Let’s do it in style

Graphic NovelZugegeben: Wie sich die aktuellen Jugendkulturen gerade genau definieren, musste ich erstmal nachlesen: Cosplayer, Gamer und Skater sind heute angesagt und mir in gewisser Weise auch ein Begriff. Aber irgendwie sind sie im Stadtbild nicht so präsent wie Popper, Punker und Rocker zu „meiner“ Zeit in den 80ern, die mir ziemlich lebhaft im Gedächtnis haften. Immer noch. Das liegt wahrscheinlich in der Natur der Erinnerungen an die eigene Jugend. Aber vielleicht treibe ich mich momentan auch einfach nicht auf den entsprechenden Conventions und in Halfpipes herum und bin einfach zu alt …

Einen fast nostalgischen Rückblick in „meine“ Zeit hat mir jetzt die Graphic Novel Fahrradmod von Tobi Dahmen gewährt. Darin schildert er seine Jugend in den 70er und 80er-Jahren in einer westdeutschen Kleinstadt. Die Landschaft drum herum war weit und karg, nur die Hochspannungsmasten boten Orientierungspunkte … und die Musik, die aus England kam und Mode und Abwechslung mitbrachte. Tobi wird folgerichtig Mod. Auch wenn seine Klamotten immer einen Tick daneben liegen, und es für die coole Vespa nicht reicht. Aber es gibt Parties, Zusammengehörigkeitsgefühl und vermeintliches Ansehen.

In nuancierten Grautönen portraitiert Dahmen die Jugend der jetzt Mitt-Vierziger und die Zeit, als durchtanzte Nächte noch das höchste aller Gefühle darstellten, man wegen der falschen Schuhe schon mal Ärger bekam und die Pubertätshormone einem noch ganz schön die Sicht auf das Wesentliche verstellen. Eine geile Zeit. Eine Zeit, in der die eigene Befindlichkeit das Zentrum des Universums war, das politische Geschehen ein unklares Hintergrundrauschen war und die Musik alles. Vielleicht kann man hier die Gründe für so manche Gleichgültigkeit in unserer heutigen Gesellschaft finden, hatte diese Generation, die im Westen groß geworden ist, doch keine wirkliche Revolution zu verantworten. Manche Panels von Dahmen bekommen so einen faden Beigeschmack und lösen fast ein Gefühl von Trauer über diese merkwürdige Jugend aus.

Doch neben den manchmal jämmerlichen Partyexzessen seiner Helden zeichnet Dahmen sehr geschickt die Entstehung und Entwicklung der Musikströmungen nach, die heute allesamt als Oldies abgefeiert werden. Der Jazz und die Modernists, Rhythm & Blues, Ska und Motown, Garage Rock und Garage Punk, Disco und Heavy Metal, Psychobilly und The Smith. Er zitiert die Songs, zeigt, dass die Skins ursprünglich keine rechte Schlägertruppe waren, wie alles im Fluss und alles miteinander verbunden war und ist – und wo es dann doch gefährlich und rassistisch wurde.

Obwohl ich nur einen Bruchteil der Musik kenne und längst nicht alle Feinheiten der Geschichte aufdecke, da meine Jugend noch viel unspektakulärer verlaufen ist als die von Tobi hier, ist Fahrradmod in meinen Augen und Ohren ein gelungenes Portrait (m)einer Generation (vor allem von deren männlichem Teil), das mich amüsiert, gut unterhalten und musikwissenstechnisch sehr bereichert hat.
Vermutlich wäre es clever, diese Graphic Novel gleich mit dem entsprechenden Soundtrack im Hintergrund zu lesen. Eine Liste mit den Songs findet sich am Ende des Buches oder im Netz direkt hier.

Tobi Dahmen: Fahrradmod, Carlsen, 2015, 480 Seiten, 24,99 Euro

[Gastrezension] Musikalische Wolfsjagd 2.0

campinowolfWer einmal Sergei Prokofjews Musikstück Peter und der Wolf gehört hat, wird beim Klang einer Oboe immer zunächst an eine junge Ente denken, der ihre Abenteuerlust zum Verhängnis wird. Und wenn er ein Fagott hört, einen gestrengen Großvater vor sich sehen. Es ist dem russischen Komponisten mit seiner 1936 uraufgeführten Kindersinfonie gelungen, Instrumenten eine Stimme zu geben, sie zu Schauspielern zu machen und eine Geschichte erzählen zu lassen – und so Kinder an klassische Musik heranzuführen. Auf diese Weise haben Generationen von Kindern den mutigen Jungen Peter, der mit Hilfe eines kleinen Vogels einen gefährlichen Wolf fängt, in ihrer Fantasie lebendig werden lassen. Ganz abgesehen davon ist Peter und der Wolf ein zeitlos schönes Stück.

Dieses Potential hat auch das Produktionsduo Giants Are Small erkannt, bestehend aus dem US-amerikanischen Videokünstler Doug Fitch und dem Filmemacher Edouard Getaz, einem gebürtigen Schweizer. Weil sie aber wissen, dass Kinder heutzutage nicht so leicht zu faszinieren sind, haben sie den Klassiker raffiniert modernisiert: Sie verlegen die ursprünglich im ländlichen Russland spielende Geschichte nach Hollywood und betten die Originalsinfonie in eine actiongeladene Rahmenhandlung ein. Da wird der Großvater zu einem Hippie, der sich als Gärtner um das Anwesen eines Filmstars kümmert und die Jäger werden zu lästigen Paparazzi, ein Seitenhieb auf den Celebritykult.

Vor allem haben Giants Are Small Bilder zur Musik geschaffen, einen liebevoll in Mischtechnik aus Zeichnung, Modellbau und Fotografie gestalteten Trickfilm. Mit der dazugehörigen App können Kinder die Wolfsjagd interaktiv vorantreiben und die Schlinge zuziehen.

Auch musikalisch haben sie das Stück erweitert. Zwar wird Prokofjews Sinfonie im Original unverändert komplett gespielt, im sogenannten Vorspiel aber klingen zusätzlich zahlreiche Kompositionen von unter anderem Satie, Elgar, Mahler, Grieg, Mussorgski und Ravel an.
So sollen Kinder heute für klassische Musik begeistert werden. Allerdings sind diese Schnipsel so kurz angespielt und teils schon so oft verwendet und zweckentfremdet, dass manches Kind darin zwar einen Reklamejingle erkennen mag, aber nicht auf die Idee kommt, dass sich ganze Sinfonien und Opern, also abendfüllende Spielfilme sozusagen, dahinter verbergen könnten. Natürlich darf bei der actionreichen Verfolgungsjagd mit einem riesigen Roboter und Hubschraubern Wagners Walkürenritt nicht fehlen. Das schrammt knapp an der Banalisierung vorbei. Und leider ist immer noch nicht geklärt, was aus der Ente wird, die „der Wolf in seiner Gier im Ganzen verschlungen hat“ und die zum Schluss leise aus dem Bauch herausquakt. Dabei soll in der Neuinterpretation die Ente geradezu menschliche Züge haben und Peters bester Freund in der amerikanischen Fremde sein.

Erzählt wird die Geschichte im amerikanischen Original vom Rockmusiker Alice Cooper. Der deutsche Alice Cooper ist Campino, seines Zeichens nicht nur Sänger der Toten Hosen, sondern schon als Mackie Messer mit Brechts Dreigroschenoper und für Wim Wenders als Schauspieler unterwegs. Klassikbezug hat er auch, hat er doch soeben mit seiner Band und dem Sinfonieorchester der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule ein Album namens Entartete Musik – Willkommen in Deutschland veröffentlicht, das von den Nationalsozialisten verbotenen Komponisten endlich wieder Gehör verschafft. Die lustigen Opel-Gang-Zeiten sind schon lange passé.
Campino habe sich geehrt gefühlt, dass man ihn als Erzähler ausgesucht hat. Und es war ihm wichtig, dass das von ihm sehr geliebte Original erhalten bleibt. Campino macht seine Sache als, wie er zugibt, nicht-professioneller Sprecher sehr charmant und mit hörbarer Freude.

Peter und der Wolf in Hollywood ist eine überwiegend sehr gelungene und reizvolle Modernisierung des bald 80 Jahre alten Klassikers. Nur eines gelingt der neuen Version nicht – oder man traut es multimedial überreizten Kindern heute nicht mehr zu: Mit den Ohren zu sehen.

Elke von Berkholz

Sergei Prokofjew/Giants Are Small: Peter und der Wolf in Hollywood, erzählt von Campino, eingespielt vom Bundesjugendorchester unter der Leitung von Alexander Shelley, Deutsche Grammophon, CD, 52 Minuten, Download oder Stream mit interaktiver App, auch in einer Sonderedition mit 48-seitigem Buch, ab 3 Jahren, 16,99 Euro

 

[Gastrezension] Wachgerüttelt

hellwach„Hellwach“ assoziiert man nicht als erstes im Zusammenhang mit einem jungen Mädchen, das in seinen besten Freund verliebt ist und regelmäßig fette Joints durchzieht. Aber die knapp 17-jährige Kiri hat ein drastisches Erweckungserlebnis, und von da an laufen ihre Gedanken Amok und an Schlaf ist nicht zu denken. „Wild Awake“ heißt Hilary T. Smiths Romandebüt im Original, ein sehr treffendes Wortspiel.

Eigentlich will Kiri in den Ferien, die sie allein zu Hause verbringen darf, weil ihre Eltern zu einer Kreuzfahrt rund um die Welt aufgebrochen sind und der ältere Bruder die Semesterferien im Labor verbringen wird, erst mit Lukas einen Bandwettbewerb gewinnen und anschließend sein Herz. Außerdem möchte sie für einen nationalen Klavierwettbewerb üben.
Doch ein unbekannter Anrufer reißt die talentierte Pianistin und Keyboarderin aus ihren Träumereien: Er habe Kiris große Schwester Sukey gekannt, die vor fünf Jahren ums Leben gekommen ist und über die seitdem nicht mehr gesprochen werden darf.

Kiri, deren Eltern von ihr nicht mehr wollen, als „keine Flecken auf dem Teppich und eine nette Telefonstimmen“, also dass das Kind höflich, unkompliziert und zurückhaltend ist, geht dem Anruf nach und findet heraus, dass Sukey, eine leidenschaftliche Malerin, nicht bei einem Autounfall gestorben ist, wie alle immer behaupten. Sie beginnt Fragen zu stellen, hinterfragt sich und ihre Familie. Und wird dabei immer wütender auf ihre Eltern, weil sie die widerspenstige, freigeistige Sukey nicht akzeptiert und unterstützt haben: „Wenn ihnen ihre Scheißteppiche nicht so wahnsinnig wichtig gewesen wären, wäre Sukey jetzt nicht tot.“

Die Autorin beschreibt die Veränderung der Ich-Erzählerin in prägnanten Sätzen und findet starke Bilder. „Ich stehe da und hasse“, sagt Kiri voller lähmender Wut nach einem frustrierenden Streit mit ihrem Bruder. Später klingt sie versöhnlich: „Vielleicht sollte man Menschen nicht danach beurteilen, was aus ihnen geworden ist, sondern danach, was sie trotz allem geblieben sind.“ Und fasst schließlich die Sprachlosigkeit der Familie nach dem Tod der Schwester und Tochter in der Erkenntnis zusammen: „Wir stehen unsicher an der Kreuzung von Liebe und Vermeidungsverhalten, wie ein paar Touristen, die sich verlaufen haben und nicht wissen, welche Straße nach Hause führt.“

Bunte Farbspritzer auf dem alten Teppich halten Kiris Erinnerung an Sukey lebendig, ein schönes, fast poetisches Leitmotiv, das sich wie ein vielfarbiger Faden durch die Geschichte zieht. Das Buchcover spiegelt diese Idee allerdings nur halbherzig als pseudopsychedelische Kleckserei wider, die am Anfang jedes Kapitels als graugetönter Abklatsch zitiert wird, eigentlich nett gedacht, jedoch schlecht gemacht.

Smith, die zuvor anonym über ihre Erfahrungen als Dauerpraktikantin in der Buch- und Medienbranche gebloggt hat, macht in ihrer furiosen, warmherzigen Geschichte vom Erwachsenwerden, von Liebe und Tod, Kreativität und psychischen Krisen sehr vieles sehr gut: Zum Beispiel lesen sich glückliche Knutschszenen überhaupt nicht albern, verunglückte Annäherungsversuche aber fühlen sich exakt so peinlich an, wie sie für ihre Heldin sind. Dies ist auch der feinfühligen und nie überdrehten Übersetzung von Jenny Merling zu verdanken.

Situationen, die in anderen Romanen gern zu dramatischen Höhe- und Wendepunkten hochstilisiert werden, fügt Smith realistisch und schlüssig in die Geschichte ein: Kiri wird nicht gleich vergewaltigt, als sie trotzig und zugedröhnt zu einem älteren Mann ins Auto steigt. Und nach einem nächtlichen Zusammenstoß mit einem PKW kommt der Teenager mit lädiertem Rad, zerrissenen Leggins, etlichen blauen Flecken und blutigen Schrammen davon, und erleidet nicht gleich eine Querschnittslähmung oder ein schweres Schädelhirntrauma. So ist das Leben nämlich in Wirklichkeit: Man kriegt vom Schicksal immer wieder eine gewischt, aber dass „danach nichts mehr ist wie zuvor“ kommt eher selten vor, kleine Wachrüttler sind dagegen häufiger. Und dann liegt es an einem selbst, was man daraus macht.

Apropos Fahrrad: Man merkt gleich zu Anfang, dass dieses Buch nicht in den USA spielt, wo das Fahren von Spritfressern scheinbar zu den Grundrechten gehört und jeder Jugendliche ab 16 einen Führerschein hat. Kiri fährt viel Fahrrad im kanadischen Vancouver (sogar ohne Helm) und ihr flottes Zweirad wirkt einige Male entscheidend und wegweisend.

Insgesamt gleicht Kiris Sommer und Hilary T. Smiths Roman einer nächtlichen Fahrradspritztour durch die Stadt, im eigenen Rhythmus, ohne dass Ampeln und Autoverkehr das Tempo bestimmen. Man fährt durch vermeintlich bekannte Gegenden und entdeckt nachts ganz neue Facetten. Mal gleitet man genießerisch dahin, mal legt man einen erfrischenden Sprint ein, mal droht man ins Schleudern zu geraten. Man spürt alles viel deutlicher, unmittelbarer: den Wind in den Haaren, die vom Asphalt abgestrahlte Wärme, die plötzliche Kälte nach einem Schauer, die nächtliche Stille. Ein Trip, bei dem man leicht neben sich zu stehen scheint und doch hellwach ist, „sowas von da“, wie einst Tino Hanekamp treffend sein in einer Silvesternacht spielendes Debüt betitelt hatte. Ein Trip, bei dem man immer weiter mitfahren will.

Elke von Berkholz

Hilary T. Smith: Hellwach, Übersetzung  Jenny Merling, FJB Fischer Verlag, 2015, 367 Seiten, ab 14, 14,99 Euro

 

Eine Hörwonne

pastewka

Ich muss ganz dringend etwas nachreichen: das Neueste vom Neuesten in Sachen Pünktchen und Anton. Kästner habe ich ja in schöner Regelmäßigkeit hier auf dem Blog, aber meine Lektüre dieser Berlingeschichte ist auch schon wieder über drei Jahre her.

Doch nun fühle ich mich ein weiteres Mal in meine Kindheit zurückversetzt, denn endlich kann ich mir Kästners Geschichte wieder vorlesen lassen. Es ist herrlich. Schauspieler Bastian Pastewka hat den Roman  eingelesen und zwar ungekürzt. Nicht wie bei dem Kinderhörspiel von 1963, dem ich vor vielen Jahren bei meiner Großmutter gelauscht habe. Gerade eben habe ich sogar eine Audioversion auf You-Tube gefunden – und bin nach ein paar Minuten wieder ausgestiegen. Die schnarrende Art des ehemaligen Erzählers ist man einfach nicht mehr so richtig gewöhnt.

Umso feiner ist die Les-Art von Pastewka: Unaufgeregt in den Erzählpassagen, berlinernd, wenn die Dicke Berta auftritt, herrlich blasiert als Fräulein Andacht, frech als Pünktchen, hinterschleimig als Robert der Teufel. Kästners Figuren erwachen hier zu ganz frischem Leben, befreit von jeglichem Akustikstaub, so dass man die drei CDs in einem Rutsch durchhören kann. Viel zu schnell vergehen die 225 Minuten.
Das mag neben Pastewkas fesselnder Performance auch an den Musikstücken zwischen den Kapiteln liegen. Pfiffig, schmissig und ein bisschen schräg umrahmen sie Kästners Geschichte und vermitteln einen Hauch von einem Berlin der 20er, 30er Jahre, ohne altbacken oder nostalgisch zu erscheinen. Sie passen perfekt.

Die einzigen, leichten Textänderungen, die die CD-Macher vorgenommen haben, betreffen die Stellen, an denen Kästner seine Leser direkt anspricht und auf das Lesen bzw. Überlesen der Nachdenkereien hinweist. Hier wird in der Logik des Mediums von „hören“ und „überspringen“ gesprochen. Verwirrung bei jungen Zuhörern wird so vermieden, die Konzentration auf die Erlebnisse von Anton und Pünktchen befördert.
Für mich ist diese Audio-Version durch all diese liebevollen Bearbeitungen zu einem überaus gelungenen Gesamtkunstwerk geworden.

Erich Kästner: Pünktchen und Anton, 3 Audio-CDs, ungekürzte Lesung mit Musik, 225 Min., Komposition: Marc Schubring/Carsten Gerlitz, Illustration: Walter Trier, Gesprochen von Bastian Pastewka, Oetinger audio,  2015,  ab 8, 19,99 Euro

50 Jahre Die drei ???

die drei ???Ach, die ewigen Berufsjugendlichen benutzen Handys? Das war die erstaunlichste und vermutlich banalste Feststellung, die ich machte, als ich mir dieser Tage eines der aktuellen Die drei-???-Bücher schnappte, das mit dem Titel Sinfonie der Angst.

Anlass war, dass Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews, die drei Detektive aus Los Angeles, heute 50 werden. Jawohl. Am 26. September 1964 erschien in den USA der erste Band unter dem Titel The Three Investigators. Die deutschen Kinder mussten noch bis 1968 warten, bis sie mit den Jungs mitfiebern und ermitteln konnten. Die drei ??? und das Gespensterschloss war gefühlt auch meine erste Detektivgeschichte. Ende der 70er Jahre habe ich sie mit meinem Bruder zusammen auf Kassette rauf und runter gehört. Damals war ich fest davon überzeugt, dass Alfred Hitchcock diese Geschichten persönlich geschrieben und inszeniert hatte. Zierten doch sein Name und sein Konterfei die Cover von Büchern und Kassetten. Das hatte immer etwas sehr Beeindruckendes und Respekteinflößendes.

Irgendwann habe ich Die drei ??? nicht mehr gehört und gelesen. Man wächst da ja raus und entdeckt anderes. Umso netter, jetzt einmal wieder einzutauchen, in die fast beschauliche Welt der Detektive. Los Angeles hat bei ihnen nichts von dem Ausufernden und Unüberschaubaren des realen Molochs. Nur am Rande bekommt man mit, dass die Autofahrten dort sehr zeitraubend sein können. Aber ich schweife ab. Denn darum geht eigentlich gar nicht. Es geht viel mehr – für mich – um die Entmystifizierung eines Kindheitsphänomens.
Denn natürlich hat Hitchcock die Fälle der Drei ??? nicht selbst geschrieben. Das war zunächst der Journalist Robert Arthur. Hitchcock hat ihm nur seinen Namen geliehen, clever und geschäftstüchtig. Es hat gewirkt. Bei mir jedenfalls. Arthur selbst hat die ersten zehn Folgen der Reihe geschrieben. Er verstarb 1969, danach setzten andere Autoren die Arbeit fort. In Deutschland sind bis jetzt 175 Fälle erschienen, zehn deutsche Autoren liefern mittlerweile die Geschichten. In den USA wurde die Serie bereits 1987 eingestellt. Vielleicht sollte man den Drei ??? die deutsche Staatsbürgerschaft anbieten, so sehr sind sie zu einem Teil von deutscher Kindheit geworden. Mehr als 16,5 Millionen Bände sind laut Verlagsangabe seit Reihenstart vor über 40 Jahren hierzulande verkauft worden. Man muss also von Kult sprechen, wenn man von den Drei ??? spricht.

Wenn ich die Pressmappe vom Kosmos-Verlag so lese, merke ich, dass ich damals nur die Vorhut eines Phänomens miterlebt habe. Mittlerweile gibt es neben den Büchern und Hörspielen Kinofilme, Computerspiele, Kids-Bände für Leser ab acht Jahren, Comics und Detektivkästen. In einem Airstream-Wohnwagen tourte die geheime Zentrale der Drei ??? 2005 durch Deutschland, die Hörspielsprecher Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich füllen mit dem Live-Event Phonophobia, dem der oben abgebildete Band Sinfonie der Angst zugrunde liegt, ganze Arenen. Es gibt Sonderausgaben und dreibändige Schuber. Im Netz können die Kinder den Drei ??? helfen einen üblen Rufmörder zu entlarven. Auf facebook sind die Detektive natürlich auch … Es kann einem fast ein bisschen schwindelig werden.

Sinfonie der Angst übrigens habe ich auf einer kurzen Bahnfahrt von Berlin nach Hamburg verschlungen und fühlte mich gut unterhalten. Darin geht es um einen synästhetischen und etwas durchgeknallten Orgelkomponisten, der die Musik zu einer bedrohlichen Waffe umfunktionieren will. Ziemlich schräg, aber auch sehr spannend. Da kann ich schon verstehen, dass Kinder und Erwachsene immer noch fasziniert und gebannt sind.

In der Pressemappe zum 50. Jubeltag der Drei ??? gibt es auch einen Zettel mit kuriosen Fakten, auf dem man solche Infos findet, wie: „Mit allen verkauften Bänden der Drei ??? könnte man rund 60 Fußballfelder bedecken“ oder „Die Band Jupiter Jones hat sich nach dem gleichnamigen Detektiv benannt, der in der deutschen Fassung der Bücher Justus Jonas heißt“. Kurios oder nicht, erschütternd fand ich darunter eher dieses Faktum: „Der Drei-???-Band Feuerteufel war bis dato der einzige Band, auf dem der Name des Autors auf dem Cover erschienen ist.“  Mit Name des Autors ist nicht Alfred Hitchcock gemeint (s.0.), sondern André Marx.
Wir Übersetzer beschweren uns immer, nicht wirklich sichtbar auf den Covern der übersetzten Bücher zu stehen. Und jetzt finde ich hier eine ganze Riege von Autoren, die auch nicht wirklich sichtbar sind. Daher gratuliere ich hiermit den aktuellen Schöpfern der Drei-???-Geschichten zu ihrer Arbeit und zu dem Erfolg (der sich hoffentlich auch für sie auszahlt), als da wären:

Hendrik Buchna, Christoph Dittert, Kari Erlhoff, Katharina Fischer, Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer, André Marx, André Minninger, Ben Nevis, Marco Sonnleitner und Astrid Vollenbruch.

Kari Erhoff: Die drei ??? – Sinfonie der Angst, Kosmos, 2014, 144 Seiten,  ab 10, 8,99 Euro

Der Sinn des Lebens ist mehr als Eierbrötchen

kunoDass Bücher wahre Wundertüten sein können, ist für Buchliebhaber nichts Neues.   Ein ganz knalliges Exemplar dieser Spezies ist das Bilderbuch Kuno Knallforsch von Dietmar Jacobs, Andreas Schnermann und Horst Klein.

Jacobs, der unter anderem für die TV-Serien „Stromberg“ und „Pastewka“ geschrieben hat, erzählt hier die Geschichte von Frosch Kuno, der lieber knallt, als quakt. Kuno knallt so laut, dass er aus dem heimischen Froschteich fliegt. Er macht sich auf den Weg in die große, weite Welt und sammelt andere Tiere ein, die ebenfalls ungewöhnliche Geräusche machen und etwas aus der Art fallen: Der Specht Woody dingel-dongelt, der Elch Sören röhrt, Hahn Breular bringt den Eierschneider zum Klingen und Katze Mimi bubbeldibabt. Gemeinsam wollen sie nach Hamburg in den berühmten Club Bubalubalu, um dort zu rocken und berühmt zu werden. Dass nicht immer alles so kommt, wie man es sich vorstellt, müssen die fünf Freunde dann natürlich feststellen.

Aber bis es so weit ist, machen sie Musik. Die findet sich als Musical-Hörbuch auf einer beigelegten CD. Die Texte und Noten der Songs von Andreas Schnermann sind gleichzeitig im Buch zum Mitsingen und – wer ein Instrument beherrscht – zum Mitspielen abgedruckt. Die Lieder gehören unterschiedlichen Gattungen an, von der ruhigen Ballade über die peppige Polka bis zum geschmeidigen Swing, und zeigen den Kindern so, was Musik alles zu bieten hat.
So wie die Musik die Geschichte zum Rocken bringt, so steht die Sprache auf der Textebene dem in nichts nach: Es knallt und reimt, plingt und plongt, erzählt von Flummis, die pinkeln müssen, überrascht mit Schweden-Wortwitzen, die zwar nur die Erwachsenen verstehen dürften, und bubbeldibabelt vor sich hin, wie es nicht nur junge Leser gern haben.
Die dritte Ebene, die dann die Wundertüte fast zum Platzen bringt, sind die Bilder von Horst Klein: Großzügig, flächig, in leicht gedämpften Farben verpasst er jedem Musik-Tier eine eigene Persönlichkeit, so dass man sie allesamt sofort ins Herz schließt.
Diese Kombination aus Text, Bild und Musik liefert den Lesern, Zuschauern und Zuhörern nicht nur jede Menge Spaß, sondern auch ein wunderbares Beispiel, was interdisziplinäre Kunst alles kann.

Die Kirsche auf diesem Bilder-Buch-Musik-Leckerbissen ist dann natürlich die Botschaft von Kuno: Selbst wenn man wegen einer durchgeknallten Eigenschaft aus dem heimischen Teich fliegt, kann man viel Spaß und gute Freunde im Leben finden. Man sollte sich also nie von seinem Knall abbringen lassen und fröhlich weiter machen.

Dietmar Jacobs/Andreas Schnermann,: Kuno Knallfrosch. Musical für Kinder, m. Audio-CD, Illustration: Horst Klein,  Fischer KJB, 2014, 48 Seiten, ab 2, 19,99 Euro

Soundtrack einer Flucht

tonspurMusik kann ein starker Motor sein. Das muss man wohl niemandem erklären. Was wir nur heute gern vergessen, ist, dass wir diesbezüglich in einer überaus bequemen Welt leben, in der jede Art von Musik jederzeit verfügbar ist, selbst nachts übers Internet können wir so gut wie alles kaufen, streamen, kopieren. Dass es Zeiten und Länder gab, in denen das alles anderes als selbstverständlich war, davon erzählen Olaf Hintze und Susanne Krones in Tonspur.

Doch es geht natürlich um mehr als Musik, denn bei dieser Geschichte handelt es sich um Hintzes autobiografischen Bericht, wie er im Sommer 1989 aus der DDR flüchtet. Aber die Musik aus dem Westen ist einer der treibenden Faktoren, die den damals 25-Jährigen dazu bringen, Eltern, Geschwister, Freunde zu verlassen. Hintze ist ein Kulturmensch, der ohne Musik und Literatur nicht leben kann und will. Die Einschränkungen, die der sozialistische Staat ihm auferlegt, drücken mit der Zeit immer mehr. Sein Wunsch nach Abitur und Studium bleibt ihm unerfüllt, da sich der Junge nicht den politischen Vorgaben und Ansprüchen der DDR-Gesellschaft anpasst. Auf eine ruhige Art bleibt Hintze ein Außenseiter, für den Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“ zu einem Wegweiser und Lebensbuch wird.

Im August 1989 reist Hintze mit Freunden durch Rumänien und Bulgarien, setzt sich schließlich von der Gruppe ab und fährt nach Sopron. Er erkundet die Gegend, sucht nach Möglichkeiten, die Stacheldrahtzäune der österreich-ungarischen Grenze zu überwinden. Dass die Grenze durchlässig geworden ist, entnimmt er westdeutschen Zeitungen. Dennoch ist er sich der Gefahr bewusst, der er immer noch ausgesetzt ist. Seine Flucht gelingt – allerdings anders, als man es bei dem Ort Sopron gemeinhin denken mag.

Tonspur ist auf eine ganz besondere Art ein packendes Buch. Die Schilderung von Olaf Hintzes Flucht ist verpackt in die Erinnerung an seine Kindheit in der DDR. Er erzählt vom Alltag des Mangels, vom Schlangestehen, von den kleinen Gefälligkeiten für ein bisschen besseres Leben. Von einer Schule, in der die politische Haltung wichtiger ist als das Wissen, von einer Zeit bei der Armee, die eigentlich nur Schikane ist, von seiner Leidenschaft für Nachrichtentechnik und selbstgebastelten Radios. Und davon wie er sich bei jeder Gelegenheit, in der DDR kaum zu bekommende Musik-Platten besorgt. So unspektakulär sich das vielleicht anhört, so sehr zieht einen dieser scheinbar ewige Hindernislauf in den Bann.
Flankiert wird der Text von Fotos aus Hintzes Leben – und Abbildungen von den Beschriftungen seiner geliebten Mixtapes. Die sind einfach rührend, denn lange Zeit hatte Hintze keine Möglichkeit, die Namen der Künstler und die englischen Titel irgendwo abzuschreiben. Lautmalerisch hat er die aufgezeichneten Künstler und Songtitel dokumentiert, so dass man dort dann von „Mikel Schäksen“ und „Biedet“ liest. Mag man im ersten Reflex grinsen, so offenbaren diese liebenswerten Kleinigkeiten doch die immens große Sehnsucht nach selbstbestimmtem Musikgenuss und im Endeffekt nach Freiheit.

Im Jahr 25 nach dem Mauerfall stellt Tonspur eine rundum gelungen Erinnerung an eine Welt von Gestern dar, an die ältere Generationen sich noch erinnern, manche sie möglicherweise verherrlichen werden, die die jüngeren Leser aber nicht mehr kennen. In der Geschichte von Hintze und Krones finden sie einen klaren Blick auf das „normale“ Leben in der DDR, der gleichzeitig den Luxus unserer Welt von Heute spiegelt und zeigt, wie wertvoll ein selbstbestimmtes Leben ist.

Olaf Hintze/Susanne Krones: Tonspur – Wie ich die Welt von gestern verließ, dtv/Reihe Hanser, 2014, 360 Seiten, ab 14, 14,95 Euro