Sei, was du willst

hannibalPrinz Hannibal ist anders: Er wünscht sich Reifröcke und Fächer, Lauten und Schalmeien, statt Kettenhemden, Säbeln, Pauken und Trompeten.

So beginnt das grafisch modern-minimalistisch aufgemachte Bilderbuch Prinzessin Hannibal von Melanie Laibl und Michael Roher zu einem der wichtigsten Themen im Leben: Wer bin ich? Und wer möchte ich sein?

Prinz Hannibal jedenfalls möchte Prinzessin sein und nicht Prinz. Seine Eltern haben für solchen Firlefanz keine Zeit. Also fragt Hannibal seine sieben Schwestern um Rat und bekommt die besten Tipps aus altbekannten Grimm’schen Märchen: Tellerchen schrubben, auf einer Erbse nächtigen, einen Frosch küssen, sich die Haare zum ellenlangen Zopf wachsen lassen, eben alles, was man als Märchenprinzessin so durchmachen muss.

Schließich kommt Hannibal darauf, dass in jedem Prinzen auch ein Fünkchen Prinzessin steckt, das nur entzündet werden muss. Hannibal leiht sich sieben Sachen …

Autorin Melanie Laibl und Illustrator Michael Roher bringen hier schon sehr jungen Lesern mit dem Wechsel der Geschlechterrollen in Kontakt, ohne ein großes Drama daraus zu machen oder mit Moralkeulen oder irgendwelchen Zeigefingern zu wedeln. Ihnen kommt es darauf an zu zeigen, dass, wenn man wirklich will, man nämlich genau das sein kann, was man tief im Herzen eigentlich ist. Dabei darf man sich nur nicht von gleichgültigen Eltern oder überkommenen Märchen und überholten Regeln, die die Gesellschaft einem auftischt, in die Irre führen bzw. entmutigen lassen.
Sicher brauchen Kinder Märchen. Hier finden sie die sieben Klassiker, was einen gewissen Wiedererkennungseffekt und Spaß an der Erinnerung an diese Geschichten erzeugt. Kinder brauchen die Märchen aber auch, um diese zu überwinden, sie hinter sich zu lassen, um zu erkennen, dass sie nichts mit dem eigenen Leben gemein haben. Sie können Anregung sein, um zum eigenen Ziel zu kommen. Doch das Umdenken, den Umbruch, den Wandel im echten Leben nehmen sie einem nicht ab.

Dieses edle Bilderbuch ist grafisch ein Hinkucker, eine Mischung aus Collage, Malerei und Zeichnung (wenn ich das recht erkenne, verbessert mich, wenn ich falsch liege…). Hier sollte man wirklich auf die Details achten, um auch den Batman zu entdecken.
Für kleine Kinder vielleicht eine künstlerische Überforderung, doch in Kombination mit der Geschichte ein guter Anstoß, sich schon früh über seine (geschlechtliche) Identität Gedanken zu machen.

Melanie Laibl/Michael Roher: Prinzessin Hannibal, luftschacht, 2017, 32 Seiten, 22 Euro

Es lebe die sexuelle Vielfalt!

gayDas Leben auf dieser Erde ist alles andere als einfach, und der Mensch und seine vermeintlichen Regeln tragen nicht gerade dazu bei, dass es leichter wird. Vor allem, wenn es um Sexualität geht und wie die angeblich zu sein hat. Für Jugendliche, die sich ihrer sexuellen Identität noch nicht ganz klar sind, macht die Hetero-Normierung unserer Gesellschaft es auch nicht besser.

Gegen diese Normierung und eine angeblich normale Sexualität stellt der britische Autor James Dawson sein Handbuch How to be gay. Er richtet sich an die Jugendlichen, die vor allem eins sind: neugierig. Auf sich, auf das Leben, auf andere Arten der Sexualität, die ihnen nicht in der Schule erklärt und in den Medien oftmals als Stereotypen präsentiert werden. Dawson hingegen lädt die jungen Leser mit klaren, oft witzigen und ironischen Worten – von Volker Oldenburg in charmant-coole deutsche Varianten übersetzt, die eine unterhaltsame Lektüre garantieren – in den Club der LGBT*-Leute ein, d.h. in die Welt der LesbischGayBiTrans*-Menschen (wobei das * für die Gesamtheit aller sexuellen Orientierungen, sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten steht). Das mag sich, so referiert, vielleicht etwas sperrig lesen, doch geht es Dawson darum, sich unbefangen seinen sexuellen Phantasien zu stellen und herauszufinden, was Mädchen/Junge eigentlich mag. Der Respekt vor sich selbst und den anderen steht dabei im Mittelpunkt – ist der gegeben, ist es egal, wen und wie man liebt und mit wem oder wie man Sex hat.

Ist sie oder er sich seiner sexuellen Vorlieben erst einmal klar geworden, hilft How to be gay als Gebrauchsanleitung für das tägliche Leben weiter.  Dawson liefert wichtige Gedanken, wie ein Coming-out am besten gestaltet werden kann, verrät, was bei schwulem und lesbischen Sex abgeht, bietet Argumentationshilfen, wenn man als LGBT* zu einer religiösen Diskussion genötigt wird, zeigt, was bei Sex-Apps  zu beachten ist, oder wie man als homosexuelles Paar eine Familie gründet. Gleichzeitig warnt er auch vor lästigen und unnötigen Geschlechtskrankheiten und wie man sich durch respektloses Verhalten oder die gedankenlose Benutzung von Begriffen zum Vollhorst machen kann. Er nennt die Dinge dabei ungeschminkt beim Namen, und genau das tut gut, damit die Jugendlichen nicht ewig im Nebel von Unausgesprochenem, Angedeuteten, Klischees, Vorurteilen, Diskriminierung und angeblicher Unnormalität herumstochern müssen.

Angereichert hat Dawson seine Tipps mit O-Tönen von LGBT*-Menschen, die von ihren Erfahrungen und Geschichten berichten. Sie zeigen die Facetten von Leben, in denen die Menschen sich nicht nach der angeblichen Norm richten, sondern zu ihren Vorlieben und damit zu sich selbst stehen. Das sind durchweg großartige Vorbilder.

Einziger Wermutstropfen bei diesem Buch ist die fehlende Lokalisierung für die deutsche Szene. Dawson schildert vornehmlich britische Gegebenheit, also die Geschichte, Gesetzeslage und Rechte in Großbritannien. Und auch das „kleine Lexikon der großen Schwulen- und Lesbenikonen“ ist von angloamerikanischen Star beherrscht. Bei all dem hätte von Verlagsseite durchaus eine Anpassung und/oder Erweiterung für Deutschland vorgenommen werden können: Die Fragen zu Homo-Ehe und Kinder von Homosexuellen in Deutschland müssen sich die jungen Leser nun selbst recherchieren. Die Doppelseite mit nützlichen Websites am  Ende ist da nur ein schmaler Anfang. Und allein für das Ikonen-Lexikon fallen mir spontan bereits ein Dutzend deutscher LGBT*-Leute ein, die man hätte integrieren können.

Trotz dieses Mankos kann man Jugendlichen How to be gay als wegweisenden und hilfreichen Ratgeber an die Hand geben, den Eltern sei die Lektüre nicht minder empfohlen – denn man lernt auch als cisgender Hetero noch so Einiges dazu, sowohl über einen selbst, als auch über die Feinheiten, die für einen sensiblen und respektvollen Umgang in unserer Gesellschaft einfach nötig sind.

James Dawson: How to be gay. Alles über Coming-out, Sex, Gender und Liebe, Übersetzung: Volker Oldenburg, Fischer TB, 2015, 304 Seiten, ab 14, 9,99 Euro