Kein schöner Land

schäubleHerr Böhmermann twitterte in den vergangenen Tagen, kurz nach dem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz, dass nach 60 Jahren nun bald wieder Nazis im Bundestag sitzen werden. Und wir haben es nicht verhindert.

Ein bitterer Tweet. Denn es geht schon nicht mehr darum, ob die AfD in den Bundestag einzieht, sondern nur noch die Frage bleibt, mit viel Prozent. Können wir wirklich nichts mehr dagegen tun? Ich weiß es nicht, ich hoffe, doch.

Was jedoch passieren könnte, wenn eine Partei wie die AfD tatsächlich die Macht in unserem Land übernehmen würde, hat Autor Martin Schäuble weiter gedacht und daraus einen packenden Roman gemacht.
Darin regiert in einer nicht allzu fernen Zukunft die Nationale Alternative, die EU ist abgeschafft, der Euro ebenso, man zahlt wieder mit Mark. Die Atomkraftwerke laufen weiter, erneuerbare Energien werden nicht mehr unterstützt. Die Rentenversicherung ist privatisiert worden, an den Grenzen wurden Mauern hochgezogen. Die Gesellschaft ist überaltert, aber in den Altenheimen fehlen die Pflegekräfte. In diesem düsteren Szenario leisten die Protagonisten Anton und Noah ihren Wehrdienst. Mitten in der Nacht sollen sie sogenannte Invasoren, also Flüchtlinge, an der Grenze abfangen.
Anton steht hinter der Politik der Nationalen Alternative, Noah ist kritisch und sabotiert eine dieser Abfangaktionen.

In einem weiteren Strang lässt Schäuble die jung Äthiopierin Fana von ihrem Leben in Addis Abeba erzählen. Dort ist sie auf eine deutsche Schule gegangen, arbeitet in einem Krankenhaus und muss ihre Eltern unterstützen. Im Land herrscht eine fürchterliche Hungersnot, sodass Fana von einer befreundeten Deutschen schließlich dazu überredet wird, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen.

Fana schafft es tatsächlich bis nach Deutschland, das Noah nur noch „Endland“ nennt, und im Flüchtlingsheim kreuzt sich ihr Weg mit dem von Anton. Der ist von seinem Offizier auf eine geheime Mission geschickt worden, deren ganze Dimension dem Jungen erst vor Ort wirklich aufgeht …

Schäuble schafft es, jugendlichen Leser_innen ein Gespür zu vermitteln, dass das, was heute von Politikern und Populisten diskutiert wird, ganz schnell bittere Wahrheit werden kann und unser aller Leben prägen würde. Die drei Protagonisten, die jeweils als Ich-Erzähler berichten, stehen für die verschiedenen Standpunkte, die man in Sachen Flüchtlingsproblematik einnehmen kann. Durch die rasanten Wendungen im Plot wird deutlich, wie schnell man zum Ausgestoßenen oder Helden, zum Spielball oder Macher der Geschichte werden kann.

Autor Martin Schäuble ist mit dieser Geschichte ganz dicht an den bewegenden Themen unserer Zeit und schärft den Blick für die Ungerechtigkeiten, die sich auf leisen Sohlen immer mehr in unsere Gesellschaft einschleichen. Zudem führt er noch einmal sehr drastisch vor Augen, wie grausam eine Flucht in ein vermeintlich sicheres Land wie Deutschland ist und welche Gefahren die Flüchtenden dafür auf sich nehmen. Das macht die Stärke dieses Buches aus.

Erzähltechnisch geht Schäuble dabei ziemlich zackig vor. In einer nüchternen, fast spröden Sprache treibt er den Plot so rasant voran, dass mir manche Sprünge fast zu schnell gehen. Da tauchen dann die ein oder anderen Fragen auf (wie kommt Fana von Libyen nach Polen?) und manche Nebenfiguren werden so flott eingeführt, dass man sie kaum registriert.
Schäuble zeigt viele Dinge nicht, sondern lässt sie die Figuren erzählen. Das mindert für mich ein wenig das eigene Erkunden und Nach-Denken der Geschichte und wirkt in manchen Momenten ziemlich moralisch (wenn Anton über gewisse Zustände nachdenkt, spürt man den erhobenen Zeigefinger). Das hätte man sicher so darstellen können, dass es die Leser_innen stärker fordert, dann wäre der Roman jedoch wohl doppelt so lang geworden.

So aber ist Schäuble ein rasanter Zeitgeist-Roman gelungen, der junge Leser_innen für Politik und Populismus sensibilisiert. Und ihnen klar macht, dass man von Anfang an wachsam sein muss, damit es nicht so weit kommt. Bleibt nur zu hoffen, dass die Volljährigen unter ihnen auch ihr Wahlrecht wahrnehmen und auf diese doch so einfache Art ein Zeichen setzen!

Martin Schäuble: Endland, Hanser, 2017, 220 Seiten, ab 14, 15 Euro

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Der hellsichtige Meister

terzaniVor Jahren, als ich noch ziemlich neu im Übersetzer-Geschäft war, schlug mir meine italienische Freundin M. vor, doch die Bücher von Tiziano Terzani zu übersetzen. Ich hatte keine Ahnung, wer der Mann war, stellte aber ganz schnell fest, dass seine Bücher bereits alle übersetzt waren. Terzani verschwand wieder aus meinem Bewusstsein, hatte ich doch anderes zu tun – und diese Journalistengröße Terzani war damals eh eine Nummer zu groß für mich.
Aber wie es im Leben so ist, man begegnet sich irgendwie doch immer zweimal, und so bekam ich in diesem Sommer die Anfrage, ob ich die Tagebücher von Tiziano Terzani lektorieren könnte.

Trotz der sportlichen Vorgabe mehr als 700 Manuskriptseiten in zwei Monaten zu bearbeiten, habe ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen. Und einen so intensiven Sommer der gedanklichen Reise in Raum und Zeit erlebt, wie noch nie zuvor.

Terzanis Aufzeichnungen setzen 1981 ein, als er gerade für den SPIEGEL ein Büro in Peking eröffnet hat. Auf diesen Seiten offenbart er seine Betrachtungen, die nicht in seine bereits veröffentlichten Büchern eingeflossen sind. Kürzere und längere Einträge wechseln sich ab, nicht jeden Tag schreibt TT – wie er später die Briefe an seine Frau Angela signiert –, doch als Leser taucht man fast augenblicklich in seinen Kosmos und seine Zeit ein. Man erlebt seine Ausweisung aus China, sein Unbehagen in Japan, seine Kritik an Konsum und Anpassung, sein unermüdliches Streben im Kampf gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit. Mehr und mehr hadert Terzani jedoch mit der Welt, dem raschen Wandel, der Globalisierung, der Gleichgültigkeit. Er möchte sich zurückziehen, als Namenloser irgendwo unerkannt leben. Immer wieder jedoch schimmert der eitle Journalist durch, der sein Business genau kennt, nach Aufmerksamkeit heischt und gleichzeitig abgestoßen ist von der Oberflächlichkeit dieser Medienwelt.

Terzani ist ständig unterwegs. Hongkong, Bangkok, Ban Phe in Thailand, dazwischen immer wieder nach Hause, nach Florenz und Orsigna zur Familie, dann schnell wieder zurück nach Asien, nach Islamabad, Neu Dehli oder Dharamsala. Er schreibt, er hadert und zieht sich in den Himalaja zurück, meditiert, versucht, dem weltlichen Leben zu entsagen, nicht immer mit Erfolg. Die Ereignisse vom September 2001 holen ihn vom Berg zurück. Obwohl er da schon an Krebs erkrankt ist, wirft er sich noch mal mitten ins Weltgeschehen, beobachtet die Vorgänge in Pakistan. Unzählige Geschichten erzählt er, sehr persönlich, sehr offen. Jede Zeile zeugt von seiner unbändigen Lebenslust und Lebenssucht. Terzanis Aufzeichnungen enden im April 2003, im Juli 2004 erliegt er seinem Leiden. Für alle Kenner von Terzanis Werken sind diese Tagebücher quasi der Blick hinter die Kulissen, der Blick auf den Journalisten Terzani, den Ehemann, den Vater, den Reisenden, den Krebspatienten, den Weisen, den Namenlosen.

Ich hatte vor diesem Auftrag noch nie viel mit Tagebüchern zu tun gehabt oder viele gelesen. Doch hier hat sich mir die ganze Faszination dieses Genres erschlossen. Das ist mehreren Faktoren zu verdanken: der schillernden Persönlichkeit von Terzani, seinem extrem umtriebigem Leben, seiner klaren Sprache, seiner kurzweilige Erzählart, seiner Widersprüchlichkeit, aber auch seiner Hellsichtigkeit, mit der er gesellschaftliche Zustände vorausgesehen und beurteilt hat, mit denen wir heutzutage kämpfen. Seine Sicht auf unseren heutigen Irrsinn hätte mich brennend interessiert. Ein wenig ahnt man, was er davon gehalten hätte. Ich habe es während des Lektorierens bedauert, seine Reportagen nicht schon zu seinen Lebzeiten gelesen zu haben, und habe mir vorgenommen, die Lektüre seiner anderen Bücher, so schnell es geht, nachzuholen.

Auch die Arbeit an diesem Text an sich war auf den unterschiedlichsten Ebenen ein Vergnügen. Zur inhaltlichen Bereicherung kam die vorzügliche Übersetzung von Barbara Kleiner, die mir das Lektorieren sehr erleichtert hat. Eine wertvolle Erfahrung war für mich darüber hinaus, dass ich auch den Auftrag hatte, den Anmerkungsapparat für die deutschen Leser anzupassen. Da ich dabei  quasi freie Hand hatte, konnte ich für die Anmerkungen etliche Punkte neu recherchieren und erweitern und so noch ein Quentchen mehr zu dem Buch beitragen.

Wenn mich TT jetzt also vom Buchcover mit diesem irgendwie verschmitzt-weisen und selbstbewussten Blick anschaut, freue ich mich noch einmal extra, dass ich diesen Sommer auf eine ganz eigene Weise mit dem Mann verbracht habe, den mir vor so vielen Jahren M. aus Florenz ans Herz gelegt hat.

Tiziano Terzani: Spiel mit dem Schicksal. Tagebücher eines außergewöhnlichen Lebens, Übersetzung: Barbara Kleiner, DVA, 2015, 576 Seiten, 22,99 Euro

Die Fragen der Mentalität

kriegFiktive Geschichten über den ersten Weltkrieg habe ich bereits hier, hier und hier vorgestellt. Sie lassen die Geschehnisse für junge Leser lebendig werden, können jedoch immer nur Teile einer komplizierten weltpolitischen Entwicklung anreißen.

Einen Versuch, in einem Sachbuch, die Zeitläufte um den ersten Weltkrieg verständlich zu machen, unternimmt Nikolaus Nützel in seinem Buch Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg. Ausgangspunkt ist für ihn das Schicksal seines Großvaters, der bereits am 24. August 1914 so schwer im Kampf verletzt wurde, dass ihm ein Bein amputiert werden musste. Für die Familie war dies später immer ein Freudentag, denn für den Großvater war der Krieg damit bereits vorbei.

Dass dies natürlich nicht für alle Soldaten galt, schildert Nützel dann im Folgenden ausführlich, gut verständlich und sehr weitsichtig. Er beschränkt sich nämlich nicht nur auf die Jahre 1914-1918, auf Schlachtendarstellungen, Grabenkämpfe und die Not der Zivilbevölkerung, sondern bindet die Ereignisse in die politischen Strömungen ein und zeigt immer wieder deren Einflüsse bis zum 2. Weltkrieg und bis in unsere Gegenwart auf. Vor allem jedoch macht er die Mentalität und die Denkweisen der Deutschen und ihrer europäischen Nachbarn vor hundert Jahren klar.
Fällt es uns heute schon schwer manche aktuelle Überzeugungen zu verstehen, so erscheint uns das Denken von vor hundert Jahren umso fremder und ferner. Nützel jedoch versteht es, genau dieses Denken zu erklären und einzuordnen.

Das, was im Geschichtsunterricht – zumindest so, wie ich ihn noch erlebt habe – ungeklärt und mysteriös blieb und bleibt, wird hier beantwortet. Allen voran die „Hä-Frage“ (großartig!), nämlich wieso der Mord an dem österreichischen Thronfolgerpaar in Sarajevo den ersten Weltkrieg auslösen konnte. Nützel bringt immer wieder sein persönliches Unbehagen und seine Schwierigkeiten mit ein, die Mentalität von damals zu verstehen. Damit begibt er sich auf eine sehr angenehm unprätentiöse Art auf die Augenhöhe der jungen Leser, die all die geschichtlichen Fakten, die Kriegs-Grausamkeiten und die unverständlichen Winkelzüge von Erwachsenen natürlich nicht sofort verstehen können. Und genau diese Erzählweise, die immer dicht an den Wünschen und Ängsten der Menschen bleibt, macht Nützels Buch auch für Erwachsene zu einer erhellenden Bereicherung.

Das Buch Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg ist mit jeder Menge Bildern, Karten, Original-Dokumenten sowie Glossar, Zeittafel und weiterführender Literatur ausgestattet – und wird damit zu einem überaus vielschichtigen und anregenden Geschichtsbuch, das Lust darauf macht, die Historie genauer zu betrachten.

Nikolaus Nützel: Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg. Was der Erste Weltkrieg mit uns zu tun hat. Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2014, Kategorie Sachbuch, arsEdition, 2014, 144 Seiten,  ab 12, 14,99 Euro

Blutzoll an eine Stadt

BerlinIn diesem Herbst habe ich Berlin nach vier Jahren verlassen. Aus guten Gründen. Dennoch blutet mein Herz. Als Kur gegen Heimweh habe ich mich dieses Mal auf die Graphic Novel Berlinoir von Reinhard Kleist und Tobias Meissner gestürzt. Und wurde in ein kongeniales Spektakel hineingezogen.

Berlinoir wird von Vampiren beherrscht. Die Menschen liefern ihnen das Blut – freiwillig oder gezwungenermaßen. Es regt sich Widerstand, immer wieder werden wirtschaftliche und politische Stützen der Vampir-Gesellschaft von Menschen umgebracht. Die Menschen setzen ihre Hoffnung in den Vampirjäger Niall, der als kommender Anführer die Stadt von der Unterdrückung durch die Untoten befreien könnte. Doch Niall sieht sich nicht als Messias, viel mehr ist er von den Vampiren angewidert, gleichzeitig aber auch angezogen. Er verliebt sich in eine Vampirfrau.
Wenig später treibt dann auch noch ein Mörder sein Unwesen in der Megacity, der eigentlich auch nur ein Vampir sein kann. Um die Vampire zu besiegen bleibt Niall schließlich nur ein Weg – er muss selbst zum Vampir werden …

Die Geschichte von Berlinoir ist durchaus komplexer, als ich sie hier kurz anreiße. Doch den verzwickten Plot muss jeder Leser selbst erkunden. Das, was mich vielmehr fasziniert und letztendlich amüsiert hat, sind die nonchalanten Seitenhiebe auf Berlin-Hype und Gewurschtele in der Stadt. Da wird im Blutroten Rathaus in der Kabinetts-Versammlung über die drei Opern und zwei Tierparks der Stadt geschimpft, die Mahnmalkultur aufs Korn genommen und mit „ruhiger Hand“ regiert. Eingebettet wird diese Politik, die nicht einfach auf irgendeine real-existierende Partei zu übertragen ist, in ein überschäumendes Berlinoir, das die wilden, expressionistischen 20er-Jahre wieder aufleben lässt.
Die Stadtarchitektur gleicht einer Mischung aus Metropolis und Gotham City. Fernsehturm, Dom, Potsdamer Platz verschwinden zwischen Hochhäusern, die man eher in New York erwartet. Auf jeder Seite entdeckt man Berliner Sehenswürdigkeiten, meist gut versteckt, oftmals dem Verfall anheim gegeben. Das Leben findet hauptsächlich nachts statt, da das Sonnenlicht bekanntermaßen eine Bedrohung für Vampire darstellt. Fledermäusen sind so zahlreich wie Ratten. Verschiedene Glaubensgruppen agieren in der Stadt. Und selbst unter den Vampiren gibt es Grabenkämpfe, die zu einer Teilung der Stadt in einen Nord- und einen Südsektor führen.
Die Anspielungen an die Stadtgeschichte von Real-Berlin sind offensichtlich, machen in ihrer überraschenden Art aber immer wieder Laune, da man beständig nach einer Einordnung oder einem Wiedererkennungseffekt sucht. Wahrscheinlich lässt sich das nicht eindeutig machen – jedenfalls ist es mir bei dieser ersten Lektürerunde nicht gleich gelungen und ich habe mit Sicherheit noch eine ganze Menge übersehen. Das macht aber erstmal gar nichts, denn so bleibt für die nächsten Male ein riesiges Potential an Neuentdeckungen und -interpretationen.

Kleists Panels wechseln von kalt-blau-dunkeln Farben zu warm-rot-orange, spiegeln so die tote Welt der Vampire und die noch blutgefüllte der Menschen. Die Figuren, die Kleist in ihnen agieren lässt, gleich denen von George Grosz, erinnern an Nosferatu von Murnau – und sind streckenweise nichts für schwache Nerven. Verbranntes Fleisch auf Schädelknochen, spritzendes Blut, rollende Köpfe und Tod reihen sich in einem fiebrigen Tanz um die Macht aneinander. Eine Stadt sucht einen Mörder. Ein Schreckensregime löst das nächst ab. Die Interpretationsebenen in dieser Graphic Novel sind so zahlreich, dass man das schon eher im wissenschaftlichen Rahmen genauer untersuchen müsste. Für den Normalleser ist auf jeden Fall eine Wonne. Das können einem die fiesen Blutsauger von Berlinoir auf gar keinen Fall vermiesen.

Der Narbenstadt Berlin, die „moderat tribalistischen Provinznachwuchs“ mit „den Ausschweifungen der Großstadtnächte“ anzieht, haben Kleist und Meissner ein düsteres, aber überaus hintersinniges Denkmal gesetzt.

Reinhard Kleist/Tobias O. Meissner: Berlinoir, Carlsen, 2013, 150 Seiten, 24,90 Euro

Erfrischend normal

Patchwork-FamiliePatchwork-Familien werden hierzulande so manches Mal immer noch als etwas Exotisches, Ungewöhnliches, jenseits der Norm und der Normalität betrachtet. Vor allem, wenn mehrere Nationalitäten an der neuen Familienkonstellation beteiligt sind.

Das man dieses Thema auch anders angehen kann, beweist Deniz Selek in dem Auftaktband ihrer Trilogie Heartbreak-Family.
Ich-Erzählerin Jannah Kismet, 15, ist seit Jahren still und heimlich in den schönen dunkelhäutigen Ken verliebt, der sie allerdings nicht eines Blickes würdigt, vermutlich von ihrer Existenz nicht einmal weiß. Das ändert sich schlagartig, als Jannahs Mutter Suzan mitteilt, dass sie mit ihrem neuen Freund Sebastian zusammenziehen wird. Sebastian ist Kens Vater. Jannah stirbt quasi tausend Tode, allein bei der Vorstellung, nun fast täglich Ken über den Weg laufen zu müssen.
Doch Ken ist gar nicht mal das größte Problem. Viel schlimmer gebärdet sich Kens Schwester, die quirlig-nervige Merrie, mit ihrem Fimmel für Markenklamotten und  Edelschminke. Sie sticht Jannah in der Tanz-AG der Schule aus, bedient sich bei ihren Sachen, treibt Jannah schier zur Weißglut. Zudem glaubt Merrie, dass Jannah ihren Bruder verhext hat, als dieser beim Taggen erwischt und Ärger mit der Polizei bekommt.
Doch irgendwie gehört Merrie nun mit zur Familie, und Jannah muss sich arrangieren. Vor allem aber darf sie nicht verraten, dass sie in Ken verknallt ist. Blöd, dass ihr irgendwann vor aller Augen ein süßes Kinderfoto von Ken aus dem Tagebuch fällt …

Deniz Selek schreibt in Heartbreak-Family von den kleinen, alltäglichen Problemen, die eine Patchwork-Familie zu meistern hat. Die Kinder müssen sich aneinander gewöhnen; die ehemaligen Partner der Erwachsenen müssen die neuen Einflüsse auf die eigenen Kinder erdulden; die frische Liebe der Eltern wird beständig angegriffen. Selek verzichtet auf dramatisches Problematisieren. Sie braucht keine Katastrophen, um die Leserinnen mitzureißen und zu fesseln. Das besorgen ihre fein charakterisierten Figuren mit ihrem deutsch-türktisch-afrikanischen Temperament und ihrem Humor schon ganz von selbst. Denn in Jannah Kismets Familie ist die türkische Mutter Suzan mit dem afrikanischen Sebastian zusammen. Ihre Liebe überwindet den Abstand zwischen den Kontinenten. Kultur und Kulinaria vermischen sich dabei genauso wie Aberglaube und Voodoozauber.
Und das harmoniert perfekt.
Hier wird allerdings nicht platt über Herkunft, Diskriminierung, Andersartigkeit diskutiert oder gar lamentiert, hier wird das Nationalitätengemisch, aus dem sich Deutschland im Großen wie im Kleinen nun schon seit einigen Jahrzehnten zusammensetzt, ganz selbstverständlich und warmherzig dargestellt. Patchwork und Internationalität sind normal. Total normal.
Was allerdings nicht heißt, dass nicht auch erbittert gestritten und gekämpft wird (in ganz wunderbaren Dialogen, die auf den Punkt aus dem täglichen Leben stammen). Doch das passiert ebenfalls mit der allergrößten Selbstverständlichkeit, so wie es unter Menschen, die sich auf Augenhöhe begegnen und respektieren, alltäglich ist. Einen erhobenen Zeigefinger sucht man hier vergeblich. Und das ist das Schöne an Deniz Seleks Roman: Sie erzählt, ohne zu moralisieren, von den universellen Wünschen, Träumen und Bedürfnissen von 15-jährigen Mädchen, die unglücklich verliebt sind, illustriert wie nebenbei einen Idealzustand einer Gesellschaft und bietet ihren Leserinnen wunderbare Identifikationsmöglichkeiten und eine riesengroßen Lesespaß.

Mit Deniz Selek, deren ersten Roman Zimtküsse ich hier vorgestellt habe, habe ich mich über ihren Roman, ihre Familie und Menschen mit Migrationshintergrund unterhalten.

Sie selbst leben in einer internationalen Patchwork-Familie. Wie viel steckt von Ihnen und Ihrer Familie im Roman? Wann ist Ihnen die Idee gekommen, einen Roman über eine Patchwork-Familie zu schreiben?

Deniz Selek: Die Idee kam schon nach kurzer Zeit des Zusammenlebens, als mir klar wurde, dass diese Konstellation nichts für Anfänger ist … (lacht) … Türken, Afrikaner und Deutsche und als Sahnehäubchen noch eine XXL Portion Patchwork mit allem, was dazugehört. Das muss man wirklich wollen! Doch mir hat es viel Gutes gebracht, denn mit den ersten Problemen kam auch der Wunsch, eine Geschichte zu erzählen, die da hinguckt und mancher Schwierigkeit ein herzhaftes Lachen abtrotzt. Von mir/uns ist in Heartbreak eher zwischen den Zeilen viel drin, denn die Handlung und die Charaktere sind frei erfunden.

In Jannahs Familie ist es völlig normal, dass Türken, Deutsche und Afrikaner zusammenleben. In Deutschland ist das noch nicht so. Was muss sich im Land ändern, damit wir zu dieser Normalität kommen?

Ich denke, dass wir bereits auf einem guten Weg dahin sind. Die „Normalität“ ist ein langsam wachsendes und sich stetig veränderndes Gebilde. Viele Dinge, die früher undenkbar waren,  bezeichnen wir heute als normal. Ich denke, wir sollten einfach nur mit offenen Augen und Herzen weitermachen, dann wird das, was in Heartbreak-Family gelebt wird, irgendwann ganz normal sein.

Was sollten die Deutschen dazu betragen? Was die Menschen aus anderen Ländern?

Ich kann das nicht nur auf „die Deutschen“ beziehen, denn es ist ein menschliches Thema. Wenn mir jemand fremd erscheint, anders aussieht, anders spricht, sich in einer Weise verhält, die ich nicht verstehe, macht mir das vielleicht im ersten Moment Angst oder verunsichert mich.
Wenn ich mich aber darauf einlasse und versuche zu verstehen, wie dieser Mensch ist, was ihn ausmacht, passiert etwas Wunderbares. Ich lerne nicht nur etwas über eine fremde Kultur, sondern auch viel über mich selbst. Das geht für mich am besten über Literatur, weil ich Zeit und Raum habe, mich einer anderen Mentalität zu nähern. Deshalb meine Empfehlung: Alle Menschen sollten ganz, ganz viel LESEN!

Jannah und ihre Familie sind sehr emanzipiert und vollkommen in der deutschen Gesellschaft integriert. Bei Familien mit Migrationshintergrund ist das nicht immer der Fall, zum Teil leben sie in eigenen Parallelwelten. Wie wichtig ist Integration für das gegenseitige Verständnis und Zusammenleben?

Ich muss gestehen, dass ich das Wort Integration nicht mag. Es klingt wie „passend machen“, obwohl es sicher nicht so ausgerichtet ist. Ich selbst habe mich nicht integriert, ich bin einfach in Deutschland aufgewachsen, obwohl mein Vater aus der Türkei stammt. Aber, und das ist für viele Familien mit ähnlichem Hintergrund wichtig, wir haben immer den Alltag mit Freunden und Bekannten geteilt und wie sie gelebt. Dazu muss ich sagen, dass meine Eltern nicht religiös sind, und das hat vieles leichter gemacht. Zudem haben beide großen Wert auf eine korrekte deutsche Sprache gelegt, die Sprache des Landes, in dem wir gelebt haben. Ich denke, das ist die Grundvoraussetzung für ein tolerantes und freundliches Miteinander. Dann ist es auch wichtig, an den landesüblichen Festen teilzunehmen, und im besten Fall den Kindern die Freiheit zu lassen, sich zu entfalten. Ich hatte diese Freiheit, weiß jedoch, dass das in vielen Familien schwierig ist.

Wie könnten sich Mädchen aus traditionellen Familien von möglichen Zwängen befreien, wenn sie ein anderes Leben führen wollen?

Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Diese sehr traditionellen, zum Teil sehr verkrusteten Strukturen so aufzuweichen, dass ein älterer, sehr furchtsamer Patriarch nicht das Gefühl hat, sein Gesicht, seine Ehre zu verlieren, wenn er seiner Tochter (für uns) normale Freiräume gewährt, ist eine echte Herausforderung.
Vielleicht würde es helfen, wenn Eltern sich mehr in den Schulen engagieren müssten. Gemeinsame Eltern- und Schülerarbeit auf dem Schulgelände (da gibt es ja immer irgendwas zu tun), kann eine Annäherung schaffen, die allen Kindern und der Gemeinschaft zugute kommt.
Wenn sie älter werden, kann ich den Mädchen nur raten: Geht euch selbst auf den Grund. Seht genau hin. Wer seid ihr? Was wollt ihr wirklich? Und folgt eurem Herzen! Fast alle Eltern akzeptieren den Lebensweg ihrer Kinder irgendwann. Und häufig sind sie dann sogar mächtig stolz auf ihre Töchter!

Rassismus und Gewalt kommt bei Ihnen nur in einer Szene vor, in der sich Ken selbstbewusst zu Wehr setzt. Erleben Sie und Ihre Familie Anfeindungen? Falls ja, wie gehen Sie damit um? Wie gehen Ihre Kinder damit um?

Ich habe dieses Thema im Buch bewusst nur einmal eingesetzt, weil mir sehr an einem harmonischen Miteinander gelegen ist. Klingt wie ein Widerspruch, ist es aber nicht. Je weniger ich „Gebrauch“ von rassistischen Anfeindungen mache, umso „normaler“ erscheint unser Leben. Und genau das ist es, was ich will.
Im Alltag unserer Familie gab und gibt es natürlich mehr Knackpunkte. Bei den Älteren (14, 15, 17 Jahre) ist das Gröbste – hoffentlich – überstanden, unser Sohn wird zwar zuweilen kritisch beäugt, wenn er einkaufen geht; manchmal steht auch der Kaufhaus-Detektiv freundlich lächelnd neben ihm oder er wird in manche Clubs nicht eingelassen.  Unsere Tochter ist sehr hübsch, sodass sie eher aus anderer Motivation beobachtet wird.
Bei unserem Jüngsten, dessen Haut recht hell ist, kommt schon mal ein blöder Spruch. Wir haben das große Glück, das dieses Thema sofort in der Klasse zur Sprache gebracht und erörtert wird. Damit ist ein wichtiger Bereich, nämlich die Schule, bereits abgedeckt.
Anfangs haben mich böse Beleidigungen unserer Kinder sehr gestresst, im Laufe der Jahre habe ich jedoch von meinem farbigen Mann gelernt, diese Dinge unaufgeregt zu betrachten und eher das Selbstbewusstsein unserer Kinder zu stärken, ihnen Selbstvertrauen und Zuversicht zu schenken, als mich um die Dummheit einiger Leute zu kümmern.

Was sollte sich in der deutschen Politik gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund ändern?

Das ist eine sehr schwierige Frage, und ich bin ein unpolitischer Mensch. Grundsätzlich bin ich für eigenverantwortliches Handeln. Jeder sollte selbst dafür sorgen, dass er sich gut fühlt. In einer Umgebung wohnen, die ihm guttut, sich mit Menschen austauschen, die er versteht und die ihn verstehen, auch wenn sie nicht seine Muttersprache sprechen.
Da kann die Politik ihren Einfluss auf den Immobilienmarkt geltend machen (damit  „Ghettos“ nach und nach verschwinden) und ja, auch darauf drängen, dass Menschen, die hier leben Deutsch lernen. Ich denke, das hilft allen.

Sie leben mit Ihrem Mann und vier Kindern … und einem Hund – erinnere ich das richtig? – zusammen. Wie organisieren Sie das Schreiben? Wann kommen Sie dazu? Was inspiriert Sie?

Genau. Zusammen sind wir sieben und das letzte „Kind“ hat Fell … Ich schreibe immer vormittags, wenn die Kinder in der Schule sind. In Abgabezeiten auch abends und an den Wochenenden, das klappt gut und immer besser, weil unsere Kinder gern ihr Ding machen. Meine Inspirationen kommen aus unserem realen Leben und da gibt es reichlich Stoff. Einiges natürlich auch aus meiner Vergangenheit und dem Leben in der Türkei.

Heartbreak-Family ist als Trilogie angelegt. Die Leser werden also noch ein bisschen auf die Folter gespannt, wie die Geschichte von Jannah und Ken weitergeht. Wissen Sie schon, was Sie danach schreiben werden? Haben Sie schon eine neue Idee?

Ja!

Fein, dann bin ich gespannt und danke herzlich für dieses Gespräch. 

Deniz Selek: Heartbreak-Family – Als meine heimliche Liebe bei uns einzog, Fischer KJB, 2013,  288 Seiten,  ab 12, 13,99 Euro

Den Aufstand wagen

aufstandKaum eine Woche ohne Jahrestage. Heute jährt sich der Aufstand des 17. Juni zum 60. Mal. Jetzt könnte man sich fragen, was die aufwühlenden Tage im Sommer 1953 in der DDR mit Kinder- und Jugendbüchern zu tun hat. Eigentlich nicht viel, denn in diesem Bereich gibt es scheinbar keine aktuellen Publikationen zu diesem Thema. Zwei Bücher sind mir dennoch in die Hände gefallen: Tage wie Jahre von Klaus Kordon aus dem Jahr 1986 und die Graphic Novel für Erwachsene 17. Juni – Die Geschichte von Armin & Eva von Kitty Kahane, der in diesem Frühjahr erschienen ist.

In Tage wie Jahre befasst sich Klaus Kordon sich mit den Zuständen in der DDR von 1953. Es ist der zweiten Teil seiner Trilogie über den Jungen Frank.
Frank, der mit seiner Mutter und seinem Stiefvater „Onkel Willi“ im Prenzlauer Berg lebt, ist das, was man früher als „Lausbube“ bezeichnet hat. Er ist zwar schlau, aber faul in der Schule und wird daher sitzen bleiben. Mit seinem Freund Kalle heckt er zunächst jedoch aus, dass sich die Jungs alle einen „Igel“ schneiden lassen, damit der verhasste Klassenlehrer sie nicht mehr an den Haaren ziehen kann. Während dieses schulischen Mini-Aufstandes braut sich in der Stadt, in der Stalin-Allee, der richtige Aufstand zusammen. Die Bauarbeiter protestieren gegen die erhöhten Arbeitsnormen, gegen die Fehler der SED und die DDR-Regierung. Was zunächst nur ein Protest gegen überzogene sozialistische Ansprüche war, wandelt sich in den Tagen im Juni zu einer politischen Revolte gegen das System.

Frank erfährt davon zunächst nur über einen Bekannten, der in Friedrichshain auf dem Bau arbeitet. Als jedoch der Ausnahmezustand verhängt wird, abends die Sperrstunde erlassen wird und das Gerücht von einem neuen Krieg die Runde macht, hält es den Jungen nicht mehr in seinem Kiez. Zusammen mit Kalle macht er sich auf nach Mitte, zum Alexanderplatz, von dort laufen sie zum Potsdamer Platz – und erleben, wie sowjetische Panzer aufziehen und schließlich tatsächlich Schüsse fallen.

Tage wie Jahre ist ein schmales Büchlein, das im Handel leider nur noch antiquarisch zu bekommen ist, aber Klaus Kordon fängt dort die Stimmung und die Lebenszustände in der DDR acht Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges ein. Die wirtschaftliche Lage im sowjetischen Sektor der Stadt ist prekär, Menschen verschwinden – es heißt, sie sind in den Westen geflüchtet –, andere werden verhaftet, angeblich aus politischen Gründen. Doch noch ist die Grenze in den Westen offen, und auch Frank macht sich an einem Tag auf, um von dort Schmerzmittel für die Mutter zu besorgen.

Klaus Kordons Text ist fast 30 Jahre alt, und das merkt man ihm an der langsamen, betulichen Erzählweise durchaus an. Gleichzeitig spiegelt sich in seiner Sprache das Nachkriegsdeutschland, in dem man Loser noch als „Nulpe“ bezeichnete – ich gebe es zu, ich liebe dieses Wort. Ein bisschen hat mich das an Stups und Lange Latte von Kurt Friedrich erinnert, dasmein Vater als Junge gelesen hat und das ich Jahre später selbst verschlugen habe. Moderne Literatur ist das natürlich nicht, aber das wohlige Gefühl von damals ist geblieben. Ansatzweise habe ich das bei Klaus Kordon wiedergefunden – trotz der dramatischen Ereignisse, die er schildert.

Falls doch noch junge Leser dieses Buch in die Hand nehmen – vielleicht gibt es das noch in gut bestückten Bibliotheken oder Bücherhallen –, werden sie dort auf jeden Fall einen guten Eindruck, über die Zustände in der DDR der 1950er Jahre und die Unterschiede zwischen Ost und West bekommen.
Diese spannende Episode der deutschen Geschichte könnte aber durchaus eine aktuelle Neugestaltung für Kinder und Jugendliche vertragen.

17. juniEin gelungenes Beispiel dafür – allerdings für Erwachsene – ist der Comic 17. Juni – Die Geschichte von Armin & Eva. Er wurde von Kitty Kahane gezeichnet, die Historiker Lahn, Köhler und Mönch haben die Geschichte recherchiert, konzeptioniert und die Texte geschrieben.

Sie erzählen in einem etwas verschachtelten Plot, wie Eva kurz nach der Wende ein Päckchen von Armin bekommt. Der Bote war ein Mitgefangenen von Armin im russischen Arbeitslager Workuta. Er erzählt Eva von Armins Schicksal. Dieser war kurz nach dem Aufstand des 17. Juni verschwunden – verschleppt von der ostdeutschen Polizei, die ihn dann den Russen ausgeliefert hat.

Eva hatte damals ihren Cousin Eddie, einen Reporter aus Westberlin, um Hilfe gebeten und nach Armin suchen lassen. Die beiden wollten heiraten. Eddie macht sich im Stahlwerk Hennigsdorf, im Nordwesten von Berlin im sowjetischen Sektor gelegen, auf Spurensuche. Doch im Stahlwerk trifft er auf eine Mauer des Schweigens. Erst ein Informant, der die Geschichte vom 17. Juni veröffentlicht sehen will, erzählt Eddie, was an den Tagen des Aufstandes im Stahlwerk und in Berlin passiert ist.

Die Verschachtelung der Plot-Stränge hat mich zunächst etwas verwirrt, doch sobald man in die Erzählung von den Streiks im Stahlwerk eintaucht und den Marsch der Arbeiter nach Ostberlin miterlebt, ist man gefangen von den Ereignissen und den kriegsähnlichen Zuständen in Ostberlin.
Vier längere Textpassagen klären über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR auf – und sie erzählen, dass der Aufstand des 17. Juni bis in das russische Arbeitslager Workuta wirkte. Auch dort traten die Gefangenen in den Streik und verweigerten die Arbeit in den Kohlegruben. Doch dort schlug die Staatsmacht noch gnadenloser zu als in der DDR. Die Aufstände endeten blutig.

Kitty Kahanes stahlblaue Panels mit dem fast krickeligen Strich zeigen wenig bekannte Facetten vom 17. Juni und erweitern so den Horizont in Bezug auf dieses Geschichtskapitel auf eine schön gemachte Art.

Klaus Kordon: Tage wie Jahre, Beltz & Gelberg, 2001/1986, 123 Seiten, ab 10, nicht mehr lieferbar

Kitty Kahane/Alexander Lahl/Max Mönch/Tim Köhler: 17. Juni – Die Geschichte von Armin & Eva, Metrolit Verlag, 2013, 112 Seiten, 15,99 Euro