Die Blutprinzessin und die Vogelpracht

cneutHerbst gleich Erntezeit. Irgendwie ist es auch in der Buchbranche so. Jedenfalls bei mir … ist doch grad ganz frisch eine meiner Übersetzungen eingetroffen, die ich in diesem Frühjahr angefertigt habe: Das Märchen Der goldene Käfig von Anna Castagnoli, prächtig illustriert vom Flamen Carll Cneut.

Erzählt wird die Geschichte der verwöhnten und widerspenstigen Prinzessin Valentina und ihrem Tick, Vögel zu sammeln. Wie in Märchen üblich geht es nicht zimperlich zur Sache, denn sobald das gute Kind nicht das bekommt, was es möchte, rollen Köpfe. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Die Interpretation dieser Vorgänge überlasse ich anderen Lesern, meine Vermutung, dass die Autorin sich unter anderem auch von Lewis Carrolls Alice im Wunderland hat inspirieren lassen, habe ich hier schon mal geäußert.

Was ich jetzt aber viel besser einschätzen kann, sind die Illustrationen, besser gesagt, die Gemälde von Carll Cneut. Für die Übersetzung hatte ich vor Monaten nur ein kümmerliches PDF auf dem Bildschirm und war mit dem Kopf eh viel mehr bei den einzelnen Worten und Begriffen als bei den Bildern. Doch nun, im fertigen Zustand, überwältigt mich die Vogelpracht, die Cneut hier geschaffen hat. Jeder Vogel ist eine Persönlichkeit. Jede Seite bietet Schauriges und Schönes. Mal meint man in einem japanischen Holzschnitt gelandet zu sein, dann wieder in der Sesamstraße. Groben Pinselstrich kombiniert er mit feinst ausgearbeiteten Federn, die die Tiere plastisch hervortreten lassen. Valentinas Hutschmuck ist so vielfältig wie ihre Vögel. Den Dienern ist die Überforderung und der Schrecken im Gesicht abzulesen. Die zarten Gewächse des Gartens verwandeln alles in einen Urwald, man hört das Gekreische der Papageien.
Und wenn man dann die Bilder immer wieder betrachtet, so wandelt sich das Gefühl, das man gegenüber der verzogenen, grausamen Blutprinzessin am Anfang hegt, in Mitleid. Denn das arme reiche Kind ist ziemlich einsam …

Ich kann mir zwar kaum vorstellen, dass Vierjährige mit dieser Geschichte viel anfangen können. Aber dafür ist nach oben hin keine Grenze für die Altersempfehlung gesetzt, denn über Valentinas Verhalten und das Ende der Geschichte kann man lange nachdenken und vorzüglich diskutieren.

Für mich ist es heute erneut ein hinreißendes Erlebnis, dass sich die Sätze aus meinem schlichten Word-Dokument nun in einem so wunderschönen Kleid wiederfinden.

Anna Castagnoli/Carll Cneut: Der goldene KäfigÜbersetzung: Ulrike Schimming, Bohem Press, 2015, 48 Seiten,  ab 4, 28,95 Euro

Iiiiiiehhh … ähhh … wie cool!

ekligOkay, reden wir Tacheles: Das Leben steckt voll richtig ekliger Dinge wie Körperausscheidungen aller Art, Kriech- und Krabbeltieren, Nagern, Abfall und Abgasen … und gleichzeitig sind diese auch überaus faszinierend, so dass man sich mit einem wohligen Schauer immer wieder mit ihnen befasst.
In dem Sachbuch Voll eklig! von Bärbel Oftring kann man nach Lust und Laune den ekligsten Substanzen und Getieren auf den Grund gehen. Wie entstehen Pickel? Warum mögen wir weder Zecken noch Kakerlaken? Warum ekeln wir uns vor Kot, Kotze, Blut, Urin, Ohrenschmalz und Popeln? Wie wurde in früheren Zeiten gekackt, als es noch keine Wasserklosetts gab? Antworten liefert Oftring in kurzen, aber sehr aufschlussreichen Texten, so dass der Ekelfaktor nicht überstrapaziert wird. Quizfragen und Forscheraufgaben reizen dann das eigene Wissen heraus oder machen dem Leser bewusst, wie er mit einem dieser Ekelthemen umgeht.

Ekel ist kein angeborener Instinkt, sondern von Eltern, Familie und der Gesellschaft, in der wir leben, anerzogen. Dabei hat die Gefühlsmischung aus Abneigung und Widerwillen durchaus einen Sinn, schützt sie uns doch vor Gefahren und Krankheiten. Allerdings können wir bei gewissen ekligen Dingen den Ekel auch wieder verlernen, zum Beispiel mit Hilfe von Oftrings „Nicht-mehr-ekeln-Tipps“.

Das Schöne an Bärbel Oftrings Buch ist, dass es ohne Tabus daherkommt, die Dinge klar beim Namen nennt, um die im normalen Leben meist verschämt herumgeredet wird. Die Fotos und Illus entsprechen dieser Offenheit, so dass man sich zwar manchmal überwinden muss, gleichzeitig aber auch seinem Voyeurismus ungehemmt freien Lauf lassen kann. Durch die vielen Mitmachelemente – man kann ankreuzen, ausfüllen, rätseln, am Ende eine persönliche Ekel-Hitparade aufstellen – führt sie fast nebenbei das wissenschaftliche Prinzip des Hinterfragens und genau Ansehens ein. Den Kindern macht sie so klar, dass das Ekeln durchaus okay ist, aber dass man auch unangenehme Dinge hinterfragen kann und sollte. Dass die Kids – und die erwachsenen Leser ebenso – ganz nebenbei dazu noch eine Menge über Hygiene, andere Kulturen, Geschichte, Biologie und das menschliche Leben lernen, ist da fast nebensächlich. Und nach der Lektüre kann es durchaus passieren, dass manches auf einmal gar nicht mehr so eklig ist …

Bärbel Oftring: Voll eklig! 55 eklige Dinge und was dahinter steckt, Haupt, 2014, 129 Seiten, ab 8, 19,90 Euro

[Jugendrezension] Gewagte Klettertour

strobelFür zehn Jugendliche – im Roman Abgründig von Arno Strobel – verläuft ihr Aufenthalt im Bergcamp Grainau anders als gedacht. Das Bergcamp Grainau ist nicht weit von der Zugspitze entfernt. 60 Jugendliche nimmt es jedes Jahr im Mai auf, die dort das Klettern lernen wollen. Das Alter der Jugendlichen variiert. Die Hälfte der Kinder sind über 14, die anderen darunter.

Ralf, ein 17-jähriger Junge aus München, war schon oft mit seinen Eltern klettern. Als er die kleinen Kletterwände sieht, an denen geklettert wird, will er etwas Spannenderes erleben: Eine Bergtour zur Zugspitze und wieder zurück, ohne Betreuer. Er kann noch neun andere Jugendliche, die alle totale Anfänger im Klettern sind, überzeugen, auf seine Tour mitzukommen. So schleichen sie sich am nächsten Morgen früh aus dem Camp und machen sich auf den Weg zur Zugspitze. Doch sie haben kein Glück, und der Weg läuft anders als gedacht ab. Ein schweres Unwetter zieht auf, und sie müssen in einer kleinen Hütte Unterschlupf suchen. Die Jugendlichen können keine Hilfe holen und müssen warten, bis das Unwetter vorbei ist.
Am folgenden Tag ist einer von ihnen verschwunden, und keiner weiß, was passiert ist. Außer Blutflecken gibt es keine Hinweise, was geschehen ist.

Ich finde Abgründig wirklich gut. Arno Strobel schreibt so lebendig, dass ich dieses Buch förmlich verschlungen und an einem Tag durchgelesen habe. Schade, dass das Buch nur 240 Seiten hat. Vielleicht ist dadurch das Ende sehr kurz geraten. Das hätte ich mir persönlich etwas anders gewünscht. Trotzdem ist das Buch wirklich klasse und sehr spannend. Deshalb kann ich es auf jeden Fall weiterempfehlen.

Laura (14)

Arno Strobel: AbgründigLoewe Verlag, 2014, 240 Seiten, ab 14, 9,95 Euro

Körperwissen

körperWenn ich nicht gerade Kinder- und Jugendbücher lese, darüber blogge oder selber welche aus dem Italienischen ins Deutsche übersetze, arbeite ich bei einer Gesundheitszeitschrift. Für die rezensiere ich unter anderem neue Ratgeber und Sachbücher. Bücher für Kinder passen da leider nicht rein – dabei gibt es auch für junge Leser ganz wunderbare Sachbücher, die sich mit dem menschlichen Körper beschäftigen.

Gerade ist das Buch Körper von Andrea Schwendemann in der Reihe „Wieso? Weshalb? Warum? Profiwissen“ erschienen, und das zeigt auf sehr kurzweilige und schlaue Art, was so alles in uns steckt. Da erfährt man Interessantes über Knochen, Muskeln, Gehirn, Blut und unsere Sinne. Aber auch, warum wir Sauerstoff und Nahrung brauchen. Oder was beim Verliebtsein im Körper passiert. Die körperlichen Unterschiede von Mädchen und Jungen werden genauso erklärt, wie Pubertät, Sex, Verhütung und Schwangerschaft.
Die kurzen, gut verständlichen Texte sind angereichert mit so genanntem Spezial-Wissen, Rezepten für Honig-Ei-Shampoo und Anti-Pickel-Paste oder auch amüsanten Quizfragen. Zudem gibt es kurze Interviews mit einem Sportmediziner, einer Schlafforscherin und dem Leichtathleten Heinrich Popow, der bei den Paralympics 2012 eine Goldmedaille im 100-Meter-Lauf holte. Gerade dieses Interview auf der letzten Seite finde ich besonders schön, da es den Kindern zeigt, dass man nicht körperlich vollkommen sein muss, um großartige Dinge zu machen. Popow macht betroffenen Kindern also jede Menge Mut.

Andrea Schwendemanns Körper-Buch lebt aber darüber hinaus von den vielen Bilder und Illustrationen von Rolf Bunse und Billa Spiegelhauer. Sie liefern einen klaren Eindruck in unser Innenleben und das Funktionieren der Organe, Gelenke, Zellen. Es gibt also jede Menge zu schauen und zu entdecken, langweilig wird hier mit Sicherheit niemandem. Und vielleicht hat nach dem vielen Blättern und Lesen der eine oder die andere ein wenig mehr Respekt vor dem eigenen Körper und geht liebevoller mit ihm um. Oder vielleicht wird die eine oder der andere angestachelt, später mal Medizin, Biologie oder Sport zu studieren. Lauter schöne Aussichten, die dieses Buch vermittelt.

Andrea Schwendemann: Körper, Illustration: Rolf Bunse und Billa Spiegelhauer,    Wieso? Weshalb? Warum? Profiwissen, Bd. 5, Ravensburger Buchverlag 2014, 56 Seiten,  ab 8, 14,99 Euro