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Eine herzerwärmende wirbelverstürmte Weihnachtsgeschichte

steinhöfelNormalerweise steige ich in bestehende Serien, die sowieso schon zu den gefeierten Bestsellern gehören, nicht mehr ein. Doch nun konnte ich nicht anders und habe endlich mal eine Lücke in meinem Kinderbuchwissen geschlossen. Und das mit allergrößtem Vergnügen.

In seinem vierten Band der Rico-und-Oskar-Reihe lässt Andreas Steinhöfel nun seinen tiefbegabten Protagonisten Rico die Ereignisse eines Tages erzählen. Doch es ist – wie man sich durch Titel und Schneeflockencover fast denken kann – nicht irgendein Tag, sondern Heiligabend.
In Berlin braut sich an diesem Tag ein ausgewachsener Schneesturm zusammen, dennoch müssen Rico und Oskar trotzdem noch mal raus, um die letzten Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Dabei kommen die beiden Freunde an einem Haus in der Urbanstraße vorbei, das in Rico die Erinnerung an die Erlebnisse vom vergangenen Sommer weckt: In einem vergessenen Hinterhof hat er eine Clique neuer Kinder kennengelernt und festgestellt, dass es ihm immer leichter fällt, Freunde zu finden. Sogar Oskar hat sich mit den neuen Freunden wohlgefühlt. Bis eines Tages sein geliebtes Souvenir aus dem Sommerurlaub verschwand.

Bei diesen bittersüßen Erinnerungen stellt sich im Wintersturm dann erstmal nicht so richtig besinnliche Stimmung ein. Alles wirbelt um Rico herum, seine Bingokugeln im Kopf scheinen schier zu explodieren. Doch in all dem Chaos, das zudem noch in der Dieffe 93 ausbricht, zwischen Weihnachtsbaumgeschleppe, verschwundenen Lebensmitteln und seltsamen Einkäufen, die Oskar tätigt, setzt Rico dann schließlich die entscheidenden Puzzleteile richtig zusammen.

Selbst wenn man – wie ich – die ersten Bände von Steinhöfels Reihe nicht kennt, kann man auch mit dieser Weihnachtsgeschichte ganz wunderbar in Ricos Kosmos einsteigen. Die Bewohner der Dieffe 93 und Ricos sich verändernde Familienkonstellation lernt der Leser auch hier rasch und umfassend kennen, die Hinterhofclique als Neuzugang bringt freche Mädchen ins Spiel, die bei den Jungs zusätzliche vorhormonelle Verwirrung stiften. Die zwei gegensätzlichen Helden, die Intelligenzbestie Oskar und den empathisch hoch begabten Rico, schließt man schon nach den ersten Sätzen ins Herz.
Ganz nebenbei beweisen Rico und Oscar ganz weihnachtsadäquat, was Nächstenliebe heißt und wie wichtig Entschuldigungen und Versöhnungen unter Freunden sind.

Die Leichtigkeit und der überbordende Sprachwitz von Andreas Steinhöfel inklusive Ricos naiv-großartigen Umdeutungen von schwierigen Wortzusammenhängen dürfte den vielen Fans hinlänglich bekannt sein. Ich habe mich so wunderbar unterhalten und sprachlich inspiriert gefühlt, dass ich die Vorgängerbände nun auch noch lesen muss, um diesen Genuss noch zu verlängern.

Kleinen Leser_innen dürften Ricos und Oskars Abenteuer gerade in der Vorweihnachtszeit jede Menge Spaß am Lesen vermitteln. Und damit hat Andreas Steinhöfel unter dem Aspekt der Leseförderung, die neulich auf der Jahrestagung der Bücherfrauen als eine wichtige Komponente unserer Gesellschaft angemahnt wurde, mal wieder alles richtig gemacht.

Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und das Vomhimmelhoch, Carlsen, 2017, 272 Seiten, ab 10, 14,99 Euro

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Das Leben in Bildern

babySo unterschiedlich Bilderbücher auch sind, manchmal kann man sie in einen Zusammenhang stellen. Bei diesen vier tut sich beispielsweise die ganze Bandbreite unseres Lebens auf.

Auftakt liefert das Buch von Anna Herzog, Ein Baby in Mamas Bauch, das klassisch-knuffig von Joelle Tourlonias illustriert ist. Die Zwillinge Mia und Oskar bekommen ein Geschwister. Diese umwerfende Neuigkeit nutzen die beiden Kindergartenkinder, um jede Menge Fragen zu stellen, wie das mit Babys und ihrer Herstellung eigentlich so ist. Auch so „eklige“(O-Ton Mia) Sachen wie knutschen und „sexen“ kommen ganz offen zur Sprache, dazu die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, was es mit den Hormonen auf sich hat, ob eine Gebärmutter platzen kann und wie das Baby schließlich auf die Welt kommt.
Die fiktive Geschichte wird durch Kästen mit Sach-Information bereichert, in denen anatomische Details, Entwicklung des Babys oder die Entstehung von Zwillingen erklärt werden. Die Erläuterungen sind so dicht an der Lebenswelt von Kindern, dass diese wie selbstverständlich an so geheimnisvolle Vorgänge wie Zeugung, Schwangerschaft und Geburt herangeführt werden. Mit so einem liebevollen und schön anzusehenden Aufklärungsbuch wird die Ankunft des neues Familienmitglieds für alle ein Fest.

bus

Dass das Leben dann später nicht immer rund läuft, davon berichten Stefanie Harjes und Marjaleena Lembcke in Der Bus mit den eckigen Rädern.

Ein Konstruktionsfehler in der Fabrik führt dazu, dass der neue Bus eckige Räder hat. Damit kann er natürlich nicht im Linienverkehr eingesetzt werden. Traurig macht sich der Bus auf den Weg – und sammelt mit der Zeit doch Menschen ein, die sich auf seinen bequemen Sitzen niederlassen: eine alte Dame, die wehmütig auf ihr Leben zurückblickt, ein alter Mann, der überprüfen möchte, ob das Rote Meer wirklich rot ist, ein Junge, der in Alaska Lachse angeln will, ein Mädchen auf dem Weg zum Tanz, ein streitendes Ehepaar, ein Priester, der keine Gemeinde mehr hat. Im Bus werden sie für eine kurze Zeit zu Schicksalsgenossen, die ihrem Ziel immer näher kommen.

Stefanie Harjes illustriert die Lebensreise im holprigen Bus mit Collagen, in denen Bleistiftzeichnungen auf Fotos, Kartenmaterial, Wortschnipsel, Stempelabdrücke und bunte Farben zusammentreffen. Ziegen haben Kinderköpfe, Schnecken schlafen auf Baumstümpfen, die Tasche der alten Frau ist größer als sie selbst. Vieles ist rätselhaft, wie das Leben eben so ist, und dadurch sehr faszinierend. Jeder Betrachter wird eigene Assoziationen und Verbindungen haben, in die Bilder eigene Geschichten hineindenken.

unfall

Einen traurigen Teil im Leben schildert das psychologische Bilderbuch Papas Unfall vom Atelier artig. Zunächst lernt man eine ganz normale vierköpfige Familie kennen, die immer etwas Neues unternimmt, schwimmen geht, Rad oder Schlitten fährt. Alles ändert sich, als Papa eines Tages mit dem Motorrad verunglückt und danach nicht mehr laufen kann. Er liegt lange im Krankenhaus, ist traurig und kann nicht richtig sprechen. Mama organisiert das Leben neu, sucht sich einen neuen Job, kümmert sich um Papa, schafft ein Krankenbett ins Wohnzimmer. Die Schwestern sind jetzt zwar mehr mit Oma zusammen, doch sie merken genau, wie traurig alles ist.

Wut und Trauer herrschen in dieser Geschichte zwar vor, aber die Kinder begreifen, dass es Gründe dafür gibt. Für Familien, die Ähnliches erlebt haben, bietet dieses Bilderbuch Identifikation und Hoffnung, denn mit der Zeit gewöhnen sich alle an dieses neue Leben, das zwar anders ist, aber dennoch Alternativen und schließlich auch schöne Momente bieten kann.

bär

Von solchen Momenten, schönen wie schlimmen, könnte man dann Geschichten erzählen. So wie der Bär. Doch der hat sich leider den falschen Zeitpunkt zum Erzählen ausgesucht, denn so kurz vor dem Winter haben Maus, Ente, Frosch und Maulwurf Wichtigeres zu tun, als Bär zuzuhören. Und so fallen die ersten Schneeflocken und Bär legt sich schlafen.
Im Frühling versammeln sich dann die Freunde alle wieder um Bär und haben endlich Zeit, die Geschichte zu hören …

Erin Stead hat die Geschichte Als Bär erzählen wollte von Philip Stead mit duftigen Aquarellen und zarten Bleistiftstrichen illustriert und dabei ganz viel Weißraum gelassen, so dass eine poetische Leichtigkeit die Szenerie bestimmt. Der Zusammenhalt der Freunde und ihre Aufmunterung von Bär am Ende zeigen, dass Freundschaft auch dann hält, wenn man einmal keine Zeit für den anderen hat oder sich lange nicht sieht. Die entzückende Abschlusspointe kann ich hier natürlich nicht verraten …

Ein abschließende Bitte hätte ich an die Illustratoren da draußen: Hier kommen in drei von vier Büchern alte Damen und Großmütter vor. Die Darstellung mit Kopftuch, Dutt und Puschen mag ja ganz heimelig und liebenswert sein, aber ich kenne heute keine Großmütter mehr, die so antiquiert herumlaufen. Es ist an der Zeit mal ein neues Großmutterbild zu entwickeln, würde ich sagen …

Anna Herzog: Ein Baby im Mamas Bauch, Illustration: Joelle Tourlonias, Sauerländer, 2015, 40 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

Marjaleena Lembcke: Der Bus mit den eckigen Rädern, Illustration: Stefanie Harjes,
Ravensburger, 2015, 32 S.  ab 6, 15,99 Euro

Achim Kirsch: Papas Unfall, Balance Buch + medien, 2015, 40 Seiten, ab 4, 14,95 Euro

Philip Stead: Als Bär erzählen wollte, Übersetzung: Uwe-Michael Gutzschhahn,   Illustration: Erin A. Stead, Sauerländer, 2015, 32 Seiten, ab 4, 14,99 Euro

 

 

Es begab sich aber zu der Zeit …

adventNeulich durfte ich im Hamburger Literaturhaus eine ganz besondere Lesung erleben. In der Reihe „Spaß mit Büchern“ las Autorin Ilona Einwohlt aus ihrem neuen Kinderbuch Advent, Advent, die Bude brennt vor etwa 60 Erst- und Zweitklässlern.
Wer jetzt denkt, dass das eine ohrenbetäubende Veranstaltung gewesen sein muss, kennt Hamburger Schulkinder nicht. Aufmerksam, gespannt schauend, mitfiebernd lauschten sie Ilona Einwohlt, die von Lucas nervenaufreibenden Erlebnissen in der Vorweihnachtszeit berichtete.

Beim 10-jährigen Erzähler geht es nämlich alles andere als besinnlich zu. Lucas chaotische Mutter, die nach der Trennung vom Mann, endlich mal alles richtig machen möchte, fackelt aus reiner Schusseligkeit die Wohnung ab. Hochschwanger muss sie sich nun mit Luca und seiner großen Schwester sowie dem fast federlosen Papagei Bruder Jakob, der sämtliche Weihnachtslieder trällern kann, auf die Suche nach einer Unterkunft machen. Im Nobelhotel fühlen die drei sich allerdings nicht besonders wohl, bei Mamas Freundin Maria ist es zu eng, bei der Oma zu laut, bei der Tante zu aufgeräumt. Ein rundlicher Taxifahrer, der – hohoho – ganz erstaunlich an den Weihnachtsmann erinnert, fährt die Familie von einer Unterkunft in die nächste. Doch schließlich finden Lucas muslimische Freunde Mayla und Ibi eine Lösung, wo die Wohnungslosen unterkommen können …

Ilona Einwohlts Adventsgeschichte ist ein großer Spaß, inhaltlich wie sprachlich. Sie vereint alle Ingredienzien, die christlich geprägte Menschen aus der biblischen Weihnachtsgeschichte kennen: eine Hochschwangere, die Suche nach einer Unterkunft, wenig christliche Mitmenschen. Dass die Rettung von muslimischer Seite kommt, ist in unseren schwierigen Zeiten mit unzähligen Flüchtlingen und immer noch andauernden und anwachsenden Ressentiments und Vorurteilen ein wichtiges Zeichen.
Für die Kinder im Roman ist es  – ganz im Sinne Lessings  – völlig unerheblich, welcher Religion man angehört. Ibi formuliert es so: „Mayla denkt, sie muss sich zwischen Allah und Gott entscheiden […]. Erklär du ihr mal, dass der ein und derselbe ist und dass es völlig egal ist, zu wem sie betet. Hauptsache, sie glaubt an irgendwen.“ Klarer kann man die Verbindung von Christentum und Islam wohl kaum auf den Punkt bringen.

Die Kinder im Literaturhaus waren eine multikulturell-globalisierte Truppe, die diese Sätze mit aller Selbstverständlichkeit und Lässigkeit akzeptierten. Von Aufregung oder Unverständnis keine Spur. Die Freundschaft zwischen Luca, Mayla und Ibi im Roman ist wichtiger als jede kleinkrämerische Unterscheidung, wer Weihnachten feiern kann, darf oder nicht. Sie feiern. Alle. Und zwar zusammen. Und genau das sollten auch die Erwachsenen. Die Kinder machen vor, wie einfach das ist.

Ilona Einwohlts Advent, Advent, die Bude brennt hat für mich das Zeug zum weihnachtlichen Dauerbre … äh … Longseller.

Ilona Einwohlt: Advent, Advent, die Bude brennt. Die Weihnachtsgeschichte nach Luca, Illustration: Tine Schulz, Klett Kinderbuch Verlag, 2015, 128 Seiten, ab 8, 12,95 Euro

Ein besonderes Kind

downBaby…glück, diese beiden Worte werden oft in einem Atemzug genannt. Doch für Fabien wandelt sich die Freude auf die zweite Tochter zunächst in ein großes Unglück.

In seiner autobiografischen Graphic Novel Dich hätte ich mir anders vorgestellt …, aus dem Französischen feinfühlig übersetzt von Annika Wisniewski, schildert Fabien Toulmé die Schwangerschaft seiner Frau. Der junge Vater wird von der Angst gepeinigt, dass seine Tochter den Gendefekt Trisomie 21 haben könnte. Doch alle Untersuchungen sind unauffällig, keiner der Ärzte entdeckt etwas Ungewöhnliches. Umso größer ist der Schock für Fabien, als seine Tochter nach der Geburt so merkwürdig aussieht und die Ärzte einen schweren Herzfehler feststellen. Seine Befürchtungen werden wahr.

Mit klarem Strich und monochrom unterschiedlich eingefärbten Kapiteln schildert Toulmé seine wechselnden Gefühlslagen. Auch ohne selbst Mutter zu sein, dafür aber als leidenschaftliche Tante, kann ich seine Befürchtungen, seine anfängliche Ablehnung, seine Enttäuschung, seine Zukunftsangst sehr gut nachvollziehen. Unsere Gesellschaft geht nicht gerade liebe- und rücksichtsvoll mit Menschen um, die nicht den angeblichen Normen entsprechen. Anderssein belastet nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Angehörigen, die ihr Leben neu regeln müssen und sich Unverständnis, ungerechtfertigten Schuldzuweisungen und Ablehnung gegenüber sehen.
Toulmé zeigt die ganze Bandbreite dessen, was Eltern von Down-Kindern erleben: unfähige Ärzte, gleichgültiges Pflegepersonal, den Marathon an Untersuchungen, die Herz-OP, die paramedizinische Betreuung. Das ist durchaus nicht leicht, doch die kleine Julia erobert mehr und mehr das Herz von Fabien. Auch merkt er durch Gespräche mit anderen Eltern von Down-Kindern, dass das Leben nicht zu Ende ist, sondern ihm da ein ganz besonderes Kind anvertraut wurde. Seine Liebe zu Julia wird offensichtlich, als die schwierige Herz-OP ansteht und er zusammen mit seiner Frau um dieses Kind bangt.

Diese Graphic Novel, die so schonungslos die Ängste von Eltern wiedergibt und die Schwächen des Medizinbetriebs aufzeigt, macht dabei so viel Mut und Hoffnung, dass einem das Herz aufgeht. Das Leben ist eben nicht bis ins Letzte planbar, was wir in unserer durchorganisierten Zeit oftmals vergessen. Aber trotz aller Wendungen ist es oftmals wunderschön, selbst mit einem zusätzlichen Gen.

Fabien Toulmé: Dich hatte ich mir anders vorgestellt … Übersetzung: Annika Wisniewski, avant-verlag, 2015, 248 Seiten, 24,95 Euro

Irrfahrt ins Leben

babyTeenage-Mütter sind mittlerweile ein fester Bestandteil von Literatur, Film und TV-Formaten. Teenage-Väter hingegen kommen zumeist nur am Rande vor, wenn überhaupt.
Einen Kontrapunkt setzt nun der junge Amerikaner Emil Ostrovski mit seinem packenden Romandebüt Wo ein bisschen Zeit ist …, ins Deutsche gebracht von Thomas Gunkel.

An seinem achtzehnten Geburtstag erhält Jack einen Anruf von seiner Ex-Freundin Jess, gerade als er sich mit dem Gedanken trägt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Sie bekomme gleich einen Sohn, den sie zur Adoption freigeben wird. Jack eilt zu ihr ins Krankenhaus, und als er seinen Sohn dann mal halten darf, brennt bei ihm so etwas wie ein Sicherung durch – vielleicht könnte man es auch den Ausbruch von ersten Vatergefühlen nennen – jedenfalls nimmt Jack das Baby einfach mit. Er will es nicht sofort den Adoptiveltern übergeben. Warum weiß er eigentlich auch nicht.
Es folgt eine Odyssee durch ein Kleinstadt-Amerika. Jack fängt dabei an, seinem Sohn, den er kurzerhand Sokrates kauft, das Leben und die Philosophie zu erklären. Er erzählt von Troja, der Unendlichkeit, zweifelt am freien Willen.
Da Jack mit dem Baby aber allein nicht wirklich weiterkommt, holt er seinen besten Freund Tommy dazu, später auch noch Jess. Gemeinsam flüchten sie vor der Polizei, kämpfen mit einem nur Deutsch sprechenden Navi, „leihen“ sich eine Yacht, werden seekrank und fahren  zu Jacks uralten, dementen Oma, um ihr den Urenkel vorzustellen. Jack besteht darauf, fühlt es sich so doch wie eine Verabschiedung von Oma und Sohn an.

Ostrovskis Roman ist eine Geschichte, die auf verschiedenen Ebenen berührt. Ein leicht depressiver Jugendlicher schnappt sich einen Neugeborenen, ohne zu wissen, welche Bedürfnisse dieser kleine Mensch eigentlich hat. Als Leser leidet man auf der Stelle mit dem Baby mit, ist es doch den Launen seines unerfahrenen Vaters ausgesetzt ist. Doch Jack wächst mit seinen Aufgaben, besorgt Windeln, Strampler, Babymilch, Kindersitz …
Neben dem Mitgefühl für das Baby reizen Jacks Trotteligkeit und die Situationskomik die Lachmuskeln. Seine philosophischen Monologe mit Sokrates liefern zusätzlichen Input, der nachdenklich macht und anregt, über das Leben an sich, Bindungen, Liebe, Freundschaft, Geburt und Tod nachzusinnen. Drunter macht es Ostrovski nicht.
Und das macht er leichtfüßig und charmant, auch Dank der Übersetzung von Thomas Dunkel. All dies erspart dem Leser jedoch eine erneute Lektüre nicht, denn die philosophischen Gedankengänge haben es in sich und können wieder und wieder gelesen werden. Hier findet (vermutlich) jeder etwas für seine ganz persönliche Lebenssituation. Aber das ist ja das Großartige an der Philosophie, so kompliziert sie erscheint, so bereichernd ist sie – für jeden. Und genau das gilt für diese oberflächlich betrachtet komische Vater-Sohn-Geschichte: In der Tiefe des Textes findet man das, was unser Dasein lebens- und liebenswert macht – nämlich die vielfältigen Beziehung zu anderen Menschen, seien es die Eltern, Großeltern, Kinder, Freunde oder Partner.

Mit dieser jugendlich-philosophischen Irrfahrt feiert Ostrovski  das Leben auf allerschönste Art.

Emil Ostrovski: Wo ein bisschen Zeit ist …, Übersetzung: Thomas Gunkel, Fischer FJB, 2014, 304 Seiten, 16,99 Euro