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Happy Birthday, Pippi Langstrumpf!

pippiIn diesen Tag jährt sich nach all den Kriegende-Rückblicken noch ein Jahrestag: Vor 70 Jahren erblickte Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf das Licht der Buchwelt.

Aus diesem Anlass zeigt Arte am 24. Mai 2015 den Dokumentarfilm Astrid Lindgren der Schwedin Kristina Lindström.
Im Film taucht man ein in die Welt von Astrid Lindgren, die am 14. November 1907  in der Nähe von Vimmerby geboren wurde. In historischen Filmaufnahmen sieht man den Viehmarkt von Vimmerby und leicht unscharfe Aufnahmen von Astrid Ericsson, so ihr Mädchenname, mit großen weißen Schleifen im Haar. Filmemacherin Lindström rollt das Leben der Schriftstellerin auf, die bereits als Kind zu schreiben begann und schon früh als die „Selma Lagerlöf von Vimmerby“ bezeichnet wurde. Lindgren ist rebellisch, lässt sich als erste im Dorf einen Bubikopf schneiden, liebt das Kino und den Jazz. Sie macht ein Zeitungsvolontariat und wird mit 18 schwanger. Es ist keine Liebe. Heimlich bringt sie ihren Sohn Lars in Kopenhagen zur Welt und gibt ihn zu einer Pflegemutter – was sie ihr Leben lang bereuen wird, wie dieser Film sehr eindrücklich zeigt. Drei Jahre später holt sie den Sohn nach Schweden, doch erst 1931, als sie Sture Lindgren heiratet, kann sie sich richtig um ihn kümmern und Mutter sein. Die Jahre der Trennung vom Sohn haben Astrid Lindgren tief geprägt.

pippiNeben den Daten zu Astrid Lindgrens Biographie offenbart der Film zudem die Einflüsse, künstlerischer und familiärer Art, die in die Bücher der Schriftstellerin eingeflossen sind.
Es gibt hinreißende Ausschnitte aus dem Stummfilm „Through the Back Door“ von 1921, in dem Mary Pickford anfangs eine aufmüpfige 10-Jährige spielt. Lindgren liebte scheinbar die Filme von Pickford. Man sieht hier quasi eine frühe Version von Pippi, die auf Schrubberbürsten den Fußboden putzt und ein Pferd am Schwanz zieht.
Auch wie Lindgren die politischen Entwicklungen während des zweiten Weltkriegs allegorisch verarbeitet, macht der Film deutlich.

Das Schreiben hat Astrid Lindgren über ihren Schmerz geholfen. Wenn sie schrieb, ging es ihr gut, wird berichtet. Dann tauchte sie wieder ein in eine glückliche Kindheit. Ihre eigene endete, als sie schwanger wurde. Sie entwickelte aus ihren bitteren Erfahrungen als ledige junge Mutter den Respekt für die Kindern, der aus ihren Geschichten strahlt, und für den wir sie so lieben. So berichtete Oetinger-Verlegerin Silke Weitendorf im Gespräch nach der Filmvorführung, dass Lindgren sie in persönlichen Begegnungen nie mit lästigen Erwachsenenbemerkungen genervt hat, sondern sie immer fragte: „Bist du ein glückliches Kind?“
Das Glück der Kinder lag Lindgren am Herzen. Den Erwachsenen hat sie es in ihrer Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1978 noch einmal ganz deutlich und unmissverständlich gesagt: Niemals Gewalt gegen Kinder. Auch daran erinnert der Film.

Ursprünglich war dieser Film in der schwedischen Originalfassung drei Stunden lang. Für das deutsche Publikum wurde er auf 52 Minuten gekürzt – was ich sehr schade finde, den Astrid Lindgren ist so eine interessante Frau gewesen, dass man eigentlich nicht genug über sie erfahren kann …
Doch auch nach dieser kurzen Version ist man von Astrid Lindgren tief beeindruckt und liebt sie nun noch mehr. Ihre Bücher werde ich nun mit einem geweiteten Blick und diesem wichtigen Hintergrundwissen erneut lesen.

Astrid Lindgren. Ein Film von Kristina Lindström. Deutsche Fassung: Claudia Drexel, 2015, 52 Minuten. Zu sehen auf arte am 24.05.2015 um 22.15 h.

Die Kunst der cucina italiana

poExkurs. Wer mich kennt, weiß, dass ich es mit Italien habe. Ich habe die Sprache und die Literatur studiert, trashige Fotoromane seziert und übersetze aus dem Italienischen. Ich gehe auch gern italienisch essen. Manchmal koche ich auch italienisch. Kochen ist aber eigentlich nicht so ganz meine Stärke, was aber eher an meiner Stressanfälligkeit liegt und ich dann doch nicht immer die Geduld aufbringe, eine Tomatensoße vier Stunden köcheln zu lassen.

Mag sein, dass sich das demnächst aber mal ändert. Denn mir sind drei ganz wunderbare Kochkompendien ins Haus geflattert, die es eventuell sogar schaffen, mich an den Herd zu treiben.

Il Po widmet sich dem gesamten Verlauf des Flusses Po und der angrenzenden Ebene. Von den Alpen im Westen bis zur Mündung mit den Lagunen im Osten. Autor Michael Langoth erzählt die Geschichten von Parmigiano Reggiano (nicht zu verwechseln mit Grana Padana), Prosciutto, Culatello und Salumi. Er zeigt, was Polenta und Risotto können. Detailliert geht er auf die verschiedenen Kochtechniken ein, so dass die Ausrede, man wüsste nicht, wie es gemacht wird, nicht mehr zieht. Die Rezepte sind am Fuß der Seite mit Fotos der Zutaten versehen – und das auf ungeschönt, ehrlich Art: das liegt dann eben auch das nackte Kaninchen, das mit Rosmarin, Thymian, Sellerie und Knoblauch in Weißwein geschmort wird. Zimperlich darf man hier nicht sein. Dafür wird es garantiert lecker.

venedigReist man vom Po-Delta ein Stück gen Norden, kommt man unweigerlich nach Venedig. In den vergangenen Jahren habe ich einen Bogen um die Stadt gemacht. Zu touristisch, zu Kreuzfahrtschiffverseucht. Doch Venedig. Die Kultrezepte weckt meine Sehnsucht nach dieser Perle. Laura Zavan reichert die fisch- und muschellastigen Rezepte mit Infos über Venedig und seine Stadtviertel an, bietet Rundgänge durch die Gassen, in denen ich immer die Orientierung verloren habe, und verrät, wo es die leckersten Chicheti (die Häppchen zu den Aperitifs), Antipasti, Fische oder Käse gibt. Das sind tausend gute Gründe nach Venedig zu fahren, wie ich feststelle. Tausend gute Gründe, dieses Buch genau zu studieren.

Ebenfalls mit Geschichten, um Trüffel, Artischocken, Meersalz, Grappa, Köche, Züchter, Bauern ist das Fast-Rundum-Werk Bella Italia angereichert.
italiaFast, sage ich, weil doch tatsächlich neun Regionen Italiens in diesem Riesenwerk ausgespart sind – Sardinien und Südtirol beispielsweise. Was ich nicht ganz nachvollziehen kann.
Nichtsdestotrotz sind die vorgestellten Köstlichkeiten so köstlich und Wasser-im-Mund-zusammenlaufen-lassend, dass ich eine Weile brauchen werde, um alle mal durchzuprobieren. Zumal die Fotos einen echt vom Kochen ablenken und zum Träumen bringen – wie bei den beiden anderen Werken auch schon …
Wenn Guy Grossi in der nächsten Saison dann vielleicht noch die fehlenden Regionen nachreicht, vielleicht als Teil 2 überschrieben,  könnte das Werk möglicherweise als Standardkochbuch für ganz Italien durchgehen.

Bis es soweit ist, werde ich mal öfter die Küche aufsuchen – oder gleich nach Italien reisen und mich vor Ort von den Könnern mit den Spezialitäten verwöhnen lassen.

Michael Langoth: Il Po. Kulinarische Impressionen, Edition Styria, 2014, 224 Seiten, 39,99 Euro
Laura Zavan: Venedig – Die KultrezepteAT Verlag, 2014,  272 Seiten, 29,90 Euro
Guy Grossi: Bella Italia. Das Kochbuch, Dorling Kindersley, 2014, 544 Seiten, 49,95 Euro

Poetisch durchs Jahr

kinderkalenderDas Jahr neigt sich dem Ende. Man könnte langsam anfangen, Rückblick zu halten – oder sich auf das kommende Jahr freuen. Ich tu’s. Denn 2015 werde ich mich vom Arche Kinderkalender begleiten lassen.

Jede Woche gibt es da ein neues Gedicht, ein neues Bild, eine neue Überraschung. Kindergedichte und Nonsensverse aus 32 Ländern hat die Internationale Jugendbibliothek in München hier zusammengetragen. Und jedes ist eine Perle. Da trifft man auf Winterkatzen und Waschmaschinenhäuser, Möwen und Fledermäuse, Monster und Nashörner. Es spritzzt spritzzzt spritzzzzt … Wolken ziehen und Kirschen blühen.

Für mich als Übersetzerin gibt es zudem den schönen Mehrwert, dass die Gedichte aus anderen Ländern in ihrer Ursprungssprache abgedruckt sind. Sicher, ich kann kein Japanisch, Koreanisch, Hebräisch oder auch Niederländisch, aber bei Englisch, Italienisch, ein bisschen beim Spanischen, kann ich das Original lesen und dem Klang lauschen – und die Versionen der Kollegen bewundern und schätzen. Denn Gedichte zu übersetzen ist vielleicht die höchste Kunst: Musikalität, Sprachrhythmus, Reime, Verdichtung, Adaption, Übertragung von scheinbar Unübertragbarem, der Mut, ganz andere Lösungen zu finden, die aber die gleiche Wirkung im Deutschen erzeugen – die Herausforderungen bei Gedichtübersetzungen sind vielfältig und ich ziehe vor jedem den Hut, der sich daran wagt.

In Kinderzimmern werden die Gedichte zusammen mit den großartigen Illustrationen mit Sicherheit für Stauen sorgen, wie Gudrun Pausewang in ihrem Vorwort schreibt. Denn die Bilder „brauchen nicht übersetzt zu werden. […] Man muss sich nur Zeit zum Betrachten nehmen.“

Also nehmen wir uns die Zeit für diese poetische Wundertüte und entdecken die Welt dabei. Wir haben ein ganzes Jahr dafür.

Arche Kinder Kalender 2015. Mit 53 Gedichten und Bildern aus der ganzen Welt. Herausgegeben und ausgewählt von der Internationalen Kinderbibliothek, München. Mit einem Vorwort von Gudrun Pausewang, Arche Kalenderverlag, 2014, ab 5, 18 Euro

Krieg in der Kinder- und Jugendliteratur

kriegAm Wochenende war ich in Tutzing am Starnberger See. Dort findet alle zwei Jahr in der Evangelischen Akademie eine Tagung zur Kinder- und Jugendliteratur statt, die von der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen (AvJ) und dem Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität in Frankfurt am Main organisiert wird. In diesem Rahmen treffen dann Wissenschaft, Verlage, Autoren, Übersetzer, Lehrer, Buchhändler und Bibliothekare aufeinander und informieren sich und diskutieren lebhaft über ein bestimmtes Thema im Bereich Kinder- und Jugendbuch.

Im Zuge des Gedenkens an den Ausbruch des ersten Weltkriegs vor hundert Jahren stand diese Tagung ganz im Zeichen von Krieg in der Kinder- und Jugendliteratur. In den Vorträgen wurde dabei sowohl ein Blick zurück geworfen, auf die Literatur, die unmittelbar im ersten Weltkrieg erschien, wie beispielsweise Nesthäkchen und der Weltkrieg von Else Ury, aber auch auf die Gegenwartsliteratur, die sich mit dem Kriegsgeschehen befasst, wie Feldpost für Pauline von Maja NielsenDer Krieg ist ein Menschenfresser von Elisabeth Zöller oder Mein Opa, sein Holzbein und der Große Krieg von Nikolaus Nützel. Quintessenz war, dass es kaum noch Erfahrungs- und Erlebnisliteratur über den ersten Weltkrieg geben kann, da die Zeitzeugen bereits gestorben sind, und daher eigentlich nur noch die Form des historischen Romans als Darstellungsmittel in Frage kommt. Von diesen aktuellen Büchern bekamen die Tagungsteilnehmer einen plastischen Eindruck, da neben Elisabeth Zöller auch die Autoren Herbert Günther und Jürgen Seidel aus ihren neuesten Werken am Samstagabend lasen.

kriegDoch nicht nur Literatur, die den Krieg in all seinen Facetten zeigt, um so zu pazifistischem Denken anzuregen, wurde vorgestellt, sondern auch die Kriegsdarstellung in Tiererzählungen und -animationsfilmen sowie in zeitgenössischen Computerspielen wurde betrachtet. Mag das für Außenstehende abwegig klingen, so ist dieser Blick über den Tellerrand jedoch immer sehr erhellend und aufschlussreich, zumal zu unserem täglichen Konsum von Kulturgut Film und Computer mittlerweile selbstverständlich dazugehören. Filme wie Antz oder Das große Krabbeln, die ab sechs Jahren freigegeben sind, konfrontieren die Kinder bereits früh mit Kriegsgeschehen und militärischen Machtspielen. Ähnlich scheint es bei Computerspielen zu sein, mit denen ich mich so gut wie gar nicht auskenne. Auch dort gibt es Spiele, in denen gekämpft, angegriffen und zerstört wird, an die bereits Sechsjährige heran dürfen. Hier entspann sich kurz eine Diskussion um Ächtung von Kriegs- und Killerspielen, die zwar berechtigt, für die diese Tagung jedoch der falsche Ort war, ging es doch vornehmlich um eine Präsentation des Ist-Zustandes und dem, was es in unserer Gesellschaft alles gibt. Eine moralische Bewertung des Phänomens Ego-Shooter muss an anderer Stelle geschehen.

mutter kriegFür mich war darüber hinaus noch der Workshop zum ersten Weltkrieg im Comic interessant. War der Große Krieg  lange Zeit nur in wenigen Publikationen von Hugo Pratt, Jacques Tardi oder Markus Wiedenhöft und Dirk Fastermann ein Thema, so gibt es  momentan doch einige neue Graphic Novels dazu.
Die umfangreichste ist die Gesamtausgabe Mutter Krieg von den Franzosen Kris und Mael, die vor dem Hintergrund der Schlachten an der französischen Westfront einen Kriminalfall inszenieren. In aquarellierten Panales mit zarten Tuschzeichnungen werden die Schrecken des Krieges eindrücklich sichtbar: jugendliche Soldaten, Grabenkämpfe, Panzer, Giftgasangriffe – das Spektrum ist umfangreich in diesem Werk. Leider ist die Übersetzung hier nicht ganz stimmig, was u.a. an den zu aktuellen Schimpfworten oder dem nicht korrekten Ave-Maria zu erkennen ist. Es hat mich schon ein wenig gewundert, dass bei der deutschen Produktion dieses in Frankreich sehr geschätzten Bandes darauf nicht richtig geachtet wurde. Übersetzen ist überhaupt nicht einfach, das weiß ich aus Erfahrung, und ich habe höchsten Respekt vor der Arbeit der Kollegen, doch ein gutes Lektorat gehört einfach dazu, denn kein Übersetzer ist perfekt.
In Sachen Comics zum ersten Weltkrieg muss ich also noch weiterschauen, was sich zu lesen lohnt.

kriegLohnend scheint auf jeden Fall der Erzählband Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen zu sein. Herausgeberin Alexandra Rak hat dafür 15 Autorinnen und Autoren angeschrieben und um eine Erzählung zum ersten Weltkrieg gebeten. So finden sich in diesem Band Gudrun Pausewang, Paul Maar, Kirsten Boie, aber auch Nils Mohl und Nataly Elisabeth Savina als Vertreter der jüngeren Generation und liefern neben ihren Geschichten auch Bilder aus der Zeit von vor hundert Jahren. Diesen Band werde ich mir dieser Tage  genauer anschauen.

Wie es Tagungen so an sich haben: Tutzing war anstrengend und anregend zugleich. Anstrengend, weil „nur“ herumsitzen und zuhören einen ganz schön fordern kann. Anregend, weil meine Hirnfestplatte mit Neuem gefüllt wurde, sowohl durch die hervorragenden Vorträge, als auch durch die Gespräche in den Pausen und am Abend. Meine Leseliste ist um einige Titel angewachsen – und das Thema erster Weltkrieg wird auf diesem Blog noch so einige Male auftauchen. Ganz sicher.

Herbert Günther: Zeit der großen Worte, Gerstenberg Verlag, 2014, 272 Seiten, ab 14, 14,95 Euro

Jürgen Seidel: Der Krieg und das Mädchen,  cbj, 2014, 480 Seiten, ab 12, 16,99 Euro

Kris/Maël: Mutter Krieg, Übersetzung: Marcel Küsters, Splitter Verlag, 2014, 256 Seiten, 39,80 Euro

Alexandra Rak (Hg.): Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Erzählungen über den Ersten Weltkrieg, Fischer, 2014, 320 Seiten, ab 12 16,99 Euro

Nominiert!

Heute wurden im Rahmen der Leipziger Buchmesse die Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2013 bekanntgegeben. Für mich war das ein nettes Wiedersehen mit so einigen Büchern, die ich im Laufe des vergangenen Jahres hier vorgestellt habe. Daher möchte ich hier auf die hier gebloggten Bücher noch einmal hinweisen.

In der Kategorie Kinderbuch sind dies:

nominiert

 

Mohnschnecke ahoi!

Māris Putniņš (Text), Matthias Knoll (Übersetzung): Die wilden Piroggenpiraten. Ein tollkühnes Abenteuer um eine entführte Mohnschnecke und ihre furchtlosen Retter, Fischer Schatzinsel, ab 8

 

nominiert

 

Entzückerstoff

Robert Paul Weston (Text), Víctor Rivas (Illustration), Uwe-Michael Gutzschhahn (Übersetzung): Zorgamazoo,  Jacoby & Stuart, ab 9

 

nominiert

 

Wie es sich gehört

Joke van Leeuwen (Text), Hanni Ehlers (Übersetzung): Als mein Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen verlor, Gerstenberg Verlag, ab 10

 

Entgangen sind mir:

Toon Tellegen (Text), Ingrid Godon (Illustration), Birgit Erdmann (Übersetzung): Ich wünschte, mixtvision Verlag, ab 6

Jenny Robson (Text), Barbara Brennwald (Übersetzung): Tommy Mütze. Eine Erzählung aus Südafrika, Baobab Books, ab 8

Frank Cottrell Boyce (Text), Salah Naoura (Übersetzung), Carl Hunter (Fotografie), Clare Heney (Fotografie): Der unvergessene Mantel, Carlsen Verlag, ab 10

 

In der Kategorie Jugendbuch habe ich folgenden Roman besprochen:

nominiert

 

Kampf um Selbstbestimmung

Yves Grevet (Text), Stephanie Singh (Übersetzung): MÉTO. Das Haus, dtv Reihe Hanser, ab 12

 

Des weiteren sind nominiert:

Susan Kreller (Text): Elefanten sieht man nicht, Carlsen Verlag, ab 13

Rolf Lappert (Text): Pampa Blues, Carl Hanser Verlag, ab 14

Craig Silvey (Text), Bettina Münch (Übersetzung): Wer hat Angst vor Jasper Jones?, Rowohlt Taschenbuch Verlag, ab 14

Christian Frascella (Text), Annette Kopetzki (Übersetzung): Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe, Frankfurter Verlagsanstalt, ab 16

Tamta Melaschwili (Text), Natia Mikeladse-Bachsoliani (Übersetzung): Abzählen, Unionsverlag, ab 16

 

Die Jugendjury hat folgende Bücher nominiert:

nominiert

Seepocken am Containerschiff des Bewusstseins

Das Schicksal ist ein mieser Verräter

John Green in Berlin

John Green (Text), Sophie Zeitz (Übersetzung): Das Schicksal ist ein mieser Verräter, Carl Hanser Verlag, ab 13

nominiert

 

Unvermisst

Marit Kaldhol (Text), Maike Dörries (Übersetzung): Allein unter Schildkröten,  mixtvision, ab 14

 

Stephan Knösel (Text): Jackpot. Wer träumt, verliert, Beltz & Gelberg, ab 13

Joss Stirling (Text), Michaela Kolodziejok (Übersetzung): Finding Sky 
Die Macht der Seelen, dtv, ab 13

David Schraven (Text), Vincent Burmeister (Illustration): Kriegszeiten. Eine grafische Reportage über Soldaten, Politiker und Opfer in Afghanistan, Carlsen Verlag, ab 14

Conrad Wesselhoeft (Text), Karsten Singelmann (Übersetzung): Adios, Nirvana, Carlsen Verlag, ab 14

 

Zudem sind in der Kategorie Sachbuch nominiert:

Mies van Hout (Text, Illustration): Heute bin ich, Aracari Verlag, ab 3

Birte Müller (Text, Illustration): Planet Willi, Klett Kinderbuch, ab 4

Anke M. Leitzgen (Text), Lisa Rienermann (Illustration, Fotografie), Thekla Ehling (Fotografie): Entdecke, was dir schmeckt. Kinder erobern die Küche, Beltz & Gelberg, ab 8

Anke Bär (Text, Illustration): Wilhelms Reise. Eine Auswanderergeschichte, Gerstenberg Verlag, ab 8

Ann-Marlene Henning (Text), Tina Bremer-Olszweski (Text), Heji Shin (Fotografie): Make Love. Ein Aufklärungsbuch, Rogner & Bernhard, ab 14

Reinhard Kleist (Text, Illustration): Der Boxer. Die wahre Geschichte des Hertzko Haft, Carlsen Verlag, ab 16

 

Und in der Kategorie Bilderbuch sind nominiert:

Isol (Text, Illustration), Karl Rühmann (Übersetzung): Ein Entlein kann so nützlich sein, Verlag Jungbrunnen, ab 2

Stina Wirsén (Text, Illustration), Maike Dörries (Übersetzung): Nalle liebt Oma, Gerstenberg Verlag, ab 3

John Fardell (Text, Illustration), Bettina Münch (Übersetzung): Der Tag, an dem Louis gefressen wurde, Moritz Verlag, ab 4

Jon Klassen (Text, Illustration), Thomas Bodmer (Übersetzung): Wo ist mein Hut, NordSüd Verlag, ab 4

Einar Turkowski (Text, Illustration): Der Rauhe Berg, Atlantis Verlag, ab 8

Robert Louis Stevenson (Text), Henning Wagenbreth (Illustration, Übersetzung): Der Pirat und der Apotheker. Eine lehrreiche Geschichte, Peter Hammer Verlag, ab 10

 

Allen Nominierten viel Glück!!!

 

Mein Sommer mit Rodari

mein sommer mit rodariNach meinem Urlaub fand ich in meiner Post die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Eselsohr. Normalerweise freue ich mich auch so schon immer über die neuesten Rezensionen und Hintergrundartikel zu Kinder- und Jugendbüchern, doch dieses Mal kommt noch etwas Besonderes hinzu. Ich durfte die Rubrik VdÜ-Spot füllen, wo Übersetzer aus ihrem Arbeitsalltag berichten.

Und so habe ich dort von der Entstehung meiner Neuübersetzung der Gutenachtgeschichten am Telefon von Gianni Rodari berichtet. Wer das Eselsohr nicht bezieht oder irgendwo anders lesen kann, hat hier die Gelegenheit, meinen Artikel Mein Sommer mit Rodari nachzulesen.

Gianni Rodari: Gutenachtgeschichten am Telefon, Übersetzung: Ulrike Schimming, Illustration: Anke Kuhl, S. Fischer Verlag, 2012, 207 Seiten, 14,99 Euro

Denken lernen

this is waterMeine Studienzeit ist lange vorbei. Sie endete ohne großen Höhepunkt. Einfach so. Das Zeugnis kam per Post. Anders wird so ein Ereignis in den USA zelebriert. Neulich in New York bin ich zufällig in  den Graduationday der Columbia University geraten. Sehr beeindruckend, sehr berührend. Die Absolventen werden gefeiert, gewürdigt – und es werden ihnen die Leviten gelesen, bevor sie in die (Arbeits)Welt entlassen werden.

So eine Rede hat der amerikanische Schriftsteller David Foster Wallace 2005 vor Studenten gehalten. Als Hörbuch kann man diese Lecture mit dem Titel This Is Water/Das hier ist Wasser jetzt nachhören und verinnerlichen. Wallace spricht darüber, das Denken zu lernen. Damit meint er nicht das akademische Analysieren, sondern die tägliche bewusste Entscheidung, sich gegen die allen Menschen eigene Selbstzentriertheit zu stellen. Im Alltag mit seiner Routine, Langeweile und banaler Frustration ist der gut angepasste Mensch zumeist ein Sklave seines eigenen Geistes.  Er ist der Mittelpunkt des eigenen Universums. Hier setzt Wallace an: Er fordert, sich zu entscheiden, vorüber man nachdenkt, sich gegen die unbewusste Haltung, die Standardeinstellung, zu stemmen und Umwelt und Menschen mit anderen Augen zu sehen. Anstatt sich den gut funktionierenden Mechanismen aus Macht, Angst, Selbstverherrlichung, Leistung und Blenden hinzugeben, sollte die Wahl lieber auf Offenheit, Empathie, Liebe, Disziplin und Mühe fallen. Darin liegt für ihn die wahre Freiheit. Der Gedankenlosigkeit setzt er schlichte Offenheit für das Wahre und Wesentliche entgegen. Es gilt, die Arroganz der blinden Gewissheit abzulegen und Bewusstheit für die anderen Menschen zu entwickeln.

Diese Aussagen gelten in ihrer Universalität nicht nur für Studienabgänger. Sie gelten für uns alle und können eigentlich nicht oft genug gehört werden. Wie Wallace sagt – das ist mühsam und muss jeden Tag aufs Neue angegangen werden. Darin sieht er jedoch einen Weg, das Leben vor dem Tod sinnvoll und erfüllend zu gestalten und „30 oder 50 zu werden, ohne sich eine Kugel in den Kopf zu schießen“.

Wallace selbst hat es nicht bis 50 geschafft. Dennoch sind seine Worte so eindringlich, glaubwürdig und wahrhaftig – nicht umsonst ist diese Rede mittlerweile Pflichtlektüre für Uni-Absolventen in den USA – dass sie auch hier Jung wie Alt empfohlen sei, vor allem all denjenigen, die meinen zu wissen,  was Wahrheit ist.

Wallace spricht mit einfachen Worten und hat die Rede von jeglichem rhetorischen Schnickschnack befreit. Der englischen Live-Aufnahme der Ansprache sollte man daher den Vorzug geben. Die deutsche Version, in der geschliffenen Übersetzung von Ulrich Blumenbach, kommt leider an das Original nicht heran, zu glatt und standardmäßig wird sie von David Nathan im Studio gelesen. Dort kann man natürlich die Lacher und Reaktionen der Studenten auf Wallace’ Rede nicht nachstellen, daher fehlen dem Deutschen einfach die live-Dimension und die unmittelbare Wirkung der Worte.

Wer den Text lieber schriftlich vor Augen haben will, findet auch eine gedruckte Version im Buchhandel.

Solche Worte hätte ich mir damals zu meinem Studienabschluss gewünscht. Heute würde ich sie allen Schul- und Studienabgängern zum Zeugnis mit in die Post legen …

David Foster Wallace: This Is Water/Das hier ist Wasser, Audio-CD, David Foster Wallace spricht zu Absolventen des Kenyon College, Ohio 2005. Anstiftung zum Denken. Englisch/Deutsch, Gelesen von David Nathan, Übersetzung: Ulrich Blumenbach, Roof Music, 2012, 70 Minuten, 14,95 Euro

David Foster Wallace: Das hier ist Wasser/This is water. Anstiftung zum Denken. Gedanken zu einer Lebensführung der Anteilnahme, vorgebracht bei einem wichtigen Anlass. Deutsch-Englisch, Übersetzung: Ulrich Blumenbach, Kiepenheuer & Witsch, 2012, 61 Seiten, 4,99 Euro

Von fremden Welten

Zugegeben, ich liebe Atlanten. In Momenten, in denen ich nicht durch unbekannte Gefilde fahren oder wandern kann, bieten mir die geografischen Karten unendliche Möglichkeiten, auf Reisen zu gehen. Dann durchstreife ich fremde Städte, erklimme Gebirgszüge, folge Küstenlinien und Flussläufen. Manche Orte, an denen ich schon mal war, erkenne ich wieder (es sind die wenigsten). Alle anderen befeuern meine Fantasie und die Sehnsucht, vielleicht einmal dorthin zu gelangen.

Ähnliches ist mir jetzt mit einem sehr ungewöhnlichen und sehr schönen Atlas passiert, dem Atlas der fiktiven Orte. Hier gibt es „Karten“ der anderen Art. Sie zeigen keine realen Orte, sondern – wie der Titel schon sagt – 30 erfundene Städte, Länder und Welten aus Literatur, Theater, Film und Fernsehen. Es handelt sich dabei um collageartige Illustrationen von Steffen Hendel, die den Leser nach Avalon, Xanadu, Springfield, aber auch Gondor und auf die Schatzinsel entführen. Die Illus setzen sich aus Fotos, Grundrissen, realen Flussläufen und grafischen Elementen zu Fantasiekarten zusammen. Viele kleine, überraschende Details entdeckt man erst bei genauem Studium.

Die Karten und die zugrundeliegenden Werke erläutert der Komparatist Werner Nell. In seinen literaturwissenschaftlichen Aufsätzen ordnet er die Bedeutung der Orte in der jeweiligen Geschichte ein, referiert kurz deren Inhalt und stellt Bezüge zu anderen Werken, Genres und gesellschaftlichen Phänomenen her. So regen nicht nur die Karten zum fiktiven Reisen an, sondern auch Nells Analysen und Interpretationen beinhalten jede Menge Entdeckungspotential. In seiner Kombination aus Text und Illustration führt dieser Atlas dem Leser eindringlich vor Augen, dass der Mensch mit seiner Fähigkeit, sich fiktive Geschichten auszudenken, auch seinem tiefen Bedürfnis Ausdruck verleiht, eigene Welten zu erschaffen. So kann er immerhin im literarischen Rahmen ein bisschen Gott spielen.

Genau diese einzigartigen Welten jenseits unserer Realität tragen neben den Handlungen und den Figuren maßgeblich zur Faszination der Bücher, Theaterstücke oder Comics bei, die wir täglich verschlingen. Wir träumen uns weg oder freuen uns diebisch, wenn wir unsere Alltäglichkeiten dort gespiegelt oder aufs Korn genommen vorfinden. So habe ich in diesem Atlas alte Bekannte aus der Kindheit getroffen wie Lummerland und Entenhausen, bin mal wieder auf den Zauberberg gestiegen, habe Metropolis von einer anderen Seite kennengelernt und bin dann in die unbekannten Sphären von Utopia und der Sonnenstadt vorgedrungen. So ein Buch hätte ich mir zu Studentenzeiten gewünscht, als mein strukturalismusfixierter Professor über Orte in der Literatur monologisierte, ohne das der Funke für Literatur übersprang. Anregend geht anders, wie dieses Kompendium zeigt.

Als Nebenwirkung der gerade erlebten Fantasiereisen muss ich jetzt mit dem dringenden Bedürfnis leben, so schnell wie möglich auch die Originaltexte zu lesen, die ich bis jetzt noch nicht kenne. All die fremden Welten muss ich jetzt unbedingt selbst erkunden. Für ein Buch, das so etwas in mir auslöst, bin ich den beiden Autoren sehr dankbar.

Werner Nell/Steffen Hendel: Atlas der fiktiven Orte. Utopia, Camelot und Mittelerde. Eine Entdeckungsreise zu erfundenen Schauplätzen, Meyers, 2011, 160 Seiten, 29,95 Euro

Deutschstunde

Berlin ist für mich das ideale Pflaster, kultur-historische Wissenslücken zu schließen. So heute im Berliner Ensemble, wo sich Wolf Biermann mit seiner Gitarre auf die Bühne setzte, erzählte und sang. Auf den Tag 35 Jahre nach seinem Kölner Konzert, das zu seiner Ausbürgerung aus der DDR geführt hatte. Zwei Tage vor seinem 75. Geburtstag erinnerte er an seine Wut und Frechheit von damals, an den schmalen Grat, auf dem er die „Firma“ ärgern wollte und der ihm dennoch den Weg zurück in sein gelobtes Land frei halten sollte. Es hat bekanntermaßen nicht geklappt.

Die Wut ist geblieben, vor allem auf das „Pack“, von Verbitterung ist jedoch nichts zu spüren. Geradezu rührend erzählt der Wolf von der Lektüre seiner angeblich 50000-80000 Seiten dicken Stasi-Akte, in der sich eine Abschrift seiner „Stasiballade“ findet. Nur eine Zeile stimmt nicht. Statt „Die Stasi ist mein Eck… mein Eck… mein Eckermann“ steht dort nur „Die Stasi ist mein Henkersmann“. Goethes Sekretär schien dem diensthabenden Stasi-Mann nicht bekannt gewesen zu sein. Biermann kichert vor sich hin, ob der Amtsinterpretation und der Bildungslücke.

Anders dagegen in Schweden. Dort schätzt man Biermanns Liedgut mittlerweile so sehr, dass die evangelische Kirche seinen Song „Ermutigung“ in das Gesangbuch aufgenommen hat. Biermann gehört in Skandinavien zum Chorrepertoire.

Der Wolf erzählt, rezitiert Heine, fordert den Freiheitskampf der Menschheit und vergisst fast das Singen. Der Blick auf die Uhr und auf Ehefrau Pamela in der ersten Reihe bringt ihn wieder zum Vortragen. Doch dann doziert er weiter über den Webfehler der Demokratie und die wahren Schuldigen der Finanzkrise sowie den „dummen Lafontaine“.

Als das „Seminar für Wirtschaftswissenschaft“ nach zweieinhalb kurzweiligen Stunden zu Ende geht, ist die historische Figur des Wolf Biermann, die für mich immer irgendwie da, aber nie real war, auch in meinem Leben angekommen.

(Und hätte mir Freundin Ruth nicht vor einiger Zeit seine eindrucksvollsten Lieder vermacht, wäre mir dieses Erlebnis sicher entgangen… danke, Ruth!)

Zum Nachhören/Nachsehen: Das Kölner Konzert 13. November 1976 (das ungekürzte Original-Dokument), Doppel-DVD, 17,99 Euro

Zum Nachlesen: Wolf Biermann: Fliegen mit fremden Federn. Nachdichtungen und Adaptionen, Hoffmann & Campe Verlag, 2011, 26 Euro.

Die Leiden einer Rezensentin

In meinem Büro stapeln sich Bücher, viele Bücher, mittlerweile vornehmlich Rezensionsexemplare. Schöne Bücher, spannende Bücher, berührende Bücher, für Kinder, Jugendliche, Erwachsene. Es gibt so viel zu Lesen, dass ich kaum noch hinterher komme. Irgendwie habe ich die Büchse der Pandora geöffnet, als ich die Betreuung der Buchecke für das Jugendmagazin Yuno übernommen habe. Ich habe es selbst vorgeschlagen und freue mich sehr, dass ich das nun seit gut einem halben Jahr tun darf.

Doch die Bücher in meinem Büro machen mir ein schlechtes Gewissen. Denn nicht alle kann ich besprechen, und viele hätten es verdient, erwähnt zu werden. So manchem Buch wünsche ich mehr Leser. Manchen Lesern würde ich gern das eine oder andere Buch zusätzlich empfehlen. Doch in der gedruckten Presse ist dafür leider kaum noch Platz.

Dafür aber gibt es das Netz mit seinen unendlichen Weiten – und seinen unendlichen Literaturblogs. Es ist also nichts Neues, was ich hier anfange. Aber es ist vielleicht eine Chance, Aufmerksamkeit zu schaffen und den vielen Büchern und Geschichten ein wenig gerechter zu werden. Vielleicht freuen sich hier ja ein paar Leser über den ein oder anderen Hinweis auf leckere Lektüre, ansprechende Anregung, poetische Perlen der Literatur oder einfach nur gute Unterhaltung.

Und möglicherweise lassen sich so die Leiden einer Rezensentin etwas lindern …