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Vereint sind wir stark

Murgia

An diesem Wochenende wählen wir – Europa. Und hoffentlich nutzen viele, richtig viele das wichtige Grundrecht, ihre Stimme abzugeben. Denn gemeinsam können wir viel bewegen.
Das ist auch der Tenor von einem italienischen Buch, dass ich euch heute vorstellen möchte, obwohl es noch nicht auf Deutsch erschienen ist. (Ich habe es vergangene Woche quasi druckfrisch aus Italien mitgebracht und weiß noch nicht, ob es überhaupt übersetzt wird – falls jemand Infos dazu hat, bitte melden.)
Die sardische Autorin Michela Murgia, die hierzulande durch ihren Roman Accabadora dem erwachsenen Publikum bekannt geworden ist, hat in Noi Siamo Tempesta (wörtlich: Wir sind der Sturm) 16 Ereignisse der Weltgeschichte versammelt, in denen es keinen Einzelhelden gibt, sondern die Gemeinschaft Fundamentales bewegt hat.

Michela Murgia schreibt auch für Jugendliche

So erzählt sie für junge Leser_innen, aber auch für Erwachsene beispielsweise von der Entstehung von Wikipedia, in der das Weltwissen gesammelt wird, vom Fall der Berliner Mauer, aber auch von der historischen Schlacht bei den Thermopylen, in der 300 Spartaner gegen die übermächtigen Perser unter Xerxes antraten, oder von den Müttern auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires, die es nicht hinnehmen wollten, dass das Regime ihre Kinder verschlingt.
Die Geschichte über die erste weibliche Fliegerstaffel der Sowjetunion, die „Hexen der Nacht“, lässt Murgia, die sich immer auch für Frauenrechte und gegen jeglichen Faschismus einsetzt, von Paolo Bacilieri in Form eines Comics erzählen. Von langweiliger Lektüre kann hier also nicht die Rede sein.
Auch die Menschen, die die Geflüchteten im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten, würdigt Murgia. So nimmt sie die Leser_innen auf eine kurzweilige Reise durch Raum, Zeit und Medien mit. Erzählt jede Geschichte zuerst auf sehr persönliche Art und schließt sie jeweils mit einer Faktenseite ab, die kurz über die historischen und politischen Zusammenhänge aufklärt.

Gemeinschaft bewegt

Mit diesen kurzen Geschichten, die von dem Mailänder Grafikstudio The World of Dot (Mitgründer ist u.a. Iacopo Bruno) sehr modernistisch illustriert wurden, schärft sie ganz enorm das Bewusstsein der Lesenden, dass weltbewegenden Veränderungen, Umstürze oder Aktionen zumeist nicht auf das Konto eines einzelnen Menschen gehen. Es ist vielmehr der Zusammenschluss von Gleichgesinnten, der die Welt ändern … und vielleicht noch retten kann, was die Fridays-for-Future-Bewegung dieser Tage gerade zu beweisen bzw. anzuleiern versucht. Sollten sie Erfolg haben – was uns allen nur zu wünschen wäre – wird Michela Murgia sie sich in ihrer Fortsetzung erwähnen (nein, ich weiß nicht, ob es eine Fortsetzung geben wird, aber ich würde es mir wünschen.)

Geschichten ohne Helden

Nach all den Büchern über rebellische Girls und mutige Boys und die entsprechenden Nachfolgerprodukte, die wir in den Buchhandlungen finden, wäre das Buch von Michela Murgia eine wichtige Ergänzung und ein ganz wunderbarer Gegenpol zum Heldenmythos, den im Grunde niemand mehr braucht. Selbst die Avengers im Kino können nur gemeinsam die Welt vor dem Bösen retten. Und das will schon was heißen.
Daher sollten wir eigentlich viel mehr von diesen gemeinschaftlichen Geschichten in unser Bewusstsein und unser Leben holen. Denn jeder kann bei solchen Aktionen mitmachen und etwas bewegen – am Sonntag bei der Wahl und immer wieder freitags für das Klima!

(Michela Murgias Buch würde ich jedenfalls sehr gern übersetzen, liebe Verlage, falls einer von euch sich die Rechte dafür gesichert hat. Anruf genügt.)

Michela Murgia: Noi siamo Tempesta. Storie senza eroe che hanno cambiato il mondo, Salani Editore, 2019, 128 Seiten, 16,90 Euro

Variationen eines Kunstwerks

kaefigIn dieser Woche fand die Kinderbuchmesse in Bologna statt, und ich war nach langen Jahren der Abwesenheit mal wieder vor Ort.
Es gab dort für mich nicht nur wunderbaren Input in Sachen neue Jugendbücher aus Italien, sondern ich hatte die zudem die Gelegenheit die beiden großartigen Macher von Der goldene Käfig persönlich kennenzulernen: die italienische Autorin Anna Castagnoli und den flämischen Illustrator Carll Cneut. Wir haben natürlich auf die Nominierung des Goldenen Käfigs für den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Bilderbuch angestoßen und uns für den 21. Oktober in Frankfurt verabredet. Aber bis dahin ist noch viel Zeit.

Beim Nach-Messe-Bummel durch das historische Zentrum von Bologna habe ich mir dann in der Kinderbuchhandlung an der Piazza Maggiore die italienische Variante des Goldenen Käfigs zugelegt – La voliera d’oro. Und wenn man nun denkt: Bilderbuch ist Bilderbuch, egal in welcher Sprache es herausgebracht wird – dem möchte ich hier ein paar Seiten zeigen, die die Unterschiede der beiden Ausgaben illustriert.

Ganz offensichtlich ist zunächst, wie das erste Bild oben zeigt, das kleinere Format des italienischen Buches. In Zahlen: 26,5 x 34,5 cm für die deutsche Version, 24 x 31 cm für die italienische. Gründe dafür kann ich nicht nennen (Verlagsstandards? Kosten?).
Auffällig ist die Anordnung des Titels – der italienische Golddruck geht zwischen den Papageien leider etwas unter. Dafür ist der blaue Papagei rechts unten nicht so sehr beschnitten und besser zu erkennen.

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Bei der Titelei im Buch zeigt sich, wie wichtig die richtige Skalierung von Bildern sein kann. Vogel und Blätter sind zwar bei beiden Büchern gleich groß, nur sind bei der italienischen Version, oben, Vogel und Blatt angeschnitten und wirken gedrängt. Auch der Stil des oberen Blattes geht fast verloren.

Eine Besonderheit zeigt sich hier bereits bei der Handschriftstypo des Titels: Beide in Schreibschrift, die deutsche Variante ist jedoch von Carll Cneut geschrieben worden. Das setzt sich im deutschen Buch fort.

An einigen Stellen gibt es in der deutschen Variante Sätze, die im italienischen Text fehlen. Dies liegt daran, dass mir beim Übersetzen zusätzlich zum Text von Anna Castagnoli das PDF der niederländischen Ausgabe vorlag, die bereits 2014 erschienen ist und in der diese zusätzlichen Sätze eingefügt worden waren. Sie geben der Geschichte der Blutprinzessin einen zusätzlich märchenhaften und poetischen Hauch. Auf dem rechten Bild, unten, wird durch die handschriftlichen Passagen der Inhalt noch ein weiteres Mal herausgehoben und betont.

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Eine größere Änderung sowohl beim Text, als auch beim Bild zeigt sich hier:

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Für diese ganz besondere Seite, die die grausame Neigung der Blutprinzessin illustriert, hat Cneut das „HACK“ der rechten Seite für die deutsche Variante noch einmal ganz neu gemalt – denn ohne das C von „HACK“ würde das flämische „HAK“ wie ein Schreibfehler aussehen und die Leser enorm irritieren.
Im italienischen Text lautet „HACK“ allerdings „ZAC“ – und ich frage mich, ob italienische Leser sich über die Text-Bild-Schere in ihrem Exemplar wundern oder das einfach so hinnehmen.

Dies sind jetzt nur einige wenige Beispiele – schließlich müsst Ihr Euch dieses wunderbare Bilderbuch im Original ansehen, um seine ganze Pracht zu begreifen – aber sie zeigen eindrücklich, wie unterschiedlich in den Ländern mit Bildern und Texten umgegangen wird.
Ich würde jetzt am liebsten auf die Jagd nach allen internationalen Ausgaben gehen und diese Vergleichsliste fortsetzen … je nachdem, in welches Land dieses Märchen noch verkauft wird. Ich hoffe, in sehr viele.

Anna Castagnoli/Carll Cneut: Der goldene Käfig, Übersetzung: Ulrike Schimming, Bohem, 2015, 48 Seiten, 28,95 Euro

Anna Castagnoli/Carll Cneut: La voliera d’oro, Topipittori, 2015, 48 Seiten, 24 Euro