Riesig munkelig

munkel troggIn Südtirol, unterhalb der Geißler-Spitzen, verläuft der Adolf-Munkel-Weg, eine wunderschöne Wanderstrecke zwischen Felsen und über Wurzelwerk hinweg. Die schmalen, federnden Waldwege, die grünen Almen, die beeindruckenden Bergspitzen erobern jedes Wandererherz auf der Stelle. „Munkelig“ nennen meine Wanderfreundin und ich seit dem entzückliche, ans Herz gehende Wege  – und ab jetzt kann dieses Adjektiv auch auf Geschichten angewandt werden.

Denn Munkel Trogg ist im besten Sinne munkelig. Munkel ist zwar ein Riese, aber leider viel zu klein geraden. Doch er will hoch hinaus, hat ein großes Herz, ist nicht auf den Kopf gefallen, weiß mit Drachen umzugehen und rettet irgendwann den Rumpelberg vor den Kleinlingen, also den Menschen.
Bevor es jedoch soweit kommt, muss Munkel sich den Respekt sowohl der eigenen Familie als auch den der Gesellschaft der Riesen erkämpfen. Zuerst fängt er einen flüchtigen Drachen wieder ein und entdeckt dabei, dass die Tiere fliegen können. Munkel gelingt es sogar, auf dem Drachen Snarg zu reiten. Der kleinste Riese der Welt gelangt in die Welt der Kleinlinge und lernt die hübsche Emily kennen.
Doch all das Wissen, das Munkel anhäuft, hilft ihm leider nicht beim Gigantur, denn seine Lehrer wissen nicht das, was er weiß. So hat der Weise Mann Biblos noch nie einen richtigen Kleinling gesehen. Allerdings hat er die Kleidung von einem Kleinling und ein geheimnisvolles Zauberbuch aufgehoben. Munkel passen Hemd und Hose ausgezeichnet, so dass er als echter Kleinling durchgehen könnte. Mit seinem Pa Trogg soll er nun bei den königlichen Geburtstagsfeierlichkeiten den Kampf der Riesen gegen die Kleinlinge nachspielen. Aber statt des ersehnten Ruhmes stiehlt ihm sein riesiger kleiner Bruder Rabauz die Show, als er mit der gekidnappten Emily auftaucht.
Jetzt läuft Munkel zu Hochform auf: Er rettet Emily vor der rabiaten Königstochter Rotzmops und vertreibt zusammen mit Snarg die Kleinlinge vom Rumpelberg. So bleiben die Riesen vor den Kleinlingen geschützt und können weiter unbehelligt im Berg leben. Munkel jedoch steigt zum Weisen Mann der Riesen auf.

Diese rotzfreche Entwicklungsgeschichte eines Außenseiters besticht zum einen natürlich durch die Durchsetzungskraft und die Vehemenz mit der sich der Kleine gegen die Großen zur Wehr setzt und sich nicht von seinen Erkenntnissen (Drachen können fliegen!) abbringen lässt. Damit wird er unweigerlich zum Vorbild aller kommenden Querdenker, die dann hoffentlich unsere geschundene Erde vor dem Klimakollaps und sonstigen zukünftigen Unbill retten werden.
Für die kleinen Leser der Jetzt-Zeit liegt der Reiz von Munkel Trogg jedoch vor allem in den Ekelzuständen der Riesenfamilie: Die Riesen haben graue Haut voller Warzen, gegessen werden Pilzschleim und Spinnwebzuckerwatte, Hässliches ist schön, Schönes ist hässlich. Das ist spätestens seit den Olchis zwar kein neues Konzept, aber hier ist es so charmant und kurzweilig umgesetzt, dass man sich über jede Seite in diesem Buch amüsiert und freut, Munkel sofort ins Herz schließt und auf die Fortsetzung gespannt ist. Ein großartiger munkeliger Ekelspaß!

Janet Foxley: Munkel Trogg – Der kleinste Riese der Welt, Übersetzung: Sigrid Ruschmeier, Illustration: Steve Wells,  (Band 1), Fischer KJB, 2013, 272 Seiten, ab 8, 12,99 Euro

London calling…

ashton place 2Fortsetzung sind ja manchmal so eine Sache. Die Erwartungen sind hoch, die Fallhöhe auch. Umso schöner, wenn sich auch in einem zweiten Teil das gleiche Gefühl und die gleiche Wonne wie beim Vorgänger einstellt. So geschehen gerade bei Maryrose Woods Fortsetzung von Das Geheimnis von Ashton Place.

In Teil zwei, Die Jagd ist eröffnet, reist Penelope Lumley, Gouvernante und Swanburne-Mädchen aus vollem Herzen, mit den drei Unerziehbaren Alexander, Beowulf und Cassiopeia, nach London. Dort will Penelope ihre ehemalige Erzieherin Miss Mortimer treffen. Diese hat der 15-Jährigen einen Hixby-London-Reiseführer geschickt, der sich mit seinen Berg- und Naturbildern als überaus merkwürdig und wenig hilfreich erweist. So irrt Penelope nach der Ankunft in der Großstadt durch die schmutzigen Gassen und findet den Weg in die vornehme Muffinshire Lane nicht, wo ihre Arbeitgeber Lady Constance und Lord Frederick eine hochherrschaftliche Villa angemietet haben.

Hilfe bietet ihr schließlich der junge Theaterschriftsteller Simon Harley-Dickinson, der sich im Laufe von Penelopes London-Aufenthalt zu einem unverzichtbaren Freund entwickelt. Zuvor jedoch haben die drei Kinder eine unheimliche Begegnung mit einer alten Wahrsagerin, die beim Schicksal der Unerziehbaren erschreckt ihre Sachen zusammenpackt und das Weite sucht, nachdem sie geheimnisvoll prophezeit hat: „Die Jagd ist eröffnet.“

Penelope jedenfalls ist fest entschlossen, ihren Schützlingen die Sehenswürdigkeiten und kulturellen Höhepunkte der britischen Hauptstadt näherzubringen: Buckingham Palace, die Parks, das British Museum, in dem ihr der Hixby die Abteilung 17 „Übermäßiger Symbolismus in historischen Porträts von untergeordneter Bedeutung“ ausdrücklich ans Herz legt, sowie eine Theaterveranstaltung im Westend. Zudem trifft sie sich mit Miss Mortimer im angesagtesten Hotelrestaurant der Stadt. Und die alte Erzieherin warnt Penelope, ohne genau zu sagen, vor was eigentlich. So entwickelt sich der London-Trip zu einem mysteriösen Abenteuer, bei dem die junge Gouvernante langsam erahnt, dass  hinter der Herkunft der Kinder, aber auch ihrer eigenen, etwas Größeres stecken muss.

Alexander, Beowulf und Cassiopeia, die mittlerweile annähernd gutes Benehmen erlernt haben, fallen hin und wieder in ihre alten Jagdgewohnheiten zurück. Sie belagern die Bärenmütze von einer der Palastwachen, helfen im Zoo bei der Elefantenpflege, jagen in der Theateraufführung einen Papagei und sabotieren das ganze Spektakel. Im British Museum allerdings stellt Beowulf überaus fachmännisch fest, dass eines der Bilder auch auf dem Dachboden von Ashton Place zu finden ist.

Und also ob das nicht schon genug Aufregung wäre, erleben auch die Herrschaften von Penelope durchaus Schreckliches: Lady Constance, die sich auf all die gesellschaftlichen Empfänge und Einladungen gefreut hat, katapultiert sich ins Society-Abseits, als sie unangemessen verkleidet zur Prämiere des Theaterstücke „Piraten auf Urlaub“ erscheint.   Für die Klatschpresse ein gefundenes Fressen, für Lady Constance der Absturz.
Ihr Gatte Lord Frederick hingegen entpuppt sich als ein Mensch, der ohne seinen Almanach, in dem die Mondphasen verzeichnet sind, nicht leben kann. Als dieses wichtige Büchlein verschwindet und gerade einmal wieder Vollmond ist, gebärdet sich der Lord höchst merkwürdig, heult, bellt und kratzt sich an Türrahmen, als würde ein Wolf in ihm stecken.

Die Jagd ist eröffnet ist ein kurzweiliges, extrem unterhaltsames Abenteuer in einer großen Stadt, mit einer überaus liebenswerten Penelope, die sogar überlegt, mit ihrer launischen Herrin Freundschaft zu schließen. Kulturelles vermischt sich mit Kulturkritik, die zwar den erwachsenen Lesern eher offensichtlich sein wird als den jungen. London-Kenner haben Wiedererkennungsmomente, London-Neulinge bekommen erste Hinweise auf die Sehenswürdigkeiten. Neben den vielen Irrungen und Aufregungen sind jedoch die Anspielungen auf Herkunft und verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Penelope, den Kindern und Lord Frederick viel wichtiger. Und gerade all diese Andeutungen machen mich schon ganz kribbelig, wie dieses Geheimnis von Ashton Place wohl ausgehen mag. Bleibt nur zu hoffen, dass Band 3 nicht allzu lange auf sich warten lässt.

Maryrose Wood: Das Geheimnis von Ashton Place – Die Jagd ist eröffnet, Übersetzung: Eva Plorin, Thienemann Verlag, 2012, 336 Seiten,  ab 11,  12,95 Euro

 

Auf den Hund gekommen

fünf Hunde im Gepäck Eva Ibbotson

Eigentlich ist Henry zu beneiden: Seine Eltern sind reich, er lebt in einem großen Haus und bekommt alles, was er nur will. Und dennoch. Henry ist zutiefst unglücklich. Denn in diesem großen Haus mit all dem Spielzeug gibt es überhaupt nichts Lebendiges. Und so wünscht er sich zu seinem zehnten Geburtstag nichts sehnlichster als einen Hund. Sehr zum Leidwesen seiner Mutter, die Flecken und Hundehaare fürchtet und den Gestank eines solchen Tieres nicht verkraften kann.

Als ein als Hund verkleideter Entertainer Henry an seinem Geburtstag aufheitern soll, ist es mit der Geduld des Jungen vorbei. Er wirft den Menschen raus und verweigert fortan das Essen. Henrys Vater, der ständig auf Geschäftsreise ist, leiht für Henry einen Hund aus – in der Annahme, dass der Junge nach dem Wochenende das neue „Spielzeug“ wieder satt habe. Doch da irrt er sich gewaltig. Henry, der sich bei „Rent-a-Dog“ einen Vierbeiner aussuchen darf (ohne zu wissen, dass es nur für zwei Tage ist), verliebt sich auf den ersten Blick in Fleck, eine schnuckelige und aufgeweckte Promenadenmischung. Als Henry nach dem Wochenende merkt, dass die Mutter Fleck heimlich weggebracht hat, fasst er einen Entschluss: Er muss Fleck befreien. Denn ohne ihn will er nirgendwo mehr hingehen.

Bei Rent-a-Dog hilft derweil Pippa für ihre kranke Schwester aus. Sie kann nicht verstehen, dass Hunde hier nur auf Zeit gemietet werden. Ihr tun die Tiere extrem Leid – und als Henry plötzlich in der Tür steht und sich Fleck schnappt, ist die Wut des Mädchens so groß, dass sie die Türen von Raum A auflässt, in dem fünf weitere Hunde untergebracht sind. Die wiederum, ein Bernhardiner, ein Collie, eine Pudeldame, ein Pekinese und ein Nackthund, haben Fleck ebenfalls ins Herz geschlossen, und rennen ihm hinterher. Nur der Nackthund bleibt zurück, weil der ohne seine Wärmflasche nirgendwohin geht.

Henry, der plötzlich fünf Hunde am Hals hat, ist von der Situation völlig überfordert. Zum Glück steht ihm Pippa bei und gemeinsam machen sich die Kinder mit den Tieren nach Nordengland auf. Dort wohnen Henrys Großeltern, die ihn mit Fleck ganz sicher aufnehmen werden. Doch auf dem Weg dahin müssen die Kinder und die Vierbeiner sich vor Privatdetektiven (die Henrys Vater losgeschickt hat), geldgierigen Verbrechern (die es auf die Belohnung von Henrys Vater abgesehen haben) und bissigen Kampfhunden in Sicherheit bringen.

Gleichzeitig findet auf dem Weg jeder der Hunde ein neues Zuhause, das seinem Naturell perfekt entspricht. Und Henry überzeugt seine Eltern schließlich, dass er nicht noch mehr totes Spielzeug braucht, sondern einen lebendigen Freund.

Eva Ibbotson hat mit Fünf Freunde im Gepäck eine Hundegeschichte abgeliefert, die Lassie und den 101 Dalmatinern den Rang ablaufen könnte. Charmant nimmt sie die Konsumgesellschaft aufs Korn, die sich selbst Hunde als Accessoire auf Zeit ausleiht, um wie auch immer vor anderen gut dazustehen, oder die ihre Kinder mit Sachen überhäuft, ohne die wirklichen Wünsche zu erfüllen. Daraus entwickelt sie eine rasante, urkomische und total liebevolle Abenteuergeschichte, die man in einem Zug verschlingt. Schön ist dabei zudem, dass sie die verschiedenen Charaktere der Hunde genau aufschlüsselt und sie zu eigenständigen Figuren werden lässt. Wie im richtigen Leben eben. Dieses Buch ist wunderbar kurzweilige Unterhaltung, nicht nur für Hundebesitzer. Doch Achtung: Nach diesem Buch steigt die Lust, sich sofort einen Hund anzuschaffen!

Eva Ibbotson: Fünf Hunde im Gepäck, Übersetzung: Sabine Ludwig, dtv, 2012, 304 Seiten, ab 9, 12,95 Euro

… und fernsehen hilft doch

wir werden nicht von Yaks gefressenMomentan mache ich eine Beobachtung, bei der ich ab und an mal schmunzeln muss – oder mich extrem wundere: Es erscheinen gerade ein paar Bücher, zu denen ich für den einen oder anderen Verlag in den vergangenen Monaten Gutachten geschrieben habe. Bei vielen ist mein Daumen nach unten gegangen. Doch jetzt stelle ich fest, dass einige dieser Trash-Romane dennoch auf Deutsch erscheinen (allerdings nicht in den Verlagen, denen ich davon abgeraten habe). Nun ja, es scheint ein immenses Bedürfnis nach neuen Storys zu geben, egal wie deren Qualität ist … Umgekehrt freue ich mich dann immer, wenn eine Empfehlung von mir auch wirklich eingekauft und übersetzt worden ist. So ein Fall ist das folgende Buch von C. Alexander London mit dem skurril langen Titel Wir werden nicht von Yaks gefressen* *hoffentlich.

Die 11-jährigen Zwillinge Celia und Oliver Navel lieben Fernsehen. Sie sitzen am liebsten den ganzen Tag vor dem Kasten und sind echte Experten für Film, Soaps, Reality-TV, Koch-Shows, Reisesendungen und Sportevents. Doch sie wohnen mit ihrem Vater, dem Forscher Dr. Ogden Navel, im Haus des exklusiven Forscher-Clubs und müssen sich ständig die Abenteuergeschichten aller möglichen Forschungsreisender anhören. In den Ferien schleppt der Vater sie in die exotischsten Länder, wo sie angeblich aufregende Dinge erleben. Doch die Kinder finden das entsetzlich, sie wollen keine Käfer essen oder von Eidechsen gebissen werden. Sie möchten einfach nur ihre Ruhe haben und wünschen sich nichts sehnlicher als ordentliches Kabelfernsehen. Ihre Mutter Claire ist seit drei Jahren verschollen, auf der Suche nach der verlorenen Bibliothek von Alexandria. Ein bisschen vermissen die Kinder sie und fragen sich, ob die Mutter vielleicht weggegangen ist, weil die Zwillinge solche Langweiler sind. Doch dann verschlägt eine Intrige gegen ihren Vater die Zwillinge nach Tibet. Dort begegnen sie üblen Gifthexen, machthungrigen Forschern und Lamas, die keine Lamas sind. Und sie finden eine Spur zu ihrer verschollenen Mutter …

An Rasanz und schrägem Humor ist diese Geschichte kaum zu übertreffen. In Indianer-Jones-Manier retten sich die beiden TV-Abhängigen aus allergefährlichsten Lebenslagen, immer mit Hilfe ihres Wissens aus dem Fernsehen. Schließlich winkt ihnen als Belohnung für ihr Abenteuer endlich Kabelfernsehen. Das Couch-Potato-Image der Kinder kontrastiert wunderbar mit der Aufgeregtheit und Angeberei der Erwachsenen, denen die jungen Helden beweisen, wie clever sie durch ihren Fernsehkonsum geworden sind. Falls also jemand noch einmal behauptet, Fernsehen mache dumm, dem sei dieses Buch empfohlen …

C. Alexander London: Wir werden nicht von Yaks gefressen* *hoffentlich, Übersetzung: Petra Koob-Pawis, Arena Verlag, 2011, 278 Seiten, ab 10, 14,99 Euro