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Die Facetten der Frauenpower

Es hat in meinem Leben tatsächlich mal eine Zeit gegeben, da dachte ich, den Feminismus brauche ich nicht. Dabei war ich durchaus dankbar, dass die Frauen in den Generationen zuvor für Wahlrecht, Gleichberechtigung und Gleichstellung gekämpft hatten. Ich hielt es für selbstverständlich, die Errungenschaften zu genießen. Wie naiv ich war!

Natürlich schätze ich diese Rechte immer noch, sehe aber auch die Pflichten darin (zur Wahl zu gehen, beispielsweise, was jedoch für jede_n gilt, der in einer Demokratie lebt). Vor allem aber habe ich erkennen müssen, dass wir den Feminismus immer noch brauchen und dass jede von uns auf ihre Art dafür kämpfen muss. Was ich aber auch erkannt habe, dass es nicht nur einen Feminismus gibt, sondern jede Menge Strömungen, Moden und Facetten. Einen richtig guten Überblick, über das, was der Feminismus heute alles beinhaltet, liefert nun Sonja Eismann, Mitbegründerin des Missy-Magazins.

In Ene, mene, Missy! hat sie all die Vielfältigkeit der Frauenbewegung zusammengestellt und liefert die nötigen Hintergründe und Zahlen. Allein das Kapitel über die verschiedenen Feminismen machen deutlich, dass man heute eigentlich nicht mehr von „dem“ Feminismus reden kann. Automatisch fragt man sich beim Lesen: Bin ich Anarchafeministin? Cyberfeministin? DIY-Feministin? Oder marxistische Feministin? Mag sein, dass frau erst mal verwirrt ist, doch so zeigt sich, dass das Leben, auch das private, in jedem Fall politisch ist. Wir können dem nicht entgehen. So ist es sinnvoll, dass auch die heranwachsenden Mädchen genau wissen, wo und wie sie sich engagieren und unsere Gesellschaft zum Besseren verbessern können.

Eismann belässt es jedoch nicht nur bei den Kategorisierungen, sondern bietet zudem Hilfestellungen für die täglichen Anfeindungen, denen Mädchen und Frauen immer noch ausgesetzt sind, wenn sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollen. So macht sie Vorschläge, was frau auf „die allerblödesten Fragen zum Feminismus“ antworten oder wie der Feminismus uns im Alltag helfen kann, wenn man gegen überkommene Rollenbilder und Schönheitsnormen angeht.

Die Mischung aus Rückblicken auf historische Protestformen, emanzipatorische Mode oder feministische Manifeste und den Statements prominenter Feministinnen der Gegenwart, macht die Lektüre abwechslungs- und aufschlussreich. Die Kapitel über Mansplaning, über den Male Gaze und den Bechdel-Test sensibilisieren für männliche Überlegenheitsstrategien und zeigen, wie frau dagegen vorgehen kann.

Diese Einführung in eine feministische Lebensweise mit all ihren Facetten, mit ihrer Kunst, ihrer Lebensfreude und ihrem politischen Anspruch sollte eigentlich jedes Mädchen lesen – und jeder Junge. Das Kapitel mit den Fragen an die Männer ist da der passende Anfang. Schließlich sollte feministische Aufklärung für alle Geschlechter gelten, denn nur so kann im Endeffekt ein friedliches und wahrhaft gleichberechtigtes Zusammenleben in Zukunft gelingen.

Aber vielleicht bin ich immer noch naiv.

Sonja Eismann: Ene, mene, Missy! Die Superkräfte des Feminismus, Fischer, 2017, 256 Seiten, ab 14, 12,99 Euro

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[Jugendrezension] Was für ein Mensch willst du sein?

safierWenn ich an David Safier denke, kommen mir zuerst Komödien wie Mieses Karma oder Jesus liebt mich in den Sinn. Doch sein neues Buch 28 Tage lang ist anders: eine Geschichte über junge Leute im Widerstand gegen die Nazis. Safier hat es geschrieben in Gedenken an seine Großeltern, die in Buchenwald und Lodz umgekommen sind.

Polen, 1943: Das Leben im Warschauer Ghetto ist geprägt von Armut, Hunger und Furcht. Um ihre kleine Schwester Hannah durchzubringen, schmuggelt die 16-jährige Mira unter Lebensgefahr Nahrungsmittel. Die Mutter ist am Selbstmord des Vaters zerbrochen, der Bruder Simon lässt sich nicht blicken. Kraft gibt Mira ihr Freund Daniel, der in einem Waisenhaus lebt und sich um kleine Kinder kümmert.
Dann trifft Mira Amos. Er gehört einer jüdischen Untergrundorganisation an, die Widerstand bis in den Tod gegen die Deutschen leisten will. Amos ist überzeugt davon, dass diese sie alle töten werden.
Die Ereignisse überschlagen sich. Die Bewohner des Ghettos sollen „umgesiedelt“ werden. Mira gelingt es, rechtzeitig unterzutauchen. Sie beschließt, sich Amos und den anderen anzuschließen.
Die jüdische Untergrundorganisation kann eine Weile Widerstand leisten: 28 Tage lang. 28 Tage hat Mira Zeit, ihr Leben zu leben, ihre Liebe zu finden und herauszubekommen, was für ein Mensch sie sein will.

Den Aufstand im Warschauer Ghetto hat es wirklich gegeben. Die Hauptperson des Romans, Mira Weiss, ist ausgedacht. Sie erlebt, was die Aufständischen damals erlebt haben. Junge Leute lehnen sich gegen eine Übermacht auf, obwohl sie keine Chance haben. Sie machen Schlimmes durch, müssen Kameraden zurücklassen, sehen Menschen sterben und töten selbst. Dadurch verändern sie sich. Inmitten dieses Wahnsinns erleben sie das Gefühl der Freiheit.

David Safier schreibt in einer modernen Sprache, was aber passt. Dadurch versetzt man sich gut in die Personen hinein und bekommt das Geschehen hautnah mit. Gebannt habe ich es in einem Rutsch verschlungen.

Beim Lesen stellt sich die universelle Frage: Was für ein Mensch willst du sein? Jemand, der sich wehrt? Jemand, der sein Leben für andere opfert oder der andere für sein Leben preisgibt? Wie würde man an Miras Stelle handeln?

Auch wenn das Buch vom Zweiten Weltkrieg handelt, sind seine Themen aktuell und deshalb wirklich lesenswert.

28 Tage lang ist ein Buch über Mut und Feigheit. Über Fürchten und Wünschen. Über Liebe und Hass. Über Leben und Tod. Die Geschichte ist oft traurig und schockierend. Ich las sie trotzdem gern. Sie ist spannend, und ich habe darin viel über Menschen gelernt. Es gibt in ihr großartige Stellen von Zusammenhalt und Barmherzigkeit. „Solange es Leben gibt, gibt es Hoffnung“, sagt ein italienisches Sprichwort.

Juliane (15)

David Safier: 28 Tage lang, Rowohlt, 2014, 416 Seiten, ab 13, 16,95 Euro

Den Aufstand wagen

aufstandKaum eine Woche ohne Jahrestage. Heute jährt sich der Aufstand des 17. Juni zum 60. Mal. Jetzt könnte man sich fragen, was die aufwühlenden Tage im Sommer 1953 in der DDR mit Kinder- und Jugendbüchern zu tun hat. Eigentlich nicht viel, denn in diesem Bereich gibt es scheinbar keine aktuellen Publikationen zu diesem Thema. Zwei Bücher sind mir dennoch in die Hände gefallen: Tage wie Jahre von Klaus Kordon aus dem Jahr 1986 und die Graphic Novel für Erwachsene 17. Juni – Die Geschichte von Armin & Eva von Kitty Kahane, der in diesem Frühjahr erschienen ist.

In Tage wie Jahre befasst sich Klaus Kordon sich mit den Zuständen in der DDR von 1953. Es ist der zweiten Teil seiner Trilogie über den Jungen Frank.
Frank, der mit seiner Mutter und seinem Stiefvater „Onkel Willi“ im Prenzlauer Berg lebt, ist das, was man früher als „Lausbube“ bezeichnet hat. Er ist zwar schlau, aber faul in der Schule und wird daher sitzen bleiben. Mit seinem Freund Kalle heckt er zunächst jedoch aus, dass sich die Jungs alle einen „Igel“ schneiden lassen, damit der verhasste Klassenlehrer sie nicht mehr an den Haaren ziehen kann. Während dieses schulischen Mini-Aufstandes braut sich in der Stadt, in der Stalin-Allee, der richtige Aufstand zusammen. Die Bauarbeiter protestieren gegen die erhöhten Arbeitsnormen, gegen die Fehler der SED und die DDR-Regierung. Was zunächst nur ein Protest gegen überzogene sozialistische Ansprüche war, wandelt sich in den Tagen im Juni zu einer politischen Revolte gegen das System.

Frank erfährt davon zunächst nur über einen Bekannten, der in Friedrichshain auf dem Bau arbeitet. Als jedoch der Ausnahmezustand verhängt wird, abends die Sperrstunde erlassen wird und das Gerücht von einem neuen Krieg die Runde macht, hält es den Jungen nicht mehr in seinem Kiez. Zusammen mit Kalle macht er sich auf nach Mitte, zum Alexanderplatz, von dort laufen sie zum Potsdamer Platz – und erleben, wie sowjetische Panzer aufziehen und schließlich tatsächlich Schüsse fallen.

Tage wie Jahre ist ein schmales Büchlein, das im Handel leider nur noch antiquarisch zu bekommen ist, aber Klaus Kordon fängt dort die Stimmung und die Lebenszustände in der DDR acht Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges ein. Die wirtschaftliche Lage im sowjetischen Sektor der Stadt ist prekär, Menschen verschwinden – es heißt, sie sind in den Westen geflüchtet –, andere werden verhaftet, angeblich aus politischen Gründen. Doch noch ist die Grenze in den Westen offen, und auch Frank macht sich an einem Tag auf, um von dort Schmerzmittel für die Mutter zu besorgen.

Klaus Kordons Text ist fast 30 Jahre alt, und das merkt man ihm an der langsamen, betulichen Erzählweise durchaus an. Gleichzeitig spiegelt sich in seiner Sprache das Nachkriegsdeutschland, in dem man Loser noch als „Nulpe“ bezeichnete – ich gebe es zu, ich liebe dieses Wort. Ein bisschen hat mich das an Stups und Lange Latte von Kurt Friedrich erinnert, dasmein Vater als Junge gelesen hat und das ich Jahre später selbst verschlugen habe. Moderne Literatur ist das natürlich nicht, aber das wohlige Gefühl von damals ist geblieben. Ansatzweise habe ich das bei Klaus Kordon wiedergefunden – trotz der dramatischen Ereignisse, die er schildert.

Falls doch noch junge Leser dieses Buch in die Hand nehmen – vielleicht gibt es das noch in gut bestückten Bibliotheken oder Bücherhallen –, werden sie dort auf jeden Fall einen guten Eindruck, über die Zustände in der DDR der 1950er Jahre und die Unterschiede zwischen Ost und West bekommen.
Diese spannende Episode der deutschen Geschichte könnte aber durchaus eine aktuelle Neugestaltung für Kinder und Jugendliche vertragen.

17. juniEin gelungenes Beispiel dafür – allerdings für Erwachsene – ist der Comic 17. Juni – Die Geschichte von Armin & Eva. Er wurde von Kitty Kahane gezeichnet, die Historiker Lahn, Köhler und Mönch haben die Geschichte recherchiert, konzeptioniert und die Texte geschrieben.

Sie erzählen in einem etwas verschachtelten Plot, wie Eva kurz nach der Wende ein Päckchen von Armin bekommt. Der Bote war ein Mitgefangenen von Armin im russischen Arbeitslager Workuta. Er erzählt Eva von Armins Schicksal. Dieser war kurz nach dem Aufstand des 17. Juni verschwunden – verschleppt von der ostdeutschen Polizei, die ihn dann den Russen ausgeliefert hat.

Eva hatte damals ihren Cousin Eddie, einen Reporter aus Westberlin, um Hilfe gebeten und nach Armin suchen lassen. Die beiden wollten heiraten. Eddie macht sich im Stahlwerk Hennigsdorf, im Nordwesten von Berlin im sowjetischen Sektor gelegen, auf Spurensuche. Doch im Stahlwerk trifft er auf eine Mauer des Schweigens. Erst ein Informant, der die Geschichte vom 17. Juni veröffentlicht sehen will, erzählt Eddie, was an den Tagen des Aufstandes im Stahlwerk und in Berlin passiert ist.

Die Verschachtelung der Plot-Stränge hat mich zunächst etwas verwirrt, doch sobald man in die Erzählung von den Streiks im Stahlwerk eintaucht und den Marsch der Arbeiter nach Ostberlin miterlebt, ist man gefangen von den Ereignissen und den kriegsähnlichen Zuständen in Ostberlin.
Vier längere Textpassagen klären über die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR auf – und sie erzählen, dass der Aufstand des 17. Juni bis in das russische Arbeitslager Workuta wirkte. Auch dort traten die Gefangenen in den Streik und verweigerten die Arbeit in den Kohlegruben. Doch dort schlug die Staatsmacht noch gnadenloser zu als in der DDR. Die Aufstände endeten blutig.

Kitty Kahanes stahlblaue Panels mit dem fast krickeligen Strich zeigen wenig bekannte Facetten vom 17. Juni und erweitern so den Horizont in Bezug auf dieses Geschichtskapitel auf eine schön gemachte Art.

Klaus Kordon: Tage wie Jahre, Beltz & Gelberg, 2001/1986, 123 Seiten, ab 10, nicht mehr lieferbar

Kitty Kahane/Alexander Lahl/Max Mönch/Tim Köhler: 17. Juni – Die Geschichte von Armin & Eva, Metrolit Verlag, 2013, 112 Seiten, 15,99 Euro