In den vergangenen Wochen ist mir ein Buch untergekommen, das eine echte Entdeckung für mich ist. Im Rahmen des Gedenkens an den Ausbruch des ersten Weltkriegs vor 100 Jahren ist bei Ravensburger der Antikriegsroman Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß von Rudolf Frank neu erschienen.
Sind Bücher wie Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque oder Nesthäkchen und der Weltkrieg von Else Ury bekannte Geschichten aus jener Zeit, so ist der Text von Frank ziemlich in Vergessenheit geraten. Was verdammt schade ist.
Frank erzählt die Geschichte des 14-jährigen Jan Kubitzki, der als Deutschrusse in Polen lebt. Seine Mutter ist gestorben, der Vater von den Russen eingezogen worden. In Jans Dorf ist niemand mehr, als die Deutschen einmarschieren. Da der Junge nicht allein dort bleiben kann, schließt er sich in der Not den Deutschen an und wird Teil der Armee. Statt den Jungen wie einen Gefangen zu behandeln, wird er quasi zum Maskottchen der Kompanie. Mit seinem offenen, bodenständigen und menschlichen Blick hilft Jan den Soldaten immer wieder aus der Patsche und rettet sie vor den russischen Sümpfen, Spionen und Angriffen. Er lernt die Schlachten an der Ostfront und später auch den Grabenkrieg im Westen kennen. Dabei konstatiert er immer wieder die Absurditäten von Krieg und Armeegebahren. So sind die Uniformen für ihn kein Zeichen der Einheit, sondern vielmehr ein Ausdruck „grenzenloser Ungleicheit und Uneinheit“. Jan hat mit Hierarchien und Auszeichnungen für angeblichen Heldenmut nichts am Hut.
Frank, der selbst im ersten Weltkrieg gekämpft hat, schrieb die Geschichte von Jan 1931. Zwei Jahre später verboten die Nazis das Buch und verbrannten es am 10. Mai 1933. Frank war also noch relativ dicht an den Geschehnissen des ersten Weltkriegs dran. Schonungslos erzählt er von verheerenden Schrapnellbomben und den Toten auf dem Schlachtfeld – und ahnte auch schon die kommende Katastrophe des zweiten Weltkrieges. So lässt er einen alten jüdischen Kaufmann räsonieren: „[Die Großmächtigen in Deitschland würden sagen:] Jetzt machen wir ä neuen Krieg, ä Krieg, der nix kostet und einbringt Geld. Jetzt machen wir Krieg gegen die Juden. Gegen die Juden im Land.“ Jan fragt den Alten daraufhin, ob er ein Prophet sei. Antwort: „Wozu braucht man sein ä Prophet, wenn man hat ä Kopf, der denkt, und zwei Augen, die sehen?“
Mir lief es bei diesen Zeilen eiskalt den Rücken runter. Denn Frank zeigt damit nicht nur seine Hellsichtigkeit bezüglich des damals aufkommenden Nazi-Terrors, sondern liefert universelle Botschaften, die auch heute noch gültig sind.
Dabei verklausuliert Frank seine Botschaft nicht, sondern sagt geradeheraus, was er von einer Unternehmung wie Krieg hält. Jans Erlebnisse illustrieren dazu das, was im Feld passiert. Immer wieder denkt der Junge darüber nach, wie die Sprache die Schrecken verbrämt, umbenennt und verfälscht.
Jungen Lesern zeigt Frank so ganz deutlich und unmissverständlich, dass Krieg immer grausam und zu verachten ist.
Uns Erwachsenen ruft der Text wieder einmal in Erinnerung, dass es heute nicht sehr viel anders zugeht. Wir in Deutschland haben zwar das unglaubliche Glück, nicht in einem Kriegsgebiet zu leben, doch die Nachrichten aus der Ukraine, Syrien und dem Irak halten uns tagtäglich vor Augen, dass diese Welt alles andere als ein friedlicher Ort ist und die Menschheit aus Geschichte einfach nichts zu lernen scheint. Dann möchte ich am liebsten allen dieses Buch in die Hand drücken und den Soldaten Mut machen, Jans Beispiel zu folgen und den Dienst zu quittieren. Aber so simpel ist es ja bekanntlich nicht. Leider.
Rudolf Frank: Der Junge, der seinen Geburtstag vergaß, Ravensburger Buchverlag, 2014, 256 Seiten, ab 12, 7,99 Euro