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Unendliche Weiten

star trek

taH oagh taHbe‘ – Sein oder nicht sein »Sie werden Shakespeare erst wirklich genießen, wenn Sie ihn im klingonischen Original lesen«, erklärt der klingonische Kanzler Gorkon. Das ist nur eine der skurrilen Literaturverweise, die der Philosoph und Hegel-Experte Klaus Vieweg in seinem leichtfüßigen Essayband To beam or not to beam? – Die Literatur in Star Trek aufdeckt.
Shakespeare hat es Gene Roddenberry, dem Schöpfer der Science Fiction Serie Star Trek, die bei uns anfangs unter dem Titel Raumschiff Enterprise im Fernsehen lief, besonders angetan. Der Film Das unentdeckte Land ist geradezu ein Shakespeare Best of, vor allem der Rachedramen, von Hamlet über Julius Cäsar und dem Kaufmann von Venedig bis zu den blutigen Schlachtenepen Heinrich IV. und V. Dass unter den Gummimasken der Klingonen virtuose Shakespeare-Darsteller steckten und sowohl Leonard Nimoy als Spock als auch William Shatner als Captain James Kirk Kenner und Liebhaber des genialen Dramatikers waren, befeuerte die Dialoge aufs Schönste und katapultiert die vermeintlich trashige Serie auf ein ungeahntes Niveau.

Weltliteratur im Schlafanzug vor Sperrholzkulissen

Klaus Vieweg ist nicht nur Philosoph und Literaturkenner. Er ist auch Fan, vor allem der ersten Staffel der Serie, dem Original, als die Darsteller, alle anfangs keine Stars, eher die zweite und dritte Schauspielgarde, in schlafanzugartigen Uniformen vor billigen Sperrholzkulissen agierten. Was zählte, war die Geschichte, die Charaktere und die Dialoge. Und da schöpfte Gene Roddenberry aus den Vollen der Weltliteratur, wie Vieweg höchst unterhaltsam darlegt. Roddenberry war Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg. Als Polizeioffizier beriet er nebenbei Macher von Krimiserien – und kam so zum Fernsehen.

Russen, Japaner, Vulkanier und schwarze Offizierin

Inzwischen selbst hauptberuflich Drehbuchautor erhielt er den Auftrag für eine Science-Fiction-Serie. Roddenberry setzte bei den Reisen des Raumschiffs durch die unendlichen Weiten des Weltraums auf Völkerverständigung. Das zeigte sich nicht nur in der Besatzung der Enterprise mit Russen, Japanern, Vulkaniern und einer schwarzen Frau als Offizierin. Seine Chefs aber wollten eine Art Western im Weltraum. Und deshalb musste Roddenberry seine Mission mit einer Art Guerilla Taktik verfolgen.

Von Aristophanes bis Zweig

Zwar hieß Captain Kirk nicht wie ursprünglich geplant Gulliver. Aber Jonathan Swifts Gullivers Reisen sind nur ein kleiner Teil der vielschichtigen und subversiven Anspielungen, die Roddenberry raffiniert in der von 1965 bis 1969 ausgestrahlten ersten Staffel versteckt hat. Und es macht Vieweg einen Riesenspaß, diese Fülle an Zitaten aufzudecken und zu entschlüsseln. Die reichen von Aristophanes‘ Komödien über Motive aus Moby Dick, Dr. Jekyll und Mr. Hyde und Alice im Wunderland bis zu Stefan Zweigs Schachnovelle. Letztere steht für eine gesunde Skepsis gegenüber Künstlicher Intelligenz, ausgerechnet durch den superrationalen Analytiker Spock.

Konsequent für Freiheit und Gerechtigkeit

Natürlich kommen auch Science Fiction und dystopische Klassiker vor wie George Orwells 1984 und Ray Bradburys Fahreinheit 451. Intelligente Manipulatoren und charismatische Egomaninnen, gebildete Ausbeuter, verkappte Rassisten und eloquente Kriegstreiber,  – Captain Kirk & Co lassen sich zwar durchaus anfangs täuschen und wähnen sich auch mal in Wolkenkuckucksheim. Letztlich durchschauen sie aber jedes böse Spiel und setzten sich konsequent für Freiheit und Gerechtigkeit ein. Oder wie es am Ende einer Folge heißt: »Die Stärke einer Zivilisation wird nicht gemessen an ihrer Fähigkeit, Kriege zu führen, sondern vielmehr an ihrer Fähigkeit, sie zu vermeiden.«
Übrigens war Star Trek anfangs eher ein Flop und wurde zunächst ausgerechnet im Jahr der Mondlandung abgesetzt. Doch über Wiederausstrahlungen der 79 ersten Episoden bei kleinen Sendern wurden diese ersten drei Staffeln Kult. Der Rest ist Geschichte, in mittlerweile gut 700 Teilen.

Mitreißend und sympathisch unprätentiös

Serien gibt es heute jederzeit und überall en masse. Das meiste ist bestenfalls unterhaltsam, selten tiefsinnig und nur ausnahmsweise klug. Umso ansteckender ist Viewegs Begeisterung für Star Trek. Seine Essays kommen so sympathisch unprätentiös daher wie das Taschenbuch in Aufmachung und Optik. Die Illustrationen von Tochter Olivia Vieweg erinnern auf den ersten Blick an ein Comic für Kinder und sind nett subtile Cartoons. To beam or not to beam? bringt einen nicht nur dazu, die originalen Abenteuer der Enterprise wiederzuentdecken. Sondern auch in die unendlichen Weiten der Literatur zu reisen.

Klaus Vieweg: To beam or not to beam? – Die Literatur in Star Trek, Illustration: Olivia Vieweg, Cross Cult, 224 Seiten, 14 Euro, ab 16 Jahre

Freunde auf dem Holodeck

whaleyDas Leben ist kein Ponyhof. Auch ohne Kriege, Hungersnöte und Naturkatastrophen ist es nicht einfach, in der Welt klarzukommen. Zu sagen, „der Mensch ist des Menschen Wolf“, wäre falsch, weil ein Wolf im Gegensatz zum Menschen nicht bewusst und ohne Kalkül handelt. Menschen verletzen einander, haben Vorurteile, grenzen aus, erwidern Liebe nicht, leben sich auseinander, entwickeln konträre Meinungen und inkompatible Pläne. Gemeinsames Glück ist selten von Dauer, dazu kommen noch Tod und Schmerz. „Zu viel Gefühl“, wie Annette Humpe mit der brillanten Band Ideal einst sang. Ziemlich normal, dass das Angst macht und verunsichert. Trotzdem haben sich fast alle damit arrangiert.

Manche halten diese Welt aber nicht aus. So wie der 16-jährige Solomon Reed, der in John Corey Whaleys drittem Roman Hochgradig unlogisches Verhalten das Haus nicht mehr verlässt. Vor drei Jahren, an seinem letzten Tag in der Schule, hat er sich während einer Panikattacke ausgezogen und in den Brunnen gesetzt. Auch zu Hause leidet er unter furchtbaren Anfällen, mit Herzrasen, Schwindel, Atemnot, aber seltener und nicht exponiert.

Solomon hat einen pragmatischen Blick auf seinen Zustand: „Nach dem Brunnen war ihm klar, was er zu tun hatte. Weg mit allem, was Panik auslöst. Er wunderte sich, warum die anderen das nicht verstanden. Er wollte einfach nur ohne Todesangst leben. Manche Menschen kriegen Krebs. Manche werden verrückt. Keiner käme auf den Gedanken, einem Krebskranken die Chemo auszureden.“ Ein Plädoyer dafür, psychische Krankheit gleichberechtigt mit körperlichen Gebrechen anzuerkennen. Laut aktuellen Studien haben beispielsweise Menschen mit Depression mit dem Vorurteil zu kämpfen, sie litten unter Charakterschwäche und müssten sich einfach mal zusammenreißen.

Solomons Agoraphobie, seine Angst, das Haus zu verlassen, macht ihn für Lisa Praytor interessant. Die 17-Jährige will sich um ein Stipendium für ein Psychologiestudium bewerben, an der zweitbesten Universität für diesen Studiengang, um dort dann die Beste werden zu können. Sie erinnert sich noch an ihren früheren Mitschüler im Brunnen, wie er nackt und nass vom Direktor, notdürftig mit einem Jackett bekleidet, weggeführt wurde und nicht mehr zurückkehrte. Über ihn will sie den für das vollbezahlte Studium notwendigen Aufsatz mit dem Thema „Meine persönliche Erfahrung mit psychischen Erkrankungen“ schreiben. Und nebenbei glaubt sie, Solomon aus dem Haus bringen und heilen zu können. Deshalb schreibt sie ihm einen rührseligen Brief, in dem sie ihre wahren Motive verschweigt, stattdessen Empathie und Sorge vortäuscht und ihm ihre Freundschaft anbietet.

Und Lisa Praytor, diese extrem ehrgeizige, zielstrebige, perfekte, immer 150 Prozent gebende, von sich selbst mehr als überzeugte und eingenommene Schülerin ist alles andere als wirklich sympathisch. Selbst wenn man erfährt, warum sie sich so verhält: „Lisa hatte von ihrer Mutter einige wichtige Dinge gelernt. Wie man sich beim Autofahren schminkt, wann man weiße Schuhe tragen kann und wann nicht – solchen Sachen. Aber vor allem hatte Lisa gelernt, sich im Leben nicht alles gefallen zu lassen. Sie hatte keine Lust, so zu enden wie ihre Mutter: überarbeitet, leicht depressiv und in dritter Ehe unglücklich.“ Und Lisa will unbedingt weg aus Upland, einer kleinen Stadt in Kalifornien. Erstaunlicherweise wird sie aber auch am meisten in dieser Geschichte lernen.

Genau das macht einen Reiz dieses aus wechselnder Perspektive erzählten Romans aus: Die vielschichtigen, plastischen und lebendigen Charaktere, die sich selten so verhalten wie man es erwarten würde. Da ist zum Beispiel der dritte im Bunde dieser Freundschafts- und Befreiungsgeschichte: Lisas Freund Clark, Modellathlet, Wasserballer, Posterboy der Highschool. Aber eben kein typisches Abziehbild, sondern ulkig, herzlich, auch rätselhaft.

Oder Solomons Eltern, seine Mutter Valerie, eine sportbegeisterte Zahnärztin, und sein Vater Jason, der seine Vorliebe für Filme und Konstruktionen zum Beruf gemacht hat und als Kulissenbauer arbeitet, allerdings die Hollywoodstars mangels Interesse kaum auseinander halten kann. Beide haben sich damit abgefunden, dass ihr Sohn das Haus nicht verlässt und Therapieversuche aufgegeben. Trotzdem sind sie nicht nur aufopferungsvolle Eltern, sondern Menschen mit Wünschen und Plänen, die sich nicht nur um ihr Kind drehen.

Zwischen allen diesen Figuren, die man gern kennenlernen möchte, entspinnen sich witzige, schlagfertige und kluge Dialoge. Ein bisschen Filmwissen und Star-Trek-Kenntnisse steigern den Genuss des hochgradig unlogischen Verhaltens. Grundlegende Wahrheiten über Freundschaft und Verlieben lassen sich hervorragend auf dem Holodeck darstellen. Beiläufig spielt auch das Thema Homosexualität eine Rolle, und es werden ein paar Vorurteile, gerade bei vermeintlich toleranten Leuten, aufgedeckt.

Das Ganze ist von Andreas Jandl spritzig und unprätentiös übersetzt, da ist dann jemand auch mal angefressen oder sauer. Vor allem in den teils Screwball Comedy reifen Dialogen merkt man, dass Jandl Theaterwissenschaften studiert hat und Bühnenstücke übersetzt.

Grandios und erfrischend ist auch Solomons pragmatische, lebenslustige Großmutter, eine erfolgreiche Immobilienmaklerin. Ihr gelingt es am besten, Solomon aus seiner selbstgewählten Isolation zu befreien, sie nimmt ihn ernst, lässt ihn aber auch nicht mit seiner Krankheit einfach so davonkommen.
Und sie hat auch genau die richtige Einstellung zu dieser Welt. Als Solomon von Lisas tatsächlichem Plan erfährt, wirft er sie und Clark, die er bis dahin für seine Freunde, seine ersten echten Freunde überhaupt, gehalten hat, aus dem Haus und zieht sich tief enttäuscht und in all seinen Vorurteilen bestätigt komplett zurück. „So was aber auch! Sie sind nicht perfekt. Trotzdem geht es dir mit ihnen besser als ohne sie.“

So ist es nämlich: Natürlich wäre das Leben einfacher, wenn wir alle Vulkanier wären – kontrolliert, ohne diese blöden, oft traurig oder wütend machenden, irrationalen Gefühle. Aber ohne hochgradig unlogisches Verhalten wäre das Leben auch so viel langweiliger und eigentlich sinnlos.

John Corey Whaley: Hochgradig unlogisches Verhalten, Übersetzung: Andreas Jandl, Hanser 2017, 240 Seiten,  ab 13, 16 Euro,