – und absolut umwerfend – wie Strömquist uns mit wenigen Bildern die Augen öffnet.

Aberwitzig ist auch der ausnahmsweise farbig illustrierte Monolog Evas, nachdem sie von der Frucht der Erkenntnis gegessen hat und sich fortan schämt, für das, was sie ist: also für ihre Periode, zu große Schamlippen (würden Männer sich den Penis operativ verkleinern lassen? Bestimmt nicht! Außer vielleicht Dirk Diggler nach Ende seiner Karriere als Pornofilmstar), zu feucht zu werden …

Wie das exzellente Aufklärungsbuch „Sex“ sollte auch jeder Liv Strömquists außerordentlich kluges und brillantes Biologiebuch „Der Ursprung der Welt“ lesen und darüber reden: Vulvadialoge statt Vaginamonologe.

Liv Strömquist: Der Ursprung der Welt, Übersetzung: Katharina Erben, avant Verlag, 140 Seiten, ab 14, 19,95 Euro

Lasst uns über Sex reden

sex„Über Sex, genau, dieses Thema: SEX, SEX, SEX … Es wird Zeit, die Dinge endlich beim Namen zu nennen.“ Genau das tut die spanische Bloggerin Chusita Fashion Fever in ihrem Buch Sex – was du schon immer wissen wolltest – klar, direkt, unverblümt, schamlos, lustvoll und erfrischend. Gleich zu Anfang stellt sie klar: „Lass die Finger von diesem Buch, wenn du keine Lust hast, über Sex zu reden.“

Genau darum geht’s: Über alles reden, was irgendwie mit Sexualität zu tun hat. Es ist schon erstaunlich: Heute scheint alles übersexualisiert – und ebenso prüde. Körper sollen nicht nur perfekt geformt sein. Das gängige Schönheitsideal ist auch irritierend asexuell und kindlich androgyn: komplett haarlos, absolut reine Haut, geruchsfrei, zyklusunabhängig und nicht menstruierend oder andere Flüssigkeiten absondernd, athletisch, symmetrisch, straff, fest, allzeit bereit.

Nur offen und ehrlich miteinander über Sex zu reden, Unwissen und Ängste zu offenbaren, das traut sich im Alltag kaum einer. Das ist nur uncool und peinlich. Was man selbst die besten Freunde nicht zu fragen wagt, das schafft man in der Anonymität des Internets. Chusita hat angefangen mit einem YouTube-Kanal über Mode. Aber ihre Abonnenten, über 270.000 mittlerweile, wollten vor allem Ratschläge über Sex und Gefühle,

So entstand ursprünglich die Rubrik „Ich an deiner Stelle“ und jetzt dieses Buch: mit viel Knallorange, illustriert im Mangastil, unterteilt in kompakte Kapitel wie zum Beispiel „Lust“, „Flirten“, „Orgasmus“, „Und noch mehr Küsse“, „Oralsex“, aufgelockert mit endlich mal sinnvollen Tests zur Selbsteinschätzung, Dialogfenstern, poppigen Einschüben, kennzeichnenden Emojis, akzentuierten Textfeldern. So sind beispielsweise „nette Nebeneffekte der Selbstbefriedigung“: „Baut Spannungen und Ängste ab, verbessert Wohlbefinden und Laune, vermindert Menstruationsbeschwerden“. In der Rubrik „Lügenmärchen“ räumt Chusita mit Mythen auf, zu Penisgröße, Jungfräulichkeit, Traumprinzen und Idealbeziehungen, Homosexualität oder auch „beim Sex muss man laut schreien“: „Im Kino vielleicht. Ob jemand laut stöhnt oder schreit oder nicht, ist etwas, was sich von selbst ergibt“.

Chusita macht klar: Sex ist soviel mehr als Penetration. Sex soll sich gut anfühlen. Alles, was Lust bereitet und niemandem schadet ist okay. Sex ist bei jedem, mit jedem und jedes Mal anders. Und vor allem: „Fall nicht auf Pornos rein. Sex im realen Leben ist etwas völlig anderes als der, den du im Fernsehen und in Filmchen siehst, weil dort alles total übertrieben ist! Vergleich dich bloß nicht damit!“ Ebenso hilfreich und wissenswert ist, was man beim Sex bitte niemals tun sollte: „Über deine Fehler oder die deines Partners sprechen, ein Selfie machen, während man miteinander schläft, schmutzige Wörter mit Schimpfwörtern verwechseln.“ Chusita lässt nichts aus und nennt alles beim Namen: Vulva, Vagina, Klitoris, Penis, Eichel, Hoden, ohne Albernheiten und Euphemismen. Es ist auch immer nur einfach und quasi geschlechtsneutral vom „Partner“ die Rede, egal ob Mädchen und Junge, Mädchen und Mädchen, Junge und Junge. Das hat sich selbst der Verlag in seiner Ankündigung nicht getraut, wo von „***innen“ die Rede ist.

Und Ilona Einwohlt hat es geradezu kongenial ins Deutsche übersetzt, so dass es wirklich nie peinlich ist, sondern immer total interessant und spannend. Man kann der Autorin, bürgerlich Maria Jesus Carna Anton, nur zustimmen: Hätte man dieses Buch bloß schon als Teenie gehabt! Umso besser für diejenigen, die jetzt Teenies sind und „Dies ist kein Sexbuch“, so der Originaltitel, lesen können. „Kein Sexbuch“, weil es jedes Klischee umgeht, mutig und selbstbewusst macht – und einfach totalen Spaß bereitet, also wie Sex sein sollte.

So sehr Ilona Einwohlt als Übersetzerin brilliert, so wenig überzeugt sie als Autorin. Dabei ist die Ausgangssituation ihres Buchs für Leser ab elf Jahren Gucken verboten! Das (fast) geheime Aufklärungsbuch ganz reizvoll. Paul und Pia, beide elfeinhalb, sind allerbeste Freunde, obwohl Mädchen und Jungen das angeblich nicht sein können. Und sie können auch wirklich über alles reden, nicht so direkt … Paul kommt durch seine große Schwester auf die Idee eines gemeinsamen Tagebuchs, in das sie wechselseitig reinschreiben, über nervende Penis- und Brustgrößenvergleiche schimpfen, von ersten Masturbationsversuchen erzählen, über Pickel, Schamhaare und Geruch räsonieren, Kondome ausprobieren, ersten Samenerguss und erste Menstruation beschreiben, also alles, was Fast-Teenager zwangsläufig so beschäftigt in dem Alter. Katharina Vöhringers bunte Illustrationen zum Thema sind überwiegend sehr nett und witzig.

Aber sprachlich überzeugt dieser Dialog, eigentlich eine Art Briefroman, leider nicht. So reden und schreiben Jugendliche in dem Alter nicht, selbst, wenn sie mutig genug sind, sich so zu offenbaren. Besonders deutlich wird dies ziemlich am Anfang, als Pia versucht Paul zu erklären, was ein Orgasmus ist, nachdem sie es sich selbst angelesen hat in einem hinten im Bücherregal versteckten Buch eines Sexforschers: „Ich schreib es mal mit meinen Worten auf, wie ich es verstanden habe. Wenn zwei Menschen sich ganz dolle lieb haben …“ Bei „dolle“ hört es bei mir schon auf. Das sagen höchstens Kinder in den Elbvororten oder München Grünwald, und die heißen nicht Paul und Pia sondern Karl-Ludwig und Helene-Charlotte und selbst die meinen es ironisch! Wie charmant dagegen bei Chusita, anschaulich übersetzt von Einwohlt: „Woran du einen Orgasmus erkennst: Du bekommst ein unglaublich intensives Gefühl im Genitalbereich, alles zuckt und bebt … Atmung und Herzschlag werden schneller …“

Einwohlt kann sich in ihrem Aufklärungsbuch nicht entscheiden, ob es eher klassisch aufklärt, also vor allem über Sexualität im Allgemeinen, Entwicklung, Geschlechtsreife, Verhütung schreiben will, dazu passt auch die parallele Schwangerschaft von Pauls Au-pair Matilda und einige lehrbuchmäßige Darstellungen. Oder ob es eben ein Sexbuch sein soll, wo Fortpflanzung eher nebensächlich ist und es um alles das geht, was nicht im Anatomieatlas und Physiologiebuch steht. Wahrscheinlich weil Einwohlt fürchtet, ihr noch sehr junges Publikum zu überfordern und sie vor allem kritische und besorgte Eltern nicht vor den Kopf stoßen will, greift sie auch sprachlich daneben: Das inflationär verwendete Wort „Pimmel“ zum Beispiel klingt nur unreif und albern. Ein Highlight gibt’s trotzdem: „Kotzgurke“ kann man durchaus in den eigenen Wortschatz übernehmen. Insgesamt ist dieses Aufklärungsbuch zu textlastig geraten.

In Sex steht tatsächlich drin, „was du schon immer wissen wolltest“. In Einwohlts Aufklärungsbuch leider nicht, dafür von einigem Uninteressantem und nicht wirklich Neuem eindeutig zu viel.

Chusita Fashion Fever: Sex – was du schon immer wissen wolltest, Übersetzung: Ilona Einwohlt, cjb, 2018, 160 Seiten, ab 14, 15 Euro

Ilona Einwohlt: Gucken verboten! Das (fast) geheime Aufklärungsbuch, Illustrationen: Katharina Vöhringer ()Sauerländer, 2017, 120 Seiten, ab 11, 15 Euro