Heute Morgen hat im Rahmen des Harbourfront Literaturfestivals in Hamburg Alex Gino in der Zentralbibliothek Hamburg aus dem Roman „George“ gelesen. Etwa 100 Kinder zwischen zehn und 12 Jahren lauschten und stellten Fragen. Die deutsche Übersetzung von Alexandra Ernst hat die Schauspielerin Jodie Ahlborn einfühlsam vorgetragen. Perfekt moderiert wurde die Veranstaltung von Stefanie Ericke-Keidtel.
In „George“ geht es um ein Transgendermädchen, die irgendwann den Mut aufbringt, sich ihrer Familie anzuvertrauen. Berichtet habe ich von dem wichtigen Buch bereits hier. Nun Alex Gino live zu sehen, war ein wunderbares und aufschlussreiches Erlebnis, denn die Geschichte von George ist in gewissen Zügen Alex Ginos eigene Geschichte.
Vor 38 Jahren in Staten Island/New York geboren war Alex schon recht früh bewusst, anders zu sein. Nur gab es damals in den 80er Jahren keine Worte für dieses Anderssein. Im Gegensatz zu heute, wo auf die Frage, ob denn die Zuschauer schon mal von Transgender gehört hätte, fast alle Kinder die Finger hoben und wissend nickten, als ob das ein alter Hut wäre.
Alex jedoch kämpfte sich durch Kindheit und Pubertät und eröffnet mit 17 den Eltern, queer zu sein. Mit 20 sagte Alex ihnen dann, transgender queer zu sein. Ein doppeltes Coming-out quasi. Die Qualen, Unsicherheiten und Zweifel ahnt man. Alex hatte Glück, dass die Eltern rückhaltlos zu ihrem Kind standen, Alex auf dem schwierigen Weg also Beistand und Hilfe bekam und sich nicht verstecken musste – etwas, was die Romanfigur George als genauso schwierig bezeichnet.
Alex jedoch ist etwas anders als die Romanfigur George, die genau weiß, dass sie ein Mädchens ist. Alex bezeichnet sich als „gender queer“, was für Alex bedeutet, mal Mann, mal Frau sein zu wollen. Alex legt sich nicht fest, will einfach Alex sein. Ein sehr nachvollziehbarer Wunsch, der jedoch auch Probleme mit sich bringt.
So stellte ein Mädchen aus dem Publikum umgehend eine der drängendsten Fragen: Wie soll man über Alex reden – als sie oder als er? Das Deutsche kennt ja wie das Englische kein x-tes Geschlecht. Und schon betritt man ein sprachliches Minenfeld, wenn man queeren Transmenschen gegenüber nicht unhöflich und unsensibel auftreten möchte.
Alex berichtete dann von der langen Suche nach dem richtigen Pronomen für sich – und der Entscheidung für das englischen Singular they, das auch schon Shakespeare benutzt hat, wie Alex mit einem Augenzwinkern hinzufügt.
Dafür eine Entsprechung im Deutschen zu finden ist nicht einfach. Seit Jahren wird über gender-neutrale Sprache gestritten. Einzelne Worte, wie „Studierende“ statt „Studenten“ und gewissen Neutralisierungen setzen sich langsam durch, haben diese aber auch den Vorteil, eine Gruppe von Menschen zu bezeichnen, bei der wir den Plural ganz entspannt benutzen können.
Beim Reden über Einzelpersonen jedoch wird es kompliziert, wenn diese sich keinem der beiden grammatikalischen Geschlechter zuordnen lassen wollen. Doch es gibt Versuche gender-neutrale zu Pronomen zu finden, z.B. hier und hier. Das Feld ist weit, ich kann es hier und jetzt nicht in aller Ausführlichkeit diskutieren (bin auch nicht die Expertin dafür, auch wenn ich mich mehr und mehr bemühe, darauf zu achten). Es wird auf jeden Fall spannend, was sich in den nächsten Jahren in unserem Sprachgebrauch durchsetzen wird. Im Englischen hat das gender-neutrale Mx. (statt Mr. oder Mrs.) bereits den Einzug ins Oxford Dictionary gehalten.
Im Deutschen wird es nicht bei den Pronomen bleiben: Alex hat zwei Nichten und prompt fragte ein Junge, wie diese denn Alex nennen würden, Onkel oder Tante? Etwas zögernd erzählte Alex, dass sie in „uncle Alex“ nennen, einfach weil es besser klingen würde … Fast sah es so aus, als hätte Alex diese Frage noch nie beantworten müssen.
Natürlich grübelt mensch dann automatisch über eine deutsche Alternative zu Onkel und Tante nach: Tankel? Onte? Glücklicherweise ist Sprache immer etwas, das sich entwickelt, Neues schöpfen kann und dieses auch in den Alltag integriert. Irgendwann wird es also einen solchen Begriff im Duden geben, da bin ich mir sicher.
Erfreulich an diesem heiteren Vormittag in der Zentralbibliothek waren – neben einex umwerfend charmanten und überzeugenden Alex Gino – die Offenheit und Neugierde der Kinder. Natürlich fanden es ein paar viel spannender, dass Alex das Computerspiel Mario Kart und die Figur Toad liebt, doch mir war, dass die meisten zumindest ein Gefühl für die Ängste und Nöte von Transmenschen mitbekommen haben. Für einen respektvollen Umgang in unserer Gesellschaft ist damit wieder jede Menge Saat ausgebracht, die hoffentlich reichlich Frucht tragen wird.
Gleichzeitig haben die Kids hautnah erlebt, wie mitreißend fröhlich mensch sein kann, wenn er/sie einfach zu sich steht und sein/ihr Ding macht. Und genau dafür ist das Buch von Alex Gino einfach enorm wichtig!
Alex Gino: George, Übersetzung: Alexandra Ernst, Fischer Verlag, 2016, 208 Seiten, ab 10, 14,99 Euro