Angst in Bilderbüchern

Bei mir auf dem Schreibtisch hat sich in den vergangenen Wochen, sei es bei meiner Arbeit als Übersetzerin und Lektorin, als auch bei der Suche nach »schönen« Kinderbüchern ein Thema herauskristallisiert: die Angst. Gefühlt leben wir in einer Zeit, in der die Menschen immer mehr Angst haben. Vor Viren oder Impfstoffen dagegen, vor den Auswirkungen der Klimakatastrophe, vor drohenden Kriegen in nicht allzu weiter Entfernung. Die Liste ließe sich beliebig erweitern.

Ein Leben ohne Angst gibt es allerdings nicht und hat es auch nie gegeben. Das Gefühl der Angst ist uns angeboren und erfüllt eine wichtige Funktion, in dem sie uns vor lebensbedrohenden Gefahren schützen will. Nur, dass wir in unserem hochtechnisierten und durchgetakteten Leben voller Ansprüche und Erwartung mittlerweile auch vor Dingen Angst haben, die nicht unbedingt lebensgefährlich sind. Aber wie oft hat man als Erwachsener Angst um den Ruf oder den Job. Menschen wollen dazugehören, denn auch das sichert unser Überleben.

Kindern geht es nicht anders. Nur verfügen sie noch nicht über die Erfahrung, wie sie das unangenehme Gefühl Angst bewältigen können, welche Tricks und Kniffe man anwenden kann, um es wieder loszuwerden. Oder auch hinter die Schatten zu blicken. Aus Erwachsenenperspektive von oben herab zu sagen: »Da ist doch gar nichts« hilft den Kindern nicht. Die Angst bleibt und wird im schlimmsten Fall größer.

Bei der Durchsicht der aktuellen Verlagsvorschauen sind mir dann eine Vielzahl von Neuerscheinungen zum Thema Angst aufgefallen. Daraufhin habe ich mich ein bisschen umgesehen und erst einmal die Bilderbücher aus den vergangenen drei Jahren gesichtet (weiter zurück zu gehen würde das Internet sprengen…). Die Bandbreite bei Bilderbüchern zum Thema Angst ist riesig. Auffallend ist, dass hauptsächlich tierische Akteuere auf die eine oder andere Art gegen ihre Angst ankämpfen, vom Opossum bist zum klassischen Wolf, vom Hasen bis zum Mops, es ist alles dabei. Sogar ein Ents-ähnlicher Baum hilft bei der Angstbewältigung. Mag sein, dass die Angst so weniger Angst macht und die Identifikation leichter fällt. Dazu gibt es in so einigen Büchern Reime und Bannsprüche, die im realen Leben Halt und Hilfe geben können.

Ich habe versucht, die Bücher ein wenig nach Themen zu sortieren. Aber ich erhebe hier natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch ersetzt die Lektüre nicht eine professionelle psychologische Betreuung, wenn ein Kind unter einer Angst so sehr leidet, dass es davon ernsthaft krank wird. Aber meine kleine Hoffnung ist, dass ihr hier vielleicht Anregungen findet, wie ihr eurem Kind die Angst vor der Angst nehmen könnt. Es gibt hier sehr viel zu gucken, zu entdecken, zum Schmunzeln und zum Lachen. Vor der Angst braucht sich niemand zu fürchten. Sie gehört zu uns, zu unserem Leben dazu. Es ist eine Frage der Einstellung und des Wissens, wie wir ihr begegnen. Und sie dann letztendlich in Mut verwandeln und uns viel mehr trauen.
Viel Spaß beim Stöbern.

Sich etwas trauen gegen die Angst

Schon für die kleinsten Leser:innen lässt sich das Gefühl Angst mit Hilfe eines Buches bewältigen. Das Pappbilderbuch Kleiner Angst-Frosch hab doch Mut! von Christine Kugler und Jutta Berend zeigt kindgerechte Alltagssituationen, in denen Angst aufkommen kann: auf der Rutsche, beim Sprung ins Schwimmbecken, abends im Bett oder auf der Bühne beim Chorkonzert. In kurzen gereimten Texten wird die Situation erklärt und Hilfe in Form von Freunden, Taschenlampe oder Mitsingenden geboten. So überwindet Frosch Ferdi schließlich seine Angst. Und jede kleine Leser:in erfährt schon hier, dass Angst etwas ganz Normales ist.

Angst versus Mut treffen unmittelbar im Wendebuch von Andrea Schütze und Stéffie Becker aufeinander: Ich trau mich/Ich trau mich nicht. Das mutige Orang-Utan-Mädchen Olivia und der ängstliche Tiger Jonte leben im Urwald und wüschen sich eigentlich nur einen Freund, ganz für sich. Die Elternteile können den beiden dabei nicht besonders gut helfen, ermuntern den jeweiligen Spross aber, auf die Suche zu gehen. Olivia und Jonte begegnen dem Krokodil Rokko, der sich als Freund anbietet. Allerdings unter der Bedingung, dass die beiden eine Mutprobe bestehen sollen …
Das Gegenüber der unterschiedlichen Charaktereigenschaften der Figuren lässt kleine Leser:innen sicher über die Vielfalt im Leben nachdenken. Die identische Reaktion von Olivia und Jonte auf die Mutprobenfrage von Rokko macht ihnen jedoch auch klar, dass Freundschaft nicht unter Bedingungen geschlossen werden kann – und es mitunter sehr mutig ist, Nein zu sagen.

Die Neuausgabe von Valeri Gorbachevs Nur Mut, kleine Küken! ist im Grunde ein Klassiker von 2001 und begleitet zwei Kükengeschwister bei ihrem ersten Besuch auf den Spielplatz. Alles ist groß und scheinbar gefährlich: die Wippe mit den Hundekindern, das Karussell mit den Ferkeln drauf, die Schaukeln, die von den Kätzchen besetzt sind. Die anderen Tierkinder sind nett und fragen die Küken, ob sie mitmachen wollen, doch die beiden antworten stets: »Danke, aber dafür sind wir noch zu klein.« Man kann es ihnen nicht verdenken… Doch als der Biberjunge auf der Rutsche Verständnis für ihre Angst zeigt (er hatte beim ersten Mal auch Angst) und mit ihnen gemeinsam rutscht, überwinden die beiden ihre Scheu.
Die nicht Verurteilung von Angst, das Verständnis der anderen und die Hilfsbereitschaft, die knuffige Tierfiguren hier zeigen, fördern auch bei den Betrachter:innen den Mut, sich auf neue Abenteuer, sei es auf dem Spielplatz oder sonst wo im Leben, einzulassen.

Der kleine rote Drache mit den niedlichen Flügeln traut sich nicht – zu fliegen. Obwohl das doch genau das ist, wozu er geboren ist, finden die großen Tiere wie Fuchs, Hase und Dachs. Allein Mama Drossel verteidigt den Ziehsohn: »Ach, das macht er schon noch, wenn die Zeit gekommen ist.«
Bis dahin entdeckt der kleine Drache die Moosrutsche auf dem Baumstamm, malt Bilder in den Sand, betrachtet hübsche Blumen. Alle Versuche seiner tierischen Genossen, ihn zum Fliegen zu bewegen, bringen nichts. Bis er es eines Nachts selbst ausprobiert … Neben der Bewältigung der Furcht vor einer zu erlernenden Fähigkeit, geht es in Ein komischer Vogel traut sich was von Michael Engler und Joëlle Tourlonias auch um das Aushalten von gesellschaftlichem Druck. Alle erwarten etwas, drängen den kleinen Drachen förmlich – doch nur die Ziehmutter hat im Blick, dass jedes Wesen seinen eigenen Rhythmus hat und Zeit braucht. Ein Mutmachbuch für kleine Leser:innen der besonderen Art, ganz im Sinne: Kommt Zeit, kommt Mut.

Tiere gibt es im psychologischen Bilderbuch Muträuber von Johannes Traub, Wiebke Alphei und Suse Schweizer nicht: Dafür sind die Räuberbrüder Hugo und Zugo ziemlich verschieden. Hugo ist eher der angstfrei Draufgänger, Zugo der ängstlich Zurückhaltende. Zugo möchte gern mutiger sein, weiß aber nicht, wie er das anstellen soll. Der Räubervater gibt ihnen den Tipp, sich Mut zu räubern. Und Mut findet man da, wo Angst ist … und so stellt sich Zugo seinen Ängsten (der großen Rutsche, Radfahren). Hugo unterstützt ihn dabei, so dass auch Zugo sich schließlich traut.
Geschickt sind hier im Text verschiedene Arten von Angst und ihre körperlichen Merkmale eingebaut. Die bestärkende Art von Hugo gegenüber dem Bruder zeigt den Lesenden, wie bei Kindern Ängste abgebaut werden sollten. Die Variante, dass hier nur Jungs und der Vater auftreten, macht das Buch zu einer perfekten Vater-Sohn-Vorlesegeschichte.

Mitmachbücher

Konkrete Strategien, wie Kinder mit ihren Ängsten umgehen können, liefern Nanna Neßhöver und Eleanor Sommer in Wenn ich ängstlich bin. Murmeltier Mumm verlässt seinen Bau und ist plötzlich einsam und bekommt Angst. Bär, Luchs, Mauerläufer und Steinbockmädchen machen ihm vor, wie sie ihre Angst wegbrummen, weghopsen, sich groß machen oder sich schöne Orte vorstellen. Mumm probiert das alles aus und findet schließlich das, was er am besten kann: pfeifen.

Mit kleinen Aufforderungen im Text werden die Kinder beim Betrachten der Bilder animiert, beispielsweise auf die Blüten zu tippen, über einen Stein zu streichen oder sich ihren Lieblingsplatz vorzustellen. Die Macherinnen zeigen den Kids durch süße Bilder und einfache Texte, wie sich die Angst körperlich zeigt (zittern), wofür sie gut ist (Warnung) und wie sie damit umgehen können (atmen, vorstellen, hopsen). Das Abenteuer von Mumm hat Unterhaltungswert und hilft Kindern und Eltern gleichzeitig mit alltäglicher Angst umzugehen.

Ähnlich geht es in dem Mitmachbuch Nur Mut, kleiner Schmollmops von von Lucy Astner und Alexandra Helm zu: Der Mopswelpe hat vor seinem ersten Tag in der Möpschen-Spielgruppe ein ganz seltsam kribbeliges Gefühl im Bauch. Mops-Eltern und -Großeltern konstatieren dem Nachwuchs Angst und reden ihm Mut zu. Doch wie wird man mutig? Hilfe naht durch Specht, Hamster, Dachs und Katze. Jedes Tier bringt dem kleinen Mops eine Entspannungs-Mutmach-Technik bei, die die kleinen Leser:innen dem Schmollmops aktiv vormachen sollen. Da wird geklopft, Katzenbuckel gemacht, die Backen aufgeblasen und durchgeatmet. Der Trick, den Kindern so ein paar Entspannungskniffe beizubringen, ist entzückend, bedarf aber sicher mehr als eine Lektüre, um alles wirklich zu verinnerlichen. Am Ende merkt der Schmollmops, dass es in der Spielgruppe gar nicht schlecht ist und er einfach seinem Herzen folgen sollte.

Angst vor Unbekanntem

Angst hat immer auch etwas mit dem Unbekannten, dem Fremden zu tun. Darum geht es in Jessica Meserves Die Welt da draußen. Die Betrachtenden tauchen ein in die Welt der Kaninchen, die am liebsten zu Hause und mit ihresgleichen zusammen sind. Am liebsten futtern sie Möhren und haben es gern kuschlig warm in ihrem Bau. Das Helden-Kaninchen gerät beim Ausrupfen eines leckeren Mörchens, das ein klein wenig außerhalb des bekannten Gefildes wächst, ins Neuland. Es kullert in ein unbekanntes Loch und erlebt ganz unkaninchenhafte Dinge wie Nasswerden und Luftanhalten.
Auf seiner Reise begegnet es einem Tier mit Krallen und Haaren, vor dem Kaninchen immer gewarnt wurde. Kaninchen steht böse Ängste aus. Doch das Nicht-Kaninchen ist gar nicht schlimm, im Gegenteil, es versorgt Kaninchen mit lecker Essen … Und so kommt Kaninchen auf den Geschmack, dass es auch noch was anderes im Leben geben kann. In einem Baum, auf den es ganz unkaninchenhaft klettert, findest es Freunde mit Federn, Schuppen, Hörnern oder Hufen – und von allen kann es etwas lernen …
Diese neue Häschen-Schule ist quasi ein Plädoyer für eine bunte Gesellschaft, in der wir alle von anderen sehr viel lernen können. Der Angst vor dem Fremden, dem vermeintlich Gefährlichen, wird hier eine charmante Absage erteilt – und tut uns allen gut.

Schon ganz junge Bilderbuchbetrachter:innen nimmt der kleine Bär, ein Puh-der-Bär-Look-a-like, mit auf einen Weg gegen die Furcht. Nach dem Besuch bei Großvater Bär geht der kleine Bär allein, aber mit einer Laterne in der Pfote nach Hause. Im Wald hört er immer wieder unheimliche Geräusche und findet kleine Tierkameraden, die sich im Dunkeln fürchten. Mit dem titelgebenden Mantra »Ich habe ein Licht und fürchte mich nicht!« nimmt er die Freunde mit und so gelangen alle schließlich sicher nach Hause.
Gerade dieser Reim, den auch kleine Kinder ganz rasch behalten, wirkt wie eine erhellende Ermutigung. Der blau gehaltene Nachtwald mit den Augen, den versteckten Tierchen und deren süßen Behausungen (genau hinschauen!) machen das Buch von Brigitte Weninger und Laura Bednarski zu einer Lektüre voller Überraschungen.

Auf eine Reise oder einen Weg begibt sich auch die Ente. Zusammen mit der Maus macht sie sich in Wird schon schiefgehen, Ente! von Daniel Fehr und Raphaël Kolly auf, den Biber an seinem neuen Damm zu besuchen. Nur plagen die Ente unzählige Alltagsängste: Man könnte sich verlaufen, sich im Regen erkälten, verhungern oder verdursten. Zum Glück hat die entspannte Maus Proviant dabei und erträgt die schwarzseherische Ente mit einer bewundernswerten Gelassenheit. Und plötzlich sind die beiden am Ziel – und nichts ist passiert. Dieser sommerlich orangefarbige Reisegeschichte ist im Grunde der Monolog der ängstlichen Ente. Die Maus reicht ihr zu essen und zu trinken und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Auch so kann man oder sollte man Ängsten von anderen vielleicht begegnen: Nicht viel sagen, sondern einfach weitermachen. Das Ergebnis ist überzeugender als jede Erklärung.

In einem tiefen, aber wunderbar bunten Wald treffen in Ab hier kenn ich mich aus von Andrea Schomburg und Amrei Fiedlerein ein Menschenkind und ein Baumwesen, das erstaunlich an die Ents aus »Herr der Ringe« erinnert aufeinander. Das Kind hat sich verlaufen, findet den Weg nicht mehr. Dazu die unheimlichen Geräusche, das Geraschel, Gepiepse, Geheule und Geklopfe. Der Baum erklärt und zeigt, und gemeinsam finden sie den Weg aus dem Wald und gelangen in die Stadt mit den vielen Menschen, Häusern, Autos, der Enge, dem Gerumpel. Nun erklärt das Menschenkind und findet den Weg nach Hause wieder. Andrea Schomburg reimt was das Zeug hält und öffnet die Augen für die Schönheit der schützenswerten Natur, auch in der Stadt. Der Angst des Kindes im Wald setzt sie die Angst des Baumes in der vollen Stadt entgegen und zeigt, dass die Angst verschwindet, sobald man sich besser auskennt und gewisse Regeln (die Ampel) beachtet.

Angst vor Gewitter

Die Angst vor dem Naturphänomen Gewitter findet sich aktuell in zwei Bilderbüchern. In Da liegt was in der Luft von Malin Hörl wohnt Svea mit ihren zwei Schwestern, Mama und Papa irgendwo auf dem Land, als ein Sommergewitter aufzieht. So ein richtig heftiges. Die Mädchen sind leicht panisch, ziehen im Haus die Stecker aus den Dosen. Aber Papa bleibt cool, erklärt wie man Schutz sucht und die Entfernung des Gewitters berechnet. Dann schmiert er Erdnussbutterbrote und vom geschützten Balkon beobachten Vater und Töchter das Naturspektakel, mit ganz viel Respekt. Dieser und die gelassene Zugewandtheit des Papas bewirkt, dass Svea schließlich sagt: »Ich mag Gewitter.« Die gemeinsame Lektüre und das Betrachten der warmfarbigen, aber sturmbewegten Bilder kann kleinen Menschen vielleicht die Gewitterangst nehmen.

Auch Hibiskus, der Hase, findet Gewitter nicht gerade toll. In Hase Hibiskus und das grausige Gruseln von Günther Jakobs und Andreas König freut sich der Langohrheld auf einen geruhsamen Abend mit Kakao, doch stattdessen zieht ein Gewitter auf und der Strom fällt aus. Allein im Dunkeln ist es ganz schön gruselig. Schaurige Geräusche dringen von außen ins Haus, dunkle Schatten sind zu sehen, Monster schauen durchs Fenster. Doch glücklicherweise sind es lauter Freunde von Hibiskus, die nach und nach vom Gewitter überrascht bei ihm Unterschlupf suchen. So füllt sich das Hasenhaus mit Maus, Bär, Esel, Uhu und Schlange. Und gemeinsam bei einem Becher Kakao sind sich die Freund einig: »Und gruselt dich auch mal etwas, hab keine Angst, wir klären das.« Genaues Hingucken hilft also gegen Angst, erfahren kleine Leser:innen hier – und Kakao im Warmen ist bei Gewitter ein Seelentröster.

Dunkelheit und Schattenwesen

Die generelle Angst vor der Dunkelheit thematisiert das künstlerische Bilderbuch Louisa und die Schattenmonster von Liliane Steiner. Louisas Eltern haben sich für das Mädchen einen Bannspruch ausgedacht, damit es im Dunkeln keine Angst mehr hat: »Feenschmalz und Kräutersalz, lässt verschwinden von allein, Geister, Monster und Gebeine.« Dazu wird Glitzerstaub verstreut.
Dennoch wird Louisa mulmig, wenn das Licht aus ist. Die Schatten an der Wand sind einfach unheimlich. Licht und Zauberspruch helfen ihr zunächst. Doch auf dem Weg in die Küche begegnen ihr noch mehr gruselige Schatten… Die Künstlerin arbeitet geschickt mit den Schatten von Alltagsdingen. So werden Holzlöffel, Spaghettizange und Kelle zu einem Skelett, Kehrblech, Handbesen und Wischeimer zu einem Teufel. Die Seiten sind dem Setting entsprechend dunkel gehalten, was für kleine Betrachter:innen spannend sein kann. Louisa enttarnt die Schattenmonster und verliert ihre Angst.
Auf dem Vorsatz sind Beispiele für Schattenspiele mit den Händen zu sehen, die sofort zum Nachmachen animieren und die Verwandlung von verschränkten Fingern zu mehr oder minder gefährlichen Tierschatten veranschaulicht.

Die Angst vor der Dunkelheit findet in Hab keine Angst, kleines Dunkel von Peter Vegas und Benjamin Chaud eine reizvolle Umkehrung: Das kleine Dunkel hat nämlich Angst vor dem Licht. Es versteckt sich in Schubladen, unterm Bett und traut sich erst vor die Tür, wenn die Sonne weg ist. Das Dunkel bleibt die ganze Nacht wach, damit die Kinder ruhig schlafen können, auch wenn es selbst dann nichts erlebt. Dafür lieben Fledermäuse und Sterne das Dunkel. Dunkelheit kommt hier als ein sehr sympathisches und wichtiges Element in unserem Leben daher. Es wird Kindern, die sich davor fürchten, wie ein guter Freund präsentiert, dem man durchaus mal »Hallo« sagen kann. Nach dieser Lektüre können junge Leser:innen dem Dunkel mit ganz anderen Augen begegnen.

Ganz anders geht es in der folgenden Geschichte zu: Eines sonnigen Morgens entdeckt Hase, dass etwas nicht stimmt. Da war plötzlich noch jemand: Schwarzhase. Und ganz gleich, was Hase tat – rennen, verstecken, schwimmen – Schwarzhase verfolgte ihn und machte ihm Angst. Erst im dunklen Wald hat er Ruhe vor Schwarzhase. Bis ihn der Wolf zu jagen beginnt. Als Hase aus dem Wald in die Sonne rennt, passiert es …
Das Schattenspiel in Philippa Leathers Bilderbuch Schwarzhase verdeutlicht die Funktion von menschlichen Ängsten schon für ganz kleine Leser:innen. Sie sind immer bei uns, aber sie schützen uns vor lebensbedrohlichen Gefahren.

Von Träumen und Albträumen

In der Dunkelheit kann es sein, dass wir von bösen Träumen belästigt werden. So er geht es Anton in Ben Furman und Mathias Weber Buch Antons Albtraum. Er soll bei Oma schlafen. Aber Anton hat in letzter Zeit immer wieder Albträume und kann nur schwer einschlafen. Oma weiß nichts davon und die Eltern vergessen, es ihr zu erzählen. Als Anton ihr selbst davon erzählt, sagt Oma: »Es gibt gar keine Albträume.«
Aus dieser überraschenden Aussage entsteht ein Gespräch über Antons Albtraum. Oma nimmt die Bilder aus Antons Traum auf und erzählt dazu eine Geschichte mit einem schönen Ende. Die Beschäftigung damit hilft Anton, ohne Angst einzuschlafen.
Nicht alle Albträume sind natürlich so »harmlos« wie Antons, daher erläutert Autor und Psychologe Ben Furman in einem Nachwort, wie Eltern damit umgehen können, wenn ihre Kinder etwas wirklich Erschreckendes erlebt oder gesehen haben. Offene Gespräche über das Erlebte oder Geträumte, das Malen von Bildern oder die Besuche von Orten oder Einrichtungen, die im Traum eine Rolle spielen, helfen den Kindern bei der Verarbeitung. Dieses Buch liefert eine wunderbarer Idee dafür.

Fantasie und Wirklichkeit treffen auf eine leichtere Art im Buch Timo kann was Tolles von Nikola Huppertz und Tobias Krejtschi aufeinander. In seinen Träumen ist Timo mutig, fliegt, hat keine Angst vor Dschungeltieren oder fährt große Feuerwehrautos. Doch tagsüber im Kindergarten schafft er es nicht hoch zu schaukeln, hat Angst einen Regenwurm zu streicheln und seine Bilder sehen aus wie Krikelkrakel. Die anderen Kinder lachen ihn aus. Bis auf Ava. Erst als sie Timo fragt, ob sie etwas zusammen machen wollen, erkennt Timo seine besondere Gabe. Und auf einmal fallen ihm zusammen mit Ava die Dinge ganz leicht. Träum können also wahr werden, wenn Kinder den Mut aufbringen, sich anderen anzuvertrauen. Gemeinsam ist man stärker und kann gewissen Hindernisse überwinden.

Angst als Freundin

Dass wir der Angst anders begegnen können, thematisieren zwei sehr ähnliche Bücher. In Mirjam Zels erdig-pastelligem Bilderbuch Fast wie Freunde geht es um das Mädchen Sophie. Sie wohnt in einer ganz normalen Stadt, in der die Leute sich zwar grüßen, aber nicht so genau hinschauen. Was sie nicht genau sehen, ist zunächst nicht erkennbar. Nach und nach wird klar, dass Sophie eine schwarze Last mit sich herumschleppt: ihre Angst. Sie hat Angst auf den Baum zu klettern oder im Teich zu schwimmen. Niemand versteht, was mit ihr los ist. Erst als sie ganz allein ist, entdeckt sie ihre Angst – und stellt fest, dass sie eigentlich gar nicht so schlimm ist. Sophie ändert ihre Taktik: Statt die Angst einfach herumzuschleppen, nimmt sie sie wie eine Freundin an die Hand und zeigt sie den Menschen in der Stadt. Und nun ändert sich etwas: Sophie erkennt, dass die Angst manchmal ganz sinnvoll ist – als Warnung vor Gefahren –, sie aber oftmals gar nicht nötig ist. Ihr Beispiel steckt an und so zeigen nun auch die anderen Menschen ihre Ängst und alle werden irgendwie netter zueinander.
Mut zur Angst ist hier das wichtige Thema. Denn kein Mensch ist ohne Angst. Sie macht uns menschlich. Die eigene Angst zuzugeben, zu ihr zu stehen macht vielleicht angreifbar, aber das Zusammenleben gestaltet sich freundlicher, wenn wir für andere Verständnis entwickeln.

Francesca Sanna, die hierzulande mit ihrem Buch Die Flucht bekannt wurde, verarbeitet in diesem künstlerischen Bilderbuch in ähnlicher Weise ihre eigenen Ängst. Sie zeigt ein Mädchen, das ihre Angst als weißes Knuddelmonster immer dabei hat. Diese Angst ist mal kleiner und mal größer, oft beschützt diese Angst das Mädchen.
Doch als es in ein neues Land kommt, in dem sich das Mädchen nicht wohl fühlt, wird diese Angst riesengroß. Sie stellt sich zwischen das Mädchen und die neuen Mitschüler:innen, sie verhindert, dass das Mädchen mit anderen reden kann, sie zerrt das Mädchen immer gleich wieder nach Hause. Erst als ein Junge aus ihrer Klasse ihr etwas zeigt und später beim Spielen seine eigene Angst offenbart, wird die Angst des Mädchens wieder kleiner.
Die Darstellung der Angst als Barbapapa-förmiges Etwas entspricht der von Mirjam Zels in Fast wie Freunde. Die Beherrschung von Angst durch die Hilfe eines Freundes ist auch hier eine wichtige Botschaft.

Märchen reloaded

Seit Rotkäppchen und der Wolf ist dieses wunderbare Tier zu einem Angstsymbol geworden – völlig zu Unrecht. Er bietet sich trotzdem immer wieder an, die Angst zu illustrieren oder damit zu spielen. Ein herrliches Spiel mit diesen Stereotypen ist das Bilderbuch von Jan De Kinder: Keine Angst, Großer Wolf. Schon der Titel könnte stutzig machen: Warum wird der Große Wolf angesprochen?
Das zeigt sich auf der ersten Doppelseite: Der kleine Wolf geht mit dem großen Papa Wolf in den Wald. Der kleine marschiert voran, der große mit angstvoller Schnauze hinterher. In farblich schön reduzierten Bildern lockt der Wolf-Sohn den Vater durch das Unterholz, erklärt, was für Geräusche zu hören sind, was es so zu sehen und zu riechen gibt. Bis die zwei tatsächlich jemandem begegnen und der große Wolf reiß aus nimmt.
De Kinder spielt geschickt mit dem Märchen von Rotkäppchen. Er löst Ängst durch genaues Beobachten auf. Gleichzeitig zeigt er Kindern durch die Umkehrung der Vater-Sohn-Rolle, dass sie mutiger sein können als der Papa. Und nimmt am Ende das psychologische Trauma des Vaters aufs Korn – was für erwachsene Vorleser:innen eine sehr amüsante Pointe darstellt.

Das angebliche Angsttier Wolf schwebt auch in Myriam Ouyessads und Ronan Badels Der Wolf kommt nicht, quasi über allem. Hasenmutter bringt hier ihr Hasenkind ins Bett, das ständig fragt: »Bist du ganz sicher, dass der Wolf nicht kommt?« Hasenmutter beruhigt mit allen möglichen Argumenten: Es gibt keine Wölfe mehr, sie leben weit weg im Wald, ein Wolf kommt nicht in die Stadt, im Verkehr würde er nicht überleben und so weiter. Häschen versteckt sich derweil unter der Decke, schaut erschreckt. Die Hasenszenen mit dem Text finden sich immer auf der linken Seite, während rechts der Wolf in den verschiedenen Situationen gezeigt wird und immer näher kommt. Als sich Häschen scheinbar beruhigt hat und das Licht aus ist, klingelt es an der Tür … Die Auflösung ist so charmant, die müssen die Lesenden selbst herausfinden. Der Twist, den die Geschichte dadurch bekommt, ist absolut Angstvertreibend.

Ein weiteres Spiel mit Märchenklischees ist Prinzessin Riesenmut von Rachel Valentine und Rebecca Bagley. In knallbunten Illus machen sich die drei Prinzessinnen-Schwestern Thea, Juno und Liliy entgegen dem Verbot ihres Königs-Großvaters auf, den Riesen zu suchen. Dieser hat das Land verwüstet und treibt sein Unwesen. Angst kennen die drei scheinbar nicht: der Zauberwald schreckt sie nicht. Die Spinnen, die darin hausen, setzen sie geschickt außer Gefecht. Eine kaputte Brücke über eine Schlucht überqueren sie mit Kreativität. Und schließlich holen sie den Riesen ein, verschnüren und verhaften ihn. Ein klärendes Gespräch liefert dann die Erklärung für das zerstörerische Verhalten des Riesen … und alles wird gut.
Der Mut der Prinzessinnen und ihr resolutes, aber auch einfühlendes Vorgehen räumt gehörig mit dem Image von braven Prinzessinnen auf, die auf ihren Prinzen warten und sich ihm unterwerfen. Die moderne Prinzessin trägt Kopfhörer und Sneakers, fährt Rollerskates, ist mit technischem Gerät ausgestattet und tanzt durchs Leben, ohne sich von schissigen Rittern Angst machen zu lassen. Die coolen Prinzessinnen geben vorzügliche Rolemodels ab.

Ängste im Alltag

Manchmal ist es natürlich auch so, dass wir mit der Angst leben, sie in unseren Alltag integrieren müssen. Wie so etwas entspannter geht, zeigt Kommt Zeit, kommt Opossum von Jennifer Black Reinhardt, das im April erscheint.
Wenn Opossum Alfred Angst hat, erstarrt es und stellt sich tot. Das ist jedoch nicht besonders hilfreich in der Schule oder beim Sport. Freunde hat er so auch nicht gefunden.
Doch dann lernt er Sofia, das Gürteltier, kennen. Sie rollt sich immer zu einer Kugel zusammen, wenn sie sich erschrickt.
Die Erkenntnis der beiden, dass sie etwas gemeinsam haben, entspannt die Lage schließlich. Immer wenn der eine erstarrt oder die andere sich zusammenrollt, wartet er oder sie einfach ab. Und mit der Zeit passiert es ihnen immer seltener. Stattdessen entdecken sie, dass auch die anderen ihre Ängste habe: der Krake versprüht schwarze Tinte, die Schildkröte versteckt sich im Panzer, die Ziege fällt auf den Rücken. Doch mit Geduld und Verständnis weitet sich so ihr Freundeskreis aus.
Die Verteidigungs- und Schutzmechanismen aus der Natur hat die Autorin für diese charmante Geschichte genutzt, um zu verdeutlichen, dass alle Menschen Ängste haben – und sogar die Tiere. Die Hilfe gegen die Angst liegt hier im Verständnis, das wir anderen gegenüber aufbringen sollten.

Auch Igel können Angst haben und bekanntermaßen rollen sie sich bei Gefahr zu stachligen Kugeln zusammen. Bei Autos haben sie damit leider nicht viel Glück. Doch in Britta Teckentrups Ich hab doch keine Angst! entgehen der große und der kleine Igel diesem Schicksal.
Die beide Stacheltiere verleben einen schönen Tag zusammen, aber auch hier gibt es immer wieder Momente, in denen sie Angst haben könnten: der dunkle Keller, Geräusche im Wald, der Fuchs, das herannahende Auto, der Nebel. Dabei hat der große Igel genauso wie der kleine Igel Angst. Der Lütte behauptet jedoch steif und fest: »Ach was, ich hab doch keine Angst!« – was nicht immer ganz stimmt.
In poetischen Illustrationen erleben die Betrachtenden hier, dass auch Erwachsene Ängst haben und damit umgehen müssen. Die Hilfe der befreundeten Katze verschafft den beiden Igeln schließlich einen guten Tagesabschluss.

In Kate Hindleys und Pamela Butcharts Buch Mika und das mutigste Mädchen der Welt hat der Titelheld Mika Angst vor allem: verbranntem Toast, komischen Socken, entlaufenen Dinos, zu knusprigen Keksen, bösen Eichhörnchen. Er benutzt keine Reißverschlüsse mehr, weil die ja klemmen könnten. Und am schrecklichsten ist der Wind, der ihn wegwehen könnte. Als Mika die unbeschwerte Emily trifft, die immer sagt: »Was soll schon passieren?«, erwacht sein Beschützerinstinkt. Doch da passiert’s: Der Wind bläst ihn davon, über Schnee und Meer zu den Piraten, bis ein Hubschrauber ihn rettet. Mika merkt, dass das alles gar nicht so schlimm ist und sogar Spaß machen kann. Und so wird er genauso mutig, wie das mutigste Mädchen der Welt. Gleichzeitig machen er und das Emily den jungen Leser:innen Mut, Dinge einfach mal auszuprobieren, denn: Was soll schon passieren?

Der Klassiker

Momentan ist auch wieder ein Klassiker der der psychologischen Bilderbücher zum Thema Angst auf dem Markt: Susi Bohdals Selina, Pumpernickel und die Katze Flora. In Neuauflage ist er seit vergangenem Jahr wieder zu haben. In schwarzweißen Federzeichnung erzählt Bohdal die Geschichte von Selina, die sich mit der Maus Pumpernickel anfreundet. Pumpernickel hat jedoch Angst vor der großen Katze Flora, der besten Mäusefängerin der Stadt.
Als Selina sich zwischen Flora und Pumpernickel stellt, wird Flora wild und verfolgt das Mädchen. Immer größer wird die Angstkatze, während Selina mit der Maus vor ihr flieht. Eindrucksvoll ist die Katze auf den Illus irgendwann größer als die Häuser der Stadt. Pumpernickels Rat: »Du musst gegen sie laufen und ihr fest in die Augen sehen!« Selina nimmt allen Mut zusammen und wendet sich der Katze zu. Sie blickt ihr in die Augen. Und so wird Flora wieder kleiner.
Natürlich merkt man diesem Buch sein Alter an. Illustrationen und Erzählstil haben eben schon 40 Jahre auf dem Buckel. Doch die Message gilt immer noch: Sich der eigenen Angst stellen, ihr in die Augen zu sehen, das kann helfen.

Das Sachbuch

Fiktive Geschichten können mit bunten Bildern, knuffigen Figuren und aufregenden Abenteuern bei der Angstbewältigung eine Form von Hilfe sein. Aber auch sachliche Texte, die zur Reflexion anregen, sind natürlich nicht zu unterschätzen. Ein solches Sachbuch ist Hey, du bist großartig von Karen Young und Norvile Dovidonyte, in dem es um Angst, Mut und die besonderen Fähigkeiten von kleine Menschen geht. Karen Young erklärt in einfachen Sätzen, was es mit unseren Angst-Gefühlen auf sich hat, welche Rolle das Gehirn dabei spielt und wie wir es trainieren oder verändern können. Bestärkende Gefühle und Gedanken können die Kinder quasi zu Superhelden machen, so dass sie in sich den Mut finden, schwierige Dinge zu meistern – beispielsweise vom Sprungturm im Schwimmbad zu springen.
Young zeigt den jungen Lesenden, wie sie ihre Aufmerksamkeit auf das Hier & Jetzt lenken können, wodurch die Angst ebenfalls verschwinden kann. Sie fördert die Kinder in ihrer Kreativität und ihrer Entdeckerlust, unterstützt sie bei Entscheidungsfindungen. Dieses bestärkende Buch spricht die Kinder direkt als »du« an, kommuniziert also auf Augenhöhe und gibt ihnen das Gefühl, dass sie wichtig und eben großartig sind.
Ein paar einfache Achtsamkeitsübungen schließen den Text ab und hinterlassen ein wohliges Gefühl.

Christine Kugler: Kleiner Angst-Frosch, hab doch Mut!, Illustration Jutta Berend, Penguin Junior, 2022, 12, Seiten, ab 2, 9 Euro
Andrea Schütze: Ich trau mich/Ich trau mich nicht!, Ein Wendebuch, Illustration: Stéffie Becker, Ellermann, 2022, 52 Seiten, ab 5, 15 Euro
Valeri Gorbachev: Nur Mut, kleine Küken!, Übersetzung: Christiane Jung, NordSüd, überarbeitete Neuausgabe 2022 (2001), 40 Seiten, ab 4, 15 Euro
Brigitte Weninger: Ich habe ein Licht und fürchte mich nicht!, Illustration: Laura Bednarski, Annette Betz, 2019, 32 Seiten, ab 4, 14,95 Euro
Michael Engler: Ein komischer Vogel traut sich was, Illustration: Joëlle Tourlonias, Annette Betz, 2020, 32 Seiten, ab 3, 14,95 Euro
Johannes Traub/Wiebke Alphei: Muträuber. Hugo und Zugo besiegen die Angst, Illustration: Suse Schweizer, Balance, 2020, 40 Seiten, ab 3, 17 Euro
Nanna Neßhöver: Wenn ich ängstlich bin, Illustration: Eleanor Sommer, Carlsen, 2022, 40 Seiten, ab 3, 15 Euro
Lucy Astner: Nur Mut, kleiner Schmollmops, Illustration: Alexandra Helm, esslinger, 2022, 32 Seiten, ab 3, 14 Euro
Jessica Meserve: Die Welt da draußen, Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn, Bohem, 2022, 40 Seiten, ab 3, 16,95 Euro
Daniel Fehr: Wird schon schiefgehen, Ente!, Illustration: Raphael Kolly, Thienemann, 2022, 32 Seiten, ab 4, 14 Euro
Andrea Schomburg: Ab hier kenn ich mich aus, Illustration: Amrei Fiedler, Tulipan, 2021, 48 Seiten, ab 4, 15 Euro
Malin Hörl: Da liegt was in der Luft, annette betz, 2022, 32 Seiten, ab 4, 14,95 Euro
Günther Jakobs: Hase Hibiskus und das grausige Gruseln, Illustration: Andreas König, Ravensburger, 2022, 32 Seiten, ab 3, 14,99 Euro
Liliane Steiner: Louisa und die Schattenmonster, Kunstanstifter, 2021, 28 Seiten, ab 4, 20 Euro
Peter Vegas: Hab keine Angst, kleines Dunkel, Illustration: Benjamin Chaud, Übersetzung: Ebi Naumann, Aladin, 2022, 36 Seiten, ab 4, 14 Euro
Philppa Leathers: Schwarzhase, Übersetzung: Salah Naoura, Thienemann, 2019 (2013), 40 Seiten, ab 4, 13 Euro
Ben Furman: Antons Albtraum, Illustration: Mathias Weber, Carl-Auer, 2. Auflage 2021, 28 Seiten, ab 4, 19,95 Euro
Nikola Huppertz: Timo kann was Tolles, Illustration: Tobias Krejtschi, Tulipan, 2022, 32 Seiten, ab 4, 15 Euro
Mirjam Zels: Fast wie Freunde, Kunstanstifter, 2. korrigierte Auflage 2020 (2017), 44 Seiten, ab 4, 22 Euro
Francesca Sanna: Ich und meine Angst, Übersetzung: Thomas Bodmer, NordSüd, 2019, 40 Seiten, ab 4, 16 Euro
Jan De Kinder: Keine Angst, Großer Wolf, Übersetzung: Eva Schweikart, Sauerländer, 2020, 40 Seiten, ab 4, 14,99 Euro
Myriam Ouyessad: Der Wolf kommt nicht, Übersetzung: Ina Kronenberger, Illustration: Ronan Badel, Gerstenberg Verlag, 2020, 32 Seiten, ab 4, 13 Euro
Rachel Valentine: Prinzessin Riesenmut, Übersetzung: Sabine Rahn, Illustration: Rebecca Bagley, Penguin Junior, 2021, 38 Seiten, ab 4, 14 Euro
Jennifer Black Reinhardt: Kommt Zeit, kommt Opossum, Übersetzung: Ingrid Ickler, dtv, 2022, 32 Seiten, ab 4, 14 Euro – erscheint am 13.4.2022
Britta Teckentrup: Der große und der kleine Igel – Ich hab doch keine Angst, Jacoby & Stuart, 2022, 32 Seiten, ab 3, 12 Euro
Kate Hindley: Mika und das mutigste Mädchen der Welt, Illustration: Pamela Butchart, Übersetzung: Michael Petrowitz, Ravensburger, 2021, 32 Seiten, ab 3, 12,99 Euro
Susi Bohdal: Selina, Pumpernickel und die Katze Flora, Carl-Auer, 3. Auflage 2021 (ursprünglich 1981), 30 Seiten, ab 4, 19,95 Euro
Karen Young/Norvile Dovidonyte: Hey, du bist großartig! Ein Buch über Angst, Mut und deine besonderen Fähigkeiten, Übersetzung: Siegfried Joel, Peter Lieder und Weronika M. Jakubowska, Carl-Auer, 2. Auflage 2021, 38 Seiten, ab 6, 19,95 Euro

Das Leben ist Veränderung

geschwister

In den nächsten Tagen werde ich zum dritten Mal Tante. Welche Freude!
Bei meiner Nichte, 7, und meinem Neffen, 4, steigt momentan der Aufregungspegel ganz enorm, auch wenn so keiner von uns – auch die Erwachsenen – es sich noch nicht richtig vorstellen kann, wie es mit so einem neuen Baby sein wird. Die Geschwisterkonstellation wird sich auf die eine oder andere Art verschieben. Und das wird eine ziemlich interessante Angelegenheit.

Geschwisterliebe

Nun ist gerade ein Bilderbuch von Rocio Bonilla erschienen, dass dieses Thema auf den Punkt bringt. Zwei Geschwister, eine große Schwester und ein kleiner Bruder, berichten darin von ihrem Leben mit dem/der jeweils anderen. Das quadratische Buch ist ein so genanntes Wendebuch, das von vorn wie auch von hinten gelesen werden kann. Je nachdem, wo man das Buch aufschlägt, erzählt entweder die Schwester oder der Bruder ihre oder seine Sicht der Dinge. Und die ist am Anfang nicht besonders schmeichelhaft.

Das ist der Bruder der blöde Affe, der einfach alles nimmt und kaputt macht. Er ist eine Qual und eine Heulsuse. Die Schwester hingegen macht, dass der Bruder sich klein fühlt und wütend wird. Sie ist langweilig und eine Qual.
Aber sie baut auch die höchsten Türme und bringt dem Lütten Fahrradfahren bei, und ohne den Bruder fühlt sich die Schwester einsam.
Da schwingt das ganze Programm von Geschwister-Alltag und Geschwisterliebe mit. Trotz aller Differenzen und nervigen Eigenarten der/s Anderen sind die beiden sich einig, dass es gar nicht so schlecht ist, zu zweit zu sein.

Achtung, Spoiler!

Und kommt man dann als Leser_in in der Mitte des Buches an, hinter der halbgeöffneten Tür ertönt das Gebrüll … von … ja: Geschwisterchen Nr. 3! Sorry, für diesen Spoiler, aber anders kann man dieses herzallerliebste Bilderbuch nicht präsentieren. Denn hier geht es um die Veränderung in einem eingeschworenen Team. Nichts wird ab jetzt so sein, wie es bis dahin war. Etwas Neues, etwas Schönes bricht in den Alltag ein und verändert ihn fundamental.

Noch ist das Baby nur ein windeltragender Schreihals, mit dem die Geschwister nicht viel anfangen können. Die Frage, wie es nun zu dritt für sie weitergeht, beantwortet Bonilla nicht, sondern er überlässt es den Betrachter_innen, sich nun zu überlegen, wie das Leben wohl weitergeht.
Hier bietet sich nicht nur eine vorzügliche Vorlage über die jeweiligen Sichtweisen von Geschwistern auf den/die andere zu reflektieren, sich vielleicht selbst wieder zu erkennen, das Schöne und das Nicht-So-Schöne zu benennen, sondern auch für alle, bei denen das dritte Kind im Anmarsch ist, eine Gelegenheit über den Wandel in der nächsten Zeit zu sprechen. Wie wollen sich die Geschwister verhalten? Wird sich ihr Verhältnis zueinander verändern? Wird es Konkurrenz geben? Wird das Team wachsen? Wird der Spaß bleiben? Oder wird es mehr Streit geben?

Entzückend illustriert

Die Offenheit dieser Geschichte kombiniert Bonilla mit entzückenden Bildern, in denen der Bruder die Schwester als balletttanzendes Nashorn mit Tutu sieht, sich in den Zimmern Eisenbahn, Bauklötze oder Plüschtiere stapeln. Das Chaos, das die Gören im Badezimmer anrichten, ist jedem bestens bekannt, der mal versucht hat, kleine Wasserratten wieder aus der Wanne zu bekommen. Dazu die genervten, gelangweilten, wütenden, fröhlichen, erstaunten, traurigen, hämischen, verträumten, erschrockenen, stolzen Gesichtsausdrücke der beiden zu sehen, ist großartig und vermittelt die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle, über die dann auch geredet werden kann.

Ohne farbliche Geschlechterklischees

Eins muss noch zusätzlich betont werden, weil es (leider immer noch!) keine Selbstverständlichkeit ist: Die Farbgebung in diesem Bilderbuch ist spitze! Jenseits aller rosa-hellblauer Geschlechterklischees. Das Mädchen trägt Grün, der Junge Rot und auch schon mal das rosa Tutu der Schwester. Klar, spielt er Darth Vader und mit einer Eisenbahn, aber er frisiert genauso die Puppen der Schwester. Sie hingegen bringt ihm Backen und Fahrradfahren bei und beschützt ihn vor nächtlichen Schlafzimmermonstern. Und auch das Baby kommt ohne farbliche Geschlechtszuordnung aus – ein echter Gewinn!

Mit so einer Bilderbuchvorbereitung sollte der Familienzuwachs bei den großen Geschwistern also bestens ankommen und der Spaß auf jeden Fall weitergehen! Ich werde es am Wochenende bei Nichte und Neffe überprüfen…

Rocio Bonilla: Geschwister, Übersetzung: Renate Loew, Jumbo, 2019, 56 Seiten, ab 3, 15 Euro

Tiere machen Sachen

Am Anfang des neuen Jahres räume ich immer etwas rum – und dieses Mal ist mir aufgefallen, dass ich da noch eine ganze Reihe von Bilderbüchern liegen habe, die ich hier noch gar nicht gewürdigt habe. Obwohl sie es allesamt verdient haben. Das muss jetzt auf der Stelle nachgeholt werden.

Thematisch haben diese Werke alle tierische Hauptfiguren – die uns unterhalten, verwundern, amüsieren und von denen wir und eine ganze Scheibe abschneiden können.

Da wäre dann gleich mal zum aufräumenden Anfang der Dachs, der es in Emily Gravetts Bilderbuch gern ordentlich hat. Er lebt im Wald, wo er alles Mögliche stutzt und schneidet, dem Fuchs den Schwanz striegelt, Laub saugt und alles mit Stumpf und Stiel wegschafft. Der Gute gerät in so einen Wahn, dass er vor nichts Halt macht – mit drastischen Folgen: Der Wald verschwindet und stattdessen erstreckt sich dort eine glatte saubere Betonfläche. Doch auch ein Dachs kann dazulernen und Fehler eingestehen.
Die wunderbaren Reime von Uwe-Michael Gutzschhahn mildern die krassen Konsequenzen, die so ein rigoroses Vorgehen gegen die Natur haben kann, zwar ein bisschen, aber der Denkanstoß, in Zeiten, wo die Insekten wegsterben, ist gesetzt: Mehr Respekt vor der Natur tut uns allen gut!

Auch im Wald leben Hase, Igel, Eule und Maulwurf, in Jadwiga Kowalskas Bilderbuch Ich bin ein Wolf, sagt Hase. Die vier sind beste Freund und spielen gern Verstecken. Nur leider muss Hase abends immer allein nach Hause und hat Angst vor dem Wolf.
Eines Tages kommt er auf die Idee, sich selbst als Wolf zu verkleiden, dann muss er keine Angst mehr vor gar nichts haben. Eigentlich gar nicht so dumm, doch leider erkennen ihn nun seine Freunde nicht mehr … Hases Erkenntnis zeigt ganz charmant, dass es nicht immer sinnig ist, den großen Macker zu spielen. Denn das kann ziemlich einsam machen. Und gemeinsam mit Freunden verschwinden manchmal auch die Ängste ganz von selbst.

Wenn man jedoch partout etwas anderes machen möchte als im Alltag, kann man sich an Elch Erasmus ein Beispiel nehmen. Inspiriert von einer wahren Geschichte erzählt Franziska Walther ohne Worte in Hoch hinaus, wie dieser Elch sich aufmacht.
Aus dem hohen Norden wandert er los, überquert schneebedeckte Berge, weite Felder, schwimmt durch Flüsse und landet in einer Stadt. Erasmus schaut sich um, lässt sich mit Äpfeln füttern und scheut nicht davor zurück, einem Kaufhaus einen Besuch abzustatten. Doch auf dem Dach gerät er in eine Falle und muss sich einen Weg überlegen, wie er von dort wieder fortkommt.
In herrlich kräftig knalligen Farben schickt Walther den Elch durch die Welt – und zeigt, dass man es mit Neugierde, Mut und Fantasie sehr weit bringen kann. Man muss nur den ersten Schritt machen.

Ebenfalls ohne Worte kommt das optisch ganz großartige Bilderbuch der Italienerinnen Giovanna Zoboli und Mariachiara di Giorgio aus.
Wir lernen ein Krokodil kennen, begleiten es durch den Tag: Morgens um sieben klingelt der Wecker, Krokodil trägt einen gestreiften Pyjama und Pantoffeln, es putzt sich Zähne und sucht sich sorgsam einen Schlips aus, der zum gelben Hemd mit den roten Punkten passt. Dann gibt es Frühstück, danach verlässt Krokodil den Altbau, in dem er wohnt. Zwischen hetzenden Menschen, die am Handy telefonieren und rücksichtslos Auto fahren, durchquert es die Stadt, nimmt die Metro, in der auch eine sonnenbrillentragende Giraffe und ein Affe mit Mütze und Schal fahren. Krokodil erledigt seine Einkäufe, Blumen und Fleisch, bis er schließlich bei seinem Arbeitsplatz ankommt.

In zarten Bildern aus Buntstift, Kohle und Aquarellfarben erschaffen Zoboli und di Giorgio ein sehr vertrautes Stadtbild, mit einer finalen Überraschung, die einem ein Lächeln entlockt – und bei dem man denkt: „Na, klar, das konnte ja gar nicht anders sein.“
Mich entzückt diese Buch zudem, weil Krokodil mich mal wieder an Bernard Wabers Bilderbuch Das Haus in der Lindenallee erinnert hat, in dem schon 1962 ein Krokodil Einzug in das normale Leben hält. Ja, denn auch Krokodile haben einen Alltag.

Und ist es dann nach all dem Bilderbuch-Gegucke die Zeit zum Schlafen gekommen, empfiehlt sich für kleine Energiebündel, die noch nicht ins Bett wollen, der Reim-Spaß von Andrea Schomburg.

Sie schildert das Schicksal von Schaf Regine, das zur Schäfchen-Schlafenszeit mal wieder nicht einschlafen kann. Auch Schäfchen zählen funktioniert so gar nicht.
Aber Regine gibt nicht auf und macht sich auf die Suche nach Herrn Schlaf: beim Schäfer, im Pferde- und auch im Schweinestall ist er allerdings nicht zu finden.
Als Erwachsener leidet man ein bisschen mit dem knuffigen Schaf – ganz reizend hat Karsten Teich das Getier in Szene gesetzt – aber Regines Plan, dann eben die Nacht über wach zu bleiben, geht auch nur kurz auf … Bleibt nur zu hoffen, dass es bei der Gutenachtlektüre nicht zu abendlichen Aktivitäten animiert.

Emily Gravett: Aufgeräumt!, Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn, Sauerländer, 2017, 40 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

Jadwiga Kowalska: Ich bin ein Wolf, sagt Hase, Atlantis, 2017, 32 Seiten, ab 4, 14,95 Euro

Franziska Walther: Hoch hinaus, Kunstanstifter, 2017, 40 Seiten, 22 Euro

Giovanna Zoboli/Mariachiara di Giorgio: Krokodrillo, Bohem, 2017, 32 Seiten, ab 3, 16,95 Euro

Andrea Schomburg: Wie das Schaf den Schlaf fand, Illustration: Karsten Teich, Sauerländer, 2017, 32 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

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Es gibt kein schlechtes Wetter …

regenWow! Schon der Umschlag ist eine Augenweide. Man hört den Regen förmlich platschen und fühlt jeden einzelnen Tropfen, streichen die Finger zart über das Coverbild. Eine kleine Ente schwimmt munter in einem Pfützensee, und auf den Stufen vor dem Haus sitzt ein kleiner Junge. Mit rot gepunktetem Schirm und Unternehmungslust im Blick. Was hat er vor?

Der Blick ins Haus macht deutlich: Der Junge und sein Opa verbringen den Tag zwar unter demselben Dach, aber nicht gemeinsam. Während der Opa schwer beschäftigt ist, viel Papier zu beschriften, schaut der Enkel abwechselnd durchs Fenster in die Welt und dann wieder in seine Bilderbücher. Draußen herrscht Dauerregen, drinnen Langeweile. Ganz kribbelig vor lauter Nichtstun versucht der Junge alles, um Opa vor die Tür zu locken. Regen ist so toll!! Mit der Zunge kann man Tropfen auffangen, in Pfützen hüpfen und sich darin spiegeln. Oder so tun, als würde man auf dem weiten Meer segeln, Seeungeheuer bekämpfen und in die „schwimmende Stadt“ reisen, die der Junge aus seinen Büchern kennt. Doch egal, was er vorschlägt, Opa sagt, erst müsse der Regen aufhören. So ist die Nase fast plattgedrückt, als es unverhofft heißt: „Beeilung! Los — wir müssen dringend zur Post!“

Und das Wetter ist Opa plötzlich piepegal. Rein in die hohen Gummistiefel und die knallblauen Jacken, die an Kapitänsuniformen erinnern. Die Reise kann beginnen! Und das Ziel? Venedig, die Gondeln, das bunte Treiben der Masken im Karneval …

Sam Usher, dessen Helden wir bereits aus Mein Schneetag kennen, begeistert erneut mit einer lebensechten Geschichte und mit seinem temperamentvollen jungen Ich-Erzähler. Greifbar und verständlich erzählt Usher von den unterschiedlichen Wünschen, Wahrnehmungen und Geschwindigkeiten bei Jung und Alt. Ihr Zwiegespräch in Mimik und Wort zieht rein ins Bild und lässt uns in die eine wie die andere Rolle schlüpfen. Großflächige Illustrationen wechseln sich ab mit kleinen Szenerien, die die grenzenlose Fantasie des einen und die konzentrierte Beschäftigung des anderen spiegeln. Und dann diese Doppelseiten mit spritzendem Regen vor grau changierenden Hintergrund, rot-blau-orangen Spiegelungen und vereinzelten, schirmbewehrten Passanten! Unsere Empathie wächst, je öfter wir die schemenhafte Gestalt des Jungen hinter dem Fenster entdecken. Und auf einmal reißt der Himmel ein wenig auf, und eine Gondel schiebt sich vorsichtig ins Bild.

Sam Ushers leichter, farbenfroh-heiterer Strich lässt an Quentin Blake denken (und die Physiognomie des Großvaters erst recht). Und tatsächlich gehören Blake, aber auch Hergé, Sempé, Ronald Searle und Emma Chichester Clark zu Ushers Vorbildern. Dieser junge Illustrator macht eindeutig Lust auf weitere Bild-Text-Kreationen und auf Enkel-Großvater-Geschichten, über die er derzeit nachdenkt. Gerne auch in deutscher Übertragung von Meike Blatnik mit ihrem feinen Gespür für Tonalität.

Übrigens: Sam Usher ist mit Regen gerade für die Kate Greenaway Medaille 2017 nominiert worden, die britische Auszeichnung für herausragende Illustration.

Heike Brillmann-Ede

Sam Usher: Regen, Übersetzung: Meike Blatnik, Annette Betz, 2017, 32 Seiten, ab 4 (und jedes Alter!), 14,95 Euro

Neugierde ist Trumpf

sammelsuriumVor Jahren gab es Bücher mit Namen Schotts Sammelsurium, ein Quell von wild durcheinander gewürfeltem Wissen, in denen man nach Belieben hin und her blättern und immer etwas Interessantes oder Unbekanntes entdecken konnte. Die eine oder der andere wird sich erinnern.

Nun gibt es eine grafisch ganz wunderbar aufgemachte Variation dieses Prinzips für junge Lesende. Autor Richard Platt hat zusammen mit Illustrator James Brown auf je einer großformatigen Doppelseite 30 Themen zusammengestellt. Und zwar querbeet. Da erfährt man, wie (Seemanns-)Knoten geschlagen werden, aus welchen Teilen ein Fahrrad besteht, was für Bleistifte und Pinsel es gibt. Die vermeintlich so einfachen, unwichtigen Dinge unseres Alltags werden hier zu faszinierenden Kunstwerken. Allein die Variationen von Schrauben und Nägeln, die man im normalen Leben so gar nicht beachtet, sind beeindruckend.

Doch die Themen streifen auch komplexere Bereiche unseres Lebens. Den Aufbau des menschlichen Körpers aus Knochen und Organen, bis hin zum menschlichen Auge. So geht es von unserer eigenen Haut nach draußen in die Welt, in der wir uns mithilfe von verschiedenen Alphabeten verständigen. Beispielsweise durch die Buchstabier-, Morse- und Winkeralphabete, das griechische Alphabet oder auch durch das internationale Signalbuch.

Egal, ob man vorn anfängt oder kreuz und quer blättert, in diesem Sammelsurium bleiben Wissensdurstige immer an etwas hängen. Seien es die stylischen Infografiken, die auf jeder Doppelseite immer nur in einer eleganten Farbe gestaltet sind, oder die kurzen Texte, die mit Fakten und erstaunlichem Wissen vollgestopft sind.
Nach und nach entsteht unsere Welt mit (fast) all ihren faszinierenden Facetten. Selbst Themen, die für mich als Jugendliche total unverständlich oder dröge waren wie Chemie oder Mineralienkunde, entfalten hier eine gewisse Sogwirkung. Man möchte weiter schauen, mehr wissen, anfangen zu forschen, Schriften selbst malen, ein Musikinstrument lernen, ein Konzert besuchen oder einfach nur die Wolken anschauen.

Platt und Brown, in der geschmeidigen Übersetzung von Christiane Manz, gelingen eine Art von Wissensvermittlung, die Spaß macht und deren ästhetische Aufmachung an Eleganz kaum zu überbieten ist. Das ist auch für große Lesende schön und genauso spannend, denn hier erfährt jeder etwas Neues und wird neugierig gemacht auf die Welt da draußen.

Richard Platt: Das große Wissens-Sammelsurium, Illustration: James Brown, Übersetzung: Christiane Manz, Gerstenberg Verlag, 2016, 64 Seiten, ab 10, 19,95 Euro

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Das Leben in Bildern

babySo unterschiedlich Bilderbücher auch sind, manchmal kann man sie in einen Zusammenhang stellen. Bei diesen vier tut sich beispielsweise die ganze Bandbreite unseres Lebens auf.

Auftakt liefert das Buch von Anna Herzog, Ein Baby in Mamas Bauch, das klassisch-knuffig von Joelle Tourlonias illustriert ist. Die Zwillinge Mia und Oskar bekommen ein Geschwister. Diese umwerfende Neuigkeit nutzen die beiden Kindergartenkinder, um jede Menge Fragen zu stellen, wie das mit Babys und ihrer Herstellung eigentlich so ist. Auch so „eklige“(O-Ton Mia) Sachen wie knutschen und „sexen“ kommen ganz offen zur Sprache, dazu die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, was es mit den Hormonen auf sich hat, ob eine Gebärmutter platzen kann und wie das Baby schließlich auf die Welt kommt.
Die fiktive Geschichte wird durch Kästen mit Sach-Information bereichert, in denen anatomische Details, Entwicklung des Babys oder die Entstehung von Zwillingen erklärt werden. Die Erläuterungen sind so dicht an der Lebenswelt von Kindern, dass diese wie selbstverständlich an so geheimnisvolle Vorgänge wie Zeugung, Schwangerschaft und Geburt herangeführt werden. Mit so einem liebevollen und schön anzusehenden Aufklärungsbuch wird die Ankunft des neues Familienmitglieds für alle ein Fest.

bus

Dass das Leben dann später nicht immer rund läuft, davon berichten Stefanie Harjes und Marjaleena Lembcke in Der Bus mit den eckigen Rädern.

Ein Konstruktionsfehler in der Fabrik führt dazu, dass der neue Bus eckige Räder hat. Damit kann er natürlich nicht im Linienverkehr eingesetzt werden. Traurig macht sich der Bus auf den Weg – und sammelt mit der Zeit doch Menschen ein, die sich auf seinen bequemen Sitzen niederlassen: eine alte Dame, die wehmütig auf ihr Leben zurückblickt, ein alter Mann, der überprüfen möchte, ob das Rote Meer wirklich rot ist, ein Junge, der in Alaska Lachse angeln will, ein Mädchen auf dem Weg zum Tanz, ein streitendes Ehepaar, ein Priester, der keine Gemeinde mehr hat. Im Bus werden sie für eine kurze Zeit zu Schicksalsgenossen, die ihrem Ziel immer näher kommen.

Stefanie Harjes illustriert die Lebensreise im holprigen Bus mit Collagen, in denen Bleistiftzeichnungen auf Fotos, Kartenmaterial, Wortschnipsel, Stempelabdrücke und bunte Farben zusammentreffen. Ziegen haben Kinderköpfe, Schnecken schlafen auf Baumstümpfen, die Tasche der alten Frau ist größer als sie selbst. Vieles ist rätselhaft, wie das Leben eben so ist, und dadurch sehr faszinierend. Jeder Betrachter wird eigene Assoziationen und Verbindungen haben, in die Bilder eigene Geschichten hineindenken.

unfall

Einen traurigen Teil im Leben schildert das psychologische Bilderbuch Papas Unfall vom Atelier artig. Zunächst lernt man eine ganz normale vierköpfige Familie kennen, die immer etwas Neues unternimmt, schwimmen geht, Rad oder Schlitten fährt. Alles ändert sich, als Papa eines Tages mit dem Motorrad verunglückt und danach nicht mehr laufen kann. Er liegt lange im Krankenhaus, ist traurig und kann nicht richtig sprechen. Mama organisiert das Leben neu, sucht sich einen neuen Job, kümmert sich um Papa, schafft ein Krankenbett ins Wohnzimmer. Die Schwestern sind jetzt zwar mehr mit Oma zusammen, doch sie merken genau, wie traurig alles ist.

Wut und Trauer herrschen in dieser Geschichte zwar vor, aber die Kinder begreifen, dass es Gründe dafür gibt. Für Familien, die Ähnliches erlebt haben, bietet dieses Bilderbuch Identifikation und Hoffnung, denn mit der Zeit gewöhnen sich alle an dieses neue Leben, das zwar anders ist, aber dennoch Alternativen und schließlich auch schöne Momente bieten kann.

bär

Von solchen Momenten, schönen wie schlimmen, könnte man dann Geschichten erzählen. So wie der Bär. Doch der hat sich leider den falschen Zeitpunkt zum Erzählen ausgesucht, denn so kurz vor dem Winter haben Maus, Ente, Frosch und Maulwurf Wichtigeres zu tun, als Bär zuzuhören. Und so fallen die ersten Schneeflocken und Bär legt sich schlafen.
Im Frühling versammeln sich dann die Freunde alle wieder um Bär und haben endlich Zeit, die Geschichte zu hören …

Erin Stead hat die Geschichte Als Bär erzählen wollte von Philip Stead mit duftigen Aquarellen und zarten Bleistiftstrichen illustriert und dabei ganz viel Weißraum gelassen, so dass eine poetische Leichtigkeit die Szenerie bestimmt. Der Zusammenhalt der Freunde und ihre Aufmunterung von Bär am Ende zeigen, dass Freundschaft auch dann hält, wenn man einmal keine Zeit für den anderen hat oder sich lange nicht sieht. Die entzückende Abschlusspointe kann ich hier natürlich nicht verraten …

Ein abschließende Bitte hätte ich an die Illustratoren da draußen: Hier kommen in drei von vier Büchern alte Damen und Großmütter vor. Die Darstellung mit Kopftuch, Dutt und Puschen mag ja ganz heimelig und liebenswert sein, aber ich kenne heute keine Großmütter mehr, die so antiquiert herumlaufen. Es ist an der Zeit mal ein neues Großmutterbild zu entwickeln, würde ich sagen …

Anna Herzog: Ein Baby im Mamas Bauch, Illustration: Joelle Tourlonias, Sauerländer, 2015, 40 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

Marjaleena Lembcke: Der Bus mit den eckigen Rädern, Illustration: Stefanie Harjes,
Ravensburger, 2015, 32 S.  ab 6, 15,99 Euro

Achim Kirsch: Papas Unfall, Balance Buch + medien, 2015, 40 Seiten, ab 4, 14,95 Euro

Philip Stead: Als Bär erzählen wollte, Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn,   Illustration: Erin A. Stead, Sauerländer, 2015, 32 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

 

 

[Jugendrezension] Leben im alten Rom

altes romWie wurde Rom zur Weltmacht? Wie lebten Kinder im alten Rom? Was haben die Römer uns hinterlassen?
Das Buch Altes Rom aus der Reihe „Wieso? Weshalb? Warum? Profi-Wissen“ von Dela Kienle gibt Antwort auf diese und viele andere Fragen. Es wird z.B. erklärt, wie die Römer ihre Freizeit verbrachten, wie das Wasser aus großer Entfernung in die Stadt kam und was die Römer zu genialen Baumeistern machte.

Die spannend und interessant geschriebenen, relativ kurzen Texte werden von vielen farbigen Abbildungen, Zeichnungen und einem Foto, in das etwas hinein gezeichnet wurde, begleitet. Die Zeichnungen sind sehr detailliert, indem sie viele kleine Einzelheiten zeigen, wie z.B. Vögel, eine in einem Fenster stehende Amphore, wehende Vorhänge (sofern es die bei den Römern schon gab…). Auf jeder Doppelseite ist ein kleiner Legionär abgebildet, der etwas zum Thema sagt. Manchmal ist das, was er sagt, witzig, aber selbst wenn das nicht der Fall ist, ist er lustig gezeichnet. Er begleitet die Leser durch das ganze Buch.

Im Buch gibt es auch ausklappbare Doppelseiten: Dort steht eine große Zeichnung im Mittelpunkt, am Rand gibt es Zusatzinformationen oder anderes, das mit dem Thema zu tun hat: Interviews mit Experten, Anregungen zu kleinen Experimenten usw. Auf den Doppelseiten werden die Themen Militär, Freizeit und der Vesuv-Ausbruch und Pompejis Untergang behandelt.

Das Buch ist für jüngere Leser sehr gut, weil es anschaulich geschrieben und bebildert ist. Es liefert dem Leser das wichtigste Allgemeinwissen zum Thema „altes Rom“ und ein paar Extras zusätzlich. Es fehlen aber ein Literaturverzeichnis oder weitere Internetlinks, wo man nachschauen könnte, wenn man sich näher zu einem Thema informieren will – denn man findet kaum Spezialwissen in diesem Buch. Es ist anschaulich und allgemein interessant, aber insgesamt trotzdem ein Römerbuch wie viele andere.
Ich empfehle das Buch zum Selberlesen ab 8 Jahren, für Interessierte und zum Vorlesen/Bilderanschauen schon ab 6/7 Jahren.

Lector03 (11)

Dela Kienle: Altes Rom, Wieso? Weshalb? Warum? Profiwissen, Band 9, Illustration: Anne Bernhardi/Sibylla Spiegelhauer, Ravensburger Buchverlag, 2014, 56 Seiten, ab 8 Jahre, 14,99 Euro