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Anregende Gespräche

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Mein Name ist Mirella, Mirella Manusch. Ich bin fast zehn Jahre alt, liege im Bett und kann nicht einschlafen. Daran ist nur der verdammte Zahn schuld, der schon seit Tagen rumzickt. Heute Abend hat er sich durch mein Zahnfleisch gebohrt. Das blöde Ding tut echt weh.« Dunkelheit findet Mirella auch echt ätzend. »Nur Kamillentee und Mücken sind schlimmer.«
Da kann ein selbstvorgesagter Trostspruch nicht schaden: »Heile, heile Gänschen, der Kater hat ein Schwänzchen, heile, heile Mäusespeck, in hundert Jahren ist alles weg.« Denkste! »Mon dieu! Was ist das denn für ein dämlicher Spruch«, schallt es da aus der Dunkelheit.

Kopfüber mit interessanten Nachtgestalten abhängen

Hilfe, mein Kater kann sprechen! heißt der erste Band einer neuen Kinderbuchreihe des Mutter-und-Tochter-Duos Christin-Marie Below und Anne Barns. Sprechen kann Mirellas Kater allerdings schon immer. Aber plötzlich kann Mirella ihn verstehen. Und nicht nur ihn, sondern alle Tiere. Sie ist nämlich eine Vampirin. Keine, die Blut trinkt. Aber im Dunkeln kann sie sich in eine Fledermaus verwandeln und überall hinfliegen und kunstvoll kopfüber an Ästen abhängen und interessanten Nachtgestalten begegnen.

Giraffen fühlen durchaus Trennungsschmerz

Wie das Abenteurer weitergeht, in dem Mirella Zwergflusspferden, Giraffen, Frettchen, Raben, Manolo alias Blödboy begegnet und welche Rolle ihre Lieblingstante dabei spielt, das soll nicht verraten werden. Auf jeden Fall ist es eine sehr schöne Idee, Tiere verstehen und mit ihnen sprechen zu können. Giraffen zum Beispiel können nämlich durchaus  Liebeskummer oder zumindest starke Sehnsucht nach vertrauten Artgenossen haben. Und Trennung macht sie krank. Überhaupt würde man sehr gern mit noch viel mehr Lebewesen eine Sprache sprechen können. Oder zumindest mit weniger Missverständnissen kommunizieren.
Wie auch der zweite Band Achtung, hier kommt Frau Eule! Ist die Geschichte vom freundlichen Vampirmädchen flott und erfrischend erzählt. Ein schöner Lesespaß und beste Unterhaltung um ein besonderes und doch ganz normales Mädchen.

Das Netflix des analogen Zeitalters

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Auf dem Cover prangt unter dem kopfüber hängenden Haarschopf Mirellas mit ihrer pinken Haarsträhne ein den älteren Lesern sehr vertrautes, stilisiertes S – ein S wie Schneiderbuch. Und tatsächlich erscheint Mirella im legendären Kinderbuchverlag, jetzt beheimatet bei HarperCollins.
Schneiderbücher waren so etwas wie Netflix im analogen Zeitalter: Sympathische, nicht zu komplexe Helden, mit denen man in jedem Band ein spannendes, abgeschlossenes  Abenteuer erlebte. Sie waren fürs Taschengeld im Zeitschriftenhandel erschwinglich, umgerechnet etwas teurer als ein Streaming-Account. Weil sie stabil in Pappe gebunden waren, konnte man sie gut verleihen und tauschen. Man findet immer noch gut erhaltene Bände für kleines Geld auf Flohmärkten.

Binge-Reading dank Bibliotheken

Sie garantierten gute Unterhaltung und Entspannung. Binge-Reading gab es durchaus auch, Bibliotheken und Leihbüchereien waren immer gut bevorratet mit den unverwüstlichen Geschichten. Vor allem die Autorin Enid Blyton, als Mensch eine große Unbekannte, schien unermüdlich zu schreiben. Drei berühmte und unsterbliche Reihen stammen von ihr, teilweise werden sie heute noch in moderner Form als Trickfilm oder Kinogeschichte weitererzählt und lebendig gehalten: Die der Internatszwillinge Hanni und Nanni, die Abenteuer der Fünf Freunde und die Serie Geheimnis um …

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Vom analogen Netflix ein kurzer Kameraschwenk in ein neues Musikvideo. »Ich hab‘ private Probleme / für die ich mich schäme«, singt Tobias Bamborschke von der Band Isolation Berlin, während er unter anderem in einem Bällebad untertaucht.
Doch nicht nur Erwachsene schlagen sich mit allerlei Schwierigkeiten rum. Denn dass kleine Kinder keine Probleme haben, geschweige denn ersthafte und große, ist ein verklärender Mythos.

Manche fast niedlich, andere klebrig wie Kaugummi

Das blöde Kind in der Kita, das immer die Schaufel klaut. Ekeliges Essen. Angst, es nicht rechtzeitig aufs Klo zu schaffen. Eine megapeinliche Mütze. Streit mit der besten Freundin. Probleme gibt’s so viele verschiedene, wie es Kinder gibt. Das zeigen die in London geborene und in Brighton leben Autorin Rachel Rooney und die mehrfach ausgezeichnete Illustratorin Zehra Hicks aufs Schönste im Buch Geh weg, du Problem!: riesig, winzig, lästig, gemein, lächerlich, giftig, fies, hartnäckig, verdreht und verknotet, manche sind glibberig, andere klebrig wie ein Kaugummi.

Nicht füttern! Nicht streicheln!

»Probleme sind Monster« schreibt Rooney. Obwohl manchmal auch Tiere ein Problem sein können, sind Probleme keine Tiere. Deshalb: »Sie mögen einander / verbünden sich gern. / Nicht füttern! / Nicht streicheln! / Sei klug, halt dich fern« dichtet Rooney wortgewandt, von Stephanie Menge klug und eingängig übersetzt.
Mit Wachsmalkreiden und Buntstiften entstehen nervige Begleiter, dominierende Gewitterwolken, penetrante Verfolger, Miesepeter, Meckerfritzen, Spaßverderber, manche unheimlich, andere fast niedlich.

Visualisieren hilft

Das soll keinesfalls die Probleme kleiner Kinder verharmlosen. Aber es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Problembewältigung: Die Schwierigkeiten und Auswirkungen zu visualisieren. Und das gelingt sehr ansehnlich. Manche Probleme sind nämlich bei genauer Betrachtung ziemlich klein, schlapp oder im Grunde unproblematisch. Aber nicht alle wird man durch einen coolen Spruch oder indem man sie ignoriert wieder los.
»Ich hab‘ private Probleme / Ich will nicht darüber reden«, singen Isolation Berlin weiter. Hier irrt der Sänger vermutlich nur vermeintlich, denn nicht drüber reden ist keine gute Idee. »Drum trau dich! Trau dich! / Du bist nicht allein! / Auf ‘ner Bank … im Bus … im Bett… / sag ein Wort. / Du fühlst dich gleich besser. / Und – schwupp – sind sie fort«.

Drüber reden auch

Drüber reden hilft. Sich jemandem anzuvertrauen kann Probleme dazu bringen, zu verschwinden, sich aufzu-lösen. Selten wird einem das so reizend und charmant gezeigt wie in diesem Bilderbuch.

Christin-Marie Below, Anne Barns: Mirella Manusch – Hilfe, mein Kater kann sprechen!, Schneiderbuch, 176 Seiten, 12 Euro, ab 8

Rachel Rooney, Zehra Hicks: Geh weg, du Problem!, Übersetzung: Stephanie Menge, Sauerländer, 32 Seiten, 14,99 Euro, ab 4

Ein Hoch auf das Herz!

herzenEigentlich ist mir der Valentinstag ja so was von wumpe. Mögen Floristen und Schokoladenhersteller ein gutes Geschäft machen. Bitte sehr.
Doch in den heutigen Zeit, in denen scheinbar alles aus dem Gleichgewicht geraten ist, Hass und Gewalt schon fast wieder salonfähig sind, es den Terror fast braucht, um uns wieder an unsere Menschlichkeit und unser Mitgefühl zu erinnern (was ich so ganz klar nicht möchte!), da ist mir doch ein Tag, an dem  die Liebe gefeiert wird, sehr willkommen.

Dass es in unseren Herzen jedoch mehr gibt als die romantische Liebe, zeigt die französische Journalistin Jo Witek in ihrem Bilderbuch In meinem kleinen Herzen, ganz fein übersetzt von Stephanie Menge. Das menschliche Herz ist ein erstaunliches Organ, hält es doch unseren Körper lebendig, pumpt unablässig Blut durch unsere Adern und kann, wenn es aus dem Takt gerät, unser Leben aus dem Tritt bringen.

Symbolisch ist unser Herz zudem das Zentrum unserer Gefühlswelt, die Witek in wenigen poetischen Worten auf den Punkt bringt. Freude und Glück treffen in diesem Herzen auf Wut, Angst, Trauer. Ein kleines, namenloses Mädchen, entzückend gezeichnet von Christine Roussey, führt den Leser durch diese Hochs und Tiefs der Emotionen. Da wird das zerbrechliche Herz mit einem Verband umwickelt, oder es ist schwer wie ein Elefant und leicht wie ein Luftballon. Monster machen Angst, Überraschungen fröhlich. Dann wieder ist das Herz ganz klein und schüchtern.

Der Clou an diesem feinen Buch sind die bunten, ausgestanzten Herzen auf jeder Doppelseite. Damit reiht sich Witeks Buch in die Tradition von Die kleine Raupe Nimmersatt, Das Loch und  Unsere Erde, in denen Löcher in den Seiten eine wichtige erzählerische Funktion übernehmen. Vom Cover beginnend bilden sie einen herzförmigen Krater, der im Garten der Gefühle endet und die Zufriedenheit als quasi höchstes Gut feiert.
Genau daran erinnern wir uns heute immer viel zu wenig – ich ebenso –, denn natürlich gibt es immer etwas zu meckern, anzumahnen, zu verbessern. Gewisse Zustände sollte und darf man selbstverständlich auf keinen Fall akzeptieren, doch genauso wenig sollte man vergessen, dass die Gefühle in unserem Herzen uns den Weg zum Glück und zur Zufriedenheit ebnen können, wenn man nur mal genau hinhört und -fühlt.

Also feiert die Liebe, genießt den Valentinstag, möge jeder Tag ein Valentinstag sein, dann hätte niemand mehr Zeit für Hass und Krieg. (Jetzt dürft ihr mich naiv nennen.)

Jo Witek: In meinem kleinen HerzenÜbersetzung: Stephanie Menge, Illustrationen: Christine Roussey, Fischer Sauerländer, 2016,  32 Seiten, ab 4-99, 16,99 Euro