Schlagwort-Archive: deutsch

Variationen eines Kunstwerks

kaefigIn dieser Woche fand die Kinderbuchmesse in Bologna statt, und ich war nach langen Jahren der Abwesenheit mal wieder vor Ort.
Es gab dort für mich nicht nur wunderbaren Input in Sachen neue Jugendbücher aus Italien, sondern ich hatte die zudem die Gelegenheit die beiden großartigen Macher von Der goldene Käfig persönlich kennenzulernen: die italienische Autorin Anna Castagnoli und den flämischen Illustrator Carll Cneut. Wir haben natürlich auf die Nominierung des Goldenen Käfigs für den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Sparte Bilderbuch angestoßen und uns für den 21. Oktober in Frankfurt verabredet. Aber bis dahin ist noch viel Zeit.

Beim Nach-Messe-Bummel durch das historische Zentrum von Bologna habe ich mir dann in der Kinderbuchhandlung an der Piazza Maggiore die italienische Variante des Goldenen Käfigs zugelegt – La voliera d’oro. Und wenn man nun denkt: Bilderbuch ist Bilderbuch, egal in welcher Sprache es herausgebracht wird – dem möchte ich hier ein paar Seiten zeigen, die die Unterschiede der beiden Ausgaben illustriert.

Ganz offensichtlich ist zunächst, wie das erste Bild oben zeigt, das kleinere Format des italienischen Buches. In Zahlen: 26,5 x 34,5 cm für die deutsche Version, 24 x 31 cm für die italienische. Gründe dafür kann ich nicht nennen (Verlagsstandards? Kosten?).
Auffällig ist die Anordnung des Titels – der italienische Golddruck geht zwischen den Papageien leider etwas unter. Dafür ist der blaue Papagei rechts unten nicht so sehr beschnitten und besser zu erkennen.

kaefig

Bei der Titelei im Buch zeigt sich, wie wichtig die richtige Skalierung von Bildern sein kann. Vogel und Blätter sind zwar bei beiden Büchern gleich groß, nur sind bei der italienischen Version, oben, Vogel und Blatt angeschnitten und wirken gedrängt. Auch der Stil des oberen Blattes geht fast verloren.

Eine Besonderheit zeigt sich hier bereits bei der Handschriftstypo des Titels: Beide in Schreibschrift, die deutsche Variante ist jedoch von Carll Cneut geschrieben worden. Das setzt sich im deutschen Buch fort.

An einigen Stellen gibt es in der deutschen Variante Sätze, die im italienischen Text fehlen. Dies liegt daran, dass mir beim Übersetzen zusätzlich zum Text von Anna Castagnoli das PDF der niederländischen Ausgabe vorlag, die bereits 2014 erschienen ist und in der diese zusätzlichen Sätze eingefügt worden waren. Sie geben der Geschichte der Blutprinzessin einen zusätzlich märchenhaften und poetischen Hauch. Auf dem rechten Bild, unten, wird durch die handschriftlichen Passagen der Inhalt noch ein weiteres Mal herausgehoben und betont.

kaefig

kaefig

 

 

 

 

 

 

 

Eine größere Änderung sowohl beim Text, als auch beim Bild zeigt sich hier:

kaefig

Für diese ganz besondere Seite, die die grausame Neigung der Blutprinzessin illustriert, hat Cneut das „HACK“ der rechten Seite für die deutsche Variante noch einmal ganz neu gemalt – denn ohne das C von „HACK“ würde das flämische „HAK“ wie ein Schreibfehler aussehen und die Leser enorm irritieren.
Im italienischen Text lautet „HACK“ allerdings „ZAC“ – und ich frage mich, ob italienische Leser sich über die Text-Bild-Schere in ihrem Exemplar wundern oder das einfach so hinnehmen.

Dies sind jetzt nur einige wenige Beispiele – schließlich müsst Ihr Euch dieses wunderbare Bilderbuch im Original ansehen, um seine ganze Pracht zu begreifen – aber sie zeigen eindrücklich, wie unterschiedlich in den Ländern mit Bildern und Texten umgegangen wird.
Ich würde jetzt am liebsten auf die Jagd nach allen internationalen Ausgaben gehen und diese Vergleichsliste fortsetzen … je nachdem, in welches Land dieses Märchen noch verkauft wird. Ich hoffe, in sehr viele.

Anna Castagnoli/Carll Cneut: Der goldene Käfig, Übersetzung: Ulrike Schimming, Bohem, 2015, 48 Seiten, 28,95 Euro

Anna Castagnoli/Carll Cneut: La voliera d’oro, Topipittori, 2015, 48 Seiten, 24 Euro

Zwischen den Welten

Berlin-Neukölln, Campus Rütli, ein lauer Spätsommerabend. Die verkehrsberuhigte Rütlistraße präsentiert sich schon fast als Idyll. Kinder spielen im Jugendtreff, auf dem Sportplatz läuft eine Partie Basketball. In der Kleingartensiedlung „Hand in Hand“ ist gerade gar nichts los, an einer Brandmauer steht „Kotz Kölln“. Die Gewalt, die hier noch vor einigen Jahren herrschte, ist an diesem Abend nicht mehr zu spüren. Der Campus Rütli, der unter der Schirmherrschaft von Christina Rau, Witwe von Bundespräsident Johannes Rau, weiter ausgebaut wird, wandelt sich: Die Schüler schrauben an alten Porsche-Traktoren oder musizieren im Schulorchester. Die S. Fischer Stiftung unterstützt die Kids mit Aktionen wie „Fußball trifft Kultur“ – erst kicken, dann lesen. Und nun gab es eine Premiere: Im Rahmen der „Woche der Sprache und des Lesens in Berlin“ las Deniz Selek in der Mensa der Schule aus ihrem druckfrischen Roman Zimtküsse. Und richtig viele Schüler waren gekommen.

Man hätte vermuten können, dass das junge Publikum, vor allem die Jungs, bei der Lesung eines ausgesprochenen Mädchenbuches, herumalbern oder stören würden. Doch Fehlanzeige: Gebannt lauschen die etwa 80 Zuschauer der deutsch-türkischen Autorin, für die dieser Abend eine doppelte Premiere ist. Es ist ihre erste Lesung aus ihrem Debütroman – und Deniz Selek meistert das Ganze mit Bravour. Sie liest engagiert und mit Herzblut. Kein Wunder, dass die Jugendlichen ihr an den Lippen hängen und sie hinterher mit Autogrammwünschen bestürmen und den kleinen Büchertisch fast leerkaufen. Zu diesem Erfolg trägt natürlich auch Seleks unterhaltsam leichter Roman bei.

Darin erzählt sie die Geschichte der 14-jährigen Sahra. Ihr Vater ist Türke, Maschinenbauingenieur und der beste Papa der Welt, ihre Mutter ist Deutsche – und hat sich gerade in eine andere Frau verliebt. Sahras Welt steht Kopf. Hinzu kommt, dass ihre beste Freundin Katta nur noch Augen für Henry hat. Sahra hält das alles nicht mehr aus und flüchtet zu ihrer Großmutter nach Istanbul. Dort taucht sie zusammen mit ihren Cousinen Daria und Sema in das Getümmel der Großstadt ein, dort, wo internationale Kaffee-, Parfum- und Bekleidungsketten auf kleine Läden aus 1001 Nacht treffen, wo die Mädchen Liebesschlösser und bunte Perlenbänder für Gelübdebäume kaufen.  Sahra staunt, genießt und kämpft mit den beiden Welten, in denen sie lebt. Dort, wo sie gerade ist, fehlt ihr die andere Welt. Ist so etwas schon für Erwachsene eine Herausforderung, wird das für ein pubertierendes Mädchen zu einer existenziellen Erfahrung: Wer bin ich? Wo und wie will ich leben? Was prägt mich? Sahra erlebt die Sehnsucht und die Erfahrung, sich ständig entscheiden zu müssen, obwohl sie das eigentlich gar nicht will. Und sie erfährt die Liebe und Zuneigung von ihren Eltern, ihrer Großmutter, ihren Cousinen und ihren Freunden. Und Tjiago aus dem dritten Stock, Zuhause in Deutschland, scheint doch gar nicht so übel zu sein, wie anfangs gedacht …

Deniz Selek erzählt diese wichtigen Alltagsgeschichten, die zur Identitätsfindung Jugendlicher gehören, mit souveräner Leichtigkeit. Ihre lockere Sprache trifft genau den Ton der Teenager, die eingewebten türkischen Begriffe zeugen von der Verquickung der beiden Welten, in denen die Protagonistin lebt – und eben auch viele der zukünftigen Leserinnen. Seleks Liebe zu Istanbul, wo sie selbst viele Jahre gewohnt hat, ist in jeder Szene zu spüren. Ihre eigene Erfahrung als Halbtürkin in Deutschland spiegelt sich im Roman und verleiht ihm die nötige Authentizität. Die Autorin zeigt, dass im Einwanderland Deutschland das Leben in zwei Kulturen zur Normalität gehört. Und gerade diese Normalität, zu der auch der raue, gewalttätige Umgangston in der Schule gehört, macht die Stärke dieses Buches aus.

So wie die Lesung auf dem Campus Rütli, bei der übrigens auch Christina Rau anwesend war, ein tolles Beispiel war, wie man die Kids zum Lesen animiert, so ist Zimtküsse ein total liebenswertes Romandebüt, perfekt gelungene Unterhaltung und allerbestes Lesefutter.

Deniz Selek: Zimtküsse, Fischer Schatzinsel, 2012, 288 Seiten, ab 12, 13,99 Euro