Archiv des Autors: Elke von Berkholz

Aufrechte Normannin

Troumesnil, ein Badeort in der Normandie, berühmt für seinen Strand, seine Steilküste und den großen Fischmarkt. Und von dem erschallt gleich auf der ersten Seite der Ruf: »Fische. Schöne frische Fische!!!« und die Replik »Sag mal, willst du damit sagen, dass unsere nicht frisch sind?!«
Eine Kabbelei unter lokalen Fischhändlern – mit diesem netten Asterix-Zitat beginnt der französische Comiczeichner und Autor Bruno Duhamel seine vielschichtige Heldinnengeschichte Niemals. Es hätte auch beginnen können: »Wir schreiben das Jahr 2019. Die ganze Normandie ist von Galliern besetzt. Die ganze Normandie? Nein, eine aufrichtige Normannin hört nicht auf, den übergriffigen Obrigkeiten Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für den scheinheiligen Bürgermeister, tumbe Dorfpolizisten und gehässige Ortsansässige.«

Häuser wortwörtlich über die Klippe gegangen

Die wollen nämlich Madeleine aus ihrem Häuschen an der Steilküste vertreiben, wo die Witwe mit ihrem Kater Balthazar wohnt. Tatsächlich sind schon einige Häuser durch klimabedingte Erosion wortwörtlich über die Klippe gegangen. Und auch bei Madeleine sind nicht nur die Hortensien im Garten bereits weggebröselt und müssen trotz der anhaltenden Trockenheit nicht mehr gegossen werden.
Madeleine ist von Geburt an blind, aber nicht blöd, wie sie ihren ignoranten Gegnern immer wieder beweist. Der Bürgermeister würde sie gern im örtlichen Altenheim unterbringen, dort sei gerade ein Zimmer frei geworden, »mit Meerblick«. Eine gedankenlose Frechheit, die nur zu deutlich zeigt, wie rücksichtlos und unsensibel mit alten Menschen und ihren Bedürfnissen umgegangen wird. Dem Bürgermeister geht es nur darum, nicht haften zu müssen, falls seine Bürgerin verunglückt. Madeleine aber lässt sich nicht einschüchtern – im Gegenteil, die kuriose Heldin hat ausgesprochen schlagkräftige Argumente.

Ein Heim voller Erinnerungen

Tatsächlich besucht sie sogar die sogenannte Seniorenresidenz, von Madeleine Todeslager genannt, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Die Heimleiterin faselt bei der Besichtigungstour von Bild machen, immer einen Blick werfen, nicht zu vergessen der Meerblick, weshalb das Zimmer teurer ist – wahrscheinlich ist Madeleine diese visuell fixierte Sichtweise der Welt schon gewöhnt. Doch spätestens beim Verbot von Haustieren ist klar: sie wird ihr Haus niemals verlassen.
Ihr Haus steckt voller Erinnerungen an ihren Mann, den Fischer Jules, der oft tagelang auf stürmischer See war. Und eines Tages nicht mehr zurückgekehrt ist. Hier kennt und findet sie alles, jeder Handgriff sitzt, sie kann sich und den Kater perfekt selbst versorgen, kocht, spült, hört TV-Dramen und alte Platten – und Kassetten, die Jules für sie besprochen hat, wenn er auf See war. Ein Heim voller vertrauter Gerüche und Geräusche, umgeben vom Rauschen des Atlantiks.

Bildgewaltiger Traum von stürmischer See und vom Warten

Geradezu filmisch und bildgewaltig ist die doppelseitige Illustration eines Traums, den Madeleine wahrscheinlich wiederholt träumt, mit Unwetter, Blitzen, Gewitter, riesigen Kawensmännern, kontrastreich gezeichnet. Und dazwischen immer wieder Madeleine, erst als junge Frau, dann älter, wie sie am Quai auf Jules‘ Rückkehr wartet. Und dann eines Nachts ein Anruf …
Optisch entzückend ist auch Madeleines solider Kater, der sehr treffend in seinem katzenhaften Verhalten und typischen Posen dargestellt wird – Bruno Duhamel kennt sich offensichtlich mit felinen Wesen aus.

Der Schwarze trickst die Blinde aus

Nur der neue Chef der Berufsfeuerwehr kommt an Madeleine heran – mit einem wirklich witzigen Trick: »Madeleine? Erkennen Sie meine Stimme? Ich bin allein. Ich komme rein, um zu reden, nur zu reden … Sind Sie einverstanden? Sie tun mir nichts, ja? Los, Madeleine, sonst sage ich allen, es ist nur, weil ich schwarz bin! Egal, ob Sie blind sind!«
Madeleine lässt ihn tatsächlich rein, trinkt mit ihm echten Fischerfusel, richtigen Racheputz aus Jules‘ Vorräten – und öffnet ihm die Augen. Sie ist weder senil noch verkennt sie die harte Realität, dass ihr geliebter Mann sich schon lange »die Meeresfrüchte von unten betrachtet«. Und dass die Steilküste schon so weit zerstört ist, dass ihr Garten verschwunden und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch ihr Haus ins Meer stürzt. Madeleine ist eine aufrechte Normannin. Bewundernswert, wie die zierliche, weißhaarige Frau auf ihren hochhackigen, roten Schuhen energisch durch die Gegend schreitet. Und ihr Haus und das Recht, darin wohnen bleiben zu dürfen, verteidigt. Der raue Charme der Normandie.

Angst, dass einem ein Bunker auf den Kopf fällt

Bruno Duhamel ist ein echtes Kunststück gelungen: In Niemals thematisiert er Behinderung, Alterseinsamkeit, Diskriminierung und die Folgen des Klimawandels witzig, elegant, intelligent und leichtfüßig. Charmant von Lilian Pithan übersetzt, mit treffenden und zeitlos guten Begriffen wie »bescheuert«. Und die Assoziationen zum anderen großen französischen Comichelden und Freiheitskämpfer kommen auch nicht von ungefähr.
Klimawandel, das ist die Zeit, wo man weniger Angst haben muss, dass einem der Himmel, sondern eher ein Haus oder gleich ein ganzer Bunker am Strand auf den Kopf fällt. Madeleine, die schon viel erlebt hat und alle Veränderungen wahrnimmt, ist wahrlich nicht auf den Kopf gefallen.

Bruno Duhamel: Niemals, Übersetzung: Lilian Pithan, avant Verlag, 2021, 64 Seiten, 20 Euro, ab 14

Unendliche Weiten

star trek

taH oagh taHbe‘ – Sein oder nicht sein »Sie werden Shakespeare erst wirklich genießen, wenn Sie ihn im klingonischen Original lesen«, erklärt der klingonische Kanzler Gorkon. Das ist nur eine der skurrilen Literaturverweise, die der Philosoph und Hegel-Experte Klaus Vieweg in seinem leichtfüßigen Essayband To beam or not to beam? – Die Literatur in Star Trek aufdeckt.
Shakespeare hat es Gene Roddenberry, dem Schöpfer der Science Fiction Serie Star Trek, die bei uns anfangs unter dem Titel Raumschiff Enterprise im Fernsehen lief, besonders angetan. Der Film Das unentdeckte Land ist geradezu ein Shakespeare Best of, vor allem der Rachedramen, von Hamlet über Julius Cäsar und dem Kaufmann von Venedig bis zu den blutigen Schlachtenepen Heinrich IV. und V. Dass unter den Gummimasken der Klingonen virtuose Shakespeare-Darsteller steckten und sowohl Leonard Nimoy als Spock als auch William Shatner als Captain James Kirk Kenner und Liebhaber des genialen Dramatikers waren, befeuerte die Dialoge aufs Schönste und katapultiert die vermeintlich trashige Serie auf ein ungeahntes Niveau.

Weltliteratur im Schlafanzug vor Sperrholzkulissen

Klaus Vieweg ist nicht nur Philosoph und Literaturkenner. Er ist auch Fan, vor allem der ersten Staffel der Serie, dem Original, als die Darsteller, alle anfangs keine Stars, eher die zweite und dritte Schauspielgarde, in schlafanzugartigen Uniformen vor billigen Sperrholzkulissen agierten. Was zählte, war die Geschichte, die Charaktere und die Dialoge. Und da schöpfte Gene Roddenberry aus den Vollen der Weltliteratur, wie Vieweg höchst unterhaltsam darlegt. Roddenberry war Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg. Als Polizeioffizier beriet er nebenbei Macher von Krimiserien – und kam so zum Fernsehen.

Russen, Japaner, Vulkanier und schwarze Offizierin

Inzwischen selbst hauptberuflich Drehbuchautor erhielt er den Auftrag für eine Science-Fiction-Serie. Roddenberry setzte bei den Reisen des Raumschiffs durch die unendlichen Weiten des Weltraums auf Völkerverständigung. Das zeigte sich nicht nur in der Besatzung der Enterprise mit Russen, Japanern, Vulkaniern und einer schwarzen Frau als Offizierin. Seine Chefs aber wollten eine Art Western im Weltraum. Und deshalb musste Roddenberry seine Mission mit einer Art Guerilla Taktik verfolgen.

Von Aristophanes bis Zweig

Zwar hieß Captain Kirk nicht wie ursprünglich geplant Gulliver. Aber Jonathan Swifts Gullivers Reisen sind nur ein kleiner Teil der vielschichtigen und subversiven Anspielungen, die Roddenberry raffiniert in der von 1965 bis 1969 ausgestrahlten ersten Staffel versteckt hat. Und es macht Vieweg einen Riesenspaß, diese Fülle an Zitaten aufzudecken und zu entschlüsseln. Die reichen von Aristophanes‘ Komödien über Motive aus Moby Dick, Dr. Jekyll und Mr. Hyde und Alice im Wunderland bis zu Stefan Zweigs Schachnovelle. Letztere steht für eine gesunde Skepsis gegenüber Künstlicher Intelligenz, ausgerechnet durch den superrationalen Analytiker Spock.

Konsequent für Freiheit und Gerechtigkeit

Natürlich kommen auch Science Fiction und dystopische Klassiker vor wie George Orwells 1984 und Ray Bradburys Fahreinheit 451. Intelligente Manipulatoren und charismatische Egomaninnen, gebildete Ausbeuter, verkappte Rassisten und eloquente Kriegstreiber,  – Captain Kirk & Co lassen sich zwar durchaus anfangs täuschen und wähnen sich auch mal in Wolkenkuckucksheim. Letztlich durchschauen sie aber jedes böse Spiel und setzten sich konsequent für Freiheit und Gerechtigkeit ein. Oder wie es am Ende einer Folge heißt: »Die Stärke einer Zivilisation wird nicht gemessen an ihrer Fähigkeit, Kriege zu führen, sondern vielmehr an ihrer Fähigkeit, sie zu vermeiden.«
Übrigens war Star Trek anfangs eher ein Flop und wurde zunächst ausgerechnet im Jahr der Mondlandung abgesetzt. Doch über Wiederausstrahlungen der 79 ersten Episoden bei kleinen Sendern wurden diese ersten drei Staffeln Kult. Der Rest ist Geschichte, in mittlerweile gut 700 Teilen.

Mitreißend und sympathisch unprätentiös

Serien gibt es heute jederzeit und überall en masse. Das meiste ist bestenfalls unterhaltsam, selten tiefsinnig und nur ausnahmsweise klug. Umso ansteckender ist Viewegs Begeisterung für Star Trek. Seine Essays kommen so sympathisch unprätentiös daher wie das Taschenbuch in Aufmachung und Optik. Die Illustrationen von Tochter Olivia Vieweg erinnern auf den ersten Blick an ein Comic für Kinder und sind nett subtile Cartoons. To beam or not to beam? bringt einen nicht nur dazu, die originalen Abenteuer der Enterprise wiederzuentdecken. Sondern auch in die unendlichen Weiten der Literatur zu reisen.

Klaus Vieweg: To beam or not to beam? – Die Literatur in Star Trek, Illustration: Olivia Vieweg, Cross Cult, 224 Seiten, 14 Euro, ab 16 Jahre

Ich wollt‘, ich hätt‘ ein Huhn

Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn
Ich hätt‘ nicht viel zu tun
Ich legte jeden Vormittag ein Ei
Und abends hätt ich frei

Ich müsste nie mehr ins Büro
Ich wäre dämlich aber froh«
Die Comedian Harmonists in allen Ehren, aber da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt (um mal ein genauso schräges und falsches Tierbild zu bemühen).
Hühner sind nämlich überhaupt nicht dämlich, wie das geniale Sachbuch Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn – Wissenswertes über unser liebstes Federvieh von Barbara Sandri und Francesco Giubbilini und der Illustratorin Camilla Pintonato zeigt. (Über das bescheuerte Wort dämlich, insbesondere im Vergleich mit herrlich, können wir uns bei nächster Gelegenheit unterhalten.)

Logisch denken und Rundumblick

»Das Gehirn eines Huhns ist zwar klein, verfügt aber über mehr Neuronen als das vieler Säugetiere und sogar mancher Primaten. Hühner können logisch denken und haben erstaunliche kognitive Fähigkeiten. Mit etwas Übung können sie Hindernisläufe absolvieren, Gleichgewichtsübungen machen, kegeln und sogar Klavier spielen.« Das sind nur ein paar von vielen faszinierenden Fakten in diesem fabelhaft illustrierten Kompendium.
Hühner können zudem sehr gut sehen und haben ein Gesichtsfeld von 300 Grad, also fast einen Rundumblick, wir Menschen schaffen nur den halben Kreis von 180 Grad. Als Fluchttier kann das Huhn in verschiedene Richtungen schauen, also den Regenwurm am Boden fixieren und den Himmel wegen Raubvögeln im Auge behalten.

Gurren und Schnurren

Obwohl sie nicht so gut hören, wissen sie klassische Musik zu schätzen und kommunizieren mit unterschiedlichen Lauten über Leckerbissen oder Gefahr. Wenn sie entspannt sind, gurren sie leise, so wie Katzen schnurren.
Die besonderen Vögel können aufgrund ihrer sympathischen Ausstrahlung als Therapietiere Menschen mit psychischen und emotionalen Problemen helfen. Sie sind sogar »Emotional Support Animals«, also Trosttiere, die zum Beispiel bei Flugangst beruhigend wirken. Hühner sind übrigens selbst keine so guten Flieger, bei Gefahr bleibt’s beim Aufflattern über kurze Distanz, Langstreckenflüge sind nicht so ihr Ding.

Zitronengelb bis fast Schwarz

Hühner sind ungeheuer vielfältig in Farbe, Größe, Temperament, Federkleid, Kamm und Füßen. Auch gleicht kein Ei dem anderen. Camilla Pintonato macht schon das Vorsatzpapier zum Hingucker mit 40 verschiedenen Eiern von Zitronengelb über Himmelblau und Rotbraun bis fast Schwarz. Anatomie, Färbungen, Gefieder, Entwicklungsstadien von der befruchteten Keimscheibe zum Huhn oder Hahn, die 5000 Jahre alte Geschichte von Mensch und Huhn – jede Seite ist auch optisch ein Genuss. Krönender Schluss sind die kunstvollen Tableaus zu verschiedenen Hühnerrassen, darunter Teufelshühner, pechschwarze Vögel auf Sumatra und Java, flauschige Federkugeln, Antwerpener Bartzwerge und zierlich elegante Adelige aus England.

Als Eierlegeapparate missbraucht

Sogar die Doppelseite mit fiesen Parasiten und Keimen wie Hühnerlaus und rote Vogelmilbe, die Hühner richtig krank machen können, ist sehenswert. Wenn Hühner glücklich und gut umsorgt leben, werden sie durchschnittlich acht Jahre alt, manche sogar 20 Jahre. Umso trauriger ist es, dass das den wenigsten Hühner vergönnt ist, weil sie als Eierlegeapparate missbraucht und ausgebeutet werden. Oder zum Verzehr gemästet und nach wenigen Monaten geschlachtet.

Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei?

Auch die alte Menschheitsfrage wird beantwortet: Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Dem Huhn ist es wahrscheinlich schnurzpiepe, aber die absolut logische und wissenschaftlich begründete Antwort lautet … Ha, das wird hier natürlich nicht verraten! Das kann jeder selbst nachlesen in diesem entzückenden Buch. Dessen Titel auch lauten könnte »Ich wollt‘, ich hätt‘ ein Huhn«.

Barbara Sandri/Francesco Giubbilini: Ich wollt‘, ich wär‘ ein Huhn – Wissenswertes über unser liebstes Federvieh, Illustrationen: Camilla Pintonato, Übersetzung: Christina Gauglitz, Kleine Gestalten, 72 Seiten, 19,90 Euro, ab 7 Jahre

Kluge Kämpferinnen

Abendliche Plauderei vor einiger Zeit mit einer jungen, früheren Kollegin, die ein Philosophiestudium begonnen hat: »Gibt es gar keine Philosophinnen?«, überlegt sie laut. Mir fällt spontan Hannah Arendt ein. Obwohl ich kaum etwas über die streitbare und kluge Frau wusste. Damals hatte ich noch nicht Ken Krimsteins grandiose Graphic Novel Die drei Leben der Hannah Arendt gelesen.
Vielleicht noch Simone de Beauvoir? Aber war das nicht eher eine Feministin und Schriftstellerin? Genau solche Überlegungen machen das von Rebecca Buxton und Lisa Whiting herausgegebene Kompendium Philosophinnen – Von Hypatia bis Angela Davis: Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte so spannend und wichtig.

Nie »nur« Philosophinnen

Natürlich sind die 20 in diesem, auch optisch sehr attraktiven Band vorgestellten Frauen alle Philosophinnen. Aber nie »nur« Philosophinnen. Sie alle, vom alten Griechenland bis in die Gegenwart, vereint etwas sehr Handfestes, Praktisches, Lebensnahes und Kämpferisches. Das zeigen die komprimierten, vielschichtigen, teils sehr anspruchsvollen, doch immer gut lesbaren und flüssig übersetzten Porträts, geschrieben von 20 Gegenwartsphilosophinnen. Im Gegensatz zu den oft sehr abgehobenen und realitätsfernen, männlichen Kollegen, die eher dem Klischee des verkopften Geisteswissenschaftlers in seinem Elfenbeinturm entsprechen.

Für ihren Intellekt respektiert und bewundert

Schon Hypatia, die im antiken Griechenland circa von 350 bis 415 n. Chr. gelebt hat, war außergewöhnlich vielseitig: Sie war Mathematikerin (von wegen Mädchen können kein Mathe, ihr Vater Theon unterrichtete sie von klein auf und schon bald stellte sie ihn in den Schatten, wie Quellen belegen), Astronomin und Philosophin, außerdem versiert in Rhetorik und Dialektik. Hypatia unterrichtete in Klassenzimmern und auf öffentlichen Plätzen die Lehren Platons, Aristoteles‘ und anderer Philosophen. Sie wurde bewundert von ihren Studenten, war eine charismatische Rednerin und für ihren Intellekt respektiert.

Von Gegnern gefürchtet und brutalst ermordet

Skurril ist die Anekdote, wie Hypatia sich eines besonders hartnäckigen Verehrers erwehrt hat. Nachdem es ihr nicht gelang, den jungen, schmachtenden Mann mit stundenlangem Musizieren abzuwimmeln, »zog sie ein mit Menstruationsblut verschmiertes Tuch hervor, das sie dem jungen Mann unter die Nase hielt und ihm erklärte, es sei nur ihre Lust, die er begehrte, und diese sei in ihrer Schönheit nicht annähernd vergleichbar mit ihrem Intellekt und dem Wunder der Philosophie.«
Außerdem war Hypatia eine kluge politische Ratgeberin und setzte sich sehr für das Gemeinwohl ein. Vor allem Orestes schätzte ihre Unterstützung so sehr, dass sie von Schergen seines Gegners brutalst gefoltert und ermordet wurde. Bis dahin galten Philosoph:innen als unantastbare Figuren des öffentlichen Lebens. Nicht nur die Stadt Alexandria stand damals unter Schock. Es dauerte Jahrhunderte bis erneut Philosophinnen auf den Plan traten.

Durch die Lehre vom Sinn des Lebens dem Leben Sinn geben

Was bereits Hypatia auszeichnete gilt auch für die herausragenden Frauen, die ihr folgten: Sie sind Feministinnen, Schriftstellerinnen, Aktivistinnen und Kämpferinnen. Philosophie ist die Lehre vom Sinn des Lebens. Und das bedeutet für Frauen auch dem Leben Sinn zu geben und durch kluges Handeln die Welt zu verändern. Hannah Arendt bezeichnete sich selbst nie als Philosophin – sondern als politische Denkerin. Eines ihrer großen, viel zu wenig beachteten Themen war, auch aufgrund persönlicher Erfahrung, der Status von Geflüchteten und Staatenlosen. Arendt sagt, dass jeder »das Recht hat, Rechte zu haben.«

Philosophie nicht nur Selbst(darstellungs)zweck

Eine der interessantesten Philosophinnen ist die von Ellie Robson porträtierte Mary Midgley (1919–2018). Bis zum Alter von gut 50 Jahren war Midgley vor allem Lehrende, Wissenschaftlerin und Mutter dreier Söhne. Dem ureigenen Gesetz des Wissenschaftsbetriebs zum Trotz – »wer schreibt, der bleibt« – begann sie erst zum Ende ihres Berufslebens, philosophische Texte zu veröffentlichen. »Davor wusste ich nicht, was ich dachte.«
Für Midgley war Philosophie nie nur Selbst(darstellungs)zweck. Während sie bei ihren männlichen Kommilitonen beobachtete, wie diese in Wortgefechten vor allem die eigene Intelligenz zur Schau stellten, hatte Midgley ein praxisorientiertes Interesse und ging mithilfe der Philosophie lösungsorientiert alltägliche Sorgen an.

Wie Wasserleitungssystem – grundlegend und lebenswichtig

Anschaulich ist ihr Vergleich der Philosophie mit dem Wasserleitungssystem. »Beides sind grundlegende Strukturen, die unverzichtbar sind, weil sie Menschen mit lebenswichtigen Mitteln versorgen.« Und es ist die Aufgabe des Philosophen, wie ein Klempner »den Fußboden aufzureißen«, unsere fehlerhaften Konzepte unter die Lupe zu nehmen und sich dranzumachen, das Problem zu beheben.
Allein Midgleys mittreißende Lebensgeschichte lohnt bereits, Philosophinnen zu lesen. Die versammelten herausragenden Denkerinnen weiten den Blick, machen Mut, motivieren nachzudenken, sich zu informieren und einzufühlen. Und zeigen, dass Philosophie keinesfalls nur abgehobener Intellektuellenfirlefanz ist. Sondern im Gegenteil elementar für das menschliche Zusammenleben. Und Philosophinnen haben einen mindestens ebenso großen Anteil wie die bekannten männlichen Protagonisten. Sie machen bloß nicht so ein Gewese drum. Und nutzen ihre klugen Gedanken für viel Sinnvolleres als den reinen Selbstzweck.

Rebecca Buxton und Lisa Whiting (Hg.): Philosophinnen – Von Hypatia bis Angela Davis: Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte, Übersetzung: Roberta Schneider, Daniel Beskos, Nefeli Kavouras, mairisch, 2021, 240 Seiten, 22 Euro, ab 16 Jahre

Von bunt zu blau

Bert

Das ist doch echt gemein: Herr Bert wird immer übersehen. Niemand grüßt ihn. Und in der Pizzeria nimmt ihn auch niemand wahr. Dabei ist der kleine Kerl ein echter Hingucker mit seinen strubbeligen schwarzen Haaren und verschieden farbigen Socken. Ebenso sein Hund Alfonso, ein prächtiger Dackel. Und »er hat doch extra einen bunten Anzug gekauft«.
Die junge Schweizer Illustratorin Laura D’Arcangelo beginnt ihr zweites Bilderbuch Herr Bert und Alonso jagen einen Dieb mit einem Problem, das viele Kinder allzu gut kennen: Sie werden in der Welt der Großen übersehen.
Erst als ganz viele Leute merken, dass sie bestohlen wurden, da erinnern sich plötzlich alle an den Jungen und seinen Hund. Und für sie ist klar: Herr Bert ist der Dieb.

Treppauf und über die Dächer, zwischen stoischen Tauben

Um seine Unschuld zu beweisen, bleibt ihm und Alfonso nur eins: »Wir müssen uns verstecken und den Dieb finden.« Wie jeder gute Detektiv oder Kriminalist sammelt er alle Beweisstücke und Indizien, pinnt sie an eine große Schautafel und versucht, mit einem rotem Faden dem Dieb auf die Schliche zu kommen. Aber selbst der große Sherlock Holmes konnte nicht jedes Rätsel nur in seinem klugen Kopf lösen. Manchmal muss man raus auf die Straße. Das geht auch dem schönen Benedict Cumberbatch als Sherlock so und in seinem ikonischen Mantel rennt er durch die Gassen Londons.
Gut, dass Herr Bert Alfonso hat. Der ist zwar nicht ganz so unschuldig wie Herr Bert. Hat aber eine gute Schnüffelnase. Und außerdem muss er dringend raus und wieder pinkeln. Und schon ist man mittendrin in der schönsten Verfolgungsjagd, treppauf und über die Dächer, zwischen stoischen Tauben durch.

Auch Tischdecken aus der Pizzeria inspirieren

Inspiriert für ihre entzückende Detektivgeschichte wurde die aus Bern stammende Bilderbuchschaffende D’Arcangelo unter anderem von ihrem kleinen Bruder. Von Klassikern des Genres, von Sherlock Holmes bis Emil und die Detektive. Von Krimikomödien in Technicolor und Kinderabenteuerserien aus den 1960er Jahren. Und von Tischdecken aus der Pizzeria. Die waren unverkennbar Vorbild für Herrn Berts bunt karierten Anzug.

Bilder wie ein Trickfilm mit reichlich Slapstick

Laure D‘Arcangelos Bilder wirken sehr dynamisch, fast trickfilmartig und sind gespickt mit reichlich Slapstick: Alfonso zieht an der Leine, streckt sich lang zur geliebten Knoblauchwurstkette, Pizzas segeln vom Tablett, Hüte fliegen vom Kopf, Haare und Jackenzipfel flattern im Laufwind, Füße in langen, schwarzen Schuhen rasen übers Pflaster. Die Figuren sind mit gelbem Strich konturiert und kräftig bunt gouachiert sowie mit  Farbstifttupfern akzentuiert. Nicht zu vergessen das rot-grüne Karomuster, fast ein Running Gag. Und die Erkenntnis, dass es manchmal ganz gut ist, unsichtbar zu sein.  Herr Bert und Alfonso haben das Zeug zum modernen Klassiker.

Wenn auch kleine Leute immer längere Schatten werfen, der Tag sich dem Ende neigt, die Sonne fast untergegangen ist und nur noch ein paar letzte Strahlen über den Horizont glimmen, dann beginnt die Blaue Stunde. Die Illustratorin Isabelle Simler hat dieser besonderen Zeit ein betörend schönes Sachbuch gewidmet.

Von kaltklarem Eisblau bis samtigem Mitternachtsblau

Es ist ein Fest der Farbe Blau in allen Facetten. Schon auf dem Vorsatzpapier sind 32 Variationen von Blau zu sein, vom ganz hellen, kristallkaltem Eisblau bis zum fast schwarzen, samtweichen Mitternachtsblau. Es beginnt mit einer Landschaft in blauen Schattierungen, im Vordergrund die dunklen Konturen eines Nadelwaldes, die Hügellandschaft wie ein wogender Ozean dahinter. Eine Doppelseite weiter begegnen wir dem ersten Tier, dass die Farbe im Namen trägt, einem Blauhäher. »In der Kälte der Arktis streift ein Blaufuchs durch die verschneiten Ebenen« geht es weiter, das Bild ist ganz in Eisblau getaucht, mit Schneekristallen und Raureif wird die Kälte geradezu spürbar. Von den folgenden tropischen Blauen Pfeilgiftfröschen sollte man sich auch besser fernhalten und lieber dem Gezwitscher der Blaumeisen lauschen.

Von wegen, nachts sind alle Katzen grau

Isabelle Simler intensiviert zunehmend das Blau durch wenige andersfarbige Akzente, wie die puschelig gelben Bäuche der Blaumeisen, ein paar rote Beeren, lila Reflexionen der Abendröte im Gefieder der Blaureiher, den bernsteinfarbenen Augen der Diademmeerkatzen. Allmählich werden die Bilder dunkler, monochromer und ruhiger. »Stille legt sich über die Landschaft. Nur eine nachtblaue Katze schleicht durch das Gras.« Natalie Wollersheim übersetzt Simlers Texte mit einer lakonischen Poesie.
»So verharren sie in der Stille …«, heißt es auf der letzten Doppelseite mit den Tieren wie Scherenschnitten im Gegenlicht des Vollmondes, unter dem Sternenhimmel, » … und erwarten den Einbruch der Nacht«. Ein grandioses Schlussbild für den Zauber dieser einzigartigen Zeit und ihrer namensgebenden, faszinierenden Farbe.

Laura D’Arcangelo: Herr Bert und Alfonso jagen einen Dieb, atlantis, 48 Seiten, 16 Euro, ab 6 Jahren

Isabelle Simler: Die Blaue Stunde, Übersetzung: Natalie Wollersheim, Magellan, 48 Seiten, 18 Euro, ab 6 Jahren

Elefanten im Bauch oder: Es muss nicht immer Kater sein

Elefanten sind kluge, sympathische, liebenswerte und meist friedliche Tiere. Nur auf sich sitzen möchte man keinen haben. Schon beim Gedanken bekommt man Beklemmung und Atemnot. Elefant auf der Brust nennt Lucia Zamolo ihr neues Buch absolut eindringlich.
Denn es geht um Liebeskummer. In ihrer sehr besonderen Mischung aus Comic, Sachbuch und persönlicher Betrachtung setzt die Illustratorin und Autorin das ätzende Gefühl in all seinen Facetten in Szene. Dass das nicht nur eine todtraurige Angelegenheit wird, obwohl es so anfängt, deutet Zamolo schon im Untertitel an: »Oder: Warum sich Liebeskummer lohnt«.
Echt jetzt? Ja. Oder: Warum ich dieses Buch gern schon vor vielen Jahren gehabt hätte. Und es trotzdem noch gut brauchen kann, steht ziemlich am Anfang bei den Fakten unter 2.: »Liebeskummer kommt in jedem Alter vor & und es wird nicht leichter«.

Liebeskummer kann man nicht trainieren

Stimmt, leider. Man kann das nicht trainieren. Es relativiert sich nur etwas, wenn man die Erfahrung, ins zunächst Bodenlose zu fallen und zu fallen und schließlich hart aufzuprallen, schon ein paar Mal überlebt hat. Wenn man schon ziemlich durchgerüttelt ist vom Leben und sich keine Illusionen mehr macht. Wenn eigene Kinder ins Spiel kommen, und mit ihnen eine andere Art der Liebe, auch der Sorge und Angst, ebenfalls sehr starke Gefühle, mit denen man klarkommen muss.

Man will immer mehr und bleibt lebenslang süchtig

Was macht diesen verflixten Liebeskummer so tückisch? »Das Hormon Oxytocin sorgt dafür, dass wir uns in Beziehungen stabil und ausgeglichen fühlen. Das ganze Verliebtsein findet in genau den Arealen im Gehirn statt wie bei einer Drogensucht«, erklärt Lucia Zamolo sehr anschaulich. Das heißt, man ist beim Verliebtsein wieder »drauf«, man könnte auch sagen rückfällig geworden. Auf jeden Fall will man regelmäßig den Stoff, am besten sogar immer mehr davon. »Das heißt: Wenn die Liebe wegfällt, hast du sozusagen Entzugserscheinungen, weil dir scheinbar etwas fehlt«. Wobei der Zusatz »scheinbar« aufgrund der nachweisbaren chemischen Prozesse in besonders anfälligen Regionen im Gehirn falsch ist. Liebeskummer gehört verboten. Aber eigentlich müsste der Dealer, also das Gefühl verliebt zu sein, verboten werden. Denn man bleibt lebenslang süchtig, wenn man einmal davon probiert hat. Wie gesagt, egal in welchem Alter.

Tolle Aussichten

Es kommt aber noch eine schlimmere, weitere Tatsache: »Der Herzschmerz eines gebrochenen Herzens finden dann in denselben Gehirnarealen wie körperliche Schmerzen statt.« Damit sind wir beim ganz realen, furchtbaren Herzschmerz – dem Broken-Heart-Syndrom. »Folgendes passiert: Aufgrund von starken Emotionen macht eine Seite des Herzens schlapp. Die Symptome sind ähnlich denen eines Herzinfarkts: Atemnot, Brustschmerzen, Übelkeit, Engegefühl im Brustkorb.« Was uns zum Buchtitel zurückbringt: »Dieses Gefühl wird auch so beschrieben: Ein Elefant sitzt auf der Brust.« Und es kommt noch besser: »Es betrifft hauptsächlich Frauen nach den Wechseljahren.« Na, das sind ja tolle Aussichten.

Den Göttern ging’s gehörig auf die Nerven

Apropos brechen und kaputt gehen, zahlreiche kluge Leute haben sich den Kopf über die Liebe zerbrochen. Von den alten griechischen Philosophen wie Platon und Aristophanes stammt die Idee, dass wir ursprünglich glückliche Kugelwesen waren. Die gingen mit ihrem Glückbärchigetue den Göttern auf die Nerven (nachvollziehbar, »Pärchen verpisst euch / keiner vermisst euch«, sangen die famosen Lassie Singers einst), so dass sie die Kuschelkugeln in zwei Einzelwesen teilten. Und seitdem sei man eben auf der Suche nach seiner anderen Hälfte.

Zamolo darf liebend gern ihren Senf dazu geben

Allein schon wie Lucia Zamolo mit klugem Strich witzig und geistreich zunächst die Theorie von Eros und Ente und anschließend die teils sehr fiesen Phasen vom anfänglichen Schock bis zur Genesung illustriert, machen dieses Buch lesenswert. Überzeugend warnt sie davor, sich für jemanden zu verbiegen und zu verstellen. Und auch von vorschnellen, neuen Beziehungen rät sie ab, weil dabei weitere Leute in Mitleidenschaft (!) gezogen werden. Zamolos Beobachtungen, Überlegungen und Vorschläge sind erfrischend, einfühlend und nicht in Stein gemeißelt, wie schon durch die lebendige und mitreißende Typographie deutlich wird. Da wird mal etwas durchgestrichen, verbessert, hervorgehoben, eingefügt. Buchstaben purzeln über die Seiten, fallen aus dem Kontext, bevormunden nicht. Auf die Fragen, »wie um Himmelswillen überlebe ich das?« darf Zamolo liebend gern ihren Senf dazugeben.

Allein für dieses Buch lohnt sich Liebeskummer

Wortspiele gelingen ihr ebenso virtuos wie die Darstellung unterschiedlicher, auch ambivalenter Gefühle nach dem Liebesaus. Sparsame Kolorierungen akzentuieren ihre kuriosen Bilder und Gedanken. Die Erkenntnis, dass allein sein nicht gleich einsam sein bedeutet. Und dass Liebeskummer sich von der Existenz der Liebe und der Fähigkeit zu lieben ableitet ist ebenso banal wie wahr. Einer Freundin erschien das trotz meiner begeisterten Erzählung etwas wenig. Aber sie hat Zamolos charmante Illustrationen dazu nicht gesehen. Allein dafür lohnt sich Liebeskummer.
Der Rausch der Liebe lohnt sich natürlich auch immer wieder, drauf sein auf rosa Wolken, purple Haze, Schmetterlinge im Bauch, diese Leichtigkeit, dass sich alles gut und richtig anfühlt, ihr wisst, was ich meine. Es muss ja nicht immer mit einem Kater enden. Es kann auch ein absolut liebenswertes Buch dabei entstehen.

Lucia Zamolo: Elefant auf der Brust oder: Warum sich Liebeskummer lohnt, Bohem Press, 128 Seiten, ab 12, 15 Euro

Teebeutel ohne Bändchen

Zuhause ist da, wo die Teebeutel keine Bändchen haben. Wo das Brot weich und weiß ist. Heimat ist da, wo die Luft nach warmen Regen und salziger Luft vom rauen Atlantik riecht. Heimat ist da, wo man deine Sprache spricht.
Heimat ist definitiv nicht dort, wo man deinen Namen nicht aussprechen kann und dich mit fiesen Lauten als Affe verspottet. So ergeht es Emmas kleiner Schwester Aoife an ihrem ersten Schultag in der tiefsten Provinz Mecklenburg-Vorpommerns. Kurz zuvor hat Emmas Mutter mit ihren drei Kindern Dublin verlassen, um nach Deutschland umzuziehen. »Nach Velgow, in das Dorf unserer Mutter, in das sie seit zwanzig Jahren keinen Fuß und keins von ihren Kindern gesetzt hat.« Mit einer Auswanderung von West nach Ost, einer Reise ohne Rückfahrkarte, die für niemanden eine Heimkehr ist, beginnt Susan Krellers betörender und sprachgewandter Roman Elektrische Fische.

Innere Emigration im Schweigen

»Wir waren noch gar nicht fertig«, sagt die zwölfjährige Emma. »Dara hat mit der Hockeymannschaft alle Spiele und Mädchenherzen gewonnen. Auch Aoife und ich waren mittenrein und noch gar nicht fertig mit unserem Leben in Dublin.« Für Emma ist klar, sie will so schnell wie möglich zurück in ihr vertrautes Leben, zu den irischen Großeltern ziehen.
Aoife geht nach dem verstörenden ersten Schultag in die innere Emigration. Sie verstummt, sagt kein Wort mehr, nicht auf Englisch, nicht auf Irisch und erst recht nicht im von ihr verhassten Deutsch. Fortan kommuniziert die kleine Schwester nur noch über gelbe Klebezettel.

Leben zwischen zwei Sprachen

Zwar sind die drei Geschwister zweisprachig aufgewachsen und auf die deutschsprachige Schule in Dublin gegangen. Aber: »Die englische Sprache bin ich. Deutsch spreche ich nur. Deutsch ist immer noch ein paar Meere von mir entfernt«, stellt Emma sehr bald fest.
Sprache, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, und wie man zwischen zwei Sprachen lebt – das alles spielt eine zentrale Rolle in Susan Krellers Jugendbuch. Die 1977 in Ostdeutschland geborenen Autorin hat Germanistik und Anglistik studiert. Bei ihr ist das nicht nur ein biografisches Detail. Allein das angehängte Glossar macht Elektrische Fische schon lesenswert.

Sehr viele Arten der Trunkenheit

Durch Emma lernen wir zum Beispiel fundamentale Unterschiede in Umgangsformen kennen. Man bekommt beim Lesen selbst einen ganz trockenen Mund, nachdem sie das einmal aus Höflichkeit angebotene Getränk abgelehnt hat – und niemand erneut nachfragt oder insistiert, etwas zu trinken zu bringen.
Es gibt auch traurige Gemeinsamkeiten: »Es stimmt tatsächlich, in Irland kann man auf sehr viele Arten betrunken sein, man ist zum Beispiel pissed oder stocious oder on his ear oder langered oder einfach nur full as a bingo bus. Mein Vater beherrschte fast alles davon.« Der Vater ist Alkoholiker und hat Frau und Kinder verlassen. Deshalb sind sie nach Deutschland umgezogen, Emmas Mutter konnte allein das Haus nicht bezahlen, es drohte der Umzug ins berüchtigte Northern Dublin.

Ausgerechnet in diesen Teil der Welt

Als der 16-Jährige Dara eines Nachts sturztrunken nach Hause kommt, fürchtet die Mutter, auch ihren Sohn an den Alkohol zu verlieren und flippt total aus. Dabei findet sie im Plattdeutschen erstaunlich viele Begriffe: »Buddelbroder. Sprietkopp. Suupbüdel.«
Oder wie ihre Großmutter es auf den Punkt bringt: »Sie steht neben mir und sagt etwas zu mir, was sie wahrscheinlich schon die ganze Zeit mal zu irgendjemand sagen wollte: wie verrückt es ist, vor dem Alkohol wegzurennen und dann ausgerechnet in diesen Teil der Welt zu ziehen.«

Verbunden durch das Meer

Emma erträgt die provinzielle Einöde, die unbekannten und schroffen deutschen Großeltern, ihre niedergeschlagene Mutter, das harte dunkle Brot und die Unfreundlichkeit der desillusionierten Dorfbewohner durch den Gedanken an ihre Heimreise. Und weil sie das Meer, in dem Fall die Ostsee für sich entdeckt. Sie schwimmt stundenlang, sie taucht unter und fühlt sich der irischen Heimat verbunden.
Ihr Mitschüler Levin hat einen Plan ausbaldowert, wie man als Minderjährige, ohne Flugzeug, nach Irland kommt. Levin in seinen übergroßen, ausgewaschenen Heavy-Metal-Band-T-Shirts, »dünn wie Dünengras«, ist selbst ein Außenseiter und Einzelgänger.

Entwurzelte Kinder

Zwar lassen die anderen den Jungen in Ruhe, doch wie Emma bald hautnah erfährt, hat auch Levin kein Zuhause. Seine Mutter ist psychisch krank, verweigert die Therapie, hält in ihrem Wahn ihre ganze Familie gefangen. Levin, sein Vater und sein älterer Bruder schweigen aus Scham und Hilflosigkeit. Durch seinen Plan für Emmas Flucht droht Levin den einzigen Menschen zu verlieren, dem er vertraut und sich verbunden fühlt.
Sprachdifferenzen, entwurzelte Kinder, die Kraft des Meeres und viele verschiedene Arten des Schweigens, kreative Schimpftiraden, zauberhafte, aber auch brutale Begriffe – das alles verbindet Susan Kreller zu einer herzzerreißend traurigen und schönen Geschichte.
Es heißt »home is where the heart is«. Das klingt kitschig, stimmt aber. Zum Schluss kommt Emmas Herz zu Hause an.

Susan Kreller: Elektrische Fische, Carlsen, 192 Seiten, 15 Euro, ab 12

Urzustand jedes Seins

Zuletzt hat hier Burkhard Spinnen mit »Fipp, Vanessa und die Koofmichs« gezeigt, was der Besuch von Außerirdischen mit den Erdenbewohnern machen kann. Diesmal werden Außerirdische durch eine Begegnung mit dem All bedroht. Es sind Die letzten 23 Tage der Plüm, die die Comic-Zeichnerin Katharina Greve höchst vergnüglich in Szene setzt. Ursprünglich als täglicher Strip in der Berliner Tageszeitung abgedruckt, liegt die komplette Katastrophe jetzt sauber hintereinander weg erzählt in einem entzückenden, querformativen Band des avant-Verlags vor.

Erste Regel in ausweglosen Situationen: PANIK!!!

Es ist das klassische Endzeitszenario zahlreicher Filme und reizvoller Gedankenspiele: Du hast nur noch wenige Tage zu leben – was machst du? Oder anders gesagt: Du hast keine Chance – nutze sie.
Das ist leichter gesagt als getan. »Schte, Rüm, schlechte Nachrichten. Dieser pinke Punkt da oben kommt auf uns zu. Nach meiner Berechnung stoßen wir in 23 Tagen mit ihm zusammen. Wir werden alle sterben«, erklärt Pla, der schlaueste der letzten drei Bewohner des Planeten Plümos. Und die drei Plüm reagieren so, wie wohl Jeder andere auch. Erste Regel in ausweglosen Situationen: PANIK!!! Zweite Regel: So viel Summerling, das lokale Rauschmittel, trinken wie sie können.

Ungeschlechtliche Kopffüßler mit erstaunlich viel Charakter

Die Plüm sind ungeschlechtliche Kopffüßler. Greve gibt den drei extrem reduzierten grünen Riesenköpfen mit Strichbeinchen und -ärmchen erstaunlich viel Charakter. Nicht nur optisch sind die kuriosen Plüm auf das Wesentliche reduziert. Jeder Tag endet mit »Wissenswertem über die Plüm«. Greves Comic ist eine famose Symbiose aus lustigen Zeichnungen und hintersinnigen Texten, die genug Raum zum Weiterdenken lassen.
Auch die Zivilisation der Plüm konzentriert sich auf das Essenzielle: Zum Beispiel haben sie sich von den immer komplizierteren Ritualen der Anbetung einer stetig wachsenden Zahl von Göttern dem Monotheismus zugewandt. »Da aber auch der Kult um nur einen Gott den Plüm bald zu anstrengend wurde, schafften sie einfach die Religion komplett ab.« Eine weise Entscheidung, die auch den Bewohnern anderer Planeten viele Probleme ersparen würde.

Diese komische Phase, wenn man dem Leben Sinn geben will

Sehr sympathisch ist auch diese Lebenseinstellung: »Seit jeher halten die Plüm den Schlaf für den Urzustand jedes Seins, da man schlafend niemandem Schaden zufügt. Alle anderen Aktionen – wie etwa die Ernährung – dienen nur dazu, den Schlaf zu sichern.«
So könnte es also immer weitergehen, wenn sich nicht dieser pinke Punkt auf ihren Planeten zu bewegen würde … Verdrängen, Ignorieren und demonstratives Vorbeisehen klappen auf Dauer nicht.
Und so machen die Plüm diese komische Phase durch, wenn man glaubt, dem Leben einen Sinn geben zu müssen. Vermehren, was in ihrem Fall mühselige Teilung statt entspanntem Sex bedeutet, verbietet sich, weil dann noch mehr Plüm beim Zusammenstoß getötet würden.

Alles sinnlos, sehr lustig und allzu menschlich

Also entschließen sie sich, jeden Tag etwas zu machen, was sie noch nie gemacht haben: Schmutzen und den Dreck wieder auffegen. Vergammeltes Trufontfleisch essen und zum ersten Mal eine Fleischvergiftung haben – obwohl der plümsche Magen sonst fast alles verträgt. Überflüssige Bildhauerei, Megaschaumbäder, unspielbare Bälle, mythische Artefakte ausgraben und vor des Rätsels Lösung gleich wieder vernichten …
Alles sinnlos, total bekloppt, sehr lustig und vor allem allzu, ja genau, menschlich. Kein Wunder, dass die taz-Leser vehement gegen Greves ursprünglichen Plan, die Plüm nach 23 Tagen tatsächlich sterben zu lassen, protestierten. Mit Erfolg: Am Ende entpuppt sich der große Knall als ein großer »Platsch«, es regnet rosa, das war’s. »Na, das war ja maximal ein ENDCHEN«, konstatiert ein Plüm.

Very nice, very nice … but maybe in the next world

Der kluge Pla begreift den knapp verpassten Weltuntergang als zweite Chance: »Wir sind quasi verpflichtet, die Plümheit zu neuer alter Größe zu führen! Wir legen Sum-Baum-Plantagen und Lübosen-Farmen an, füllen die Plüm-Kultur mit neuem Leben, bauen Städte, Straßen, Kanäle, erschließen neu Energiequellen, versetzen Berge, erobern den Weltraum!«
Tolle Ideen, leider sehr anstrengend umzusetzen. Oder wie The Smiths einst sangen: »Love, peace and harmony? Oh, very nice. Very nice. Very nice … but maybe in the next world.«
Darauf einen Summerling. Und noch einen. Und noch ganz viele. Und ein Hoch auf die Plüm!

Katharina Greve: Die letzten 23 Tage der Plüm, avant-Verlag, 2021, 104 Seiten, ab 10, 20 Euro

Tanz ums goldene Nichts

Spinnen

Mit ihrem fantastischen Spekulationsgewinn kauften die Aliens weiter Aktien. Und jedes Mal brach die schon bekannte Hysterie an der Börse aus. Immer wollten alle kaufen, was die Außerirdischen kauften, taten es auch und wurden prompt hereingelegt. Trotzdem machten beim nächsten Mal wieder alle mit. Denn es finden sich auf dieser Welt immer genügend Leute, die mitmachen, wenn es heißt: Jetzt verdienen wir ganz viel Geld, ohne dafür einen Finger krumm zu machen.«
Die Außerirdischen brauchen keine Laserkanonen, Neutronenstrahler, telepathische Bomben oder was das galaktische Waffenarsenal sonst so bietet, um in Burkhard Spinnens brillantem SciFi-Abenteuer Fipp, Vanessa und die Koofmichs die Menschheit zu vernichten. Das erledigt die dank ihrer Gier und der globalisierten Marktwirtschaft schon selbst – zumindest fast.

Mit leisem Humor regierender und reagierender Kanzler

Wenn nicht Philipp Franziskus Ferdinand Maria von Westen und zu Beuthen, ein plietscher 13-Jähriger aus sehr altem, sehr verarmtem Adel, genannt Fipp West, und seine tatkräftige, mutige Freundin Vanessa wären. Sowie ein kluger, zurückhaltender, besonnen und mit leisem Humor regierender und reagierender Kanzler.
An einem warmen Freitagnachmittag Anfang Mai landet ein Ufo inmitten von Touristen und Ausflüglern vor dem Kanzleramt, mitten in Berlin. Flugs wird ein Krisenstab mit etlichen mehr oder weniger talentierten Spezialisten und Experten eingerichtet. Oberstes Gebot ist: Ruhe bewahren, die außerirdischen Besucher auf keinen Fall verschrecken oder provozieren.

Shoppen, Konsumieren, Extremkoofen

Die drei völlig langweiligen, wie stereotype Schaufensterpuppen aussehenden Außerirdischen interessieren sich aber überhaupt nicht für die Einheimischen. Sondern nur fürs Shoppen, Konsumieren, Extremkoofen. Erst im Edelkaufhaus um die Ecke. Dann en masse im Internet. Per erworbenem Tablet, mit 300 Bestellungen pro Minute, vom Tischfeuerzeug bis zu russischen Kampfhubschraubern. Alles auf Kosten der Staatsbank, die mit ihren stündlich gen Null schwindenden Reserven für die Kreditkarte bürgt.
Schon bald stauen sich die Lieferwagen in langen Schlangen auf dem Weg zum Brandenburger Tor. Die galaktischen Powershopper packen Pakete im Akkord aus, das meiste befinden sie für Ramsch und werfen es flugs weg und hinter sich, wo es zusammen mit Unmengen von Verpackungsmaterial zu einem imposanten Sperrmüllberg anwächst.

Skrupelloser Internethändler verschärft Kaufexzess

Rasant verschärft wird der kranke Kaufexzess durch einen absolut skrupellosen Internethändler, der dank seines Algorithmus und extrem aggressiver Kaufempfehlungen sein eh schon dominierendes Unternehmen Horrizon zum ersten und allmächtigen Sternenkaufhaus namens Interstellar ausbauen will.
Ebenso witzig wie intelligent rechnet Burkhard Spinnen in seinem dritten Kinderbuch mit ungebremster Marktwirtschaft, Konsumdiktat und Internethandel ab. Tragikomisch und drastisch zeigt er die globalen Folgen, sowohl sozial als auch ökologisch. Firmen gehen im Minutentakt Bankrott, Existenzen werden vernichtet. Und alle machen mit. Weil sie es schon von kleinauf so lernen und vorgelebt bekommen, zum Beispiel durch zubehörsüchtige Puppen.

Entfesselte Aktienmärkte treffen auf zockende Aliens

In wenigen Worten erklärt Spinnen die Dynamik von entfesselten Aktienmärkten, für deren zynische und zerstörerische Wirkung es nicht unbedingt ein paar an der Börse mitmischende Aliens braucht. Auch sogenannter Influencer mit ihrem schlechten Einfluss auf den Massengeschmack bekommen ihr Fett weg.
Das ist so gut und mitreißend geschrieben, so einfallsreich, mit originellen Gedankensprüngen, Überlegungen zu Stimmung versus Action, famosen Zitaten, und sogar einem Schuss echter Romantik, wie man es nur sehr selten zu lesen bekommt. Dazu erweckt Spinnen die unterschiedlichsten Typen zum Leben – vielschichtige Charaktere, die im krassen Gegensatz zu den sowohl optisch als auch in ihrem Verhalten sehr eindimensionalen Besuchern aus dem Weltall stehen. Raffiniert spielt er mit Klischees, wie per se griesgrämigen Hausmeistern, albern krähenden Computernerds, alten Haudegen und verstrahlten Psychologen.

Von wegen Schwarmintelligenz

Geradezu prophetisch entlarvt der Autor im kurz vor der Pandemie geschriebenen Roman Verschwörungstheoretiker und die sogenannte Schwarmintelligenz – die tatsächlich nur dumm ist und auch durch ihre schiere Masse keinen Deut schlauer wird.
Überhaupt ist die Masse leicht zu manipulieren. Am Ende geht es immer um Geld. Wobei die fiktiven Rangeleien wegen provokativer Steuern zwischen aufgebrachten Bürgern und der Polizei vergleichsweise putzig sind, verglichen mit den realen, gewalttätigen Auseinandersetzungen bei Demonstrationen derzeit.

Spinnen setzt auf gesunden Menschenverstand

Dagegen setzt Spinnen auf gesunden Menschenverstand. »Für jedes Problem müsse es eine gute Lösung geben, vorausgesetzt, man denke ernsthaft darüber nach«, sagt sein dritter erstaunlicher Held, der relativ junge Kanzler, der mit seiner »Partei für ersthafte und entspannte Politik, kurz die PEP« angetreten ist. Er ist kein Mann markiger Worte. »Manchmal erklärte er die Dinge ziemlich lange, viel länger, als es Politiker es sonst taten«, heißt es über den sympathischen Staatslenker. Solche Typen braucht die Welt. Burkhard Spinnen entwirft eine absolut wünschenswerte Utopie. Und das ist angesichts der vielen dystopischen Szenarien, auch in der Jugendliteratur, allein schon Grund genug, Fipp, Vanessa und die Koofmichs zu lieben.

Mehr Erhellendes zu Außerirdischen und drohender Apokalypse gibt’s hier demnächst.

Burkhard Spinnen: Fipp, Vanessa und die Koofmichs, Schöffling & Co., 304 Seiten, ab 10, 18 Euro

Vom Hinterhof zum Horizont

Will ein Mensch dazugehören, dann muss er im Hinterhof abhängen. Aber es gibt Momente, da merkt man, dass das nicht reicht. Auf dem Hinterhof ist meine Position Abseits. Da will doch niemand stehen. ›Ich geh dann mal nach Hause‹, sage ich und gehe, und keiner hält mich auf. Ich habe mich selbst ausgewechselt. In meiner Wohnung ziehe ich die Badekappe über. Und dann fange ich an zu heulen.
So endet die Geschichte.«
Wie, das war’s jetzt? So deprimierend könnte Sarah Jägers Romandebüt Nach vorn, nach Süden enden. Tut es aber nicht. Weil die Suche nach Jo noch nicht beendet ist. Weil durch sein Verschwinden das Geflecht der Leute im Hinterhof der Penny-Filiale in Bewegung geraten ist. Weil die Erzählerin mehr damit zu tun hat, als alle ahnen. Weil sie Lena heißt, von allen aber Entenarsch genannt wird. Weil ein halber Roadmovie im Landstraßentempo kein ganzer Roman ist.

Man chillt und grillt zusammen

Sarah Jäger erzählt sehr raffiniert mit interessanten Umwegen, Abzweigungen und Zeitsprüngen von einer zusammengewürfelte Bande aus Angestellten, Aushilfen, Freundinnen und jüngeren Brüdern von Aushilfen. Man chillt und grillt zusammen. Man küsst und zofft sich. Zwei haben eine gemeinsame kleine Tochter, sind aber nicht mehr zusammen. Manche sind verliebt, manche glücklich, manche geheim.

Festgefahrene Strukturen werden dynamisch

Lena alias Entenarsch ist die einzige mit Führerschein und eigenem, bisher wohlweislich nie genutztem Auto. In dem macht sich ein Teil der Hinterhoffamilie auf den Weg nach Süden, um Jo, Maries Liebsten zu finden. Die anderen aus dem Hinterhof fahren virtuell mit Tipps und Kommentaren mit. Vordergründig ist es ein Roadmovie oder Roadroman, und wie bei jedem guten Werk aus diesem Genre ist der Weg das Ziel. Vermeintlich festgefahrene Strukturen werden dynamisch. Zwei, die fast nichts miteinander zu tun haben, kommen sich sehr nahe. Man muss wegfahren, um anzukommen. Schnurgerade Straßen Richtung Zukunft werden zu Serpentinen und können sich sogar als Sackgasse entpuppen.

Je knapper die Sätze, umso gewichtiger ihre Bedeutung

Sarah Jäger erzählt aus Lenas Sicht. Mit ihren Augen entdecken wir nach und nach ganz unterschiedliche, vielschichtige Charaktere. Diese sind verwoben in spannenden Wahlverwandtschaften. Eine Schicksalsgemeinschaft aus sozial eher unterprivilegierten jungen Menschen, die sich aber nicht unterbuttern lassen. Besonderheiten, tragische Erlebnisse oder familiäre Schwierigkeiten werden nur dann angerissen, wenn es sich aus dem Verlauf ergibt und die Handlung dadurch vorangetrieben wird. Je knapper die Sätze, umso gewichtiger ihre Bedeutung.

T-Shirt-Sprüche wirken wie Zwischenüberschriften

Dabei ist Jägers furioses Debüt keinesfalls wortkarg oder minimalistisch. Es lebt von Wortwitz und dem Spiel mit Sprache. »Die Luft ist so dick und schwer wie ein Vorgartenbuddha, aber sie lächelt nicht, sie ist so mies gelaunt, dass es einem den Atem raubt«, beschreibt Lena nicht nur die dicke Luft eines heraufziehenden Gewitters. »Ich möchte in keiner Sackgasse wohnen«, sagt Can. »Was ist mit Einbahnstraßen?« »Wenigstens weiß man bei einer Einbahnstraße in welche Richtung es geht.« »Auch wieder wahr, das hilft bei absoluter Planlosigkeit.« Über Kreisverkehr, Standstreifen, Dauerbaustelle und Fahrbahnverengung kalauern Lena und ihr Schwarm Can in schlagfertigem Screwballstil und kommen sich näher. T-Shirt-Sprüche wirken wie pointierte Zwischenüberschriften. Zuckerwatte ist eben nicht nur süßes, klebriges Zeug, sondern steht für die Leichtigkeit des Seins. Nicht zuletzt geht es auch um Namen, Namen, die wie eine Auszeichnung sind. Und Namen, die sehr verletzend sein können und nicht nur dem Namensträger schaden.

Eine Geschichte wie aus einer verlorenen Zeit

Die Autorin konnte es nicht ahnen, aber Nach vorn, nach Süden wirkt wie eine Erzählung aus einer anderen, einer verlorenen Zeit: Es ist heiß, junge Leute verreisen dichtgedrängt, machen Party und tanzen auf Festivals. Gut also, dass die Geschichte nicht auf halber Strecke endet. Dass es nicht nur eine zweite Reise und etliche Kilometer mehr gibt. Und dass dieses von mir verspätet entdeckte Debüt den Horizont weitet und neugierig macht auf mehr: »Ich klettere auf die Plattform und höre die Stimme von unserem Pavel. ›Man muss doch mal weit gucken … das braucht man doch mal.‹« Absolut. Nicht nur in diesen erstarrten, distanzierten und vergnügungsfernen Zeiten.

Sarah Jäger: Nach vorn, nach Süden, Rowohlt 2020, 224 Seiten, ab 14, 18 Euro

Pfotenspuren im Schnee

unsichtbar

Ich weiß, wie es ist, klein zu sein in der großen Stadt. Keiner sieht dich und überall ist es furchtbar laut.« Und trotzdem begibt sich das Kind in Sydney Smiths Bilderbuch Unsichtbar in der großen Stadt mitten hinein. Über mehrere Seiten nähern sich die Bilder, gerahmt vom Fenster der Straßenbahn, diesem einschüchternden Ort aus Hochhäusern, Laternenmasten, Oberleitungen, Schienen, Schildern, Ampeln, Kränen, hupenden Autos, schrillenden Sirenen, dröhnenden Baustellen.
Der kanadische Autor hat nicht vergessen, wie es sich anfühlt, klein zu sein. Mit kontrastierendem, schwarzen Tuschestrich und leuchtenden Farbakzenten, die Flächen vereinzelt winterlich zart koloriert, lässt er Taxis, Busse, Radfahrer und Fußgänger durcheinanderwuseln.

Sehen, was das Kind sieht

Aber die vielen großen Menschen sehen das Kind nicht, haben ihr Telefon direkt vor und ihr Ziel in der Ferne vor Augen. Sie sehen nicht, was das Kind sieht: Kahle Bäume, die ihre Äste wie Finger in den Himmel strecken. Rücklichter, die wie Augen aus der Dunkelheit leuchten. Die Reklame eines Optikers. Das Muster, das die Streben der Brücke auf den Weg malen. Radfahrer, die im Gegenlicht der tiefstehenden Wintersonne nur noch schwarze Schatten sind. Alles noch mal vervielfacht in der spiegelnden Fassade eines Wolkenkratzers.

Tipps für den unsichtbaren Gesprächspartner

Das Kind beginnt mit jemand Unsichtbaren zu sprechen.
»Es ist immer die Hölle los.
Aber ich kenne dich. Du findest dich schon zurecht. Wenn du willst, gebe ich dir ein paar Tipps.«
Den wütenden Hunden hinter dem Zaun sollte der unsichtbare Gesprächspartner ausweichen. Der Walnussbaum eignet sich als Ruheplatz. Vor dem Lüftungsrohr der Reinigung kann man sich aufwärmen. Der nette Fischhändler spendiert Fisch und die Freundin auf der Parkbank Streicheleinheiten.

Jedes Bild eine ganze Filmszene

Es wird oft von Kopfkino gesprochen, angesichts lebendiger Bildsprache. Smiths neues Kinderbuch, nach Überall Blumen und Stadt am Meer erstmals auch selbst getextetes Werk, ist tatsächlich ein Film – ein Film aus lauter Filmstills, jedes eine ganze Szene beinhaltend. Es sind Bilder wie Fotografien, die mit Licht und Schatten, mit Stimmungen und Perspektiven spielen. Fast schon ikonografische Bilder dominanter Architektur, Motorisierung, Massenbewegung, die viel mehr als bloße Momentaufnahmen sind.

Verloren im undurchdringlichen Gestöber

Es ist ein Film aus der Sicht eines Kindes, das wiederum die Stadt aus der Perspektive eines anderen kleinen Wesens erlebt: einer vermissten Katze. Es ist herzzerreißend zu sehen, wie verloren das Kind in dem immer undurchdringlicher werdenden Schneegestöber wirkt. Wie es sich selbst Mut macht, indem es sichere Plätze für das geliebte Tier ausmacht. Allein angesichts des Verkehrs wird einem als Erwachsenem schon ganz mulmig. Kälte und Ignoranz der vorbeilaufenden Großen tun ein Übriges.
Und doch bleibt das Kind zuversichtlich, spricht mit seiner Katze auf Augenhöhe. Es respektiert, dass sie ein eigenes Leben hat. »Zuhause ist es friedlich und kuschelig. Da warten eine Schale Milch und eine warme Decke auf dich.« Und noch einmal vergewissert es sich: »Aber ich weiß, du findest dich schon zu recht.«

Überall Blumen

Unsichtbar in der großen Stadt ist zeitlos schön und wahr, weil es in bezaubernden, hinreißenden Bildern von Verlust erzählt, von Verantwortung für andere Lebewesen und von Vertrauen.
Es passt aber auch perfekt ins Jetzt, in unsere Gegenwart. Nicht nur, weil zum Beginn des neuen Jahres der Winter Einzug hält. Weil derzeit vieles, das wir lieben, verschwindet. Weil wir es vermissen.
Verhalten macht Sydney Smith sogar Mut, mit einem charmanten Selbstzitat. »Wenn du magst, komm doch zurück«, bittet das Kind. Und tatsächlich, an der Mauer des Hauses, in dem es wohnt, ragen in lebendigem Rot, überall Blumen aus der dichten Schneedecke. Und davor sieht man Pfotenspuren im Schnee.

Sydney Smith: Unsichtbar in der großen Stadt, Übersetzung: Bernadette Ott, Aladin, 40 Seiten, ab 4, 18 Euro

Super kritisch

Doch die herrliche Aussicht darauf, gleich in der geheizten Schule sitzen zu können, trieb ihn weiter.« An der Schule angekommen, steht der zehnjährige Rupert aber vorm menschenleeren Schulgebäude. Auf dem Rückweg verfängt sich sein löchriges Sweatshirt am aufschwingenden, verzierten Tor einer Villa. Rupert knallt gegen die Eisenstangen und fällt in Ohnmacht.
Er erwacht in der Villa der Familie Rivers. »Mit einem toten Mitschüler auf dem Rasen habe ich nun doch nicht gerechnet. Ich habe dich reingeschleppt. Schwer bist du nicht gerade.«
»Aber tot auch nicht«, sagte Rupert.
»Lebendig sieht anders aus! Wie bist du hinters Tor gekommen?«, fragte Turgid.
»Soweit ich weiß, wurde ich mit einem Elektroschock drüber geschleudert«, antwortete Rupert.
»Oh, unser Sicherheitssystem. Aber wieso bist du nicht zu Hause bei deiner Familie? Morgens früh an Weihnachten?«
»Weihnachten?«
»Ja, klar. Das musst du doch wissen«, sagte Turgid.
»Deshalb war niemand in der Schule.«

Märchenhaft elende Verhältnisse

So beginnt das außergewöhnliche Weihnachten des immer hungrigen, immer frierenden Rupert. Und so beginnt Polly Horvaths besonderer Roman Super reich. Mit einer schon klassisch märchenhaften anmutenden Beschreibung von wirklich prekären, also ganz und gar elenden Verhältnissen. Zu viele Kinder, zu wenig Platz, zu wenig Geld, zu wenig Liebe – und vor allem viel zu wenig zu essen.
Dann wird Rupert in eine völlig andere Welt geschleudert, in die der Superreichen. Für die köstliche Speisen im Überfluss und alle erdenklichen Konsumartikel so selbstverständlich sind, dass sie sich verquere Regeln für ein Spiel ausgedacht haben, bei dem an Weihnachten einer zum Schluss alles gewinnt – oder verliert. Ein bisschen Nervenkitzel für die Upperclass.

Hoffnung auf warme Füße

Sie laden Rupert ein. Er kann essen, so viel er will. Das tut das ausgehungerte Kind auch, bis ihm schlecht wird. Und er darf mitspielen. Rupert gewinnt alles, Bücher, Spielkarten, Eisenbahn, Stofftiere, Pullover in allen Farben. Vor allem freut er sich über gefütterte Winterstiefel. »Er hatte es ausgehalten, an den Füßen zu frieren, weil ihm nichts anderes übrig geblieben war. Aber jetzt, da er wusste, sie würden warm bleiben, konnte er die Vorstellung, sie könnten jemals wieder frieren, nicht ertragen. Offenbar konnte man die Dinge nur über sich ergehen lassen, bis es Hoffnung auf Erlösung gab. Entsetzt stellte er fest, dass dies alles nur noch schlimmer machte, denn jetzt hoffte er tatsächlich auf bessere Zeiten. Und Hoffnung ist etwas Schreckliches, weil es die Notwendigkeit erstickte, das Schlimmste zu ertragen.«

Klug komprimierte Hunger Games

Dann kommt eine letzte Frage. Rupert gibt die korrekte Antwort zwei Sekunden zu spät. Und verliert alles. Polly Horvath beschreibt dieses Weihnachten als bitterböse Gesellschaftssatire. Die vermeintlich absurden Regeln des Spiels der Familie Rivers sind die Regeln des Kapitalismus. Von den Reichen erdacht und verselbstständigt. Die, die bereits alles haben, gewinnen immer mehr. Und wenn sie mal verlieren, ist es egal. Weil es ihnen an nichts mangelt und sie das vorhandene Vermögen nur zwischen sich hin- und herschieben. Der arme Rupert hat Spannung und Dramatik ins familiäre Vergnügen gebracht. Weil er hoffte, bangte, sich freute. Für ihn ging es um Existenzielles. Jetzt hat er zwar einmal einen vollen Bauch. Dafür ist er bar jeder Hoffnung. Horvaths Weihnachten ist die klug komprimierte Variante der Hunger Games.

Weihnachtsgeschichte und Kapitalismuskritik

Weihnachtsgeschichten und Kapitalismuskritik haben Tradition, siehe Charles Dickens. Ebenezer Scrooge, der erste literarische Verfechter des Geiz-ist-geil-Diktums, wird wegen Weihnachten sentimental. Auch die Erwachsenen der Familie Rivers haben Mitleid mit Rupert. Jeder für sich wollen sie, ohne Wissen der andern, sein niederschmetterndes Erlebnis wieder gutmachen.
Die Weihnachtsgeschichte ist nur Polly Horvaths Auftakt für viele verrückte Episoden und fantastische Abenteuer durch Raum und Zeit. Dabei erfährt Rupert viel über Abhängigkeiten, unerfüllte Träume, Einsamkeit und unterschiedliche Konstellationen von Liebe und Zusammenleben. Restaurantgäste fliegen vor lauter Genuss unter die Decke. Eingeheiratete Tanten finden ihr Traumziel in Mendocino. Sich immer nur anraunzende Eltern waren einst wirklich verliebt. Teure Anzüge verändern Menschen. Doch nicht jeder möchte Präsident der Vereinigten Staaten werden.

Den eigenen, nahenden Kältetod korrekt diagnostiziert

Das ist so mitreißend und witzig beschrieben, dass man immer mehr lesen möchte. Anne Brauner hat es so frisch und locker übersetzt, dass es sich wie ein Originaltext liest. Hierfür großes Lob an den Verlag Freies Geistesleben, der nicht wie so viele Kinder- und Jugendbuchverlage an der Übersetzung spart.
Polly Horvath kennt sich offensichtlich sehr gut mit Kälte aus. Dass Zehen aufhören zu schmerzen, wenn sie taub gefroren sind, beim Wiedererwärmen dafür umso mehr wehtun, weiß ich aus eigener Erfahrung. Sehr lustig ist es, wie Rupert, angesichts der durch eine Sitzheizung ausgelösten, verwirrenden Heiß-Kalt-Empfindungen wissenschaftlich korrekt seinen nahenden Kältetod diagnostiziert.

Unüberbrückbare Unterschiede

Die abgehobenen Rivers können sich gar nicht vorstellen, dass Rupert nicht wegen einer »Abneigung gegen wärmende Oberbekleidung« statt eines Mantels drei Hemden und einen kaputten Pullover übereinander trägt. Rupert und seine kleine Schwester trauen sich auch nie, das Gratis-Frühstück in der Schule in Anspruch zu nehmen, denn sie werden an der Essensausgabe immer so böse angeguckt – weil sie arm sind. Es sind diese von Horvath geschickt gesetzten Spitzen, die unüberbrückbaren Unterschiede zwischen sehr arm und superreich zum Ausdruck bringen.
Letztlich gehen alle die höchst amüsanten und eigentlich gut gemeinten Gefälligkeitsaktionen in erster Linie für die Mitglieder der Familie Rivers gut aus.
Materiell landet Rupert immer wieder bei Null. Ein Running Gag ist, dass der ständig hungrige Junge immer wieder um das versprochene Essen und den ersehnten ersten Hamburger seines Lebens geprellt wird. Da wird man selbst als Vegetarier schon beim Lesen ganz hungrig.

Etwas zu versöhnlich – aber, hey, es ist Weihnachten

Zu guter Letzt wird Ruperts Hunger überraschend gestillt. Nicht nur sein knurrender Magen ist zufrieden. Der einzige Wermutstropfen dieses Romans ist nämlich, dass sein Ende etwas zu versöhnlich ist. Aber hey, es begann als Weihnachtsgeschichte.
Übrigens hat Super reich dieses Jahr auch deshalb so viel Beachtung erfahren, weil Polly Horvath in British Columbia wohnt und deshalb als kanadische Autorin gilt, aus dem Gastland der Buchmesse. Aufgewachsen ist sie aber in Ohio, dort kennt sie sich aus und dort spielt auch ihre Geschichte.
Ob kanadisch oder nicht – Polly Horvath ist eine geniale Erzählerin. Und Super reich ist eine ganz und gar außerordentlich super gute Geschichte. Nicht nur zu Weihnachten.

Polly Horvath: Super reich, Übersetzung: Anne Brauner, Verlag Freies Geistesleben, 293 Seiten, ab 9, 18 Euro

Alles andere als perfekt, aber ziemlich schön

Steinkellner

In dieser Familie ist alles zu knapp:
– das Geld
– die Vorräte in unserem Kühlschrank
– der Platz in unserer Zweizimmerwohnung
– Ruths Hotpants (wer denkt sich so was eigentlich aus: Hosen für Zehnjährige, die so kurz sind, dass unten die Arschbacken rausgucken?)
– die Zeitspanne zwischen dem Moment, wenn Mama von der Arbeit heimkommt, und dem, wenn sie erschöpft auf der Couch einschläft.«
Ebenso knapp wie prägnant fasst die Maia in Elisabeth Steinkellners Papierklavier ihre familiäre Situation zusammen. Gespickt mit einer treffenden Kritik an absurden Klamottentrends und merkwürdigen Bildern, denen schon sehr junge Mädchen unterworfen werden.

Selbstmitleid so fern wie Size Zero

Nicht nur, dass Maia sich mit ihren beiden jüngeren Schwestern ein Neun-Quadratmeter-Zimmer und ein Drei-Etagenbett teilen muss. Zusätzlich trägt die 16-Jährige Kleidergröße 42, hat weder Modellmaße noch ansatzweise Geld für Designerfummel.
Elisabeth Steinkellners neuer Roman hat also alle Zutaten für eine deprimierende Geschichte über einen Teenagertrauerkloß aus prekären Verhältnissen. Das hätte ein tristes Sozialdrama oder eine kitschige Aschenputtelgeschichte werden können. Doch die Österreicherin hat eine famose, Mut machende, geradezu bezaubernde Geschichte in Form eines Tagebuchromans geschrieben. Mit einer absolut liebenswerten Heldin, der Selbstmitleid so fern ist wie Size Zero.

Dickes Fell in Übergröße wäre gut

Manchmal wünscht Maia sich zwar ein dickes Fell in Übergröße. Und natürlich gehen Lästereien über ihren »fetten Arsch« nicht spurlos an eben jenem an ihr vorbei. Trotzdem macht sie den Schönheitswahn nicht mit. Weil sie stark ist. Weil sie klug ist. Weil sie selbstbewusst ist. Weil sie weiß, um was es sich zu kämpfen lohnt.
Jetzt sind wir nämlich bei den Vorurteilen, denen Maia, ihre kleinen Schwestern, vor allem aber ihre Mutter ausgesetzt sind: »Drei Töchter von drei verschiedenen Männer. Leute (insgeheim): Schon mal was von Verhütung gehört? Oder: Schlampe. Wechselt die Männer wie die Unterwäsche, lässt sich von jedem ein Kinder machen und nimmt dann alle aus wie die Weihnachtsgänse.«

Freundinnen, die sich schätzen, weil sie sind, wie sie sind

Dass ihre Mutter von keinem der Väter auch nur einen Cent Unterhalt bekommt, interessiert niemanden. Zumindest im Umgang mit dem Sozialberater hilft es, wenn sie ein zu drei Vierteln absolviertes Medizinstudium heraushängen lässt, die Leute sind leicht zu blenden, und damit gilt sie zumindest nicht mehr als zu blöd zum Verhüten und wird etwas respektvoller behandelt.
Maias Mutter ist zwar chronisch erschöpft, manchmal wütend und würde sich ein anderes Leben wünschen. Aber sie liebt ihre Töchter, und das zeigt und sagt sie ihnen auch. Außerdem hat Maia zwei besondere, beste Freundinnen. Die drei akzeptieren sich gegenseitig so, wie sie sind. Und sie schätzen sich, weil jede eben so ist, wie sie ist.

Steinkellner lässt Leser:innen in die Vorurteilsfalle tappen

Steinkellner erzählt lebendig mit umwerfend viel Sympathie und ohne künstliches Drama. Die mehrfach ausgezeichnete Jugendbuchautorin karikiert Klischees und entlarvt Vorurteile.
Manchmal lässt sie dazu Leser:innen raffiniert in die Falle tappen: Etwa als Maias zehnjährige Schwester Ruth heulend auf dem Bett liegt und sagt »Niemand mag mich, nicht in der Klasse und nicht im Hort«, denkt man sofort, sie wird als »Asi« oder Schlimmeres gemobbt. Dabei sind es nur richtig schlechte Laune und blöde Zankereien, wie sie unter kleinen Mädchen öfter mal vorkommen. Das Ganze hat nichts mit sozialem Status und so zu tun. Maia ist auch nicht alarmiert, wünscht sich nur ein »Handbuch für kleine Schwestern«.

Die Illustration akzentuieren den Text und erzählen ihn weiter

Steinkellners Heldin ist ein beeindruckend empathisches Mädchen. Eine brillante Beobachterin, mit exzellentem Sinn für Situationskomik. Sie schreibt mit reichlich Wortwitz und einer gepfefferten Portion Selbstironie ihr Tagebuch. Und stattet es mit tollen Zeichnungen aus.
Diese Zeichnungen stammen natürlich nicht von Maia, sondern von Anna Gusella. Sie illustriert die Seiten mit vielfältigen, faszinierenden und dezent kolorierten Zeichnungen, die den Text akzentuieren, verstärken und weitererzählen.
Maia ist eine ganz normale, wenn auch ganz schön schlaue 16-Jährige. Zwar mit etwas weniger Geld, dafür aber mit viel Liebe in sich und um sie herum. Und die kann man bekanntlich nicht kaufen. Oder um es mit ihren Worten zu sagen: »Und wie ich mich so umsehe, stelle ich fest: Es ist alles andere als perfekt hier. Aber eindeutig ziemlich schön.«

Elisabeth Steinkellner: Papierklavier, Illustration: Anna Gusella, Beltz & Gelberg, 140 Seiten, ab 14, 14,95 Euro

Lasst uns die Regeln brechen

Bushnell

Ich betrachtete Deannas steinerne Miene. Ich wüsste nicht, dass ich mir je große Gedanken darüber gemacht hätte, warum eigentlich alle sagen, sie wäre eine Schlampe – abgesehen davon, dass sie viel Busen hat und schon in der Siebten mit einem Jungen zusammen war. Und selbst wenn sie mit einer Million Typen zusammen gewesen wäre, denke ich plötzlich, selbst wenn sie mit ihrer Kleidung Aufmerksamkeit erregen will, dann ist das doch einzig und allein ihre Sache?!«
Es ist etwas passiert im Leben der 17-jährigen Highschool-Schülerin Marin. Seitdem sieht sie ihr Umfeld anders. Sie denkt anders. Und sie schreibt anders – einen wütenden Leitartikel für die Schülerzeitung. Die ungeschriebenen Regeln für junge Mädchen, die Rules for being a Girl, wie Candace Bushnells erstes Jugendbuch heißt, das sie zusammen mit Katie Cotugno geschrieben hat.

Ausgerechnet die Autorin von Sex and the City

Candace Bushnell, ist das nicht die Autorin der 90er Jahre Kultserie Sex and the City? Wo es für vier erwachsene Freundinnen in New York vor allem um teure Klamotten, coole Partys, Genuss und Luxus ging – und letztendlich doch auch darum, den einen, den Mr. Big, zu finden.
Genau so fängt es an: Marin und ihre beste Freundin Chloe sind im letzten Jahr der Highschool, hängen mit den coolen Lacrosse-Spielern ab, freuen sich aufs College, tauschen Schminktipps, sind quasi die Redaktion des Bridgewater-Schulblättchens, zuständig für euphorische Spielberichte, Kursneuigkeiten, Klatsch und Tratsch. Und schwärmen beide für den jungen, lässigen Englischlehrer Mr. Beckett, genannt Bex.
Nebenbei ein bisschen Namedropping zu Kleidungs- und Getränkefirmen, Neckereien mit Jungs und die große Frage, wer mit wem und ob und wann. Hanni und Nanni der 2010er Jahre also?

Du kannst tun, was du willst! Solange du dich bloß an die Regeln hältst

Geschickte Täuschung. So wie Marin 17 Jahre in ihrer Heile-Welt-Blase gelebt hat, lullen Bushnell und die routinierte Frauenromanautorin Cotugno die Leser:innen zunächst ein. Es ist noch keine Feministin vom Himmel gefallen.
»Denk dran, Mädchen: Du zu sein, das war in der Geschichte der Menschheit noch nie so toll wie gerade jetzt. Du kannst tun, was du willst! Du kannst so sein, wie du willst! Dir ist alles erlaubt! Solange du dich bloß an die Regeln hältst.«
Diese ungeschriebenen Gesetze hat Marin ihr bisheriges Leben unbewusst befolgt. Süß, lieb, nett, kumpelhaft, später sexy, souverän, lässig, selbstbewusst – aber eben nicht zu sehr. Alles zwischen Mädchen zum Pferdestehlen (mit dem entsprechenden Appetit, trotzdem magischerweise natürlich gertenschlank), kluge Schülerin (die ihre Intelligenz nicht zu sehr raushängen lassen), gewitzte Gefährtin und Vamp – aber immer kontrolliert, immer antizipierend, dass sie keine falschen Signale aussendet, nicht falsch verstanden wird, keine scheinbar eindeutigen Angebote macht. Immer vor allem für die Jungs mitdenkend.

Den alltäglichen Sexismus längst verinnerlicht

Doch nun wird Marin der alltägliche, allgemeine Sexismus überdeutlich. Angefangen bei Frotzeleien über Übervorteilungen bis zu massiven Grenzüberschreitungen. Ein Sexismus, den sie selbst längst verinnerlicht hat. Oder warum hat sie sich noch nie für das sehr erfolgreiche Volleyballteam der Mädchen interessiert, die erneut kurz vor der Meisterschaft stehen? Und stattdessen die klägliche Jungen-Footballmannschaft angefeuert? Warum geht sie davon aus, dass ein Junge nicht wirklich ein Buch, noch dazu das einer Autorin über Frauen, gelesen haben kann?
Dabei lebt sie doch in einer vermeintlich toleranten, diversen Umgebung. Wo ein Mitschüler selbstverständlich von seinen zwei Müttern spricht (in der Übersetzung heißt es leider immer ausnahmslos »Mom«). Ein anderer datet einen »supersüßen Typen«. Auch die Hautfarbe der Interviewerin am College spielt keine Rolle – bis sie von ihr selbst thematisiert wird (»das ist hier schon ein ziemlich weißer Campus«).

Darüber würde ein Kerl sich gar keine Gedanken machen

Marin und mit ihr die Leser:innen werden immer sensibler für und vor allem immer wütender über die tagtäglichen verbalen Attacken und die allgegenwärtige Doppelmoral (»Hast du deine Tage, oder was?« »Du schreibst irgendeinen seltsamen Artikel und benimmst dich wie ein totaler Psycho … entwickelst dich zu irgendeiner verrückten Feministin?«): »Weil …«, überlege ich, weil sein beiläufiger Sexismus auf einmal anfing mich zu nerven …« denkt Marin zwar, spricht es aber nicht mal gegenüber ihrer Freundin aus, weil es ihr nicht mehr logisch erscheint.
Beim Bewerbungsgespräch ermahnt Marin sich selbst, nicht zu souverän auf ein ernstgemeintes Kompliment für ihren Leitartikel zu reagieren: »Ich lächle und senke erfreut den Kopf, aber ich will nicht zu großspurig wirken – worüber, denke ich urplötzlich, ich mir wahrscheinlich als Kerl gar keine Gedanken machen würde.«

Das ist schlicht die Realität, oder?

Später wird Marin richtig zornig: »Ich habe die Nase voll davon, euch alle einfach davonkommen zu lassen, wenn ihr so einen Scheiß redet.«
Sie gründet einen feministischen Buchclub, als Reaktion auf die männlich dominierte Literatur im Unterricht, und reagiert lautstark und handfest auf auch nur beiläufige, viel zu lange hingenommene Ungerechtigkeiten. Schließlich meldet Marin der Schulleitung, was ausgerechnet Bex ihr angetan hat, und hat fortan die ganze Schule gegen sich – fast …
Als später die Zeitungen über die Ereignisse an Marins Schule berichten und alle sich wundern, wie »so etwas heutzutage noch geschehen konnte«, konstatiert Marin trocken: »[…] ich schätze, das ist schlicht die Realität, oder?«
Dass der Kampf gegen die ungeschriebenen und ungerechten Regeln, gegen Sexismus und Diskriminierung, noch lange nicht ausgefochten ist – auch nicht in unserer ach so toleranten, aufgeklärten westlichen Welt – das schreiben Bushnell und Cotugno mitreißend und spannend in Rules for being a Girl. Bis auf einige unnötige Anglizismen und die inflationären »Moms« und »Grams« haben Sylvia Bieker und Martina Tichy auch frisch, eloquent und authentisch übersetzt. Mit einem sehr schönem Schluss: »Sorry, dass ich zu spät bin«, sagt er und zuckt ein wenig schüchtern mit den Schultern. »Ich musste erst das Buch zu Ende lesen.«

Nonchalant feministisch

Und von wegen Vorurteile: Wer hätte der Sex-and-the-City-Autorin so viel absolut überzeugenden, kenntnisreichen Feminismus zugetraut? Tatsächlich hat sie ihre Figuren nonchalant feministisch entworfen: »Diese Frauen nehmen sich einfach das, was für Männer völlig normal ist. Sie sind selbstbewusst, dominant, genießen Geld und Statussymbole – und sie haben Sex, wann und mit wem und mit wie vielen sie wollen«, sagt Bushnell. Richtig so, lasst uns die Regeln brechen!

Candace Bushnell & Katie Cotugno: Rules for being a Girl, Übersetzung: Sylvia Bieker und Martina Tichy, Dragonfly 2020, 287 Seiten, ab 14, 15 Euro

Überall Gespenster

Halloween

Kinder, Halloween muss dieses Jahr leider ausfallen. Jetzt ist es offiziell: Familienministerin Giffey verbietet die mittlerweile arg kommerzialisierte Plündertour von Kinderbanden am 31. Oktober. Weil die Gefahr von etwas echt Gruseligem zu groß ist, könnte doch ein minderjähriger Superspreader vor der Tür der netten alten Nachbarin stehen.
Wogegen aber (noch) nichts spricht, ist eine coole Kostümparty drinnen in kleinem Kreis.
Und wofür sehr viel spricht, egal, wie sich die Pandemie entwickelt, ist das ungeheuer gute Buch Halloween – von Geistern, Vampiren und anderen Spukgestalten. Und zwar nicht nur am 31. Oktober, dem Abend vor Allerheiligen.

Kürbislaternen, Leckereien und Tote

Auch Oíche na nÙll genannt, irisch-gälisch für »Snap Apple Night«. Was es mit diesem seltsamen Namen, mit Kürbislaternen und traditionellen süßen Leckereien auf sich hat und wie alles mit den Toten zusammenhängt und seit Jahrtausenden zelebriert wird, davon erzählt Birge Tetzner in Halloween klug und mitreißend.
Bekannt ist Tetzner als Autorin der Hörbücher mit dem Zeitreisenden Fred. Geschichte spannend erzählen kann sie super, aber für ihr neues Buch hat sie richtig Unheimliches ausgegraben. Vor allem im abschließenden Teil Eine echte Gruselgeschichte wird wahrhaftig tief gegraben und in ganz viele Gräber gekuckt.

Mancher Horrorfilm ist nur ein billiger Abklatsch

Das geht echt unter die Haut, weil alles wahr und richtige Archäologie ist. Denn im Kampf gegen Untote, Wiedergänger und Vampire haben sich die Menschen über die Jahrhunderte die bizarrsten, martialischsten Methoden einfallen lassen. Aberglaube mischt sich mit gefährlichem Unwissen. Pest und Tuberkulose verbreiteten Angst und Schrecken. Mancher Horrorfilm ist dagegen nur ein billiger Abklatsch.
Tetzner reist durch die Jahrhunderte, von Neuengland bis in den hohen Norden und in die abgelegensten Karpaten. Wir begegnen Draugr und Strigoi, Zombies und Vampiren. Hierzulande trieben Aufhocker und Nachzehrer ihr Unwesen. Nicht umsonst umfasst das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens zehn Bände (in Zeiten von kruden und extrem gefährlichen Verschwörungstheorien könnten noch ein paar Kapitel dazukommen).

Vom gekreuzten Oberschenkelknochen zum zarten Pfauenfederkiel

Dabei kommt die studierte Kunsthistorikerin gewitzt und raffiniert vom Hölzchen aufs Stöckchen – oder von den piratenmäßig gekreuzten Oberschenkelknochen zu den zarten Kielen prächtiger Pfauenfedern. Warum letztere als Hutschmuck für La Catrina unverzichtbar sind und wie in Mexiko ganz anders – nämlich liebevoll und freundschaftlich – mit den verstorbenen Angehörigen umgegangen wird, erfährt man in diesem höchst lesenswerten Buch. Dieses Halloween macht richtig Spaß und Lust, sich zu verkleiden und zu feiern. An jedem Abend im Jahr und für alle Leser ab dem Grundschulalter. Und mit wohligem Schauer spezielles Naschwerk zu genießen. Im Mittelteil finden sich deshalb viele leckere Rezepte, bei denen ein erwachsener Bäcker durchaus mehr als ein eiskaltes Händchen beisteuern sollte. An Halloween bleiben wir zu Haus – mit dem größten Vergnügen.

Halloween

Tiefer in die Welt der Gespenster eintauchen kann man dann auch mit der neuesten Anthologie des Kollektivs SPRING. Das besteht seit der Gründung 2004 ausschließlich aus Zeichnerinnen – ohne Binnen*, weil tatsächlich nur Frauen daran beteiligt sind.
Jedes Jahr erscheint ein neuer Band zu einem bestimmten Thema, ob Wunder, Arbeit oder Sex. Gespenster ist weniger eine Comic-Anthologie, sondern vielmehr besticht diese Ausgabe durch das Zeichnerische: Großflächige Fratzen in verwischtem Kohlestrich. Zart-nebulöse Bleistiftzeichnungen von Figuren und Räumen. Kontrastreiche und verzerrte Geisterstädte und Seelenlandschaften.

Kuscheltiere werden zu gar nicht friedlich ruhenden Dämonen

Knallige Kuscheltiere, nicht auf dem Friedhof, sondern als gar nicht friedlich ruhende Dämonen. Untot umherstreifende und unsichtbar, doch fühlbar begleitende Tiere. Dunkle, bedrohliche Wälder und Gänge, abgebrochene Zähne, bizarre Muster, Faszinierendes und Erdrückendes.
Es geht viel um persönliche Dämonen und düstere Emotionen. Katrin Stangl, Almuth Ertl, Doris Freigofas und Anke Feuchtenberger setzen auf die Macht des Bildes und spielen mit ihrer Zeichenkunst die Klaviatur des Unheimlichen in unterschiedlichen Stilen und Techniken aus.
Apropos heim, Stephanie Wunderlich nimmt sich in ihrer Strecke »Schließt die Türen« dem ganz aktuellen Schrecken des Rückzugs in die eigenen vier Wände, der Vereinsamung und der Gefühlsleere an.

Das Gespenst des Kapitalismus im Schlafanzug

Ein klassischer Comic, also witzige Dialoge und karikatureske Bilder in kleinteiligen Panels, ist dem Gespenst des Kapitalismus gewidmet. »Puh, hast du mich erschreckt!!! Wir hatten doch vereinbart, dass du nur noch auf gezielte Einladung hin her kommst! Wofür habe ich jahrelang Therapie gemacht?!« Es ist aber auch ein bemitleidenswertes Gespenst, mit dem notdürftig an der altmodischen Galauniform angenähten Kopf, zahnlos und längst von der modernen und perfektionierten Verrohung der globalisierten Welt vergessen. Diese Bilderstrecke ist ein absolut erschreckender Blick auf die Welt, Ausdruck von Schuld und Hilflosigkeit, bei der einem das Lachen im Halse stecken bleibt.

Blockade und Deadline – Geister, die niemand rief

Angesichts unstillbarer Gier und diktatorischem Konsumkult ist einem der gute, klassische Kapitalismus fast sympathisch und darf im Schlafanzug mit ins Bett schlüpfen.
Zu guter Letzt (und es ist kein Zufall, dass die Geschichte am Ende des ursprünglich mit 224 Seiten geplanten Buches steht) befasst sich Larissa Bertonasco mit mir leider auch nur zu gut vertrauten Gespenstern: der (Zeichen-)Blockade und der Abgabefrist, treffend auch Deadline genannt. Es hat sich gelohnt, auf diese sehr persönliche Comicstrecke zu warten, bannt sie doch die Geister, die viele ungerufen immer wieder neu piesacken.
Gespenster ist übrigens bereits der 17. Band von SPRING, aber der erste, bei dem das Titelbild im Dunkeln leuchtet. Ein leuchtendes Beispiel für die vielfältige und lebendige Szene der Zeichnerinnen und Illustratorinnen ist SPRING sowieso.

Birge Tetzner, Dirk Uhlenbrock (Illustration und Gestaltung): Halloween – von Geistern, Vampiren und anderen Spukgestalten, ultramar media, 2020, 96 Seiten, ab 9, 14 Euro

Spring #17: Gespenster, mairisch, 2020, 256 Seiten, 24 Euro