[Jugendrezension] Wie eine Achterbahnfahrt

wells1Du kannst keinem Trauen und Ihr seid nicht allein heißen die Bücher eines Thriller-Zweiteilers des US-Autors Robison Wells.

Seit seinem fünften Lebensjahr lebte Benson Fisher in 33 verschiedenen Pflegefamilien in Pittsburgh und Umgebung. Immer wieder musste er die Schule wechseln und sich neue Freunde suchen. Mit 18 will er einen Neuanfang starten und bewirbt sich um ein Stipendium für ein Elite-Internat.

Die Maxfield Academy liegt in New Mexico und ist eine ungewöhnliche Schule: Dort gibt es keine Lehrer. Die Schüler leben isoliert von der Außenwelt. Es sind Jugendliche ohne Familie, die anscheinend niemand vermisst. Jeden Morgen bekommen sie per Video-Botschaften die Lehrpläne und sonstige Anweisungen für den Tag. Jobs wie Lehrer und Hausmeister werden von den Schülern ausgeführt. Dafür gibt es Punkte, für die sie sich etwas kaufen können. Das System ist bis ins kleinste ausgeklügelt. Wer gegen die Regeln verstößt, bekommt Arrest. Und von diesem Arrest ist noch keiner zurückgekehrt.

Benson vermutet, dass die Schüler Versuchskaninchen in einem wahnsinnigen Experiment sind. Aber warum? Die meisten Schüler fügen sich und versuchen, das Beste daraus zu machen. Doch Benson will fliehen. Erst als er die anderen Schüler besser kennenlernt und sich in Jane verliebt, probiert er, sich mit seinem Schicksal abzufinden. Dann wird Jane in einem brutalen Kampf schwer verletzt, und Benson macht eine grauenvolle Entdeckung.

wells2Du kannst keinem trauen endet mit einer spektakulären Flucht. In Ihr seid nicht allein geht die Handlung genauso spannend weiter. Das Experiment ist umfassender, als Benson gedacht hat. Es gibt kein Entkommen, und Benson muss an seine äußersten Grenzen gehen …

Die Geschichte ist wie eine Achterbahnfahrt. Die Spannung hält die ganze Zeit über an. Es gibt kaum Szenen, in denen Nebensächliches passiert.
Ich habe beide Bücher geradezu verschlungen, weil ich endlich wissen wollte, wer hinter diesem gruseligen Experiment steckt! Robison Wells schafft es meisterhaft, eine dramatische Atmosphäre hervorzurufen.

Leider hat mich die Auflösung etwas enttäuscht. Sie lässt viele Fragen unbeantwortet. Daraus könnte Robison Wells noch einen dritten Band schreiben, oder einen Roman, der an den Zweiteiler angelehnt ist. Ich würde ihn sofort kaufen! 😉

Juliane (15)

RobisonWells:
Du kannst keinem trauen, 480 Seiten,
Ihr seid nicht allein 400 Seiten,
Übersetzung: Alice Jakubeit, Fischer FJB, 2014, je 14,99 Euro

Teufelstanz

ballettDass Ballett alles andere als romantisch sein kann, ist spätestens seit dem Psycho-Thriller Black Swan, der vor zwei Jahren Tanzanhänger in die Kinos zog, wohl bekannt. Dass es in der Realität fast noch härter in der Szene zugeht, hat in diesem Frühjahr das Säure-Attentat auf den Ballett-Direktor des Moskauer Bolschoi-Theaters, Sergej Filin, bewiesen. Der Roman Dance of Shadows von Yelena Black reiht sich nun in die Düsternis der Tanzszene ein.

Die 15-jährige Vanessa kommt auf die New Yorker Ballettakademie. Sie ist eine begnadete Tänzerin, die neben dem Tanzen jedoch noch einen anderen dringlichen Wunsch hat: Sie will ihre verschwundene Schwester Margaret wiederfinden. Auch sie war auf der berühmten Akademie am Lincoln-Center, ist jedoch drei Jahre zuvor kurz vor der Aufführung des Feuervogels spurlos verschwunden. Niemand weiß, was aus ihr geworden ist, ob sie noch lebt, einfach untergetaucht ist oder doch einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Vanessa hofft, am Ort des Verschwindens etwas über ihre Schwester herauszufinden.

Sie fügt sich rasch in die Klasse der Anfänger ein, freundet sich mit Steffie, Elly, TJ und Blaine an. Der Choreograf Josef und seine unscheinbare Assistentin Hilda drillen die Jugendlichen gnadenlos, gilt es doch einen Teil der Besetzung für die Weihnachtsaufführung von Strawinskys Feuervogel neu festzulegen. Der Oberstufenschüler Zep steht bereits für die Hauptrolle des Iwan fest – und Vanessa verliebt sich quasi stante pede in den gut aussehenden und talentierten Tänzer. Zep umschmeichelt das Mädchen, bleibt aber trotzdem distanziert und geheimnisvoll. Vanessa tanzt, sie tanzt besser als ihre Kameraden und wird für die Hauptrolle im Feuervogel besetzt – wie Margaret.
Gleichzeitig macht sich Justin, die Zweitbesetzung des Iwan, an Vanessa heran. Er versucht, sie vor seltsamen Vorgängen in der Akademie und der Hauptrolle zu warnen. Zuerst denkt sich Vanessa nichts dabei, bis eines Tages Elly nach einer misslungenen Probe und einer Strafpredigt von Josef verschwindet. Sie hat keine Nachricht hinterlassen, auf dem Handy ist sie nicht zu erreichen. Vanessa und ihre Freunde fangen an, Nachforschungen anzustellen. Sie durchsuchen die Akten in Josefs Arbeitszimmer und stellen fest, dass in den vergangenen Jahren noch mehr Mädchen verschwunden sind – alle waren für den Feuervogel besetzt.
Die Zustände in der Akademie werden immer mysteriöser. In einem Probenraum sind weiße Umrisse an einer rußgeschwärzten Wand zu sehen. Und als Vanessa, die immer perfekter ihre Rolle als Feuervogel beherrscht, dort tanzt, erwachen die Figuren zum Leben und bedrängen sie. Vanessa ist mit den Nerven am Ende, da sie nicht weiß, ob sie langsam den Verstand verliert oder sie wirklich diese Figuren wieder zum Leben erweckt hat, die sich als die verschwundenen Mädchen herausstellen.
Nach und nach decken Vanessa, Steffi und TJ auf, dass Josef Böses im Sinn hat und für das Verschwinden der Mädchen verantwortlich ist.

Den Ausgang dieser Geschichte werde ich hier nicht spoilern, denn die Stärke dieses Buches ist, dass man es vor lauter Spannung, Grusel und Thrill nicht mehr aus den Fingern legt. Lange Zeit weiß man nicht, ob es sich um einen realistischen Thriller handelt oder doch um Mystery. Yelena Black verpasst dem Ballett eine dunkle, gefährliche Seite. Perfekt getanzte Schritte können bei ihr Mächtiges bewirken. Was das im Endeffekt ist, muss jeder Leser selbst herausfinden.
Auf jeden Fall ist Dance of Shadows überaus gelungene Unterhaltung und Kurzweil, leicht und flockig übersetzt von Edigna Hackelsberger und Larissa Rabe. New York ist eine großartig-flirrende Kulisse. Die Parallelen zur Geschichte von Strawinskys Feuervogel sind unübersehbar. Zwischen Vanessa, Zep und Justin entwickelt sich eine knisternde erotische Spannung. Die genaue Beschreibung der Tanzrituale (Schläppchen kneten, Satinbänder knoten) und der Tanzszenen lässt jede Ballettanhängerin schwelgen. Und das Ende lässt am Horizont bereits die Fortsetzung aufblitzen. Das kitschige Cover, das mich fast vom Lesen abgehalten hätte, ist dann längst vergessen.

Yelena Black: Dance of Shadows. Tanz der Dämonen, Übersetzung: Edigna Hackelsberger und Larissa Rabe, bloomoon, 2013, 384 Seiten, ab 14, 17,99 Euro

Kampf um Selbstbestimmung

meto das hausIn den vergangenen Monaten sind zahlreiche dystopische Romane auf meinen Schreibtisch gelandet. Manche habe ich gelesen, manche nach den ersten Seiten wieder zur Seite gelegt. Méto, der Auftaktband von Yves Grevets Trilogie, wanderte ziemlich lange von einer Ecke in die andere. Bis ich jetzt endlich anfing – und nicht mehr aufhören konnte.

Dabei ist die Geschichte eigentlich etwas sonderbar, geheimnisvoll und erstaunlich sperrig. Der 14-jährige Méto erzählt von seinen Erlebnissen im „Haus“. Wie er dorthin gekommen ist und was er vorher gemacht hat, weiß er nicht. Jetzt lebt er mit 63 anderen Jungen in eine Art Internat mit verschärften Regeln. Die Kinder sind nach Alter in Gruppen unterteilt, dürfen keine neugierigen Fragen stellen, müssen Sport treiben und nur eine gewisse Anzahl an Bissen pro Mahlzeit zu sich nehmen. Halten sie sich nicht an die Regeln der Cäsaren, ihrer Aufseher, drohen heftige Strafen: der Ohrfeigenkreis, Essensentzug und die Kühlkammer. Zudem werden die Jungen mit wachstumshemmenden Spritzen behandelt und mit Schlafmitteln ruhiggestellt. Kein Ort, an dem man gern ist oder der auf eine lustige Internatsgeschichte schließen lässt.

Im Laufe der Zeit stellt Méto sich immer mehr Fragen. Denn sobald ein Kind zu groß für das eigene Bett wird, muss es das Haus verlassen – und niemand weiß, was dann aus ihm wird. Der Ich-Erzähler fängt an zu forschen, sucht den Sinn hinter den harten Regeln und sehnt sich nach Freiheit und Selbstbestimmung. Er findet Verbündete, muss sich aber auch vor Verrätern und Monster-Soldaten hüten. Nach und nach organisiert er die Revolution und sieht sich plötzlich neuen Herausforderungen und Gefahren ausgesetzt.

Irritierend an diesem Roman sind verschiedene Aspekte. Der Handlungsort, also das Haus, ist irgendwie nicht fassbar. Die Zeit, irgendwann in der Zukunft, ebenfalls nicht. Grevet beschreibt kaum, weder Räumlichkeiten, noch Figuren und schon gar nicht die Gefühle der Jungen. Seine Sprache ist nüchtern und staubtrocken. Adjektive und geschmeidige Übergänge scheint er nicht zu kennen. Die Jungen, die allesamt altrömische Namen tragen, wirken unnahbar. Man bleibt als Leser fast ein wenig allein in diesem beklemmend düsteren Szenario und weiß zunächst nicht, mit wem man sich möglicherweise identifizieren soll. Und dennoch entwickelt die Geschichte einen Sog. Denn die vielen offenen Fragen und Geheimnisse um das Haus und die Gesellschaft, in der die Jungen leben, befeuern Fantasie und Neugierde des Lesers.

In dem Moment, wo die Revolution gelingt und die Jungen sich einen neuen Tagesablauf und einen neuen Umgang mit den zuvor versklavten Dienern überlegen müssen, kommt eine neue politische Note dazu. Méto und seine Mitstreiter stehen vor der Frage, ob man eine faschistoide Gesellschaft mit einem Schlag in eine freiheitlich-demokratische verwandeln kann. Dass das nicht so einfach ist, merken die Aufständischen, als sie beinahe die Bestrafungen ihrer eigenen Peiniger übernehmen. Hier liegt meines Erachtens das Bedeutsame der Geschichte, die jugendliche Leser zum Nachdenken und Diskutieren bringen wird.

Wie sich die Revolution und Métos Rolle darin weiterentwickelt, bleibt derweil offen. Denn im wohl spannendsten Moment der Geschichte, endet der erste Teil. Die Fortsetzung erscheint im kommenden Oktober. Bis dahin ist Geduld und ein langer Atem gefragt.

Yves Grevet: Méto – Das Haus, Übersetzung: Stephanie Singh, dtv/Reihe Hanser, 2012, 217 Seiten, ab 14, 14,95 Euro