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Gefühlschaos und Liebesleid

HerzsturmZugegeben, reine Liebesgeschichten kommen auf dieser Plattform eher selten vor. Vielleicht weil mir manches einfach zu rosarot daherkommt oder weil es im Klischee verhaftet bleibt. Da gibt es unzählige Gründe, warum ich Liebesgeschichten mit Vorsicht behandele.
Doch nun ist mir eine untergekommen, eine ganz reine und pure sogar, aber ich fand mich trotz meines Alters in den Figuren und ihren Nöten wieder, sodass ich denke, jugendliche Leser können damit erst recht sehr viel anfangen.

Bei der Graphic Novel der in Dänemark lebenden deutschen Autorin Annette Herzog geht es schlicht darum, dass Viola sich in Storm verliebt und Storm sich in Viola. Doch Herzflattern, Höhenflüge, Zweifel, Peinlichkeitsattacken und Unsicherheiten verhindern zunächst einmal, dass die beiden zusammenfinden. Da werden Blicke gedeutet, Hoffnungen geschürt und gleich wieder verworfen. Erste Gespräche geführt, und dann traut sich doch keiner der beiden, sich beim anderen zu melden. Die Angst vor der Zurückweisung wäre doch zu schmachvoll. Das gesamte Gefühlspotpourri jugendlicher erster Liebe explodiert in Herzsturm – Sturmherz.

Herzog lässt jeweils ihre beiden Helden ihre Sicht dieses Gefühlschaoses erzählen. Dabei wird Violas Part von Katrin Clante illustriert, den von Storm hat Rasmus Bregnhøi übernommen. Clou an der Sache ist, dass man das Buch wenden muss, um die jeweils andere Position zu lesen, die schließlich in der Mitte zusammentreffen.
Bis es dazu kommt, schreibt Viola Tagebuch und heult sich bei einer Freundin aus, während Storm Songs schreibt und auf einer Party ein anderes Mädchen küsst. Was Viola jedoch sieht und somit die ganz Situation nun richtig vermurkst ist.

HerzsturmDa die erste Liebe immer als etwas Besonderes angesehen wird und bei den Beteiligten die größten Erwartungen auslöst, holt Herzog die beiden Helden jedoch mit einem philosophischen und einem literarischen Exkurs quasi auf den Boden der Tatsache zurück. Bei Storm lässt sie die großen Philosophen wie Platon, Aristoteles, Spinoza oder Schopenhauer zu Wort kommen, Viola rekapituliert die Liebesgeschichten aus dem Theater, von Medea über Romeo und Julia bis hin zum Roman Anna Karenina. Diese Dramen und die philosophischen Streitereien machen klar, dass die Liebe seit jeher eines der größten Mysterien der Menschen ist – und dass man sich einlassen muss, will man Gewissheit erlangen.
Dazu braucht man jedoch Mut und Vertrauen in den anderen – und manches Mal ist es auch wie ein Spiel, wie eine herrliche Doppelseite bei Viola zeigt: Das Würfelspiel „Wer erobert Traumboy“ schlängelt sich herzförmig voran, schickt die Spielerinnen vor und zurück („Traumboy hat dich nach deiner Lieblingsband gefragt, und dir ist der Namen nicht eingefallen – 4 Felder zurück“ oder „Du hast mit einem anderen Jung eng getanzt, um Traumboy eifersüchtig zu machen – Würfle gleich noch einmal“). Da merkt man das Augenzwinkern und alles bekommt eine spielerische Leichtigkeit.

Daneben sind dann höchst geschickt auch ernsthafte Themen wie Sexualkunde und die Aufklärung über die Unterschiede zwischen Sex, Lust, Verliebtheit und Verbundenheit eingearbeitet. Oder wie mit der Liebe in anderen Kulturen umgegangen wird. Mit all diesen Diskursen, die en passant daherkommen, holt Herzog die erste Liebe zwar aus dem jugendlichen hormonverstrahlten Urteil, dass es nichts Schöneres/Schlimmeres geben kann, gleichzeitig aber zollt sie den jungen Verliebten so viel Respekt, dass sie ihre Nöte und Leidenschaften ernst nimmt und sie ermutigt, offen und aufgeklärt durch diesen Sturm zu gehen – auf den anderen zu.

Jedem liebeskranken Teenager, jedem Mädchen und jedem Jungen, kann man dieses Buch nur empfehlen. Sie werden sich selbst darin wiederfinden und gleichzeitig etwas über das andere Geschlecht lernen. Danach wird der eigene Herzsturm vielleicht viel einfacher.

Annette Herzog: Herzsturm – Sturmherz, Illustrationen: Katrine Clante/Rasmus Bregnhøi, Peter Hammer Verlag, 2018, 128 Seiten, ab 12, 18 Euro

Der Freiheitsdrang

wadjdaNeulich haben wir uns im Freundeskreis darüber unterhalten, wie viel Freiheit Frauen hierzulande haben. Die Meinungen gingen auseinander. Manch eine bemängelte, dass auch wir hier nicht viel Freiheit haben. Nun, das mag in manchen Bereichen vielleicht zutreffen, und es gibt natürlich immer noch viel zu erkämpfen, wenn es um Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen in unserem Land geht. Das ist unbenommen.
Doch was es heißt, als Frau und Mädchen in der persönlichen Freiheit extrem eingeschränkt zu sein, dass können junge Lesende im Roman Das Mädchen Wadjda von Hayfa Al Mansour erleben. Dieses Buch, in der gelungenen Übersetzung von Catrin Frischer, ist für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2016, Sparte Kinderbuch, nominiert. In zwei Wochen findet die Verleihung statt, ein guter Anlass also, diesen Roman hier vorzustellen.

Die 10-jährige Protagonisten Wadjda wächst im saudi-arabischen Riad auf – und träumt von einem grünen Fahrrad. Sie tut einiges dafür, um das nötige Geld dafür zusammenzubekommen. Sie verkauft selbst gemachte Armbänder und meldet sich im Religionsclub an, an dessen Ende ein Koran-Rezitationswettbewerb steht. Mit dem Preisgeld könnte sie sich das Fahrrad leisten, falls sie gewinnen würde. Fast täglich schleicht Wadjda um das grüne Schmuckstück herum. Doch was für uns ein fast alltägliches Konsumgut ist, ist für Wadjda ein fast unerreichbarer Traum.
Denn in Saudi-Arabien dürfen Mädchen und Frauen – aus unserer Sicht – so gut wie gar nichts. Sie dürfen nicht allein auf die Straße, dürfen sich nur züchtig verhüllt unter dem Schleier „zeigen“, dürfen nicht alleine Auto fahren – vom Fahrrad fahren mal ganz zu schweigen. Es ist unzüchtig. Die Jungfräulichkeit ist in Gefahr.

Doch Wadjda lässt sich nicht einschüchtern. Nicht von der Mutter, die selbst mit all diesen Einschränkungen kämpft – sie muss täglich einen Fahrer mieten, um zur Arbeit zu kommen – und gerade vom Ehemann verlassen wird, weil dieser eine Zweitfrau heiraten will. Auch die Lehrerinnen, die Wadjda die bunten Sneakers verbieten und sie zwingen, die Abaya, ein langes schwarze Übergewand, zu tragen, können die Heldin nicht von ihrem Weg zu einem Hauch Freiheit abbringen.
Einen Verbündeten findet Wadjda in ihrem Freund Abdullah. Er bringt ihr das Radfahren bei, begleitet sie in ein Viertel, in dem nur Männer leben, weil sie dort dem Fahrer ihrer Mutter die Leviten lesen will.
Wadjda investiert sogar ihr bereits gespartes Geld, in eine Koran-Rezitier-DVD, die ihr das rechte Vortragen der heiligen Verse beibringt. Ein Risiko, aber möglicherweise ein schlaue Investition in eine Zukunft mit dem grünen Fahrrad. Als Wadjda den Koran-Wettbewerb dann tatsächlich gewinnt, glaubt sie sich ihrem Traum ganz nah.

Der Roman von Hayfa Al Mansour beruht auf dem gleichnamigen Film, den die saudi-arabische Regisseurin 2012 herausgebracht hat. Normalerweise läuft das Spiel bekanntermaßen umgekehrt, ein veröffentlichtes Buch wird später verfilmt – und hinterher beschweren sich meistens ziemlich viele Menschen, dass der Film nicht ihren Vorstellungen entspricht, die sie sich von der Lektüre gemacht haben. Hier ist die Reihenfolge nun also anders herum, und das ist eine überaus große Bereicherung!
Denn bei Wadjdas Geschichte tauchen Lesende tief in eine ganz andere Kultur ein. Der Film zeigt sie, erklärt sie jedoch nicht. Dafür fehlt die Zeit. Das Buch hingegen bietet den Platz, mit einigen zusätzlichen Sätzen die vielen Details aus dieser fremden Kultur ausführlicher zu erklären. Die jungen Lesenden erfahren hier mehr von den Hintergründen des arabischen Alltags. Natürlich bleibt immer noch vieles fremd, doch man bekommt ein Gefühl, wie ein Leben im heutigen Saudi-Arabien aussieht.
Wadjdas unangepasster Charakter, ihr Freiheitsdrang sind dabei eine Wonne und machen Hoffnung, das sich die Frauen in den arabischen Gesellschaften in ein paar Jahren mehr Freiheiten für sich und ihre Töchter erkämpfen. Freiheiten, die für uns schon so selbstverständlich sind, dass wir sie manchmal gar nicht mehr als solche empfinden.

Wadjdas Geschichte vom Alltag arabischer Mädchen und Frauen macht den westlichen Lesenden sehr bewusst, in was für einer privilegierten Gesellschaft wir, trotz aller Mängel, leben. Sie zeigt aber auch, dass wir Frauen immer noch weiter kämpfen müssen, denn die Freiheit des Fahrradfahrens sollten alle Frauen der Welt genießen dürfen, wenn sie darauf Lust haben. Wir brauchen auf unserer Welt mehr solcher unerschrockenen Wadjdas, die unbeirrt ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und für ihre Rechte kämpfen. Solche Heldinnen bedürfen unserer aller Unterstützung.

Hayfa Al Mansour: Das Mädchen Wadjda, Übersetzung: Catrin Frischer, cbt, 2015, 304 Seiten, ab 10, 12,99 Euro