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Faustdick hinter fluffigen Löffeln

Ein etwas morsches Schloss in den karpatischen Bergen. Zum Frühstück serviert der Butler Ringo dem leicht kauzigen Schlossherrn Mr. Constantin Tee mit Milch, Scones und Orangenmarmelade. Die Konversation besteht aus freundlichem und anerkennendem Brummen. Ringo ist ein eleganter mittelgroßer Windhund, ein sogenannter Whippet.
Das ist die grandiose Szenerie von Katja Spitzers Gruselgeschichte Ringo und die Vampirkaninchen. Die verheißungsvolle Mischung aus urbritischer Krimikonstellation und klassischem Vampirambiente entwickelt sich zum schaurig-schönem Vergnügen.

Anti-Aggressions-App leistet ganze Arbeit

Eines Tages bringt die Postbotin ein Paket mit Luftlöchern, raus hüpft ein flauschiges Kaninchen, das laut Begleitbrief den Namen Moffat trägt, aber nicht drauf hört. Fortan hat Mr. Constantin nur noch Augen für das Fellknäuel und verwöhnt es mit Leckereien, bettet es auf Seidenkissen, richtet ein plüschiges Zimmer mit Himmelbett und Schaukel ein, und sogar einem kleinen Whirlpool.
Für Ringo bleibt da kein Streicheln, kein nettes Wort, nicht mal ein anerkennendes Brummen. Da muss die Anti-Aggressions-App auf seiner Fitnessuhr ganze Arbeit leisten. »Whippets hassten Kaninchen, und Ringo war ein reinrassiger Whippet.«

Spitze Zähne und bizarre Tänze

Tatsächlich hat der »Flauschbruder«, ein whippettypisches spezielles Schimpfwort für Kaninchen, es faustdick hinter seinen fluffigen Löffeln. Ringo beobachtet nachts im Garten bizarre Rituale und Tänze marodierender Kaninchenhorden. Im Dunkeln blitzen unheimlich zwei zusätzliche spitze Zähne in den überhaupt nicht niedlichen Mäulchen auf. Vampire, eindeutig! Immerhin sind wir doch mitten in den Karpaten.
Und wer erinnert sich nicht an das kopfabbeißende Monster aus Monty Pythons Ritter der Kokosnuss?!
Es ist aber nicht alles so, wie es scheint. Und wie Kochkunst, gepaart mit exzessiv viel Knoblauch eine überwältigende, nicht nur Vampirkaninchen den Appetit verderbende Wirkung entfaltet, das erzählt Illustratorin Katja Spitzer in ihrem ersten selbstgeschriebenen Kinderbuch. Dazu hat sie auf den ersten Blick kindlich-einfache Bilder gemalt, die bei genauerem Hinsehen aber eine Fülle von Details, Anspielungen und kuriosen Überraschungen beinhalten.

Bezaubernder Grusel in Orange und Lila

Absolut außergewöhnlich und faszinierend ist Spitzers Farbwahl: Dominierend sind Orange und Lila, gelegentlich kontrastiert von Schwarz. Das gibt den Illustrationen eine mal fast schon zu idyllisch-warme, dann wieder gewittrig-kippende Stimmung. Ganz eindeutig – es liegt was in der Luft. Mit einem so bezaubernden Vampirkrimi kann man dem eindimensionalem Halloweenkommerz perfekt Paroli bieten.

Katja Spitzer: Ringo und die Vampirkaninchen, mairisch, 56 Seiten, 18 Euro, ab 6

Überall Gespenster

Halloween

Kinder, Halloween muss dieses Jahr leider ausfallen. Jetzt ist es offiziell: Familienministerin Giffey verbietet die mittlerweile arg kommerzialisierte Plündertour von Kinderbanden am 31. Oktober. Weil die Gefahr von etwas echt Gruseligem zu groß ist, könnte doch ein minderjähriger Superspreader vor der Tür der netten alten Nachbarin stehen.
Wogegen aber (noch) nichts spricht, ist eine coole Kostümparty drinnen in kleinem Kreis.
Und wofür sehr viel spricht, egal, wie sich die Pandemie entwickelt, ist das ungeheuer gute Buch Halloween – von Geistern, Vampiren und anderen Spukgestalten. Und zwar nicht nur am 31. Oktober, dem Abend vor Allerheiligen.

Kürbislaternen, Leckereien und Tote

Auch Oíche na nÙll genannt, irisch-gälisch für »Snap Apple Night«. Was es mit diesem seltsamen Namen, mit Kürbislaternen und traditionellen süßen Leckereien auf sich hat und wie alles mit den Toten zusammenhängt und seit Jahrtausenden zelebriert wird, davon erzählt Birge Tetzner in Halloween klug und mitreißend.
Bekannt ist Tetzner als Autorin der Hörbücher mit dem Zeitreisenden Fred. Geschichte spannend erzählen kann sie super, aber für ihr neues Buch hat sie richtig Unheimliches ausgegraben. Vor allem im abschließenden Teil Eine echte Gruselgeschichte wird wahrhaftig tief gegraben und in ganz viele Gräber gekuckt.

Mancher Horrorfilm ist nur ein billiger Abklatsch

Das geht echt unter die Haut, weil alles wahr und richtige Archäologie ist. Denn im Kampf gegen Untote, Wiedergänger und Vampire haben sich die Menschen über die Jahrhunderte die bizarrsten, martialischsten Methoden einfallen lassen. Aberglaube mischt sich mit gefährlichem Unwissen. Pest und Tuberkulose verbreiteten Angst und Schrecken. Mancher Horrorfilm ist dagegen nur ein billiger Abklatsch.
Tetzner reist durch die Jahrhunderte, von Neuengland bis in den hohen Norden und in die abgelegensten Karpaten. Wir begegnen Draugr und Strigoi, Zombies und Vampiren. Hierzulande trieben Aufhocker und Nachzehrer ihr Unwesen. Nicht umsonst umfasst das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens zehn Bände (in Zeiten von kruden und extrem gefährlichen Verschwörungstheorien könnten noch ein paar Kapitel dazukommen).

Vom gekreuzten Oberschenkelknochen zum zarten Pfauenfederkiel

Dabei kommt die studierte Kunsthistorikerin gewitzt und raffiniert vom Hölzchen aufs Stöckchen – oder von den piratenmäßig gekreuzten Oberschenkelknochen zu den zarten Kielen prächtiger Pfauenfedern. Warum letztere als Hutschmuck für La Catrina unverzichtbar sind und wie in Mexiko ganz anders – nämlich liebevoll und freundschaftlich – mit den verstorbenen Angehörigen umgegangen wird, erfährt man in diesem höchst lesenswerten Buch. Dieses Halloween macht richtig Spaß und Lust, sich zu verkleiden und zu feiern. An jedem Abend im Jahr und für alle Leser ab dem Grundschulalter. Und mit wohligem Schauer spezielles Naschwerk zu genießen. Im Mittelteil finden sich deshalb viele leckere Rezepte, bei denen ein erwachsener Bäcker durchaus mehr als ein eiskaltes Händchen beisteuern sollte. An Halloween bleiben wir zu Haus – mit dem größten Vergnügen.

Halloween

Tiefer in die Welt der Gespenster eintauchen kann man dann auch mit der neuesten Anthologie des Kollektivs SPRING. Das besteht seit der Gründung 2004 ausschließlich aus Zeichnerinnen – ohne Binnen*, weil tatsächlich nur Frauen daran beteiligt sind.
Jedes Jahr erscheint ein neuer Band zu einem bestimmten Thema, ob Wunder, Arbeit oder Sex. Gespenster ist weniger eine Comic-Anthologie, sondern vielmehr besticht diese Ausgabe durch das Zeichnerische: Großflächige Fratzen in verwischtem Kohlestrich. Zart-nebulöse Bleistiftzeichnungen von Figuren und Räumen. Kontrastreiche und verzerrte Geisterstädte und Seelenlandschaften.

Kuscheltiere werden zu gar nicht friedlich ruhenden Dämonen

Knallige Kuscheltiere, nicht auf dem Friedhof, sondern als gar nicht friedlich ruhende Dämonen. Untot umherstreifende und unsichtbar, doch fühlbar begleitende Tiere. Dunkle, bedrohliche Wälder und Gänge, abgebrochene Zähne, bizarre Muster, Faszinierendes und Erdrückendes.
Es geht viel um persönliche Dämonen und düstere Emotionen. Katrin Stangl, Almuth Ertl, Doris Freigofas und Anke Feuchtenberger setzen auf die Macht des Bildes und spielen mit ihrer Zeichenkunst die Klaviatur des Unheimlichen in unterschiedlichen Stilen und Techniken aus.
Apropos heim, Stephanie Wunderlich nimmt sich in ihrer Strecke »Schließt die Türen« dem ganz aktuellen Schrecken des Rückzugs in die eigenen vier Wände, der Vereinsamung und der Gefühlsleere an.

Das Gespenst des Kapitalismus im Schlafanzug

Ein klassischer Comic, also witzige Dialoge und karikatureske Bilder in kleinteiligen Panels, ist dem Gespenst des Kapitalismus gewidmet. »Puh, hast du mich erschreckt!!! Wir hatten doch vereinbart, dass du nur noch auf gezielte Einladung hin her kommst! Wofür habe ich jahrelang Therapie gemacht?!« Es ist aber auch ein bemitleidenswertes Gespenst, mit dem notdürftig an der altmodischen Galauniform angenähten Kopf, zahnlos und längst von der modernen und perfektionierten Verrohung der globalisierten Welt vergessen. Diese Bilderstrecke ist ein absolut erschreckender Blick auf die Welt, Ausdruck von Schuld und Hilflosigkeit, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

Blockade und Deadline – Geister, die niemand rief

Angesichts unstillbarer Gier und diktatorischem Konsumkult ist einem der gute, klassische Kapitalismus fast sympathisch und darf im Schlafanzug mit ins Bett schlüpfen.
Zu guter Letzt (und es ist kein Zufall, dass die Geschichte am Ende des ursprünglich mit 224 Seiten geplanten Buches steht) befasst sich Larissa Bertonasco mit mir leider auch nur zu gut vertrauten Gespenstern: der (Zeichen-)Blockade und der Abgabefrist, treffend auch Deadline genannt. Es hat sich gelohnt, auf diese sehr persönliche Comicstrecke zu warten, bannt sie doch die Geister, die viele ungerufen immer wieder neu piesacken.
Gespenster ist übrigens bereits der 17. Band von SPRING, aber der erste, bei dem das Titelbild im Dunkeln leuchtet. Ein leuchtendes Beispiel für die vielfältige und lebendige Szene der Zeichnerinnen und Illustratorinnen ist SPRING sowieso.

Birge Tetzner, Dirk Uhlenbrock (Illustration und Gestaltung): Halloween – von Geistern, Vampiren und anderen Spukgestalten, ultramar media, 2020, 96 Seiten, ab 9, 14 Euro

Spring #17: Gespenster, mairisch, 2020, 256 Seiten, 24 Euro

Blutzoll an eine Stadt

BerlinIn diesem Herbst habe ich Berlin nach vier Jahren verlassen. Aus guten Gründen. Dennoch blutet mein Herz. Als Kur gegen Heimweh habe ich mich dieses Mal auf die Graphic Novel Berlinoir von Reinhard Kleist und Tobias Meissner gestürzt. Und wurde in ein kongeniales Spektakel hineingezogen.

Berlinoir wird von Vampiren beherrscht. Die Menschen liefern ihnen das Blut – freiwillig oder gezwungenermaßen. Es regt sich Widerstand, immer wieder werden wirtschaftliche und politische Stützen der Vampir-Gesellschaft von Menschen umgebracht. Die Menschen setzen ihre Hoffnung in den Vampirjäger Niall, der als kommender Anführer die Stadt von der Unterdrückung durch die Untoten befreien könnte. Doch Niall sieht sich nicht als Messias, viel mehr ist er von den Vampiren angewidert, gleichzeitig aber auch angezogen. Er verliebt sich in eine Vampirfrau.
Wenig später treibt dann auch noch ein Mörder sein Unwesen in der Megacity, der eigentlich auch nur ein Vampir sein kann. Um die Vampire zu besiegen bleibt Niall schließlich nur ein Weg – er muss selbst zum Vampir werden …

Die Geschichte von Berlinoir ist durchaus komplexer, als ich sie hier kurz anreiße. Doch den verzwickten Plot muss jeder Leser selbst erkunden. Das, was mich vielmehr fasziniert und letztendlich amüsiert hat, sind die nonchalanten Seitenhiebe auf Berlin-Hype und Gewurschtele in der Stadt. Da wird im Blutroten Rathaus in der Kabinetts-Versammlung über die drei Opern und zwei Tierparks der Stadt geschimpft, die Mahnmalkultur aufs Korn genommen und mit „ruhiger Hand“ regiert. Eingebettet wird diese Politik, die nicht einfach auf irgendeine real-existierende Partei zu übertragen ist, in ein überschäumendes Berlinoir, das die wilden, expressionistischen 20er-Jahre wieder aufleben lässt.
Die Stadtarchitektur gleicht einer Mischung aus Metropolis und Gotham City. Fernsehturm, Dom, Potsdamer Platz verschwinden zwischen Hochhäusern, die man eher in New York erwartet. Auf jeder Seite entdeckt man Berliner Sehenswürdigkeiten, meist gut versteckt, oftmals dem Verfall anheim gegeben. Das Leben findet hauptsächlich nachts statt, da das Sonnenlicht bekanntermaßen eine Bedrohung für Vampire darstellt. Fledermäusen sind so zahlreich wie Ratten. Verschiedene Glaubensgruppen agieren in der Stadt. Und selbst unter den Vampiren gibt es Grabenkämpfe, die zu einer Teilung der Stadt in einen Nord- und einen Südsektor führen.
Die Anspielungen an die Stadtgeschichte von Real-Berlin sind offensichtlich, machen in ihrer überraschenden Art aber immer wieder Laune, da man beständig nach einer Einordnung oder einem Wiedererkennungseffekt sucht. Wahrscheinlich lässt sich das nicht eindeutig machen – jedenfalls ist es mir bei dieser ersten Lektürerunde nicht gleich gelungen und ich habe mit Sicherheit noch eine ganze Menge übersehen. Das macht aber erstmal gar nichts, denn so bleibt für die nächsten Male ein riesiges Potential an Neuentdeckungen und -interpretationen.

Kleists Panels wechseln von kalt-blau-dunkeln Farben zu warm-rot-orange, spiegeln so die tote Welt der Vampire und die noch blutgefüllte der Menschen. Die Figuren, die Kleist in ihnen agieren lässt, gleich denen von George Grosz, erinnern an Nosferatu von Murnau – und sind streckenweise nichts für schwache Nerven. Verbranntes Fleisch auf Schädelknochen, spritzendes Blut, rollende Köpfe und Tod reihen sich in einem fiebrigen Tanz um die Macht aneinander. Eine Stadt sucht einen Mörder. Ein Schreckensregime löst das nächst ab. Die Interpretationsebenen in dieser Graphic Novel sind so zahlreich, dass man das schon eher im wissenschaftlichen Rahmen genauer untersuchen müsste. Für den Normalleser ist auf jeden Fall eine Wonne. Das können einem die fiesen Blutsauger von Berlinoir auf gar keinen Fall vermiesen.

Der Narbenstadt Berlin, die „moderat tribalistischen Provinznachwuchs“ mit „den Ausschweifungen der Großstadtnächte“ anzieht, haben Kleist und Meissner ein düsteres, aber überaus hintersinniges Denkmal gesetzt.

Reinhard Kleist/Tobias O. Meissner: Berlinoir, Carlsen, 2013, 150 Seiten, 24,90 Euro