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Der vorbildliche Dauerheld

hoodLange habe ich kein Hörbuch mehr vorgestellt, doch nun gibt es eine wunderbare neue Version der Legende von Robin Hood. Geschrieben von Birge Tetzner, die bereits die fundierten Zeitreisegeschichten um den jungen Helden Fred erschaffen hat.

Dieses Mal ist es nicht Fred, der in die Zeit von Robin Hood reist, sondern die Hörerschaft wird vom mittelalterlichen Erzähler Alan a Dale ins England des 12./13. Jahrhunderts geführt: In einer Schenke berichtet er von Robin, dem Geächteten, der sich gegen die Ungerechtigkeit von Prinz John und den Sheriff von Nottingham auflehnt. In 17 Kapiteln entfaltet sich das Leben von Robin und seinen vogelfreien Merry Men, die im Sherwood Forest leben, den Armen helfen und König Löwenherz die Treue halten.

Jedes Kapitel liefert eine aufregende Episode, die allesamt soundtechnisch von Rupert Schellenberger vielfältig und atmosphärisch mit Musik und Geräuschen unterlegt sind. Da spielt die mittelalterliche Klampfe sanfte Töne, die Pfeile sirren durch den Sherwood Forest, in dem die Vögel zwitschern, Laub raschelt und Bächlein plätschern. Geigen untermalen die Begegnung von Robin und Maid Marian, während bei den Kämpfen die Klingen der Schwerter aufeinander scheppern und die Faustschläge krachen. Das alles wirkt so plastisch, dass man meinen möchte, dort spiele jemand eine echte Klampfe und es fände eine wirkliche Prügelei statt – und doch ist alles, wie ich neulich in Berlin erfahren durfte, im Studio am Synthesizer und am Computer entstanden (das ist heutzutage eigentlich eine Binse, aber mich erstaunt es doch immer wieder). Als Folge dieser beeindruckenden Technik sieht man jedoch Robin und seine lustigen Gefolgsleute sehr bildlich vor sich und taucht tief in die Geschichte, ihre historische Zeit und die Landschaft ein.

Die Geschehnisse selbst erzählt Andreas Fröhlich, der uns Älteren auf ewig als Stimme vom dritten Detektiv Bob der ??? in Erinnerung bleiben wird, der aber auch die Synchronstimme von Ethan Hawke, Edward Norton, John Cusack und Gollum ist, sehr resolut und volller Verve. Seine verschiedenen Tonlagen und seine Stimmmodulationen in den unterschiedlichen Rollen, die er hier spricht, passen – wie es für Top-Profis ihres Fachs üblich ist – immer zu den Stimmungen der erzählten Momente. Auf mich wirkt Fröhlichs Stimme, die mir über all die Jahre so vertraut geworden ist, so, als würde ein guter Freund voll mitreißender Begeisterung erzählen. Das rundet das Hörerlebnis der Robin-Hood-Geschichte zu einem perfekten Genuss ab.

Im Booklet erzählt Birge Tetzner, die die gesamte Geschichte zusammen mit Mitarbeiterinnen des Historischen Museums der Pfalz Speyer geschrieben hat, zudem von den Legenden, die sich um diesen guten Räuber ranken, von dem nicht bekannt ist, ob er wirklich gelebt hat oder nur der Fantasie der Menschen entsprungen ist. Letztendlich ist das auch völlig egal, der Kampf gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit ist zeitlos und heute genauso wichtig wie im Mittelalter. So reicht die Botschaft dieses historischen Helden bis in unsere Tage und hat noch immer Vorbildcharakter. Mag man hoffen, dass diese Robin-Hood-Produktion viele Hörer_innen findet, die sich vielleicht etwas von dem Kämpfer für Gerechtigkeit abschauen.

Birge Tetzner: Robin Hood, erzählt von Andreas Fröhlich, ultramar-media, 2018, Hör-CD, 79 Minuten, 12,90 Euro

Kunstklau gegen Raubkunst

cat dealNur mit den Fingerspitzen hängt sie am Fenstersims einer Londoner Stadtvilla, zehn Meter über dem Asphalt, die Alarmanlage schrillt trommelfellzerfetzend, aus den unteren Stockwerken schlagen Flammen – schon mit der ersten actiongeladenen, Bond-dynamischen und schnodderig kommentierten Szene hat sich Catherine Burke alias Cat Deal, Fassadenkletterin und Meisterdiebin, in mein Leserherz gestohlen. Zwei Seiten später erfährt man in Kate Freys packendem Krimi nebenbei ganz undramatisch, dass Cat eine Waise ist und die Geschichte brandaktuell, bestiehlt die tollkühne 16-Jährige doch gerade einen „Typen, der seine Regierung um Milliarden betrog. Mit dem Geld kaufte er Immobilien in ganz London. Und seine verzweifelten Landsleute in Griechenland brachten ihre Kinder in SOS-Dörfern unter, weil sie sie nicht ernähren konnten. Und das in Europa!“

Cat Deal ist eigentlich die klassische Einzelkämpferin, die nur sich selbst vertraut und auf sich selbst verlässt. Mit Ausnahme ihres pelzigen Freunds Simon, einer Ratte (später gibt’s noch ein Lob für die unterschätzten Anpassungs- und Überlebenskünstler: „Diebe sind wie Ratten, dachte Lord Peter bei sich, und das war in keiner Weise abwertend gemeint. Ratten sind hochsensible, intelligente Tiere, die Gefahr förmlich riechen und sich dann schnellstens aus dem Staub machen.“ Kluge Einschätzung, Mylord). Aber diesmal, in der brenzligen Eröffnungsszene, ist trotz der wortwörtlich minutiös zu Musikstücken von Cat geplanten, choreographieren und geprobten Klaupläne etwas schief gelaufen: Auf dem Dach hat ihr jemand die Beute abgejagt. Und jetzt steht sie beim Auftraggeber in der Schuld. Immerhin ging ihr ein millionenschweres, juwelenbesetztes Platinarmband flöten. Also bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit Peter Charles Michael William Haversham der Vierte, Baron von Leonwood Castle, dessen jungem pakistanischen Assistenten und Hackergenie Asim und Butler Vincent zu arbeiten. Mit Cats Hilfe will Lord Peter (ältere Leser wie ich erinnern sich bei dem Namen wohlig an den sympathisch exzentrischen Detektiv Lord Peter Wimsey der scharfsinnigen englischen Krimiautorin Dorothy L. Sayers) aus dem Archiv der Tate Modern ein Bild des Dadaisten Kurt Schwitters entwenden und es der von den Nazis enteigneten, rechtmäßigen Besitzerin zurückgeben.

Und so arbeitet die 16-Jährige erstmals in einem Team – im besten Sinne. Eine Handvoll Individualisten und Außenseiter, die kooperieren, weil sie jeweils die Besten ihres Fachs, ihrer Kunst sozusagen, sind und damit das Optimale, sogar das Unmögliche erreichen. Und weil sie, wenn nötig, flexibel reagieren und Alleingänge wagen, anstatt sich starr an Planungen und Absprachen zu klammern und gegenseitig auszubremsen.

Mit Cat erfahren wir einiges über Raubkunst und den mehr als halbseidenen Kunstmarkt. Der Fall des Kunstsammlers Gurlitt wird angedeutet; das Drama um Gustav Klimts berühmtes Bild „Die goldene Adele“ spielt eine Schlüsselrolle, vor ein paar Jahren packend mit Helen Mirren als um Gerechtigkeit kämpfende Erbin verfilmt.

Grandios sind auch die elegant geplanten Einbrüche, die in ihrer Raffinesse und bestechenden Intelligenz an cineastische Klassiker wie Rififi, Ocean’s Eleven oder den absolut sehens- und liebenswerten deutschen Film Schrotten! heranreichen.

Man erfährt Wissenswertes über Selbstverteidigung, insbesondere als Frau und wie sie die Schwäche in Stärke verwandeln, also vermeintliche Unterlegenheit zu ihrem Vorteil ausnutzen kann; und über das Explosionspotenzial von Haushaltsreinigern. Man lernt London kennen und seinen Untergrund. Man taucht ein ins Darknet. Oder exklusive Adelskreise und deren Gepflogenheiten. Auch aktuelle Politik kommt zur Sprache: „Lord Peter hatte gegen den Brexit gestimmt, musste aber nun mit dem Ergebnis leben. Wie alle anderen auch. Auch die, die nicht zur Wahl gegangen waren, weil sie dachten, es wäre nicht nötig. Diesmal hatten die gewonnen, die es verstanden Ängste zu schüren.“

Dazu kommen in diesem furiosen Husarenstück noch spritzige, schlagfertige Dialoge. Mit „rote Backsteine sind rote Backsteine sind rote Backsteine“ lässt Gertrude Stein ironisch grüßen. Außerdem ist es ein bisschen eine Coming-of-Age-Story, ein Hauch Liebesgeschichte und ein Schuss Familiendrama (was fast ein bisschen zu deutlich zum Schluss im Raum steht, ein subtilerer Cliffhanger hätte es auch getan).

Also, liebe Leser, lasst Euch von dieser modernen Robin Hood des Kunstmarkts etwas Zeit stehlen, Ihr bekommt es zigfach zurück und seid anschließend um viel mehr als nur das schiere Lesevergnügen reicher. Das Gute ist, weil ich das Buch erst jetzt vorstelle, müsst Ihr nur kurz warten, bevor Ihr Euch ab dem 18. August mit Cat & Co. Nach allen Regeln der Kunst (so der Titel des zweiten Bands) ins nächste Abenteuer stürzen könnt.

Elke von Berkholz

Kate Frey: Cat Deal – Die Kunst zu stehlen, Ueberreuter, 2017, 315 Seiten, ab 12, 14,95 Euro