Alles andere als verwahrlaust

Pünktchen und AntonImmer wenn ich mal eine Pause von all den Neuerscheinungen brauche, greife ich zu einem Klassiker. Momentan ist Erich Kästner mein liebster Autor. Daher habe ich neulich endlich mal Pünktchen und Anton gelesen. Gehört hatte ich die Geschichte als Kind auf einer Schallplatte bei Oma. Aber erinnern konnte ich mich eigentlich nur noch an das herzzerreißende „Streichhölzer, kaufen Sie Streichhölzer“.

Umso schöner und überraschender war jetzt die Lektüre. Kästners Kinderroman erschien bereits 1931, und trotz seiner 80 Jahre hat dieser Text nichts an Frische und Klarheit eingebüßt. Schnörkellos, ohne ein überflüssiges Wort, aber überaus warm und herzlich erzählt Kästner die Geschichte von Luise, genannt Pünktchen, aus gutem Hause und Anton, der sich bis zum Umfallen um seine kranke Mutter kümmert.

Die Kinder lernen sich beim Betteln auf der Weidendammbrücke in Berlin Mitte kennen – nur betteln sie aus völlig verschiedenen Gründen. Anton, um zu überleben, Pünktchen, weil ihr Kindermädchen Fräulein Andacht, sie zwingt. Gemeinsam mit Anton kommt das Mädchen dann den üblen Machenschaften von Fräulein Andachts Liebhaber Robert auf die Spur.

Kästner hat zwischen die Kapitel so genannte „Nachdenkereien“ eingeschoben, in denen er über Fragen der Moral, über Freundschaft, Mut, Neugierde, Armut und das Leben überhaupt schreibt. Solche erzieherischen Anliegen können verdammt schnell zu moralinsauren Predigten ausufern und einem den Spaß am Lesen verderben, doch nicht bei Kästner. Der schafft es, ohne erhobenen Zeigefinger, den Leser zum Nachdenken zu bringen – vor allem über die Vielschichtigkeit der Figuren, die nie nur gut oder nur böse sind, sondern sich durch ihre Zwischentöne auszeichnen und somit überaus menschlich sind.

Was mich dann restlos entzückt hat, war Pünktchens Spleen, sich neue Worte wie „Wärmometer“ oder „verwahrlaust“ auszudenken. Einfach großartig!

Erich Kästner: Pünktchen und Anton. Ein Roman für Kinder. Illustrationen: Walter Trier, Dressler Verlag, 129. Auflage 2011, 154 Seiten, ab 10, 12 Euro

Fußball, Fummel & Freundschaft

kicker im KleidNeulich habe ich mich ja über David Walliams Mr. Stink schlappgelacht und jetzt landete das Erstlingswerk des Autors und Schauspielers auf meinem Tisch. Das musste ich natürlich gleich mal dazwischen schieben, weil Kurzweil und Amüsement lockten … und ich wurde tatsächlich nicht enttäuscht.

Dennis ist 12 und hat momentan nicht viel Freude im Leben. Seit seine Mutter die Familie verlassen hat, gelten in dem Männerhaushalt aus Dad, Dennis und seinem 14-jährigen Bruder John drei eiserne Regeln: Kein Wort über Mum! Nicht heulen! Keine Umarmung! Ziemlich trostlos das Ganze. Fußball ist die einzige Abwechslung, und darin ist Dennis einfach unschlagbar.

Als dann jedoch eines Tages auf der Vogue ein Model in einem Sommerkleid abgebildet ist, das Dennis ganz heftig an seine Mutter erinnert, kann der Junge nicht widerstehen und kauft die Zeitschrift. Er schwelgt in den opulenten Bildern all dieser unwiderstehlichen Kleider und entdeckt eine neue Leidenschaft: Frauenkleider!

In der coolen Lisa, die eigene Modelle entwirft,  findet Dennis die perfekte Freundin, die ihm ihren gesamten Kleiderschrank zum An- und Ausprobieren zur Verfügung stellt. Dennis erfindet sich neu und entdeckt, wie gut es tut, auch mal ein paar Regeln zu brechen. Schließlich schenkt Lisa ihm ein selbstgeschneidertes Paillettenkleid und überredet ihn, damit in der Schule aufzutauchen, verkleidet als ihre französische Brieffreundin.

Dass das Alles so richtig schön schief geht, ahnt man natürlich schnell. Doch Walliams gelingt es ganz großartig, liebevoll und lustig über den Spaß am Anderssein (nein, Dennis ist nicht schwul), echte Freundschaft und ein Fußballendspiel im Fummel zu erzählen. Das Buch legt man folglich erst wieder aus der Hand, wenn die letzte Seite erreicht ist. Und möchte sofort mehr solcher Geschichten …

David Walliams: Kicker im Kleid, Übersetzung: Dorothee Haentjes, Illustration: Quentin Blake, Aufbau Verlag, 2010, 232 Seiten, ab 10, 14,95 Euro

Hier stinkt’s gewaltig

Mr StinkChloe, 12, ist eine Heldin. Jedenfalls für mich. Denn sie traut sich, Mr Stink anzusprechen. Mr Stink ist obdachlos und lebt auf einer Parkbank – und er stinkt erbärmlich. Kaum ein Mensch hält es mit ihm aus, denn seine Ausdünstungen sind so richtig widerlich. Chloe aber traut sich. Sie freundet sich mit dem sonderbaren alten Herrn an. Er ist nett zu ihr, was sonst niemand ist. Nicht ihre Schwester Annabelle, die einen Pokal nach dem anderen gewinnt, nicht ihre Mutter, die mit abstrusen Forderungen in der Politik Karriere machen will, nicht der Vater, der sich von seiner Ehefrau unterbuttern lässt und seine Musikkarriere für sie aufgegeben hat.

Doch mit Mr Stink ist das anders. Und so quartiert Chloe den Obdachlosen heimlich im Gartenschuppen ein. Aber sein Gestank lässt sich nicht so leicht verbergen, und das Chaos bahnt sich seinen Weg durch die Katzenklappe …

Selten habe ich bei einem Buch so Tränen gelacht wie bei diesem Highlight. Mit seinem trockenen britischen Humor erzählt David Walliams eine ungewöhnliche, liebenswerte und berührende Geschichte, die soziale Grenzen einreißt und ein Fest des Lebens, der Freundschaft und der Geheimnisse feiert.

Der Roman ist charmant von Quentin Blake  illustriert und überaus treffend von Dorothee Haentjes aus dem Englischen übersetzt.

Dieses Buch ist nicht nur eine Offenbarung für Kinder. Für dieses Buch gibt es keine Altersbeschränkung, denn es erzählt eine Geschichte, von der diese Gesellschaft mehr gebrauchen könnte.

David Walliams: Gestatten, Mr Stink, Übersetzung: Dorothee Haentjes, Illustration: Quentin Blake,  Aufbau Verlag, 2011, ab 11, 14,99 Euro