Psychologie lohnt sich

Zu meiner Zeit studierten Betriebswirtschaft nur die Langweiler, die mit Aluaktenkoffern zur Schule gegangen sind und wirklich glaubten, so gleich ins gehobene Management zu steigen. Cool war das nicht. Psychologie hatte durchaus seinen Reiz, aber als Beruf konnte man sich das auch nicht vorstellen.
Eine Generation später ist Wirtschaftspsychologie so begehrt, dass viele es für viel Geld an privaten Universitäten studieren, hierzulande. Ob die alle Arbeit finden und die teure Ausbildung sich schließlich auszahlt, ist wiederum psychologisch ein interessantes Thema.
Auf jeden Fall kann man sich schon in der Schule auf dieses reizvolle Fach einstimmen, mit den hervorragenden Büchern Kernfragen Wirtschaft und Kernfragen Psychologie von Marcus Weeks. Die beiden je 160 anregende Seiten dicken Bände sind der Auftakt einer Sachbuchreihe des Verlags Dorling Kindersley.

Außergewöhnlich gut durch gutes Lektorat

Was macht sie so außergewöhnlich gut? Zum einen das gute Lektorat. Gleich sechs Leute stehen bei der Wirtschaft im Impressum, sogar sieben haben bei Psychologie Fakten überprüft, Themen gesetzt und eine stimmige Struktur entwickelt. Und Texte redigiert und in eine höchst lesenswerte Form gebracht.
Das ist der große Vorzug dieser Sachbücher gegenüber zum Beispiel textlastigen Genreklassikern aus der Reihe Was ist was. Jeweils auf einer Doppelseite wird ein Aspekt wie zum Beispiel Wettbewerb, Genossenschaften oder ethisches Handeln im Wirtschaftsbuch knackig erläutert. Bei der Psychologie werden abstrakte Themen wie Wahrnehmung, Gedächtnis und Wissen neben Fragen, ob man verrückt ist und wie wir uns entscheiden auf zwei Seiten facettenreich beleuchtet.
Vorangestellt ist ein Überblick über verschiedene Schwerpunkte, Spezialisten und Tätigkeitsbereiche des jeweiligen Fachgebiets, beide Bände schließen mit einem ausführlichen Personenregister und Glossar.
Und dazwischen gibt’s geballtes Wissen: Von den Anfängen des Geldes, warum wir von »Banknoten« sprechen, über Aktiengesellschaften, Angebot und Nachfragen und Armut bis zu persönlichen Finanzen spannt sich in den Kernfragen der Wirtschaft der Bogen, alles anschaulich und praxisnah erklärt.

Verrückt oder Volkswirt

Übrigens ist »die Ökonomie keine exakte Wissenschaft, mit der sich Theorien eindeutig beweisen oder widerlegen lassen. Einige Ökonomen machen Vorschläge zur Regelung der Wirtschaft. Aber letztlich ist sie nicht vorhersehbar und sie können auch völlig falsch liegen.« So steht es ganz ehrlich in der Zusammenfassung des ersten Kapitels, nebenbei auch eine treffende Analyse der Finanzkrise von 2007/2008, der bisher schlimmsten seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren. Oder wie es der britische Ökonom Kenneth Boulding erfrischend ehrlich auf den Punkt bringt: »Wer glaubt, exponentielles Wachstum könne in einer begrenzten Welt immer weitergehen, ist entweder verrückt oder Volkswirt.«
Das macht den Charme dieser Bücher neben den klugen Texten aus: die originellen Details, Einsprengsel und Anmerkungen, mal als Fingerzeig in einer Textblase oder als umkringelte Notiz, mal als kleiner Extrakasten. Hierzulande ist das Thema Wohnen und Eigentum brandaktuell. Bei unseren Nachbarn ist das kein Problem: »In den Niederlanden ist fast ein Drittel des Wohnraums im Besitz von Genossenschaften.«
Und in Fernost, im Staat Bhutan, wurde 1972 statt des Bruttoinlandsprodukts ein Maß für das Buttoinlandsglück ins Leben gerufen – arm, aber glücklich. Seitdem veröffentlichen auch die Vereinten Nationen jedes Jahr den Weltglücksreport.

Grafiken, die wirklich informieren statt nur illustrieren

Und immer wieder wird deutlich, wie viel Psychologie in der Wirtschaft steckt. Damit sind wir bei dem sogar noch besseren der beiden Bände. Hier sind die Illustrationen nicht bloß illustrativ und lockern das Ganze hübsch auf. Sondern sie veranschaulichen und intensivieren die Informationen. Sie leiten den Blick und geben jeder Doppelseite eine besondere Dynamik. Sei es der Schneeballeffekt der Wissensbildung, der munter und immer größer werdend über die Seiten purzelt. Oder »Assoziationen, die typisch sind für das menschliche Bewusstsein«, dargestellt in einem Apfel.
Es sind keine Infografiken im üblichen Sinn, also so typische wie langweilige Törtchen und Balkendiagramme mit mehr oder weniger sinnvollen Relationen.
Die Raffinesse der Illustrationen kommt auch bei den zahlreichen Porträts einflussreicher Köpfe zum Ausdruck. Prägende Charakteristika oder Theorien werden mit einfachen Symbolen versehen –  zum Beispiel, ob jemand sich mit Phantomgliedern, Hunden oder Träumen beschäftigt hat, ein Künstler oder viel in Afrika unterwegs war. Aus diesen individuellen Piktogrammen als grobe Pixel setzt sich das Gesicht der Psychologin oder Verhaltensforschers zusammen.
„Dieser erstaunliche Wirrwarr im Kopf macht uns zu dem, was wir sind“ lautet ein Zitat des britischen Neurowissenschaftler Colin Blakemore (zu dem im Anhang nicht verschwiegen wird, dass er Tierversuche befürwortet). Diese Bücher vergrößern das Wirrwarr aufs Beste, , »weil um etwas wirklich lernen zu können, müssen wir es verstehen«, wie schon am Anfang beim Thema Entwicklungspsychologie steht. Man kann sich nur wünschen, dass auch alle Schulbücher so lesenswert und lehrreich wären.

Marcus Weeks: Kernfragen Psychologie, Übersetzung: Edigna Hackelsberger, und Kernfragen Wirtschaft, Übersetzung: Ute Mareik, Dorling Kindersley Verlag, 2019, je 160 Seiten, je 14,95 Euro

[Gastrezension] Fantastico!

mathildeAcht Geschichten versammelt dieser von Ulf K. pfiffig bebilderte Band der norwegischen Schauspielerin und Sängerin Andrea Bræin Hovig rund um die sechsjährige Wilde Mathilde und ihren Papa, den Christel Hildebrandt knackig und frech übersetzt hat.

Mathilde und Papa leben allein, wo Mama ist, spielt keine Rolle. Es geht um die Beziehung Tochter-Vater, um Mitmenschen, Ausflüge, Feste. Da wird aus dem nörgeligen Nachbarn Iversen, dem stets alles zu laut ist, plötzlich ein Rock-Fan. Weil ihn die Begeisterung der luftgitarrenspielenden Mathilde so mitreißt? Beim Arzt trifft Mathilde auf Dr. Mari Sville, die derart überarbeitet ist, dass sie alle Wörter verdreht und selbst das Bett hüten müsste. Kurzerhand assistiert die fieberkranke Patientin und zeigt Frau Doktor erst einmal, wie sie ihr Stethoskop richtig benutzt. Später begegnet sie Mari zusammen mit deren Nichte Liv im Schwimmbad. Papa meint, seine Tochter müsse schwimmen lernen, doch der graust es vorm Wasser. Als es Mathilde schließlich zu bunt wird, erklärt sie dem Schwimmlehrer mutig-laut, dass sie Angst habe und deshalb nicht weiter mitmachen werde. Der turbulente Tag endet bei heißem Kakao mit Liv, Mari und Papas gerötetem Gesicht. Ist der vielleicht verliebt?

Mathilde erkennt die Wahrheit oft fixer als Papa, auch bei ihrem Zeltausflug. Hat Papa wirklich Ahnung? Nun, das Zelt will nicht stehen, dazu regnet es in Strömen. Zum Glück entdeckt sie ein hell beleuchtetes Haus mitten im Wald, und der schrullige Besitzer gewährt Obdach. Zupacken, das kann die Wilde Mathilde auch im Osterurlaub, als Papa unbedingt Ski fahren will. Aber die Piste ist nix für sie, deshalb wird gestreikt – und es folgen lustige Tage ohne Sportgedöns. Doch nicht nur Papa lernt dazu. Als Mathilde Weihnachten mit fremden Menschen feiern soll statt mit Onkel Torstein, zieht sie aus Protest ihr Zwiebelkostüm an. Papa nimmt’s gelassen, und Mathilde erlebt ihr schönstes Fest mit Riesentanne, Geschenketausch und Scharade.

Mathilde und Papa sind ein absolutes Traumpaar – herzumgarnend, ehrlich, liebevoll. Sie probieren vieles aus, lernen voneinander, vertrauen sich, selbst wenn es manchmal Missverständnisse gibt. Und weiß Mathilde einmal keinen Rat, dann wackelt sie einfach mit dem Po und ruft: „Ich bin fantastico.“

Zum Nachahmen empfohlen!

Heike Brillmann-Ede

Andrea Bræin Hovig: Die Wilde Mathilde. Geschichten zum Vorlesen, Illustration: Ulf K., Übersetzung: Christel Hildebrandt, Gerstenberg Verlag, 2016, 120 Seiten, ab 5, 12,95 Euro