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Das Leben in Bildern

babySo unterschiedlich Bilderbücher auch sind, manchmal kann man sie in einen Zusammenhang stellen. Bei diesen vier tut sich beispielsweise die ganze Bandbreite unseres Lebens auf.

Auftakt liefert das Buch von Anna Herzog, Ein Baby in Mamas Bauch, das klassisch-knuffig von Joelle Tourlonias illustriert ist. Die Zwillinge Mia und Oskar bekommen ein Geschwister. Diese umwerfende Neuigkeit nutzen die beiden Kindergartenkinder, um jede Menge Fragen zu stellen, wie das mit Babys und ihrer Herstellung eigentlich so ist. Auch so „eklige“(O-Ton Mia) Sachen wie knutschen und „sexen“ kommen ganz offen zur Sprache, dazu die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, was es mit den Hormonen auf sich hat, ob eine Gebärmutter platzen kann und wie das Baby schließlich auf die Welt kommt.
Die fiktive Geschichte wird durch Kästen mit Sach-Information bereichert, in denen anatomische Details, Entwicklung des Babys oder die Entstehung von Zwillingen erklärt werden. Die Erläuterungen sind so dicht an der Lebenswelt von Kindern, dass diese wie selbstverständlich an so geheimnisvolle Vorgänge wie Zeugung, Schwangerschaft und Geburt herangeführt werden. Mit so einem liebevollen und schön anzusehenden Aufklärungsbuch wird die Ankunft des neues Familienmitglieds für alle ein Fest.

bus

Dass das Leben dann später nicht immer rund läuft, davon berichten Stefanie Harjes und Marjaleena Lembcke in Der Bus mit den eckigen Rädern.

Ein Konstruktionsfehler in der Fabrik führt dazu, dass der neue Bus eckige Räder hat. Damit kann er natürlich nicht im Linienverkehr eingesetzt werden. Traurig macht sich der Bus auf den Weg – und sammelt mit der Zeit doch Menschen ein, die sich auf seinen bequemen Sitzen niederlassen: eine alte Dame, die wehmütig auf ihr Leben zurückblickt, ein alter Mann, der überprüfen möchte, ob das Rote Meer wirklich rot ist, ein Junge, der in Alaska Lachse angeln will, ein Mädchen auf dem Weg zum Tanz, ein streitendes Ehepaar, ein Priester, der keine Gemeinde mehr hat. Im Bus werden sie für eine kurze Zeit zu Schicksalsgenossen, die ihrem Ziel immer näher kommen.

Stefanie Harjes illustriert die Lebensreise im holprigen Bus mit Collagen, in denen Bleistiftzeichnungen auf Fotos, Kartenmaterial, Wortschnipsel, Stempelabdrücke und bunte Farben zusammentreffen. Ziegen haben Kinderköpfe, Schnecken schlafen auf Baumstümpfen, die Tasche der alten Frau ist größer als sie selbst. Vieles ist rätselhaft, wie das Leben eben so ist, und dadurch sehr faszinierend. Jeder Betrachter wird eigene Assoziationen und Verbindungen haben, in die Bilder eigene Geschichten hineindenken.

unfall

Einen traurigen Teil im Leben schildert das psychologische Bilderbuch Papas Unfall vom Atelier artig. Zunächst lernt man eine ganz normale vierköpfige Familie kennen, die immer etwas Neues unternimmt, schwimmen geht, Rad oder Schlitten fährt. Alles ändert sich, als Papa eines Tages mit dem Motorrad verunglückt und danach nicht mehr laufen kann. Er liegt lange im Krankenhaus, ist traurig und kann nicht richtig sprechen. Mama organisiert das Leben neu, sucht sich einen neuen Job, kümmert sich um Papa, schafft ein Krankenbett ins Wohnzimmer. Die Schwestern sind jetzt zwar mehr mit Oma zusammen, doch sie merken genau, wie traurig alles ist.

Wut und Trauer herrschen in dieser Geschichte zwar vor, aber die Kinder begreifen, dass es Gründe dafür gibt. Für Familien, die Ähnliches erlebt haben, bietet dieses Bilderbuch Identifikation und Hoffnung, denn mit der Zeit gewöhnen sich alle an dieses neue Leben, das zwar anders ist, aber dennoch Alternativen und schließlich auch schöne Momente bieten kann.

bär

Von solchen Momenten, schönen wie schlimmen, könnte man dann Geschichten erzählen. So wie der Bär. Doch der hat sich leider den falschen Zeitpunkt zum Erzählen ausgesucht, denn so kurz vor dem Winter haben Maus, Ente, Frosch und Maulwurf Wichtigeres zu tun, als Bär zuzuhören. Und so fallen die ersten Schneeflocken und Bär legt sich schlafen.
Im Frühling versammeln sich dann die Freunde alle wieder um Bär und haben endlich Zeit, die Geschichte zu hören …

Erin Stead hat die Geschichte Als Bär erzählen wollte von Philip Stead mit duftigen Aquarellen und zarten Bleistiftstrichen illustriert und dabei ganz viel Weißraum gelassen, so dass eine poetische Leichtigkeit die Szenerie bestimmt. Der Zusammenhalt der Freunde und ihre Aufmunterung von Bär am Ende zeigen, dass Freundschaft auch dann hält, wenn man einmal keine Zeit für den anderen hat oder sich lange nicht sieht. Die entzückende Abschlusspointe kann ich hier natürlich nicht verraten …

Ein abschließende Bitte hätte ich an die Illustratoren da draußen: Hier kommen in drei von vier Büchern alte Damen und Großmütter vor. Die Darstellung mit Kopftuch, Dutt und Puschen mag ja ganz heimelig und liebenswert sein, aber ich kenne heute keine Großmütter mehr, die so antiquiert herumlaufen. Es ist an der Zeit mal ein neues Großmutterbild zu entwickeln, würde ich sagen …

Anna Herzog: Ein Baby im Mamas Bauch, Illustration: Joelle Tourlonias, Sauerländer, 2015, 40 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

Marjaleena Lembcke: Der Bus mit den eckigen Rädern, Illustration: Stefanie Harjes,
Ravensburger, 2015, 32 S.  ab 6, 15,99 Euro

Achim Kirsch: Papas Unfall, Balance Buch + medien, 2015, 40 Seiten, ab 4, 14,95 Euro

Philip Stead: Als Bär erzählen wollte, Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn,   Illustration: Erin A. Stead, Sauerländer, 2015, 32 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

 

 

Jedem Ende wohnt ein Maulzauber inne

maulina 3Nein, man möchte das nicht. Dass es vorbei ist. Mit Maulinas Mama und mit dieser Geschichte. Man wünscht Maulina ein maultastisches Happy End. Und man möchte unbedingt und auf jeden Fall wissen, wie es mit Maulina weitergeht. Aber irgendwann hat alles ein Ende. Jetzt ist der letzte Teil von Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt von Finn-Ole Heinrich erschienen. Man weint nicht nur, weil darin Maulinas Mama schließlich wirklich stirbt.

Noch ein drittes Mal erzählt Maulina von ihrem Leben in Plastikhausen, ihrer kranken Mama, die immer schwächer wird, von ihrem Freund Paul und dessen Hund Kurt, vom General für Käse und dem Maulzauber. Das Leben schreitet voran, unerbittlich, und doch auch zauberhaft, liebens- und lebenswert. Maulina redet wieder mit dem Mann. Dieser ist mittlerweile zum zweiten Mal Vater geworden, von den Zwillingen Theo und Ron. Nur deren Mutter, der „Flamingo“, raubt Maulina noch den letzten Nerv.
Aus dem Dachboden über Mauldawien hat Maulina Maultropolis gemacht und baut dort ein Museum für Mama, in dem sie alle möglichen Erinnerungsstücke – vom Schal bis zur Haarlocke – sammelt.
Bei allen Veränderungen, den guten, wie den schlechten, steht Paul ihr rührend und unerschütterlich zur Seite, ebenso wie Ludmilla und der General für Käse. Maulina verliert ihre Mama, und das ist an Traurigkeit nicht zu überbieten. Aber sie kann auf ein dichtes Netz an Menschen zählen, die ihr Halt geben.

Maulinas Schicksal wünscht man keinem Kind, egal, wie alte es ist. Und doch genau diese Dinge passieren. Täglich. Und als Erwachsener steht man da und fragt sich, wie Trost möglich sein kann. Finn-Ole Heinrich zeigt eine mögliche Art von Trost und Trauer: erinnern, feiern, maulen. Das hört sich hier vielleicht ziemlich schräg an, aber so wie Heinrich das Maulina erzählen lässt, überzeugt es sofort. Jedenfalls mich.

Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt finden mit Ende des Universums ein würdiges Ende. Das geht allerdings nicht ohne Tränen. Das Herz scheint zu reißen, gleichzeitig ist es erfrischt und hoffnungsfroh. Maulina – das ist mal klar – vergisst man nicht so schnell, dafür vermisst man sie bereits, sobald die letzte Seite gelesen ist.

Bleibt nur noch zu sagen, dass die Illus von Rán Flygenring wieder einmal ganz wunderbare Ergänzungen, Leckerbissen und Schauzeug bieten. Und die liefern bei all der Trauer und Schwere die richtige Portion an visueller Leichtigkeit.

Finn-Ole Heinrich: Die erstaunlichen Abenteuer der Maulina Schmitt – Das Ende des Universums, Illustrationen: Rán Flygenring, Hanser Verlag, 2014, 192 Seiten, 12,90 Euro