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Es gibt kein schlechtes Wetter …

regenWow! Schon der Umschlag ist eine Augenweide. Man hört den Regen förmlich platschen und fühlt jeden einzelnen Tropfen, streichen die Finger zart über das Coverbild. Eine kleine Ente schwimmt munter in einem Pfützensee, und auf den Stufen vor dem Haus sitzt ein kleiner Junge. Mit rot gepunktetem Schirm und Unternehmungslust im Blick. Was hat er vor?

Der Blick ins Haus macht deutlich: Der Junge und sein Opa verbringen den Tag zwar unter demselben Dach, aber nicht gemeinsam. Während der Opa schwer beschäftigt ist, viel Papier zu beschriften, schaut der Enkel abwechselnd durchs Fenster in die Welt und dann wieder in seine Bilderbücher. Draußen herrscht Dauerregen, drinnen Langeweile. Ganz kribbelig vor lauter Nichtstun versucht der Junge alles, um Opa vor die Tür zu locken. Regen ist so toll!! Mit der Zunge kann man Tropfen auffangen, in Pfützen hüpfen und sich darin spiegeln. Oder so tun, als würde man auf dem weiten Meer segeln, Seeungeheuer bekämpfen und in die „schwimmende Stadt“ reisen, die der Junge aus seinen Büchern kennt. Doch egal, was er vorschlägt, Opa sagt, erst müsse der Regen aufhören. So ist die Nase fast plattgedrückt, als es unverhofft heißt: „Beeilung! Los — wir müssen dringend zur Post!“

Und das Wetter ist Opa plötzlich piepegal. Rein in die hohen Gummistiefel und die knallblauen Jacken, die an Kapitänsuniformen erinnern. Die Reise kann beginnen! Und das Ziel? Venedig, die Gondeln, das bunte Treiben der Masken im Karneval …

Sam Usher, dessen Helden wir bereits aus Mein Schneetag kennen, begeistert erneut mit einer lebensechten Geschichte und mit seinem temperamentvollen jungen Ich-Erzähler. Greifbar und verständlich erzählt Usher von den unterschiedlichen Wünschen, Wahrnehmungen und Geschwindigkeiten bei Jung und Alt. Ihr Zwiegespräch in Mimik und Wort zieht rein ins Bild und lässt uns in die eine wie die andere Rolle schlüpfen. Großflächige Illustrationen wechseln sich ab mit kleinen Szenerien, die die grenzenlose Fantasie des einen und die konzentrierte Beschäftigung des anderen spiegeln. Und dann diese Doppelseiten mit spritzendem Regen vor grau changierenden Hintergrund, rot-blau-orangen Spiegelungen und vereinzelten, schirmbewehrten Passanten! Unsere Empathie wächst, je öfter wir die schemenhafte Gestalt des Jungen hinter dem Fenster entdecken. Und auf einmal reißt der Himmel ein wenig auf, und eine Gondel schiebt sich vorsichtig ins Bild.

Sam Ushers leichter, farbenfroh-heiterer Strich lässt an Quentin Blake denken (und die Physiognomie des Großvaters erst recht). Und tatsächlich gehören Blake, aber auch Hergé, Sempé, Ronald Searle und Emma Chichester Clark zu Ushers Vorbildern. Dieser junge Illustrator macht eindeutig Lust auf weitere Bild-Text-Kreationen und auf Enkel-Großvater-Geschichten, über die er derzeit nachdenkt. Gerne auch in deutscher Übertragung von Meike Blatnik mit ihrem feinen Gespür für Tonalität.

Übrigens: Sam Usher ist mit Regen gerade für die Kate Greenaway Medaille 2017 nominiert worden, die britische Auszeichnung für herausragende Illustration.

Heike Brillmann-Ede

Sam Usher: Regen, Übersetzung: Meike Blatnik, Annette Betz, 2017, 32 Seiten, ab 4 (und jedes Alter!), 14,95 Euro

Die Kunst der cucina italiana

poExkurs. Wer mich kennt, weiß, dass ich es mit Italien habe. Ich habe die Sprache und die Literatur studiert, trashige Fotoromane seziert und übersetze aus dem Italienischen. Ich gehe auch gern italienisch essen. Manchmal koche ich auch italienisch. Kochen ist aber eigentlich nicht so ganz meine Stärke, was aber eher an meiner Stressanfälligkeit liegt und ich dann doch nicht immer die Geduld aufbringe, eine Tomatensoße vier Stunden köcheln zu lassen.

Mag sein, dass sich das demnächst aber mal ändert. Denn mir sind drei ganz wunderbare Kochkompendien ins Haus geflattert, die es eventuell sogar schaffen, mich an den Herd zu treiben.

Il Po widmet sich dem gesamten Verlauf des Flusses Po und der angrenzenden Ebene. Von den Alpen im Westen bis zur Mündung mit den Lagunen im Osten. Autor Michael Langoth erzählt die Geschichten von Parmigiano Reggiano (nicht zu verwechseln mit Grana Padana), Prosciutto, Culatello und Salumi. Er zeigt, was Polenta und Risotto können. Detailliert geht er auf die verschiedenen Kochtechniken ein, so dass die Ausrede, man wüsste nicht, wie es gemacht wird, nicht mehr zieht. Die Rezepte sind am Fuß der Seite mit Fotos der Zutaten versehen – und das auf ungeschönt, ehrlich Art: das liegt dann eben auch das nackte Kaninchen, das mit Rosmarin, Thymian, Sellerie und Knoblauch in Weißwein geschmort wird. Zimperlich darf man hier nicht sein. Dafür wird es garantiert lecker.

venedigReist man vom Po-Delta ein Stück gen Norden, kommt man unweigerlich nach Venedig. In den vergangenen Jahren habe ich einen Bogen um die Stadt gemacht. Zu touristisch, zu Kreuzfahrtschiffverseucht. Doch Venedig. Die Kultrezepte weckt meine Sehnsucht nach dieser Perle. Laura Zavan reichert die fisch- und muschellastigen Rezepte mit Infos über Venedig und seine Stadtviertel an, bietet Rundgänge durch die Gassen, in denen ich immer die Orientierung verloren habe, und verrät, wo es die leckersten Chicheti (die Häppchen zu den Aperitifs), Antipasti, Fische oder Käse gibt. Das sind tausend gute Gründe nach Venedig zu fahren, wie ich feststelle. Tausend gute Gründe, dieses Buch genau zu studieren.

Ebenfalls mit Geschichten, um Trüffel, Artischocken, Meersalz, Grappa, Köche, Züchter, Bauern ist das Fast-Rundum-Werk Bella Italia angereichert.
italiaFast, sage ich, weil doch tatsächlich neun Regionen Italiens in diesem Riesenwerk ausgespart sind – Sardinien und Südtirol beispielsweise. Was ich nicht ganz nachvollziehen kann.
Nichtsdestotrotz sind die vorgestellten Köstlichkeiten so köstlich und Wasser-im-Mund-zusammenlaufen-lassend, dass ich eine Weile brauchen werde, um alle mal durchzuprobieren. Zumal die Fotos einen echt vom Kochen ablenken und zum Träumen bringen – wie bei den beiden anderen Werken auch schon …
Wenn Guy Grossi in der nächsten Saison dann vielleicht noch die fehlenden Regionen nachreicht, vielleicht als Teil 2 überschrieben,  könnte das Werk möglicherweise als Standardkochbuch für ganz Italien durchgehen.

Bis es soweit ist, werde ich mal öfter die Küche aufsuchen – oder gleich nach Italien reisen und mich vor Ort von den Könnern mit den Spezialitäten verwöhnen lassen.

Michael Langoth: Il Po. Kulinarische Impressionen, Edition Styria, 2014, 224 Seiten, 39,99 Euro
Laura Zavan: Venedig – Die KultrezepteAT Verlag, 2014,  272 Seiten, 29,90 Euro
Guy Grossi: Bella Italia. Das Kochbuch, Dorling Kindersley, 2014, 544 Seiten, 49,95 Euro