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Die Schatzinsel

„Mitten in der Nacht wachte ich auf und konnte nicht mehr einschlafen. Ich hatte solche Angst. Nie Geld zu haben war beängstigend. Und noch beängstigender war die Frage, wie lange wir überhaupt noch durchhalten würden, wenn uns bei jeder Kleinigkeit, die schiefging, gleich das Geld für die Miete fehlte.“

Kitchen-Sink-Drama heißen im Englischen Filme und Romane, in denen es um die Sorgen und Nöte der sogenannten Kleinen Leute geht. Das Geld ist immer knapp, der finanzielle Ruin stets nah und die Schuldenfalle schnappt schnell zu, wenn zum Beispiel die Schuhe zu klein werden, die Spülmaschine das Haus unter Wasser setzt und das Kaninchen krank ist. Das weiß auch und erlebt hautnah die zwölfjährige Holly Theresa Kennet, die mit ihrem älteren Bruder Jonathan und dem jüngeren Davy in einem heruntergekommenen Haus in London über einem Imbiss lebt. Trotzdem ist ihre Geschichte mit dem Titel Eine Insel für uns allein kein Trauerspiel. Sondern ein packendes, großes Abenteuer, bei dem es nicht nur längs durch Großbritannien auf die im Norden Schottlands gelegenen Orkney-Inseln geht. Schatzsuche, Detektivgeschichte, Familienporträt und Sozialstudie vereint Sally Nicholls brillant in ihrem jüngsten Buch. Und während der Vorgänger Wünsche sind für Versager kaum auszuhalten war ob des Teufelskreises, in dem eine zutiefst verletzte Kinderseele feststeckte, möchte man dieses Buch gar nicht aus der Hand legen, weil seine Helden so charmant sind und ihre Erlebnisse so unglaublich spannend. Beate Schäfer ist es wohl ähnlich ergangen, sie hat den Roman einfühlend und dialogstark, ohne Sozialkitsch und Melodramatik, übersetzt.

Angesichts der prekären Lage, in der sich die Geschwister nach dem Krebstod der Mutter befinden, ist ihre Suche nach dem versteckten Schmuck, den ihre Großtante ihnen vermacht hat, kein Kinderfreizeitvergnügen, sondern schiere Notwendigkeit. Holly ist extrem plietsch, kennt sich mit Computern und Programmieren aus, zählt Schlossknacker zu ihren Freunden und hat die einschlägige Kriminalliteratur gelesen, im Gegensatz zu ihren Schulfreunden, die „Sherlock Holmes auch nur über Benedict Cumberbatch kannten“. Es ist immer wieder nett und interessant zu lesen, welche Rolle in englischen Büchern vor allem der Meister der Deduktion nach wie vor spielt und zu was er inspiriert. Statt mit Lupe und dem Wissen von 100 Variationen von Zigarrenasche helfen heute Rechner, Digitalkameras, GPS-Daten und digitale Netzwerke bei des Rätsels Lösung.

Holly hätte man gern als Freundin: Sie ist mutig, klug, witzig, gibt nicht auf und lässt sich von nichts und niemandem einschüchtern. Ihre Stärke sind ihre besondere Familie, vor allem ihre Brüder, für die beide sie sich als „halbe Erwachsene“ verantwortlich fühlt, und ihre Freunde – Menschen, denen sie vertraut und auf die sie sich verlassen kann. Das ist der große Unterschied zur kaputten Heldin des vorhergehenden Romans, die immer wieder enttäuscht, verraten und im Stich gelassen wurde und deshalb niemandem vertraut, eine Insel für sich allein sozusagen, eine isolierte, einsame.

Die Insel für uns allein dagegen ist ein Zuhause, gebaut aus der besonderen Dreisamkeit, die die Geschwister zusammenhält. Zwar hat der 18-jährige Jonathan das Sorgerecht für die Jüngeren übernommen, aber jeder trägt seinen Teil bei, dass sie trotz ständiger Geldsorgen, gemeinsam den Alltag gewuppt kriegen und glücklich sein können.

Hier wird nicht verraten, was es mit den Fotos und dem versteckten Metallkoffer auf sich hat und ob sie den Schatz tatsächlich finden. Denn eigentlich finden Holly, Jonathan und Davy bei diesem Abenteuer, das das Leben an sich ist, etwas viel Besseres, Grandioses. Genau deshalb brauchen wir in aktuell ziemlich düsteren, verstörenden Zeiten Bücher wie dieses: herzergreifende kichen sink adventures.

Elke von Berkholz

Sally Nicholls: Eine Insel für uns allein, Übersetzung: Beate Schäfer, dtv Reihe Hanser 2017, 216 Seiten, ab 11, 12,95 Euro

Oma mischt alle auf

omaSo ein Familienleben kann ganz schön geruhsam sein, wenn man es nett ausdrücken will. Jedenfalls ist das bei der Familie des zehnjährigen Henrik Gruber so: Der Vater interessiert sich nur für seine Modelleisenbahn, der Mutter ist der Garten heilig, die große Schwester hat nur Ohren und Augen für einen Teeniesänger. Henrik selbst interessiert sich eigentlich für … nichts.

Hilfe! Ich will hier raus! – Salah Naouras neuester Roman, der gerade für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis nominiert war – fängt ganz harmlos und unschuldig an, bis eines Tages Oma Cordula vor der Tür steht. Angeblich ist ihr Altenheim abgebrannt. Dort hatte Henriks Mutter sie untergebracht, weil sie nach dem Tod ihres Mannes so tüddelig geworden war. Doch nun steht sie vor der Familie und ist alles andere als tüddelig. Resolut macht sie sich im Haus breit und mischt das ruhige Leben der Grubers gehörig auf: Denn ihr Vater hatte vor dem Krieg drei Goldbarren im Garten vergraben. Mutters Heiligtum gleicht schon nach kurzer Zeit einem Schweizer Käse, da alle Familienmitglieder eifrig nach dem Schatz buddeln. Irgendwann wird der Garten zu klein, der angrenzende Kurpark wird von Oma zum möglichen Schatzgebiet erklärt … und damit breitet sich das Goldfieber in der ganzen Stadt aus.

Leicht und witzig erzählt Salah Naoura diese Familiengeschichte, in der sich mehr versteckt als eine einfache Schatzsuche. Oma Cordula ist der Weckruf, der frische Wind, der die Grubers aufrüttelt und sie aus ihren eingefahrenen Wegen holt. So eine Erinnerung, sein eigenes Leben mal wieder auf langweilige Routine zu überprüfen, kann man auch als Leser immer wieder gut vertragen. Denn nur so entwickelt man sich weiter, wird kreativ oder schafft etwas, das auch für andere Menschen von Bedeutung sein kann.
Gleichzeitig reißt Naoura das heikle Thema der Generationen und des Zusammenlebens an: Oma Cordula fühlte sich im Altenheim nicht wohl, weil sie dort einfach nur ruhig gestellt wurde. Das Leben bei ihrer Familie ist allerdings auch nicht einfach … Die Lösung, die Naoura findet, ist sicher nicht in jeder Familie machbar, literarisch jedoch ganz entzückend – und zeigt, dass es auch im Alter noch Glück und Herausforderungen geben kann.

Hilfe! Ich will hier raus! ist ein kurzweiliger Lesespaß, bei dem auch die erwachsenen Vorleser noch jede Menge Aha-Erlebnisse haben können.

Salah Naoura: HilfeIch will hier raus! Dressler, 2014, 160 Seiten, ab 8, 12,95 Euro 
   

[Jugendrezension] Schatzsuche im Waisenhaus

nicholas benedictHeute freue ich mich, die erste Gastrezension auf diesem Blog posten zu können. Sie stammt von Leon aus Hamburg und ist der Startschuss für den Aufbau einer Kinder- und Jugendredaktion für letteraturen in den nächsten Monaten. Los geht es:

Dieses Buch gehört zu der Buchreihe „Die geheimnisvolle Benedict-Gesellschaft“. Es ist der vierte Band, doch man muss keines der anderen Bücher lesen, um das Buch zu verstehen. Im Zusammenhang kann es aber trotzdem besser sein, wenn man schon ein Buch der Benedict-Gesellschaft gelesen hat.

Es geht um eine Person, Nicholas Benedict, die in der Buchreihe ein Erwachsener ist. In dem Buch Das geheimnisvolle Leben des Nicolas Benedict wird die Kindheit dieser Person erzählt.

In diesem Buch ist Nicholas ein neunjähriger Waisenjunge. Er kommt zum wiederholten Mal in ein neues Waisenhaus und hat es dort nicht leicht, weil er eine Krankheit hat (Narkolepsie) und deshalb manchmal in den dümmsten Situationen einschläft. Da er ein Genie ist und sogar Dinge im Voraus erahnen kann, merkt er schnell, dass im Waisenhaus merkwürdige Dinge geschehen. Schließlich findet er einen Freund im Waisenhaus und eine gehörlose Freundin außerhalb. Schnell lernt Benedict die Gebärdensprache und kann sich gut mit ihr unterhalten. Mit den beiden kommt er einem Schatz auf die Spur, und letztendlich muss er sich beeilen das Geheimnis des Schatzes zu lösen, denn auch Mr Collum, ein strenger Aufsichtsbeamter aus dem Waisenhaus, ist dem Geheimnis auf der Spur.

Ich kann dieses Buch empfehlen, weil Trenton Lee Stewart ein sehr schönes Licht auf das eigentlich traurige Leben im Waisenhaus wirft. Dies macht er mit viel Spannung und Humor, weshalb man den Roman gern schnell durchliest.

Wenn man dieses Buch gelesen hat, macht es einem Lust auch die anderen Romane von Stewart zu lesen.

Leon (13)

Trenton Lee Stewart: Das Geheimnisvolle Leben des Nicholas Benedict, Übersetzung: Werner Löcher-Lawrence, Bloomsbury Verlag, 2012, ab 12, 16,99 Euro

Mirakulöse Schatzsuche

stuart horten Lissa EvansStuart, 10, ist für sein Alter etwas klein geraten. Aber das liegt wohl in der Familie. Schon sein Großonkel, der Klitzekleine Kenny Horten, überzeugte nicht durch Körpergröße, sondern durch mirakulöse Zaubertricks. Allerdings ist das nun auch schon 70 Jahre her. Damals verschwand der kleine Magier im Zweiten Weltkrieg plötzlich spurlos. Doch er hat seinem Neffen, Stuarts Vater, eine Nachricht hinterlassen. Darin fordert er ihn auf, die geheime Werkstatt des Magiers zu suchen. Nur hat sich Stuarts Vater, der Kreuzworträtsel erfindet und in allerumständlichster Manier redet, nie darum gekümmert. Das Abenteuer-Gen ist stattdessen auf Stuart übergesprungen.

Und so macht sich der Junge in dem Dorf Beeton, in das er im Sommer mit seinen Eltern gezogen ist, auf die Suche nach der Werkstatt. Acht Threepenny-Stücke, ein altes Fotoalbum und jede Menge absonderlicher Münzautomaten, die in der Fabrik der Hortens einst hergestellt wurden, geben ihm immer neue Rätsel auf. Erschwerend kommt hinzu, dass das alte Haus von Kenny in den nächsten Tagen abgerissen werden soll. Doch dort liegen die nächsten Hinweise versteckt. Dem Jungen läuft die Zeit davon. Damit nicht genug, gehen ihm außerdem die neugierigen Nachbarsdrillinge April, May und June auch noch ziemlich auf die Nerven, sowie die habgierige Jeannie, die die Erfindungen Kennys patentieren lassen und damit viel Geld machen will. Zum Glück hilft die blinde alte Dame Leonora dem cleveren Stuart. Mit viel Kombinationsgabe, jeder Menge Glück und der Liebe zu alten Dingen flogt der Held den Spuren seines Großonkels.

In einem fast antiquiert wirkenden Kosmos, ohne Computer und Internet, wo man tatsächlich noch in der Bibliothek ein Buch ausleiht, ersteht quasi die Zauberwelt vom Anfang des 20. Jahrhunderts wieder auf. Unerklärliche Dinge geschehen, Telefone funktionieren, obwohl die Leitungen gerissen sind, Münzautomaten geben rätselhafte Antworten. Mit purer Vernunft ist das alles nicht zu verstehen, doch das Herz geht einem bei dieser Jagd nach einer untergegangenen Welt auf. Die Illustrationen von Temujin Doran – auf dem Cover und über den einzelnen Kapiteln – unterstreichen diese Atmosphäre aufs Feinste. Nostalgie macht sich breit und man sehnt sich nach magischen Vorführungen, Illusionen, Blechspielzeug und mirakulösen Mechanismen – die in unserer digital beherrschten Welt eine wahre Ausnahme und ein wunderschöner Kontrast sind .

Diese klassische Schatzsucher-Geschichte mit einer Prise Magie gewürzt liest sich flott und in einem Zug runter. Der subtile britische Humor macht einfach Spaß und die skurrilen Charaktere gewinnt man im Laufe der Lektüre richtig lieb. Dieser Roman ist folglich vortreffliche Unterhaltung für Jungs (aber auch Mädchen…) – wie schön, dass für nächstes Jahr bereits eine Fortsetzung angekündigt ist.

Lissa Evans: Stuart Horten. Acht Münzen und eine magische Werkstatt, Übersetzung: Elisa Martins, mixtvision, 2012, 301 Seiten, ab 10, 13,90 Euro