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Farbenfroh gegen die Trauer

Auch solche Bücher gibt es — genau für solche Tage! Grau die Vorsatzseiten. Der Regen strömt, wahre Bindfäden zieht er. Dicke Tropfen malen Kreise ins Wasser. Im dunklen Wald wirken die Stämme der Bäume erschreckend hoch. Dann stapft ein knalloranges Bärentier in sommergelben Gummistiefeln durch diese Welt. Eigentlich wirkt es wie ein freudiger Farbtupfer, doch seine Haltung ist gebeugt, der Blick fest auf den Boden geheftet. Kummer drückt den Gang, schwer ist der Kopf.

Dazu passt die Himmelsstimmung. Tiefhängende Wolken, ein krachender Donner, es grollt äußerlich wie innerlich. Ja, solche Tage gibt. Da fühlt man sich allein, traurig, mies. Da rauscht die Stimmung in den Keller. Selbst wenn man gar nicht so genau weiß, warum. Dagegen kann man nichts tun. Oder?

Nun, in dieser Geschichte hüpft plötzlich ein quietschvergnügter Frosch vorbei und schwenkt sein buntes Schirmchen. Die Sonne schickt ein paar Strahlen, der Himmel klart auf. Vielleicht zeigt sich sogar gleich ein Regenbogen? Der kleine Bär hat auf einmal einen Riesenspaß, mitten in die Pfützen zu springen, durch den Wald zu rennen, die vielen bunten Blumen zu bewundern. Alle Farben wirken hell, frisch und neu. Das macht der Regen. Und die Stimmung, denn das orange Bärentier ist nicht mehr allein. Der Frosch wird zum Freund.

Dunkle Momente kennt jeder, egal wie alt. In ihrem Bilderbuch Auch solche Tage gibt es fangen die beiden Künstlerinnen Young-ah Kim und Ji-soo Shin sensibel und treffsicher ein, wie sich Kummer anfühlt. Die doppelseitigen Bilder, in kräftigem Wachsmalstrich illustriert, schlagen einen weiten Bogen von Trauer zu Freude, von grauen Tönen zu satten Farben vor weißem Grund. Bilder, die sich fast ohne Worte erschließen, so konzentriert und dicht beschreiben sie die Stunden im Leben des jungen Helden. In Ich-Perspektive erzählt, zoomt der Text das Geschehen dann noch einmal näher heran, geht unter die Haut, ist direkt und doch voller Atmosphäre.

Und am Schluss platschen wir selbst beherzt in den Pfützen.

Auch solche Tage gibt es lässt sich Betrachten und Vorlesen — und lädt Jung und Älter dazu ein, miteinander zu sprechen, wenn es mal nicht so gut läuft. Weil man traurig ist oder einsam. Oder man vielleicht gerade einfach seine Ruhe braucht, denn der Tag war viel zu trubelig, der Stundenplan zu vollgepackt. Anregungen in Wort und Bild bietet zudem der vierseitige Anhang.

Der Schweizer aracari verlag, der 2019 seinen zehnten Geburtstag feiert, ist bekannt für das besondere Buch. Dieses Bilderbuch mit Anspruch aus Südkorea gehört dazu. Dank an das kreative Duo und seinen Übersetzer Andreas Schirmer. Dank an die verlegerische Ambition!

Heike Brillmann-Ede

Young-ah Kim/Ji-soo Shin (Illu), Auch solche Tage gibt es, Übersetzung: Andreas Schirmer, aracari verlag, 2018, 36 Seiten, ab 4, 14,00 Euro

Zum Nachmachen empfohlen…

In Hamburg schneit es bekanntlich äußerst wenig. Große Ausnahme war vergangene Woche der Tag, an dem Orkan Friederike durch MItteldeutschland tobte. Hier im Norden war von Wind nichts zu spüren, dafür aber legte sich eine weiße Schneeschicht über die Stadt. Es sah einfach wunderschön aus.

Als ich nun dieser Tage in meiner liebsten Buchhandlung Marissal am Rathaus war, die für ihr exzellentes Bilderbuchsortiment bekannt ist, kam ich mit der Chefin unter anderem über den Schnee ins Gespräch und noch ehe ich es mich versah, zeigte sie mir voller Begeisterung ein Schneeflocken-Bilderbuch, das es in keiner Verlagsvorschau gibt.

Denn diese winterliche Geschichte, der dicken Schneeflocke Gisela, die eigentlich keine Lust hat, den langen Weg runter von ihrer Wolke zur Erde zu machen, haben sieben Kinder im Haus der Jugend Kiwittsmoor in Hamburg-Langenhorn selbst gestaltet.
Bei der Veranstaltung mit dem Titel „Wir illustrieren ein Kinderbuch“ haben sich junge Besucher der Jugendbegegnungsstätte Gedanken zu der Geschichte von Gisela gemacht und sind dann kreativ tätig geworden.
Gemeinsam haben sie zunächst verschiedene Mal- und Basteltechniken ausprobiert – mit Tusche und Aquarellfarben, Wachsmalstiften, Frottagen und Marmoriertechnik. Aus den kunterbunten Ergebnissen haben die kleinen Künstler dann passenden Formen und eindrückliche Figuren ausgeschnitten und jeweils eine Seite der Geschichte gestaltet.
Die Illustratorin Jana Walczyk hat anschließend alles professionell gelayoutet und wunderschön gesetzt, sodass nun ein leichtes und luftiges Schneeflocken-Abenteuer für die Kleinsten herausgekommen ist.

Denn Gisela macht sich natürlich auf den Weg zur Erde, wo sie von den Kindern schon sehnlichst erwartet wird. Das können vor allem die Hamburger richtig gut nachvollziehen, eben wegen der seltenen Schneefälle.

Was mich jedoch an dem ganzen Projekt zusätzlich bewegt, ist, dass man mit kleinen Mitteln – einer kurzen Geschichte, Papier, Farben und Kreativität – Kindern zeigen kann, was sie alles selbst gestalten können. Und dass aus ihren Ideen und ihrem Einsatz ein eigenes Buch werden kann, dass in der Buchhandlung am Hamburger Rathausmarkt im Schaufenster steht. Auf dieses entzückende Kunstwerk können die Macherinnen aus dem Haus der Jugend Kiwittsmoor jedenfalls bannig stolz sein!
Zudem hege ich die Hoffnung, dass durch solche kreativen Projekte, die Kinder noch mehr zu Büchern greifen – und ihren Wert und die viele Arbeit, die in jedem einzelnen steckt, ein Stückchen mehr begreifen.

Meyering und Walczyk haben die Geschichte als Hardcover in einer Auflage von 25 drucken lassen. Ich wünsche diesen engagierten Menschen, dass sie bald nachdrucken lassen müssen. Denn diese kleine Bilderbuchperle hat es alle mal verdient, von vielen kleinen schneeflocken-liebenden Kindern betrachtet zu werden.

Haus der Jugend Kiwittsmoor: Die Schneeflocke Gisela, Text: Corinne Meyering, Illustrationen von Ebru, Jessica, Katerina, Leonie, Lion, Melanie und Ulrike, Layout: Jana Walczyk, 2017, 26 Seiten, ab 3, 12,95 Euro zu bestellen bei der Buchhandlung Marissal in Hamburg

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Ein Hoch auf das Herz!

herzenEigentlich ist mir der Valentinstag ja so was von wumpe. Mögen Floristen und Schokoladenhersteller ein gutes Geschäft machen. Bitte sehr.
Doch in den heutigen Zeit, in denen scheinbar alles aus dem Gleichgewicht geraten ist, Hass und Gewalt schon fast wieder salonfähig sind, es den Terror fast braucht, um uns wieder an unsere Menschlichkeit und unser Mitgefühl zu erinnern (was ich so ganz klar nicht möchte!), da ist mir doch ein Tag, an dem  die Liebe gefeiert wird, sehr willkommen.

Dass es in unseren Herzen jedoch mehr gibt als die romantische Liebe, zeigt die französische Journalistin Jo Witek in ihrem Bilderbuch In meinem kleinen Herzen, ganz fein übersetzt von Stephanie Menge. Das menschliche Herz ist ein erstaunliches Organ, hält es doch unseren Körper lebendig, pumpt unablässig Blut durch unsere Adern und kann, wenn es aus dem Takt gerät, unser Leben aus dem Tritt bringen.

Symbolisch ist unser Herz zudem das Zentrum unserer Gefühlswelt, die Witek in wenigen poetischen Worten auf den Punkt bringt. Freude und Glück treffen in diesem Herzen auf Wut, Angst, Trauer. Ein kleines, namenloses Mädchen, entzückend gezeichnet von Christine Roussey, führt den Leser durch diese Hochs und Tiefs der Emotionen. Da wird das zerbrechliche Herz mit einem Verband umwickelt, oder es ist schwer wie ein Elefant und leicht wie ein Luftballon. Monster machen Angst, Überraschungen fröhlich. Dann wieder ist das Herz ganz klein und schüchtern.

Der Clou an diesem feinen Buch sind die bunten, ausgestanzten Herzen auf jeder Doppelseite. Damit reiht sich Witeks Buch in die Tradition von Die kleine Raupe Nimmersatt, Das Loch und  Unsere Erde, in denen Löcher in den Seiten eine wichtige erzählerische Funktion übernehmen. Vom Cover beginnend bilden sie einen herzförmigen Krater, der im Garten der Gefühle endet und die Zufriedenheit als quasi höchstes Gut feiert.
Genau daran erinnern wir uns heute immer viel zu wenig – ich ebenso –, denn natürlich gibt es immer etwas zu meckern, anzumahnen, zu verbessern. Gewisse Zustände sollte und darf man selbstverständlich auf keinen Fall akzeptieren, doch genauso wenig sollte man vergessen, dass die Gefühle in unserem Herzen uns den Weg zum Glück und zur Zufriedenheit ebnen können, wenn man nur mal genau hinhört und -fühlt.

Also feiert die Liebe, genießt den Valentinstag, möge jeder Tag ein Valentinstag sein, dann hätte niemand mehr Zeit für Hass und Krieg. (Jetzt dürft ihr mich naiv nennen.)

Jo Witek: In meinem kleinen HerzenÜbersetzung: Stephanie Menge, Illustrationen: Christine Roussey, Fischer Sauerländer, 2016,  32 Seiten, ab 4-99, 16,99 Euro

Bilderbücher zum Verlieben

BilderbücherErinnert sich noch jemand an das Bilderbuch Das Haus in der Lindenallee von Bernard Waber? Wahrscheinlich nur noch wenige. Jetzt scheint mir das Krokodil aus der Badewanne wieder auferstanden. Jedenfalls hatte ich ein wunderschönes Deja-vu, als ich Rebecca Cobbs Aufessen?! angeschaut habe.

Darin hat die kleine knuddel-süße Heldin keine Lust aufs Mittagessen. Sie sitzt am Tisch und isst nicht, sie will viel lieber weiter Bilder malen. Plötzlich liegt ihr kunterbuntes Tusche-Krokodil unter dem Tisch und fragt: „Isst du das nicht?“ Dann gesellt sich der Krickelbär dazu und möchte etwas von Suppe und Sandwich ab haben. Und der Wolf ist ganz wild auf den Apfel. Nachdem die drei Bestien erklären, dass sie keine Kinder essen, diese im Gegenteil ganz „ekelhaft“, „abscheulich“ und „widerlich“ finden, dürfen sie sich satt essen. Der Teller ist schön leer, Mama ist zufrieden, die Heldin darf weitermalen. Alle sind glücklich. Nur der Magen der  kleinen Heldin meldet sich am Nachmittag lautstark. Wie gut, dass es bald wieder Abendessen gibt.

Ich weiß nicht, ob man Kinder mit diesem Buch dazu bringt, immer alles aufzuessen. Aber es ist eine Wonne, diese leichten Bilder anzuschauen. Erfrischend ist zudem, dass Rebecca Cobb ohne moralischen Zeigefinger auskommt. Die Mutter schimpft nicht, die Bestien loben das leckere Mittagessen, setzen die kleine Heldin dabei aber nicht unter Druck. Die darf stattdessen erleben, was ein knurrender Magen bedeutet – und sich dann umso freudiger auf das Abendessen stürzen. Ein wunderschöner Weg, um Wertschätzung zu lernen.

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Wertschätzung der anderen Art bringt die blonde Ich-Erzählerin des Bilderbuches Arme Mama von Vanesa Pérez-Sauquillo ihrer Mutter entgegen: Sie schneidet ein Herz aus Mamas rotem Sommerkleid und schenkt es ihr; malt Mamas Bücher an; schmückt das Wohnzimmer mit Spielzeug; setzt das Badezimmer unter Wasser, damit Mama endlich Schlittschuhlaufen lernt … Auch hier wird nicht einmal geschimpft. Es ist total okay, Chaos zu veranstalten, denn wie die Protagonistin durchaus erkennt, hätte es die Mutter ohne sie vielleicht viel leichter – doch es wäre auf jeden Fall sehr viel langweiliger.

Die doppelseitigen Bilder strahlen in leuchtenden Farben und verströmen auf jedem Zentimeter pure Lebensfreude. Sie sind eine Hymne an die kindliche Kreativität und befeuern die Fantasie der Betrachter mit unzähligen zarten Details. Ob das Ganze eher eine Liebeserklärung an die Mutter oder an das entzückende Kind ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.

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Eine Liebeserklärung an einen Freund hingegen ist das zart aquarellierte Büchlein Das platte Kaninchen von Bardur Oskarsson. Ein Kaninchen liegt platt auf der Straße. Hund und Ratte sind erschüttert, als sie es entdecken. Sie wollen Kaninchen irgendwo anders hin bringen, doch wohin nur? Die beiden Freunde gehen in den Park und überlegen. Sie überlegen lange. Dann hat Hund eine Idee. Vorsichtig schälen sie Kaninchen vom Straßenbelag, bringen es in die Hundehütte und basteln einen Drachen. Daran befestigen sie Kaninchen und lassen es am nächsten Morgen über den Dächern der Stadt fliegen.

Hier wird mit keinem Wort über den Tod gesprochen, auch nicht darüber, was das Kaninchen getötet hat. Aber es wird auch kein Tabu aufgebaut. Es ist einfach so. Der Tod gehört zum Leben. Und es gehört auch dazu, dass die Freunde sich um Kaninchen kümmern und es an einen Ort bringen, an dem es ihm gefallen hätte. Einen schöneren und rührenderen Freundschaftsdienst kann man sich kaum vorstellen.

Rebecca Cobb: Aufessen?! Übersetzung: Stephanie Menge, Sauerländer, 2013, 32 Seiten, ab 3, 14,99 Euro

Miriam Cordes/Vanessa Pérez-Sauquillo: Arme Mama, Minedition, 2013, 32 Seiten, ab 3, 13,95 Euro

Bardur Oskarsson: Das platte Kaninchen, Jacoby & Stuart, 2013, 40 Seiten, ab 5, 11,95 Euro