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Hexen exen

Dahl

Willkommen zurück aus der Sommerpause! Manche kürzten ihre Ferien Pandemie bedingt ab, ich nenne es meine vacances interruptue. Zehntausende von Briten hat es noch heftiger erwischt: Sie mussten Hals über Kopf von einem Tag auf den anderen Spanien und vor allem Frankreich verlassen und nach Hause reisen, sonst wären sie erst mal für zwei Wochen in Quarantäne gewandert. Eine neue Spielart der alten Animosität zwischen Engländern und Franzosen.
Überhaupt scheint in Großbritannien alles möglich. Ein einst kluger, gebildeter, witziger und auch charmanter Typ verwandelt sich zum nationalistischen Trottel und wird Premierminister. Im Brexit verbreiten sich Vorurteile und böse Geister so schnell wie das Virus. Warum soll es auf der Insel nicht auch die gefährlichste Hexenvereinigung der Welt geben?

Farbenprächtige und furiose Comicadaption von Roald Dahls Klassiker

Wie man mit dieser, im Gegensatz zum Virus, vor allem für Kinder extremen Gefahr umgeht, erzählt Pénélope Bagieu in ihrer formidablen Comic-Adaption von Roald Dahls Kinderbuchklassiker Hexen hexen. Der farbenprächtige und furiose Band ist eine Wucht und fürs Urlaubsgepäck sowieso viel zu schwer. Also zumindest ein guter Grund, wieder zu Hause zu sein.
Anstatt wie der Waliser Roald Dahl die Geschichte irgendwo in Norwegen beginnen zu lassen, springt Bagieu gleich rein ins Geschehen mit ein paar Superheldencomics zitierenden, prophetischen Seiten: Häuserschluchten, eine klassische böse, grüngesichtige Hexe, ein junger Mann mit coolem Superheldenmobil, ein hundsköpfiges Monster, das alle anderen winzig klein erscheinen lässt …

Kinder verdienen sehr gute und wahre Geschichten

Ein namenloser, todtrauriger Junge, der nur noch seine Großmutter hat. Als er diese nachts bittet, ihm eine Geschichte zu erzählen, erzählt sie ihm eine wahre Geschichte von den Hexen.
»Eine Geschichte, die schöne Träume macht, wäre mit lieber, aber ok.«
»Na, komm. Bist du nicht zu alt für solche Kindergeschichten?«
»Ich bin acht.«
»Eben! Du bist fast erwachsen. Du solltest die Wahrheit erfahren.«
Die Tonalität des nächtlichen Dialogs illustriert sowohl Bagieus wie Dahls Stil und Haltung. Kinder verdienen sehr gute Geschichten. Sie sind klug und stärker als man denkt, wenn sie jemanden haben, der sie liebt und beschützt. Und sie vertragen Wahrheiten.

Heimliche Heldin mit tuftig lila Haar

Gleichzeitig bringt die französische Comickünstlerin die Oma als zweite Heldin ins Spiel. Sie ist zwar klein und trägt eine tuftige Wolke lila Haar auf dem Kopf. Aber ein Hutzelweiblein ist sie bestimmt nicht. Schlaghose, Fellweste, lange Kette und laute Tanzmusik lassen darauf schließen, dass sie mal ein richtig flottes Beatgirl war.
Sie ist bärbeißig, unkonventionell und raucht Zigarren (die eigentlich wie Zigarillos aussehen).
Nach einem Erstickungsanfall verordnet der Hausarzt ihr ein paar Tage Luftveränderung. Und so quartiert sich Oma mit Enkel und zwei zahmen Mäusen im Casinohotel in einem typisch englischen Seebad ein. Beim Einchecken kommt es schon fast zum Eklat:
»Du hättest sie nicht so anschnauzen sollen … wenn es nun mal Gesetz ist.«
»Ach was, mein Schätzchen! Schluck nicht alles, was man dir sagt! Ein Gesetzt, laut dem man unter 18 Jahren beim Poker nicht um Geld spielen darf?? Ergibt doch keinen Sinn!«

Perfide Tarnung für einen tückischen Mordplan

Dass ihr Enkel nicht mitzocken darf, ist aber schon bald Großmutters geringste Sorge.
Und auch der Hoteldirektor verkennt, dass nicht zwei eingeschmuggelte, pelzige Haustierchen, sondern eine ganz andere Gruppe hofierter Hotelgäste die wahre Gefahr sind.
Perfiderweise konferieren sie, übrigens auch schon in Roald Dahls 1983 veröffentlichten Originalgeschichte, unter dem Deckmantel der Königlichen Gesellschaft zu Verhinderung von Kindesmisshandlungen. Denn in Wirklichkeit haben diese nur als elegante Damen verkleidete Wesen in ihrem unbändigen Hass das genaue Gegenteil im Sinn: Die totale Vernichtung aller Kinder! Und dazu hat ihre Anführerin einen ebenso raffinierten wie grausamen Massenmordplan entwickelt.

Drei neue Spezies von Superhelden

Wie zwei sehr mutige Kinder zusammen mit der gewitzten Großmutter den Spieß umdrehen, die Feinde mit ihren eigenen Waffen schlagen und schließlich die Hexen exen, erzählt Pénélope Bagieu nach Roald Dahls wahrhaft gruseliger Geschichte in schaurig-schönen Bildern. Nebenbei erweitert sie den Superheldenkosmos um drei bislang sträflich vernachlässigte und ungeheuer charmante Spezies: Kinder, Mäuse (manche auch mit betörend blauen Augen) und Großmütter. Und nicht zuletzt zeigt sie in super niedlichen Bildern, dass so ein kindliches Mäuseleben durchaus Vorteile hat.

 Pénélope Bagieu, Roald Dahl: Hexen hexen, Übersetzung: Silv Bannenberg, Reprodukt, 2020, 300 Seiten, ab 8, 24 Euro

Schätze und Vampire

Roald DahlManchmal bescheren einem die Verlagsankündi-gungen unerwartete Reisen in die eigene Kindheit. Ein solch vergnüglicher Rückblick wurde mir jetzt mit dem Hinweis auf das 40-jährige Jubiläum der roro-Rotfuchs-Reihe aus dem Rowohlt Verlag zuteil.

Plötzlich sah ich sie wieder vor mir, die weißen Taschenbücher mit den Fotos auf der Vorderseite und dem dreiteiligen Comic-Strip mit dem Rotfuchs auf der Rückseite. Diese Bücher mit ihren packend realistischen Geschichten waren feste Begleiter meiner frühen Jugendzeit. Sie stillten meinen Lesehunger, und in der rückblickenden Mystifizierung könnte ich jetzt behaupten, die Comic-Strips haben meine Liebe für Graphic Novels geweckt …

Rowohlt hat jetzt im Rahmen ihres Jubiläums zwei meiner Kindheits- und Jugendbegleiter in neuem Kleid herausgebracht. In Die große Roald Dahl Schatzkiste findet man die Perlen des Walisers mit dem fiesen schwarzen Humor. Ich kannte von Ronald Dahl vor allem seine skurrilen Küsschen-Küsschen-Geschichten und habe jetzt mit Wonne die Storys von der leseverrückten Matilda, Willy Wonka, Mr. Fox oder vom schüchternen Herrn Hüpfenstich verschlungen.

Ergänzt werden die fantastischen Geschichten durch Ausschnitte von Dahls autobiografischem Text Boy sowie mit rotzfrechen Rezepten des Autors, die aus der Lektüre ein umfassend sinnliches Erlebnis machen, wenn man sofort in die Küche eilt und Karamellmilch und Theo-Torfkopp-Schokotorte zubereitet.

Diese wunderbare Melange ist so überaus liebevoll wie schräg von dem großartigen Quentin Blake illustriert, dass kleine Zuhörer beim Vorlesen jede Menge zu schauen und zu  entdecken haben. Dieses Buch ist ein wahrer Schatz, nicht nur eine Schatzkiste.

der kleine VampirDas zweite Rotfuchs-Déjà-vu ist Der kleine Vampir von Angela Sommer-Bodenburg. In einer erweiterten Neuausgabe sucht Rüdiger von Schlotterstein neu ummantelt mit blutigen Illustrationen von Amelie Glienke den Jungen Anton heim.

Bei allem Vampir-Hype der vergangenen Jahre ist es richtig erholsam, mal wieder einen klassischen Blutsauger im schwarzen Umhang und mit einer Familiengruft als Zuhause zu erleben. Böse Tanten, Vampir-ärgere-dich-nicht, Blutvergiftung beim Vampir und ewig pubertierende Jung-Vampire ergeben noch immer eine charmante Mischung aus Grusel und Grinsen. Fast wünscht man sich, Anton möge sich gegen die Avancen von Anna, Rüdigers Vampir-Schwester, nicht so sträuben. Doch selbst wenn Rüdiger jetzt schon 33 Jahre durch die Buchregale und Kinderzimmer flattert, hat er nichts an Frische und Biss verloren. Und wer dann doch noch eine „richtige“ Vampirliebesgeschichte braucht, der findet mittlerweile ja schön bissige Romane dieser Art im Buchhandel …

Roald Dahl: Die große Roald Dahl Schatzkiste, Übersetzung: Inge M. Artl/Dorothee Asendorf/Roswitha Fröhlich u.a., Illustrationen: Quentin Blake, Rowohlt, 2011, 349 Seiten, ab 6, 19,99 Euro

Angela Sommer-Bodenburg: Der kleine Vampir, Illustrationen: Amelie Glienke, Rowohlt, 2011, 159 Seiten, ab 6, 10,00 Euro