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Von der Pest und vom Leben

pestWie erträgt man ein Buch, in dem fast auf jeder Seite gestorben wird? Diese Frage schoss mir während der Lektüre von Sally Nicholls‘ Keiner kommt davon durch den Kopf. Gleich vorne weg: Man erträgt es – und das bis auf ein paar herzzerreißende Szenen ganz gut. Denn Nicholls bietet mehr als den Horror einer Pest-Epidemie.

Die 14-jährige Isabel lebt im Jahr 1348 in England auf dem Land. Zusammen mit dem Vater, seiner zweiten Frau Alice und den Geschwistern Ned, Maggie und Baby Edward genießt sie das Dorfleben. Die beiden größeren Brüder sind aus dem Haus. Richard hat eine eigene Familie, Geoffrey ist Mönch geworden. Allerdings sind Isabel und ihre Familie Leibeigene des Adligen Sir Edward, und manchmal ist es wirklich anstrengend neben dem eigenen Feld, auch noch die Felder des Herren zu bestellen. Zum Glück gibt es Abwechslung auf dem Johannisfest – und es gibt Robin, in den Isabel verliebt ist.
Doch in diesem Jahr breitet sich das Übel aus: die Pest ist aus Frankreich nach England gekommen und rückt unaufhaltsam vor. Im Dorf hört man von den ersten Toten in der Stadt, dann in der Nähe. Menschen fliehen aus den Städten, ziehen durch das Dorf. Und bringen neben der Pest auch die Angst mit. Mit wachsendem Entsetzen beobachtet Isabel, wie immer mehr Menschen in ihrer Umgebung sterben. Ständig bimmelt die Totenglocken. Noch glaubt sie, dass Thymian und Rosmarin und der Heilige Beda sie vor dem Schwarzen Tod bewahren könnte. Doch ihre Sicherheit schwindet von Tag zu Tag. Als auch Robins Mutter stirbt, nimmt Alice den Jungen kurzerhand bei sich auf. Das Sterben zieht sich bis zum letzten Kapitel durch das Buch – und das ist manchmal wahrlich keine leichte Kost. Zumal man als aufgeklärter Mensch der Gegenwart eine Ahnung von Ansteckung und Ausbreitung von Krankheit hat. Man leidet mit und nimmt beständig das Schlimmste an, weil die Menschen in der Geschichte einfach nicht wissen, wie sie sich schützen können.

Denn vor allem eins hat Sally Nicholls ganz hervorragend dargestellt: das Leben und Sterben im Mittelalter. Man hauste mit dem Vieh unter einem Dach, sanitäre Anlagen und hygienisches Verhalten gab es auf dem Land kaum. Ratten waren allgegenwärtig. Vor 700 Jahren waren die Erreger der Pest noch unbekannt, man wusste nichts von Bakterien, sondern vermutete den Ursprung des Übels im Miasma, im Pesthauch, im Blick der Kranken. Ansteckung, Tröpfcheninfektion, Übertragungswege waren unbekannt, von Medikamenten wie Antibiotika, die wir heute mit schon fast zu großer Selbstverständlichkeit einnehmen, ganz zu schweigen. Hatte man sich infiziert, war das zumeist das Todesurteil, außer man entwickelte Abwehrkräfte.
Rettung erhofften sich die Menschen im Mittelalter von der Kirche oder sie flüchteten sich in den Aberglauben.

All dies schildert Nicholls aus Isabels Perspektive auf eine sehr mitreißende Art, so dass man trotz des Dauersterbens das Buch nicht mehr weglegt. Für Leser, die einen Faible für das Mittelalter haben, ist diese Geschichte eine gelungene Bereicherung. Denn Nicholls zeichnet kein geschöntes, romantisches Bild des Mittelalters, so wie es auf all den Mittelalterfesten im Land anzutreffen ist, sondern nähert sich – soweit das von heute aus möglich ist – der historischen Wahrheit sehr genau an. Das auch durch die sehr treffende Übersetzung von Beate Schäfer. Ein Glossar erläutert zudem die wichtigsten Begriffe aus der vergangenen Zeit.

Keiner kommt davon ist nicht nur eine sehr anschauliche Pest-Darstellung, sondern verweist darüber hinaus in unsere Gegenwart zurück, indem Sally Nicholls den Lesern plastisch vor Augen führt, wie gut es uns heutzutage geht, da die Medizin für eine Vielzahl von Krankheiten Arzneimittel und Behandlungsmöglichkeiten gefunden hat. Daran sollte man sich vielleicht beim nächsten Mittelalterfest erinnern, wenn man sich zur puren Unterhaltung in dieses Zeitalter flüchtet.

Sally Nicholls: Keiner kommt davon – eine Geschichte vom Überleben,  Übersetzung: Beate Schäfer,  Hanser, 2014, 288 Seiten,  ab 12, 14,90 Euro

Körperwissen

körperWenn ich nicht gerade Kinder- und Jugendbücher lese, darüber blogge oder selber welche aus dem Italienischen ins Deutsche übersetze, arbeite ich bei einer Gesundheitszeitschrift. Für die rezensiere ich unter anderem neue Ratgeber und Sachbücher. Bücher für Kinder passen da leider nicht rein – dabei gibt es auch für junge Leser ganz wunderbare Sachbücher, die sich mit dem menschlichen Körper beschäftigen.

Gerade ist das Buch Körper von Andrea Schwendemann in der Reihe „Wieso? Weshalb? Warum? Profiwissen“ erschienen, und das zeigt auf sehr kurzweilige und schlaue Art, was so alles in uns steckt. Da erfährt man Interessantes über Knochen, Muskeln, Gehirn, Blut und unsere Sinne. Aber auch, warum wir Sauerstoff und Nahrung brauchen. Oder was beim Verliebtsein im Körper passiert. Die körperlichen Unterschiede von Mädchen und Jungen werden genauso erklärt, wie Pubertät, Sex, Verhütung und Schwangerschaft.
Die kurzen, gut verständlichen Texte sind angereichert mit so genanntem Spezial-Wissen, Rezepten für Honig-Ei-Shampoo und Anti-Pickel-Paste oder auch amüsanten Quizfragen. Zudem gibt es kurze Interviews mit einem Sportmediziner, einer Schlafforscherin und dem Leichtathleten Heinrich Popow, der bei den Paralympics 2012 eine Goldmedaille im 100-Meter-Lauf holte. Gerade dieses Interview auf der letzten Seite finde ich besonders schön, da es den Kindern zeigt, dass man nicht körperlich vollkommen sein muss, um großartige Dinge zu machen. Popow macht betroffenen Kindern also jede Menge Mut.

Andrea Schwendemanns Körper-Buch lebt aber darüber hinaus von den vielen Bilder und Illustrationen von Rolf Bunse und Billa Spiegelhauer. Sie liefern einen klaren Eindruck in unser Innenleben und das Funktionieren der Organe, Gelenke, Zellen. Es gibt also jede Menge zu schauen und zu entdecken, langweilig wird hier mit Sicherheit niemandem. Und vielleicht hat nach dem vielen Blättern und Lesen der eine oder die andere ein wenig mehr Respekt vor dem eigenen Körper und geht liebevoller mit ihm um. Oder vielleicht wird die eine oder der andere angestachelt, später mal Medizin, Biologie oder Sport zu studieren. Lauter schöne Aussichten, die dieses Buch vermittelt.

Andrea Schwendemann: Körper, Illustration: Rolf Bunse und Billa Spiegelhauer,    Wieso? Weshalb? Warum? Profiwissen, Bd. 5, Ravensburger Buchverlag 2014, 56 Seiten,  ab 8, 14,99 Euro